Donnerstag, 26. November 2020

2087 Die Lichtsäule

 

Die Lichtsäule vorm Fenster wird mich doch nicht zur Wanderschaft verlocken wollen! Nein, dafür ist das Licht zu gemäßigt und grau; von Feuersäule kann keine Rede sein. Ich erlebe lieber die Tages- und die Jahreszeiten im Zimmer und erkenne sie an Temperatur und Lichtverhältnissen.

Links ist mein Hausaltar und gegenüber die Bücherwand, gegen die ich meine Gedanken, Einfälle, Erinnerungen und Klagen sende, einfach aus Position und Körperhaltung beim Hocken heraus.

Wenn der Tod von links hinten kommt, könnte er hier aus der Steckdose schlüpfen. Obwohl: die ist schon zu weit links abgerückt. Aber der Tod kann doch wie ein Träumer durch Wände gehen.

Das hier ist keine Asketenzelle; das hier ist mein geliebtes Zimmer. Mein kleines Kemenatenreich (am Morgen gut geheizt), eine ganze Welt voller Reichtum, Schönheit, ein Raum in seiner ganzen Pracht, mehr als genug für einen Menschen zum Überleben und für ein Leben in Fülle.

Gütig oder verlogen neige ich meinen Kopf nach links und halte ihn schief. Ich versuche es mit der vernachlässigten Seite rechts.

Die Welt da draußen, im mit beim und unterm Ozonloch ist nichts für mich. Ein paar Ausflüge ins befreundete Umland genügen. Die Lichtsäule beim Fenster ist inzwischen heller und intensiver geworden.

 

 

(26.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2086 Schlußsatz

 Mein Schädl wird von kleinen Wellen angerollt; Wangen-, Keilbein und Schläfenknochen rechts scheinen weich zu sein und die Wellen aufzunehmen und weiter nach oben zu leiten. Auch an der Gaumenplatte spielt es sich ab. Coronaparty versteckt im Schädelinneren? Schon wieder zerrt der Schlaf an mir. Jetzt ist es gegen halb sieben; vor drei werde ich kaum eingeschlafen sein.

Draußen ist es hier von herinnen noch stockdunkel. Ein paar Sekunden lang hält mein Wahrnehmungssystem meinen … jetzt fällt mir das richtige Wort nicht ein! … also sage ich halt: meinen Schlapfen neben dem Bett für eine Katze. (Eben: das deutsche Rechtschreibprogramm unterwellt mir den Schlapfen rot.)

Ich meditiere und raisoniere und prüfe meinen gestrigen Schlußsatz; darüber vergesse ich den heutigen, denn mir fallen die Augen zu.

 

 

(26.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2085 In meinem Körper als Angst

 

Was waren die Tage, als meine Welt frei war? Doch nur im Rausch zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Rauschgraden: Wie ich auf dem Fest nach meiner ersten Lesung betrunken mit dem Kopf auf dem Schoß einer fremden Frau selig eingeschlafen bin und glücklich das Reden und Lachen der fröhlichen Runde gehört habe. Wie ich sturzbetrunken im Stiegenaufgang der Universität Graz im oberen Stock auf dem glatten Marmor der Balustrade frei und unbekümmert herumgestanzt bin, ich, der ich kaum einen Halbmeter hohen Zaun ohne am ganzen Körper zu zittern übersteigen kann. Wie ich betrunken in der BlueBox „ich liebe euch!“ gerufen habe. Wie ich völlig verkatert durch den Park von Versailles spaziert bin, innen voller Musik, und zufällig die Stelle mit dem Riß in der Welt entdeckt habe. Wie ich in Salamanca eingeraucht mit meinem Kompagnon die ganze, aber wirklich die ganze Plaza mayor von einem Ende zum anderen, von einer Ecke zur anderen gesegnet habe. Wie ich ein paar Stunden später das Wunder eines aus der Naht der Autopolsterung abstehenden Fadens geschaut habe.

Manchmal jedoch fühle ich meine Welt auch frei, wenn ich als Hänschen klein oder Hans im Glück fröhlich meinen Weg wandere. Und als ich noch mit meinen Kindern den Weg von der Stallaalm hinuntergehüpft bin.

Ich höre mit der Aufzählung auf.

Meine Unfreiheit liegt, sitzt, steckt in meinem Körper als Angst. Oder umgekehrt.

 

 

(25./26.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Mittwoch, 25. November 2020

2084 Mein Traumbewußtsein starrt

 

Meine Muskel, von Traum und Schlaf noch starr und steif, entspannen und lockern sich wieder. Allmählich löst sich die zähe Hülle, die Körper und Geist abisoliert hat, auf. Eine frische Weichheit erfüllt langsam mein Empfinden, ergänzt vom angenehmen Anfühlen des weichen Fells meiner schnurrenden Katze neben mir, die ich streichle.

Vor lauter Genuß und Entspannung schlafe ich wieder ein. Als ich die Augen öffne – ein lauter Streit der Kinder unten weckt mich dankenswerterweise auf – sind die zwei Blumentöpfe auf meinem Schreibtisch weg. Also starrt auch mein Traumbewußtsein auf mein Zimmer und macht mir Gestaltungsvorschläge.

 

 

(25.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2083 Gegrüßet seist du Weidenbaum

 

Gegrüßte seist du Weidenbaum, an diesem grauen Morgen. Und alle deine Freunde da unten: der Kirschbaum, der Akazibam, der Hollunder der arme grausam zurückgestutzte, die Rosen, die Essigbäume und alle anderen im Hof, und auf der Straßenseite die drei und der eine ums Eck, deren Namen ich nicht kenne.

