Dienstag, 31. Mai 2011

69 Daniil Charms

Ich will erzählen, wie ich auf den Dichter Daniil Charms gestoßen bin. Es war die kroatische Künstlerin Dubravka Rakoci, die mich 1986 bei den steirischen Malerwochen in Rein auf Charms aufmerksam machte. Nur habe ich lange vergeblich nach "Harms" gesucht, bis ich kapiert hatte, daß das slawische "H" bei uns ein "CH" ist. Ich habe dann die zwei Bände "Fallen" und "Fälle" im Haffmans Verlag gekauft und nervös und ungeduldig darin herumgeblättert und nichts damit anfangen können. Sie blieben ungelesen auf meinem Schreibtisch liegen. Irgendwann dann hatte ich in so einer Art (sehr)spätpubertären Anwandlung begonnen, nächtelang Dostojewskij zu lesen, suchtartig las ich ganze Nächte durch und konnte nicht mehr aufhören, mich diesen ganzen Schicksalsdramen lesend hinzugeben. Einmal, nach so einer lesend durch"zechten" Nacht, konnte ich einfach nicht mehr, meine Augen brannten und fielen mir zu, andrerseits war ich viel zu aufgekratzt, um einzuschlafen. In meiner Verzweiflung und Ratlosigkeit griff ich instinktiv und gedankenlos zum Band "Fallen" von Charms - so im vagen Bewußtsein, daß da auch sehr kurze Texte drinnen sind - schlug ihn irgendwo auf und las:



" Einst aß Orlov zu viel Erbsenbrei und starb. Und als Krylov davon erfuhr, starb auch er. Und Spiridonov starb ganz von allein. Und Spiridonovs Frau fiel von der Kommode und starb ebenfalls. Und Spiridonovs Kinder ertranken im Teich. Und Spiridonovs Großmutter ergab sich dem Suff und trieb sich auf der Straße herum. Und Michajlov hörte auf sich zu kämmen und kriegte die Krätze. Und Kruglov malte eine Dame mit Knute in der Hand und wurde verrückt. Und Perechrestov bekam telegraphisch 4oo Rubel und gab damit dermaßen an, daß man ihn entlassen mußte.

Lauter gute Menschen, und können keinen kühlen Kopf bewahren."

(Seite 197)