Dienstag, 30. Januar 2024

3547 Den Höhepunkt vor sich

 



12:35. Voraussichtlich wirklich zum letzten Mal in der beige-gelben Welt (Oh nein, er darf noch weitertrainieren wie sich herausgestellt hat! - der Korrektor). Diesmal warte ich auf einer gepolsterten Bank im ersten Stock mit einem großen Photo links an der Wand. Das Photo bildet einen von Bäumen und Buschwerk eingesäumten vermutlich kleinen See mit schilfbewachsenem Ufer ab. Ein angenehmes, sommerliches Bild. Ich habe noch zwanzig Minuten bis zu meinem Arzttermin. An der Stelle rechts – ich rede vom Bild – ist ein flacher, steiniger Hang, nur von ein paar Büschen locker besetzt. In der Ferne ein bewaldeter Berg. Wirklich ein schönes, angenehmes Bild; vielleicht auch, weil es aus einem Streifen von vier aneinandergefügen Photos besteht und deshalb so etwas wie ein Panoramabild abgibt. Der Himmel spiegelt sich im Wasser und wo/man könnte meinen, es wäre ein Idylle, wenn wo/man nicht wüßte, dass hier gerade in diesem festgehaltenen Augenblick all überall tausende, abertausende Kämpfe auf Leben und Tod stattfinden, im Wasser, zu Lande und in der Luft. Fressen oder gefressen werden, aufblühen und untergehen. Von der Farbe der Blätter der Büsche und Bäume gehe ich vom Frühsommer als Zeitpunkt des Photographierens aus. Die Gegend hatte den Höhepunkt noch vor sich.


(30.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3546 Das bunte Gekritzel

 



2:00 a.m. Heute habe ich eine abstrakte Kratzelzeichnung, die ich vor ein paar Tagen aus einem spontanen und ungewöhnlichen, weil schon jahrelang nicht mehr aufgetretenen, aber sehr drängenden Impuls heraus angefertigt hatte, und die mir gar nicht gelungen erschienen war, auf meiner kleinen hölzernen Pinnwand, eigentlich die Seitenwand eines kleineren Kastens am Fußende des Bettes, über die Junge Frau vom Katz getackert, obwohl diese eine sehr gute Zeichnung ist, weil ich den arroganten, verachtenden Blick dieser jungen Dame eine Zeitlang nicht sehen will. Jetzt, schon im Bett, blicke ich auf diese Pinnwand und bin über die neue Situation recht froh. Ich schaue momentan recht gern hin, obwohl mein Werk im Vergleicht zu den Kunstkarten recht groß ist und auch Zeichnungen und Kunstkarten verdeckt, und obwohl es schon öfters so war, dass ich in den Augen der Katz’schen jungen Frau, wenn ich lange hingegafft habe und dabei hinter die Arroganz gekommen bin, unglaubliche Trauer und großen Schmerz gesehen habe. Aber jetzt will ich es so, denn um durch die Arroganz zur Trauer zu kommen, müßte ich die ganze Arbeit leisten – zuerst unter dem arroganten Blick selber nicht eingehen, dann lange standhalten, dann mich richtig durch den Hochmut durcharbeiten, bis ich zum darunter liegenden Schmerz gelangt bin – und diese Arbeit ist anstrengend und kostet viel Zeit. Und bleibt unbedankt - beim nächsten Hinschauen blickt mich Madame wieder arrogant an. Nein, jetzt freut es mich, auf mein Bild zu schauen, auch wenn es der Munch’schen Freundin eine ihrer nackten Brüste fast zur Gänze verdeckt. Das ist mir jetzt egal. In meiner Zeichnung zeichnet sich nämlich ein Durchbruch ab, ein Durchbruch ins Helle, Offene, das trotz vieler Querstriche aus dem Hintergrund schon herleuchtet.

9:37 a.m. Aus ich weiß nicht welchen Abgründen bin ich wieder heraufgestiegen und würde mir die Augen reiben, wenn ich die Lesebrillen nicht auf hätte. Ich schaue auf die kleine Pinnwand am Fußende des Bettes, weil sie einfach so gegenüber liegt. Ich betrachte wieder meine neue, frisch getackerte Zeichnung, dieses bunte Gekritzel, und werde gleich aufstehen.


(30.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 29. Januar 2024

3545 Tagewerk

 



6:28 a.m. Ein Druck in den Ohren, der sich hohl anfühlt, natürlich in Kombination mit meinem üblichen Sirenengesang. Vor meinen Augen von links nach rechts driftender Staub. Unverständliche Musik- und Sprechfetzen aus dem Radio in der Küche unten. In meinem Inneren ist einiges durcheinander. Der Krieg ist so verdammt nahe. Eine Welle der Verachtung umspült mich und hat auch Auswirkungen auf meine Muskeln (ich empfände das Wort ohne „n“ schöner). Mein Nacken ist mir in letzter Zeit zu locker, mein Kopf scheint nur mehr sehr labil auf Hals und Schultern aufzusitzen. Ein Fragment eines Musikstückes taucht in meinem Bewußtsein auf und mir fällt nicht ein, zu welchem Stück welcher Band es gehört. Ah! Doch: XTC. Ich bin mit meiner Schreiberei lebenslaufmäßig viel zu spät gestartet; die Zeit für unsereinen ist längst vorbei; ich gehöre überhaupt nicht in diese Zeitgeist-Gegenwart. Das war nicht immer so. Ich sollte das alles loslassen und nur mehr weiteratmen, sonst nichts.

13:42. Im Hof 7 – glaube ich – vorm Springbrunnen in Wintersperre, eine Böe treibt das abgeworfene Laub von rechts nach links, sitze ich auf einer dieser öffentlichen Sitz-Liege-Enzis. Der Springbrunnen besteht aus einem runden Becken, von einem grünen eisernen schöngezierten Zaun eingefasst, einem runden Betonsockel, oben mit einem runden metallenen Aufsatz von selbem Durchmesser, aus dem als Wasserhahn ein kleiner metallener Zapfen aufragt, ohne springendes Wasser nicht sehr eindrucksvoll, die Sonne in der großen Astgabel der Linde – glaub ich – direkt vor mir. Kalter Wind. Glitzerndes Sonnenlicht auf allem, was die schon recht schräg daherkommenden Lichtstrahlen weiterleiten kann. Maschinengeräusche – Motorsägen vielleicht – und anderes akustisches Zeugs.
Bequem war meine Sitzposition auf dem Enzi nicht, darum bin ich aufgestanden und habe mich auf eine „normale“ Bank, die gerade frei geworden ist, niedergelassen. Der Springbrunnen noch näher, der traurige Wasserhahn in direkter Linie vor meinen Augen, der aus diesem Blickwinkel noch vergeblicher wirkt. Hof 7 stimmt, ich habe eine Aufschrift gefunden. Fast schon time to go. Aufs Klo müßt ich auch.


(29.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3544 Ich bin ganz friedlich

 



23:08. Ich hänge in meiner Lebensresümee-Hockposition im Bett und hoffe, dass ich heute zu einem wenigstens minimal anderen Ergebnis komme als vor zwei Tagen. Oder dass ich erst gar nicht resümiere.

23:51. Ich habe gelesen. Jetzt bin ich ganz friedlich. Auch zu mir. Ich betrachte das Kabel des Kassettenrekorders, das über die hölzerne Bilderwand der Stirnseite des Kastens am Fußende des Bettes hängt und seinen Schatten und widerstehe der Arroganz der Jungen Frau vom Katz. Mein Zimmer kommt mir ganz normal vor, nüchtern und entmystifiziert, obwohl ich aus den Augenwinkeln manchmal zuckende Bewegungen oder kurzes Aufleuchten sehe. Das Zimmer schaut so normal aus, dass mir sogar die gewisse Schlampigkeit auffällt, in der ich die Kleider und Dinge herumliegen habe. Ich werde mich nun zum Schlafen hinlegen.


(28.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 27. Januar 2024

3543 Der Magen spricht

 



Als ich mir heute mein Frühstück so gegen Mittag hin zubereite, knurrt plötzlich mein Magen, redet zu mir und sagt: „Hello!“ (auf die zweite Silbe betont). Ich mein, warum redet er Englisch zu mir? Er müßte doch wissen, dass ich diese Fremdsprache – wie übrigens alle anderen auch – nicht beherrsche! Außerdem hatte ich gerade begonnen, die ersten Brocken vom harten Brotstück – das ich mir selbst verordnet habe - mühsam und mit vorsichtigen Zähnen abzubeißen und zu zerkauen. Also hat die Nahrungszufuhr schon begonnen, falls er das gemeint hat. Mehr als “Hello!“ hat er nicht gesagt. Hello! Was soll das heißen? Hello darkness my old friend? Der Magen! Der auch?! Eher nicht, da müßte er es auf die erste Silbe betont haben. Oder: „Hello friends and neighbours!“? Hm? Meint er die Organe um sich herum? Warum spricht er dann zu mir? Was habe ich mit denen zu tun? Nachdenklich nehme ich einen Schluck von meinem falschen Kaffee, der nur ein Messerspitzelchen echtes Kaffeematerial enthält, und lege ein Scheibchen Knoblauch aufs schon abgebissene Butterbrotstück (dessen Butter wiederum Sonnenblumenöl enthält, damit ich sie aus dem Kühlschrank genommen gleich besser verstreichen kann). Vielleicht ist das „Hello!“ freundlich gemeint und ich sollte nicht gleich so pampig und abweisend reagieren? Vielleicht war der Magen einsam und wollte Kontakt? Ein schüchternes Anklopfen? Wer klopfet an? Mhm! Naja, ich setze einmal das Frühstück fort, oder passt ihm nicht, was ich esse? Ja, die verbrannte Pizza gestern war übertrieben. Meinst das? Aber du machst überhaupt keine Schmerzen! Eigentlich machst du überhaupt keine Probleme. Vielleicht sollte ich „Danke!“ sagen? Danke, lieber Magen! Gerade beim Frühstück kaue ich jeden Bissen eh mindestens dreißig Mal, meistens viel öfter. Also: ich werde jetzt weiteressen. Schaumamal!


(27.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3542 Das Heulen

 



9:16 a.m. Wieder bin ich in Angst aufgewacht, aber diesmal bin ich ihr nicht nachgegangen, sondern bin aufgestanden und habe etwas in der Küche erledigt. Sie ist immer noch da und rumort im Gedärm und schreckt mein Herz. Wenn sie mir etwas mitteilen will, soll sie es gleich sagen, lange werde ich nicht herumforschen. Der Wind umheult das Haus und rüttelt an allem, was er finden kann. Die Muskel in meinem Mund vibrieren leicht; ich verzichte auf alle oral-psychologischen Spekulationen. Nur zur Erklärung: ich habe mich zum Schreiben wieder hingelegt und zur seelischen Konsolidierung. Eine Erinnerung aus meiner Kindheit taucht auf: wie ich das erste Mal Hochkultur begegnet bin: eine Schallplatte mit den Reden Sokrates; nicht bei uns zu Hause. Ich empfinde jetzt große Dankbarkeit für die Frau, die Mutter eines Freundes, die die Platte - ich erinnere mich nicht mehr wieso und wie es zustande gekommen ist, dass ich dabei war – vor uns abgespielt hat. Ich erinnere mich nur, dass ich fasziniert war und mich angesprochen gefühlt habe, auch wenn ich nichts verstanden habe.

Gut, die Erinnerung klingt aus und läßt eine traurige Sehnsucht nach meinen Hoffnungen der späten Kindheit zurück, als ich noch das Leben und vielleicht auch Möglichkeiten vor mir hatte und viele Erwartungen und Illusionen und nicht wie jetzt auf ein – tja, doch: gescheitertes Leben zurückblicken muß. Und nach vorne gibt es nicht mehr viel. Ich schließe diese Diskussion jetzt bewußt ab.

Der Wind heult immer noch von Zeit zu Zeit auf und meine Muskeln um den Mund sind immer noch leicht vibrationsaktiv. Es hilft nichts: mir fällt mein Lebenslauf auf den Kopf, das Gebäude stürzt ein, es helfen keine existentialistischen Sprüche, keine religiösen Versprechungen, keine esoterischen Verwischungen, keine Witze, keine psychologischen Erklärungen, kein Facebook, weder Fußball- noch Handballspiele im Fernsehen, keine Krimis, weder Mahjong Festung noch Solitaire, kein cooles Getue, auch kein besonnenes Getue, keine Überschlagsscherze, keine guten Vorsätze, keine sonstigen Verrichtungen und Ablenkungs- oder Abgeklärtheitsversuche: es tut weh.

Der Wind könnte das Heulen ruhig mir überlassen, aber ich selbst lasse es nicht zu. Vermutlich fürchte ich, es wäre dann aus.


