Dienstag, 31. Mai 2016

369 Der Hubschrauber

Der Hubschrauber röhrt, fliegt und brettert wie eine lästige Riesenwespe heran; immer wieder, anscheinend kreist er da herum; steuergeldsubventionierte Bubenspiele sind das. Was kann denn schon so wichtig sein, daß es eine halbe Stunde permanente, penetrante Lärmbelästigung rechtfertigt? Verkehrsüberwachung? Das Chaos des steuergeldsubventionierten Bubenspiels Autofahren?

Draußen ist es jetzt still; schaut aus, als wäre es vorbei. Mein Geist rotiert noch aufgescheucht; ratlos lauert er auf das, was kommt. Es kommt jedoch nichts. Auch wenn er nach innen lauscht, es kommt nichts. Das hat er davon, weil er sich an den Hubschrauber gehängt hat, jetzt leidet er an einem seelischen Gehörsturz.

So, hör mit den schiefen Bildern auf! Akzeptiere doch einfach, daß momentan nichts kommt. Die Seele darf sich auch ausruhen, erholen.














©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

368 Einfrieren

Wieder die Stille inmitten der Nacht. Gibt es etwas neues? Bis jetzt bemerke ich nichts. Nur das Wort „einfrieren“ ist aufgetaucht, komplett sinnlos, von einer fremden Stimme in meine Gedanken geflüstert. Ich habe es nur gehört, weil gerade mein Aufmerksamkeitsscheinwerfer vorbeigestreift ist; sonst wäre das Wort nicht in mein Bewußtsein gelangt.
Reden da eigentlich noch mehrere, und ich bekomme es nicht mit? Und was sagen sie? Landen diese Einflüsterungen in meinem Unterbewußtsein und was machen sie dort? Redet da eine ganze Horde auf mich ein und sickert das dann in Gedanken, Handlungen und Bewußtsein? Oder redet da doch nur ein Teil von mir? Aber was will der einfrieren?











©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 30. Mai 2016

367 Der Alltag hat begonnen

Festlärm weht windmoduliert zum Fenster herein. Freiluftkonzerte. Der Wind heult dazwischen. Ich bin sehr müde, erschöpft. So ein untergründiger Ärger verfestigt sich immer mehr. Vergeblich horche ich auf die Musik, nur wenige kompakte Fetzen erreichen mein Ohr. Könnte mir gefallen, aber dann ist es wieder weg. Etwas ganz Unzufriedenes beginnt in mir zu rumoren. Will ich auch dabei sein? Nein, das glaube ich nicht.


Die ganz große Stille im Lichtschacht wird allmählich lauter, als bräuchten meine Ohren Zeit, um wieder hören zu können. Amseln, Tauben, Spatzen, Mauersegler, Badezimmer und Klogeräusche – vor allem Wasser. Menschliche Stimmen. Immer deutlicher ein pulsierendes Surren um meinen Kopf, fast schon physisch, taktil, als Druck spürbar. Aufwickeln oder Einwickeln mit Plastikfolie. Kratzen im Kochtopf – also Küche. Morgenjournal mit unverständlichen Radiostimmen, in fast quäkender Satzmelodie.
Der Alltag hat begonnen.










©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


366 Luftlinienskulptur

Zirka zwanzig kleine Fliegen tanzen ständig um die abgedrehte Deckenlampe und bilden ein äußerst dynamisches Mobile, oder eine sich rasant verändernde Luftlinienskulptur, die jedoch kompakt bleibt, wie ein komplexes Molekül oder ein verrückt gewordenes Sonnensystem, das sich gerade noch nicht auflöst. Das ist Fliegenmeditation für mich als am Rücken liegender Betrachter.

Getue an den Mistkübeln im Hof. Ich schaue nach, ein Schwarm Krähen räumt die Müllcontainer aus.









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365 Hallo Apollo

Apollo, Apollo, Hallo Apollo! Du grüner Magnet, ans Management angeschlossen. (Das ist) Irreführung nicht der Behörden, aber der LeserInnen (Leser innen). Spätnachmittagsruhe im zweiten Bezirk draußen vor der Altstadt. Weib! Kannst du meine häßlichen Zehennägel überhaupt anschauen? Ja, sie sind mir sehr vertraut. Entschuldige, eigentlich wollte ich … aber jetzt muß ich was anderes machen … da waren fünfzig Ideen vor zwei Minuten, jetzt schon wieder vergessen. Dann lege ich alles weg. Wir möchten der übermäßigen Wasserverschwendung verhindern. … Tag gewechselt.

Wir kommen und gehen, wir kommen und gehen. Wir lassen uns gehen. Laß uns gehen. Ausgewechselte Gedichte.

Die Rechnung in der Altstadt listet reale und irreale Speisen auf. Ich bin zu hochmütig um zu streiten. Und zu unsicher. Ich denke immer, vielleicht irre ich mich. Aber ich kann das über Bord werfen, dann bin ich frei und lache und zahle auf irgendein unbekanntes Notkonto ein, dem Universum zuliebe.

Ja, vielleicht habe ich mich wirklich geirrt und alles war korrekt. Sicher war alles korrekt! Wieder hochmütig, aber im anderen Uhrzeigersinn. Jetzt fällt es mir schwerer, alles über Bord zu werfen. Der Schrecken der falschen Anklage wiegt schwer. Siebenundzwanzig minus Zweisiebzig ist Vierundzwanzigdreißig; ungefähr vierzehn mein Essen, bleiben ungefähr zehn. Hm. Wenn mein Essen sechzehn war, dann bleiben nur mehr acht. Hm. Ich weiß nicht mehr, was die Getränke gekostet haben. Vielleicht hat doch alles gestimmt. Gut, daß ich ordentlich Trinkgeld gegeben habe. Ich bin äußerst beunruhigt. Was ist jetzt mit dem Universum?