Die Stimmen vom Morgenjournal monotonisieren bis herauf; verstehen kann ich Gottseikrank nichts. Dunkelgrau bläuliches Licht versammelt sich vorm Zimmerfenster und staut sich an der grauen Hauswand. Aber immerhin ein kurzer Ausblick, um dessentwillen ich heute Nacht das Rouleau nicht herunter gelassen habe („Dtu! Nein! Nein!“)

Irgendwo in der Wohnhausschlucht brummt irgendein Motor, der regelmäßige Hubschrauber macht die tiefere Oberstimme, meine Ohren mit ihrem Surren halten locker mit und unterlegen diesen musikalischen Cluster mit den höchsten Tönen. Meine Augen sehen, was sie zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Stunden am Tag sehen: mein Kemenatenreich und sie mögen diesen Anblick, vor allem, wenn mein Schauen aus dem Fenster darf; aus dieser Perspektive ein, zwei Meter bis zur Hauswand.

Wie vor vier Stunden hocke ich im Bett und mache das, was in der Nacht Abendbetrachtung war zur heutigen Morgenandacht. Das Licht vom Fenster wird schnell heller und lichter, transparenter könnte ich auch sagen und sage es. Ich drehe zufällig den Kopf nach links und bestaune den Faltenwurf des hingeworfenen Taggewandes am überfüllten Sessel. Bald werde ich das Leselicht, das jetzt zum Schreiben dient, abdrehen und weiterschlafen. Und das Licht vorm Fenster wird hell und klar wie Luft sein.

 

 

(25.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2082 Ich lächle mein Zimmer an


 

Ich lächle mein Zimmer an. Genauer: die gegenüber liegende Bücherwand mit den Bildern, Kunstkarten und von Kindern gebastelte Nippes.

Ich genieße die Stille der Nacht, das Surren in meinen Ohren und meinen durch die Lesebrille verschwommenen Weitblick. Verschwommen gefällt mir. Verschwommen – das Wort ist auch ganz stark. Ver-schwommen.

Eine halbe Stunde ist schon vergangen und ich hocke immer noch da und genieße es. Ich will noch nicht schlafen, ich will mein Zimmer anschauen. Mir kommt vor, die Deckenlampe schwingt, aber sie hängt unbewegt.

Was mir so alles durch den Kopf geht! Meine zwei Kirchenaustritte, ob ich ein Hampelmann bin, das Revolutionary Ensemble und vieles mehr, alles fast durchgehend begleitet von Bruchstücken aus Those Were The Days von den Cream, die ich immer wieder in meinem Inneren abspiele.

Jetzt hat sich am linken Rand meines Gesichtsfeldes etwas deutlich gebogen und gewölbt – und wenn ich hinschaue bleibt alles ganz brav und bewegt sich nicht. Ich liebe diesen Zustand, und mir ist es egal, ob ich dabei diese Welt aus den Augen verliere. „Ist es mir wirklich egal? Ich habe doch um mein windiges Ich solche Angst!“ kommt der Gedanke daher geschwommen. Ich lasse ihn jedoch vorbeidriften.

Ich lenke meinen Blick und mein Bewußtsein auf das Zimmer.

Es sind wieder zwanzig Minuten vergangen. Ein wenig bleibe ich noch hocken, dann lege ich mich nieder.

 

 

(24./25.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2081 Der 22.2.2222

 

Ich freu mich schon auf den 22.2.2222! An diesem Tag muß ich unbedingt einen Text schreiben und in die Schublade stellen. Ein solches Datum darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Verstreichen. Ja, jetzt im Lockdown verstreichen die Tage. Aber auch schon vorher in meinem persönlichen Lockdown aus finanzieller Beengung und seelischer Depression sind sie verstrichen und in der Erinnerung verwischt. Ich werde im Tod nur mit ein paar Fetzerl in der Hand der Unendlichkeit gegenübertreten müssen. Aber die wird schon die vergessenen, verdrängten und verweigerten Ereignisse herausquetschen – hoffentlich bekommt mein kleines, aufgeblasenes Ich noch alles vom Ende bis zum zum Anfang mit und verpisst sich nicht vorher vor lauter Angst.

 

 

(24./25.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 24. November 2020

2080 Mit sanfter Gewalt

 

Das Schönste an meinem Abendritual (heute um 2:17 a.m.) ist das Öffnen des Zimmerfensters zum Zwecke der Frischluftzufuhr. Frischluft ist vielleicht etwas übertrieben, denn der Luft aus dem Lichtschacht haftet immer etwas modriges an. Aber egal. Zwar muß ich mich zum Lüften immer etwas überreden – einer meiner inneren Konsorten sagt: Ach was! Lüft halt nicht! - aber wenn ich dann das Fenster öffne, mach ich es gern.

