Freitag, 29. September 2023

3411 Idylle III

 



Wieder sitze ich auf der Bank bei den drei Säulengleditschien; unter der Bank vertrocknete Hundescheiße. Viele Fahrräder stehen am Fahrradabstellplatz. Ein Radfahrer mit einem Haarzopf länger als bis zu seinem Hintern fährt aufrecht und stolz vorbei. Die Luft ist noch sehr warm. Im Moment ist alles idyllisch; kein Kastenwagen verstellt mir die Sicht. Eine leichte Brise, auf die die Bäumchen sogleich reagieren und ebenso meine Haut. Eher normal wirkende Passanten in der Mehrzahl (meine Normalität: leicht bobo und alternativ angehaucht). 15:22. Der Autoverkehr ist moderat (Wochenende?). Bei den Rädern sitzt ein junger Mann und telephoniert schon sehr lange. Eine Frau sucht ihren Schlüsselbund in ihrer Handtasche, dann sperrt sie die Haustür auf. Der junge Telephonierer bei den Rädern bindet nebenbei einen großen Karton auf sein Fahrrad. Manche Passantinnen sind schwer bepackt. Im Erdgeschoß des Nebenhauses geht lautlos eine Jalousie herunter. Auch männliche Passanten gibt es, die schwer bepackt sind. „Wir leben Verantwortung“ steht auf einem blauen Lieferwagen. Kann mir wer sagen, was das genau heißt? Eine Taube tuckert heran und fragt um Essen, entfernt sich aber gleich wieder, als ich nicht reagiere. Hinter mir geht jemand mit festem Schritt. Jetzt geht hinter mir wer mit ganz weichem Schritt. Polizei fährt vorbei. Manche tragen Einkäufe ohne Sackerl lose in der Hand. Telephoniert wird auch nicht wenig (Gebäudetechnikauto). Hinter mir wird im Vorbeigehen geflüstert. Die vorbeifahrenden Autos passieren in unterschiedlichen Lautstärken. Plötzlich sind viele Leute am Platz. Heute fallen mir wirklich die vielen RadfahrerInnen auf. 12 ist die Zahl der Vollkommenheit. Jetzt ist es wieder ruhig und leerer. Vielleicht freunde ich mich wirklich mit diesem Platz an. Ich atme seufzend tief durch. Wieder so ein Chemiegestank. Eine Passantin geht hinter mir vorbei und telephoniert in einer slawischen Sprache (welche? Ich weiß es nicht, eher ost als süd). Auf der anderen Straßenseite geht ein telephonierender Mann vor und zurück (ich vermute ungarisch, aber zu weit weg, als dass ich die Sprache eineindeutig identifizieren kann). Jetzt kommt meine Frau und holt mich zum Clitzerwalk ab.

(30.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3410 Blaue Punkte

 



2:30 a.m. Es knackst im Zimmer oder Vorzimmer. Still ist es jetzt, völlig still. Bis auf das, was sich in meinen Ohren abspielt. Nun taucht wie aus großen Tiefen kommend ein fernes, elegisches Motorengeräusch auf; es klingt eher wie Maschinen, die den Erdball von innen am Rotieren halten. Ständig vergesse ich alles und die Gedanken fallen mir zu Boden. Immer wieder muß ich gähnen, dabei ist das Fenster im Vorzimmer offen und die Tür zum Zimmer; also Sauerstoffmangel ist es nicht. Meine Leselampe sehe ich doppelt. Lauter blaue Punkte und kleine blaue Quadrate erscheinen in meinem Gesichtsfeld. Das könnten die müden Augen sein. Ich werde aufstehen und ins Bad gehen. Ich werde zurückkommen und mich schlafen legen. Im Bad stelle ich fest: ich kann immer noch das bläulich weiße Licht am Stiel der Ausgusssaugglocke oder des Pömpels oder Plömpels oder Pümpels sehen (ich bitte um einen eineindeutigen, aber seriösen Namen).

(29.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3409 Idylle II

 



Der heiße Wind dreht Papierln, Zigarettenstummel und kleine Blätter im Kreis. Die drei Bäumchen (Säulenkleditschien) wiegen ein wenig die Äste. Ich sitze so wie gestern auf einer der zwei Bänke am kleinen dreieckigen Platz an der Kreuzung umgeben von parkenden Autos. Die Einbahnschilder zeigen einmal nach rechts und einmal nach links; eine der Einbahnen nimmt die Radfahrer aus. Die Passanten kann ich nicht beschreiben; ich weiß nicht wieso. Vermutlich bin ich im Moment nicht rücksichtslos genug. Ein Auto, das langsam um die Kurve fährt, hat das Fenster offen: ich sehe hinein wie in eine kleine Theaterbühne, in der sich vor meinen Augen ein Dramolett abspielt; ich höre das Gespräch, die Fahrerin spricht, aber ich verstehe nichts, da ich der slawischen Sprache nicht mächtig bin. Was beunruhigt mich hier? Alles ist normal. Im nächsten vorbeidriftenden Auto wartet ein altes Ehepaar schweigend auf – sagen wir mal – Godot. Interessante Regievariante: Ehepaar! Es wird mir in ihrem Bühnenkobel demonstrativ und deutlich präsentiert. Der Wind dreht nun ein schwarzes Hundegackerlsackerl vor die Tür des Königreichsaales. Jetzt schütteln die Bäumchen aufgeregt ihre Äste – habe ich etwas Falsches gesagt? Ich bin angespannt und mürbe; weder Durchschlagskraft noch Erholung. Ich beobachte das Geschehen auf der Straße um die Ecke über die Spiegelung im Seitenheck des schwarzen Autos, das rechts von mir steht: dort scheint es abstrakt zuzugehen: nur verzerrte Farbflecken bewegen sich. Ein Mann mit hochgestellter phrygischer Mütze schaut aus einem Fenster des Nachbarhauses und raucht eine Zigarette. Auf der Straße Berufsverkehr. Hinter mir wird ein Fenster geputzt. Es ist dieses liebevoll der Kreuzung abgerungenes Rastplätzchen ein Hundescheißplatz geworden. Es stinkt nach Hundepisse und Hundescheiße. Wann immer eine noch so kleine Fläche den Autos entzogen und der Bevölkerung gewidmet wird, wird es zu Hundezone. Ungeduldig und konfus gehe ich die Stiegen hinauf zur Wohnung. Oben merke ich erst, ich habe die ganze Zeit Angst gehabt und sperre die Wohnungstür hinter mir zu.

(28.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3408 Idylle

 



Die warme Luft hüllt mich angenehm ein, da auf dem schönen, kleinen Platz vorm Haus, aber dennoch ist es immer eine kleine Enttäuschung, wenn ich mich hier hersetze – von oben aus dem Fenster schaut dieses dreieckige Plätzchen mit den drei Bäumchen, der Kreuzung sozusagen abgerungen, so einladend aus – und wenn ich dann auf der Bank sitze, versperren einem die geparkten Autos die freie Sicht. Aber die Luft ist so warm. Der Mann auf der anderen Bank irritiert mich, an ihm ist - soweit ich sehen kann – nichts falsch; ich bin nur alarmiert, weil mich Menschen einfach so leicht verunsichern. Es stinkt hier nach Hundepisse und Hundescheiße, weil die Herrln und Frauln die Hinterlassenschaften nicht immer wegräumen. Ich bin für DNA-Analyse der Hundescheiße und so hohe Strafen, dass sich der Aufwand dafür mit Gewinn für die Stadt rechnet. In Jerusalem funktioniert das auch. Es stinkt auch von der nahen Baustelle, irgendsoeine Chemikalie. Ein Taxi hupt so laut, dass mir hier ungeschützt auf gleicher Ebene die Ohren dröhnen. Vom Autoverkehr red’ ich gar nicht, der jetzt in der sonst so ruhigen Gasse so stark geworden ist. Oder sind das meine Nerven? Autotürengeklesche (wie cool dieses rücksichtslose Türenzuschlagen! Wäre eine Studie wert, wie sehr sich Leute bis in ihre Gesten und Alltagshandlungen an Filmen orientieren) und Geklesche Metall auf Metall von der Baustelle. Wo findet meine Seele Ruhe? Am ehesten in meiner Kemenate. Die nackten Figuren (Mann und Weib) oben an der Hausfassade sind stellenweise schon schwarz vor Dreck, aber halt! Ich will die Hausverwaltung nicht auf die Idee bringen, ein Gerüst aufzustellen und die Fassade zu reinigen. Gott möge abhüten! Der Vorhang in unserem Musikzimmer bewegt sich im Wind; ich kann es von hier aus sehen. Wieder so eine chemische Gestankswolke von der Baustelle. Wenn händisch geklopft wird, stört mich das weniger, das Maschinelle finde ich so unangenehm. Der Autoverkehr scheint um diese Zeit hauptsächlich Berufsverkehr zu sein (viele Firmenautos kurven herum). Ich gehe jetzt hinauf in die Wohnung.