Das schönste Morgenvogelkonzert seit Jahren, es kommt aus dem ruhigen Park vorm Fenster, der sich bald mit vereinzelten Morgenalltagsgeräuschen abfinden wird müssen. Die Stimmen der Krähen zum Beispiel jung und stark, die Amseln kraftvoll und inbrünstig in der Dämmerung. Ein Hund mischt sich bellend ein. Die Luft ist frisch und kühl und schön. Und wieder die klaren, starken Ansagen der Krähen, einzelne Rufer, die sich durch den Morgen bewegen. Das gutturale Gurren der Tauben, die feinen, scharfen Rufe der Mauersegler und das Zerreißen von Karton unten bei den Abfallcontainern; jetzt, wo es schon hell ist, die vereinzelten menschlichen Stimmen der Morgenarbeiter. Es bleibt ein friedlicher Morgen, soweit ich es erfasse. Na gut, ein Auto geht schon an die Grenze, indem es startet und dann um die Ecke fährt. Türen schlagen, ein Elkawe mit Rückwärtspiepen. Nun ist es ziemlich laut, gleich darauf wieder Ruhe. Flügelschlagen der Vögel, das Huhuhuhuuu einer enthusiastischen Taube; eine tiefe, alte, fast zornig wirkende Krähe. Jetzt hu – hu - - huu. Autoreifen auf schottrigem Boden. Mehrere Tauben im Chor. Ein Krähenrufer fliegt am offenen Fenster vorbei. Die Frau neben mir schläft mit konzentriertem Gesicht. Jetzt zum erstenmal das Tschilpen eines Spatzen. Das ausgedünnte Donnern eines Flugzeugs. Unidentifizierte Motorengeräusche aus der Ferne, vibrierend- rotierend, eventuell Rasenmäher. Wieder ein startendes Auto. Es ist Fünfuhrfünfundvierzig in der Früh. Die kühlen Repräsentanten des Wohlstand im Kühlschrank; ich nehme Mineralwasser und Dschuzz.
Jetzt ist das Sonnenlicht da.
(Da fällt mir ein! Rudi, mein erster Lektor.)








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Mittwoch, 25. Mai 2016

364 Wundertäterfragment 21

Der Wundertäter geht durch die Welt, und bringt alles zum Blühen. Ohne daß er es merkt?
Oder er sitzt herum und macht mit seinen Händen so aufblühende Bewegungen, einfach indem er seine geschlossenen Hände nach oben hin öffnet und dabei die Finger leicht spreizt. Und schon, überall dort, wo es gebraucht wird, gehen die Blumen und Blüten auf. Er selber weiß es jedoch nicht!












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363 Die Katze spinnt

Einatmen. Ausatmen. Relativ schnell und kompakt. Der Wind bläst spürbar durch die Ritzen. Auch hier im Bett fühle ich den Luftzug deutlich. Und heult. Stoßweise, dann ist er wieder ruhig. Ich seufze. Brustkorb und Bauch heben sich, und senken sich wieder.
Die malträtierten Ohren schreien geradezu im fast stillen Alarm, leicht zu überhören. Aber wende ich meine Aufmerksamkeit hin, dann kreischen sie ganz laut; plötzlich tut sich ein ganz anderer Klangraum auf, eine vom Surren dominierte Welt.
Jetzt heult der Wind auf, um seine akustische Vorherrschaft zurückzuerobern, aber nur kurz, er hat sich – scheint's – verausgabt.
Jetzt taucht neben dem Surren ein Stampfen auf. Stampft ein paarmal, dann ist es wieder weg. Die Teile meiner Umgebung lösen sich voneinander und verschieben sich. Freiwillig, so hoffe ich. Geräusche wie von ein paar Mauern entfernten, schweren, umstürzenden Gegenständen. Irgendetwas zieht und schraubt an mir herum. Vor Müdigkeit löst sich die Alltagswahrnehmung auf. Meine rechte Energiehand zupft an meinem rechten Ohr. Energieohr, wie ich annehme. Die Augen fallen mir immer öfter zu. Lahko noč!



Traumverfremdet und verwirrt. Zu früh aufgeweckt. Die Katze spinnt! Die Akustik der Dusche bearbeitet meinen zweiten Körper, denn ich spüre die Wassertropfen auf meinem Energiekörper auftreffen. Damit es kein Mißverständnis gibt: ich selber dusche nicht.
Eine kurze Hohlheit im Bauch.
Das lange Warten auf ein Wort. Mein verwirrter Geist kommt mit den Wörtern nicht zurecht. Erinnerungen steigen auf, an die ich mich nicht erinnern kann, wie Blasen ohne Inhalt.
Pulsieren an meiner Kreuzwehstelle, ein Schauder über den Rücken bis zur Schädeldecke, es kribbelt so richtig, am Schluß am Kopf.

Gaunerzinken einer anderen Welt, mein Haus steht abseits im Wald. Ich kann vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen.

Ein Lächeln über und für die Jugend.

Ein Schlachthof in idyllischer Landschaft leitet das Blut in den Bach.

Ich halte den Kopf ganz schief. Bürokratisches Tellerrücken.

Das Surren heute symphonisch. Wieder das Kribbeln am Kopf.

Die angezogenen Beine amüsieren mich und geben mir das Gefühl des Jung-Seins. Ich bin jung, jung, gerade erst beim Erwachsen-Werden. (Oder beim Auf-Wachen.) Darum schreibe ich auch so frisch und frech! Ohne literarische Vorbildung.
Frisch und frech? Wo?

Meine Seele will mein Alter nicht zur Kenntnis nehmen; sie fühlt sich noch jung und kindlich. Ins Zimmer darf ich noch nicht gehen, dort schläft eine andere Seele, mindestens so jung wie meine. Die Blumen gieße ich später. Ich gehe jetzt das Wäschewaschen an, zuerst noch mit ungelenken Schritten.
Der Wind ruckelt und zuckelt noch herum.
Jetzt fallen mit die Sätze zu früh ein; wenn ich die Augen aufschlage sind sie – schon geflohen – wieder weg.
Bleibt nur noch die Frage, wie ich zu Geld kommen könnte.