(27.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 26. Januar 2024

3541 In den republikanischen Club

 



2:07 a.m. Das war heute ein anstrengender Tag. Ich fühle mich kräftiger, wenn jetzt auch rechtschaffen müde. Auch morgen habe ich viel vor. Freude und Zuversicht scheinen zurückgekehrt zu sein; ich hoffe, es ist kein Strohfeuer. Meine Augen sind so müde, dass der Holzrabe, der beim Fenster hängt, wirklich selbständig zu schweben scheint.

8:04 a.m. Gerade beginnt es, in den Heizkörpern zu gluckern und im Lichtschacht springt die Klimaanlage (oder was das ist) an. Mein Surren in den Ohren vollführt ein paar meandernde Bewegungen und meine Leibesmitte zittert ganz leicht. Ich entkrampfe meine linke Hand. Jetzt ist es schon beinahe Übelkeit, und ein Knoten aus Angst arbeitet in meinem Bauch. Von dort aus breitet das Phänomen sich auf den gesamten Körper aus, noch lasse ich es zu: ich will wissen, was es ist und was es mir zu sagen hat. Nach einem kurzen Anstieg fast bis zu Panik, beruhigt sich das innere Geschehen ein wenig, aber der Alarm ist noch da. Ich versuche, meine verkrampfte linke Hand zu lockern. Eine neue Welle der Angst kommt heran. Ich atme bewußt tief und langsam. Wer oder was bist du? Was machst du hier und was willst du mir erzählen? Aufmerksam, aber beunruhigt lausche ich in mein Inneres, aber ich bekomme keine Antwort, kein Empfinden macht sich bemerkbar, keine Erinnerung steigt hoch; die Angst hält mein Inneres in Aufregung. Ich bin seelisch blind und taub. Wenn ich meine Augen schließe, dreht sich vor ihnen etwas im Uhrzeigersinn. Dann verschwindet das wieder. Ich spüre mein Herz. Ich halte meine linke Hand locker, trotzdem fühlt sich der Arm verkrampft an. Ich schlucke, mein Hals ist ganz trocken, obwohl ich gleich nach dem Aufwachen ein Glas kalten Kräutertee getrunken habe. Ein Flugzeug höre ich von ferne, sonst nur mein inneres Dröhnen. Der schwarze Holzrabe am Fenster schaukelt in der Aufwärme. Ich seufze unwillkürlich und dann wieder bewußt ganz tief. Dann stoße ich dreimal das Zwerchfell nach unten, um den Angstknoten zu bearbeiten. Eine kleine Wunde am rechten Ringfinger pickst, als ich am Papier anstreife. Eine Motorsäge vermutlich heult im Nachbarhof. Ich atme nun je dreimal auf „i“ „e“ „a“ „o“ „u“ und wiederhole den Vorgang wiederum dreimal. Wie immer bei dieser Übung entringt sich mir beim ersten Atmen auf „a“ ein großer, tiefer Seufzer. Was ist mit der Angst? Sie ist noch da, aber nicht mehr so festgekrallt.

13.23. Das meiste – Rückenübungen, Tensegrity, Einkaufen, das umständliche Staubsaugen – habe ich geschafft. Ich bin erschöpft und warte, bis das Backrohr auf 220 aufgeheizt ist. So raste ich und gebe dem schmerzenden Rücken die Zeit, sich zu erholen. Ich freu mich schon aufs Essen. Dann wird es – sogottwill - mit Schreibarbeit weitergehen.

Es könnte ein guter Tag werden. Die Angstzustände vom Morgen sind weg und ich genieße die Ruhe und die Stille. Vielleicht schaffe ich es am Abend in den republikanischen Club.


(26.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3540 Schlußendlich

 



17:21. Ich habe mich im Foyer der beige-gelben Welt auf meinem alten Platz gesetzt, den Rucksack an ein Gestell gelehnt, von dem ich nicht weiß, wofür es gut ist. Vielleicht ist es ein Regenschirmständer. (Weil er immer so mit spöttischem Unterton über die „beige-gelbe Welt“, also das Gesundheitszentrum für physikalische Medizin der Österreichischen-Gesundheitskasse, schreibt: er hat hier entscheidende Impulse und Hilfestellungen bezüglich seiner Kreuzschmerzen, wertvolle Anregungen, praktikable Übungsanleitungen bekommen, und zwar auf Krankenkasse. Endlich weiß er, worauf er achten muß und wie er dem großen Aua vorbeugen kann. Seine Freude an Bewegung ist zurückgekehrt und heute war er sogar vorm Frühstück im Augarten walken. Also sein Spott ist unangebracht und der Kerl sollte dankbar sein! - der innere Korrektor.) („Kerl“! Danke, innerer Korrektor! Das hätte ich nie von mir zu sagen gewagt. - der ich.)

17:29. Noch genug Zeit. Die Tür zum Raum 315 läßt unten einen großen Spalt offen. Die Tür zum Raum 316 einen kleineren. 313 und 314 schauen gut aus. Weil viele unbekannte Gäste hereinkommen und ich sofort verunsichert bin, ob ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit bin, schaue ich wieder auf meiner Behandlungskarte nach, ob ich ja richtig bin. Ja, wüßte nicht, was falsch sein sollte. Heute zupfe ich den Preiszettel vom ebenfalls schon jahrelang benutzten schwarzen Pilotstift herunter, wörtlich, weil es schwerer als gestern vor sich geht, denn das Pickerl löst sich nur in seinen Einzelteilen ab. Aber schlußendlich habe ich es geschafft. Die Putzfrau – same procedure as yesterday? – nur ohne Segen. Eine wartende Person schaut sich am Smartphone etwas mit Ton an und zieht ständig den Rotz auf. Ein Baby weint. Der Leptosome ist auch da (Du hast nicht das Recht, dich über andere lustig zu machen! Ich werde zornig! - der innere Korrektor).

17:43. Irgendwie spitzt es sich aufregungsmäßig zu. Für mich. Wie es den anderen geht? Sind die auch nervös? Ach was! Jetzt geb ich das Schreibzeug in den Rucksack. Schluß! Mein vorläufig letzter Tag in der beige-gelben Welt. Ich öffne noch die Schuhbänder, weil wir auf der Matte turnen werden, damit ich die Schuhe schneller ausziehen kann.

18:26. Warten auf den nächsten Termin. Ich sitz wieder da. Und wieder schaue ich mich um. Ich finde nichts, was mir Lust, es zu beschreiben, macht (phänomenale Beistrichsetzung! - er innere Spötter). Die Anlage – Lüftung, Heizung, Klimaanlage … - wummert vor sich hin und der Klangteppich radiert dabei manchmal ein wenig an seinem Rand an irgendeinen Widerstand, sodass er sozusagen aufraut. Kann wo/man sich eigentlich von so einem Klangstrom mitnehmen lassen und mittreiben? Bis wo/man woanders auftaucht? Ich denke schon. Ich spüre mein Kreuz stärker. Mein Bauch wölbt sich unter dem Leiberl. Abnehmen? Neiiiiin! Nicht das auch noch! Aus Langeweile kratze ich mir ein Wimmerl auf.

18:40. Die aufgekratzte Stelle leuchtet rot. Jetzt ist mir wirklich fad. Meine üblichen Tricks ziehen nicht mehr. Ich lasse auch das Schreiben bleiben. (Deshalb habe ich auch nicht aufgeschrieben, dass ich noch nach der festgesetzten Zeit länger auf den Termin warten mußte.)


(25.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 25. Januar 2024

3539 Die Rowdies

 



23:12. Der Wind scheppert mit dem schlecht schließenden Fenster, als wollte er herein um etwas Wichtiges mitzuteilen. Mein Zimmer ist hell erleuchtet. Rettenschoess zeigt sich richtig üppig. Alle meine Kunstkarten, Photos und Bilder an den Wänden strahlen klar und deutlich; keine Dunkelheit, kein Lichtnebel verdüstert sie. Ich schaue ein Photo näher an; dafür muß ich der Länge nach über das Bett krabbeln. Pause.

23:51. Ende der Pause. Ich liege schon im Bett, die Rollo ist herunten, nur mehr die Leselampe ist an. Ein Aggressionsanfall – gegen imaginäre Rowdies gerichtet – erfaßt Geist, Seele und Körper und läßt mich zucken. Auf einmal war diese Szene mit unglaublicher Heftigkeit da, fast wie aus dem Nichts (obwohl ich den Assoziationsverlauf erinnere), als wäre eine uralte Ablagerung losgerissen worden und wieder in den Energiekreislauf gespült. Mir klopft noch das Herz, Meditation wird heute schwer. Okay. Dann wollen wir lesen. Lasset uns lesen. Sonst noch was? Nein.


(24.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3538 Abticken

 



17:15. Jetzt sitze ich schon wieder in der beige-gelben Welt im Foyer, jedoch auf einem anderen Sessel und das ergibt eine andere Perspektive. Direkt vor mir steht ein runder Stehtisch. Die Kniegruppe, deren eines Mitglied auf meinem angewöhnten Sessel gesessen ist, geht in den Raum 313. Einer hat Probleme mit dem bürokratischen Ablauf (was man wo mithaben und vorzeigen muß). Die Heizung röhrt (hier hört es sich eben mehr wie röhren an, am anderen Platz hat es sich mehr wie zischen angehört). Der photographierte Sonnenuntergang (?) an der Wand wirkt von hier wegen seiner Wolkenkonstellation und der größeren Distanz dramatischer. Die Kante dieses runden Stehtisches ist fast in meiner Augenhöhe, weil ich sitze. Und diese Kante ist mir so nahe etwas unangenehm; ich fürchte um meine Augen. Ich schaue zum dreihundertfünfundsechzigsten Mal auf meine Behandlungskarte, weil ich mich vergewissern und etwas nachschauen will; was, das habe ich schon vergessen, als ich den Rucksack aufmache, um die Karte herauszuholen. Also schaue ich bloß ratlos auf dem hellgrünen, kartonierten Papier herum, ohne zu wissen, was ich suche. Dann tue ich so, als hätte ich die Sache erledigt, lege die Karte zurück und hebe meinen Kopf vom Notizbuch und blicke tapfer in die Stehtischkante. So hebe ich meinen Kopf noch etwas höher und blicke auf die Uhr an der Wand, vorallem auf den Sekundenzeiger, der meine verbleibende Lebenszeit abwinkt und fast unhörbar abtickt. Ich stehe auf, gehe ganz nahe zur Uhr hin und höre gar kein Ticken. Allerdings rauscht hier die Klimaanlage so laut (um es klar zu sagen: er weiß nicht, ob das, was da rauscht, röhrt, zischelt et cetera eine Lüftung, eine Klimaanlage, eine Heizung oder was auch immer ist. Er kennt sich in der Welt überhaupt nicht aus. - der innere Spötter). Lauscht (wo)man diesem Geräusch, kann wo/man durchaus einen interessanten Strom aus Tönen hören. Monoton, aber mit einigen Schwingungen inside, sehr reich in der Tiefe und in Wirklichkeit vielschichtig. An der Wand über einem Kasten entdecke ich eine Blende, die Rohre oder Kabel verdecken soll, aber leckt. Ich zupfe nach Jahren des Gebrauchs das Preispickerl vom Pilotstift. Schaut doch gleich besser aus. Die Kniegruppe ist fertig. 17:43. Die Gespräche im Foyer lenken mich von meiner „Meditation“ ab. Zum Mitmischen ist es zu spät. Siebzehnfünfundvierzigeinhalb. Ich lege das Zeug in den Rucksack. Die Putzfrau kommt. Ich sitze zu weit vom Eingang um zu grüßen. Eine Frau wird durch’s Foyer und um die Ecke einzeln aufgerufen. 17:47 ah! schnell, schnell …


(24.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 24. Januar 2024

3537 Die Blumen habe ich gegossen

 



9:15 a.m. Die Blumen habe ich gegossen, das Smartphone gecheckt, jetzt bin ich wieder in liegender Hockposition im Bett unter der Decke und lasse meinen Blick im Zimmer umherwandern. Als erstes fällt mir jedoch die schrille Stille auf, denn erst das spärliche Geglitzer auf einigen Bücherrücken und dem Vesuvstein. Etwas ratlos blicke ich herum, während mein Geist durch Erinnerungs- und Rechtfertigungssplitter stolpert. Ich komme weder auf eine roten Faden noch auf einen grünen Zweig, aber das macht nichts: ich harre einfach unter der warmen Decke aus, bis sich mein Geist gefunden und meine Seele konsolidiert hat, so einigermaßen zumindest.

