Dienstag, 29. November 2022

2997 Homeofficetag

 

9:58 a.m.  Die Spinnweben an meinem Zimmerfenster schweben vom warmen Aufwind des Heizkörpers hochgehoben schaukelnd in der Luft. Auch der schwarze Holzrabe, der am Fenster hängt, schaukelt sanft im Luftstrom hin und her. Soeben erst durch einen pensionsveranstalteten, wirklich netten und freundlichen Telefonanruf geweckt, stelle ich fest: diesem Morgen eignet etwas Aufgeräumtes an. Unten höre ich die ebenfalls verkühlten Tagis agieren, wodurch mir fröhliche Grundstimmungen heraufgesendet werden. Danke, liebe Tageskinder! Danke, dass ihr mir so nebenbei von Mo bis Fr die Morgen aufhellt!

Ich beginne mich gedanklich auf den Tag vorzubereiten: welche Kleidungsstücke sollte ich wechseln? Muß ich wirklich unbedingt duschen? Muß ich zum Frühstück mein Gebiß reingeben? - das nämlich mache ich ungern, weil sich Essensteile ständig unter das schlecht sitzende Gebiß schieben und manchmal Schmerz auslösenden Druck auslösen und ich somit ohne Gebiß viel besser beißen und kauen kann. Unten sitzt vermutlich eine Praktikantin bei den Tagis – muß ich gebißmäßig darauf Rücksicht nehmen? Oder schleiche ich mich nur kopfnickend und den Gruß verhalten murmelnd vorbei in die Küche? Fahre ich gleich nach dem Frühstück in den Fressnapf das Katzenzeugs kaufen, oder später oder verschiebe ich es auf morgen? Esse ich zum Frühstück wieder wie an all den letzten Tagen Brot mit Tahin, Honig und Zwiebel – um die Erkältung zu bekämpfen, oder riskiere ich ein normales Frühstück? Kaffee oder Kräutertee oder beides? Ich hocke also noch im warmen Bett und wäge ab und kläre und bewege die Szenarien in meinem Herzen und es schaut ein wenig nach einem weiteren Homeofficetag in legèrer Privatkleidung (Rumrutschhose) a là alter Schlamper aus, ein Homeofficetag, an dem ich die Wohnung nicht verlasse. Schließlich lese ich auch gerade einen interessanten Roman (Siegfried Lenz, das Vorbild). Und den wichtigsten ästhetischen Anspruch der Praktikantin – keinen zahnluckigen Mund sehen zu müssen - werde ich mit dem Maskentrick umgehen: unter dem Vorwand meiner Rücksicht auf sie und die Tageskinder wegen meiner starken Erkältung und deren Ansteckungspotential werde ich eine Ffp2-Maske tragen, durch die ich sogar laut grüßen könnte.

 

(29.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2996 Die Finsternis

 

6:28 a.m.  Hustenanfall auf Hustenanfall. Anscheinend löst sich aber der Belag auf der Lunge. Richtig finster ist es noch. Meine Ohren surren wie nach einem Popkonzert oder nach einer Nacht im U4. Die Finsternis erobert sich Anteile an den Lichtgebieten: will sagen: die dunklen Bereiche des Zimmers scheinen nicht nur wenig Licht zu haben, sondern von einer eigenen Dunkelheitssubstanz bestrahlt zu werden, die dem Licht Anteile abknöpft, sodass das Licht auch finstere Korpuskel hat.

 

(29.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2995 Mit liebenden Augen anfassen

 

2:57 a.m.  Wie ich diese nächtliche Stille liebe! Und mein kleines Zimmer wirkt für mich im Lichtkegel der Leselampe im Bett sitzend in seiner relativen Dunkelheit rundum so groß und hoch. Was für eine eigenartige Stimmung aufkommt. Ich glaube fast, ich übe das Sterben: still mich meiner Schätze hier innewerden und sie stolz loslassen. Sie nur mit liebenden Augen anfassen, nichts mehr erwarten, dem Surren in den Ohren zuhören, ein paar belächelte Illusionen über die Wirkungsgeschichte meiner Texte begrüßen und pflegen – das allerdings fällt mir am schwersten: nicht mehr verhindern zu können, dass bei Erfüllung meiner illusorischen Hoffnungen für die Zeit nach meinem Tod meine Texte falsch „verbessert“ werden; meine absichtlichen Verstöße gegen Rechtschreibung, Grammatik und stilistische Moral (zB Wortwiederholungen! Ich bin eigentlich ein Geschichtenerzähler, kein Schriftsteller – ich habe Zuhörer, nicht Leser) ausgemerzt werden. Aber das loszulassen werde ich auch noch hinbekommen! Aber vielleicht gehen meine Texte eh einfach unter und ich muß mich nicht ärgern. Ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder ins Zimmer zurück. Die Wellen, die ich jetzt durch die Wirklichkeit laufen spüre und für einen Moment auch gesehen habe, werden mir beim Auflösen helfen. Meine Hustenanfälle reißen an meinen Versuchen zur Konzentration. Nun hocke ich wieder ganz ruhig da. Sofort wird das Surren das stärkste Element der anschwappenden Wirklichkeit: es überdröhnt alles andere. Ich werde mich jetzt flach legen, das Licht löschen und im Dunkeln den Stimmen des Universums lauschen.

 

(29.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 28. November 2022

2994 Wie in Trance

 

10:57 a.m.  Die Stimmen kommen, wie die Bilder der Wahrnehmung, wie durch ein unsichtbare Barriere aus verdichteter, fettiger Substanz auf mich. Die Ohren surren wie verrückt, dafür kratzt ein Stückchen Haut, das vom Fingernagelbett meines Ringfingers meiner Schreibhand absteht, erschreckend laut auf dem Papier. Ich die Stille hinein ein Höllenlärm! Ich ändere meine Sitzhaltung und schlichte die Pölster im Rücken neu, was sofort die Raumakustik verändert: das Surren ist leiser. Kaum sitze ich wieder ruhig, legt es erneut mit voller Intensität los. Als hätte ich Fieber, aber ich habe kein Fieber. Ein Zustand wie in Trance. Besser ich stehe auf und schüttle alles ab und stärke mich mit einem Frühstück.

 

(28.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2993 Weichheit und zugedeckt

 

7:37 a.m.  Ich huste mir die Seele aus dem Leib, aber sie geht nicht auf Reisen. Und in den Träumen? Stimmt! Da war ich an seltsamen Orten. In unbeschreiblichen Lokalen teilweise im Freien. Und unter Verfolgung; also auf der Flucht. Ich wurde richtig gejagt. Aber so richtig ausgekannt habe ich mich nicht; worum es geht war mir nicht klar.  Das eine dürfte ein Drogenlokal gewesen sein. Ein wenig heruntergekommen, aber gut organisiert (woher weiß ich das?). Ich jedoch hatte keine Ahnung von Spielregeln und Codes; außerdem bin ich aufgefallen wie ein bunter Hund. Ach ja! Ich war nicht allein unterwegs. Meine Begleiter waren viel jünger. Aber jetzt liege ich da im Bett und habe mir den Krankenstand erklärt. Interessant: beim Husten schmerzen vorallem der Hintern und die Rückseite der Oberschenkel. Eigenartig, welche Verbündeten die rebellierende Lunge gefunden hat. Wogegen bäumt sie sich auf? Der Kitzel in der Lunge reicht jetzt bis in den Hals hinauf. Einen neuerlichen Hustenanfall kann ich durch disziplinierte Reglosigkeit verhindern. Im Hals geht das Kitzeln in ein Würgen von innen über. „Laß es bis Montag!“ sagt mir eine zusammengeträumte Stimme. „Es ist Montag!“ sagt mir mein aufgeräumter Verstand. Die Heizung fängt zu gurgeln an. Hinter meinen Augen sammelt sich Verzagtheit. Ein Schluck Tee, den mir meine liebe Frau unaufgefordert gebracht hat. Heiß! Ich spüre die Hitze in meiner Brust. Ansonsten wird mit mir heute nicht viel anzufangen sein (Freundchen! Und sonst?). Ich versinke wieder Richtung Schlaf. Eigentlich esse und trinke ich im Bett nicht gern – ich finde Weichheit und zugedeckt passt nicht zu patzenden Substanzen – ich werde dann gleich nervös, aber jetzt tut mir der Tee gut. Ich bereite mich seelisch auf ein weiteres Absinken vor.

 

(28.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2992 Sit-in

 

2:10 a.m.  Der verdammte Husten! Wird schon wieder stärker. Trübheit in meiner Kemenatendunkelheit im spärlichen Licht. Es war ein schönes Wochenende. Die Trauer jetzt ist unvermeidlich, aber hat hier Wohnrecht auf Lebenszeit. Und auch so eine Art Reue ist hier, aber da bin ich nicht sicher, ob ich den Mechanismus richtig verstanden habe; ob sie echt ist, heilsam oder unheilsam. Vielleicht ist das auch etwas ganz anderes. Jetzt sind sowieso wieder Husten und Surren im Vordergrund.

Ich hock nicht ungern in diesem Kokon; sozusagen am Boden meiner Raumkapsel (und jeder Hustenanfall schiebt per Rückstoß die Kapsel ein wenig aus ihrer Bahn). Allmählich könnte ich es mit schlafen versuchen. Ein wenig will ich jedoch dieses Setting (oder Sit-in) noch genießen, obwohl mir eine Serie von Hustenanfällen das wieder schwer macht.

 

(2811.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2991 Bald ankommen

 

11:32 a.m.  Poah! Habe ich gut geschlafen! Aus der Stille in die Stille aufgewacht. In die Stille, die allerdings von Hustenanfällen durchbrochen wird.

16:50.  Am Bahnhof. Ich mag den Sound von Männerrudeln nicht. Die Stimmen aggressiv. Anscheinend ist Alkohol im Spiel – die Stimmen klingen so. Ich werde davon ziemlich soziophob. Ein unguter, zugiger Ort. Nichts zum Verweilen. Links das werbende Riesenphoto eines überdimensionalen Schinkenweckerls. Eigentlich völlig absurd und abstrus. Eigentlich nur dekadent. Ich gehe jetzt zum Bahnsteig. Der Zug sollte bald ankommen.

 

(26.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 26. November 2022

2990 Goldstückchen

 

21:16.  Ich bin so müde, als hätte ich drei Tage durchgearbeitet. Dabei waren es nur eineinhalb und zwischendurch bin ich auch wachgelegen. Der Husten ist zurück. Noch ist nicht klar: ist das jetzt das Abschiedskonzert oder gar schon die Zugabe, oder startet er schon den dritten, vierten Anlauf en suite. Ich habe in diesen eineinhalb Arbeitstagen und Nächten vier wunderbare Texte geschaffen. Oder zumindest drei. Zumindest aber ein paar Goldstückchen in jedem der Texte (ich schreib das schnell noch hin, bevor gar nichts mehr übrig bleibt).

