Mittwoch, 29. Juli 2009

44 Die Geschichte vom Mann in der Überschwemmung

(Geschrieben im Juni 09 während des Hochwassers in Österreich)

Es gibt diese Geschichte von einem sehr gläubigen Menschen, dem bei einer Überschwemmung sein Haus überflutet zu werden droht und der in seiner Not Gott anruft mit der Bitte, ihn zu retten. Und Gott sagt ihm das zu.
Es kommt der Nachbar zu diesem Menschen und sagt: „wir müssen weg! Steig in mein Auto, noch können wir raus!“ Der sehr gläubige Mensch aber sagt: „Nein! Gott wird mich retten!“
Es kommen noch einige, er aber bleibt, immer mit der gleichen Antwort. Zum Schluß – das Haus ist schon überflutet und unser Mann sitzt auf dem Dach – kommt noch die Feuerwehr im Boot. Er aber bleibt – „Gott wird mich retten!“ – bis das Haus einstürzt und er ertrinkt.
Er macht nach seinem Tod Gott Vorwürfe, dass er ihn trotz seines Versprechens nicht gerettet habe. Gott antwortet: „ich habe dir zuerst den Nachbarn geschickt und dann all die anderen und zum Schluß noch die Feuerwehr mit dem Boot; du aber hast meine Hilfe nicht angenommen.“
So weit, so klar. Der Hochmut und die überhebliche religiöse Verstiegenheit dieses Menschen sind Sünden, die ihm das Leben gekostet haben. Jeder, der bei Trost ist, wird in so einer Situation die Rettung annehmen und solch eine hochgeschraubte Frömmigkeit empfinden wir als krankhaft.
Und dennoch hat diese Geschichte in ihrer pragmatischen und vernünftigen Ausrichtung etwas Unbefriedigendes, fast Enttäuschendes.
Deshalb machen wir jetzt einen Sprung.
Thomas von Aquin sagt sinngemäß, dass jede Sünde – insoferne sie Sein hat – gut ist. Das Böse an der Sünde ist das Nicht-Sein; also das, was ihr fehlt. Das, was bei einem im tiefsten Grunde irgendwo berechtigten Anliegen nicht zur Entfaltung gekommen ist. Es gibt kein böses Prinzip, so kann es auch kein rein Böses geben. Das Sein als solches ist gut. Böse ist nur der Mangel an Sein.
Und bei unserer Geschichte? Was könnte da das berechtigte Anliegen sein?
Bei Castaneda (C.C. Die Kraft der Stille, S 219ff).erzählt sein Lehrer Don Juan, wie er als Zauberlehrling von seinem Lehrer ins Hochwasser geworfen wurde, damit er seinen Eigendünkel, seine Widerspenstigkeit, seinen Hass aufgeben muß, wenn er überleben will, und wie er dabei zu sehen beginnt und erkennt, dass er an zwei Orten gleichzeitig ist usw. Die Zauberer bezeichnen das u. a. als „den dritten Punkt erreichen“, er erlebte eine freie Bewegung des Montagepunktes mit den Möglichkeiten, die diese Bewegung für uns Menschen bietet. Er hat die Scheuklappen des Commonsense abgelegt und ein Blick auf die angeborenen menschlichen Möglichkeiten erhascht und das Reich des stillen Wissens erfahren.
Was ist also möglicherweise der wahre Kern im Anliegens unseres unglücklichen Gläubigen? Die Ahnung, dass es mehr gibt als einfach gerettet werden und sein normales Leben weiterleben? Daß es für uns die Chance gibt, den dritten Punkt zu erreichen und unser Leben vor den Augen des Geistes zu führen, unserer menschlichen Möglichkeiten bewusst? Und dass extreme Situationen uns helfen können, über uns hinauszuwachsen? Die große Herausforderung ist aber – so sagen die Zauberer – in ganz alltäglichen Situationen den dritten Punkt zu erreichen und im Angesicht des Geistes zu leben und sich von den Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten des Alltagslebens darin nicht irritieren zu lassen.


© Peter Rumpf 2009 peter_rumpf_at@yahoo.de