Es ist von profaner Feierlichkeit, wie das graue Licht beim hellen Fenster hereinströmt und sich zwei Meter von meinen Füßen entfernt noch ein wenig ballt, bevor es sich - durch die Wolken gefiltert anscheinend vergleichsweise etwas schwächlich – dennoch im Raum verbreitet. Mir ist, als würde ich einem ganz heiligen Vorgang beiwohnen. Ich bin nicht im Zentrum; die größte Intensität zeigt sich an der linken Hälfte des Bücherregals; dort leuchtet der obere Bereich auf und gibt etwas von seinem Strahlen weiter bis in die dunklere Ecke, wo ich mich aufhalte. Ich bin ergriffen und überwältigt von diesem alltäglichen Vorgang. Ich könnte stundenlang dem Licht zuschauen.


(24.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3536 Kurzes Statement

 



0:44 a.m. Ein kurzes Statement sollte sich ausgehen, obwohl ich schon müde bin, erstaunlich müde, denn normalerweise bin ich viel länger auf. Die letzten Tage waren ja auch ereignisreich, haben mich mehr mitgenommen, als ich zugeben will. Nichts Schlimmes, nein, nur aufwühlend. Sozusagen bin ich in Umbau, in Renovierung, wenn man so will. Ich glaube es ja selbst kaum; ich habe nicht mehr damit gerechnet; und ich traue dem Ganzen noch nicht, ob es denn nicht gleich wieder vorbei sein wird. Aber spannend ist es. Und jetzt will ich schlafen.


(24.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3535 Überpünktlichkeit

 



17:10. Ein neuer Rekord in Überpünktlichkeit. Beim Herfahren habe ich in der Straßenbahn gelesen, dass es einen Doppeljackpot gibt. Der würde für meine Pläne nicht reichen. (Jetzt habe ich meine rechte Hand ausgeschüttelt, weil ich so schlampig und fehlerhaft schreibe.) Also gut: wieder in der beige-gelben Welt. Die Sonne am stimmungshebend gedachten Photo an der Wand geht immer noch unter. Die Kniegruppe fängt jetzt an und geht in den „Turnsaal“. Ich gehöre zur Rückengruppe, die erst in 30 Minuten anfängt, auch im Raum 313. Geht sich das aus? Sicherheitshalber schaue ich auf meine Behandlungskarte. Ja, die Uhrzeit stimmt und als Location ist der Turnsaal eingetragen, der in der beige-gelben Welt als Bewegungstherapie-Gruppe, Nummer 313 angeschrieben ist. Die Putzfrau kommt. Diesmal grüße ich nicht und sie grüßt auch nicht. Bekanntlich kann ich nicht grüßen. Ich probiere im Geist das „Gegrüßet seist du Maria“ aufzusagen. Ja, geht noch. Wobei mir „Weiber“ und „Absterben“ besser gefällt als „Frauen“ und „Tod“. Ich meine: „Weib“!!! Woman, Wombman – also Wombgeist: das zusätzliche Energiezentrum der Frauen in der Gebärmutter. Zusätzlich zu allen anderen Energiezentren, die die Männer auch haben. Außerdem hat das Y-Chromosom - was weiß ich – dreißig, vierzig Gene und das X-Chromosom mehrere hundert. Mir kann keiner was vormachen. Und außerdem dürfte „grüßen“ ursprünglich „segnen“ bedeutet haben. Ohne dass sie es merkt segne ich die Putzfrau schnell und heimlich von hinten. Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich schon, dass das ein Übergriff sein könnte. Jetzt grüße ich sie doch, als sie ihren Wagen an mir vorbeischiebt. Aber segnen tu ich einfach mit Kreuzzeichen – da wiederum habe ich keinen Genierer: die Verbindungen vertikal stärken: körperlich: Kopf und Bauch, also Geist und Empfinden; in der Zeit: Vorfahren – ich – Nachkommen; im Universum: Himmel und Erde, oben und unten; horizontal: körperlich: die rechte und die linke Hälfte; mit den Zeitgenossen, der Gegenwart, der Natur, der Welt … Was will (wo)man mehr? Die Putzfrau verläßt das Stockwerk und wünscht mir einen schönen Tag; ich ihr auch.

Der zweite Rückenmensch trifft ein, der dritte. Ich schaue das Photo an der Wand aus der Nähe an: eigentlich kann ich nicht sagen, ob die Sonne auf- oder untergeht. Mein Eindruck ist Untergang (Hallo! Ich mein: ich bin bald siebzig!). Ich betrachte ein wenig den tief hängenden Feuerlöscher, dann die Kleiderhaken an dem Wandbrett aus unechtem Buchenholz (ich weiß ja nicht einmal, ob die Furnier echt ist). Die Lüftung zischelt fast elegisch vor sich hin. Der Mann nebenan hustet verschleimt. Soll ich mich vor Ansteckung fürchten? Das sei fern! Hoch über dem Feuerlöscher ist ein Feuerlöschersignet, damit man ihn auch im Gedränge finden kann, darunter eine graphische Darstellung, wie mit dem Gerät umzugehen ist. Über den Kleiderhaken ist auch eine Schrift angebracht, auf der steht, dass nicht gehaftet wird. Der Mann neben mir stößt auf und ich rieche es; vielleicht hat er Magenprobleme. Rückenprobleme hat er offensichtlich auch (es steht dir nicht zu, dich über andere lustig zu machen – der innere Korrektor!). Die Kniegruppe kommt heraus. Eigentlich ist es dreiviertel, aber deren Kurstrainer sperrt die Tür zu. Halte ich es noch aus weiterzuschreiben oder schmeiße ich die Nerven weg und das Notizbuch in den Rucksack? Eine gewisse Stille kehrt ein, ich höre im Flur um die Ecke eine Tür gehen, unser Trainer kommt, jeden Tag ein anderer.


(23.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 23. Januar 2024

3534 Ein Stich

 



8:22 a.m. Es gibt mir einen Stich, als ich gleich nach dem Aufwachen aus einem ins Albtraumhafte kippenden Traum am jemanden denke, den ich nur flüchtig kenne. Wie kann ich das beschreiben? Im durchaus freundlichen Gespräch mit dieser Person vor nicht allzu langer Zeit war mir wieder einmal aufgefallen, dass ich keine Souveränität besitze, dass ich nicht selbstverständlich bin. Und diese lebhafte Erinnerung, die jetzt plötzlich aufgetaucht ist, war der Stich in die Leibesmitte, wo jetzt eine Wunde sitzt, ein flauer Knödel aus Angst und Verzweiflung. Ich fühle hin, aber ich lasse mich darin nicht gehen. Ist dort nicht die Lücke im Energiekörper? Will sich die öffnen? Das wäre jetzt gefährlich.

Die Erinnerung an die Szene, die das ausgelöst hat, verblaßt allmählich wieder. Das Gewurl in der Körpermitte ist noch da, aber beruhigt sich langsam. Ich werde nicht aufstehen, bevor diese Lücke wieder ganz geschlossen ist und mein Schutzschild intakt.


(23.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3533 Mein Herz hüpft

 



0:48 a.m. Ach! Mein Herz beginnt zu hüpfen! Es freut sich. Es freut sich über das Leben (und dass es irgendwann, irgendwo, irgendwem gelingt). Überhaupt, aber auch konkret: zum Beispiel freut es sich auch über die Stille im Zimmer und auf das Schlafen. Hinter meinem Surren in den Ohren, das ich heute fügsam annehme, habe ich auch einen Rhythmus gehört; auch der war interessant. Ich finde auch die Kälte auf meinen Händen erfrischend und okay. Sicherlich: meine momentane Seelenruhe wird im Moment durch nichts herausgefordert. Soll ich mich etwa über die paar Regentropfen ärgern? Nein, es passt alles: ich habe mein Tagewerk getan und bin rechtschaffen müde. Das kleine Kopfweh nehme ich hin. Das Kreuzweh am Abend nach dem Rückenturnen hat sich gelegt. In meinem Bauch gluckert es, vermutlich kein schlechtes Zeichen. Nun sehe ich einen grauen Arm aus der Außenwand ins Zimmer ragen, abgewinkelt greift seine Hand zum Bücherregal – und schon ist die Vision wieder verschwunden. So leicht ist es zu leben! (im inzwischen warmen Bett – der innere Spötter). Ich hebe noch meine Füße bei in die Matratze gepressten Fersen vorne in die Höhe und spreize genußvoll die Zehen. Ich bewege ganz leicht das Unterkiefer und klappere so ein wenig mit den Zähnen (merkt ihr es? Er kommt von „Zehen“ auf „Zähne“, nur wegen des lautlichen Ähnlichkeit! That’s it! - der innere Spötter). Ich gähne jetzt lange und ausführlich und werde gleich das Schreibzeug weglegen und mich zum Schlafen bereiten.


(23.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3532 Die Stimme aus dem Stiegenhaus

 



17:21. Die beige-gelbe Welt wird mehr und mehr zu einem meiner Schreibplätze, auch wenn ich jetzt nichts Besonderes wahrnehmen kann (sicherlich: hinter dem Vordergründigen türmen sich Welten über Welten). Irgendwo spricht eine Lautsprecherstimme, die über das Stiegenhaus heraufschallt. Die Putzfrau rumort und leert einen Mistkübel aus. Ich vermeide es hinzuschauen. Ein wenig flimmert es vor meinen Augen; ich bin müde. Alle diese Neubauwände geben nicht viel her: schnell wirken sie grindig, aber bleiben trotzdem uninteressant. Sie haben kein gereiftes, wirkliches Alter. Die Putzfrau fährt mit dem Wagen vorbei. Was, wenn ich, wie ich sollte, einen guten Text schriebe? Die Putzfrau fährt mit dem Wagen wieder retour und zur Tür ins Stiegenhaus hinaus und ruft stillschweigend den Lift in den 3. Stock. Es klappern die Räder des Putzwagerls und die Lifttüren quietschen. Bei ihrem Hinausgehen haben wir uns noch grüßend verabschiedet. Es sind nun schon fünf wartende Menschen im Flur (soviel ich weiß sind es Menschen, es soll ja auch Scouts aus anderen Dimensionen geben, die sich manchmal als Menschen „verkleidet“ unter diese mischen). Bleiben wir lieber in der beige-gelben Welt. Aber da ist nichts. Ein paar Leute schlurfen oder eilen vorbei, irgendwo redet wer. 17:43: ich lege mein Schreibzeug weg. 17:45: jetzt lege ich das Schreibzeug wirklich weg. Das, was sich in den Ohren abspielt, könnte man auch als Flimmern bezeichnen. Und die Stimme, die vorhin aus den Stiegenhaus heraufgeschallt ist, könnte die automatische Stockwerkansage des Liftes gewesen sein.


(22.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3531 Ich gehe weiter

 



Im Hof 9. Die Bäume strecken ihre kahlen Äste in den silbrig grauen Himmel, wie wahnsinnig verzweigte Antennen, die die Botschaften aus dem All auffangen wollen und ja nichts verpassen. Bleiches Licht kommt durch die Wolkendecke und legt sich auf so manche Hausfassade, bevor es wieder abstirbt. Oben bei der rechten Ecke des Hofes sitzt noch ein wenig Sonnenglut. Die winterhässlichen Thujenhecken schauen ganz vertrocknet und schmutzig braun aus. Es hallt im Hof; die Stimmen werden von den Hauswänden zurückgeworfen und verstärkt. Ich kann das: benachbarte Gespräche so aufnehmen, als wären sie bloß sinnlose Geräusche; nur vereinzelt dringen Worte und Sätze bis zu mir und mein Bewußtsein durch. Aber jetzt höre ich doch zu sehr zu und das wird mir unangenehm. Ich gehe weiter.


(22.1.2024)


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3530 Mein Handy düdelt

 



8:44 a.m. Ich stelle fest: Mosbachers tödliches Gehölz hat sich von der Wand gelöst und ist hinter das Bett gefallen. Das muß vor ein paar Tagen gewesen sein; erst jetzt bemerke ich es, weil es meine Augen gesucht haben. Mein Handy düdelt und will sich updaten. Meinetwegen. Ich kenn mich eh nicht aus. Mir ist dabei immer etwas mulmig, aber was soll ich tun? Wird schon passen, oder? Wir sind jetzt bei 39%. Mich regen solche Sachen immer auf und absorbieren meinen diesbezüglich hilflosen Geist fast völlig. Ständig mit Dingen umgehen, die man nicht versteht, macht viel Stress. Ich lege das Handy weg. Da war noch eine Info wegen W-Lan, die ich nicht verstanden habe respektive nicht richtig anwenden konnte. Das irritiert mich jetzt sehr und beschäftigt meinen Geist, der lieber bei Mosbachers Kunstkarte geblieben wäre. Oder beim grauen Licht im Zimmer und der lauten Stille. Das Handy düdelt wieder, aber ich kann keine neue Nachricht finden. Mein Daumenstumpf juckt. Ich frage mich: war das schon öfters oder ist es zum ersten Mal? Ich kann mich nicht erinnern. Habe ich davon zu viel Aufhebens gemacht? Es juckt nicht nur an der Stelle, es moussiert und kribbelt; irgendwas Energetisches spielt sich dort ab. Meine Gedanken schweifen nun herum. Ein sehr eigenartiger Morgen.