- - - - - - - -.















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Dienstag, 24. Mai 2016

362 Im Namen des Gedichts von Herbeck

Ich schreibe den Namen des Gedichts* hin, dann streiche ich ihn wieder durch. Weil – so kann man keinen Text beginnen.
Heute hatte ich sehr, sehr viele Ablehnungen, aber doch auch überdurchschnittliche fünf Interviews. Das könnte ich auch wieder durchstreichen. So beginnt kein ordentlicher Text. Da ist kein Fleisch auf den Knochen. Oder umgekehrt, kein Knochen im Fleisch.




Das Flimmern vor meinen Augen erzeugt einen Farbteppich, wie der Regen draußen einen Klangteppich erzeugt. Gerade vorher habe ich noch in einem Haus-am-Fluß-ähnlichen Studententreff den jazzigen Kontrabass gespielt, aber die anderen Bandmitglieder haben nicht richtig weitergetan, sodaß ich alleine unsere Musik tragen mußte und durchziehen. Ich habe es mit rhythmischem Baßspiel geschafft. Die jungen StudentInnen – unser Publikum – waren sehr unaufmerksam und laut.
Aufgewacht in eine düstere Finsternis, meine Eingeweide zittern noch. Erst jetzt merke ich, die zwei Visionäre glurren mich an; mir kommt vor, sie grinsen wissend und freundlich dabei; ihr vollerer Blick scheint lachen zu machen.
Eine kleine Explosion in den Innereinen, die ich nicht zuordnen kann, löst eine kleine Schockwelle aus.
Die Regentropfen haben sich vereinzelt.

Eigentlich ein schöner Morgen, so, wie ich ihn liebe: langsamer Übergang vom Schlaf in den Wachzustand, langes Verharren im Zwischenreich, die Empfindungen und Stimmungen aus dem Traum noch lange nachhallen und ausklingen lassen.

Nun greift der neuerliche Regenteppich meine Stimmung auf und transportiert sie fliegend ins Allgemeine. Kommt mir zumindest so vor.
Eine schöne, schöne Stille erzeugt sich hier und jetzt. So möchte ich bleiben, in dieser Kontemplation könnte mein Leben noch lange weitergehen. So eine Art unsichtbare Bedeutung, unsichtbarer Sinn zieht fast schon sichtbar durch meine Kammer. Meine Kammer erfüllt.
Diese Stille scheint unzerstörbar, aber sie ist es nicht. Sehr unwahrscheinlich, daß ich dem Geschrei und Gezerre des Alltags standhalte. Aber möglich wäre es, standzuhalten. Das auszusprechen ist mir ganz wichtig: ja, das Standhalten ist möglich!











* (Es handelt sich dabei um das Gedicht „Heimweh.“ von Ernst Herbeck. Als ich es am Samstag in der Ernst-Herbeck-Ausstellung in Gugging an der Wand gefunden und gelesen habe, hat es mich unglaublich berührt; mehr als gerührt: getroffen. Zu finden ist es im Buch „Ernst Herbeck, Der Hase!!!!“; ausgewählte Gedichte; herausgegeben von Gisela Steinlechner; Verlag Jung und Jung)











©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 23. Mai 2016

361 Versuch eines Testaments

Nachdem es so ausschaut, als würde ich keinen Verlag für meine Texte finden, muß ich mich selber darum kümmern, was nach meinem Tod mit meinen Texten passiert. Ach Scheiße! Ich hätte gerne meine Ruhe gehabt. Aber das ist das Einzige, was mich noch beunruhigt: daß meine Texte nach meinem Tod verhunzt werden könnten! Und ich sie nicht beschützen kann. Daß sonst nichts mehr wird, das habe ich akzeptiert.

Aber ich sehe sie schon, die Lehrer- und Lektorentypen, die meine Rechtschreib- und Grammatikfehler ausbessern! ES GIBT IN MEINEN TEXTEN KEINE RECHTSCHREIB- UND GRAMMATIKFEHLER! Und auch keine Stilfehler! Und daß ich zwischen neuer und alter Rechtschreibung changiere ist Absicht! Bei „Hass“ nehme ich Doppeles, weil das schärfer, aggressiver ausschaut und an die EsEs erinnert. Ein Kuß ist hoffentlich verschlungener und sanfter.
Und „Haleluja“. Ist mit einem El richtig, denn auf dem Bild, das ich da beschreibe und das mir meine damals sieben Jahre alte Tochter geschenkt hat, hat sie „Haleluja“ geschrieben. Genau so. Das ist also mit „Haleluja“ genau, akkurat und präzise beschrieben. Das nur als zwei Beispiele für viele.

Ich hasse es auch, wenn mir der Computer ständig dazwischenpfuscht!

Interpunktation (sic! Ein echter Fehler; Ätsch!) hat oft mehr mit Atemholen beim Vorlesen zu tun, mit Stolpern beim Denken und Assoziieren, mit Zusammenbinden und Auseinanderhalten von Wörtern und Worten und Empfindungen und folgt mehr meiner inneren Logik. Ach, wie ich sie hasse alle diese Besserwisser und Schnösel, die über meine Texte herfallen werden! Es ist wirklich blöd, wenn ich dann tot sein werde.