Mein Zimmerfenster ist ein altes Kastenfenster, zweimal zwei Fensterflügel, und die äußeren zwei sind schon recht lädiert. Ich muß mich über den Schreibtisch gebeugt recht strecken, um die Triebolive (so heißt das Ding zum Auf- und Zumachen des Fensters; habe extra nachgeschaut, ich hätte es provisorisch Fensterschnalle genannt) zu erreichen und durch drehen derselben die Sperre zu öffnen. An und für sich würde man nach der Entsperrung an diesem Drehding den rechten Fensterflügel aufziehen, aber das geht hier nicht, denn das T-förmige Ding ist in der Achse abgebrochen. Das heißt, ich kann das Ding (man merkt, ich bin mit dem gerade gegoogelten Wort „Triebolive“ noch nicht heimisch geworden) zwar zum Öffnen drehen, aber wenn ich anziehe, habe ich den Griff – genauer gesagt: den Querbalken vom T und ein Stück vom Längsbalken – in der Hand und das Fenster ist zu geblieben. Dieses Stück dürfte deshalb abgebrochen sein, weil der verzogene Flügel etwas klemmt. Also kann ich das Fenster auch nicht öffnen, indem ich den Flügel einfach beim Rahmen packe und aufziehe. Ich muß nämlich den Rahmen unten etwas anheben, damit sich das Fenster öffnen läßt. Dieses Anheben sollte recht konzentriert und sanft vor sich gehen. Wirklich sanft, sonst hebe ich den Fensterflügel aus seinen Angeln (wie Tischler sagen: das Weibl vom Mandl) und er kippt bestenfalls mir entgegen, schlimmstenfalls saust er den Lichtschacht hinunter und knallt dort auf. Und meines Wissens sind dort unten auch zwei Wohnungseingangstüren. Gut, um diese Zeit werden eher wenige Leute unterwegs sein. Aber dennoch.

Und genau dieses konzentrierte und wahrlich sanfte, beherrschte Hochheben des Fensterflügels liebe ich: meine Kraft muß genau im richtigen Ausmaß eingesetzt werden. Eine schöne Abendübung, wo ich jedesmal Unlust, Müdigkeit und Ungeduld bezähmen muß und die dabei entstandene Stille genießen darf.

 

 

(23./24.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 23. November 2020

2079 Es tut weh

 

Jetzt (2:12 a.m.), da ich den guten, schönen, fröhlichen Tag abschließe, kommt die Trauer. Die Trauer um meine nicht verwirklichten Träume, von denen ich mich verabschieden muß, um meine unerfüllte Sehnsucht, die ich aufgeben muß, um meine nicht riskierten Abenteuer, die ich abschreiben muß. (Als ich mir heute die Cream angehört habe, waren sie alle wieder aufgewacht, und meine ganzen Hoffnungen meiner verzweifelten Jugend.)

Ich bin sehr tapfer, dass ich das aushalte, so arg gescheitert zu sein. Und es tut weh! Es tut in der Seele so weh!

Die Musik tut gut. Trauer und Schmerz sind ja nichts Schlechtes; sie sind hier angemessen. Ich will mir ja keine falschen Erfolge oder Siege einreden, will mir mein Scheitern nicht schönreden. Nur der Blick vom Gesichtspunkt der Ewigkeit aus darf das alles relativieren.

 

(22./23.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 20. November 2020

2078 Die Erschaffung der Welt

 

Von der Erschaffung der Welt will ich nur erzählen, dass sie ganz anders abgelaufen ist. Keiner hat irgendjemanden gesehen. Nichts war da als der Absturz. Die Hoffnung starb zuletzt. Die Kreisel drehten sich nach rechts oder links.

Oh wie gerne ich es habe, wenn sich Frauen langsam ausziehen! Langsam! Wir sind hier nicht auf der Rennstrecke und nicht auf der Autobahn. Mein verschlafener Geist amüsiert sich ob seiner Idiotie. All die Jahre ist es mit dem frischen Morgen zu keiner Liebesvereinigung gekommen. Ich verstehe das nicht: die Anziehung war doch immer so stark. Jetzt ist es zu spät; wir sind beide alt und ich sehr müde geworden.

 

 

(20.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2077 Wolkenverhangener Tagesbeginn

 

Wie schön ist das trübe graue Morgenlicht, das doch unauffällig in den wolkenverhangenen Tagesbeginn strahlt! Noch deutet nichts auf Scheitern hin, noch scheint der Ausgang offen und mein dummes Herz macht sich Hoffnungen.

Ich bin ihm nicht böse wegen seiner Narretei, im Gegenteil: ich freue mich über soviel Kindlichkeit. Ich weiß, dass irgendwann der Moment da sein wird, wo es erschrecken wird und die Illusionen weggezogen.

 

 

(20.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2076 Die Bilder der Welt

 

Im Lampenlicht tanzt der Staub. In meinen Ohren swingen die betörenden Töne der surreal surrenden Sirenen, an denen ich mich weit weg ziehen lassen könnte, wenn ich mich ganz hineinlassen würde. Dafür bin ich zu ängstlich. Ich weiß, ich bin nicht so fest gebaut und deshalb ist die Fähigkeit zur Rückkehr fragwürdig. Obwohl ich auf „Na und?!“ auch keine überzeugende Antwort weiß. Man macht halt nicht gern Scherereien.

Nein, ich bin mit meinem Leben hier ganz zufrieden. Ich bleibe gern in meinem Kemenatenreich, in meinem Asyl. Ich weiß zwar nicht, ob ich und meine Fähigkeiten wirklich gebraucht werden, aber sang- und klanglos abhauen würde auch nicht funktionieren. Und irgendwann muß ich die Reise sowieso antreten. Nein, ich sauge noch die frische Luft meines soeben gelüfteten Zimmers auf und mit den Augen dankbar die Bilder der Welt.