(22.1.2024)


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Freitag, 19. Januar 2024

3529 Denzinger-Hünermann

 



9:53 a.m. El Hombre que Corre. Fällt mir in den letzten Tagen dauernd ein. Und dass ich alt bin. Und das Sterben in Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung immer näher kommt („Wahrscheinlichkeit!“ - er probiert´s immer noch wegzuschieben! - der innere Spötter). Und mein Gehirn kommt mir extrem versulzt vor. Und überhaupt. Und überhaupt atme und seufze ich und bekomme Hunger.

Oh! Jetzt befällt mich eine leichte Panik! Nur ganz leicht! Nicht der Rede wert (darum auch schreibt er bloß darüber - der innere Spötter). Die Leibesmitte fühlt sich flau an. Ein Anfall, der vorüber gehen wird. Ich sollte mich der Nahrungszufuhr zuwenden, aber ein wenig bleibe ich noch im Wind, der mich da anweht.

Da schau her! Heute rückt die Jessica vom Katz stärker in meine Aufmerksamkeit als die vielbetrachtete frankophone Schweizerin daneben. Und von den Büchern im Regal komischerweise der Denzinger-Hünermann.


(19.1.2024)


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3528 Nein, zu wirr

 



2:21 a.m. Was kann ich um diese Zeit mit mir und meiner Umgebung anfangen? Ich zucke die Achseln. Das Übliche halt. Im Zimmer herumschauen, in die Stille lauschen (meine Ohren dröhnen), die Gedanken und Bilder, die kommen, betrachten und durchwinken. Ich bin beeindruckt von der Bücherwand, die sich da ein paar Meter vor mir auftürmt; sie ist mir für eine Sekunde riesengroß erschienen. Neuerlich erscheint sie mir riesengroß, diesmal für mehrere Minuten. Warum denke ich jetzt an den Wandervogel und was ich darüber gehört und gelesen habe? Ich glaube, das wird mir jetzt zu wirr. Ein bißchen warte ich noch. Meine Erinnerungen sind blind: ich kann mir keine Gesichter herholen, bestenfalls kurze Flashes. Meine Beine fangen an zu ziehen, als würden die Muskeln rebellieren. Werbewoche? Häää? Werbewoche. Der Film einer fiktiven Serie; die Serie gibt es nicht. Alles in meinem Kopf. Nein, das ist mir jetzt zu wirr. Gute Nacht.


(19.1.2024)


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3527 Nummerntafel

 



17:25 (eine Uhr zeigt 24, die andere 26; zwei Uhren im Flur). Was fällt mir heute in der beige-gelben Welt ein? Dass meine Farbbenennung nicht ganz korrekt ist. Nnjjaaa! Vielleicht. Was kümmert’s mich? Die typischen Geräusche solcher offiziellen Räume: die Luftumwälzanlage? Lüftung? Das surrt auch. Das Geklapper der Putzfrau (ja, es ist eine Frau; ja, sie putzt). Heute fällt mir zum ersten Mal das Sonnenuntergangsphoto mit Meer oder See auf. Heute wird hier im Warteraum viel geredet und laut und laut gelacht; es hallt geradezu in meiner inneren Leere (Mein Gott! Übertreibt der gern! - der innere Spötter). Die Gruppe vor uns verläßt den Gruppenraum. Der Raum hat die Nummer 313. Diese Zahl mag ich; ich spekuliere schon seit Jahren, dass ich diese Zahl auf der Nummerntafel haben will, hätte ich ein Auto. Auto! Stichwort! Selbst! Sticht! Dreiviertel, ich lege das Schreibzeugs weg.


(18.1.2024)


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Donnerstag, 18. Januar 2024

3526 Bumm!

 



8:08 a.m. Bumm! Ein Küchensieb ist unten in der Küche vom Nagel im Türstock gefallen und ich bin aufgewacht und putzmunter. Die Rollo vor meinem Zimmerfenster habe ich danach hochgezogen, obwohl die Heizung erst angesprungen ist und damit der Luftpolster vorm zugigen Fenster verloren geht, aber ich bevorzuge heute den Sichtkontakt mit dem Grau des Regentages draußen. Vom Traum, aus dem ich aufgeschreckt bin, habe ich noch ein Zittern im Leib, aber keine Erinnerung im Gedächtnis; nur irgendwas mit Flughafen, Flugzeug, Kontrolle der Flughafenpolizei. Ich entdecke im Vesuvstein im Bücherregal eine winzige glitzernde Stelle. Ich gaffe hin, während meine Ohren lautstark surren. Nichts Besonderes geschieht, nur die üblichen optischen Spielchen, die entstehen, wenn man etwas länger anstarrt, wie Farbkippeffekte zum Beispiel. Aber jetzt geht nichts mehr weiter. Ich muß loslassen. Einzelne Regentropfen höre ich vom Dach gefallen aufschlagen. Interessant: die Stäubchen im Lichtkegel der Leselampe steigen aufwärts! Gibt es im Universum viele kleine unbemerkte Himmelfahrten? Ich werde unseriös – ich lege das Schreibzeug weg.


(18.1.2024)


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3525 Mir ist kalt

 



23:58. Mir ist kalt in meinem Zimmer. Ich bin schon unter der Bettdecke, nur die Hände müssen in der Kälte ausharren. Mein untergeschlüpfter Körper beginnt schon, das kalte Bett zu wärmen, das wiederum langsam meinen Leib zu erwärmen beginnt. Meine bunten Bilder an den Wänden strahlen so klar und deutlich im Schreiblampenlicht. Der schwarze Rabe am Fenster steht ganz still in der Luft. Die weiße Möwe neben meinem Kopf bewegt sich auch nicht und hat ihren Schnabel zuversichtlich und entschlossen auf das Kommende gerichtet. In ihren Augen meine ich einen Hauch Schwermut zu erkennen, aber was will man schon von einem Kleinkinderspielzeug. Rilke soll ein Arsch gewesen sein, besonders zu Frauen. Ich glaube, das könnte stimmen. Aber hier heißt glauben nichts wissen. Und seine Variante möchte ich auch gern hören. Vielleicht ist es wegen dem Mantra, das ich höre, aber wir sind im Kern alles nicht, was wir von uns denken. Und sonst auch nichts. Soeben ist eine Dunkelheit recht flott durchs Zimmer geschwebt. Mein Blick fällt auf das von meiner Tochter als Kind gemalte Auferstehungsbild. Das passt jetzt sehr gut. Ich selber jedoch pendle zwischen Banalität und Ergriffenheit. Ich zögere, eine Kerze anzuzünden. Das lasse ich für heute bleiben (ich fürchte, der viele Staub hier fängt Feuer). Lange blicke ich auf dieses abstrakte, bunte Bild der Italienerin aus der Albertina (Name vergessen) und bin wieder, wie bei der Ausstellung vor Monaten, von den Farben und Formen berührt. Und es hängt gleich neben der Katz’schen Jungen Frau. Ach und jetzt ist meine Aufmerksamkeit davon in Anspruch genommen, was der Gesang mit meinem Ohrensurren macht. Ich würde sagen, ersterer scheucht letzteres zurück, aber dieses widersteht und schrillt mit erhöhter Frequenz. Einzelne Bilder scheinen sich aus der Umgebung zu lösen und frei näher her zu schweben. Irgendetwas nehme ich wahr, was ich auch in der ersten Volksschulklasse gespürt habe, aber ich komme nicht hinein und kann nicht sehen und nicht erkennen, was es ist (das Bild, wie ich in der Klasse des Volksschulneubaus sitze und mich dieses unbestimmte Gefühl anwandelt, ist mir präsent). So eine Art innerer Riss, der die wahre Welt, die so nahe ist, unerreichbar macht. Ich lasse dieses Gefühl wieder absinken. Ich meine mich zu erinnern, dass wir einen Text über einkaufen behandelt haben mit Bildern von einem Milchgeschäft (bei einer solchen Erinnerung werde ich selber mißtrauisch). Also, ich lasse diese Gefühle wieder absinken. Meine Fingernägel könnte ich auch wieder einmal schneiden. Morgen vielleicht. Meine Füße sind noch ein wenig kalt. Heute beim Herumgehen in der schon nächtlichen Stadt habe ich erkannt, dass all die Häuser Maschinen sind. Ich muß lachen: mein kleines Auferstehungsbild, von mir gemalt nach irgendeinem berühmten, hat sich in ein Bild eines Frauengesichtes verwandelt. Schon vorbei. Nachträglich ist völlig unverständlich, wie das gehen konnte. Farben und Formen legen das nicht nahe. Irgendwo zieht es kalt unter die Decke herein. Schaumamal Mosbachers Gehölz an. Aber meine Augen gehen zu meinem kleinen – tja, wie nenne ich das? - Liturgiebildchen, Priesterbildchen, wie schon öfters in dieser Nacht (weil ich nicht recht weiß, wie ich das Bildchen – hier an der Pinnwand eh nur eine Farbkopie vom Original, das ich vor Jahren blöderweise verschenkt habe – benennen soll, erwähne ich es nicht oft. Und auch weil ich mich für seine geballte Klerikalität und sein Religionsgetue geniere), es hängt direkt über der jungen Frau von Katz. Mein Körper wird unruhig – er will sich ausstrecken und schlafen.


(17./18.1.2024)


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3524 Beige-gelbe Welt

 



17:25. Wieder sitze ich im charmanten Ambiente der Österreichischen Gesundheitskasse (das ist nicht nur ironisch; mir ist das lieber als eine falsch aufgetakelte Umgebung, die mehr scheinen will als sie ist. Dann lieber ein unerleuchteter Funktionalismus, der natürlich auch gern ins Gestellhafte ausartet, ins Bürokratische sowieso und in armselige Ästhetik (hoffentlich habe ich das richtig geschrieben; so gebildet bin ich auch wieder nicht und in Deutsch hatte ich immer Dreier und Vierer.) (In Gedanken schimpfe ich jetzt mit meiner Deutschlehrerin, aber das stellen sofort wir ab.)). Also was assoziiere ich sonst noch in dieser Beige-gelben Welt? Die Farben sind gar nicht so unangenehm. Die schlanken, schmalen Türrahmen in gutem Kontrast in dunklem Blau gestrichen (der idiotische Infoscreenbildschirm ist gottseidank aus). Ich stelle mit Erstaunen fest: es gibt Leute, die benützen gar nicht die Garderobe, sondern hängen ihre Mäntel hier an die Kleiderhaken und ziehen hier ihre Indoorschuhe an. Ich bin schon recht umständlich und autoritätsgläubig! Na gut, soll sein! Noch drei Minuten bis zum offiziellen Bewegungstherapietermin. Zweieinhalb Minuten. Zwei Minuten. Jetzt würd’ ich sagen: eineinhalb. Fast schon eine Minute. Ich halte die Spannung nicht mehr aus und stecke das Schreibzeug in den Rucksack.