(27./29.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 27. September 2023

3407 Schaben

 



Ich schabe an meinen Füßen um die Hornhaut an Fersen, Ballen und Zehen zu entfernen und dafür bin ich ins Atelier gegangen, denn das ist viel heller als meine finstere Kemenate. Ich übe diese Kunst aus, während ich, wenn ich den Blick hebe, den Himmel und die Bäume im Hof sehen kann – genau auf die kommt es an – und wie der Wind in den Zweigen spielt. Was für ein herrliches Setting an diesem schönen, sonnigen Tag! Ich schabe, ich blicke auf, ich schabe wieder. Wie nennt man das? - das Schabmehl rieselt auf den farbenbekleckerten Atelierboden und die Telephonate im Hof höre ich unverständlich, aber laut. Der kleine Springbrunnen unten gluckert, der Weidenbaum winkt her, die männliche Stimme im Hof ist tief, aber mit Tendenz nach oben überzukippen. Angst? Ich werde mich jetzt meinem rechten Fuß widmen. Könnte ich das abgeschabte Hornhautmehl als Düngemittel für meine Topfpflanzen - die gar nicht mir gehören, die ich aber betreue – verwenden? Schließlich gibt es dafür ja auch das Hirschhornmehl. So viel Unterschied wird es da – fast hätte ich „etymologisch“geschrieben – entwicklungsmorphologisch und chemisch nicht geben, oder? (Oje! Hirschgeweihe bestehen im Gegensatz zu Hörnern aus Knochensubstanz; da müßtest du noch viel schaben – der Tipper). Ich kehre das Hornhautmehl auf ein Mistschauferl und leere es in den Topf unseres Zitronenbaums. Mit der Schaberei bin ich fertig und jetzt lasse ich die Füße „auskühlen“ und „abklingen“, dann werde ich sie mit Hirschtalkcreme einschmieren. Endorphinmusik – das ist dieser unerträglich verlogene fröhlich hüpfende Aufmunterungskitsch (es gibt auch die sentimentale Variante) – tönt beim Fenster herein, Gottseidank so undeutlich, dass er mir den schönen Herbsttag und die Tagesplanung nicht versaut. Gottseidank ist heute Einkaufstag, da werde ich hinausgehen müssen.

(27.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3406 Au contraire

 



2:02 a.m. Kritische Stories. Was soll das sein? Ach was, ich bin müde. Keine Ausrufungszeichen mehr. Um den Stiel des Ausgußpümpels sehe ich immer noch das weißliche Licht. Nicht jetzt - ich bin nicht im Bad - aber ich habe es heute mehrmals getestet. Jetzt fallen mir schon die Augen zu. Ich versuche es hier und jetzt beim CD-Turm. Nein, nichts. Dabei ist Müdigkeit bei dieser Übung kein Nachteil, au contraire. Ich probiere verschiedene Gegenstände. Nein, nichts. Ganz schwach flimmert es jetzt an der oberen Linie der oberen Konturen der obersten Bücher ganz oben auf dem Bücherregal. Kurz glaube ich, es würde auch mit der oberen Kante des Veli-Lošinj-Bildes funktionieren, aber das war wohl eine Täuschung. Kein weißliches Licht.

(27.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 26. September 2023

3405 Weniger menschenleer

 



Im Augarten sitze ich auf einer Bank. In zweiter Reihe sozusagen, im Baumschatten und schaue auf den großen, weiten Platz mit den vielen Blumenbeeten. Ein Steinchen im Schuh habe ich schon entfernt; manche Männer auf den sonnigen Bänken der ersten Reihe auf der anderen Seite der Allee haben sich bis auf die Unterhose ausgezogen, während Frauen bestenfalls ihre Röcke und Kleider schürzen. Die mannshohen Gräser wiegen sich im leichten Wind, ganz zart, ihre Ähren schaukeln in langen Reihen rund um den Platz hin und her. Die Kinder am nahen Spielplatz schreien. Die Luft ist trocken, so auch der Anblick, nur die Wiesen und Wege sind zum Teil vom Gießen nass. Schulklassen wandern – fast alle ihre Smartphones zur Hand – vorbei, zu oder von ihren schulischen Sportplätzen. Eine Krähe ruft mit heiserer Stimme ganz nah, eine andere ruft trocken von weiter weg. Ein Baby wird hinter mir vorbeigeschoben und singt sich in den Schlaf. Von Ferne drescht ein Schlagzeug – vermute ich, ich glaube nicht, dass das von einer Baustelle kommt. Der obligatorische Traktor. Ein bisschen Dunst hängt über allem, aber die Trockenheit siegt. Ein Flugzeug dröhnt bedrohlich durch den Himmel und die Sonne versteckt sich hinter einer dunklen Wolke. Schmetterlinge torkeln die Blumenbeete entlang. Wieder toben sich Baustellen, Autoverkehr und Flugzeuge in disziplinierter rationalistischer Formatierung aus, während die Kinder in ihrem Geschrei freier klingen. Ich schaue 203° Südwest, kann die Zahl aber jederzeit ändern, indem ich mit dem Smartphone herumfuchtel. Eine Nebelkrähe stolziert zu Fuß an mir vorbei und trinkt dann aus der Lacke auf der anderen Seite der geschotterten Parkallee. Sofort kommen mehr Krähen. Auch sie trinken und eine badet jetzt. Ich habe den Eindruck, einzelne wollen mich auffordern, sie zu füttern; mir kommt vor, sie geben mir mit ihrem Schnabel solche Zeichen. Da hätten sie bei mir gute Chancen, wenn ich etwas zum Essen bei mir hätte. Stattdessen wische ich mir die Reste von Zahnpasta mit Spucke von meiner linken Hand, die ich erst jetzt bemerkt habe (die Zahnpasta, nicht die Hand!). Und nun kommen mehrere Traktoren von ihren offiziellen, possiblen Missionen zurück; ich denke, inoffiziell machen sie Feierabend (6 bis 14 Uhr: 8 Stunden; oder 6:30 bis 14:30; jetzt ist es 14:15; oder die halbstündige Mittagspause wird nicht mehr zur Arbeitszeit gerechnet). Das Sitzen geht schon auf mein Kreuz. Ein mühsames, aber selbstverständliches Paar geht an mir vorbei; die meisten Passanten nehmen die Route hinter meiner Bank. Das alles hier ist weniger menschenleer als ich es beschreibe.

(26.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3404 Sin Fin

 



1:41 a.m. Mit Mitleid mit mir selbst und meiner Bildergalerie an Kästen und Wänden lächle und blicke ich auf die Kunstkarten und Zeichnungen am Kasten am Fußende des Bettes. Viel weiter reicht der Lichtschein meiner Leselampe nicht. Mein müder Geist reicht auch nicht mehr hin und registriert nur träge und schlampig die angepinnten Bilder, ohne dass ihm dazu etwas einfällt. Eine Vision einer Folterszene fällt über mich her und ich zucke und schlage um mich und will die Folterknechte töten. Dann kehrt mein Bewußtsein wieder zu mir zurück und muß sich mit faden Beschreibungen abgeben, während die zuckende Erregung nur langsam abklingt. Ich entkrampfe meine linke Hand. Aber die Lockerung hält nicht lange an. In meinem Kopf spielt noch – und das ist gut! - Sin Fin aus Andando el Tiempo von Carla Bley mit Carla Bley am Klavier, Andy Sheppard: Tenor- und Sopransaxophon, Steve Swallow: Bass. Das wird mich beruhigen und herunterholen und meiner armen Seele Frieden verschaffen.

(26.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3403 Socken

 



18:04. Wohin flüchten die Menschen, wenn sie es in ihrem Geist nicht mehr aushalten? Ich weiß es nicht; vermutlich in alle möglichen Richtungen. Ich sollte mir Socken anziehen, durchs offene Fenster kommt es schon kalt herein, durchs geschlossene über den Lichtschacht auch schon die Dämmerung. Die kalte Luft macht mich husten; eigenartige Geräusche höre ich aus dem Lichtschacht. Und ich dachte, ich würde nie mehr schreiben. Ich dachte, jetzt ist mir auch die Schreiberei hinuntergefallen und zerbrochen. Ich bin erleichtert, dass Schreiben noch geht. Wieder huste ich. Aber in einem Satz abgebildet zu sein, könnte dem Husten einen Sinn geben. Zumindest einen vorgespiegelten. Vorgespielten. Der Husten wird stärker und stärker. Ich werde mich wirklich vom Bett erheben und Wollsocken anziehen. Zuerst habe ich es gar nicht so ernst genommen. Gottseidank habe ich die Socken beim Umziehen ganz oben auf den Kleiderstoß am Sessel gelegt.

(25.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3402 Und ob!

 



Im Hof 3. Der Himmel ist von flachgezogenen Wolken bedeckt, die sich an manchen Stellen schon auflösen. Kein Wind. Die Blumenkisterl auf beiden Seiten des Weges – sie sind bunt und durchaus schön – haben jedoch etwas Lächerliches, wie sie da hochgepäppelt vor der ausgetrockneten Wiese als künstlich üppiges Beiwerk aufleuchten müssen. Vögel zwitschern, Flugzeuge rauschen und spucken unbekümmert ihr Gift und ihren ungerechtfertigten CO2-Ausstoß hinaus. Dann ist es kurz still, dass ich eine Roßkastanie durch das Blätterwerk zu Boden fallen höre, bevor die Baustellen im Umkreis mit ihrem belästigenden Tagewerk fortfahren. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf das Surren in meinen Ohren und es ist richtig schrill. Ein Blick aufs Smartphone zeigt mir: bald muß ich weitergehen. Einen schotterknirschenden Passanten warte ich noch ab und eine kleine Spinne, die beginnt, an meinem Notizbuch ein Netz zu bauen, muß ich noch abschütteln. Ein Traktor fährt nun durch den Hof und das heißt: ich ziehe weiter. Als ich aufstehe, rennt eine zähe, erhitzte, rot angelaufene (!) Joggerin schon zum zweiten Mal keuchend vorbei und zieht auf dem schmalen Weg alle Aufmerksamkeit auf sich. Ich sage im Vorbeigehen zu Dame, die zwei Bänke weiter sitzt: „Gemütlich dasitzen ist auch schön!“ und richte mir den soeben umgehängten Rucksack. „Gell! Und ob!“ sagt sie, oder so ähnlich.