Gut, ich gebe zu, manchmal entdecke ich doch noch den einen oder anderen echten Fehler, aber ich verbiete allen, der ganzen Menschheit, irgendetwas an meinen Texten zu ändern! (Gilt natürlich nicht für die Schrift, ich meine die Schriftart.) Am Text nichts verbessern! Ich weiß, das ist schwer! Oh, ich weiß, das ist sehr schwer! Ich habe mir letztens im Esslmuseumsshop extra einen Riesenradiergummi gekauft, auf dem „I Herz mistakes“ steht. Obwohl ich kaum mit Bleistift schreibe. Er liegt jetzt am Schreibtisch und erinnert mich. Soetwas (sic! Ätsch!) empfehle ich euch auch. Bevor jemand an meinen absichtlichen Fehlern etwas ändert, halte ich lieber meine unabsichtlichen aus. Ende!


„Bei wie vielen Verlagen hast du es eigentlich probiert?“
„Hä? Was?“
„Naja, bei wie vielen Verlagen hast du versucht, deine Texte anzubringen?“
„Eigentlich bei keinem …“


Da fällt mir ein jüdischer Witz ein. Moischele betet jeden Tag zu Gott, daß er im Lotto gewinnen möchte …   














©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


360 Die letzten Tage

„Darf ich Sie befragen?“
„Aber ja, gerne!“



Mein Pilotprojekt neigt sich dem Ende zu. Mein Kugelschreiber schreibt schon äußerst schwach. Das hat dann nichts mit meiner inneren Verfaßtheit zu tun – ich werde immer stärker.
Ich spüre eine starke Kraft in mir.
Und danke! Danke! Danke!
blbl.



Heute schreibt der Kugelschreiber wieder, aber ich selber fühle mich sehr schwach. Heute kann ich mich nicht wehren. Ich kann einfach nichts entgegenhalten. Nicht nur, daß mir nichts einfällt – das ginge ja noch – nein, ich finde nichts, was ich entgegenhalten könnte, was eine Gegenwehr rechtfertigen würde. In mir finde ich das nicht.Woher nehmen, wenn nicht stehlen?



Das ist ein kolossaler Rückzug! Großartig! Was kann man da machen? Fäden ziehen. Vertikale Längsstreifen. Glurren, glurren und immer wieder glurren. Rechts dann der Tanz ins Licht. Ein richtiger Volkstanz eigentlich. Links unten das grünliche Leuchten beim abgeschnittenen Daumen. Kurz. Eh nur kurz. Das dritte Auge da drüben, neben dem Kamintürl. Eigenartige Anatomie. Noch eigenartigere Ohjatomie. Zum erstenmal entdeckt: eine Bach'sche Farbkombination.

Kombinege. In meinem Gehirn arbeitet irgendeine sulzige Substanz gegen meine Erinnerungen. Wie hat der Katalog geheißen? Ich muß wieder öfter die Quellform üben.

Die schrille Surrsymphonie dröhnt ganz stark, ein Klangteppich. Tepp ich. Nein, das streichen wir wieder durch. Das ist ein schlechtes Echo. Aber es versiegt. Was siegt?



Manchmal genieße ich es, nichts zu wollen. Nichts zu erwarten wäre klüger. Aber ich genieße es, nichts zu wollen. Da werde ich geradezu andächtig meinem Leben gegenüber. Ich will nicht einmal an mir etwas ändern. Und das will was heißen. Aber sie hält nur kurz an, diese Andacht. Wehmut weht mich dabei an und so eine Art Tapferkeit. Keine richtige, nein, eh nicht, nur so eine Art von Tapferkeit; nicht viel mehr als nicht das Feld zu räumen.
Wo ist der Gedichtband? Bei zwei Gedichten gestern habe ich mich ein wenig weggedreht, damit niemand merkt, daß ich gegen das Weinen kämpfe.



Viele Krähen rufen in der Ferne, eine Amsel ganz nahe. Menschliche Stimmen – monoton, müde – mischen sich von unten dazu. Und eine Taube von außen. Und wieder die Krähen. Ein richtiges Palaver. Ein Flugzeug landet und ein Auto gibt Gas. Noch ein Flugzeug. Sie beginnen zu dominieren.
Die menschlichen Stimmen sind jetzt lauter, näher, munterer, wirken aber trotzdem deplaziert. Naja, zumindest ich will sie nicht hören. Arbeitsstimmen.
Man wünscht sich einen Segen über alles, aber alles ist dazu nicht bereit.
Auch ich bin nur eine müder Chronist, ohne Lust, alles aufzuschreiben. Eine Müdigkeit, die durch schlafen nicht wirklich besser wird. Die schrillen Rotationssirenen einer Motorsense. Jetzt die Kirchenglocken, die mich immer noch ansprechen, nach so langer Zeit, und zur Zuversicht rufen. Alles hat seinen Sinn. Auch als Zaungast. Die Amsel schmettert ihr Lied und lockt in eine andere Richtung.












©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 17. Mai 2016

359 Verdächtig wirkende Zufälle

Verdächtig wirkende Zufälle haben meine Kindheitsträume blockiert. Und die weißen Ränder belegen meine Konturen. Es ist die Müdigkeit, die alles verschwimmen läßt. Keine rechtsschaffende Müdigkeit; und auch für visionäre Blicke ist es schon zu spät. Morgen muß ich wieder neu beginnen.

Die Montagmorgenangst am Dienstag in der Früh, sie bohrt sich dumpf durch meine Innereien. Wie werde ich die lästigen Probleme lösen? Für visionäre Blicke ist es noch zu früh. Ach, altvertraute Angst, du kannst mich immer noch erschrecken, lähmen! Die Seele windet sich und will nur dieser Angst entfliehn. Mein Herz klopft außerhalb des Körpers, beim  Kopf hängt zugespitztes Surren fest.
Wo ist der Geist von Samstagabend hin? Da wußte ich, daß alles gut ist; mein schöner, großer Traum gehört zum Traum der Erde. Das war mein Wunder an diesem hohen Feiertag; ich konnte reden und auch alles gut verstehen, in Schönheit war mir alles klar gezeigt.
In dieser Angst muß ich nun davon zehren, das geht nicht leicht, es ist, als hätte es ein anderer erlebt. Die Angst, die läßt sich einfach nicht verscheuchen, sie sitzt noch schwer in meiner Körpermitte;  ich lege mich jetzt hin wie aufgebahrt. Die Katze steigt auf meinen Bauch und wärmt die Körpermitte. Die zweite Katze kommt herein und es gibt Streit, letztendlich gehen beide aus dem Zimmer.