(17.1.2024)


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Mittwoch, 17. Januar 2024

3523 Näher an die Wand gerückt

 



9:29 a.m. Ein wenig näher an die Wand gerückt hocke ich im Bett und wundere mich, dass ein paar Zentimeter Sitzplatzverschiebung so viel ausmachen und ein anderes Lebensgefühl hervorrufen können. Draußen hat es überraschend geschneit; es liegt eine dünne, zerschlissen unfertige Schneedecke vor allem auf den Dächern, wie ich aus den Fenstern in Atelier und Musikzimmer gesehen habe. Jetzt stiere ich verschlafen und starr in die Leere vorm Bücherregal bis sich die nur ausgebremst wahrgenommenen Dinge verändern und der Eindruck einer anderen Wirklichkeit entsteht. Ein leichter, deutlicher Druck hat sich an meiner Nasenwurzel gebildet. Ich habe nicht zu allem eine Meinung und vor allem wechselt sie ständig, darum kann ich kein offizieller Schriftsteller sein – fällt mir gerade so ein. Nun blicke ich zu dem kleinen, vollgeladenem Bord links an der Wand zwischen Zimmertür und Fenster, das ich spöttisch meinen Hausaltar nenne und die Wand dahinter nicht weniger spöttisch meine Ikonostase. Und das Glitzern des leeren Weihbrunns, der drei kaum benutzten Räuchergefäße, der angelehnten Walkingstecken und besonders der leeren Alubehälter der ausgebrannten Teelichter suggerieren dort eine besondere Anwesenheit oder rufen sie gar herbei. Über meinen von abgelegtem Zeugs überbordenden Kleidersessel unterm Hausaltar mit der langen und der kurzen Unterhose oben drauf muß ich schmunzeln. Ich genieße diese Koexistenzen und treibe sie gern weiter: Ich stehe jetzt kurz auf und fülle den verstaubten Weihbrunn mit schon von Algen bereichertem Weihwasser, das oben im Regal schon viele, viele Jahre in einer Glasflasche zwischen Christine Lavants Gedichten und Kerenyis Mythologie der Griechen steht. Schaun wir mal, was das bewirkt, noch dazu, wo beim Öffnen der Flasche ein Stück vom bereits korrodierten Gummiverschluß in den Weihwasserbehälter gefallen ist. Ich rücke noch einen Zentimeter nach rechts, zumindest habe ich es redlich versucht. Ich rücke nochmals und diesmal bin ich ganz sicher, dass sich mein Hintern nach rechts bewegt hat. Mein Blick von hier ist optimistischer, fröhlicher, aus besser gesicherter Position heraus. Mein Blick geht unwillkürlich schräg nach links zur Altarwand und nicht wie in der üblichen Position geradewegs zum Bücherregal und zum Kastl am Bettende mit der arroganten Frau vom Katz. Meinen Kopf leicht nach links geneigt genieße ich die neue, frische Perspektive. Staubsaugen könnte ich auch wieder einmal, aber dieses Thema kratzt mich nur am Rande. Ich atme tief und mit innerem Schmunzeln, von dem ich vermute, dass man es auch auf meinen Lippen sehen kann, ein. Ich dreh meinen Kopf absichtlich nach rechts an die näher gerückte Wand und betrachte mit hingedrehten Augen die Zeichnungen meiner Töchter und die Kunstkarten dort von Kokoschka über Kubin zu Thöny und anderen, deren Namen ich vergessen habe. Etwas weniger anstrengend nach rechts gedreht sehe ich aus spitzem Winkel Karten von – verdammt! Mein Gehirn! Ich habe die Namen der Künstlerinnen und Künstler nicht vergessen, sie fallen mir nur nicht ein! - Marie-Luise von Motesiczky – verdammt! Jeden Namen muß ich mir unter großen Anstrengungen erkämpfen! - Weiler, Munch, Mosbacher und der vom Hellerskandal, der mir nicht einfallen will (ah! Basquiat! Gegoogelt). Andere Künstler habe ich wirklich vergessen und weiß nicht mehr, von wem das Bild auf der Kunstkarte ist und wie sie heißen. Und jetzt auch mit nach rechts geneigtem Kopf aber geradeaus geblickt auf die lustigen Weiber, halb- bis Vierfünftel nackt und vermutlich gar nicht immer so lustig, am Kastl direkt vor mir am Bettende. Es sind auch andere Kunstkarten mit anderen Sujets an die Wand getackert, aber jene Nackten dominieren; nicht einmal die arrogante Katz’sche Junge Frau kann denen beikommen, im Gegenteil: fast scheint sie heimlich verstohlen zu lächeln. Oder doch nicht: wenn ich länger hinblicke, verliert sich dieser Eindruck. Ich statte noch den zwei neuvalistischen Visionären einen optischen Besuch ab, obwohl sie schon außerhalb des Lichtkegels der Leselampe recht hoch hängen. Drehe ich die Lampe hinauf, hält sie nicht in dieser Position und rutscht mitsamt ihrem Lichtstrahl wieder herab. Die zwei Visionäre sind die, die in meine Richtung zu gaffen scheinen, aber ihr Blick ist so intensiv, dass ich annehme, sie sehen mich nicht (schließlich bin ich ja keine Vision, oder?). Und weil – so denke ich mir das zurecht – weil ich keine Vision bin, bekomme ich jetzt Hunger und will hinunter in die Küche frühstücken gehen, mitten durchs lebhafte Tageskindergeschehen.

Etwas habe ich noch vergessen: wenn ich in dieser neuen Position im Bett liege oder hocke, befindet sich der säulenartige CD-Ständer exakt in der Verlängerung meiner – wie sage ich? - Leibesmitte.


(17.1.2024)


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3522 Irgendsoein Mantra

 



0:39 a.m. Ich höre im Bett irgendsoeinen Mantragesang und der tut meiner Seele gut. Schon eine Aufnahme, die für abendländische Ohren zurecht gemacht ist: zwischen der einzigen Strophe, die jedoch ständig wiederholt wird, gibt es kleine Passagen, die mit zartem Klavier und einem oboenartigen Blasinstrument bespielt werden. Die Melodie, von ein paar Männerstimmen gesungen, geht so innig rauf und runter und erinnert mich an ein Wiegenlied. Der Text ist vermutlich Sanskrit. Meine Seele beginnt leicht zu schaukeln und mich ergreifen Wellen aus ungeheurer Sehnsucht. Ganz alte, verlorene Erinnerungen scheinen auftauchen zu wollen, wer weiß woher, als wäre irgendwann einmal die Welt in Ordnung gewesen und das Leben in Fülle. Immer wieder meldet sich in mir eine Instanz, die von all dem nichts wissen will, die mich Hörenden verspottet. Die Sprache, von der ich kein Wort verstehe, berührt mich auch, auch sie erinnert mich an ein Wiegenlied. Die kleine Melodie, die das Klavier alle zwei Strophen als Zwischenspiel anschlägt, ist auch so schön; ebenso die alternierende, wo das Zwischenspiel von diesem Holzblasinstrument getragen wird. Verschüttete Gefühle aus meiner Kindheit fließen heran, aber zu undeutlich, als dass ich sie wirklich erfassen und aussprechen könnte. Es muß ein ungeheurer Schmerz gewesen sein, der mein Herz zerrissen hat. Ich bin mir gar nicht sicher, aber so erscheint es mir. Ich spüre jetzt ein Stechen in meinem Herzen. Ich lockere meine linke Hand, die das Notizbuch hält. Ich strecke meine Beine aus. Ich lege das Schreibzeug weg und schließe die Augen. Ich höre.

(Ajai Alai; Mantra for Being in Your Power)  


(17.1.2024)


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3521 Warten auf Galileo

 



18:15. Ich warte auf Galileo. Nein, nicht auf Godot, auf Galileo. Hier im Warteraum sitzt jeder, jede für sich, schaut in die Luft oder ins Smartphone. Gottseidank ist der elende Österreichische-Gesundheitskasse-Infoscreen-Bildschirm tot und ausgeschaltet. Eigentlich müßte ich furzen, aber ich gehe jetzt zwei Minuten vor Spielbeginn nicht vom zweiten Stock hinunter ins Erdgeschoss, wo die Kunden(?)toiletten sind. Die Klappe zum Briefschlitz in der Tür zum Behandlungsraum, wo man die Behandlungskarte einwerfen muß, wenn man drankommen möchte, wackelt unaufhörlich, aber lautlos in ihrem Scharnier. Magisch wird’s ja nicht sein, also tippe ich auf einen eigenartig verhaltenen Luftzug, der kein Klappern erzeugen will. Der Coach kommt mit Verspätung und die Vorherigen im Behandlungszimmer sind noch nicht fertig und tun noch schnell, schnell aber lange herum; der Weg hinunter ins Erdgeschoss wäre sich locker ausgegangen.


(16.1.2024)


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3520 Vorm Aufbruch

 



16:14. Wie ist es, mein Freund, so am Nachmittag zu schreiben? Dazu muß ich sagen, dass ich zwar im Atelier mit dem großen Fenster sitze, aber dennoch ist es hier schon recht düster. Die nackten, buntgrauen Bäume im Hof schaffen es irgendwie – wie weiß ich nicht – einen angenehmen farblichen Übergang vom weißlichen Grau der Hausmauern zum gebrochenen Rot der Dachziegel herzustellen. Ich liebe diese Farben! Damit das klar ist: ich mag keine mit elendem Kitsch farblich aufgepeitschte Hausfassaden. Das wäre ein Greuel (eben nicht „Gräuel“ von grau!). Ich bin so froh, dass es hier keine Wandbehübschung, keine Reklametafeln und keine Leuchttafeln gibt. Das Auge kann sich ausruhen und sich an den feinen, verhaltenen Farbnuancen erholen. Bald muß ich los und zum Rückenturnen aufbrechen (diese unsere Welt ist schon schwer zu ertragen; was für ein Glück, in diesem optischen Asyl zu wohnen). Der Himmel – vorher noch ganz grau – verfärbt sich jetzt rosa. Eine heikle Farbe für mich! Aber so zart unter grau, weiß und blau ist sie schön. Die grünen Pflanzen am Fensterbrett mischen auch noch im Farbenspiel mit und machen optisch etwas gegen die Helle vom Fenster her hin. Aufbruch.


(16.1.2024)


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Dienstag, 16. Januar 2024

3519 Mit den Walkingstecken

 



9:29 a.m. Einen über ich-weiß-nicht-wie-vielen Spiegelungen laufenden Sonnenlichtstreifen – zirka einen halben Meter lang und zwei Zentimeter dick – sehe ich an der Hausmauer im Lichtschacht, wenn ich aus dem Fenster blicke, und selbst vom Bett aus kann ich eine helle Stelle am Boden unter dem Schreibtisch, der vorm Fenster steht, wahrnehmen. Anders gesagt: draußen ist ein herrlich strahlend sonniger Tag. Warum stehe ich nicht auf und gehe in den Augarten zum Beispiel? Ist es schlechte Gewohnheit, in meiner Kemenate, noch dazu im Bett zu verharren? Es gibt schon etwas in mir, das fröhlich loshüpfen will; so: Bruder! Zur Sonne! Zur Freiheit!
Himmelherrgottnochmal! Ich mache es glatt! Ich stehe auf, ziehe mich an, nehme die Walkingstecken und gehe flott los.


(16.1.2024)


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3518 Nocheinmal

 



8:46 a.m. Obwohl ich mich nocheinmal ins Bett lege, ziehe ich die Rollo hoch, obwohl diese das Fenster gegen die Kälte dämmt, denn selbst das schwache, graue, von Hausmauern gefilterte Licht bereichert meine abgelegene Kammer und öffnet den Blick ins Offene, Freund. Der kommt dann zwar nicht recht weiter, der Blick, prallt an den Hausmauern ab, spiegelt sich in den großen Fenstern des gleich gegenüber dem Lichtschacht gelegenen Stiegenhauses, aber wenn ich an den Schreibtisch herantrete, mich weit vorbeuge und nach oben schaue, kann ich einen kleinen Fleck vergitterten Himmels sehen. Vom Bett aus sehe ich mit meinem schrägen Blick nur die graue Hauswand (gegen die und ihre Gräue ich nichts habe), aber ich weiß um den kleinen Ausblick nach oben und dass das Licht von dort kommt; das spüre ich bis zu mir her im Bett. Ich lade diese Lichtenergie - oder wie wir das nennen wollen - geradezu ein, ins Zimmer hereinzusickern und auch mich zu berühren und von Grund auf zu heilen.


(15.1.2024)


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Samstag, 13. Januar 2024

3517 Der Gaukler

 



9:09 a.m. Die Frühlingsblumen am Wohnzimmertisch, die Tassen, Untertassen und die kleinen Schüsseln aus Glas: alles geschlichtet und präsentiert wie von einem Gaukler auf seinem Gauklertisch (Tarot!) (Es war ja ich, der das Tageskindergeschirr aus dem Geschirrspüler hier abgelegt hat). Dahinter der große dreifaltige Wohnzimmerbaum, mit Bändern aus seiner Krümmung aufgerichtet und hochgezogen. Wann beginnt die Vorstellung? Oder drückt sich der Gaukler, weil er gar keine echten Tricks auf Lager hat? Ich selbst warte auf das Frühstück, das meine liebe Frau ins Bett servieren wird. Dabei kippt mein verschlafener Kopf nach vorne fast auf die Brust. Die Augen kann ich kaum offen halten. Erst jetzt erkenne ich es: der Wohnzimmerbaum will zum Fenster hinausgreifen, ins Helle, Offene, Freund! Die Müdigkeit übermannt mich. Die Gestalten, die ich vor der inneren Dunkelheit herumgehen sehe, sind Geträumte, oder Scouts aus anderen Dimensionen des Universums, die in unseren Träumen ein und ausgehen, wie es ihnen beliebt.

