Freitag, 30. Oktober 2020

2059 Das blaue Zimmer

 

Oder sagt die junge Frau in Vuillards blauem Zimmer „Nein!“ und wendet sich ab? Mir kommt vor, sie tritt mit ihrem linken Fuß auf den Außenrist auf, den Kopf dreht sie weg. Diese Kopf- und Fußhaltung verraten doch große Anspannung. Oder ist es Koketterie? Glaubte sie „Ja!“ sagen zu müssen und ihre innerste Seele sagt „Nein!“? Oder ihr innerster Kern sagt „Ja!“, aber die Konvention zwingt sie zu äußerlichen Abwehrgesten? Oder sind es gar keine Abwehrgesten, sondern – wie den Hals darbieten – archaische Gesten der Hingabe? Oder der Unterwerfung?

Am Boden kriecht – bisher ist mir das gar nicht so aufgefallen, beziehungsweise habe es für Felle, Decken, Teppiche gehalten – am Boden kriecht ihr formloses Gelb und Rot entgegen. Entjungferung? Oder sie ist doch schon schwanger – der weite Morgenmantel zeigt es nicht – und die Geburt kündigt sich schon an? Ist dieses weiße Licht kein Erz- oder sonstiger Engel im Prozeß zur Erscheinung zu werden, sondern das begehrlich-übergriffige Gedanken- und Tatvorbereitungs-Energie-Konglomerat des Malers? Und das formlose Gelb und Rot sind abgeworfene Kleidungsstücke? Sagt sie ja und es ist ein erotisches Spiel, sagt sie nein und sie steht in einer inneren und äußeren Falle? Mich dünkt, die graue Tür ist nur als Scheintür auf die Wand gemalt und läßt sich gar nicht öffnen? Gibt es für die Frau keinen Ausweg? Oder ist alles ganz normal – was immer das ist?

 

Werefkins Nachtschwärmer und Sturmwind. Hier raste ich. Ersteres Bild: ziemlich Vollmond. Zweites: knapp vor Neumond. Das Café im zweiten wirkt so modern, auch die Kleidung der drei Figuren. Eine frühe, bunte Blue-Box am Rande eines Waldes und der Stadt mit einer großen, lichtwerfenden Fensterfront. Ein Nachtasyl für … alle möglichen Gestalten.

 

Wie immer setze ich mich andächtig und berührt vor Kokoschkas Städte und mir fällt nichts mehr ein: so schön! So schön! Das erlöste London. Das untergangsgeweihte Dresden leuchtet noch von innen heraus ein wenig auf, die hintergründige Elbe spiegelt bereits den künftigen Schmerz und die künftige Schuld.

 

An Boeckls Mädchenbildnis bin ich oft vorbeigegangen und habe es nur am Rande registriert, von den Kokoschkas noch ganz voll. Heute bin ich endlich stehen geblieben: ein wunderschönes, kraftvoll-zartes Bild.

 

Vorm Spiegel hinterm depperten Kardinal – den ich wegen meiner ständigen Beschimpfungen schon fast lieb gewinne – mach ich zwei Selfies für mein Facebook-Album „Albertina“, oder eventuell für das „Zur Feier des Eigendünkels“. Das muß ich erst entscheiden.

Die Klees in diesem Gang: heute bleibe ich bei seiner „Krähenlandschaft“ stehen und kichere innerlich bei seinem „Blau Mantel“.

 

Vorm „gotischen“ Arbeiter der Motesiczky bleibe ich wieder sitzen. An und für sich finde ich „gotisch“ als zu Recht ein Schimpfwort – nur hier wende ich es wirklich positiv an (und ich meine nicht, dass der Mann wie eine gotischen Menschengestalt gemalt ist, sondern den Zug nach oben , die Schlankheit und die Konstruktion eines gotischen Bauwerks hat), also positiv, denn der Arbeiter hat in seiner Schlichtheit etwas Prophetisches. Oder etwas vom Wundertäter, der kein Wunder vollbringt. Aber – im Gegensatz zur Gotik – nichts Leidensmanisches. Sein Kopf ist groß und wirklichkeitsvoll. Von mir aus dürfte er auch saufen – wofür überhaupt keine Anzeichen zu sehen sind – ich meine nur: das würde seinem prophetischen Habitus keinen Abbruch tun. Ein freundlicher, klarer Mann. (Ich glaub, ich bin der subjektivistischeste Bildbeschreiber, den man sich vorstellen kann: total narzisstisch verblendet und schamlos projizierend.) Und ihr Kröpflsteig bei Hinterbrühl.