©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 15. Mai 2016

358 Eh!

„Ich lebe den Großen Traum
und ich lebe in dieser Welt
und ich nehme den Geist dabei mit.
Schön, daß es heute und alle Tage meines Lebens so ist.“

„Eh! … eh! Aber das alles ist kompliziert. Ich mein' … so einfach ist das nicht. Ja, eh … aber es ist schon komplizierter.
Sicher, wir sind gut aufgestellt, … eh! … eh! … Aber letztlich ist alles eine Illusion. Sicher, … eh! … Norden – Osten - Süden … schön und gut, eh. … Eh! Aber ich mein', wir tauschen nur eine Illusion gegen die nächste aus. Man kann schon sagen, der Norden,  der Osten,  der Süden – das ist gut. Eh! … Eh, aber kann das alles einen Sinn haben?
Gut, ja … und der Westen! Eh! Man kann es gut sagen. Eh. Benedicere. Segnen. Eh! Ja! Aber genügt es, mit den Händen zu herumzufuchteln? Ich glaube nicht!
Sicher. Wer weiß das schon. Eh! Vielleicht geht da wirklich etwas hindurch. Aber ich weiß nicht recht – schaut's nicht wie Illusion aus? So tun als ob? Glaubst du wirklich, daß der bedrängte Holunder heuer stärker blüht, weil du ihn über den Winter fast täglich gesegnet hast? Ich weiß nicht. Ist das nicht Selbstüberschätzung? Ich mein', eh! Wer weiß, vielleicht doch. Wer weiß das schon.
Und das mit dem Heiligen Geist. Eh! Es wird ihn schon geben, vielleicht. Eh! Aber die Flammen – das werden sie sich nur eingebildet haben. Oder? Eh, was heißt überhaupt 'eingebildet'! Sicher! … Aber wie die auf dem Bild verdreht dastehen, nein, das ist psychologisch.
Ja, ich mein' eh, da kann sich auch etwas anderes ausdrücken, aber so verdreht? Da hat der Freudianer schon recht. Oder?
Eh! Der Freud hat vielleicht nicht tief genug getaucht, eh! Aber, ich mein' … ich weiß nicht … Eh! Aus welchem Jahrhundert stammt denn überhaupt das Bild? Eh, aber … “

„Ich lebe den Großen Traum
und ich lebe in dieser Welt
und ich nehme den Traum dabei mit.
Danke, daß es heute und alle Tage meines Lebens so ist. Amen“



















©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 13. Mai 2016

357 Neuvalisische Bilder

Die tiefe Nacht zum späten Abend degradiert. Ein Uhr recte zwölf. Von wegen Sommerzeit. Summertiiiimme.
Ich liebe den Regen. Wie schön er doch klingt. Reinigend ist er, läßt an Wachstum und Üppigkeit denken, an Wasserreichtum. Kommt vom Himmel. Ja, ja, also gut – kommt von oben.

Ich schaue mir die neuvalisischen* Gesichter an, vor allem die zwei irren Visionäre. So möchte ich schauen können! Mit dieser Intensität und Heiterkeit. Und Rücksichtslosigkeit, die darf nicht fehlen (darum nenne ich sie auch wohlmeinend irre).
Die Blicke der beiden pulsieren geradezu; sie sehen um neunhundert Prozent mehr.
Ich habe keine Angst. Und ich lasse mir auch keine mehr machen. Ich weiß doch, wo ich hingehöre.
Ich seufze tief.
Jetzt kommt ein starkes Rauschen auf. Es hebt an und wird intensiver, lauter, flächendeckender. Der Regen gießt sich aus.


Künstliche, rolleautige Dämmerung. Träger Kopf und unbeholfene Glieder. Ich suche die gestrigen Köpfe zuerst an der falschen Stelle, so über den Brillenrand hinweg. Da sind sie. Und ich bin jetzt da. Obwohl sie mich anstarren, muß ich über sie lachen. Nochmals: so möchte ich sehen können, mit solcher Intensität und Aufnahmebereitschaft. Und vor allem: sie schauen als Visionäre in eine andere Welt. Sie sehen mich als Teil einer anderen Welt! Wahrscheinlich als Energiegestalt.
Dieses dichte Bild! Sozusagen ein Schweißtuch der Veronika vom Jesus beim Wunderwirken. Ich weiß nicht, wer neben ihm wirkt. Maria Magdalena?
Ah! Heilen die mich vielleicht? Vera ikon. Eine wundertätige Ikone? Können die heilen? Jetzt? Oh, das wäre schön! Wunderschön! Endlich geheilt sein. Die ganze Last meines Lebens fällt ab, wie die Krusten ausgeheilter Wunden. Ein bißchen juckt's noch, aber heil, ganz, komplett. Nichts fehlt, alles ist an seinem Platz; das Herz am rechten Fleck, (Obwohl es links ist?) Alles, was fließen will, fließt, alles, was fliegen kann, fliegt. Ja, ja, mit Flügeln. Mit den Flügeln der Wahrnehmung. Da sind wir wieder beim visionären Blick. Den stelle ich mir ganz nüchtern vor, aber in voller Fülle. Dafür braucht man keinen Arzt. Der wäre hier ganz falsch. Wir sind ja geheilt.
Oder ist das zweite Gesicht das von Johannes?  Der hatte es auch mit den Visionen. Oder sind es ganz andere Wundertäter? Das ist doch egal! Hauptsache, du bist geheilt! Und bist selber in der Lage zu schauen. Nicht nur, wie du weiterkommst.