Gegen 14 Uhr. Oh, was für ein Kaffeerausch! Wenn ich zum Fenster hinausblicke, sehe ich die Trümmer der zerstörten Flotowvilla – der Flotow ist mir egal, aber um das Haus ist es schade. Wäre ich reich, hätte ich es gekauft und saniert. Aber ich schaue gar nicht aus dem Fenster, denn ich habe meine Kaffeerauschvorstellung: ich rede aufgedreht und nicht einbremsbar in einem durch, ein Vortrag nach dem anderen zu allen Themen der Welt und darüber hinaus (Transzendenz), meine Frau und meine Tochter schauen schon etwas betreten und werfen mir Blicke zu, die andern schauen verlegen weg oder führen betont und forciert ihre eigenen Gespräche, ich merke schon: ich könnte den zum Zuhören genötigten Anwesenden schon recht auf die Nerven gehen, aber meine Redeeuphorie ist stärker; ich kann weder stoppen noch aufhören. Bald schnappe ich über. Das alles nur wegen zwei Tassen Kaffee und dem Rückstau an nicht ins Leben gebrachten, beruflich ordentlich gehaltenen Vorträgen (das ist so bei verhinderten Predigern). Wirklich: ich bin ziemlich tatü-tata unterwegs. Meine Frau mahnt schon zum Aufbruch und will mich offensichtlich abziehen; ich nehme an, sie will ihren Vater, ihre Tante und die anderen vor meinem Redeschwall schützen (oder unterstelle ich das bloß?). Ob die Flasche alkoholfreies Bier vorher mit ihrem Restalkohol für meinen Rausch auch eine Rolle spielt, muß ich offen lassen. Ja, ich sehe es ein, so geht das nicht. Ich muß runterkommen. Soll ich jetzt von mir aus zum Aufbruch drängen? Meine Frau strickt um ihr Leben oder zumindest um ihre Contenance, vielleicht darf ich das auch nicht stören; unterbreche ich sie, wer weiß, was ich damit wieder auslöse.

Am Rückweg nach Hause dann setze ich mich ganz hinten in den Bus, abseits und in Distanz zu den andern.


(13.1.2024)


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Freitag, 12. Januar 2024

3516 Mehr Rationalität

 



9:12 a.m. Die Gegenstände im Zimmer sind wieder ganz stabil und halten sich an die Vorschriften der Wahrnehmungsverordnungen des Common Sense. Mein Geist ist zumindest für diesen Augenblick des Aufsetzens hellwach und von asketischer Nüchternheit. Nur fängt jetzt wieder das Gähnen an und Müdigkeit beginnt sich heranzuschleichen und aus Leib und Gliedern aufzutauchen. Eh schön und angenehm das Ganze mit seiner morgendlichen Bettlust (gemeint ist die Lust aufs Bett). Jetzt muß ich doch kurz aufstehen und in die Kälte raus. Der Weg ins Badezimmer ist ja nicht weit, das werden wir schon schaffen.

Zurück im Bett. Was jetzt? Sollen wir ins Internet schauen? Bislang habe ich das zu dieser Stunde und von diesem Ort aus vermieden. Also die näher hängenden Bilder sind schon noch scharf und fest, bei den entfernteren im nicht gänzlich ausgeleuchteten Bereich bin ich mir nimmer sicher. Mißtrauisch kontrolliere ich, ob sich dort etwas zu bewegen beginnt. Nein, doch nicht.

Doch! Doch! Ganz leicht, kaum merklich hat’s angefangen, jetzt, wo ich länger hinschau. Ich merke, ich bin noch nicht völlig ausgeschlafen. Das Rettenschoessbild wirkt brütend und melancholisch. Bitte fragt den kosmischen Einflüsterer, was das heißen soll! Gut, dieser eine, etwas absurde blaue Berg sitzt breitarschig auf der Wiese im Bild und dünstet heute eine dumme, unbeholfene Schwermut aus („strahlt“ wäre zu hell). Ich habe mit dieser Schwermut jetzt nichts zu tun! Mali Lošinj? Flacher als sonst. Mit schiefem Kopf gaffe ich weiter an der Leselampe vorbei auf das Bild und da ist nun einiges los: Wolkenhimmel, Stadt, Landschaft und Meer verändern sich; sie wechseln ständig ihre Aggregatzustände und manchmal sogar ein wenig ihre Konturen, in Rettenschoess auch die Wiesen, Hügel und Berge. Als würde am rechten Rand ein Dämon auftauchen, der das Bild und seine Landschaft in Besitz nehmen will und sich immer deutlicher ins Bild wölbt. Mali Lošinj scheint sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben und Veli Lošinj war gar nicht aufgeregt. Und das kleine Photo der blauen Abfahrt von der Riesneralm? Das entwickelt mit Hilfe seiner vernebelten Sonne einen sanften Sog, mit dem es mich und meine Aufmerksamkeit hineinziehen will, nicht brutal, nicht rustikal gewalttätig, sondern freundlich und verlockend (die saligen Fräulein der Riesneralm werden es trotzdem nicht sein, denke ich).

Bei Veli Lošinj muß ich immer über den eigenartigen Baum links im Bild den Kopf schütteln, irgendwie so unnatürlich geometrisch, mit einem unnatürlich herabhängenden Ast; nicht einmal mit der Vorstellung, dass er abgeknickt ist, läßt sich sein Erscheinungsbild rechtfertigen oder erklären. Ah! Das Bild offeriert eine eigene neue Lösung: der Ast löst sich endgültig vom Baum und verwandelt sich in einen Teil der Landschaft im Hintergrund. Ich drehe die Leselampe hoch, um aufs Bild zu leuchten, damit ich schauen kann, ob sich das ausgeht. Das Bild ist so vage, unentschlossen, möglicherweise schlecht gemalt, dass ich das von hier aus nicht sagen kann (das Bild hat er selbst gemalt! - der innere Wärter über wahr und unwahr). In Rettenschoess bäumen sich Teile der Wiesen und Hügel auf (auch wenn sie nicht bewaldet sind), fangen zu krabbeln an und scheinen gegen den zentralen, unnatürlichen blauen Berg zu rebellieren. Mein innerer Wächter will jetzt den ins Phantastische ausufernden Schreibprozeß stoppen und fordert mehr Disziplin, Nüchternheit, Rationalität und Strenge ein (er will mich zur Räson bringen!). „Na gut!“ seufze ich „dann lassen wir das!“


(12.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3515 Wo ist Peter?

 



2:43 a.m. Dreiviertel Drei? Schnell ist die Zeit vergangen! Meine Wachenächte vergehen so schnell. Fast alles schläft, einsam wache ich. Nicht dass ich mit dieser befreiten Zeit allzu Gescheites anzufangen weiß, aber von Sozialstress erholen tu ich mich schon. Ui! Jetzt scheinen hinter dem Bücherregal große, amöbenförmige dunkle Schatten herumzukriechen (Ihr kennt mich schon: ich mystifiziere bloß irgendwelche optischen Effekte meiner müden Augen. Aber wer weiß …).

Schlecht war der Tag nicht, das will ich damit nicht sagen. Ich lächle sogar bei seiner fragmentarischen Rekapitulation. Aha! Und die Bücher fließen ab. Scheinbar. Wenn ich nicht hinschaue, schwebt nun am Plafond so ein fetter Leuchtwurm, mindestens einen halben Meter groß; wenn ich hinschaue, ist er gar nicht da. Peter ist da. Wo ist Peter? Peter ist im Bett. Ich lächle wirklich! Zumindest von innen schaut es so aus (wo sitzt eigentlich der innere Schauer genau?). Oho! Die frankophone Schweizerin fängt an zu tanzen! Das Bild ist im Dunklen und ich kann sie nicht deutlich sehen, aber sie bewegt sich hin und her. Was macht die junge Frau vom Alex Katz? Die wirkt auch irgendwie verändert. Ihr schwaches Leuchten verdunkelt sich ein wenig, aber sie zappelt nicht herum; dafür ist sie zu sehr auf ihre Elegance bedacht. Ihr Geschau jedoch wird arroganter. Nun beginnt sie langsam aufzusteigen, wie von einem unsichtbaren Lift in die Höhe gefahren, verläßt aber ihren Platz nicht. Sie wirkt dabei schwach lebendig. Jetzt nickt sie fast unmerklich mit dem Kopf. Hat sich die Geisterstunde wegen der veränderten Lebensgewohnheiten des modernen Menschen um drei Stunden verschoben? Ich mein’, die meisten gehen viel später schlafen als die meisten in den alten Zeiten. Mein Mund vibriert kurz ganz aus eigenen Stücken, ein Ziehen umläuft ihn. Bin ich in meine Säuglingszeit abgerutscht? Warum ist dann meine linke Hand schon wieder verkrampft? Diesmal lasse ich sie so. Hinter dem Surren redet irgendwer: verstehen kann ich nichts; zu weit entfernt. Scheinen weibliche Stimmen zu sein. Die zwei Visionäre da an dem Kastl gepinnt verschwinden hinter ihren riesigen Scheinwerferaugen; ich immer mehr hinter meinen zugefallenen

(12.1.2024)

©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 11. Januar 2024

3514 Im Katscheli

 



Die Fenster des schräg gegenüber des Cafés stehendes Hauses zittern. Zuerst denke ich, es wäre der Wind, aber es ist kein Wind. Also wird es ein Phänomen aus subtilen Unregelmäßigkeiten des Fensterglases (das des Cafés? Das der Fenster drüben?) und die der Verformungen aus Augenbewegungen und Lesebrille sein. Juvenile Männer (nach römischer Lebensabschnittseinteilung) mit langen Haaren, Rauschebart, intellektuellen Brillen, tiefer, sonorer Stimme und amerikanischen Handbewegungen klingen auf amerikanischem Englisch trotz leichter Unsicherheiten einfach selbstsicher und furchtbar kompetent. Ich beneide den Gast dort (beneiden darf man nicht! - der innere Zensor). Fensterglasgespiegelte Sonnenlichtflecken auf der Fassade des schräg gegenüber liegenden Hauses (es ist jetzt schon müde geworden). Wie es hier so ist, sehe ich mich im großen Spiegel weit gegenüber: ein verhalten schmunzelnder (gelogen! Das kann man auf die Entfernung gar nicht sehen! - der innere Zensor) älterer (sic!) Mann hat in sîne hant gesmogen daz kinne und ein sîn wange. Dó dâhte er sih vil ange, wie man zer welte solte leben. Deheinen rât kond er nit geben … mit der Fünfziger-Jahre-Literatenbrille im Gesicht und den Kopf schief und die Glatze so regelrecht in die kosmische Kamera haltend (schauen einem die da oben beim Lebensgezappel zu? Ich frage für einen Freund). Jetzt kommt doch Wind auf: ich sehe es an den Dachplanen des Schanigartens vorm Lokal. Ansonsten finde ich nichts Besonderes im Umherschauen: was soll ich mit den blechernen Abgasrohren auf den gemauerten Kaminen, den verzerrten Spiegelungen der ihnen gegenüber liegenden Häuser in den Fenstern der mir gegenüber liegenden Häuser? Das wenige Glitzern im und vom Sonnenlicht scheint mir nicht erwähnenswert.

Die Musik im Lokal düdelt ganz angenehm dahin. Der Kaffee macht, dass ich ein wenig unruhig und nervös werde, mit den Fingern leise auf den Tisch tätschel und es mir am Kopf zu jucken beginnt. Ich bin gar nichts – fällt mir ein - und momentan scheint mir auch die Freiheit des Abseitigen wie dem Hans-im-Glück die seine zu gefallen. Frage: würde die Nationalbibliothek meinen literarischen Nachlass annehmen, wenn ich ihn ihr testamentarisch vermache? Alle Ausdrucke, Notizbücher, USB-Sticks (USB-Stick ist mir nicht und nicht eingefallen; ich mußte das Wort googeln. Was ist mit meinem Gehirn los?!), aber keine gedruckten Bücher, keine Zeitschriftenartikel? (By the way: wie nennt man das „l“ in köpfeln, füsseln, hanteln etcetera? Auch Suffix?) Jetzt hebt gerade besonders schöne Musik an; noch läuft das Intro; ich bin schon neugierig auf den Gesang. Aber der kommt immer noch nicht. Besteht das ganze Stück nur aus Erwartung aufbauendem Intro? Nein! Jetzt hat ein Mann mit starker, schöner, männlich gebrochener Stimme auf Spanisch zu singen begonnen. Ich bilde mir ein, in Gesang und Melodieführung arabischen Einfluß herauszuhören. Ich kenn mich mit Musik ja gar nicht aus. Ist das überhaupt Spanisch? Bevor ich nochmals genau hinhören kann ist das Lied beendet. Meine zêhen bewegen sich in den Winterstiefeln, wahrscheinlich sollte ich gehen. Gehen wir! Aber vorher knete ich noch melancholisch und nachdenklich meine Handflächen – schaut einsichtig und gut aus – hoffe ich – und fördert die Durchblutung.