(25.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 20. September 2023

3401 Post, postum und post mortem

 



Angeregt von meinen schriftstellerischen Facebookfriends habe ich mich Ende März 23 erkundigt, wie frau/man in die Grazer Autorinnen Autorenversammlung aufgenommen werden kann. Ich bekam eine sehr freundliche, kompetente und umsichtige Antwort aus deren Büro und so stellte ich ein paar Texte zusammen und schickte sie bald darauf per Post an die angegebene Wiener Adresse der Grazer Autorinnen Autorenversammlung. Die Zeit bis zum Ende der Einreichfrist war reichlich und im Herbst sollte die Jury zusammentreten und entscheiden und so harrte ich der Dinge. Gestern am 19.9.2023 erhielt ich per E-Mail die Nachricht, dass meine Sendung erst im August eingetroffen sei und somit weit nach Fristende und somit mein Antrag in dieser Runde nicht mehr berücksichtigt werden konnte und für das Jahr 2025 aufbewahrt wird. Dann kam die Korrektur: mein Konvolut ist am 6.6. eingetroffen. Gleich unterstelle ich der GAAV Schlamperei, dass meine Briefsendung irgendwo herumgekullert ist, übersehen wurde, in irgendwelchen Schubladen (!) vergammelt ist. In den wesentlichen Anliegen übersehen zu werden gehört ja zur Grundausstattung meine Existenz – so zumindest mein Glaubenssatz. Spät in der Nacht – ich hatte mich schon um zirka 3 Uhr zum Schlafen hingelegt – läßt mir das Ganze keine Ruhe: ich ärgere mich, rege mich auf, überlege, wo der Fehler passiert sein könnte und kann nicht schlafen – es geht schon gegen fünf Uhr früh – ich stehe wieder auf, hole den Papiersack, in den ich meinen Papierabfall schmeiße, und beginne, den Briefaufgabebeleg zu suchen – in der Hoffnung, dass ich den Papierabfall seit mindestens einem halben Jahr nicht entsorgt habe. Ein Hoch auf meine Schlampigkeit und meine hygienische Gleichgültigkeit! Ich finde den Belege und das Aufgabedatum ist der 6.4.2023. Ich gehe ins Internet zur Sendungsverfolgung – mich regt ja schon auf, dass man und auch frau dabei aufgefordert werden, die Sendungsnummer einzugeben, aber auf dem Beleg wird nicht vermerkt, welcher der darauf angeführten mindestens zwanzig Nummern diese Sendungsnummer ist – ich gebe alle am Zettel vermerkten Nummern ein und bekomme bei jeder entweder die Antwort „Fehler beim Eingeben“ oder „Sendung unbekannt“. „Gut“, denke ich mir, „muß ich halt morgen (ich weiß: kalendarisch ist es der selbe Tag) zur Post gehen. Länger noch wälze ich mich im Bett hin und her, bis ich in der Morgendämmerung endlich einschlafe.

Am Morgen geht mein E-Mailverkehr mit der GAAV weiter, weil ich ihnen mein Aufgabedatum 6.4. noch in der Nacht geschickt hatte. Sie antworten, auf dem Paket, das unzweifelhaft meines ist, wäre der 6.6.2023 als Aufgabedatum vermerkt. Aber freundlich und hilfsbereit, wie die Damen dort sind – ich hatte mich inzwischen schon für meine Anschuldigungen und Verdächtigungen zu entschuldigen versucht – futzeln sie – in wahrhaft kriminalistischer Kleinarbeit - den 6.6.-Aufkleber herunter und - siehe da! - es kommt ein 6.4.-Aufkleber zum Vorschein. Also die Post hat gepfuscht. Ich bin wütend. Zwei Jahre bis zur nächsten „Aufnahmeprüfung“ warten, wegen dieser Trotteln (ist das okay, wenn ich das nicht gendere?) von der Post! Da bin ich schon über 71 Jahre alt! Vielleicht lebe ich dann nicht mehr!

Es ist ja so, dass ich gar kein Selbstbewußtsein habe – behauptet zumindest mein innerer „Psychologe“ oder Ausrediteur – den Entschluss für einen Antrag auf Aufnahme in die GAAV habe ich nur aus einer nächtlichen – dann, wenn die Herde schläft und deren Bewußtseine heruntergefahren sind – einsamen Facebookeuphorie gewagt, und ich hatte nicht bemerkt, dass ich mir damit wirklich Hoffnungen machte, und auch nicht, wie wichtig mir diese Anerkennung von Seiten einer äußeren Kompetenz ist. Nicht das ich davon erwartet hätte, dass jetzt der große Durchbruch kommt und meine Texte überall veröffentlicht werden – wenn man die Mitgliederlisten der GAAV durchgeht, kann man ja glauben, halb Österreich wäre schon dabei – und das ist gut! Sehr gut! - aber ich könnte – ohne bisher ein Buch veröffentlicht zu haben - selbstverständlicher meinen Beruf als Schriftsteller angeben und besser untermauern, dass meine Schreiberei kein Pensionistenhobby ist (Hobby! Pfui Teufel! Pfui Teufel! Pfui Teufel! Dreimal ausgespuckt!).

Mein innerer Hobbypsychloge behauptet, dass das Ganze für mich so relevant ist, weil ich kein initiierter Mann bin; niemals ist eine Vaterfigur oder eine relevante gesellschaftliche Autorität zu mir gestanden und hat mir die Welt erklärt und meinen Ort darin. Es muß ja nicht gleich „das ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“ einer himmlischen Stimme sein, es hätte ja auch ein Lehrer sein können, der sagt, „du hast eine schriftstellerische Begabung“ oder sonst etwas, „du könntest da oder dort etc. etc. etc. …“, behauptet zumindest mein innerer Hobbypsychologe. Ich meine, das resonanzlose (Arbeits)Leben ist nicht leicht.

Also gehe ich heute zur Post, wutentbrannt, in meiner – zugegeben: sehr spätpubertären – Phantasie schlage ich gleich ein paar ignorantische Postbeamte (muß ich nicht gendern; ich denke dabei nur an Männer) (und aus dem All gebeamt sind sie auch nicht) nieder, so links! Rechts! In die Goschn! Und so mache ich mich zu Fuß auf den Weg (Pferd oder Pferdestärken habe ich nicht; Mönche dürfen nicht reiten) und kündige meiner Frau, die mich heute zum Großeinkauf braucht, an, dass ich, wenn ich nicht rechtzeitig nach Hause komme, wahrscheinlich wegen Randale verhaftet bin. Aber ich weiß schon: angekündigte Revolutionen finden nicht statt und unsicher bin ich so leicht zu machen, also werde ich gegen eine so mächtige und ignorante Bürokratie nicht ankommen und meinem Zwang zur Höflichkeit nicht auskommen.

Also! Schaut her! Das hat meine Recherche ergeben: Aufgabe der Briefsendung: 06.04.2023 12:57:19. Dann steht: Fehlleitung: 06.06.2023 05:45:24. No Read Bearbeitung: 06.06.2023 05:57:36. Eingang Verteilzentrum: 06.06.2023 09:54:58. Paket wurde verteilt: 06.06.2023 09:56:12. Eingang Verteilzentrum: 07.06.2023 00:22:39. Paket wurde verteilt: 07.06.2023 00:22:42. Sendung auf Zustelltour vorbereitet: 07.06.2023 06:33:45. Sendung auf Zustelltour genommen: 07.06.2023 07:49:11. Sendung abgestellt (Hausbriefanlage): 07.06.2023 09:18:49.

Gottoderwemoderwasauchimmerseidank gibt es diese bürokratische DaDa-Poesie! Über die kann ich wenigstens lachen. Auf die Sekunde genau wird dokumentiert, was mit dem Paket geschehen ist, aber wo es zwischen dem 06.04.2023 12:57:19 und 06.06.2023 09:57:36 war, nicht. Zwei Monate ist nichts dokumentiert. Keiner weiß etwas, keiner kann oder will etwas sagen. Ist es im Verteilerzentrum irgendwo in einer Ecke gelegen? (ich habe neben meiner künstlerischen Tätigkeit jahrelang immer wieder in einer Briefumleitung als UEK und WAK in Nachtschichten gearbeitet.) Ist ein Hinterlegungsschein bei der GAAV verloren gegangen? Ist es in einem falschen Postkastl gelandet? (dass es exakt 2 Monate verschollen war, spricht dagegen. Auch wenn ein falscher Empfänger sich mit der Rückgabe Zeit läßt – aber genau zwei Monate? Dieses Timing schaut eher nach einem bürokratischen Ablauf aus.) (Falsches Postkastl passiert leicht. Bei uns kommen manchmal Briefsendungen, meist solche der privaten Anbieter, ins falsche Postkastl, weil das Haus über zwei Stiegen verfügt und diese unsinnigerweise jeweils ihre Wohnungen mit 1 zu zählen beginnen, und obwohl unsere Namen deutlich angeschrieben sind. Meine Karten für mein Red-Hot-Chili-Peppers-Konzert mußte ich mir im letzten Moment aus dem gleichnummrigen Postkastl der anderen Stiege herausfischen, weil dort gar niemand wohnt und keiner dafür einen Schlüssel hat. Das gibt es alles.) Oder der Charms’sche Wundertäter hat doch ein Wunder, wenn auch ein Negativwunder vollbracht. Oder haben die für die Schreiberei zuständigen Götter verhindernd eingegriffen? Weil dem Merkur meine Schreiberei nicht passt oder ihm der Saturn eine verpasst hat? Oder irgendein böser Demiurg stört den göttlichen Schöpfungsplan? Oder der heilige Franz von Sales, der Schutzpatron der Schriftsteller, ist beleidigt, weil ich den heiligen Franz von Assisi beleidigt und beschimpft habe. Oder weil ich damals beim Theologiestudium eine fade Arbeit über Franz von Sales geschrieben habe? Oder eine ererbte Schuld hintertreibt meine Bemühungen? Oder … . Oder ganz im Gegenteil: gute Götter oder die Nornen haben das eingefädelt, weil die Jury in zwei Jahren meinen Texten wohlgesonnener sein wird als es die heurige wäre? Hoffentlich lebe ich dann noch! Oder es gibt den kosmischen Plan – für die Erlösung der Welt ganz wichtig! - dass ich erst postum respektive post mortem Autor der GAAV werden darf. Wir können nur spekulieren und hoffen, dass das Universum weiß, was es tut. Oder wollen die da oben mich gar komplett totschweigen?