Mali Lošinj dreht sich ein wenig hin und her, ruckelt und zuckelt, als müßte es sich noch schnell in den Rahmen einpassen, bevor ich hinschaue. Die Landschaft auf dem Bild hat sich komplett verändert: wie im tiefsten arktischen Winter schaut sie aus; alles eingefroren, die Häuser mit Eis überzogen, das Meer erstarrt. Ach, ich leuchte nicht mit der Lampe hin, ich werde den Anblick nicht korrigieren und werde es mit schlafen versuchen.

 

(25.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 25. November 2022

2989 Nix Nix

 

6:02 a.m.  Himmel HerrGottnochmal! (Bajuwarizismus!) In meinem Hals kratzt es mir noch immer! Für was soll denn dieses blöde Weltuntergangsdings gut sein, wenn mir dann immer noch der Hals kratzt und mir diese ölige Sauce darüber nicht da runtergeht? So oft ich auch schlucke. Mit Wasser nicht, mit Kaffee nicht, mit Kräutertee nicht. Mit nix nicht. Aber sonst sind wieder stabilere Verhältnisse. Ein paar kleine Wölbereien – da kommen wir schon klar mit (Germanizismus!). Igitt! Schaut meine alte Haut alt aus! Es ist zum Aus-der-Haut-fahren! Das wird heut nix mehr.

9:02 a.m.  Der Akku ist geladen, habe ich grad gelesen, mitkriegt hab ich nix; aber gut, es ist schon toll so eine post-prä-menstruale Vaginalstimmung, vor allem nach einem heißen Bad, das einem eigentlich alle Flausen vertreiben hätte sollen. Aber gut, so schmorr ich wieder in meinem Saft und hoffe, dass ich endlich schlafen werd können. Ich arbeite schon über zwölf Stunden! Aber ich schlafe nicht. Ich schwanke zwischen Gelächter über und Alter-Greis-Aufführungen auf meiner firmeninternen Probebühne, wo ich herum tippel wie ein undichter Hüstler und bin schockiert wie lebensnah. Jaaa, schockiert! Das schreibt sich halt so hin, in Wirklichkeit ist mein Geist eh schon viel zu müde für das Schockiertsein. Schlafen? Wachen? Ist’s edler im Gemütlichen … das Handtuch zu werfen. Nein, das Handtuch habe ich wegen der nassen Haare am Kopf (die Ortsangabe bezieht sich auf das Handtuch!) und es tut mir gut. Ja, passt zu mir. Nehmen wir in unser Repertoire auf! Ach, die post-prä-eiakulatorische Müdigkeit! So weltgewandt, so apart, so scharfstichig! Brauchen wir nicht. Dämmerung schon in aller Herrgottsfrüh. Zefix! Ein unwillkürliches Räuspern erinnert mich an das Handtuch am Kopf. Ein bißchen zuckt’s und zagelt’s noch. Ein paar Übergänge gehen noch so hin und her. Ein paar Gedankenfäden verlieren sich.

Warum denke ausgerechnet ich, ausgerechnet jetzt ausgerechnet an die Brüder Gabriel?

Wie der Direktor Feichtinger in der vierten Volksschule in die Klasse gekommen ist und gefragt hat „ist der Gabriel Adi da?“ Der war nicht da, aber fast alle Buben haben aufgezeigt – in Erwartung, dass es um irgendeinen Botengang geht: „ich, Herr Direktor! Ich!“ „Hörts auf es Trotteln! Es wißts ja nit, worums geht!“ Dann redet der Direktor leise mit der ausnahmsweise bei uns anwesenden Supplierlehrerin Frau Spatzeck, die in Tränen ausbricht. Und dann der Direktor Feichtinger zu uns: „Es Trotteln mir eierm tepperten „ich! ich!“ Damit es wißts, wie bled ihr sats: der Vater vom Gabriel Adi ist g‘storbm!“

 

(25.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2988 Ganze Landstriche

 

5:38 a.m.  Ganze Landstriche versinken nach unten, ich wundere mich, dass die Bücher noch da stehen. Dort! Dorten! Nicht da! Da ist mein Bett. Was in meinem Hals so reibt, geht nicht weg, läßt sich nicht runterschlucken, bleibt. Als hätte ich mir beim Runterschlucken von Säure meinen Schlund verätzt. Vielleicht war's aber auch zuviel Kernöl. Ganze Landschaften fallen in sich zusammen, ständig, immer wieder, hören damit nicht auf. Jetzt werden so einige Beleuchtungsimpulse verschoben, von oben, von oben auf die Stadt kann ich es sehen. Ganze Bezirke werden lichttechnisch umgruppiert. Noch in der Dunkelheit der Nacht... Während sich unten und zwischen meinen Schriftzeichen ein neuer Himmel auftut. Ein neuer Himmel, immer höher, immer weiter, immer heller … Was bleibt von meiner frankophonen Schweizerin? Nichts! Also nur irgendetwas Vernudeltes im Dunklen, Busen zeigt sie nicht her. Wer zeigt mir ihren Busen?  Ach komm, Freundchen, jetzt halten wir ein wenig ein! Dreht sich  irgendwo noch was? Nein! Nein? Nein! Nichts der Rede wert. Also sei froh, dass es finster ist und alle braven Leute tapfer schlafen. Noch ein Bäuerchen? … Unter dem Vordergründigen laufen riesige Wellen durch, die werden bald alles aufgehoben und aufgeweicht haben, alles wird  herumschwimmen, untergehen oder auch nicht, alles wird herumschwimmen, wir sehen das Ganze, auch das, was wir nicht sehen. Aber der Hintergrund wird nicht dunkler; er wird heller und heller und immer heller.

 

(25.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2987 Bis zum Aufjubeln

 

Das Heulen bleibt sehr moderat; wiewohl sich diese Zeit ein paar aufrichtige, ehrliche Tränen verdient hätte. Hemmungslos heule ich jetzt wie ein sterbender Wolf in seinen letzten Zügen mit der Musik mit. Mit zittriger, belegter, überschnappender Stimme verfehle ich die Melodien. „I`m a lonely, lonely lord“ (soll ich das überhaupt zitieren? Sich solch eine Blöße geben?). Ich stehe auf und schaue mich in der Welt um. Aber in fremden Fenstern sind auch bloß die Wollsocken an den Füßen von mit Wollsocken besockten Menschen zu sehen. Ein Schüttelfrost durchläuft mich zweimal (ein … zwei …). Ich hasse Wettbewerbe! Wenn ich koche, koche ich und will in keinem Ausscheidungskampf um … sein! (Essen… … wie passend!). Zunehmend wird die kosmische Müdigkeit stärker (was soll sie auch sonst beim Zunehmen?). Jetzt jodel ich ganz rustikal zum Rap von … mit. „So many daydreams …“ - was würde ich ohne diese vielen, schlecht verstandenen, wenn nicht sowieso verhörten, aufgeschnappten englischen Sätzchen machen, Schätzchen? Welche Sätzchen könnten dich sonst rettchen? Jetzt påsch i mit! Unter Schüttelfrost! Noch gibt es Mißtöne, die selbst mir hier noch auffallen und unverzeihlich sind (wie die ständigen Aussetzer bei meinem CD-Player. So alt bist du noch gar nicht!)

Mein Gott! Mein Blick fällt zufällig runter in den Staub, wo auch die Brüder Karamasow sich versammeln und sich dort mit jenem sich verbrüdern. Ich aber erhebe mich wieder und gehe herum und schaue in die Welt außerhalb meines Fensters, die auch hauptsächlich aus Fenstern und oben ein bißchen bedeckter Nachthimmel und unten ein wenig nasser Asphalt besteht. Gegen die Tränen singe ich jetzt laut an; mit den geliebten RHCP mit. Zittern und Vibrieren an meinem Kinn. Die Breschen, die die Musik schlägt, sind unheilbar. Was bleibt? Bestenfalls der ausklingende Akkord. Tanzen wir halt mit den Schlußakkorden mit! Wäre aber gut, wenn ich meinem Magen und meinem wackelnden Gleichgewichtsgefühl nicht allzuviel zumute. Ich wußte gar nicht, dass meine singende Stimme so gemein klingen kann wie jetzt beim Mitsummen, Singen und übersättigt. Aber dann bis zum Aufjubeln! Bis zum Aufjubeln! Wenn auch mit gebrochener Stimme. Schatzerl! Aber wie soll es denn bei dir anders sein! Ach komm, laß die Tränen fließen! „Every day’s the same but new“. Schüttelfrost. „move it closer, now“. Endlich fließen die Tränen! Endlich! Mit allen, allem und jedem einverstanden, mit all meinen Vor-, Bei-, Ab- und Nachfahren darüber im Reinen: Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht!

 

(24.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2986 Ich warte auf den Gong

 

Ich warte auf den Gong. Erwartungsvoll suche ich die Kunstkarten auf meiner Wand auf und schaue sie nicht wirklich an. Ich lege mir Musik auf. Die Virgin Prunes finde ich passend: If I die, I Die. Was ist mit meinen Augen los? Die frankophone Schweizerin ist wirklich nur mehr schemenhaft. Sie wirkt wieder recht üppig (was sie in Wirklichkeit so nicht ist). Ein bißchen singe ich mit. „Take a dream and fly away“. Der leidige Husten gibt im Moment Ruh. Die Musik ist mein direkter Anschluß an die Welt, an welche Welt auch immer. Auf dem einen Bildchen da drüben verselbständigen sich schon die festen Weiberbeine der so schön gemalten Frau und werden eigene Wesen mit eigenem Bewußtsein und eigenen Entscheidungen (Ent-Scheid-ungen). Der Unterleib der Frau hat die Beine auch abgestoßen. In meinem Inneren wacht ein Zittern auf; breitet es sich aus? Das ist noch nicht klar.