 

Giacomettis vier Frauen, ihre Schatten und seine Landschaft. Ich werde nervös und schaue nach der Zeit, weil ich anschließend einen Termin habe. Ich hatte mich heute gezwungen, früh aufzustehen und nach Erledigungen in die Albertina zu fahren, weil ein neuer Lockdown zu drohen scheint. Nicht, dass es mir schwer fällt, die Wohnung nicht zu verlassen; im Gegenteil. Aber die Albertina ist zur Zeit mein einziges Ausflugsziel, das zu erreichen ich schaffe. Mein Geist fliegt dann wirklich aus, bis soweit, dass ich die Schatten der großartigen Skulpturen mehr auf mich wirken lasse, als die Figuren selbst. (Bei seiner „Schmalen Büste auf Sockel“ - ein Selbstporträt? - die recht breit aufgestellt ist, ergibt der transparent leuchtende Schatten nur einen schmalen Zapfen.)

 

 

 

 

(30.10.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 29. Oktober 2020

2058 Am Sonntag Backlash

 

Zum ersten Mal ein Surren von draußen, der Außenwelt vorm Fenster und jenseits des Lichtschachtes; es kam näher, entfernte sich jedoch gleich wieder.

Ich habe bemerkt, dass die Finsternis der Nacht schon dünner wird, aber die gerade anhebende Morgendämmerung reicht noch nicht bis in mein Zimmer.

Ich habe kein Bedürfnis, die Graphik des zerrissenen Körpers dort zu beschreiben oder zu erklären. Mein Blick wandert zu anderen Zeichnungen, nur um sich darin zu verlieren.

Der Kurier kommentiert das nicht.

Ich bin zu müde um aufzuholen. Kann ich mich auf den Satz verlassen?

Hellgrau leuchtet nun das Licht herein. Nobody knows but Jesus. So bringt er sich an mich. Lesen wäre eine vorläufige Lösung.

Am Sonntag Backlash. Schluß mit der Wetterschlägerei!

Der Buchstabe H, der aus mir unerfindlichen Gründen für „Aufstehen!“ steht, bringt so viel schmutziges Geschirr, dass ich wegen der Abwascherei erst recht nicht weiterkomme.

 

 

(29.10.2020)

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 28. Oktober 2020

2057 Straßen leer – Gedanken frei

 

Zweiter Durchgang bei der Raubtierfütterung, das mich jetzt nicht mehr mit seinen Krallen, sondern  immer sanft mit Stupsen von Nase zu Nase oder Abschlecken im Gesicht aufweckt. Händewaschen. Duloxetin einwerfen. Zurück im Zimmer das Rouleau hochziehen (konzentriert die Perlenschnur leicht gespannt halten, weil die sonst gern von den Zacken des das Rouleau drehenden Zahnrades springt). Dann an meinen Lieblingsplatz zurückkehren und mich zudecken.

Meine Sirenen surren mich nieder und mein Zimmer verschwimmt. Ich ruhe zwischen Schwebezustand und Anhaftung; fühle manche Körperteile als wie in der Schwerelosigkeit und andere am Leintuch aufliegend, das Fühlen geht ein wenig über die Körpergrenzen hinaus.

Ich begrüße und genieße so den lichtgrauen Morgen. Winzige Ekstasen durchlaufen meinen Körper und sein nahes Umfeld und erzeugen Wellen und Zuckungen.

Die Straßen waren leer und die Gedanken frei – behauptet zumindest eine innere Stimme.

 

(28.10.2020)

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2056 Alles beschrieben

 

Ich habe in meinem Zimmer schon alles beschrieben. Nun gut, alles ist es noch lange nicht, aber soll ich wirklich alle Buchrücken beschreiben? Zwei Bände rot, weiße Schrift auf schwarzem Grund, groß in einer Box (Fontes Christiani; Jacobus de Voragine, Legenda aurea); dann dunkelrot, fast schon braun bei diesem Licht, goldener Schriftaufdruck, kleiner, dicker als die Box davor (Freud, gesammelte Werke); dann: weiß, schwarze und goldene Schrift; größer, dünner (Christopher Clark, Die Schlafwandler); - man sieht schon, in meinen Bücherregalen herrscht großes Chaos! Aber ich finde mich zurecht – dann: dunkel- bis hellgrün mit schwarzem Fleck, weiße Schrift, größer, gleich dick wie Vorsteher (Vorgänger wäre bei Büchern nicht angebracht), nämlich fünf Zentimeter (Theodor Storm, Am grauen Meer); dann: blau-dezent, weiße und rote Schrift, kleiner (an die zwanzig Zentimeter), gleich dick (Christine Lavant, Erzählungen); nächstes Buch: rot-dezent, weiße und blaue Schrift; sonst genau wie vorher (Christine Lavant, Gedichte); und so weiter. Nein, das setze ich nicht fort; das wäre viel zu mühsam; außerdem müßte ich noch diejenigen beschreiben, die quer darauf gelegt sind. Nein! Nein! Keine Chance!