(20.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3400 Der Dom legt los

 



Vorm Stephansdom. Einem Mann fallen die Zigaretten aus seinem offenen Etui zu Boden und er klaubt sie auf. Zwei fröhliche Deutschinnen rechts neben mir schreien mit ihren übertriebenen und ihren ihrer Verklemmtheit auskommen wollenden aber verklemmten, also hysterischen Stimmen so laut „Hoiooh!“, dass es mir in den Ohren weh tut. Der Wind ist lästig: nicht nur will er ständig mein Notizbuch umblättern, er droht mir auch die Kappe vom glatzerten Kopf zu wehen. Ich bin im Zentrum von Wien urgrantig, weil mir die Grazer Autorinnen Autorenversammlung meinen Beitrittsantrag, den ich rechtzeitig abgeschickt habe, nicht erhalten oder übersehen hat und wodurch meine Texte nicht vor die Jury gekommen sind. Wenn sie ihn abgelehnt hätten, okay! Tut weh, aber so muß ich wieder zwei Jahre warten, warten, warten. Werweiß, lebe ich dann noch. Loslassen! Loslassen! Loslassen! Gut! Kopf hoch! Krone richten! Weiter sitzen bleiben!

So ein Wirbel hier am Stephansplatz. Glockengeläut – der Dom legt gerade richtig los – finde ich immer noch nicht schlecht: es beruhigt meine Nerven und erhebt mein Herz.

(19.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 19. September 2023

3399 Die Saugglocke

 



4:45 a.m. Nichts.

10:43 a.m. Siebzehn Uhr. Stephansplatz. Vorm Dom.

13:11. Heute habe ich die Aura einer Saugglocke gesehen. Kein Scherz! Ich sitze am Klo, lasse meinen gedanken- und absichtslosen Blick schweifen und sehe, wie der Stiel der Saugglocke von weißem, leicht bläulichem Licht umhüllt ist. Dieses Licht verändert sich; wird stärker, wird schwächer, ist manchmal nur eine dünne Schicht um den Stiel, manchmal wie dick aufgetragen. Ich vermute deswegen, weil mein Sehen noch ganz unbeholfen ist.

Nun sitze ich im Atelier und schaue beim großen Fenster hinaus, ob ich denn Glimpse der Energiegestalt der lebendigen Bäume erhaschen kann (ich bin absolut nüchtern!). Ich sehe einen blauen Himmel mit weißen Wolken (hauptsächlich Cirrus), die Bäume, wie sie sich im Wind bewegen, die Mauern der Nachbarhäuser und die roten Ziegeldächer. Ein Schippel Sirenen jault durch die Gegend und die Baustellen lärmen ebenfalls selbstbewußt; manchmal heult ein Windstoß auf. Die Netze der Spinnen am Fenster werden von den eindringenden Windstößen gebeutelt, ebenso schaukeln der Vorhang und die Wäsche auf den Leinen. Ich gehe kurz ins Bad um auszuprobieren, ob ich das Aurasehen wiederholen kann. Ja, ich kann (empirisch überprüft)!

Zurück im Atelier schaue ich wieder den Bäumen im Wind zu. Ich wiederhole mich, aber diese Bewegungen sind so schön! Wie immer, wenn ich auf diesem Sessel sitze, schmiege ich mich unwillkürlich an die Schneiderpuppe links von mir. Wenn ich meinen Blick auf anderen Gegenständen ruhend auf Aurasehen einstellen will, geschieht nichts; mein Blick bleibt alltäglich. Anscheinend gelingt es mir nur bei dieser Saugglocke im Bad. Ich überlege schon, wie ich mit dieser, da sie jetzt für mich etwas Besonderes ist, künftig umgehen kann: kann ich mit ihr noch einfach die verstopften Ausgüsse im Bad befreien? Oder muß ich sie ab jetzt als eine Art Kraftobjekt, oder Reliquie behandeln? Die Antwort sagt mir auch der Wind nicht. Oder sind die Antworten gar nicht im Wind gespeichert? Oder kann ich seine Antwort einfach nicht verstehen?

Übrigens: Ich schaue 233° Südwest und die Grazer Autorinnen Autoren Versammlung hat mir soeben per E-Mail mitgeteilt, dass meine Unterlagen zur Bewerbung zur Aufnahme erst im August und somit zu spät angekommen sind (obwohl ich sie am 6.4. 2023 um 12:57 abgeschickt habe) und meine „Bewerbung für 2025 in Evidenz“ gehalten wird! Verdammt, das wird auch erst im Herbst sein und dann bin ich schon über 71! Verdammt! Mich übersieht man/frau halt gern. Hmm! Dass ich immer noch und immer wieder auf Hoffnungen reinfalle!

(19.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3398 Ein Schippel Blätter

 



Zum ersten Mal sitze ich im Alten AKH im Hof 3. Die Kastanienbäume sind fast alle von den Miniermotten befallen und die Blätter hässlich zerfressen. Viele der von den Kronen abgefallenen Blätter treiben nach links, denn der Wind kommt von rechts. Was ist meine Richtung? 274° West. Einzelne Kastanien liegen schon am Boden. Es gibt eine ungewisse Ruhe, trotz der wirbelnden Arbeit des Windes. Diese späte Sommerzeit im frühen Herbst: die letzten Hoffnungen, die von ihrer Vergeblichkeit schon wissen; die Trauer, die die letzten warmen Tage noch genießen kann; innerlich bereitet man sich schon auf den Moment vor, wo der endgültige Niedergang unabwendbar ist; fast empfindet man es als Erleichterung, wenn man dann die Hoffnungen und Erwartungen aufgeben kann. Jetzt fährt der Wind kraftvoll herein und mischt die geschützte Kuhle auf. Jetzt wird es so ruhig, dass ich eine einzelne Biene summen hören kann. Den Springbrunnen im Nachbarhof höre ich auch. Und nun die Schritte am Kiesweg. Der Wind treibt wieder ein Schippel Blätter von rechts nach links. Klaro, jetzt muß ein LKW in den Hof fahren! Ich stehe auf und gehe weiter.

(18.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3397 Umtackern

 



10:13 a.m. Ich schwitze, weil ich mich beim Umtackern der Photos so angestrengt habe. Unten ist die Eingewöhnungsphase in vollem, heulenden Gange und die Baustellen arbeiten auch mit flächendeckendem Lärm. Nein, jetzt mag ich nicht aufstehen, obwohl ich innerlich dafür bereit wäre. Wie kann ich mir einen guten Start in den Tag bereiten? (auf welchem Pferd?) Ich ändere mein Vorgehen: warten hat keinen Sinn: ich muß den gordischen Knoten durchschlagen. Dann doch einfach auf und durch.

(18.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3396 Kosmische Maschinen

 



2:01 a.m. Es rauscht schon durch meine nächtliche Stille. Irgendwelche kosmischen Maschinen arbeiten und brummen in weiter Ferne. Ich blicke auf die Kindheitsphotos meiner Kinder und atme erleichtert tief durch. In meinem Körper zwischen Solarplex und Herz beginnt sich etwas bemerkbar zu machen. Die Akustik hüllt mich ein wie ein Kokon. Und jetzt pocht das Herz.

(18.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3395 Vorlesen

 



Fünf nach halb neun (analoge Uhr mit Zeiger). Manchmal ist vom Bett aufstehen, duschen, anziehen fast Schwerarbeit, aber heute ist es mir recht flott von der Hand gegangen (wenn man das so sagen kann). Ein bißchen Luftanhalten bei den Schmerzen und geht schon. Ich lockere meine linke Hand, die zur Faust verkrampft ist. Recht kühl ist es schon am Morgen; die Bettdecke fast zu dünn (ich habe immer schwere Decken und Tuchende bevorzugt, die halten einen mittels Außendruck ordentlich zusammen; auch im Schlaf. Ohne Decke könnte ich selbst im Sommer nicht schlafen). Jetzt hocke ich mit herangezogenen Beinen im Bett, die Kreuzschmerzen beinah zur Gänze stillgelegt und warte auf das Frühstück, das meine Frau ins Bett bringen wird und danach wird sie meine neuen Texte der vergangenen Woche laut vorlesen.

(16.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 15. September 2023

3394 Albemod

 



Albertina modern. Im großen Saal mit den Abstrakteren sitze ich auf der Bank und genieße die Aussicht, so weit sie geht. Allein schon der große leere Raum läßt mich tief aufatmen. Nicht zu viele Besucher, nicht zu wenige. Auf der Bank drehe ich mich so, dann ich drehe mich so; jetzt schaue ich 229° Südwest. Jetzt schreite ich in einen nicht so tollen Raum und blicke trotzdem in den großen Saal. Ein wenig studiere ich die Bewegungen der BesucherInnen, als ein extrem verhaltenes Ballett betrachte ich sie. Könnte auch irgendeine Teilchen-Bewegungs-Studie sein. Zurück in den Saal (bei meinem liebsten Ding hier in der Ausstellung, dem Sisyphos von Franz West, gibt es keine Sitzmöglichkeit). Nun aber bin ich wieder in einen anderen Raum gewandert. Da hinter der Wand rumpelt es und ich sitze viel zu nahe an den Bildern dieser Seite (20° Nord). Darum drehe ich mich um (256° West). (Was ich überhaupt nicht verstehe, denn ich habe mich auf der Bank um 180° gedreht! Jetzt dreh ich mich zurück und nun sollen es 40° Nord sein.) Okay, wie auch immer! Ich gehe zum West und seinem Sisyphos. Nein, ich setze mich vorher noch zum Anzinger; beim West müßte ich stehen.

Jetzt wieder vorm Sisyphos, der mich schon lange fasziniert (Der West hat ja einige Sisyphoi geschaffen und ob’s der exakt gleiche ist wie der vor ein paar Jahren – ich gebe zu, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ziemlich). Die Wahrheit ist: ich halte es nie lange vor einem Bild aus. Meine Idee (meine?), stundenlang vor den Kunstwerken meditierend zu verharren, geht nicht nur körperlich nicht. Auch mein Geist ist viel zu unruhig. Je beiläufiger die Konfrontation, desto eindringlicher.