Ich wechsle den Pilotstift wegen der Farbe (von Altrosa auf Mittelblau). Die Strahlen der Deckenlampe versuchen nach mir auszugreifen. Sie kommen höchstens bis zu meinen angezogenen Knien. Ich lache in mich hinein: „Hey Mary!“ Mein Zittern hat meine Kinnlade erreicht. Kraftvoll singe ich mit. Dann erhebe ich mich wieder und gehe herum. Beim Mitsummen erreicht irgendeine Resonanz mein Gehirn oder umgekehrt, das ist mir leicht unangenehm. Ich lächle über meine Versuche – gerade habe ich draußen im Vorzimmer auf dem Campingklapptisch meine gestapelten Zeichenversuche der letzten Monate liegen gesehen. In meinem prädementen Gedächtnis verlieren sich alle Namen wie verschluckter Schall und dahinsiechender Rauch. Ich habe übrigens inzwischen eine andere Begleitmusik: DreamCanteen. Tränen treten mir in die Augen – ich denke an meine Töchter. Nur kurz, dann rückt gleich wieder etwas ganz anderes heran (momentan sind es die unglaublichen Bassläufe von Maestro Flea). Ich heule beim Reach Out wackelig mit. Und wieder die ungeweinten Tränen. Ich schaue gar nicht mehr auf die Kunstkartenbrüste, sondern in eine leicht gemalte Landschaft. So eine Art kosmischer Schlaf scheint sich auf mich herabsenken zu wollen. Aber die Musik hält mich auf Lebensspur. 1980, 1983: in diesem Zeitraum ist auch in meinem Leben viel passiert. Das Heulen bleibt sehr moderat; wiewohl sich diese Zeit ein paar aufrichtige, ehrliche Tränen verdient hätte.

 

(24.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 24. November 2022

2985 Ich bin erquickt

 

12:32.  Ich bin seit über zwölf Stunden im Bett und mir ist warm, ich fühle mich erholt und ausgeschlafen, der Husten ist noch moderat, aber legt mit dem Erwachen zu. Dieses lange Schlafen war so herrlich, so herrlich! Der Regen prasselt gegen das Fenster, das dicht hält, und ich bin zwischen Träumen und kaum Aufwachen sanft hin und her geschwebt. Auftauchen und wegtunken. Was für ein beglückender Zustand! Wenn ich an die Oberfläche gekommen bin – ohne das Schlafkokon komplett zu zerreißen – habe ich die Tageskinder unten gehört - ihr Lachen, Weinen, Singen, Reden – oh wie gut sie das alles machen! - und dann bin ich wieder hinunter in Schlaf und Traum. So schön! So schön! Ich bin so erholt. Ich weiß nicht warum, aber dafür fällt mir immer das Wort „erquickt“ ein, das ich sonst nie verwende, nur für diesen Zustand einer regredierten, vermutlich vielleicht aus meiner Säuglingsphase kommenden Erholung durch ausführlichen, ungestörten Schlaf und dem Spiel zwischen mir allein, dem im Bett unbehelligten, gerade sich erst entwickelnden Ich, und dem riesigen Wahrnehmungsuniversum. Ich bin erquickt.

Aber jetzt werde ich aufstehen; ich bin bereit, mir ein Frühstück zuzubereiten, auch wenn durch diese Aktivitäterei der Husten zunehmen wird.


(24.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com


2984 Hinlegen!

 

0:42 a.m.  Mir ist kalt. Von innen heraus ist mir kalt. Meine Hände kommen mir gefroren vor („lächerlich!“ sagt mein innerer Kritiker). Ich bin zugedeckt und habe schon eine Zeit lang im Bett gelesen. Vielleicht bin ich zu wenig zugedeckt („lächerlich!“ sagt mein innerer Kritiker). Ich lehne in einer Dunkelheitsblase, die in ihrer Mitte etwas Licht hat. Wegen dem blöden Kältegefühl muß ich ständig aufs Klo (das Internet bietet mir in letzter Zeit andauernd so Slipeinlagen für tröpfelnde Männer zum Kauf an). Gefrorene, gebrochene und zersplitterte Musik taut als schrilles Surren an meinen Ohren auf, aber bleibt auch bloß bei wenigen Graden über Null. Mein unvermeidbares lautes Husten vertreibt die Schrillerei für ein paar Sekunden (Schrillerei, nicht Schillerei!). Ach was! Hinlegen!

 

(24.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2983 Friede meiner Brust!

 

18:30.  Ich setze mich bequem hin zum Lesen oder Radiohören und schlafe ein. Meine Lebensgeister scheinen schwach. Nur die Hustenanfälle reißen mich hoch. Ich entdecke auf meinem Vesuvstein ein Glitzern. Gut, das ist nichts Ungewöhnliches. Das hat dieses Gestein so an sich. Aber weil genau neben dem Vesuvstein die frankophone Schweizerin lehnt, fällt mein Auge auf sie – seit Wochen zum ersten Mal wieder. Jaaa, schaut – so verschwommen mit und auch verschwommen ohne Brille – recht gut aus. Ihre Brüste würde ich schon gern sehen (ihre damaligen anno Domini 1907), aber sie entblößt sie nicht und zeigt sie nie her. Der depperte Hut ist mir scheißegal. Eigentlich bin ich gar nicht so geil. Überhaupt nicht und jetzt als zusammengekauertes Häuflein Elend schon gar nicht. Der heftige Hustenanfall gibt mir recht (Jetzt beim Eintippen des handgeschriebenen Textes wieder). Ich huste nicht nur lieblos, ich gaffe auch lieblos. Also wäre Einschlafen gar keine so schlechte Option, aber im Moment bin ich zu aufgehustet. Friede meiner Brust!

 

(23.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2982 Das Restlein

 

13:17.  Ich bin schon lange auf. Und ich erfriere von innen. Immer wieder schüttelt es mich. Dabei hat es hier bestimmt über 20 Grad. Meine Hände sind eiskalt. Ratlos liege ich jetzt da und atme tief ein und aus. Ein Mal. Dann wieder verhalten und flach. Der Husten geht nicht weg. Ich huste irgendwie lieblos, unaufmerksam und nebenbei. Nur die starken Anfälle reißen so richtig an meiner Lunge herum, dass ich sie nicht herunterspielen kann. Was habe ich mir vor kurzem gedacht? Irgendeine wichtige Erkenntnis. Jetzt ist sie halt weg. Ihr werdets mich schon noch mürbe machen, mein winziges Restlein Stolz zerkratzen. So viel Aufwand deswegen? Ich fühle mich regelrecht geehrt.

 

(23.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 22. November 2022

2981 Sollte reichen

 

8:20 a.m.  Schwerfällig löst sich der Tag aus dem grauen Morgen, kalt und zäh, aber unaufhaltsam. In meinen Ohren surrt und singt wer oder was auch immer, zwei Häuser weiter ein Baukran, wenn er bewegt wird. Eine gewisse Schrecknis eignet dem Tagesanbruch an, die auch in meinem Gedärm rumort. Ein stummer, lautloser und gestockter Aufschrei breitet sich von meinem Innersten aus. Ich lasse ihn durch Körper und Seele gehen, wie äußerlich meine Hustenanfälle. Meine Fremdheit allüberall ist ekelhaft, als wäre ich ein gestrandeter Alien in menschlicher Verkleidung, der den Kontakt zu seiner Basisstation und seine Erinnerungen verloren hat. Ich seufze mich in ein fragiles Gleichgewicht, das so halbwegs, auf niederem Niveau, alltagstauglich sein müßte. Der stumme Schrei würgt mich von innen, aber lange wird er seine Blockade aus Angst nicht mehr durchhalten. Wenn es im Zimmer nur wärmer wäre! Entsetzen starrt mich mit sprachlos aufgerissenem Mund an. Ich seufze und atme es ein wenig auf Distanz. Dieser kleine Spielraum sollte fürs Aufstehen reichen.

 

(22.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 21. November 2022

2980 Das blaue Glühen

 

17:07.  Um diese Zeit habe ich schon lange nichts mehr notiert. Vom großen Atelierfenster aus das blaue Glühen hinter den kahlen Ästen der Hofbäume. Kalt ist dieses letzte Tageslicht und doch ein wenig erlöserlich. Die Äste und Zweige rühren sich nicht; sie starren in den abendlich gewordenen Himmel. Das blaue Glühen ist schon weg, nur ein weißer Streifen, der die glutlose Bläue nicht verdeckt, liegt noch am Horizont und verblaßt, verblaßt, verblaßt. Die schwierige Zeit, dieser Übergang vom Tag zur Nacht, alles erscheint so trübe, vor allem das Licht, alles erscheint unrealistisch und fragwürdig, auch die vertrauten Gegenstände wie aus einem Traum. Und doch kommt mir diese Fremdheit so vertraut vor, wie das wirkliche Thema meines Lebens, das sich schon viele tausende Male so gezeigt hat, wie der wirkliche Zustand meiner Seele.

 

(21.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2979 Zusammenfallen

 

8:45 a.m.  Die Hustenanfälle sind wieder zurückgekehrt, stärker als zuvor. Die Brust schmerzt. Angst vorm Zusammenfallen der Lunge schleicht sich ein, weil es sich einen Moment lang so angefühlt hat und im neuerlichen Hustenanfall krümmen sich die Wände des Zimmers. Zwischendurch ist angekränkelte Ruhe und das Jucken im Brustkorb bleibt. Jetzt juckt auch die Nase. Ein wichtiges Wort habe ich hingeschrieben und wieder vergessen und nun steht es gar nicht da. Mein Magen knurrt und ich bring die Augen kaum auf. Dafür hat sich der Husten beruhigt.

 

(21.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2978 Wie ein Insekt

 

7:50 a.m.  Ein Morgen der mittleren Art. Ich hocke im Bett und fühle mich klein. Nicht negativ, einfach nur physikalisch klein, als ein Wesen da unten im Hohlraum mit eingezogenen Gliedmaßen, mehr wie ein Insekt. Was gar nicht zu dieser Daseinsform paßt: dass mich noch der sexuell vielversprechende Traum von vorhin beschäftigt: was soll ich als Insekt mit Elisabeth X? Von meinem Hintern geht ein Zittern aus; in den Fingern der linken Hand spielen sich ganze Empfindungsdramen ab: muskulär und/oder nervlich. Die Atmung erreicht nur das obere Drittel des eingerollten Insekts. Das Zittern erreicht als Kribbeln den Rücken und verfängt sich bei den Schulterblättern. Da fällt mir ein, dass ich jemand mit feudalistisch geprägter Psyche bin, der überhaupt nicht in die neoliberale Gegenwart paßt. Eine Zierde der Ritterschaft würde ich nicht sein, eher ein braver Leibeigener. Um diese Zeit noch verschlafen und müde im Bett ist mir das ganz wurscht. Die Geräusche sind heute seltsam hier: es rumpelt aus verschiedenen Richtungen. Mein locker gehaltener Pilotstift erliegt der Schwerkraft.