 

 

(19./20.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 19. November 2020

2075 In der Stille der Nacht

 

In der Stille der Nacht. Ich bin hingerissen, wie still es hier mitten in der Stadt ist! Hier und jetzt kann ich aufatmen. Ich liebe die Nacht. Eindeutig liebe ich die Nacht. Da lebe ich auf. Wenn alle schlafen, geht es mir am besten.

Alle schlafen ja nicht, aber die meisten. Weniger Bewußtsein wird abgestrahlt. Weniger Bewußtseinsmüll ist im Äther.

An meinem linken Arm zittert ein Muskel kurz auf, wie bei einem Pferd. Mein Herz umgibt die Aura einer leichten Aufregung. Weil ich es nicht fassen kann, wie wohl mir hier ist. Ich liebe meine Kemenate, meine Geisterwerkstatt, mein Ausgedinge.

Ich kratze mich am juckenden linken Unterarm. Ich kann nicht aufhören, hier im Bett zu hocken und im Zimmer umherzublicken, zu lauschen. Ich will mich noch nicht hinlegen. Die Augen fallen mir schon zu, aber ich will noch nicht schlafen. Ich will diese schöne Welt genießen.

 

(18./19.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2074 Ich höre Stimmen

 

Ich höre Stimmen. Verstehen kann ich sie nicht. Vermutlich kommen sie aus dem Hof. Oder von der Wohnung unter uns.

Von unter uns. Hier im Wohnzimmer ist es heller als in meinem Kemenatenreich und der Tag scheint weiter fortgeschritten. Bei mir oben ist noch Nacht, bestenfalls Morgendämmerung.

Auf nüchternem Magen schmeckt mir der Kaffee nicht und vom Duloxetin wird mir – so auf nüchternem Magen – leicht übel. Aber ich konnte noch nicht essen.

Ich sollte ganz etwas anderes schreiben! Absurder, lustiger, tragischer, tiefer. Allein, mir fehlt die Kraft. Sie reicht dafür, das überschlagene rechte Bein auf den Boden zu setzen und das linke zu überschlagen.

„Überschlagen“ - wie fremd mir dieses Wort ist. „Überschlagen“ ...

Schon wieder hat die Katze ihr Futter von gestern, um das sie noch so gebettelt hat, nicht aufgefressen! Ab ins Klo mit dem vertrockneten Zeug. Beim jüngsten Gericht werden die Katzen und Ratten für mich aussagen; immerhin. (Das ist mir schon zu realistisch, zu wenig kryptisch. Ich sollte diese Passage streichen, aber auch das schaffe ich nicht. Zu selbstverliebt, denke ich.)

Nun bin ich zurück in meinem Reich und selbst hier glitzert ein wenig vom frischen, hellen Tag herein.

 

(17.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2073 Das ist die Nacht

 

Immer wieder dieses Fremdheitsgefühl in der Welt. Aber ich liebe es. Ich möchte es nicht mehr missen. Voll Liebe, Zuneigung und Freundlichkeit schaue ich auf mein Zimmer. Vieles glitzert hier. Es ist mir noch nie aufgefallen, wie viel da ist, das das Licht strahlend zurückwirft. Ich seufze, aber mit befreiendem Spin. Das ist die Nacht. So ist es in der Nacht.

 

(16./17.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 13. November 2020

2072 Zeigen Sie ihren Ausweis!

 

Im Morgengrauen habe ich das Rouleau hochgezogen, damit ich den Tag nicht übersehe. Man kann schon sagen, dass das der Tagesbeginn ist – die Geräusche des pulsierenden Lebens sind schon da. In meinen Ohren ist noch ein Pulsieren aus eine anderen Welt und bringt das Surren zum Schwingen.

Meine Expedition in die Weite und Einsamkeit des Eismeeres. Das einsame Gurgeln der Kaffeemaschine unten. Langsam verflacht die Kurve.

Der Katze habe ich dreimal das Leben gerettet – behauptet mein Traumbewußtsein.

Ein bedrohliches Klopfen aus dem Untergrund – behauptet mein Traumbewußtsein.

Auch wenn du mein Kind schützt, willst du es gefangen nehmen.

Moment! Zeigen Sie ihren Ausweis!

Eric's Vater ist gestorben.

Hinter mir die Sintflut.

Mein Kugelschreiber kriecht mir davon.

 

 

(13.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2071 Mitten in meiner Nacht

 

Ich schnaufe vom Stiegensteigen, mein Herz klopft heftig, mein Kopf surrt und ich bin in Halbschlaf eingehüllt: jede Aktivität ist so anstrengend. Es ist sieben Uhr früh, mitten in meiner Nacht.

Allmählich beruhigt sich mein Montagepunkt und ich werde fester. Weit kann ich die Müdigkeit nicht weggeschoben haben, denn die Lider fallen mir ständig zu. Am Hinterkopf versammelt sich Kribbeln und die Schädeldecke juckt. Die Matratze bewegt sich in sanften Wellen – von keinen Kräften dieser Welt in Bewegung gesetzt. Das Jucken und Kribbeln ist nun zum Herzen gewandert.

Gut. Okay. Ich schlafe weiter.

 

 

 

(12.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2070 Ein magisches Fenster

 

2:30 a.m. Meine Abendmeditation. Ich meditiere unter der Überschrift: versunkene Stadt.

Ich lebe in einem einräumigen Häuschen tief unten am Grund. Hier bin ich sicher und habe es schön. Hier steht die Zeit. Hier dreht sich keine Welt. Jede Sekunde dehnt sich in die Ewigkeit aus.