(11.1.2024)




©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3513 Hoffnungsreich

 



1:46 a.m. Fast wie Schneetreiben nehm’ ich es wahr, wenn im kalten Zimmer die aufgescheuchten Staubflankerln von links nach rechts durch den Lichtkegel der Leselampe fliegen. Aber das geht vorbei. Wenn ich ganz genau schaue: es fliegen noch, aber nur mehr ganz winzige Teilchen umher, interessanterweise auch alle von links nach rechts. Für einen Leserbrief bräuchte ich germanistische Hilfe. Wurscht! Ich bin noch ein wenig aufgedreht, innerlich. Ich suche einen eleganten Ausstieg aus der akuten aktuellen Schreiberei um mich richtig hinlegen zu können, oder wenigstens eine kleine Pointe; so kann ich den Text nicht stehen lassen. Da muß noch was kommen. Ich suche meine vielen Bildchen an den Wänden ab, aber alle lösen nur ein innerlich intensives, äußerlich verhaltenes Achselzucken aus. Ich blicke auf meine alten, faltigen Hände; die Sinniererei daraus führt zu nichts. Jaa! Seufzen! Tief die Luft einziehen, langsam, dann wieder ausatmen (beim Eintippen löst das immer unwillkürliche, tiefe Atemzüge aus – der Eintipper). Ein Schmunzeln läuft über mein Gesicht – vermute ich zumindest. Jetzt kommt das Gähnen (gelüftet ist schon). Wenn nicht bald eine zündende Idee auftaucht, schlafe ich beim Schreiben ein (und du Leserin? Leser? Beim Lesen auch?). Da wird nichts mehr. Vielleicht habe ich mein Pulver verschossen. In meinem Kopf laufen Dialoge ab, aber ich verstehe die Redenden nicht: sie reden undeutlich, sind zu weit weg, nuscheln – ich verstehe gar nichts. Mir reicht’s jetzt.




10:07 a.m. War das eine schöne Nacht! Sowohl der Schlaf als auch der Halbschlaf waren wunderschön. Warm unter der Decke, die Träume angenehm, die Gedanken im Aufwachen nicht selbstzerstörerisch, die Bilder und Assoziationen – sagen wir: positiv, erfreulich und hoffnungsreich (Lassen Sie mich doch dieses hymnische Wort erfinden (hymnisch: laut Mackensen letztlich von griechisch ύμήν - hymên - Bändchen)). Das Kreuzweh nur ganz leicht und moderat verharre ich noch ein wenig im Bett und lasse das Ganze nachklingen. Innerlich jedoch freue ich mich schon aufs Aufstehen, Frühstücken und auf den frischen Tag.




(11.1.2024)




©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 10. Januar 2024

3512 Inhaltliche Verwahrlosung

 



9:00 a.m. Wie schön das ist: aufzuwachen und keine Verpflichtungen oder wenigstens noch viel Zeit bis dahin zu haben. Das ist meine liebste Zeit, wenn mich keine Verpflichtungen niederdrücken: einfach sein, bis ich müde werde (Nacht); einfach sein, bis ich hungrig werde (Morgen). In der Früh (Er hat schon in der Handschrift unabsichtlich statt „Früh“ „Frau“ geschrieben! Hahaha! - der Innere Spötter), in der Früh also, nach dem die eigenartige Folie, in die die traumverhangene Aufwachphase eingehüllt ist, mit einem Knall aufgeplatzt ist (es kommt mir wirklich vor, als könnte ich das hören), stehe ich kurz auf, um aufs Klo zu gehen, hocke mich dann wirklich genüßlich ins Bett und unter die Deck, schaue mich im kleinen, stillen Zimmer um, lausche auf mein Surren in den Ohren, schreibe dabei unaufgeregt vor mich hin, seufze tief (immer auch, wenn ich das eintippe – der Eintipper), schaue nach, was sich in meinem Körper, in meiner Seele, in meinem Geist abspielt, lasse meine Assoziationsketten sich abspulen, überhaupt die Gedanken: schaue den alten, üblichen Gedankenkarussellen zu, folge ihnen ein wenig, verwerfe sie, plötzlich taucht heute ein neuer Gedanke, eine neue Erkenntnis auf (oft auch nicht) und jetzt höre ich die schreienden Tageskinder das Stiegenhaus heraufkommen. Das heißt heute: es wird Zeit, mich mit Frühstück etcetera auf den ärztlich verordneten Psychologinnentermin vorzubereiten und dann aufzubrechen. Ist duschen notwendig?, frage ich mich noch; am Morgen bin ich äußerst wasserscheu. Aber das ist eine Frage einer einfachen Entscheidung. Ich beschließe, mich gleich zu duschen. Ein paar tiefe Atemzüge noch, ein kleines, schreibgestütztes Verharren und herumschauen, das eher ein Augenweiden, ein liebevolles optisches Streicheln meiner Umgebung ist als aktives Blicken. Dann halte ich mir die Uhrzeit vor Augen (auch wörtlich: mit Smartphone) und die Zeit, die ich für alles brauche, und jetzt geht es los. Nach der morgendlichen Reinigung zum Schluß auch kalt duschen? Trotz Kälteempfindlichkeit meines Rückens? Ja.

11:47 a.m. Ich warte darauf, aufgerufen zu werden. Durchs gerippte Glas des kleinen Fensters gegenüber an der anderen Seite des Ganges blendet mich die Sonne. Gott-oder-wem-oder-was-auch-immer-sei-Dank habe ich in einem Seitengang einen Platz gefunden, wo ich nicht auf diesen blöden Österreichische-Gesundheits-Kasse-Bildschirm schauen muß (wenn der direkt mir gegenüber hängt, kann ich nicht nie hinschauen). Das WC ist nur fürs Personal. Ich geh jetzt so knapp vor dem Termin nicht mehr die Stiegen hinunter. Dafür geht nun die vermutete Psychologin auf dieses Personalklo. Ich höre das Wasser rauschen. Ich stelle mir vor … nein, stell ich mir nicht vor! Alles besser als der Bildschirm ums Eck mit seinem entwürdigendem Getue und veralteten Botschaften.

In letzter Zeit scheinen meine Spezialität hatscherte Texte zu sein, die regelmäßig und immer wieder in die Spalten ihrer eigenen Brüchigkeit und formalen sowie inhaltlichen Verwahrlosung abstürzen.


(10.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3511 Das Bett

 



1:29 a.m. Meine Hände sind recht kalt, aber den Pilotstift kann ich halten. Ich übertreibe sowieso gern. Das Bett ist mein liebster Platz, mein friedlichster Ort, mein Asyl, wo ich mich geschützt fühle. Ein Loblied auf das Bett in meinem Zimmer. Wirklich sicher ist es natürlich nicht. Und gleich beginnt die Wand mir gegenüber mit Bücherregal und Bildern sich zu bewegen, als würde alles hinunterrinnen – allerdings bleibt gleichzeitig alles an seinem Platz. Ein Eindruck entsteht, als würde alles flüssig werden. Nun, dass der Moment irgendwann kommen wird, wo sich die stabile Welt um mich herum auflösen wird, ist gewiss. Aber nehme ich das ernst?


(10.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3510 Vielleicht ein Baum

 



Vielleicht bin ich irgendein Baum, der sich in die Menschenwelt verirrt hat, denn mir sind auch ein paar Grad unter Null lieber als ein paar Grad über Null (was Peter Wohlleben von den Bäumen sagt).

7:15 a. m. Ich war schon in der Kälte draußen und die hat schon unter meine etwas zu kleine Mütze reingebissen. Aber viel kann es nicht sein: ich sehe viele ohne Kopfbedeckung. Nun sitze ich wieder einmal vor einer Ordination und warte auf den Arzttermin. Das Ambiente: der diskrete Charme nicht der Bourgoisie. Die von zwei Seiten beleuchteten Kleiderhaken machen doppelte Schatten und das schaut wegen der Krümmung lustig aus. Noch fünf Minuten bis zum Termin. Ich werde nervös. Ich weiß gar nicht, zu was ich da bestellt worden bin. Was steht am Zettel? Arztvortrag. Klingt nach Belehrung. Warum auch nicht. Jetzt lege ich mein Schreibzeug weg; vor Aufregung kann ich nicht mehr schreiben.

Die „Belehrung“ war sehr erhellend und aufschlußreich; jetzt verstehe ich meine Kreuzschmerzen besser. Einiges ist mir klar geworden.


(8./9.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 8. Januar 2024

3509 Schreibzeug weg!

 



8:20 a.m. Der Morgen ist kalt. Die Nässe draußen ist weiß gefroren, ich habe es durchs Fenster gesehen. Die Klimaanlage im Lichtschacht brummt; in meinen Ohren surrt ein lauter, heller, selbstbewußter, vielstimmiger, monotoner Sound. Dann hört die Klimaanlage auf und es ist nur mehr das Surren da, das mich einhüllt. Nun fängt die Klimaanlage wieder zu röhren an. Ich horche ganz intensiv hinein: auch das ein dichter, interessanter, vielschichtiger, verführerischer Singsang in seiner Monotonie mit den spannenden Schwingungen und Verzerrungen. Wie aus dem Nichts läuft eine Welle von Aggression zuckend durch Geist und Körper. Eine Stimme aus dem Off taucht auf und redet etwas Unverständliches. Die Muskel meines Mundes vibrieren schwach, als ein heftiges Jucken an meiner Nase ausbricht. Ich entkrampfe meine linke Hand. Für eine kleine Weile scheint mein Surren seine Lautstärke heruntergefahren zu haben, doch wie ich genauer hinhöre, dreht es wieder voll und schrill auf. Ich spüre Knochen und Muskel meines Gebisses. Der muskulär-energetische Ring um meinen Schädel zieht etwas an und macht sich so bemerkbar. Irgendwelche menschliche oder menschenähnliche Wesen aus anderen Dimensionen heulen: „Nein! Nein! Nein! Nein!“ - als würde ich einem entferntem Hörspiel lauschen. Meine Beine und Fußsohlen drängen sich in die Aufmerksamkeit. Krimischwaden mit Ansätzen zu Dialogen umziehen meine Stirn, bevor sich wieder das Surren durchsetzt. Gespanntes Ziehen an meinen Wangenknochen. Mein Körper will sich anscheinend auflösen und in seine Einzelteile zerfallen um sich besser mit der Chemie der Umgebung zu verbinden. Um das besser beobachten zu können lege ich jetzt das Schreibzeug weg und strecke meine Beine aus.


(8.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3508 Was?

 



0:50 a.m. Mein Herz klopft. Meine Brust hebt und senkt sich. Der Schirm der Leselampe hat sich verdoppelt und die beiden Bilder überschneiden einander und nur der Bereich dieser Schnittmenge ist nicht durchsichtig. Das Zimmer wirkt vernebelt. Die Zeit wirkt abgestanden. Meine Erinnerung ist hohl. Die Luft ist relativ frisch. In meinen Ohren surrt ein Höllenlärm. Meine Füße jucken. Es fühlt sich fast wie ein Entzug an. Aber was entziehe ich mir?


(8.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3507 Egal

 



Ach Gott! Wie verschlafen! Die Traumfetzen hängen an mir und rutschen nur langsam hinunter. Die Blätter der großen Wohnzimmerpflanzen sind für meine Augen zu groß, zu eindringlich, zu wirklich. Das Holz des Wohnzimmertisches scheint heimlich zu leben: ganz versteckt, ganz minimal, ganz unscheinbar. Das Geräusch der handgedrehten Kaffeemühle und des Wasserkochers aus der Küche sind zu eifrig, als dass ich nicht mißtrauisch werden könnte. Wo leben wir?! Die Zeitung dort auf der Rückenlehne der Couch wirkt viel zu verlassen, als dass ich nicht höchst alarmiert bin. Aber zu welchen Waffen? Meine waren nie stark und sind schon verbraucht. Draußen soll Schnee sein. Einen neuen Frühling wird es nicht geben; zu endgültig läßt der Wohnzimmerbaum seine Blätter hängen. Meine Hände sind in eigenartiger, fast priesterlicher Geste stehen geblieben. Mein Geist wird ein wenig frech und zynisch, er denkt sich: „Egal! Ich mache einfach weiter als wäre nichts.“ Drum stehe ich jetzt auf und schaue nach, ob draußen wirklich Schnee liegt.