 

(18.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 17. November 2022

2977 Alter des Ausklingens

 

10:04 a.m.  Heute ist es heller. Im Zimmer strahlt das Tagesgrau ganz klar, schärft die Konturen und läßt die Farben aufleuchten. Auch dem Surren eignet eine scharfe, spitze, transparente Note. Und das Licht der Leselampe ist klar und warm, ohne aufdringlich und symbiotisch zu sein. Ein viel versprechender Tagesbeginn. Warum fallen mir jetzt „Der Radetzkymarsch“ und „Die letzten Tage der Menschheit“ ein? Mein Geist macht, was er will. Ich führe ihn ins Zimmer zurück und ins Hier und Jetzt, und sofort zeigen sich alle Gegenstände hier mit gestärkter Präsenz und intensiverer Räumlichkeit. Der Geist jedoch weht wo er will und läßt sich unter kein Joch spannen. Oder sagen wir es so: mir fehlen die Kraft und Disziplin, mir fehlen Yoga oder Tensegrity, meinen Geist zu fokussieren. Das ist schade, aber macht nichts. Ich meine da die Redewendung, denn machen tut es Entscheidendes. Ich will mich bloß im ausklingenden Alter (Alter des Ausklingens) nicht mehr mit dem Kampf um den Durchbruch zum Eigentlichen abquälen. Ich akzeptiere, dass die Sache gelaufen ist. Jössas! Das Surren hat einiges an Lautstärke und Intensität zugelegt. Ich lasse die Augen zufallen, ich wehre es ihnen nicht. Die Frage, ob aufstehen oder weiterschlafen, lasse ich ganz unaufgeregt zu ihrer Antwort reifen. Tree Chenesen met de Kentrebess … Ein Griff zum Schalter löscht das Leselicht. Und schon schaut die ganze Sache ganz anders aus.

 

(17.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2976 Realitycheck

 

3:30 a.m.  Im dunklen, nur von der bescheidenen Leselampe nur im unteren Drittel erhellten Zimmer tanzt Staub, von der Bettdecke hochgeworfen. Die meisten Flankeln tanzen der Schwerkraft zuliebe langsam, aber doch dem Boden zu, nur ein paar, die in die Nähe meines Odems geraten sind, steigen wieder auf. Die Stimmung zu dieser späten Stunde, allein in meiner ungeheizten Kemenate, ist eigenartig und befremdend, dass ich mich frage, wo bin ich? Träume ich schon? Ich mache einen Realitycheck: ich kann die Buchtitel lesen (natürlich nur mit Brille): sie verschwimmen nicht und verwandeln sich nicht, wie auch sonst nichts: also bin ich in der handelsüblichen Realität. Das Licht der Leselampe scheint zäh zu sein; es steht fast trotzig im Zimmer und formiert sich zu etwas tendenziell Kugelförmigem, aber ohne klare Kontur. Das Optische und das Akustische (Surren) sind irgendwie ineinander verschränkt. Ganz von Ferne versucht ein Husten in meine Brust schleichen zu wollen, aber ich lasse ihm keine Chance. Intensität ist auch anwesend, wenn auch unsichtbar und unhörbar. Trotz allem wirkt mein geliebtes Zimmer tot. Gar nicht auf die schreckliche Art, sondern einfach so. Ich quittiere diese Entdeckung mit innerem Schulterzucken. Mein Notizbuch halte ich wie in Filmen der Historienschinkenart der mittelalterliche Ausrufer seinen Beipackzettel, von dem er seine aufgetragene Botschaft abliest, will sagen: ich halte das Buch oben mit der linken Hand in einer feierlich-nachdrücklichen Haltung. Dabei lese ich nicht ab, sondern ich schreibe drauf. Ich bin der Urheber des zu Verkündenden. Also muß ich so eine Art König sein. Der 3:30-Uhr-König (gut, jetzt ist es 3:54 a.m.) (Gut, oder zumindest Bürgermeister.) Der König – bleiben wir dabei – ist müde. Der König bereitet sich jetzt für den Schlaf, stapelt das Gepölster von seinem Rücken an die Wandseite des Bettes, legt sich auf den flachen Rücken und vertreibt das zähe, klebrige Licht aus dem Zimmer.

 

(17.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 16. November 2022

2975 Blanke Angst

 

13:03.  Plötzlich war die lähmende Angst da. Meine Seele schlägt die Augen auf und die Angst sitzt mitten in meinem Leib. Ja genau: in der Körpermitte. Als massives Nichts, als riesiges, schwarzes Loch. Ich versuche standzuhalten, mich nicht abzulenken: ich will der Angst auf den Grund gehen. Da läutet sinnlos das Festnetztelephon und reißt mich heraus. Ein sinnloser Anruf aus meiner Sicht, der mich nicht betrifft und mich doch aufscheucht und verwirrt zurückläßt und den ich jedoch auch nicht ignorieren kann. Jetzt sitzt das Unbehagen im Leib und nagt an mir, aber an die blanke Angst komme ich nicht heran. Ich suche sie zu finden wie früher den richtigen Sender im Radio, drehe noch am Knopf herum, um sie genau und deutlich zu spüren. Der Empfang ist nicht optimal, aber ich spüre sie wieder. Was bist du? Was hast du mir zu erzählen? Du bleibst stumm? Namenlos bist du auch? Ich schließe die Augen. Du willst dich nicht zu erkennen geben. Also, nochmals von vorn: warum bist du da? Was willst du von mir? Oder soll ich fragen: was willst du in meinem Gedärm? Sitzt dort nicht - angeblich - der Tod? Was sagt mein Herz dazu. Nichts. Zumindest höre ich nichts. Meine Aufmerksamkeit beginnt die Angst zu verscheuchen. Empfindlich sind wir auch noch! Willst du mich provozieren? Zu was? Und wozu? Du hast dich verdünnisiert. Gut. Das nächste Mal versuch ich es wieder. Ich werde keine Ruh geben, bis ich weiß, was los ist. Ich horch nochmals zum Herzen hin; auch da keine deutlichen Botschaften; es schlägt halt tapfer und tüchtig vor sich hin. Was bleibt mir anderes über als zu seufzen und dann aufzustehen und hinunter frühstücken zu gehen?

 

(16.11.2022)

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2974 Fragen

 

9:02 a.m.  Die Katze ist gefüttert und ich bin wieder ins Bett zurück gekrochen. Meine Augen jucken und tränen. Als ich mir mit der Linken die Augen auswischen will und deshalb den Arm im Halbkreis zum Gesicht bewege, streife ich mit den Fingern unabsichtlich am metallenen Schirm meiner Leselampe, der nahe an meinem Gesicht steht, und schlage damit einen schönen, in dieser Morgenstille schockierend lauten Ton an, der relativ flott, aber nicht unfeierlich verklingt. Ich wiederhole diesen Ton mit Absicht, um ihn besser beschreiben zu können, aber nur einmal, denn eigentlich verliert er dabei seine existentielle, ergreifende Aura. Jetzt surrt es wieder wie üblich: schrill, laut, mehrstimmig, wie ein fernes, monotones, hintergrundrauschiges, gnadenloses und unpersönliches Orchester. Aber ich halte die Stellung. Ich versuche, ganz genau zuzuhören, verliere ständig die Konzentration und vergesse so meine Hintergrundmusik. Ich führe meine Aufmerksamkeit wieder zur Surrerei zurück und tauche in die komplexe Tonalität ein. Einen kurzen Moment kommt mir vor, als könnte ich aus dieser Fülle einzelne Hilfeschreie herausfiltern, aber sicher bin ich mir nicht. Woher kämen die? Aus den Tiefen des Universums? (Fürchtet sich Gott inzwischen vor seiner Schöpfung?) Oder naheliegender aus den Tiefen meiner Seele? Will wer gerettet werden und sich so bemerkbar machen? Aus meiner Lebensgeschichte? Von meinem persönlichen Urknall am Anbeginn meines Lebens? Wollte ich hier nicht landen?

 

(16.11.2022)

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2973 Müde bin ich und heiter

 

3:03 a.m.  Ich glaube, es ist Zeit zum Schlafengehen. Gehen muß ich eigentlich nicht: ich bin schon im Bett; nur mich flachlegen und ausstrecken. Aber noch genieße ich die Stille, die Ruhe, die Nacht. Müde bin ich und heiter; wie nach einem rechtschaffenen Arbeitstag (was ich gar nicht behaupten will). (Nämlich das mit der Arbeit.) Auf das laute Surren und Brummen der Nacht höre ich wie auf erleuchtende Musik: die Töne, die Akkorde und Schwingungen sind belebter als vermutet. Aber das weiß ich schon länger. Ich bin wirklich müde.

 

(16.11.2022)

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Dienstag, 15. November 2022

2972 Ich stehe nie wieder auf

 

10:01 a.m.  Dafür, dass ich „gestern“ bis 3:30 gelesen habe, keine schlechte Zeit. Ein Ausstellungstraum, diesmal etwas stabiler als alle vorherigen Ausstellungsträume: es ist nicht sicher, ob alle meine Bilder verschwunden sind; es könnte sein, dass sie standgehalten haben. Unten höre ich Besuch. Meine Aufmerksamkeit ist jetzt ganz wo anders und mein Geist jagt wie verrückt durch die Gegend. Grau und düster ist es hier in meinem Zimmer; ich bleibe auf jeden Fall im Bett unter der optimistischen Leselampe. Meine Brust ist mit der angewickelten Decke gut vor der Kälte geschützt. Ich darf auch einschlafen und träumen. Lesen darf ich dann auch. Bei den Tagis gibt’s ein Geheule. Schon geschlichtet. Mir hier heroben fallen die Augen zu, aber ich bleibe in der Schreibstellung in der Betthocke. Im Mund spüre und schmecke ich die gestrige Zwiebel-Honig-Kur. Es ist schon eine Art Friede, wenn auch eine große Portion Unruhe mitten drin sitzt und meinen Geist herumjagt. Meine abgedunkelte linke Hand – ich habe die Augen wieder geschlossen – streichelt zärtlich und sanft das Notizbuchpapier. Wuuummms: ein paar Etagen tiefer in der Finsternis. Und kurz macht mein nun aufgeschlagenes Auge alles blau (keine Sorge: unverletzt; nur das Lid gehoben) (Und stimmt: eigentlich sind es zwei Augen.) Ein wenig weine ich noch der traumhaften Ausstellung nach: so eine große Präsentation meiner Arbeiten wäre sie gewesen, hätte sie stattgefunden; vielleicht sogar vor einer interessierten Öffentlichkeit (ich bin schon zufrieden mit geträumten Erfolgen). (Übrigens: so verrückt ist das gar nicht: alles muß erst geträumt werden, bevor es Wirklichkeit werden kann.) Und jetzt runter vom Lehrstuhl! Zurück ins stille Zimmer ins Bett. Im Bett mit meinem eingeschlafenen Arsch. Ich strecke mich nicht bloß nach der Decke. Und ich blicke auch auf den Plafond hinter und über der blendenden Leselampe. Eine ganzkörperliche Lust rieselt mir durch die gestreckten Glieder. Mah! Es ist so schön und gemütlich hier! Ich stehe nie wieder auf!