Ja mir gefallen heute die Farben und Formen der Anzingers, aber richtig lange verweilen (ver)mag ich auch sitzend nicht.

Die Kunst als inneres Erlebnis im Zeitalter der Beliebigkeit. Erstens könnte sich die Beliebigkeit auch auf das innere Erlebnis beziehen. Und zweitens: warum nicht? Jeder liebt „sein Eigenart, der eine zirpt, der andre sparrt“. Was spricht dagegen? Gut, ich komme damit ins Gwirks mit der Wahrheit (die eben relativ, aber nie beliebig ist) und die ist mir wichtig! Ich könnte auch Kaffeetrinken gehen. Die Kunst als Vorwand, sich in der Welt herumzutreiben und alles und alle zu begaffen – wäre auch einer Überlegung und eines Essays wert. Aber ich bin zu müde und allmählich werde ich hungrig. Einkaufen für das morgige Familienessen will ich auch noch, und meine Handvoll LeserInnen kommen schon jetzt mit den Texten nicht nach. Ich habe keinen Plan (im Gegensatz zu dieser Frau im Bild von Neo Rauch, die scheint mehrere unter ihrem Arm zu tragen). Beim großen Hollegha-Bild, wenn man den Saal betritt, geht einem schon eine Pracht auf. Ich seufze voll Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, die auch noch leicht und luftig sein soll.

(15.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3393 Bohr- und Schleifgeräusche

 



9:10 a.m. Meine frankophone Schweizerin („Le chapeau violet“) schaut so hyperrealistisch und runder, als sie wirklich ist, aus der Bücherwand hervor, dass ich skeptisch wegen meines Wahrnehmungszustandes werde. Ja, und die linke Hand. Dabei war ich schon auf dem Klo, habe ein Glas kalten Kräutertees getrunken und mit dem Smartphone herumgetan. Gut, bei letzterem schwimme ich so, dass es als Beispiel für Realitätstüchtigkeit nicht wirklich taugt. Aber das ist schon verwunderlich: dieses Bild da von Félix Vallotton schaut anders aus, als ich weiß, dass es ausschaut. Sicher, die Reste meiner Traumerlebnisse kleben noch an mir (metaphorisch gemeint), aber reicht das als Erklärung? Im Nebenhaus wird gebohrt, wie so oft, und nicht in Holz, schon seit Jahren: auch das kommt mir eigenartig vor. Keine Angst: ich bezweifle nicht, dass ich in der Realität bin – ich wollte gerade schreiben: daran erinnert mich schon täglich mein lädiertes Kreuz; aber erstaunt stelle ich fest: im Moment habe ich keine Kreuzschmerzen. Gar keine. Die nachbarlichen Bohr- und Schleifgeräusche werden mehr und stärker; jetzt klingen sie schon nach überdimensioniertem Zahnarzt (also tonal einige Stimmlagen tiefer und einige Geschwindigkeiten langsamer; wie vergrößert und in Zeitlupe). Der glaubwürdigere Beweis in meinem Realitycheck sind die Tageskinder, die jetzt die Stiegen heraufkommen; diese Lebendigkeit, Lebhaftigkeit und das fröhliche Geschrei können keine Täuschung sein. Mein lungenwässriger Husten dann hoffentlich doch.

(15.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 14. September 2023

3392 Am Himmel

 



Beim Aufwachen, wie ich mich so im Bett hin und her drehe, um eine einigermaßen schmerzfreie Position zu finden, überlegte ich mir, was ich mit dem Tag anfangen könnte. Und jetzt bin ich von der Wagenwiese über vom letzten Regenguß ausgeschwemmten Wegen zum Kobenzl hinaufgestiegen – der Bus war ein kurzgeführter und ich wollte nicht auf den nächsten warten, der mich ganz hinauf gebracht hätte – also diesen steilen Weg - meine Hände diszipliniert unten bei den Oberschenkeln haltend, die Daumen und Zeigefinger kraftvoll abgespreizt, die anderen Finger fest gekrümmt – eine Handhaltung, die das flotte Gehen auch in alten Körpern fördert, weil man sich da sozusagen an irgendwelchen „Linien der Welt“ einhängt und hochziehen läßt – und jetzt sitze ich auf einer Bank zwischen Kobenzl und Himmel – wobei mich dieser Himmel nur wenig interessiert, da mögen die Bäume kreisen soviel sie wollen – vor dieser unglaublich schönen Leite sitze ich, diesen schönen Wiesenhang hinab blickend weide ich meine Augen und führe sie weiter zu den Wäldchen und über den Teil von Wien, den die Senke in den Hügeln freigibt, ein Ausschnitt, der den Blick auch weiter auf die östliche Ebene gleiten läßt. Beim letzten Stück des Weges war ich von geliebten Wegwarten begleitet; auch vor mir, vor der Bank hat sich eine mehrmals niedergemähte wieder hochgekämpft und blüht auch noch im Herbst. Ein schwacher Regenguß hätte mich beinah vertrieben, aber der war vorbei, ehe er richtig begonnen hat. Laut ist es hier wegen der Straße hinter dem Gebüsch im Rücken, die Höhenstraße zieht viel Verkehr an und so vermutlich auch Kobenzl und „Himmel“. Die Wolken glitzern und gleißen stellenweise und manchmal glaubt man, jetzt wird es still, aber dann kommt wieder ein Auto vorbeigebraust. Eine kleine Spinne läuft über meine beschriebene Notizbuchseite, jetzt wechselt sie die Seite und eilt über das leere Blatt. Wenn dir, liebe Spinne, mein Text gefallen hat: spinnst du mir ein Netz, mehr Leserinnen und Leser zu fangen? Oder gehörst du zu einer jagenden Art? Geht auch so! Danke jedenfalls für deine Bemühungen. Aber ich werde dich jetzt von meiner Notizbuchkante stoßen, weil ich es zuklappen will und aufstehen und weitergehen.

Ein kleiner Regenguß kommt und ich dachte, der will mich ins nahe Café „am Himmel“ treiben, wo ich gar nicht hinwollte, weil mein Ziel die vielgeliebte Bellevue war, aber im Café ist geschlossene Gesellschaft. Der Regen hat sich wieder verzogen und ich bin nun doch den Baumkreis abgegangen. Ja, der hat schon was! Auch wenn die Bäume nicht kreisen, sondern bloß einen Kreis bilden. Groß ist er und schön und klug in das Gelände gelegt. Die sprechenden Säulen nerven mich heute nicht, im Gegenteil: heute gefallen mir diese im Vorbeigehen murmelnden Stimmen. Vielleicht, weil besucherisch nicht viel los ist. Wolken türmen sich da, dort lösen sie sich auf und der blaue Himmel kommt durch. Wind und Flugzeuge. Am Horizont schimmert die östlich-awarische Ebene und ein bißchen Stadt. Auch hier dröhnt der Autoverkehr von der Höhenstraße herüber. Ja, es gefällt mir wirklich, hier in der Baumarena zu sitzen, auf einer der Bänke, die sich in langen, stufenweise angeordneten Bankreihen im Halbrund (eigentlich Viertel) um den Baumkreis ziehend in den Hang hinein aufbauen. Nun wird es sonnig und heiß, während sich 184 Süd eine dunkle Regenwolke aufhält. Ich werde weitergehen, der Wind will mich antreiben. Ich gehe entgegen meinem ursprünglichen Plan zum Kobenzl zurück und dann die Obere Reisenberggasse hinunter; ein Weg, den ich auch recht mag.

(14.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3391 Deutlicher Regen

 



2:09 a.m. Können wir anfangen? Das Ohrenorchester surrt schon. Schon tanzt das Stäubchenballett. Meine Wahrnehmung verrutscht schon ein bißchen. Die Möwenkugel schaukelt noch. Ins Surren mischt sich ein neuer Ton, mehr gesummt, aber das trifft’s auch nicht gut. Jetzt klingt er wie eine Baumaschine, die unter der Erde arbeitet. Das alles ist natürlich die Stille, die ziemlich absolute Stille. Es ist aussichtslos herauszufinden, was akustisch in mir ist und was außerhalb. Unter dem Surren fährt so ein monotoner, eher zischender Laut dahin: im Gesamten eintönig, im Detail aber variierend, ändert sich ständig ein wenig. Jetzt kommen Regentropfen dazu, nicht heftig, beinah hätte ich sie überhört. Inzwischen bin ich mir sicher, dass es irgendwo weiter weg eine Nachtbaustelle gibt. Jetzt beginnt es auf das Fenstersims zu tropfen. Ich könnte den deutlich gewordenen Regen für’s Einschlafen nutzen.