*(Mit „Neuvalis“ signiert der Künstler Alois Neuhold seine Bilder)












©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 12. Mai 2016

356 Staub, Verrat und schöner Regen

Ein kleines Universum aus Staub dehnt sich aus und stürzt wieder in sich zusammen. Aber langsam, in Millionstel Lichtsekunden. Ich stelle fest, ich bringe alles durcheinander. Und ich vergesse so viel. Es versickert. Ich bin ein Gefäß mit Sprung.
Langsam wechsle ich die Welten, von der äußeren hin zur inneren, das typische Surren des Übergangs. Wenn denn die innere Welt nicht auch außen ist, zumindest zum Teil. Jedenfalls verlagere ich meine Aufmerksamkeit aufs Hören und sofort schaut alles anders aus und fühlt sich anders an.
Ein paar übriggebliebene Staubgestirne kreisen immer noch herum, ausdauernd, aber in einem beinahe schon leeren Universum. Mein surrendes Gesichtsfeld durchwandern eigenartige Wellenflächen, still auf und ab schwebend, nur ein paar Augenblicke, dann ist es wieder vorbei.
Ich rufe meine wirklichen Helden an, die, die zu den Sternen aufgestiegen sind, und bitte sie um Hilfe, aber – ich glaube aus Angst – bin ich nicht ganz ernst dabei. Und trotzdem hoffe ich, ich werde mir dabei wenigstens meiner selbst bewußt.


(Zwei Seiten habe ich übersehen. Sie bleiben leer.)


Wie oft vergesse ich am Abend, mir mein morgendliches Glas Wasser hinzustellen.
Und dann die Lust am Verrat. Ich habe nämlich meine Welt an die Unterwelt verraten, die hier auf Erden stärker ist. Alles habe ich preisgegeben. Alles das, was ich liebe, an die, die es hassen und zerstören werden. Die eigenartige Lust, sich denen, die man fürchtet, zu unterwerfen. Kurz fühlt man sich sicher. Dem Universum ist's wurscht. Es behält sowieso die Oberhand.

Der Gestank, der im Lichtschacht von unten heraufzieht, verdrängt den Geruch der frischen Luft. Vorher sind laute, aber unverständliche Stimmen heraufgestiegen, ein Dialog, verzerrt zwischen Mann und Frau. Ich tausche schlechte Luft mit schlechter Luft aus. Türen gehen und schlagen zu. Wer kämpft da wirklich gegen wen?

Wann habe ich den Verrat begangen? Als Kind, und dann immer wieder, auch im Traum, wie soeben.

Heisere Krähenrufe. Anscheinend gefährliche Welten rasen auf mich zu, aber tun mir jetzt anscheinend nichts. Sie lösen jedoch leichte Schocks aus.
Zerlegte Bilderrahmen stapeln sich. Selber? Oder machen das andere? Wer? Welche Kräfte?
Eine elegische Sirene zieht flott in einem weiten, akustischen Bogen vorbei. Jetzt die stabilen Kirchenglocken, die heute freudlos und leer klingen, aber näher kommen und sich wieder entfernen, wie ein Bild, das größer und dann wieder kleiner wird. Das Gurren der Tauben ist richtig fade.
Es beginnt ganz unauffällig zu regnen, ganz langsam, ich hatte es bis jetzt nicht gemerkt. Der Regen schafft es noch nicht aus dem zögerlichen Modus in den, wo es gießt. Es bleibt vorerst beim ängstlich verhaltenen Getröpfel. Es wird stärker, aber ein befreiender Regen ist das immer noch nicht.

Ich habe mich in den falschen Luftschacht verirrt, ein Bretterverschlag sperrt mir den Weg ab. Die Konturen einer menschenähnlichen Gestalt beginnen zu leuchten, aber verstumpfen sich gleich wieder zu einem unguten Braun.

Ich trenne mich von ein paar Gedankengängen; von welchen, habe ich bereits vergessen.

Wie schön es ist, einfach am Rücken zu liegen. Tolerant wird man erst später.


Ja! Jetzt regnet es richtig!















©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 10. Mai 2016

355 Wos i gern hea!

Der Ruf der Taube und das Heulen des Flugzeugs im Landeanflug, das ferne Rauschen des Autoverkehrs, Quietschen der Straßenbahn, das immer wiederkehrende Türenschlagen und wieder Taubenrufe. Zwitschern der Amseln und wahrscheinlich auch das anderer Vögel, die Polizeisirene, an meinen beiden Ohren die Pfropfen aus Surren, links das Ticken des nachgehenden Weckers. Der ganz nahe Ruf einer vorbeifliegenden Taube. Und die wie eine Klage klingende Antwort einer anderen. Eine imitiert den Kuckucksakkord. Und immer das unterlegte Stadtverkehrsrauschen. Und jetzt eine Kirchenglocke, hell und freudig, weil gerade Weltmaterie in Himmelssubstanz verwandelt wird. Ein kurzer Ruf einer Krähe als Antwort darauf: wir alten Krähenvögel wissen mehr davon.
Jetzt rauscht eine Entlüftung, drängt sich vor und übertönt alle anderen Klänge, heult auf, läßt nach, um dann wieder aufzuheulen; es bleiben nur Summen und Wecker über. Meine Ohren kämpfen darum, noch etwas anderes zu hören, kurz die Rufe von Mauerseglern oder Schwalben, dann geht wieder alles im jetzt monotonen Heulen unter; ja, die technisierte Menschenwelt will ihre Vorherrschaft behaupten.
Jetzt das Läuten an der Tür, kaum zu hören. Die Lüftung gibt auf, kurz das Hupen eines Autos. Erst allmählich sind meine malträtierten Ohren wieder in der Lage, die verschiedenen Geräusche herauszuhören. Polizei ist unterwegs, einer gibt Gas. Das Knarren einer Tür. Und wieder die Taubenrufe. Schritte im Stiegenhaus. Irgendwelche Arbeitsgeräusche. Die Rufe von Kindern. Schnelle, kurze Kinderschritte. Die Lüftung setzt wieder zu einem neuen Heulanlauf an, aber hört gleich wieder auf. Ein Motorrad gibt Gas. Das unauffällige Geräusch, wenn ich mit meiner Hand über das Papier fahre, und das, irgendwie raunzend klingende, wenn ich den Kugelschreiber schreibend über das Notizbuch gleiten lasse.
Ein Kind weint. Jetzt ist ein äußeres Surren aufgetaucht, das ich nicht zuordnen kann; es klingt nach einer laufenden Maschine. Verdammt viele Flugzeuge. Stiegenhausverhallte Stimmen.
