 

(15.11.2022)

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Montag, 14. November 2022

2971 Gefallen

 

10:01 a.m.  10:16 a.m.  Seit einer Viertelstunde hocke ich in Schreibstellung im Bett und kein einziger Gedanke hat sich einfangen und schreibfähig bearbeiten lassen. Mein Geist ist bloß herumgeschweift ohne irgendetwas aufzugreifen; meine Netze habe ich ausgeworfen ohne etwas zu erbeuten. Ich seufze frustrationserprobt: über die Aussage dahinter bin ich mir nicht ganz im Klaren. Ich wühle in meiner Vergangenheit herum; sinnlos, da im Versuch sie zu korrigieren (ohne zu rekapitulieren). Ein Phantasiekauderwelsch kommt heraus und das verschluckt sich gleich wieder selbst. Dabei streife ich ständig am literarischen Größenwahn. Dann bin ich wieder ganz klein. Gaaanz klein! Es knackst irgendwo im Zimmer, aber ich bin es nicht, der es verursacht hat. Meine Bilder, die hoch oben an der Wand hängen, fallen mir seit langem wieder in die Augen und gefallen mir jetzt sehr. Gar sehr.

 

(14.11.2022)

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Samstag, 12. November 2022

2970 Die Wirklichkeit schmeckt nicht

 

12:32.  Vorhin hing ich noch schwebend über einem gefühlten Abgrund; jetzt bin ich unten: dumpf, wach, enttäuscht. Die Wirklichkeit schmeckt nicht. Von ihr geht nichts Inspirierendes aus. Sie mag halt durchlitten werden. Mehr ist es nicht. Wenn es denn überhaupt die Wirklichkeit ist und nicht eine verschnittene, entstellte Version. Kälte kriecht in die Ärmel. Überdruß legt sich auf Zunge, Gaumen und in den Hals. Nur langsam kann ich die Geschichte umdrehen: brunzen sollte ich und bald etwas essen; der Hunger meldet sich. Aber ich mag noch nicht so recht. In den Ohren surrt es. Aber was bleibt mir anderes über als aufzustehen?

 

(12.11.2022)

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Freitag, 11. November 2022

2969 In hellem Rahmen

 

9:42 a.m.  Heute Morgen ist es eindeutig heller und im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich mir einen schönen Tag machen. Ich habe damit schon angefangen, weil ich gut ausgeschlafen bin und mich im warmen Bett so wohl fühle. Die Katze hat mich sanft geweckt und beschmust und hat sich nach angemessener Zeit wieder zurückgezogen. Es ist das hier wirklich mein irdisches Paradies und der Vormittag im Bett meine Paradieszeit. Nicht einmal die Hustenanfälle können mich daraus vertreiben. Oh Wunder! Meine frankophone Schweizerin gerät nach langer Zeit wieder in meinen Blick und kann ihn halten. Lange schaue ich auf das in dieser Entfernung etwas undeutliche Bild; der Moment der anscheinend unmittelbar bevorstehenden Entblößung der Brüste hat schon was! Aber mein Geist schwirrt trotzdem herum und läßt sich leicht ablenken. Mein Blick dezentriert sich plötzlich und verändert so meine Wahrnehmung deutlich. Wie entrückt schaue ich auf die kleine Bilderwand und habe keinen Fokus mehr auf irgendetwas. Mein Blick gleitet sanft und freundlich und gegenstandsblind in der Welt herum. Ich fühle mich im Raum schweben. Ich schließe die Augen, um dieses Schweben besser fühlen zu können. Das Schöne daran: es gibt nichts zu bewerten. Ein Tropfen Energie im Universum: na und?

Ich öffne die Augen wieder und die vielen Bilder vor allem der nackten und halbnackten Frauen unterstützen meine Rückkehr hier in diese unsere Alltagswelt, wenn das auch nicht ohne Wehmut vor sich geht.

 

(11.11.2022)

 

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2968 Hustentropfen

 

10.11./23:59.  Bin schon wieder im Bett, hocke da und habe mich in die Decke gewickelt. Noch ist es nicht richtig warm, aber bald. Ich nehme die fragwürdigen Hustentropfen und dann werde ich im Muschgschen Parzivâl lesen, der mich trotz anfänglichem Befremden immer mehr in seinen Bann zieht. Das könnte ein gemütlicher Abend werden.

11.11./1:29 a.m.  Von der Lektüre in Trance und von den Hustentropfen auf einen schwachen Trip versetzt halte ich inne, gewahre, dass ich müde bin, schaue mich um und sehe sogar sich Bewegendes im stillen Zimmer. Ein Hustenanfall hilft meiner Ratlosigkeit weiter (ich gehöre tatsächlich notorisch zum Fußvolk). Ein zweiter Hustenanfall macht mich mürbe. Tapfer räuspere ich mich, aber die Linderung hält nur kurz an – nicht einmal ein ganzes Vaterunser lang (weiß auch nicht, warum ich jetzt bei den Zeitangaben uralter Kochrezepte gelandet bin). Dann der nächste, bitte! (Hustenanfall). Die Brust schmerzt stärker seit ich die ärztlich verordnete Medizin einnehme. In meiner Benommenheit will ich es gut sein lassen und mich nun den verstärkten Träumen hingeben.

 

(10./11.11.2022)

 

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Donnerstag, 10. November 2022

2967 Zwielicht und Duster

 

7:56 a.m.  Fast wie der erste unbewegte Beweger hocke ich im Bett und lenke das Universum. Nur dass ich halt nicht ganz unbewegt bin: meine rechte Hand schreibt, meine linke hält das Notizbuch sowie das Universum fest, meine Augen bewegen sich, die Lider und manchmal auch der Kopf, mein Brustkorb hebt und senkt sich, kitzelt innen und hustet sich aus von Zeit zu Zeit. Mein Gesicht – vornehmlich die Lippen – zuckt wenig vornehm und vollführt leichte Grimassen. Selbst die Zehen – al die werlt – bewegen sich ein wenig. Und das Herz mit seinem Schlag soll es ja auch geben. Und noch so einiges kribbelt und krabbelt mehr oder weniger auffällig in mir herum. Soweit zum unbewegten Beweger. Und jetzt zum Raumklima: etwas kalt (gefühlt!), etwas feucht (gefühlt!), etwas düster. Die bunten Bilder setzten sich nicht recht durch. Dafür eine alte Szenen aus den frühen Achzigerjahren in einem Lokal namens Zwielicht und Duster mit der freundlichen Kellnerin Simonetta, dem unfreundlichen Lokalbesitzer und mir, die mich verstört zurückgelassen hatte. Das komische Gefühl von damals klingt jetzt ein wenig an, aber ich lasse es wieder verfallen. Die Chance zur Rekapitulation verpasst. Der erste unbewegte Beweger ist wieder am Einschlafen. Die Augen sind zugefallen, die Ohren schrillen und der Kopf hat sich geneieiget, während der Tag sich erhebt und aus dem Nebel auftauchen will und älter wird. Ein telephonloses Telephonat mit meinem Arzt(?) hüben oder drüben. Aber ein herrliches Wohlgefühl in meinem Bett und bei offener Tagesordnung; die Tageskarte ist ganz unbeschrieben. Das ist natürlich Ansichtssache. Ich jedoch erhole mich so gut.

12:19.  Ich habe als Betthocker bis jetzt geschlafen und geträumt und lasse nun den Schlaf abfließen. Oh wie großartig fühle ich mich, ausgeruht und erholt. Sogar die Hustenanfälle sind milder. Ich sitze am Top of the World (Top! Nicht: Topf!) in meinem Bett und betrachte, befühle und besegne die Welt. Bald aber werde ich mich bewegen und frühstücken gehen, mein Magen knurrt schon.

 

(10.11.2022)

 

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2966 Vormittag

 

7:41 a.m.  Ich schließe wieder das kleine Lüftungsfenster ins Atelier über meinem Kopf – ich steh doch noch nicht auf. Zu grau, zu kalt, zu müde, zu verhustet. Und ich bin mir nicht mehr sicher, ob der weite Weg zum Tierarzt für die Katze notwendig ist. Ich verschiebe den geplanten Termin ins Ungewisse.

10:37 a.m.  So, jetzt schaut die Welt schon besser aus. Vor lauter Zufriedenheit überfällt mich gleich ein veritabler Hustenanfall, aber ausgeschlafen bin ich und stark genug für den nebelgrauen Tag. Ich öffne die Lüftungsklappe wieder.

 

(9.11.2022)

 

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Dienstag, 8. November 2022

2965 Bevor ich mich auflöse

 

9:49 a.m. Es klingt, als würde nebenan gebohrt werden. Nachdem es dieses Geräusch aber schon seit Jahren immer wieder mal gibt, wird es etwas anderes sein. Ein Hustenanfall ändert die Richtung meiner Aufmerksamkeit, deren Richtung ich selbst gerade dabei war zu ändern. Es ist so grau; sogar mein Zimmerfenster ist beschlagen. Meine Leselampe vergelblicht die Szenerie nicht ganz vergeblich im tiefer gelegenen Bereich und wärmt ihn optisch etwas auf. Ein Hustenanfall nach dem andern und dazwischen brüchiger Stillstand. Während ich meine inneren und äußeren Zustände wahrzunehmen und zu ergründen versuche, schleicht mein Geist – oder wer oder was das ist – davon und denkt sich erotische Abenteuer aus. Ein Zeitlupenhustenanfall unterbricht das, bevor er es allzusehr ausschmücken kann. „Hinfällig!“ Dieses Wort taucht aus dem nichts auf wie das „Mene mene tekel upharsin“ an der Palastwand beim Dingsbums, als eine wichtige Eingebung oder gar Offenbarung. Mein Geist – oder wer oder was das ist – will diesen Einfall gründlich aufbauschen, aber ich – oder wer oder was das ist – will es ihm nicht abnehmen. Ich bin gerade prosaisch, rationalistisch und positivistisch unterwegs. Mein Zimmer nehme ich nur als Gesamtkunstwerk wahr; keine Karte, kein Bild an der Wand, kein Buch, kein anderes Detail fängt meine Aufmerksamkeit ein und bindet sie an sich. Dafür spüre ich jetzt diese Bohr- oder Presslufthammergeräusche, die ich da oben erwähnt habe, in meinem Kopf vibrieren; hinter den Augen und zwischen den Ohren setzt es sich fest und massiert die Schädeldecke von innen.