Seit Monaten wieder zum ersten Mal bleibt mein Blick am Lošinj-Bild hängen und wieder sehe ich etwas ganz Neues. Eine undefinierbare Gestalt, eine Form, die ich noch nie so zusammengesetzt habe. Je länger ich hinschaue, desto kompakter wird sie. Dieses Bild, von mir selbst geschaffen, setzt mich immer wieder in Erstaunen. Es ist veränderlich. Es lebt. Es gibt etwas anderes wieder. Es ist magisch. Ein magisches Fenster.

 

 

 

 

(11./12.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 11. November 2020

2069 Plazet

 

Es ist 14:02 und ich bin vor kurzem aufgewacht und habe einen eigenartigen Traum ins Traumbuch notiert, und war so darin verstrickt, dass ich auf der Landkarte den Weg im Traum rekonstruieren wollte. Erst nach ein paar Minuten habe ich unter innerem Widerstand eingesehen, dass dies absurd ist.

Da die Tageskinder noch ihren Mittagsschlaf halten und ich deswegen die laute Kaffeemaschine nicht in Betrieb setzen soll, gehe ich noch nicht zum Frühstück hinunter, sondern bleibe im Bett hocken und betrachte mein Zimmer. Ich atme tief ein und bin glücklich, glücklich über mein kleines Reich. Die Bücher, die Bilder, meinen kleinen Hausaltar mit der „Ikonostase“ an der Wand dahinter (also sie steht nicht und deckt den Hausaltar – der sicherlich kein kirchliches Plazet erhielte – nicht ab, sondern ist lässig an die Wand gepinnt), was für ein seliger Ort! Was für ein Rastplatz zur körperlichen, seelischen, geistigen, spirituellen Erholung!    Ich muß nichts tun. Einfach nur im Bett hocken und meinen Blick wandern lassen und ich bin in Balance und glücklich.

 

 

 

(11.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2068 Jugendliche Motten

 

Meine Gedanken sausen um sieben Uhr früh in meiner Lebens- und der Weltgeschichte herum. Zwei jugendliche Motten schwirren um und in meiner Leselampe als kleine Leuchtkörper, wenn sie den Lichtkegel passieren.

Ich kippe von einer Trance in die nächste und vergesse alles. Und die Augendeckel klappen immer wieder zu und ich reiße sie immer wieder auf. Die Neubaugasse wird umgebaut, fällt mir ein, zuerst taucht das Bild auf und erst nach ein paar Sekunden das Wissen, wo das ist.

Mein Streicheln meiner Katze wird so müde, dass sie zu schnurren aufhört. An der Stiege unten wird die Sperre für die Tageskinder eingefügt; ich höre alles herauf, wie vorhin noch die Stimmen des Morgenjournals

 

 

 

(11.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2067 Weg zum Zoo

 

Mein Blick ist so verschwommen, als hätte ich Tränen in den Augen, dabei habe ich nur die verschmierte Lesebrille auf. Plötzlich blitzt vor meinem inneren Auge der Weg zum Zoo in Schönbrunn auf; und zwar der Abschnitt beim Palmenhaus. Nicht mehr, nicht weniger. Keine Ahnung wieso.

Eine mehrstimmige Symphonie aus Surren hüllt mich akustisch ein. Es ist vier Uhr morgens und ich mag noch nicht schlafen. Ich genieße diese Leere, dieses Nichts um diese Zeit an diesem Ort. Eine Leere, ein Nichts – so voll, so dicht, so vielversprechend: „Gleich gleich sind wir dort! Gleich kommt es! Wir stehen kurz davor! Bald ist alles ganz anders!“

 

 

(10./11.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2066 So làlà

 

Als ausgeworfener Träumer hocke ich unten am Bewußtseinsboden. Aber ich kann froh sein, dass ich in der „richtigen“ Welt ausgespuckt wurde und nicht in einer völlig fremden. Ja hier in meinem Zimmer kenne ich mich so làlà aus. Ich finde im Halbschlaf aus der Tür und die Stiegen hinunter.

 

 

(10.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2065 Ganz unten

 

Ich sitze im Brunnen. Dort halte ich mich versteckt. Schnurren und Surren. Der Brunnen ist trocken, er hat kein Wasser mehr. Wie gesagt, ich halte mich versteckt; ich kann jederzeit raus. (Oder bin ich im Bauch des Walfisches?)

In Wirklichkeit hocke ich natürlich nur in meinem Bett. Der kleine aber hohe Raum hat mir die Vorstellung geschenkt, unten in einem Schacht zu sitzen. Keine unangenehme Vorstellung – so von der Welt weggeduckt. Und nach oben offen. Ich hocke unten und schreib mein Leben auf.

Ich will nicht schlafen. Ich könnte stundenlang so dahocken. Aber aus Pflichtgefühl werde ich es nicht tun. Das wär schon was: so lange da sitzen, bis ich ein anderer Mensch bin. Der richtige. Der eigentliche. Tun kann ich nichts mehr. Mein Leben ist gelaufen. Ich schaue nur mehr zu. Entweder aus dem Fenster oder auf den Bildschirm. Und hier erhole ich mich und lasse alles ausklingen.

Nein, ich mag nicht schlafen. Ich will sitzen und meine Augen herumwandern lassen, den Blick auf nichts Bestimmtes. Was an Bildern reingeht, geht rein; was nicht reingeht, bleibt draußen.