(14.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 13. September 2023

3390 Der Zwang, mich mit der linken Hand ...

 



9:55 a.m. Zwischen Sieg (Schweden – Österreich 1:3; nur so ein wirkungsloser Gedanke) und Niederlage (einer meiner typischen Souterrainwohnungsalbträume: die Heizmöglichkeit wurde von irgendeiner „Macht“ ohne mein Wissen und gegen meinen Willen in meiner eh schon prekären Wohnung – Denglergasse läßt grüßen – ausgebaut und ich wußte nicht, wie ich so über den Winter kommen soll) bin ich völlig desorientiert, konfus und fremd aufgewacht. Selbst mein geliebtes Zimmer ist mir jetzt fremd und voller Angst. Nur an der obersten Bildreihe 3+1 an der gegenüber liegenden Wand unterm Plafond kann ich mich beruhigen (meine drei gemalten Bilder Mali Lošinj, Rettenschoess, Veli Lošinj und das Photo von der Riesneralm, das meine Tochter Magdalena gemacht hat). Mein Geist torkelt in meiner Vergangenheit umher mit Schwerpunkt auf meinem Pariser Exil. Rundherum findet das echte Leben statt: Baustellenlärm aus der Nachbarschaft, unten die lebhaften Tageskinder. Findet mein Geist zu Konzentration, Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit? Überhaupt dazu, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung sinnvoll zu ordnen? Lassen wir ihm noch ein wenig Zeit, sich aus Albtraum und Verwirrung herauszuwinden. Ein lästiger Husten, der sich nicht wie der einer Erkältung anfühlt, eher wie ein Raucherhusten, dabei rauche ich seit 20 Jahren nicht mehr. Oder Wasser in der Lunge? Nein, die letzte Vorsorgeuntersuchung hat nichts ergeben. Der Zwang, mich mit der linken Hand ans Notizbuch festzuklammern ist heute besonders stark; ich versuche nun schon zum zehnten Male, meinen Griff nachhaltig zu lockern. In meiner Brust beginnt es zu brennen und um mein Herz baut sich Druck auf. Was machen wir mit dem angebrochenen Tag? Wenn ich jetzt hinunter frühstücken gehe, störe ich die Tageskinder in ihrer heiklen Eingewöhnungsphase. Ich bleibe einfach im Bett. Lesen vielleicht. Lesen geht fast immer. Mein Geist landet jetzt bei meinen allerersten Psychotherapien vor zirka 40 Jahren. In der Therapiegruppe muß ich ein unerträglicher Besserwisser gewesen sein, aber das fällt mir erst jetzt auf; damals hatte ich trotzallem ein Selbstbewußtsein (oder einen ideologischen Ersatz); so fragil und fragwürdig dieses auch war, ich wagte es rigide zu verurteilen. Meine Beine beginnen zu schmerzen und ich muß sie ausstrecken, damit fällt mein „Schreibtisch“ zusammen. Wie wäre es mit einem Wandertag heute? Ach neee! Heute ist Einkaufstag und Wäschemittwoch. Über den Lichtschacht kommen akustische Elemente einer eigenartigen Musik herein; klingt wie fremde, technoide Blasmusik.

Allmählich fühle ich mich wieder „normal“ (für meine Verhältnisse!). Wenn ich noch etwas warte, sind unten keine Tageskindereltern mehr da und ich kann ohne das verhasste Gebiss frühstücken (verhasst nur beim Essen, weil ständig etwas unter das Plastik rutscht und dann das Zahnfleisch affiziert (affiziert: mein neues Lieblingswort? Ich werde dagegen ankämpfen!); optisch gesehen bin ich froh, dass ich ein solches Gebiss habe und dass es die Krankenkasse – von unseren Beiträgen – bezahlt hat).

(13.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 12. September 2023

3389 Albertinische Geistreise

 



Albertina. Im Gewölbe im Erdgeschoß. Akustisch bin vom Rundherum abgeschottet. Mein Blick wandert von der Graphik an der Wand zu den herumgehenden BesucherInnen. Ich wollte es nicht schon wieder herschreiben, aber ich habe den John Frusciante in den Ohren. So sitze ich verkrümmt auf der Bank und kann meinen Rücken nicht strecken. Ich versuche es wieder und wieder. Die Arbeiten hier in diesem Teil reißen mich nicht vom Stockerl und auch nicht von der Bank, wenn ich auch immer wieder umhergehe. Ein Bild gibt es, das ich länger anschauen will (ich sitze wieder); hier löst sich die kunstsakrale Steifheit zu einem sakralgraphischen Feuerwerk auf (kommt mir vor). Und noch eines, das ich länger anschaue (Frau und Mann 2011).

Das ist ja toll! In der geliebten Batliner-Sammlung hängen drei meiner Lieblingsbilder gleich beieinander: Vuillards blaues Zimmer, Manguins Rückenakt unter Bäumen und Gauguins Bretonin. Ich fange jetzt nicht an, meine Lieblingsbilder zum hundertsten Mal aufzuzählen, ich raste einfach vor den zwei Werefkins, mit Blick auf den Jawlensky rechts und lasse die Seele baumeln. Eine junge Frau, auch in schönen Formen, verstellt mir kurz den Blick. Das kommt schon mal vor. Das verkrümmte Sitzen ohne Rückenlehne läßt meinen Vorsatz, diese Bilder stundenlang anzugaffen, langsam zusammenstürzen. Auch ein Mann im himbeerrosa Hemd kann die Lichtwellen vom Bild zu mir unterbrechen (wie nimmt mich eigentlich das Bild wahr? Schließlich dürften ja auch von mir Lichtwellen ausgehen und auf das Bild auftreffen). In diesem Augenblick ist es, als würde ich zum ersten Mal in den Eingangsbereich des Werefkinschen Cafés sehen. Meinem neugierigen, suchenden, zugreifenden Blick ist es – irgendwie – gelungen, in das Bild zu gehen. Und das Tier im linken Bild, das durch die Winternacht streunt, hat einen so schönen Schatten. Und die Bäume sind so etwas von umfroren. Sorry! Die jungen Frauen, die durch meinen Blick gehen, knapp an mir vorbei, haben ihre Brüste genau in meiner Augenhöhe (es geht mir selbst auf die Nerven, dass ich solches immer wieder herschreibe, aber es ist so, es ist die Wahrheit, also muß ich es notieren. Ich konnte nicht rechtzeitig meinen Blick umstellen und er wird davon kurz affiziert (Ja, ja passt schon! Wie sagen meine Referenzzauberer? „das Affentheater der Alltagswelt“)). Ich gehe besser weiter! Vor Jawlenzkys Buntem Berg bleibe ich noch etwas stehen.

Am Weg statte ich auch der Frau Boeckl einen kurzen Besuch ab und verweile vor dem Bild ein paar Sekunden. Und nun der Höhepunkt, an dem ich mich wieder hinsetze: Kokoschkas Städte, meine Lieblingsbilder. Ich sitze vor Dresden, luge aber schon immer zu London hinüber. Mich beschäftigen immer die dunklen Wolken über Dresden. Diese heimliche Düsternis, die sich über die bunte Stadt und die großartige Weite der Landschaft und auf die stille Schönheit der Elbe legt und sie subtil und hellsichtig angreift.

Nun sitze ich vor London und blicke noch zu Dresden hinüber, um mir wirkliche Klarheit zu verschaffen. Dann erlaube ich meinem suchenden Blick endlich, sich im himmlischen Londoner Licht zu verlieren. Die innere Spannung bringt mich dazu, wieder weiter zu gehen. Mir fällt auf, dass ich seit einigen Tagen unwillkürlich meine inneren Rechtfertigungsmonologe in meinem desaströs schlechten, rudimentären und unerträglich falschen Englisch zu halten versuche. Und immer wieder bin ich verblüfft, wenn ich ganz nah an diese Bilder Kokoschkas herangehe: „nur“ so anscheinend locker hingeworfene Farbflecken. Meisterhaft, wie Kokoschka das Bild im Abstand sich vollenden läßt.

Vorm stehenden Kardinal setze ich mich hin und höre John Frusciantes „All We Have“. Dieses Stück ist so schön, dass mir der blöde Kardinal völlig wurscht ist. Ich wechsle über zu Captain Beefhearts „Peon“. Da sich hier im Gang ein großer Spiegel an der Wand befindet, bin nicht nur ich es, der sich darin anschaut, sondern viele, gar viele der Vorbeigehenden. Manchmal schiele ich zu den Klees daneben (während mich der Schiele-Raum später überhaupt nicht interessiert). Jetzt spielen John Frusciante und Flea „Peon“.

Im Spiegel sehe ich: meine Beine schauen gar nicht so schlecht aus: kraftvolle Knie, sehnige, aber nicht dürre Unterschenkel und schlanke, elegante Fesseln. Nur mein etwas schief und verkrümmt hängender Oberkörper (um nicht Rumpf zu schreiben) wäre verbesserungswürdig. Mein Kreuz zieht es zum Aufbruch. Noch einmal Captain Beefheart (One Rose I Mean). Gut, flanieren wir an den Klees vorbei.

Am längsten bleibe ich vor Klees Villenviertel (Zwischen Winter und Frühling). So ein schönes Bild! So ein schönes Bild.

Nachdem ich mich heute hart durch die Ausstellung arbeite, erlaube ich mir, mich vor Motesickys Arbeiter hinzusetzen, wie auch der Arbeiter sitzt, und zu rasten und mich an seiner Freundlichkeit und seinen guten Augen zu erfreuen. Jetzt spielt John Frusciante so massiv auf, dass der Arbeiter und sein Bildnis plötzlich und optisch weiter weg rücken. Ich schaue mich um und sehe sonst nichts, das ich anschauen will. Nein! Halt! Doch: ein Beckmann. Ich blicke zurück zum Arbeiter und zoome das Bild näher und merke, dass unter dem Sessel die Schatten ihr eigenes Spiel treiben – ich würde sagen: nicht bedrohlich, aber ich habe von Schatten und ihr Eigenleben nicht viel Ahnung.

Ein paar Schritte (mein Kreuz!) und ich raste ein wenig vor Chagalls Papierdrachen, das ich recht mag. Ich schaue den Leuten beim Photographieren zu und überlege mir – des ins Blaugrau hineingepinselten weiß konturierten Riesenfisches am Boden des Ziegenkobels wegen – ob denn der Chagall das nicht von meinen Bildern abgeschaut hat! (hihihihi!)