Mein Geist büxt schnell aus und macht sich aus dem Staub (das kann man in meiner Kammer ruhig wörtlich nehmen), aber schön ist der Moment, wo er zurückkehrt und seiner Umgebung wieder gewahr wird: diese ist dann so klar und wie gereinigt; strahlend und intensiv (die Wirklichkeit basiert auf Energie, Phantasmagorien nicht). Das gelbe Rouleau zum Beispiel wirkt dann wie ein Platzhalter für das Mondlicht draußen in der Nacht.

So eine schöne Kammer! Ich genieße das Glück, hier zu sein, in meinem Bett, meinen ganzen irdischen Reichtum um mich. Ich könnte noch stundenlang so wach liegen und mich im Zimmer stolz und ergriffen umschauen!

 

(27./28.10.2020)

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 27. Oktober 2020

2055 Optischer Soundcheck

 

Optischer Soundcheck in meinem Zimmer. Akustischer ebenso. Meine Bilder leben wieder. Meine Sirenen auch. Meine morgendliche Klarheit ist erwacht.
Und beginnt schon wieder einzudösen. An Weiterarbeit ist nicht zu denken. Die Augen kann ich nicht offenhalten.

Zweiter Durchgang. Boah! Was ist meine Bücherwand für eine Macht! Für mich! Sie beschützt mich!

„Ja“, sagt eine tiefe, aber leicht schnarrende Männerstimme an meinem rechten Ohr. Mhm?! Ist das alles, was mir das Universum zu sagen hat? Ist das die Botschaft aus der Mitte des Seins und des kosmischen Bewußtseins? Für mich hat es mehr wie das Ja bei einem Telephongespräch geklungen. Mit wem telephoniert das Universum? Gibt es doch den Lieben oder Wie-auch-immer Gott? Ist der der wahre Chef und das Universum nimmt brav die Anordnungen an und bestätigt sie mit „Ja“?

Obwohl ich Besuch erhalte, fällt mir der Kugelschreiber aus der Hand.

Der Palmbuschen ist verdorrt und die Zweige sind umgebogen, als wären sie nicht aus Holz, sondern Blumenstängel.

Ein Kind da in der Unendlichkeit meines Innerspace ruft „Mama! Mama!“.

 


(27.10.2020)


©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 24. Oktober 2020

2054 Proph. Jonas spinnt

 

Am Rückweg ist Proph. Jonas soeben im Jonasreindl vom 43er in die U2 umgestiegen.

Schon am Hinweg, zu Fuß, hat er schon leicht zu spinnen begonnen. Angefangen hat es damit, dass er sich eine groteske Weste, die er einmal mit 40 Grad gewaschen haben muß – so ist sie eingegangen – angezogen hat. Obwohl ärmellos hat er seine Arme gerade noch durch die ärmellosen Ärmellöcher durchgebracht, zwei Knöpfe fehlen und er konnte sie nicht über seiner immensen Wampe zumachen. Aber sie wärmt seinen Rücken und sein Kreuz - seine Schwachstellen. Dazu trägt er eine Kappe, Mund-Nasenschutz mit selbstgestalteter Graphik, eine Riesensonnenbrille und den MP3-Player on. Schon auf dem Hinweg also faltet er exakt in der Mitte der Augartenbrücke auf der linken Seite im Sinne seiner Gehrichtung fromm die Hände, verneigt sich vor dem Donauarm, der unter der Brücke hindurchfließt und kein Kanal ist, was er jedesmal an dieser Stelle in Gedanken festhält, grüßt Sonne, Mond und Sterne und Wind und Wolken, verneigt sich vor der Mutter Erde („Mutter“ fällt ihm immer noch ganz schwer) mitsamt all ihren Kindern, Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Pflanzen aller Art, Tieren, Menschen und geht zu Fuß weiter wie ein Reisender durchs Universum. Im Ohr die Stöpsel mit den Highwaymen und ihrer Hymne – Proph. Jonas wäre wohl ein guter, glücklicher und begnadeter Autofahrer gewesen, hätte er den Führerschein gemacht – geht, nein schwebt als Skywalker weiter gen Westen (oder doch nur als Hänschen klein und Hans im Glück, der mit seiner belämmerten Euphorie Richtung Mutterschoß stapft?).