 

 

(9./10.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2064 Die Fliege III

 

Heute kann mich die Fliege nicht mehr täuschen. Sie ist eine ganz gewöhnliche Fliege, denn ich habe sie tagsüber unten gesehen. Unten im Wohnzimmer ist sie zur Tageskinder-Abholzeit herumgeflogen. Also eine einfache Mitbewohnerin; mein Gott! Versucht mich mit ihrem magischen Getue reinzulegen! Und gutgläubig wie ich bin, falle ich darauf rein. Macht nichts. Sei mir als Mitbewohnerin willkommen! Du hast das schlau angelegt. Aber jetzt legst du mich nicht mehr rein.

Wo ist sie eigentlich? Zwei Uhr ante meridiem. Sie kommt nicht. Hat sie etwa die Katze gefressen?

 

 

 

(9./10.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 9. November 2020

2063 Die Fliege II

 

Sieben Uhr früh. Statt Morgenjournal die Fliege. Zum ersten Mal, dass ich sie zum Tagesbeginn erlebe. Sie setzt sich provozierend nahe bei der Katze nieder. Bisher hat die Katze sie ignoriert und höchstens einen Blick riskiert. Aber jetzt jagt sie die Fliege, doch sie erwischt sie nicht. Wegen der Morgenaktivität der Fliege muß ich alle meine Fliegentheorien über Bord werfen oder zumindest hinterfragen. Ist die Fliege von einer magischen Fliege, die die Katze nicht jagt, zu einer gewöhnlichen Fliege, die die Katze jagt, mutiert? Ich glaube nicht, dass sich Katzen über den Status gewöhnlich oder magisch täuschen lassen.

Die Fliege ist eine gewöhnliche. Sie fliegt gegen die Fensterscheibe – das wäre einer magischen nie passiert.

So sind wir halt alle in unseren platonischen Höhlen gefangen: sie – ich – wir.

 

 

 

(9.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2062 Die Fliege

 

Eine Fliege ist im Zimmer und fliegt hin und her und im Kreis und im Slalom. Manchmal setzt sie sich hin. Dann fliegt sie wieder. Wegen ihres Summens kann ich mein Surren schlecht hören. Das ist kein Nachteil, denke ich.

Aber dieses unruhige, unrhythmische, unberechenbare Gesumme – an aus an aus – und die Intervalle können sehr kurz, kurz, mittel, lang oder sehr lang sein – ich werde mich beim Einschlafen anstrengen müssen, mich davon nicht aufreiben zu lassen. Stelle ich mir vor.

(5./6./9.11.2020)


Wieder ist die Fliege in meinem Zimmer und fliegt herum. Wie gestern Nacht. Übrigens war sie nach dem Lichtabdrehen gleich ruhig.

Vielleicht ist sie eine magische Fliege oder eine Zauberin (die gehen gerne in die Insektenwelt) und ich sollte sie verschlucken, um ihr Bewußtsein, ihr Wissen und ihre Erinnerungen in mein Bewußtsein und meinen Geist hochzuladen. Oder einladen. Aufladen.

 
(6./7./9.11.2020)


Wieder ist die Fliege da. Sie kommt immer so um 2 a.m. in mein Zimmer. Fliegt herum. Sehr merkwürdig! Vorher höre und sehe ich sie nirgends. Tja! Sie muß wohl eine Botschafterin sein. Aber was soll sie mir ausrichten? Und von wem?

„Liebe Fliege“, spreche ich sie an, „was hast du mir zu sagen?“ … Na, sinnlos! Ich versteh nichts. Ich höre nur Gesummmse und es steigt auch keine Erkenntnis auf oder ein Wort oder ein Blitzeinfall oder etwas in der Art.

Ich schließe die Augen um konzentrierter hören zu können. Wenn ich nur wüßte, wie man sich in eine Fliege verwandelt!

Oder ist ihre Flugbahn das Medium ihrer Botschaft? Verkleinerte, gezippte Auspizien? Diesen Parcour kann ich mir aber nicht merken und das geht mir viel zu schnell.

Wo kommt die Fliege eigentlich her? Ist sie eine Fliege oder sonstwer im Fliegentraumkörper und kann durch die Wand? Und da sie gerne auf und über meinem Lošinj-Bild ausruht, unter dem meine Eltern gestorben sind, könnte es nicht sein, dass … Nein! Das ist zu weit hergeholt!

Oder ist sie doch eine ganz normale Fliege, die mir sagen will: „Oida! Dreh endlich das verdammte Licht ab, damit ich schlafen kann!“

 

(8./9.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 2. November 2020

2061 Die Albertina ist voll

 

Am letzten Tag vorm zweiten Lockdown ist die Albertina voll. Ich sitze und raste beim depperten Kardinal und bin schon recht erschöpft. Drei Selfies. Die Klees hier en passant.

Ich raste bei Motesiczkys Arbeiter, der schon mein Freund wäre, so am Bild und wenn er mich akzeptieren könnte. Und der sommerliche Kröpflweg, den ich so gern ginge. Aber ich kann nicht sagen: ich lebe in der falschen Zeit, denn damals hätten sie mich schon längst erledigt. Der Arbeiter ein wenig wie mein Großvater. Ein wenig! Bei beiden Bildern bin ich nahe dran hineinzukippen. Indem ich von dem einen zu dem andern blicke, bremse ich den jeweiligen Vorgang ab. Verdammt: ich kenne beide Situationen! Aber woher? Woher? Wir sind hier 1926 und 1927.

Heute raste ich mehr, als dass ich durch die Ausstellungen wandere. Vor meinem blauen Chagall. Ich bin müde. Bald gehe ich heim.