©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 6. Mai 2016

354 Wundertäterfragment 20

Der Wundertäter stand mit dem Rücken zur Wa... äh! lag im Bett auf dem Rücken und stieg aus einem Traum aus. Er stieg aus dem Traum heraus, aber stürzte gleich wieder in ein Loch neben seinem liegenden Körper. Gleich rechts neben seiner Flanke. Der Körper lag noch da, aber der Wundertäter war verschwunden. Fiel ins Loch rein und – wusch! - weg war er. Einfach weg. Nicht da. Dabei hatte das Loch gar keine Tiefe! Nur so einen Einstieg, ein wenig grauer als die Umgebung. Kaum reingefallen, schon weg. Das Loch auch weg.
Wie soll ich die Geschichte unter diesen Umständen weitererzählen? Ich bin ratlos!













©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

353 Wundertäterfragment 19

„Atme in deine Flanken!“ Der Wundertäter atmet in seine Flanken. „Flanken“, denkt er, „das Wort habe ich schon lange nicht mehr gehört. Ein schönes Wort eigentlich.“ Er spürt die Dehnung in seinen Flanken, er hält seinen Körper im Liegen gedreht, wie es die Beste seiner Yogalehrerinnen angesagt hat. Es zieht ein wenig auf der gedehnten Seite, aber in den Flanken wird tatsächlich etwas frei. „Je länger ich das Wort vor meinem inneren Auge anschaue und je länger ich es mir in Gedanken anhöre, desto fremder wird es mir. Flanken! Flanken. Flan-ken.“

„Und jetzt das Happy Baby!“ sagt die Yogalehrerin. „Ah, wir sind bald fertig“, denkt der Wundertäter. Das Gefühl, während er am Rücken liegt, mit den Händen die Füße hält, die Beine spreizt und über die Wirbelsäule als Achse in eine Schaukelbewegung geht, ist wirklich angenehm.

„Shavasana!“ Am Rücken liegen, die Arme leicht abgespreizt, Handflächen schauen zum Himmel. Ruhestellung. Totstellen.
„Entspanne deine Füße! - Deine Füße sind entspannt!“
Die Füße des Wundertäters sind entspannt.
„Entspanne deine Beine! - Deine Beine sind entspannt!“
Des Wundertäters Beine sind entspannt.
„Entspanne deine Hüften! - Deine Hüften sind entspannt!“
„Was ist mit Hintern, Eiern und Schwanz?“, denkt sich der Wundertäter.
Aber die Hüften unseres Wundertäters sind entspannt.
„Entspanne deinen Rücken! - Dein Rücken ist entspannt!“
Des Wundertäters Rücken ist entspannt.
„Entspanne deine Schultern! - Deine Schultern sind entspannt!“
Die Schultern des Wundertäters sind .... und so weiter mit Nacken, Oberarmen, Unterarmen, Händen, Fingern, Hinterkopf, Gesicht, Augen, Kiefer, Zunge …
„Laß deine Gedanken los! Deine Gedanken sind losgelassen!“
Der Wundertäter läßt seine Gedanken los, da – bumm – explodiert ein wildes, grausames Kriegsvideo in seinem Inneren und bespielt sein inneres Kino.















©Peter Alois Rumpf    April/Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 5. Mai 2016

352 Gestohlen und Falsch Übersetzt

„Lieber Bürger, wir sind ziemlich falsch verbunden.“ Sagt eine Stimme.
Der Aufzug dort über dem Hügel. Himmelfahrt ist natürlich eleganter. Fucat mocavium.
Jetzt – Kommt – Der – Tod.
Nein, wir laufen unter einer anderen Fahne. Bis zum Tag der Fahne dauert es noch. Wo ist die Eiscreme, die ich mir gekauft habe? Was senden wir? Was wird uns gesendet?
So eine schöne Musik für ein so trauriges Thema!
Es liegt nicht an mir und geht mich nichts an.
Gestohlene sanfte, kleine Worte.
Das Federballnetz schaukelt von den davonfliegenden Vögeln.
Mein materieller Reichtum besteht aus Materie, die Immaterielles trägt. Das habe ich schon geschrieben.
Laß mir den Abstand.
Ja, und die Himmelfahrt ist auch der natürlichere Weg für einen Abgang.
Die schwere Teekanne erhebt sich über den Tassen und Gläsern; nur der Wasserkrug hinten gebietet ihr Paroli.
Ich bin einfach zu faul, um alles nachzuschauen.
Christi Himmelfahrt, ein Feiertag in Österreich.
Na gut!
Himmelfahrt, althochdeutsch himilfart, Lehnübersetzung von lateinisch ascensus.
Weak – schwach.
Stay awake – bleib wach.
Escalator – Rolltreppe.
Mindsweeper – Mandfeger (beachte: mand wie in je-mand).
Trace – Spur oder Strang
Again – from earlier ongean. From on + gegn.
Jetzt ist es aber genug.