 

An der Stelle Alserstraße – Kinderspitalgasse angekommen, begrüßt er die Bäume 1007, 1008, 1009, 1010, die Riesenplatane, die Birke und drüben beim Haus mit dem Husaren die „kleine“ Platane, die auch mehrere Stockwerke hoch ist, mit Abnehmen seiner coolen Strohkappe und angedeuteten Verneigungen (dazu zufällig aber passend das Andachtslied der Omar Rodriguez-Lopez Group im Ohr) um dann endlich zu seiner Therapiestunde zu gehen.

 

Nach Ende der Stunde muß ihn seine Therapeutin regelrecht rausschmeißen, weil er nicht mehr zu reden aufhören und den Kontakt abbrechen kann.

 

Er vergißt in seiner Euphorie, sich von den Baumfreunden zu verabschieden, fährt mit der Staßenbahn zum Jonasreindl recte Schottentor, steigt in die U2, eilt dann nach Hause, Essen, Geschirrspüler, Waschmaschine, Kaffee, noch ein Kaffee, noch einer – kurz gesagt: er spinnt.

 

 

 

 

(23.10.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2053 Wetter

 

Ich hatte jahrelang auf der Nordostseite unserer Wohnung draußen auf den Fensterbänken vier Blumenkisten stehen, hauptsächlich mit Gras und Wiesenblumen, weil ich die Illusion erzeugen wollte, bei einem Blick durchs Fenster auf eine Wiese zu schauen. Jahrelang hatte ich beobachtet, dass nie auch nur mehr als drei Regentropfen meine Wiese gegossen haben, wie ich es mir gewünscht hätte, denn das Wetter kam hauptsächlich aus dem Westen. Vor zwei Jahren wurde es von der Hausverwaltung verboten, solche Blumenskisterl anzubringen und ich mußte sie wegräumen.

Aber heuer hat es schon mindestens viermal, wahrscheinlich öfter, gegen die nordöstlichen Scheiben geregnet. Das Wettergeschehen hat sich schon umgestellt und kommt immer öfter aus dem Südosten, meistens von einem linksdrehenden Mittelmeertief.

 

Vor 39 Jahren sind meine damalige Freundin und ich und ein guter Freund am Abend von einer recht weit entfernten Autobushaltestelle zu unserer Unterkunft gegangen, im oststeirischen Hügelland, als sich ein Gewitter im Talkessel an den Hügeln und niederen Bergen verfangen hat. Das kommt in dieser Gegend öfters vor. Dieses Gewitter war also sehr tief unterwegs und begann den Talkessel zu umkreisen. Dann ist noch ein zweites Gewitter in den flachen Kessel gekommen. Wir sind in großem Abstand dahingeeilt, schon durchnässt, um unser Quartier zu erreichen. Beide Gewitter haben uns immer gegenüber liegend in Kreisen umrundet. Wir hatten Angst. Zumindest ich hatte große Angst. Der Regen prasselte auf uns nieder und die Blitze schlugen rund um uns in geringer Entfernung ein. Einer nach dem andern.

Das war deutlich. Sehr deutlich.

 

 

 

 

(22./23.10.2020)

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 22. Oktober 2020

2052 Drehe mich um

 

Ich war in der Albertina ohne etwas darüber zu schreiben. Nur so viel als Nachtrag: die Bilder von Vuillard gefallen mir schon besonders!

Jetzt bin ich im Burggarten und schaue von der Balustrade – hinter mir die Terrasse des Kaffeehauses - auf die betörend grüne Wiese hinunter und hebe dann den Blick in die atemberaubenden sonnenbeschienenen Baumkronen.

Aber bevor ich mich ganz in den Anblick versenken kann, fällt mir ein: ich sollte noch einkaufen – und drehe mich um und gehe zurück.

 

(22.10.2020)

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2051 Ein Erlebnispark

 

Alle 70 Prozent Wasser schwappen in meinem Körper hin und her – dabei liege ich ruhig – und mein Geist zischt weg von seinem Ärger zu den angenehmeren Phantasien im Rahmen meiner üblichen Geschichtsklitterungen (wenn ich damals statt … so … und dann … gehandelt hätte, hätte ich …). Aber die resomnierende Kraft von Gottvater Hypnos und Gottsohn Morpheus sind stärker und rufen meinen unheiligen Geist zur Räson (in ihrem Sinne!) und mir fallen die Augen zu.