Zum Schluß noch meine Giacometti-Andacht. Mein Blick verliert sich in Licht und Schatten. Die starr stehenden Figuren. Im Zentrum das Bildnis von Anette. Und die Landschaft. Das war's für heute und den November.

 

(2.11.2020)

©Peter Alois Rumpf   November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2060 Mein Haus

 

Ich gehe in der Stadt umher und da fällt mir ein: ich habe ja noch eine alte Wohnung, wo ich früher in Armut gelebt habe. Ich schaffte es bisher nicht, das ganze Zeug, das ich dort zurückgelassen habe, zu sichten und das Unnötige endlich zu entsorgen und die Wohnung aufzulösen. Darum quält mich sofort schlechtes Gewissen, wenn mir die Wohnung in den Sinn kommt und deshalb dränge ich den Gedanken daran mit allen Kräften von mir weg. Und weil mir das Haus als heruntergekommener Bau unsympathisch ist, komme ich nur ungern hin, um nach dem Rechten zu sehen.
Es ist jedoch höchste Zeit, in dieser winzigen Souterrain-Einzimmerwohnung wieder einmal Nachschau zu halten, ob alles in Ordnung ist, ob Ratten eingedrungen sind, um eventuell ein wenig sauber zu machen, das Postkästchen zu leeren und so weiter. Ich beschließe, jetzt sofort hinzufahren. Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht ich. Nachher werde ich das ungute Gefühl los sein.

Weil ich so selten dort bin und mein Gedächtnis schon so schlecht ist, weiß ich nicht mehr genau, wo diese Wohnung liegt. Im Westen der Stadt, der untergehenden Sonne zu – das ist klar, aber wie heißt nur die Gasse und wie komme ich dort hin? Ich habe keine große Lust, in dieser schäbigen, gesichtslosen Gegend herumzuirren, wo mir alles roh und feindlich und laut erscheint und ich mich völlig fremd und am falschen Ort fühle. Aber ich stelle jetzt fest, dass hier einiges umgebaut worden ist, und Gassen neu gestaltet. Ich staune darüber, aber brauche länger, um mich in der veränderten Umgebung zurecht und meine Wohnung zu finden.

Doch! Da ist des gesuchte Haus. Ich erinnere mich jetzt, dass auch die Wohnung vor einigen Monaten renoviert wurde. Ich bin sehr erleichtert und werfe nur einen kurzen Blick hinein und erkenne, dass der Türstock erneuert und frisch in schönem dunklem Rot lackiert ist und auch sonst alles unversehrt. Ich bin sehr erleichtert, alles in verhältnismäßig gutem Zustand vorzufinden und will trotzdem schnell wieder weg, ganz froh darüber, einen besseren Unterschlupf gefunden zu haben und  nicht mehr halb unter der Erde leben zu müssen.

Ach ja! Gleich ein paar Gassen weiter ist doch mein altes Atelier! Das mit der eigenartigen Gasheizung unter dem Plafond. Wie konnte ich das vergessen? Auch das suche ich nur ungern auf, voller schlechtem Gewissen, dass ich dort nur wenig gearbeitet habe. Ich bin sehr erleichtert, als mir die Erinnerung einschießt, dass dort doch zurzeit meine REM-Freunde arbeiten und Ausstellungen vorbereiten; also muß jetzt ich nicht hingehen.

Dann taucht eine vage Erinnerung wie von Ferne auf: es gibt neben dieser Wohnung und diesem Atelier irgendwo, nicht allzu weit entfernt eine zweite Wohnung, die mir gehört, und um die – völlig in Vergessenheit geraten - ich mich schon lange nicht mehr gekümmert habe. Ich weiß nur, dass sie noch weiter im Westen liegt, noch mehr in Richtung Sonnenuntergang.

Ich marschiere los, diese Wohnung zu finden. Allmählich und stückweise erinnere ich mich an den Weg. „Da müßte ich weiter gehen“, denke ich. Zwar bin ich unsicher, aber der gewählte Weg stellt sich immer als der richtige heraus.

Ich habe schon lange die Stadt verlassen und wandere auf einer Straße, die durch Wiesen und Wälder führt. Meine Stimmung ist jetzt Neugier und mich plagt kein ungutes Gefühl oder Abscheu, wenn ich an diese Wohnung denke. Gerade steige ich auf der schmalen, asphaltierten Landstraße einen ansteigenden lichten Wald hinauf. Sie führt wieder ein Stück nach Osten. Es gibt hier im Moment keinen Autoverkehr, weit und breit keine Siedlung. Rechts befindet sich nun eine Ausweichstelle, wo zwei Arbeiter in blauer Montur stehen, der eine redet auf seine Schaufel gelehnt zum anderen, der legère und unangestrengt den angeschwemmten Schotter und Zweige und angemodertes Blätterzeugs aus der Ausweich- und Parkstelle schaufelt.

Ich gehöre ja zu den Männern, die auch Angst oder zumindest ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie in einsamer Gegend auf einen anderen Mann oder gar eine Männergruppe stoßen. So ist es auch hier bei den Straßenarbeitern. Da jedoch helllichter Tag ist, sommerlich, ein schöner, leicht bewölkter Himmel, und die zwei Männer mit sich und ihrer Arbeit beschäftigt sind, gerate ich nicht in Panik, sondern fahre bloß alle meine seelischen Antennen, Fühler und Radar aus, wachsam, aber ohne wirklich Gefahr zu erwarten und gehe auf der linken Straßenseite bis zur Ausweichstelle. Ich grüße verstohlen und zu leise die beiden Männer und lege noch ein eher arrogant rüberkommendes Kopfnicken drauf. Möglichst normal und unauffällig vorbeikommen ist meine Devise. Gerade rechtzeitig erinnere ich mich, dass ich hier ja nach links abbiegen muß. So komme ich auf einen gut erkennbaren Pfad, der durch eine mit Gebüsch und jungen Bäumen bestandene Leite führt.