Bevor ich mich ganz auflöse, stehe ich doch auf.

 

(8.11.2022)

 

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Montag, 7. November 2022

2964 Hof neun

 

Der Wind hat Laub über den Asphalt getrieben und jetzt ist er still. Wie ich diese studentischen Höfe liebe! (Der Wind kommt nun zehnmal stärker auf.) Ich weiß nicht, ob ich dieses studentische Areal in echt liebe, oder bloß aus der Vorstellung und aus verklärter Erinnerung. Oder bloß die Idee eines Ortes in der Welt, wo Liebe zum Wissen und der Lebensoptimismus des Neubeginns wohnen, als etwas, das ich gern hätte.

Bleiben wir beim Wind: der setzt den letzten Blättern auf den schon recht kahlen Ästen recht zu. Ich huste wieder, als ich den zitternden, wackelnden und zappelnden Blättern zuschaue. Am Boden unten drehen sich einige Blätter im Kreis. Am Himmel ziehen weiße Wolken unter das Blau. Eine Krähe ruft. Lerne ich noch dazu? Dem Verkäufer in der CD-Abteilung habe ich es versprochen, als ich die gesuchte CeDe nicht gefunden habe und ihn deswegen aufgescheucht hatte („Ich werde mich bessern!“). Eine emotionale, aber auch luftströmungstechnische Pattsituation. Eine fragwürdige Stille. Bricht gleich alles zusammen? Ich trau ihr nicht! Ich setze mich selber in Bewegung und stehe von der Bank auf. Damen in überkniehohen Stiefeln – ich weiß nicht. Sollten die anderen genauso daneben sein wie ich?

 

(7.11.2022)

 

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2963 Liberation Serif

 

10:08 a.m. Gleich nach dem Aufsetzen habe ich gehustet und jetzt ist mein Zimmer größer, als ich es von vor dem Einschlafen in Erinnerung hatte. Offensichtlich hat es mein Husten gedehnt. Nun bin ich mir aber nicht sicher: bleibt es jetzt größer oder schrumpft es wieder. Der nächste Hustenanfall hat es verkleinert – zumindest in Bodennähe. Der nächste Anfall verkleinert es auch auf mittlerer Höhe. Und ganz oben? Oben? So hoch habe ich meinen Blick noch nicht gehoben. Meine Ohren dröhnt es derweil zu. Mein Mund ist lässig und träge geschlossen, während es in der Brust kribbelt und kribbelt. Meine Arme wirken normal, meine Hände ruhen etwas forciert auf dem Notizbuch – ihr Eifer weckt mein Mißtrauen. Die Fußsohlen liegen fett und dick auf dem Leinen, in den Füßen aber gibt es ein leichtes, stechendes Ziehen. Der Hintern ist mit dem gesamten Körpergewicht ins Leintuch gequetscht und muß auch noch das Ganze da in Schieflage vorm Abrutschen abbremsen. Die weiteren Hustenanfälle kommen jetzt so nebenbei und verändern das Zimmer nicht mehr. Obwohl: jetzt kommt es mir wieder größer vor.

 

(7.11.2022

 

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Sonntag, 6. November 2022

2962 Masken

 

Gerade aufgewacht. Ein wenig fürchte ich mich vor dem Anblick der weißen Wand, darum hebe ich ganz vorsichtig meinen Blick und schaue nur verstohlen hin. Doch als ich mich zusammennehme und entschlossen aufschaue, wird mir schlecht und meine Seele kommt sehr in Bedrängnis. Ich versuche, mich auf diese Gefühle und Ängste einzulassen. Ich habe jedoch Schwierigkeiten, das Ganze in meiner Aufmerksamkeit zu halten. Die Fokussierung gelingt nicht recht. Es scheint um die Angst zu gehen, dass sich herausstellt, dass ich keine eigenständige Person bin, sondern nur eine mißlungene Programmierung; will sagen: ich weiß gar nicht, wer ich bin und was ich will, sondern hantle mich bloß entlang gescheiterter Rollenspielversuche durchs Leben. Eine schlechte Maske nach der anderen, dahinter kein Gesicht. Das heißt auch: keine Beziehungsfähigkeit, denn von wem aus sollte eine Beziehung geknüpft sein? Mein Sterben wird nicht leicht werden.

 

(5.11.2022)

 

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Freitag, 4. November 2022

2961 Blaue Bänder

 

8:44 a.m.  Trübes, schmutziges Tageslicht steckt wie ein verirrter, müder, faulender Energiepfropfen bei mir im Zimmer. Da muß einiges schwarzes Licht beigemengt sein. Ich sehe nicht, was ich schreibe. Ein paar schwächliche Hustentränen gleiten stockend die Wangen hinunter. Es ist nicht unangenehm im Bett, aber richtig gemütlich ist es nicht, obwohl es es sein sollte. Als würde dieses schmutzige Licht etwas Befremdendes mitbringen. Die stockende Melodie der Regentropfen kann es nicht sein. Ich bin kurz eingeschlafen und lockere nach dem Aufwachen meine verkrampft gehaltene linke Hand. Gewaltphantasien rutschen in mein inneres Gesichtsfeld. Im Nacken und hinter meinem linken Ohr ist etwas nicht gut. Ich drehe und wiege den Kopf. Ich stelle eine profane, alltagsaffine, etwas unheimliche Feierlichkeit im Zimmer fest. Wer oder was gefeiert wird erschließt sich mir nicht. Meine vier Fingerspitzen meiner linken Hand berühren elegisch, zart poetisch und gebremst melancholisch die papierenen Seiten des aufgeschlagenen Notizbuches. Das Licht im Zimmer scheint ein wenig klarer geworden zu sein. Wieder drehe, wackle und bewege ich meinen Kopf, aber es hilft nichts: er sitzt nicht gut auf seinem Hals, dort stockt es und Kopf und Leib scheinen ein wenig getrennt; besser: nicht alle Kabeln sind angeschlossen. Was ist das eigentlich für ein Dienst, den ich hier mache? Welche Stellung halte ich? Und für oder gegen wen? Irgendwer oder irgendwas arbeitet an oder mit der elektrischen Ladung meiner Aura. Ich wehre mich nicht und schlafe ein. Plötzlich werde ich durch ungewohntes, auffälliges Lachen junger Erwachsener im Stiegenhaus aufgeweckt; wurde mir Strom abgezapft? Lebensstrom vielleicht? Genau in diesem Moment geht das Getröpfel da draußen in richtigen Regen über, als hätte sich eine Blockade aufgelöst. Habe ich das Wetter, die Zeit und das Universum am Weiterentwickeln gehindert und den Fortschritt aufgehalten? Ich schlafe wieder ein und plötzlich tauchen aus dem Nichts vor meinem inneren Auge ein ganzes Ensemble blauer Bänder auf – wie einfach so über die Wirklichkeit geworfen und von einem so schönen, ganz intensiven, starken Blau wie bei Yves Klein – wie zerschnittene Girlanden liegen sie da. Ein kurzer, herrlicher Anblick. Ich wache auf, drehe das Leselicht auf und beschließe – nachdem ich mich genüßlich geräkelt habe – nun mein Tagewerk zu beginnen. 10:15 a.m.

(4.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 3. November 2022

2960 Kosmische Konstellation

 

10:7 a.m. Das ist einmal ein schöner Morgen: ein bißchen Brustkratzen (innen), ein bißchen Husten, der Sound der fröhlichen Spiele der Tageskinder von unten, die Katze kommt zum Schmusen und geht dann wieder, ich hänge warm und leidlich ausgeschlafen im Bett und es ist noch etwas Zeit bis zu meinem notwendigen Aufstehtermin. Keine Ängste verschrecken mich, keine Sorgen quälen mich – vielleicht ist bloß mein Gedankenapparat noch nicht voll in Schuß – aber wie auch immer: ich genieße diese kosmische Konstellation im Universum. Jetzt schon aufstehen - bevor der Wecker läutet – ist auch eine ernsthafte Option und im Bereich des Möglichen – ich fürchte mich nicht vor diesem Tag.

(3.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2959 Ich reiße mein Maul auf

 

2:18 a.m. Gähnend reiße ich mein Maul ganz weit auf: das ist ein gutes Zeichen: nicht nur rechtschaffene Müdigkeit (ich hatte mich verschrieben: „rechtschaffende Müdigkeit“ – wäre auch eine Überlegung wert!), sondern auch für ein Minimum an Ausgeglichenheit und einer gewissen Zufriedenheit mit Drall zu Fröhlichkeit der ruhigeren Art. Es könnte zwar sein, dass ich vor lauter Zähneknirschen in letzter Zeit wieder einen Zahn verlieren werde – gewisse, besser: ungewisse Anzeichen legen das nahe – aber hier und jetzt beunruhigt mich das nicht. Nicht einmal die Frage, ob die Krankenkassa (gesund ist die nicht) das Updaten meines ausgelagerten Gebisses zahlen würde, macht mich jetzt nicht nervös. Also: eine gute Nacht scheint sich anzukündigen. Und ein interessanter Gedanke taucht am undeutlichen Horizont auf. Ich hole ihn mir kurz her, aber heute mach ich da nicht mehr herum (Besteht ein Zusammenhang zwischen der zunehmenden Produktion von sowie dem zunehmenden Umgang mit Scheindingen – also Plastikplatten zum Beispiel, die wie  Holz aussehen sollen, Nahrungsmittel, die sich verleugnen und andere imitieren etc - und der Rolle, die Fakenews in unserer Gesellschaft spielen bzw der Selbstverständlichkeit, mit der mit Lügen operiert wird, bei gleichzeitigem Misstrauen auch gut belegten Fakten gegenüber?) Wie gesagt: heute nicht mehr. Es war ein harter Arbeitstag. Gute Nacht!

(3.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 2. November 2022

2958 Wahrnehmungsspezialität

 

2:28 a.m. Fast immer, wenn ich mich zur Ruhe begebe und alle Geräte abgedreht habe, kommt der Schmerz. Manchmal nur so ein Anhauch, manchmal heftig. Mich wundert es nicht. Und ich akzeptiere das auch. Ich muß und will damit leben. Und meine Wahrnehmungsspezialität heute ist ein beinah unsichtbarer Nebelschleier, der in meinem Zimmer schwebt, nur bei einem bestimmten Lichteinfallswinkel bemerkbar. Zunächst leicht erklärt mit vom Aufschütteln der Bettdecke aufgescheuchtem und nun schwebendem Staub und der einen oder anderen verschmierten Stelle auf dem Glas meiner Lesebrille. Ich spiele wahrnehmungstechnisch mit diesen optischen Täuschungen (?), betrachte diese vagen Schleier, will sie sozusagen mit den Augen und meiner Konzentration festhalten oder wenigstens als Form stabilisieren. Und das gelingt auch. Auch wenn ich diese Schleier aus den Augen verliere, kann ich sie jedes Mal wieder finden. Jetzt zum Beispiel fließt eine regelrechte Wand aus Dunstschleiern von oben nach unten und hört nicht auf. Ich aber werde langsam müde. Das große Hinunterschweben fängt an.