(12.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 11. September 2023

3388 Mein Bauch knurrt

 



9:07 a.m. Ich bin aufgewühlt; ich bin so aufgewühlt. Gleich aus dem Schlaf heraus. Wie damals in den aufregenden Zeiten als Künstler. Zum Beispiel bei den steirischen Malerwochen in Rein. Ich fühle so stark, dass ich inzwischen etwas verloren habe. Damals war ich am aufsteigenden Ast. Ein eigenartiger Stimmungsmix now. Radiogedudel kommt beim offenen Vorzimmerfenster herein. Irgendeine Erkenntnis drängt sich heran, die mir gehörig Angst macht – alles noch etwas verdeckt. Soll ich ins Aufstehen flüchten? Ein wenig will ich mich dem noch aussetzen; vielleicht bringt es eine wichtige Erkenntnis. Die Angst besetzt die Leibesmitte. Mein Bauch fängt ausführlich und langgezogen zu knurren an. Mein Kinn beginnt leicht zu zittern. Schließe ich die Augen, senkt sich die Wirklichkeit ab wie eine Kulisse am Theater, die mechanisch in den Boden verschwindet. Jetzt klappern mir leicht die Zähne. Aber die Normalität behält die Oberhand. Mein Bauch knurrt immer wilder und aufdringlicher. Der will offensichtlich alles mit einem Frühstück hinunterschlucken. Gut, brechen wir das nächtliche Fasten. Aber das Aufstehen verzögert sich. Was mache ich jetzt in Istanbul? Da muß ich einen klaren Schnitt ansetzen: Stopp! Komm zurück! Auf! Ab unter die kalte Dusche!

(11.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3387 Zuklappen und weglegen

 



0:38 a.m. Eine für das innere Erleben dichte Woche und ein schönes Wochenende liegen hinter mir. Jetzt bin ich rechtschaffen müde. Trotzdem muß ich zunächst meine linke Hand lockern, denn sie klammert sich an das Notizbuch wie ein Ertrinkender an die Holzplanke. Du brauchst das Notizbuch nicht so verkrampft festhalten! Die Schreiberei als dein letzter Lebenssinn, der vor deinem inneren Richter deine Existenz gerade noch so halbwegs und mit Zudrücken beider Augen rechtfertigen kann, wird dir schon nicht gleich wieder entgleiten! Scheiß di ned an! Jetzt liegt meine linke Hand nur so flach am linken Rand des aufgeschlagenen Notizbuches und übt so gut wie keinen … also: kaum einen Druck auf das Buch aus. Ja, sie streicht sogar sanft und liebevoll über meinen gestrigen Eintrag. Und das mehrmals! Ja, mein Notizbuch, es schaut aus als würde ich dich lieben! (obwohl sich die abgelegten in meinem offenen Nachtkästchen stapeln). Die Position meiner linken Hand hat sich übrigens inzwischen geändert: jetzt stützt sie das aufgeschlagene Notizbuch in dessen Mitte unten am „Bug“, am Buchrücken sozusagen und nur mein verkürzter linker Daumen hält es in lockerer Haltung ganz nonchalant offen. Genug für heute: das rote Bändchen beim letzten Eintrag eingelegt zuklappen und weglegen.

(11.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3386 Vienna Contemporary

 



Nachmittag. Vienna Contemporary. Der weit, weit ausgespannte Himmel über uns, die wir auf der Terrasse sitzen. West-Ost durchziehen das blaue Firmament neun Kondenzstreifen in verschiedenen Stadien der Auflösung, quer dazu zwei bis drei – eine wunderschöne zeitgenössische Graphik! Man könnte sagen. „Die Sonne geht auf Saiten“ (siehe Text Nummer 102 „Intermezzo“ hier in der Schublade). Die Bäume des Stadtparks, das weiße Zelt mit der Kunst, die im Kusalon keinen Platz hatte. Hier auf der Terrasse ist ein guter Ort zu verweilen (natürlich hat diese Bank meine Frau gefunden; ich bin in solchen Ambienten dafür viel zu nervös). Verrostete eiserne Behälter für die Oleanders. Und dieser unglaublich weite blaue Himmel. Ich halte meiner Frau einen gerade noch kurzen Vortrag; worüber? Das zu verraten wird von meinem inneren Großinquisitor zensuriert. Die Roßkastanien sind schon völlig unterminiert, die Blätter hässlich braun (nicht herbstlich braun!). Die herbstlich zu überstehende Hitze, die langsam in einen warmen Abend zu kippen beginnt. Ich habe Durst. Meine Frau steht auf und holt uns etwas zu trinken. Jetzt kommt sie wieder und von der anderen Seite, da kommt jetzt Dubravka Rakoci!

(10./11.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3385 Heliozentrisches Empfinden

 



3:16 a.m. Mein Gott! Ich bin noch immer nicht müde genug (wenn wir schon dabei sind: der dreifaltige Gott ist der Prototyp jeglicher Dialektik). In meinem Ohrensurren schwingt noch die zuletzt gelauschte Musik mit (und im obigen Satz in der Klammer meine aktuelle Beschäftigung mit meinen alten „reaktionären“ Texten hier auf der Schublade). IEMLH (ich entkrampfe meine linke Hand) SGEG (so gut es geht). Dabei ist jetzt die Stimmung in diesem Raum recht intensiv und in gewisser Weise ernst. Als könnte jeden Moment – sagen wir – die Mystik durchbrechen (wieder eine Reminiszenz an meine „reaktionären“ Texte). (Genau genommen kann nicht „die Mystik“ durchbrechen, sondern sich ein mystisches Geschehen ereignen. Wobei „Mystik“ … egal! …) (Geschähe ein solches wirklich, ich nennte es nicht „mystisches Ereignis“.) Mein Blick verliert sich im Photo, das meine Tochter gemacht hat, von der blauen Abfahrt auf der Riesneralm in dieser Sonne in dessen Mitte, die an jenem Wintertag durch den morgendlichen Nebel, der sich gerade aufzulösen beginnt, geleuchtet hat (heliozentrischens Empfinden: die Verbindung zu Sonne geht von dieser Sonne aus und ist in meiner Körpermitte verankert und ich werde wie in einem gigantischen Karussell in feierlich majestätischer Bewegung um diese Sonne gedreht).

(10/11.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3384 Elektrische Entladungen

 



8:36 a.m. Schön ist es, wie am Morgen das bescheidene Licht beim Fenster hereinkommt. Noch lange nicht sonnig – nur um die Mittagszeit herum können ein paar Sonnenflecken den Lichtschacht erreichen, aber auch diesen indirekten Glanz braucht man nicht unterschätzen. Mein Bettzeug zum Beispiel strahlt geradezu hinter meinen angezogenen Knien, dort dem Fenster zugewandt. In der akustischen Welt wird wieder gesägt und gebohrt. Ich kehre jedoch lieber in die optische Welt zurück, wo mich die Bilder und Karten unverzerrt anschauen. Mein Surren in den Ohren beginnt zu flashen; das sind peitschenartige akustische Phänomene, die plötzlich in den monotonen Ablauf der Surrerei reinfahren; ja, wirklich wie elektrische Entladungen. In Wahrheit bin ich noch müde und die Augen fallen mir zu. Jetzt habe ich innen in mir einen Hubschrauber gehört. Meine verkrampfte linke Hand drückt hinauf bis aufs Herz und nur langsam löst sich diese Druckempfindung auf. Drüben auf der anderen Seite gerate ich in eine Alkoholparty. Und dann bin ich auf dem Begräbnis irgendeiner Idee. Die kleine Karawane der einzugewöhnenden Tageskinder höre ich die Stiegen heraufkommen. Sie brauchen noch recht lang.

(7.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 6. September 2023

3383 Ich lasse mir mit dem Aufstehen Zeit

 



10:04 a.m. Mein Husten ist hartnäckig nach dem Aufwachen. Unten wird es ruhiger, nachdem sich die stärkste Aufregung der Eingewöhnungsphase gelegt hat. An der Baustelle im Nachbarhof wird nur locker herumgehämmert, gar nicht laut klingt es verhalten. Auch mein Schmerz im Kreuz ist hartnäckig. Meine Augen sehen nichts Neues und werden schnell müde. Einem lauten Niesanfall folgt unmittelbar ein Schauder, der durch den ganzen Körper läuft. Ich lasse mir mit dem Aufstehen Zeit; ich werde noch lesen.

(6.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3382 Zähneputzen

 



0:09 a.m. Was mache ich eigentlich zwischen dem Zähneputzen? Anders gesagt: immer, wenn ich mich beim Zähneputzen über das Waschbecken beuge, denke ich mir: „das habe ich doch gerade erst gemacht!“ Am Morgen kann ich das eher verstehen, wenn einem die Nacht in ihrer verschlafenen Länge nicht so bewußt ist, aber am Abend?! Wieso kommt mir das auch am Abend so vor, dass ich gerade erst die Zähne geputzt habe? Andererseits ist auch der Schlaf eine undeutlich deutliche Zäsur im Zeitablauf. Das war es vorerst. Und nun greife ich wieder zur „Träne im Ozean“ (Manes Sperber).

2:39 a.m. Und jetzt? Jetzt war ich müde. Aber es ist besonders still. Im Zimmer bewegen sich nur ein paar Staubflanken, die Schnur, mit der man an der Holzmöwe ziehen kann, weil ich sie unabsichtlich angestoßen habe, und meine rechte Hand mit dem Pilotstift. Jetzt kommt noch ein Lichtpunkt dazu, der durch das Gesichtsfeld meines linken Auges zu wandern scheint. Das Klopfen des Herzens und das Heben und Senken der Brust sehe ich nicht. Ich will jetzt schlafen.

(6.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3381 Erkältungstränen

 



9:54 a.m. Was sollen diese Hubschrauberattacken in aller Herrgottsfrüh?! So ein Wirbel wegen dem beschissenen Autoverkehr! Der in sich selbst verkrümmte Mensch. Es muß sich noch viel ändern, wenn die Menschheit überleben will. Im Traum davor hatte ich es mit jugendlichen Rowdies zu tun bekommen – die gesamte Situation ist gerade noch nicht eskaliert (auf einer Skala von 0 bis 10: 8). Aber jetzt ist es ruhig und einigermaßen still. Auf einer Skala von 0 bis 10 sagen wir: 2, trotz der Eingewöhnung der Tageskinder unten. Wann kommt endlich das eigentliche Thema? Ich warte und irgendwo surrt es, nicht nur in meinen Ohren. Zurück zur „Träne im Ozean“? Ich will noch nicht zu lesen beginnen; es muß doch noch etwas in mir sein. Jetzt setzt unten Weinen ein und absorbiert meine Aufmerksamkeit. Und schon wieder vorbei. Die frankophone Schweizerin schaut so klar und schlank aus, wie sie wirklich gemalt ist. Jessica daneben steht im gelben Licht, das auf ihren Körper übergreift. Zu den anderen Bildern fällt mir nichts ein. Meine Erkältung geht mir auf die Nerven. Es kommt einfach nichts. Dann rette ich also meine Erkältungs- und Schnupfentränen in den Ozean.