©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 4. Mai 2016

351 Die Gestalt

Vor mir hängt eine Gestalt. Eine Gestalt, gezeichnet auf Papier. Ihre linke Seite ist wärmer – gelb! - als ihre rechte – blau! Links – rechts: von der Gestalt aus gesehen. Im Bauch und im Kopf spielt es sich ab. Manche Teile des Körpers fehlen. Hauptsächlich am Rumpf. Herz ist ein bißchen da. Die Finger lösen sich ein wenig auf. Die Füße wirken verkrampft, als würden sie sich am Boden festkrallen wollen. Ach, ich hab's vergessen: die gezeichnete Gestalt hängt mit dem Rücken an der Holzwand, aber die originale ist am Boden gelegen. Am Rücken. Was machen also die verkrampften Füße? Ich weiß es nicht. Deshalb aber die Druckstellen an Ellbogen, Schultern, Armen, Ober- und Unterschenkel und an diversen anderen Stellen, da liegt der Köper auf der Erde auf. Der Körper liegt auf der Erde auf. Die Verbindung zwischen Oberkörper und Unterleib ist so gut wie abgerissen. Dafür gibt es Ansätze von Flügeln. Nur angedeutet. Gezeichnet wirken sie ziemlich lächerlich, aber als Körperempfindung haben sie sich toll angefühlt.
Jetzt fällt es mir erst ein: was ich am Anfang beschrieben habe, das war gar nicht der Bauch. Nein, das war der Schmerz im Kreuz. Kopf und Kreuz – das waren die verdichteten Stellen.
Der Bauch fehlt. Der Kopf ist ein richtiger Eierkopf. Um ihn tanzen Noten; offenbar hört die Gestalt Musik.
Ich erinnere mich: Wellen sind durch mich hindurchgegangen. Oh! Ich kann sie auch jetzt ein wenig spüren. Die Einatmung bewirkt Ausdehnung, auch die schickt kleine Wellen von mir aus.

Ich lehne mit dem Rücken zur Wand. Aber das macht nichts. Ich bin ein Träumer. Träumer können durch Wände gehen. Und über Wasser, auch wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht.

„Lieber Bürger, wir sind ziemlich falsch verbunden!“ Sagt eine Stimme.















©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 3. Mai 2016

350 Seien wir vorsichtig:

Aufatmen. Der heutige Tag ist geschafft. Allzuviel ist nicht weitergegangen. (Seien wir vorsichtig: soweit ich es sehe.) Aber jetzt bin ich müde, und mein defensives Tagewerk ist vollbracht. Jetzt darf ich mich dem Schlaf hingeben. Dabei ist es gleichgültig, ob das Werk gelungen ist oder nicht. Das meiste, das ich mir vorgenommen habe, habe ich nicht getan. Das nagt noch an mir, aber bald wird der Schlaf stärker sein.
Ich darf keine Resümees aus meinen Tagen ziehen, keine Tagesumsätze ausrechnen, die Bilanz fällt viel zu schlecht aus.
Ich finde meinen anscheinend gemütlichen Alltag viel zu anstrengend. Das passt alles nicht zusammen. Vielleicht rechne ich falsch. Mein Kopf will schon zur Seite rollen. Ich horche in mich hinein und finde das Gleiche wie so oft: ein Ziehen hinter den Augen, das bis zum Hals hinunter zieht. Im Bauch ist auch etwas, das ich nicht benennen kann. „Servas Rektor!“ höre ich mich sagen, aber wo ich den Schlüssel – war es überhaupt ein Schlüssel? Oder war es etwas anderes? - holen hätte können, das weiß ich nicht mehr. Nur noch meine rechte Hand mit dem Kugelschreiber bleibt in dieser Welt zurück, alles andere verabschiedet sich gerade.


Für heute habe ich mir nichts vorgenommen. Gar nichts. Mein brillenverschwommener Blick schaut aus dem Surren hinaus und wartet. Ich weiß um die Fragwürdigkeit des Wartens, besonders wegen der Stunde des Absterbens Amen. Absterben – was für ein schönes Wort! Ein tiefer Atemzug folgt, traurig, erleichternd, von Hoffnungen und Erwartungen Abschied nehmend. Abschied ist auch ein schönes Wort. Abschied! Noch ein tiefer Atemzug. Ich lächle dem tageskindlichen Leben unten zu, aus der Ferne und unentdeckt, und betätige heimlich meine segnende Hand. Eine lächerliche Geste voller Selbstüberhöhung und Selbstbetrug – was habe ich schon zu verschenken? Ein tiefer Atemzug. Die Traurigkeit steht mir bis hinter die Augen; aber ich liebe diese Traurigkeit, nie werde ich sie aufgeben.
Jetzt segne ich auch die zwei Katzen, sozusagen weil mir fad ist und sonst nichts mehr einfällt, was ich tun kann. So unter dem Motto: segnen kann mensch immer! Aber möglicherweise hat dann der Segen überhaupt keine Kraft. Segnen als Versuch, seinem bedeutungslosen Leben noch eine Bedeutung anzudichten. Aber das ist mir egal. Ich akzeptiere, daß ich meinen Weg verloren habe. Jetzt werde ich fromm und will alles, was mir daraus begegnen wird, in Demut annehmen. Nur glaube ich mir das überhaupt nicht. Aber auch das ist mir egal. In mir kichert es.
Eigentlich habe ich es recht gemütlich hier, im Bett liegend schreiben, in eine warme Decke gehüllt, das Zimmer noch abgedunkelt, das weggedrehte Licht der Leselampe. Mit dem Gedanken, bald ein heißes Bad zu nehmen. Nichts fehlt mir. Ich huste und die Katzen laufen beide aus dem Zimmer.
Jetzt denke ich an meinen Vorgänger. Das Bedürfnis nach segnen nimmt gleich wieder zu. Adios.














©Peter Alois Rumpf    Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com