(2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2957 Schmierenkomödie

 

Ich fürchte mich in die Morgendämmerung hinein, mit meiner Angst vor dem Winter, der Kälte, der Armut, davor, dass das Floß, auf dem ich treibe, zerbricht. Der Sog dieser Angst ist unheimlich, denn es ist nicht kalt; das Thermometer zeigt zwanzigeinhalb Grad, während die als kalt empfundene Luft einen Hustenanfall auslöst, der sich gewaschen hat, und dann noch einen. Und noch einen.

Es sind die alten Ängste, die mich einholen, aber diesmal kann ich mich gegen sie nicht gut halten. Es würgt mich beinah vor Angst. Ich fürchte  mich vor den Anforderungen des Tages (als weltfremder Mensch in der fremden Welt überleben). Ich bin völlig überfordert. Ich könnte schreien. Schreie aber nicht. Das Bild, das immer wieder in meinem Geist auftaucht: Pistole an die Schläfe und bumm. Davon bin ich jedoch so weit entfernt und Gottseidank so weltfremd und lebensuntüchtig, dass ich niemals wüßte, wie an so ein Gerät zu kommen und wie zu bedienen. Ein Teil von mir schaut diesem Kopftheater erstaunt zu, wundert sich, was da mit mir abgeht. Ich meine, das ist ja eine Schmierenkomödie der Überschätzung der eigenen Wichtigkeit, wenn ich mir als Versager und gescheiterte Existenz vorkomme, weil ich auf dem Weg zum Klo (ja das tut er eh noch brav!) aus dem Bett gestiegen im Dunklen mit dem linken Fuß den linken Hausschlapfen verfehle, als ich reinschlüpfen will!

(1.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2956 Zeitumgestelltes Licht

 

Es ist nichts passiert und trotzdem hocke ich irritiert und ratlos im Bett. Von Wut und Ärger bin ich heimgesucht: Weil meine Abläufe nicht funktionieren und die Erkältung immer noch andauert und mich zu Hustenanfällen und Niesanfällen zwingt und es zu kalt in der Wohnung ist (nicht objektiv; an 19 Grad kann man sich gewöhnen). Es brennt im meiner Brust, im Hals kratzt es, nichts Tröstliches ist da (Trost gibt es nirgends – der ist auch etwas Falsches, weil es in der Welt nichts Falsches gibt. Oder?) Vor allem aber: ich verstehe mich selbst nicht und mein Gerede da in der Klammer ist sowas von daneben und peinlich. Mein Inneres tut weh. Mein Äußeres ist bösartig und abweisend. Mir ist zum Heulen – jetzt in der Früh, gleich nach dem Aufwachen. So bleibe ich einfach mit knirschenden Zähnen vorm aufgeschlagenen Notizbuch hocken und weiß nicht weiter. Das zeitumgestellte Licht läßt die Blätter des dreifachen Wohnzimmerbaumes glänzen, dort wo es sie erreicht – und die Blätter greifen danach und strecken sich sehnsuchtsvoll hin. Aufstehen aus dieser ranzigen Suppe wäre eine gute Idee, aber mir ist zu kalt.

(30.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2955 Und jetzt?

 

Im Kaffeehaus dieses brutale, gräßliche, laute Herrengelächter und über die beiseitegeschobenen Bausparer (was immer das heißt) und dieses gurrende, zuwidrängende Gegacker der begleitenden Weiber, mit gelegentlichen, sich überschlagenden Lachorgasmusspitzen. Das alles empfinde ich als eine so grausliche Mischung – dieser proletoide Mittelstand – voller Zynismus und Golfspielen tut man auch und ist so weltgewandt und rauschig (mit oder mit ohne) – diese von sich selbst und uns-Begeisterung, überschlagende Stimmen, die sich permanent gegenseitig  pushen und hochschaukeln und nicht aufhören können, wobei auch gegenseitige Befehle  ausgetauscht werden („setz‘ di her do!“,  “kumm, trink aus“, „i lod di ein“). „Alles storniert“ wird behauptet. Aber am besten sind ihre Gehälter und Pensionen. („Des interessiert mi net, hahahahaha!“) Ich deute meiner Frau vorsichtig an, dass ich da raus möchte – wird  sich schon noch ausgehen – vermutlich habe ich nicht deutlich genug gemacht, wie dringend es ist.

Beim Hinausgehen muß ich mich zwischen zwei Stühlen hindurchzwängen und der darauf sitzende Mann – einer der gerade von mir heimlich beschimpften Gruppe - dreht sich um und lächelt mich wirklich freundlich und glaubwürdig an. Vielleicht wegen meiner Zöpfe, aber wirklich amüsiert und absolut nicht feindselig.

Und jetzt?


(29.10./2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2954 Zwei kahle Bäume

 

Nicht ganz so hoch: Schloßparterre. Immer noch hoch über dem Abgrund. Ein, zwei kahle Bäume, vertrocknetes Gesträuch. Der Nebel dehnt, nein: streckt, nein: bereitet sich von der Erde bis zum Himmel. Himmel und Erde vereinigen sich. Am gegenüber liegenden, aber dennoch  gleichen Ufer der Thaya setzt der Nebel an. Beim Schreiben stört mich, dass sich der Anblick meiner alten Haut meiner linken Hand, die das Notizbuch hält, wie ein abstraktes, völlig fremdes Bild dazwischen schiebt und zwar in einer entrückten, ganz abstrakten Form; wie eine schockierende Erkenntnis in unabwendbarer Bildhaftigkeit. Steigt der Nebel? Das ist nicht ganz klar. Ein hoher, sich als einzelner heraushebender Baum erscheint gegenüber im und aus dem herabgesenkten Nebel – Dichter Nebel lag auf der Erde – und fängt meine Aufmerksamkeit ein. Tatsächlich: der Nebel weicht zurück, aber ganz langsam. Mehrere Baumindividuen kommen um Vorschein. Meine Empfindlichkeit ist in unerlaubter Weise hochgefahren. Draußen dehnt sich der Nebel wieder aus und verschlingt die Individuen.

(29.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2953 Nebelschau

 

Ich sitze am Fenster und blicke von der Höhe des Schlosses in die vernebelte Landschaft. Nur die näheren Partien sind erkennbar. Und die nahestehenden Bäume, eine Straße, die sich so liebevoll den sanften Hang hinauf schlängelt, ein elegischer Schotterweg, der links abbiegt, ein Wäldchen schimmert sich gerade noch durch den Nebel, ein großer Hof, einzelne Baumgruppen. Mir kommt vor, ich könnte das ewig betrachten.  Stundenlang am Fenster sitzen und in den landschaftsverschluckenden Nebel gaffen und dabei die leibeigene Melancholie hochkommen lassen. Straßen und Wege sind wichtig; sie mögen leer und unbenützt sein, aber dass sie da sind. Von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung ungestört Nebel schauen.

(29.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2952 An den Wänden kratzen

 

0:28 a.m. Ich kann nicht schlafen. Die Luft ist schlecht. Mir ist gleichzeitig heiß und kalt. Meine Augen sind ohne Fieber fiebrig; die Erkältung hat wieder zugelegt. Einen kleinen Sonnenstich für mich Kemenatenexistenz ziehe ich auch in Erwägung. So schön es hier ist: was soll ich hier? Ich taumle nur sinnlos herum. Zwischendurch wahrlich ordentliche Kreuzschmerzen. Im Moment sind sie fast wieder weg. Ich verstehe das nicht. Das Gefühl, nicht genug frische Luft zu bekommen, weil der Hals verengt ist. Ich habe mich im Bett wieder aufgesetzt und das Licht aufgedreht. Draußen hüllt der Nebel die Nacht zur Gänze ein. Ich sehe die Aura des Stuhls vor mir an der Wand – aber das ist mir auch schon wurscht. Sie vergeht eh gleich wieder. „Traurich, traurich, traurich“ fällt mir ein. Bin ich ein Trottel wie Theo Lingen? Alles ist möglich. Mir passt jetzt gar nichts! Entzug? Immerhin kein Internet und keine Lieblingsmusik. „… dann kratzens an die Wänd …“ Ja genau. Ich beiß‘ die Zähn‘ z’samm‘! Meine Mundmuskulatur ist ganz verkrampft. Meiner Bettgenossin knurrt der Magen im Schlaf. Sie tut mir so leid,  dass ich gleich einen veritablen Niesanfall bekomme, dass es im Zimmer nur so kracht, schallt und hallt. In der Stille der Nacht. Undeutliche Bilder zeichnen sich auf meinem Brillenglas ab und verändern Form und Farbe. Wie gesagt: nichts passt mir in meiner Haut und schlafen kann ich auch nicht.

(28.10./2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2951 Die Sonne ist unten

 

Die Sonne ist unten. Im großen Salon ist es dunkel bei einer einzigen schwachen Glühbirne. Es riecht nach alten Möbeln mit Hang zum Stinken. Ein wahnwitziger Kachelofen mit Hund ganz oben. Ich kann und will diese alte Zeit wirklich nicht verstehen! Die Landadeligen und ihren fragwürdigen Geschmack. Es brummt: die alte Elektrik hier? Die Herdplatte nebenan, wo eine Gemüsesuppe meiner lieben Frau köchelt, über das Köchelverzeichnis hinaus (wir hören hier viel Ö1)? Man muß schon sagen: bei allem Verständnis: hier im Salon stinkt’s! Der alte Mief brennt in der Nase und weicht das Gehirn auf. Man bräuchte dafür gute Nerven und eine robuste Natur. Die sogenannte Gediegenheit wird zur Bürde, zur wirklich schweren Last. Und ich vertrage keinen Stuck mehr! Und keine überspragelten Bilder- oder Spiegelrahmen. Meine Frau läßt die köchelnde Suppe übergehen. Ich will mich aufregen, aber als Nichtstuer? Der Wald ist schon finster und hebt seine Konturen vor dem noch helleren Abendhimmel ab. Die Bäume direkt vorm Fenster recken noch still und ruhig ihre kahlen Äste von sich, die noch den Himmel bezeichnen können. Mir tun die Beine vulgo Füße weh. Die Suppe köchelt laut und gegen den alten Mief riechbar, aber diese Duftmischung bleibt auch fragwürdig. Ich stehe vom feudalen Stuhl auf und nehme dabei meine Füße (österreichisch) vom feudalen Hocker. In der Küche hängen ein Hirschgeweih und unzählige Reh- und Gamskrickel – ah! und ein Hirschgeweih liegt am Boden – diese krankhafte Jagd- und Trophäenmanie kann ich nicht mehr vertragen. Der Landadel muß ziemlich verblödet gewesen sein (und heute?). Wenn das so weitergeht, lande ich noch beim Le Corbusier und lasse alles alte Zeugs abreißen (Achtung! Faschismus!)! Der Deckenstuck hat ein paar schrullige Einlagen: an den Rändern der nach oben gehenden Einsenkungen sind kleine Kügelchen aufgereiht, die wie die mit Spucke zubereiteten Papierkügelchen im Munitionslager am Rand eines Schultisches von zehn bis vierzehnjährigen Schulbuben für den Wettstreit im Papierkugelbblasen via leerer Kugelschreiberhüllen ausschauen. (Übrigens: das Geschirr habe ich eh abgewaschen und den Herd geputzt!)