(5.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 4. September 2023

3380 Es hilft kein Rotzaufziehen

 



18:00 Ich habe Halsweh, Husten und meine Nase rinnt. Es hilft kein Rotzaufziehen; wenn ich das Taschentuch nicht rechtzeitig erreiche und schnell hervorzupfe, tropft es einfach herunter. Ich trinke schon Spitzwegerich-Salbei-Thymian-Tee und esse meine Honig-Zwiebel-Brote. In mein Zimmer ist die Dämmerung schon hereingeschlichen, während im Atelier die Sonne noch eine Ecke erreicht. Lichtschachtradio und Lichtschachtdialoge. Eine Lüftung rauscht und jetzt, wo ich lausche, höre ich auch meine Ohren surren. Ich lockere meine verkrampfte linke Hand. Auch mein linker Fuß zeigt Anzeichen einer ständigen Verkrampfung: ich merke es am immer wieder verdrehten linken Socken und an den Spuren einer besonderen Beanspruchung meines linken Hausschuhs (um nicht Pantoffel oder gar Patschen zu sagen, was zutreffender wäre). Der Nachmittag neigt sich zum Abend hin, die Luft ist wieder kühl und im Vorzimmer knackst es im Luftzug. Eine zufriedene Trägheit legt sich auf das Bett, auf dem ich liegend hocke und schreibe. Ich halte still. So still, dass nicht einmal mehr die Nase rinnt.

(4.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3379 Gelbe Blätter in Hof 9

 



Die Linden in Hof 9 haben schon gelbe Blätter, und ihre grünen sind schon recht blaß. Die Sonne scheint mir noch deutlich auf die Brust, auf der „Ich gebe keine Auskunft“ steht. Ich denke, ich werde heute in der Therapie sehr wohl Auskunft geben, denn es dürfte um meine alten, „reaktionären“ Texte hier in der Schublade gehen. Mir sind diese Texte durchaus unangenehm, dabei ist es gar nicht so viel, das ich aus heutiger Sicht ändern würde. Aber ich mag keine Auseinandersetzungen mehr. Ohne entsprechendes Forum möchte ich im Verborgenen und unbekannt bleiben. Die Sonne brennt auf meine kurzgeärmelten Arme. Die sanfte Brise verweht das etwas. Ich muß auf die Uhr schauen. Nebenan reden sie über die alte Kunst in Indien. Manchmal weiß ich nicht: kommt das Rauschen von den vorbeifahrenden Autos hinter den Gebäuden oder vom Wind in den Bäumen? Auf der anderen Seite reden zwei Frauen von Vorderrad und Hinterrad. Eine Wolke vor der Sonne. Ein wenig habe ich noch Zeit, aber ich breche trotzdem auf.

(4.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3378 Szene mit Oberhuber

 



8:43 a.m. Heute schauen mich alle Gesichter, Gestalten, Buchrücken und Bilder bunt und fröhlich an. Sogar die Katz’sche junge Frau blickt verhalten wohlwollend. Die frankophone Schweizerin schaut mich – wie mir scheint leicht vorgebeugt – bittend an, sie doch endlich von diesem unmöglichen Hut zu befreien. Mali Lošinj, Rettenschoess, Riesneralm und Veli Lošinj sind ruhig und still und wühlen mich nicht auf. Weil mir irgendeine Szene mit Oberhuber einfällt, muß ich lächeln. Der Hubschrauber, der uns überfliegt, klingt verkühlt und heiser. Warum denke ich jetzt an das Londoner Kanalnetz? Ich wische mir den Schlafsand aus den Augen so gut es geht. Die bunten Flecken da im Regal beginnen sich zu verwischen und von der Augenauswischerei rinnen mir Tränen über die Wangen. Mein Blick rutscht nach innen ab und alle Bücher im Regal verschmelzen zu einem riesigen Konglomerat, nur die zwei Bände Johannes Tauler und die Sentenzen von Thomas von Aquin in der Mitte behalten ihr individuelles Bewußtsein. Ich wische nochmals an den sandigen Augen herum. Die frankophone Schweizerin blickt mich noch immer flehentlich an, ihr den monströsen Hut abzunehmen, den Maler wegzuschicken und sie aus der unangenehmen Situation zu befreien. „Liebe Frau! Madame! Sie überschätzen völlig meine Macht und meinen Einfluß auf die Welt! Ich bin hier nichts! Gar nichts!“ Die obere Bildreihe beginnt nach rechts wegzudriften. Mit der Fröhlichkeit scheint es irgendwie vorbei zu sein. Aber darauf kommt es nicht an.

(4.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 2. September 2023

3377 Die Flotowvilla

 



Die Flotowvilla liegt in Trümmern als riesiger Ziegelhaufen drüben am anderen Hügel. Der kleine Nussbaum hat einen letzen (sic!) Zweig, verdorrt und anscheinend von Schädlingen befallen. Meine Frau links neben mir auf der Hollywoodschaukel schreit laut in die Diskussion und fuchtelt mit der Stricknadel vor meiner Nase herum. Gott-oder-wem-oder-was-auch-immer-sei-Dank trage ich im Moment eine Brille. Hier herunten im Garten geht kein Wind, aber die weißen Wolken oben am Himmel ziehen flott dahin. Frau und Tochter spotten meiner. Ich bin aber trotzdem nicht arm, sondern reichlich satt (sagen wir: was sich liebt, das neckt sich. (Hoffentlich stimmt’s!)). Das nachmittägliche Sonnenlicht beleuchtet die große Wunde der Thuje. Ich lasse mich blöderweise hinreißen und in eine politische Diskussion ziehen. Ich steigere mich rein und bin dann frustriert bei schlechtem Nachgeschmack. Tief durchatmen! Tief durchatmen! Am besten jetzt irgendeinen Witz. Aber jetzt predige ich schon wieder und halte unhaltbare, sinnlose Vorträge. Ein … was? Meine Frau will, dass ich von ihr abrücke (aus schwitztechnischen Gründen). Gut. Abgerückt. Eine Krähe sagt „Krah“, aber dann hört sich das Geklopfe wie von einem Specht an. Eine Kiwano wird rundum gekostet, aber ich mache dabei nicht mit (was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, obwohl ich so überhaupt kein Bauer bin, erst recht nicht, wenn es sich um Früchte handelt). Diese Schublade ist mein Geschenk an die Welt. Das Zeichnen und Malen ist mir zu Boden gefallen und zerbrochen. Es ist mir schon vorher runtergefallen, respektive ich hab es in Panik zu Boden geschleudert, aber nach dem ersten Mal habe ich es wieder aufgeklaubt. Jetzt reden wir von „Schattenglück“ und kommen so vom Hundertsten ins Tausendste. Lassen wir es so auslaufen.

(2.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 1. September 2023

3376 Auf! Auf!

 



9:27 a.m.  Rettenschoess: ein schlampig-idyllisches Landschaftsbildchen, Mali Lošinj: ein paar hingeschissene Farbflecken, Veli Lošinj irgendetwas Erstarrtes und Aufgeweichtes – heute passt mir nichts! Aus dem Schlaf geklingelt ärgere ich mich über die Störung und dass ich überhaupt abgehoben habe. Die Nackte von Modigliani mit ihrem verlogenen schiefen Kopf; die tumbe Freundin vom Munch; die blöden Bilder von Basquiat, nein, heute passt mir gar nichts. Die Tageskinder kommen. Wenn ich jetzt hinuntergehe um zu frühstücken, bin ich auch nur im Weg. Und eine halbe Stunde später oder in einer ganzen Stunde oder in eineinhalb Stunden später genauso. Ach! Heute ist alles mühsam, klebrig und zach. Die frankophone Schweizerin schaut aus wie eine fette Sau; ich bekomme sadistische Gelüste (dabei ist die gar nicht fett, überhaupt nicht – nur aus der Entfernung habe ich manchmal den Eindruck). Mein Gott! Bin ich ein aufgeblasener Aff! Das ist doch nichts Neues, dass dein Leben in Trümmern liegt! Warum das Theater? Atmen. Ein. Und. Aus. Ein, und aus. Langsam! Ich bin zu verzweifelt, um meine verkrampfte linke Hand zu lockern. So! Jetzt reichts! Schluß! Aus! Auf! Auf!

(1.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3375 Leute! Ich bin so müde!

 



1:20 a.m. Leute! Ich bin so müde! Dauernd reißt mir das Gähnen das Maul auf und ich muß dabei aufpassen, dass ich den Kopf ja nicht verdreht halte, sonst fährt mir ein blöder, heftiger Schmerz in Genick, Hals und Kiefer. Oh! Oh! Oh! Die junge Frau vom Katz lächelt verschmitzt! Ihr gefallen meine Witze! – ich hatte mir nämlich überlegt, nach „Kiefer“ im obigen Satz den nächsten mit „Am selben ...“ zu beginnen, in sinnloser und verballhornter Anspielung auf „Anselm“ (dialektal lautlich noch näher: „am söhm“). Ja, so arbeiten meine Assoziationen. Wieder und wieder reißt es mir das Maul auf und muß sich anstrengen, denn mein Mund ist nicht groß und beim Öffnen bald angespannt. Sauerstoffmangel kann es nicht sein: im Vorzimmer ist das Fenster offen und also die Tür ins Vorzimmer. Vom ständigen Gähnen habe ich Tränen in den Augen.

(1.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com