(7.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 5. Januar 2024

3506 Ich komme aus dem kalten Bach

 



9:10 a.m. Ich komme aus dem kalten Bach, in dem ich lange gelegen bin, aber unter der Decke ist mir warm. Nur meinem Atem eignet etwas Gefrorenes an. Ich bin herumgeirrt, habe eine Bleibe gesucht, alles ist mir fremd geblieben. Wie bin ich in den Bach gekommen? Ich habe mein Gedächtnis verloren. Nun verweile ich unter der Bettdecke. Meine Ohren surren noch unter dem Schock hysterisch und hoch alarmiert. Meine Muskel sind angespannt. Ich versuche sie locker zu lassen. Ein tiefer Seufzer. Vor allem meine linke Hand, die, die vom Herzen kommt, kann sich nicht entspannen. Ich schüttle sie ein wenig aus. Sie glaubt mir den äußeren Frieden nicht. Das Rot, mit dem ich schreibe, schaut aus wie getrocknetes Blut. Soll ich einen andersfarbigen Pilotstift nehmen? Ich wechsle nicht (obwohl wir wechsle schreiben, sagen wir: wexel). (Ah! Hurrah! Die Flucht ins abstrakte, intellektuelle, theoretisierende Sprachspiel ist gelungen!).

Ich bin zurück in meinem Zimmer. Da herrscht Ratlosigkeit. Ich halte Kopf und Notizbuch schief. Ich schwelge in Befürchtungen. Ich versuche wieder loszulassen. Ein dunkler Schatten legt sich unter meine Schrift, ein paar Zentimeter unter der aktuellen Schreibzeile. (Keine Mystifizierung von optischen Effekten der Lesebrillennutzung! - der innere Wächter). (Gut, dann verbleiben wir so.) (Auf Wiederschaun!)


(5.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3505 Verschiebungseffekte

 



1:18 a.m. Diesmal habe ich auch am Holzraben vorm Fenster richtig am Schnürchen gezogen, damit er nicht bloß beim Öffnen der Fensterflügel fürs Lüften nur so aus dem Weg gehalten in Bewegung gerät, sondern wirklich mit seinen schwarzen Flügel schön schlagen kann. Und natürlich dann im Bett auch am Schnürchen der Möwe über meinem Kopf, damit sie sich nicht schlecht behandelt fühlen muß. In meiner Phantasie schreibe ich gerade Gedichte (und wirklich gerade und nicht schiefe; Versmaß und Rhythmus stimmen), aber eben nur in meiner Phantasie. Und während ich an meiner Schreiberei zweifle, werden fast alle Bücher in meinem Regal blau; die helleren bekommen einen Blaustich. Die Farb- Kipp- Rutsch- und Verschiebungseffekte in meinem Zimmer gehen mir schon ein wenig auf die Nerven, aber weil dabei nichts weitergeht: niemals öffnet sich die Hülle dann wirklich und mein Blick wird nicht frei und blickt nicht ins Wesen der Dinge, bloß die Fassade ruckelt und zuckelt ein ganz klein wenig.
Die Augen fallen mir zu und ich taste nur mehr mein Notizbuch ab. Im Schlaf sollte man schreiben können; das wäre auch interessant!


(5.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3504 Ein Abfahrtslauf

 



8:07 a.m. Herinnen beginnt die Heizung zu blubbern, draußen ist es morgengrau und was da dröhnt ist eine Klimaanlage im Lichtschacht? Auch der Wind rauscht. Allmählich beginnen mich wieder die Bilder an meinen Wänden zu interessieren. Ich lasse die Holzmöwe ihre Flügel schlagen und diesmal klingt ihre Bewegung in einem schönen Vor und Zurück aus. Lange schaue ich dem zu und werde darüber melancholisch. Der Rabe am Fenster scheint im Aufwind aufzusteigen: das Zimmer der scheinbaren und überinterpretierten Bewegungen. Die Windstöße ums Haus werden heftiger. Dazwischen erschrockene Stille, von einem Flugzeug mit entferntem, verzerrten Ton abgelöst. Dann ist es wieder still. Jetzt heult der Sturm ums Haus und reißt an allem, was beweglich sein könnte (um nicht zu sagen: schwach), sogar das hölzerne Türchen des kleinen Lüftungsfensters ins Atelier hinter mir klappert. Die Möwe steht jetzt still, trotzdem meine ich, minimalste Bewegungen wahrzunehmen oder kommen die von meinen Augen? Ich spüre es, wie erholsam für mich und meine Seele diese morgendliche Zeit ist. Ein Abfahrtlauf aus dem Blickwinkel einer Helmkamera rast visionär durch meinem einschlafenden Geist. Warum soll ich hinaus in die Welt? Dort ist für mich nichts mehr zu holen.


(4.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 3. Januar 2024

3503 Die Lacke vor mir

 



Die Lacke vor mir hält viele der welken, baumabgeworfenen Blätter gefangen. Ich vermute, dass sie darin festgefroren waren und jetzt vollgesogen mit Wasser nicht mehr entkommen. Der Wind bläst heftig und treibt die freien Blätter vor sich her. Dabei wechselt er mehrmals seine Richtung. Die Sonne steht tief, direkt vor mir und blendet mich (204° SW). Die Windböen reißen nicht nur an den Blättern, sondern auch an den Seiten meines Notizbuches. Die Lacke glitzert unverschämt in der Sonne. Die Passanten – ich kann sie gegen die Sonne nicht anschauen und halte sowieso meinen Kopf gesenkt – schweben wie Schattenwesen oder Traumgestalten oder dreidimensionale Projektionen von Was-weiß-ich-woher vorbei. Ich vermute, ich könnte durch sie hindurchgreifen. Der Wind wird stürmisch und heult. Die herumgejagten Blätter rascheln. Die Kinder rufen (die könnten real sein!). Die Projektionen sind so perfekt, so gewieft, dass sie sogar die Geräusche von Schritten nachahmen können. Ein neuerlicher Windstoß. Ich betrachte die tiefen, blauen Schatten der Steinchen des Schotterweges. Die Welt ist so fremd, das Vertraute nur ein Schmäh. Wir werden für dumm verkauft. Die Schatten der Steinchen sind größer als die selbst und jeder birgt Welten über Welten. Ein Blatt purzelt vor meine Füße und rastet für ein paar Sekunden, sein Schatten zittert vor Aufregung, dann hüpft das Blatt wieder weiter (hat es mich um Hilfe gebeten und ich habe es nicht verstanden? Ich hätte auch nicht gewußt, wie ich ihm helfen könnte). Es ist unglaublich viel Spannung in der Schöpfung; nichts passt wirklich. Man könnte Angst bekommen. Ich schalte auf Gleichgültigkeit. Eine Krähe kommt angeflogen, stellt sich vor mich hin und schaut mich herausfordernd an. Die nächste Botin der anderen Welt? Es geht nicht immer um Nahrung (obwohl sie es bei den Leuten auf der Nachbarbank mit Betteln probiert). Die Krähe ist immer bereit zur Flucht. Ein Hund stapft brav an der Leine durch die Lacke vor mir. Deren Glitzern wird immer psychodelischer (das liegt in den Erscheinungen. Nicht bei mir. Ich bin nüchtern). Unter meiner Haube, an der Stirn, staut sich jetzt Wärme. Also doch mein drittes Auge, das aufzuwachen beginnt? Der ständige Wind bläst mir dauernd meine Haare ins Gesicht. Ich werde nun herumgehen.

Ein Stück folge ich meinem Schatten, der vor mir hergeht, dann drehe ich mich nach links in die große, breite Allee und mein Schatten begleitet mich rechter Hand. Der Wind heult durch die Bäume, reißt an meinem romantisch langen Schal, an meiner Mütze und die Bäume recken ihre gestutzten Äste verzweifelt und um Hilfe rufend in das Blau und die große, weiße Wolke dort oben schaut aus wie ein mehr oder weniger gut getarntes Raumschiff irgendwelcher Aliens (kommen die schon den Bäumen zu Hilfe?). Der übertrieben eingemummelte männliche Radfahrer, der grinsend vorbei fährt und mich eindringlich anschaut, ist mir auch nicht ganz unverdächtig (schon ein Scout der Aliens?). Kinder schreien hysterisch – die Buben ahmen wilde Kerle nach – aber die armseligen irdischen Angeber; von den anderen, den wirklichen, scheinen sie nichts zu ahnen.


(3.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3502 Losstarten

 



6:44 a.m. Ich mach mich fürs Schreiben zurecht, obwohl ich noch schlafen will. Etwas in mir will unbedingt losstarten. Aber nichts passt: die Pölster im Rücken lassen sich nicht optimal schlichten, die Bettdecke leckt irgendwo, schließt also nicht richtig und läßt kalte Luft herein, Kopf und Nacken finden keine bequeme Position und so muß ich mit verkrampften Blick schreiben, weil meine Augen das Notizbuch schlecht treffen. Meine Seele ist eher unruhig und vielleicht zornig, aber nicht entspannt, meine linke Hand habe ich zwanghaft zu einer ängstlichen Faust geballt. Die Lichtverhältnisse im Zimmer sind irgendwie anders, obwohl es die selbe Leselampe wie immer ist, die leuchtet. Aus Verlegenheit und Ratlosigkeit bewege ich die Holzmöwe links über meinem Kopf, wie ich es ihr gestern beim Schlafengehen versprochen (und dann vergessen) habe, damit sie nicht schlechter dasteht respektive hängt und nicht schlechter behandelt wird als der Holzrabe beim Fenster, den ich ja täglich beim Lüften bewege. Schön hebt und senkt sie ihre Flügel, in einer schönen Bewegung, aber nicht lange, dann wackelt sie nur mehr unschön hin und her. Ich versuche, das Schnürchen konzentriert und ohne Impulse zu seitlichen Bewegungen nur nach unten zu ziehen, was jedoch nicht gelingt; es endet immer in kindischer Wackelei. Ich verändere die Position der Leselampe, aber die Szenerie wird nicht vertrauter. Eine Vision von verdorrten und verfaulten Pflanzen in einem Blumenkisterl schreckt mich auf. Mein Geist bleibt ängstlich und bieder bei einer Rechtschreibfrage hängen, als könnte ich das nicht später beim Eintippen klären. Mich ekelt vor meiner Unerleuchtetheit und trägen Ängstlichkeit. Was ist es, was mir so Angst macht? Das neue Jahr? Das wäre sehr kindisch. Der kleine Autoverkehr (vom Geist diktiert; ich weiß auch nicht, was das soll! - der Eintipper).

9:58 a.m. Oh! Mali Lošinj arbeitet wieder und hat ein weißes Wolkenrechteck aus Licht bekommen, wie der „Himmel“ bei einer Fronleichnamsprozession, der aber nur einen kleinen Teil der Stadt abdeckt. Und meine Seele hat sich in therapeutischem Schlaf erholt; sie scheint wieder ganz zu sein.


(31.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3501 Morgen und Abend

 



5:05 a.m. Der Morgen: Ich finde im Bett keine angenehme Position für meinen Körper. Ich drehe mich so und drehe mich anders, ziehe ein Bein an, strecke es wieder: es passt nichts. Ein unangenehmes Ziehen habe ich in den Beinen. Bin ich ausgeschlafen? Scheint so. Mein Geist arbeitet sich schon zum abertausendsten Mal am Döbereiner ab; es ist schon peinlich. Aber es ist nicht erledigt; ich komme nicht durch. Aber jetzt bin ich wieder sehr müde.


23.53. Der Abend: Ich hatte mich über die Weihnachtsfeiertage auf normale Schlafenszeiten umgestellt; nicht mehr so wie vorher, wo ich zwischen zwei und drei Uhr in der Früh schlafen gegangen bin und entsprechend spät aufgestanden. Heute aber - und es muß Angst sein – habe ich es ohne permanenten Mediumskonsum nicht ausgehalten. Zunächst haben alle meine üblichen, kleinen Beschäftigungen, Interessen und so weiter nicht geholfen, mich über den Tag zu bringen. Erst als ich mir einen Krimi nach dem andern reingezogen habe, konnte ich mich von meinem unguten Gefühl ablenken. Ich habe mich regelrecht davor gefürchtet, den Laptop abzudrehen und so habe ich weiter gemacht und weiter gemacht, bis ich so müde war, dass ich mich nicht mehr gespürt habe. Das irritiert mich sehr. Was ist los? Wovor habe ich Angst? So eine Art Horror vacui? Auch mein Zimmer ist mir heute fremd, mein Zimmer, wo ich mich immer sicher und geborgen gefühlt habe. Nichts sagt mir etwas, nichts von dem, was da herumhängt, herumsteht oder lehnt, berührt mich.

Draußen regnet es so schön. Ein angenehmes Rauschen, das mir in den erlösenden Schlaf helfen könnte?


(2.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com