(27.10./2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2950 Gottvater rieselt der Dreck den Rücken runter

 

Die Stadt hinter den Mauern. Die Sonne scheint teilweise herein. Die groteske Säule ist auch lichtbeschienen und schmutzbelegt, was ihr – beides! – gut tut. Kurz habe ich geglaubt, der Heilige Geist hat sein Köpfchen nach unten, aber falsch! Es ist richtig, wie es sich gehört hat er den Kopf nach oben. Ich werde zur Säule gehen und dann in die Kirche, die lokalen Geister bestechen. Wenn sie offen ist, was sie laut Kirchenrecht sein muß (ich muß mich nicht im Vorhinein aufregen!). Nun sitze ich hinter der Pestsäule, den mehr oder weniger heiligen Sebastian kann ich erkennen und den Heiligen St. Florian - schon' unser Haus – zünd’s andre an. Beide recht schiefköpfig (die Barocke ist ein elendiges Theater, völlig unernst und scheinheilig). Gottvater rieselt der Dreck den Rücken runter und auch dem halbnackten Sohn – wie mir manchmal der Schauder. Die Heilige Miriam versucht’s hinzubekommen, aber sie sitzt auch so komisch da mit obszönem Hüftschwung und koketter Beinarbeit. Nur ein paar Sekunden lang verstummen die Autos – von meiner Blasphemie geschockt? – dann geht der penetrante Lärm gleich wieder los. Mein lautes Gerede vorhin im Kaffeehaus am Handy war blöd: Entschuldige, Universum! Entschuldige, universale Ethikkommission! Es war blöd und eigendünklerisch! Ich hoffe, ich habe damit die Welt nicht zu sehr durcheinander gebracht! Ich habe nämlich – mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa –  einen Keileranruf von Greenpeace abgekürzt, indem ich laut und für alle hörbar meine Pensionshöhe hinausposaunt habe. Und dafür sollte ich mich schämen! Für die geringe Pensionshöhe? Das auch, aber vor allem, weil das eine Angeberei war. Nur mir ist es schon wurscht, denn womit soll ich sonst angeben? Mit meinen Sportwägen, meine Weltreisen und meinem beruflichen Erfolgen kann ich es nicht. Ich geh gleich in die Kirche Buße tun.

Nun sitze ich beim Heiligen Martin und seinem Gansl, nicht allzuweit vom gruseligen Heilige-Valentina-Gerippe. Kalt ist es hier, saukalt. Alles der Andacht abhold. Von Buße und Reue keine Spur. Nur Spott auf den Lippen. Die Kanzel an der richtigen, der Herzseite, aber alle diese posierenden, verdrehten Theaterfiguren! Besser ich gehe wieder. Hier habe ich nichts verloren.

Im Osten der Kirche steht eine Rolandsäule – Roland, der Ritter mit dem  blechernen Eierschutz – angeblich die höchste Prangersäule im deutschsprachigen Raum – da wollten einige hoch hinaus – vorgesehen für sittenlose Weiber und trunksüchtige Männer (sittenlos durften die Männer offensichtlich sein). Okay. Okay. Okay .Der Bus zwängt sich durch die schmale Ortseinfahrt herein. Und dann wieder hinaus.

(7.10./2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2949 Das obere Drittel

 

Ich sitze an der Schloßmauer in der Sonne, vor mir das obere Drittel der Krone der Trauerweide, die unten im  Burggraben wurzelt, begleitet von ständigem Autoverkehr links über die Brücke zum Stadttor – schade, dass das keine Zugbrücke ist. Ich huste ins Sonnenlicht und ich bin zu warm angezogen. Laut T-Shirt – ich habe meinen Hoodie ausgezogen – bin ich scheinanwesend, was nie ganz falsch ist. Stimmen aus dem uneinsichtigen Burggraben, und Lachen, vermutlich aus einem Garten auf der anderen Seite des Grabens – mir nicht ganz geheuer, weil es ins Hämische gegangen sein könnte. Die Vöglein zwitschern und pfeifen es unter die Dächer, die Autoreifen auf Asphalt heulen von weitem her. Das Auge sieht fast nur Ruhiges und Unbewegtes, das Ohr hört Unruhiges, Hektisches und aufgedreht Nervöses:  eine nervenaufreibende Diskrepanz. Meine Frau liegt tief unter der Schießscharte am nackten Schotterboden und hat ihr Haupt an das steinerne Stadtwappen gebettet (oder ist’s der Doppeladler?). Es ist wirklich nicht ruhig hier und ich werde nervös: ich sollte mich mit den lokalen Geistern und Schutzpatronen gut stellen, sonst wird das nichts - wenigstens mit denen! Die via Autocontainer eingeschleppten (in jeder Höhle lebt ein Geist) sind schon zu viele und zu unübersichtlich, als dass man sie ablitaneiisieren könnte. Meine Nase ist nicht frei. Es ist etwas Dumpfes in dieser späten Sonnenwärme auf meiner Haut. Meine Frau zieht ihre am Arsch mehrfach gestopfte lange Unterhose aus und sitzt in der kurzen schlapprigen, die das halbe Schamzeugs, für das sich frau nicht schämen muß, herzeigt, auf der Bank in der Sonne. Nur ich bin es, der nervös wird, weil es draußen etwas auslösen könnte, das auch für mich unangenehme Folgen haben kann. Göttinseidank zieht sie sich endlich die lange, rosa Leggins an.

(27.10./2.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 1. November 2022

2948 Nebel 2

 

Auf der Thaya liegt der Nebel und darüber leuchten schon die dunklen, goldenen Wälder. Die Sonne ist noch nicht heroben; es ist noch die Zeit der Morgenröte. Der Blick kann über die Nebelschwaden weit über die Hochebene gehen, die gar nicht so eben ist, sondern sanft hügelig und von tieferen Tälern durchschnitten. Jetzt beginnt sich der weiße Nebel aus dem Tal zu erheben. Langsam tut er das, in extremer Zeitlupe. Eine Krähe höre ich rufen. Eine sehe ich fliegen. Möglich, ich habe mich getäuscht und der Nebel steht noch nicht auf. Die Heizung gluckert. Es wird heller und heller. Der Himmel ist von unzähligen Kondensstreifen zerkratzt. Eine ganz schwarze Krähe flog ganz nah am Fenster. Jetzt steigt der Nebel und wölbt sich. Ein Schwarm Spatzen saust über das Nebelfeld. Es sind deren einige, die ihr Tagwerk beginnen. Und sie scheinen gut zu wissen, was ansteht und wo sie hin müssen. In meinem Kopf beginnt plötzlich ein Krieg. Ich kann mich aber wieder herausreißen. Der Nebel über der Thaya sackt in sich zusammen. Die Landschaft ist so weit. Ich beginne mich eingesperrt zu fühlen und werde unruhig. Das Sonnenlicht erreicht die ersten laublosen Bäume, und dann die Dachspitze des Hexenhauses und dann die Wälder dort drüben stellenweise. Der blaue Himmel hinter den drei kahlen Linden ist von herzzerreißender Schönheit. Der Nebel ist jetzt weg.

(27.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2947 Nebel

 

3:28 a.m. Noch kommen Sterne durch den Nebel, noch liegt die Landschaft einfach da, dem Nebel hingegeben. Mein inneres Erleben, das ist nicht wahr. Dann huste ich und die kalte ländliche Luft reizt meine Lunge zu einem Anfall nach dem andern. Das kleine Zimmer ist recht groß. Die Stille ist enorm und intern musikalisch reich. Ich bin aus dem Schlaf gewacht. Ein Niesanfall zerknallt brutal die Stille hier im Schloß. Meine Nase wird das Zentrum des Universums, wo alle juckenden Fäden zusammenlaufen. Selbstbewußt bewege ich meinen Kopf und damit meine wichtige Nase in verschiedene Richtungen. Kennt sie sich jetzt aus? Tränen an den Wangen, Schatten an der Wand. Die einsamen Bilder können den Bedeutungsstau nicht bewältigen. Dort, das Canapé tut mir nicht weh, aber beunruhigt. Eigentlich ist dieses schöne Zimmer nicht möglich, es fehlt die dazugehörige Zeit, die mir nicht abgeht und die ich nicht vermisse. Ich bin zu unbedeutend für diese Größe. Zurück in die Buwogsiedlung der Fünfzigerjahre, da war noch Zukunftszuversicht und Aufbruchsstimmung. Ah geh! Dir gefällt es doch eh, auf der Feudalwelle zu schwimmen.

Mit dem kleinen Licht im Zimmer ist am Fenster absolute Finsternis. Meine Lunge brennt. Du hast Angst. Gib es zu! Irgendwo bist du durchgerutscht und jetzt hockst du da als wärest du in deinem Zimmer daheim. Aber es ist nicht dein Zimmer, sondern fremd. Sehr fremd. Die Oberfläche der Wolldecke über dem Bett da vor mir schaut wie eine befremdende Landschaft auf einem anderen Planeten aus. Die Schatten sind hier auch anders. Ich habe den Verdacht, dass mein Zimmer zuhause die reine Abwehranlage gegen die Angst ist, das ich mir über die Jahre aufgebaut und mit Abwehrbildern ausgestaltet habe, und jetzt fehlt es mir. Kein Sommer ist jetzt da, der das hier überspielen und vertreiben kann. Der Herbst bringt es mitten in der Nacht an den Tag.

(27.10.2022)

©Peter Alois Rumpf  Oktober 2022  peteraloisrumpf@gmail.com