Jetzt erinnere ich mich besser und während ich diesen Weg Richtung Norden bergan gehe, dämmert mir, dass es hier nicht bloß um eine Wohnung, sondern um ein Haus geht, das mir gehört. Ich wandere flott diesen schönen Weg hinauf, voller Vorfreude und Neugier, es dürfte Nachmittag sein und nicht mehr sehr weit. Höchstens zehn Minuten.

Und wirklich, bald trete ich auf eine Wiese hinaus, die in einer sanften, weiten Senke liegt, eingerahmt von grasbewachsenen Bergen – wir sind hier nicht im Hochgebirge, sondern in einer milden Almlandschaft, in der sich Wiesen und kleine Laubwäldchen abwechseln. Mitten in dieser schönen, freien Senke steht das Haus.

Das ist keine auf rustikal getrimmte Jagdhütte mit Hirschgeweihen, sondern ein schlichter, einstöckiger Ziegelbau, nicht zu groß, nicht zu klein, in angenehmen, unaufgeregten Proportionen. Ich gehe auf das Haus zu. Es gibt keine Eingangsstufen, keine Vorbauten oder sonst etwas in der Art, die Tür führt direkt von der flachen Wiese ins Haus. Diese Tür, die sich an der Längsseite, also südlich, im linken Drittel befindet, ist angelehnt; ich öffne sie ganz um in mein Haus einzutreten und bleibe überrascht stehen: in diesem Raum, der das gesamte Erdgeschoß umfaßt, steht links an der Breitseite ein riesengroßer Flachbildschirm an der Wand, und ein paar Meter davor sitzt in einem gepolsterten und mit Decken ausstaffierten Lehnstuhl eine dürre, uralte Frau. Ein paar Meter hinter ihr, wieder in einem ähnlich zubereiteten Lehnstuhl sitzt eine weitere, etwas rundlichere uralte Frau.
Ich stutze, trete nicht ein. Die beiden Greisinnen wenden mir ihre Gesichter zu, aber sie sagen nichts. Auch ich bleibe stumm und schaue nur entgeistert. Im ersten Moment ist mir der Anblick dieser Greisinnen etwas unangenehm. Vor allem der der ersten, die direkt vor mir auf Höhe der Tür sitzt und somit stärker in meinem Fokus, ihre unzähligen Falten und Runzeln in ihrem ururalten Gesicht irritieren mich anfangs. Die zweite sitzt rechts im dunkleren Teil des Raumes, der von dem Licht, das durch die geöffnete Tür fällt, nicht so gut erreicht wird und deshalb undeutlicher bleibt. Wie gesagt, sie ist nicht so mumienhaft dürr, und könnte im Vergleich zur ersten ein paar Jahrhunderte jünger sein.

Diese erste, dürre mumienhafte Greisin ist vielleicht schon Jahrtausende alt, aber bei beiden besteht kein Zweifel, dass sie leben. Genausowenig besteht ein Zweifel darüber, dass dieses Haus mir gehört. Dennoch habe ich nicht eine Sekunde den Eindruck, dass die beiden mir das Haus weggenommen, okkupiert oder besetzt haben. Sie gehören hierher, obwohl ich sie weder kenne noch erwartet habe. Es geht nichts Schreckliches von ihnen aus, ich habe überhaupt keine Angst,  mein unangenehmes Gefühl ist einer Haltung respektvoller Höflichkeit den Alten gegenüber gewichen. Deshalb betrete ich den Raum nicht.

Aber wer sind sie? Ahnfrauen? Haben sie mir etwas zu sagen? Warten sie auf mich? Warten sie, dass ich eintrete? Ich murmle noch vor mich hin, dass für jetzt meine Wohnung wohl noch oben im Dachgeschoß ist. Aber ich bleibe noch in der Tür stehen. Mir gefällt dieser unprätentiöse Eingang von der Wiese direkt ins den Raum so sehr! Und erst der Raum selbst! Groß für so ein altes Haus, einfache alte, weiße Wände, kaum Möbel, recht leer und unverstellt. Ich liebe diesen Raum! Ich bekomme eine unglaubliche Sehnsucht nach diesem Raum. Ich spüre diese Sehnsucht körperlich als schmerzhaftes Ziehen von meiner Leibesmitte unterhalb des Nabels aus, als würde sich ein kräftiges Tentakel von dieser Stelle ins Haus hinein ziehen. Auch die Gegend sagt mir zu: eine offene Senke, und dennoch von Bergen geschützt. Keine Angst, kein Horror, kein Zweifel, dass dieses schöne Haus mir gehört. Um in diesem wunderebaren Raum leben zu können, muß ich noch etwas warten. Das weiß ich jetzt. Es ist wirklich kein Problem! Für Döbraniten: „Wesentliche Verbesserung der Wohnsituation - Wohnen im Grünen.“ (Münchner Rhythmen Lehre)

 

 

(31.10/1./2.11.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober/November 2020   peteraloisrumpf@gmail.com