Willkommen in der Schlaf-Halbschlaf-Welt! Ein Erlebnispark, wie Sie ihn sonst nirgends finden. Er erfindet und gestaltet sich und seine Figuren ständig neu. Nur hier …

 

(22.10.2020)

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2050 Der innere Wecker

 

Offiziell war ich damals in den frühen Siebzigerjahren ein Klassenfeind, aber inoffiziell wurde ich doch Wahlbeisitzer. Das war das einzige Mal, dass ich einen Termin verschlafen hatte und mein innerer Wecker nicht funktioniert hat. Das einzige Mal. Sonst mußte ich mir nur vorm Einschlafen in Gedanken vorsagen: „um X-Uhr aufwachen!“ - und ich bin um X-Uhr aufgewacht. Egal, wie besoffen ich am Vorabend war. Auch bei diesem einzigen Mal, wo es nicht funktioniert hat, war ich am Vorabend ordentlich besoffen (Tanzen auf der Balustrade im ersten oder zweiten Stock der Eingangshalle der Universität Graz), aber das konnte nicht der Grund sein. Vielleicht doch eine mentale Reserve dagegen, auf der Liste der stalinistischen Maoisten als Beisitzer bei der Hochschülerschaftswahl zu fungieren. Weil sie nicht mehr genug Leute hatten, um die ihnen zustehenden Sitze in den Wahllokalen und Wahlkomissionen zu besetzen, haben sie auch linke klassenfeindliche Fraktionen gebeten, auszuhelfen.

Heute funktioniert der innere Wecker überhaupt nicht mehr. Ich habe keinen mich überzeugenden Grund, aufzuwachen. Selbst jetzt, nachdem mich meine Katze um 6 Uhr nach vierstündigem Schlaf aufgeweckt hat, und ich ihr Frühstück gemacht habe und bei der Gelegenheit unten in der Küche – wenn ich schon da bin – den Geschirrspüler ausgeräumt habe, was so lange gedauert hat, dass ich damit in einen passablen Wachzustand gekommen bin, und damit endlich die Chance besteht, meinen jahrelangen Vorsatz, früh am Morgen aufzustehen und zum offiziellen Tagesbeginn auch meinen Tag zu beginnen, durchzuführen, da weiß ich nicht, wieso ich das tun sollte. Die Idee wäre gewesen, den Optimismus der aufsteigenden Sonne fürs Tagewerk zu nützen – und dafür hätte ich mir sogar einen Mittagsschlaf erlaubt – was traumtechnisch ja auch ergiebig wäre. Aber ich stehe in der Küche und weiß nicht, was ich mit dem Vormittag anfangen könnte. In der Albertina war ich gestern und die sperrt erst um 10 Uhr auf. Und sonst? Ins Café gehen, um zu schreiben? Ich kann nicht so viel Geld ausgeben. Staubsaugen? Ist das um diese Zeit erlaubt? Ach, es ist noch so finster! Den Bücherberg neben meinem Bett einschlichten? Kein Platz mehr in den Bücherregalen. Kein Platz mehr für ein weiteres Regal in meinem Kemenatenreich. In der Stadt flanieren? Jetzt? Und ohne in Buchhandlungen und Antiquariaten zu stöbern? Wozu dann?

Nein, ich kann mir keinen überzeugenden Grund ausdenken, warum ich aufstehen sollte.

 

 

(22.10.2020)


©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2049 Anfall

 

Wie ich heute die Albertina verlassen habe und zur U-Bahn gegangen bin, hat mich ein kurzer, starker Anfall von Schwermut erwischt. Ich war dann ganz erschöpft, aber nicht unglücklich. Das nicht!

Eindrücke zu verarbeiten und darüber zu schreiben scheint für meine Seele Schwerarbeit zu sein. Aber diese Arbeit mach ich gern. Ich brauche nur viel Erholung in meiner Kemmenate und viel Schlaf.

 

 

 

(21./22.10.2020)

 

 

 ©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 21. Oktober 2020

2048 Albert, Ina und ich

 

Ich habe Vuillards Blaues Zimmer im Sitzen betrachten können; und aus ein paar Metern Entfernung. Da fällt mir zum ersten Mal das weiße Licht links neben und an der Seite der Frauengestalt auf. Etwas von anderwo her strahlt da in die Szene herein und sucht den menschlichen Körper und verwandelt ihn an seiner rechten Seite und den Raum rechts, rechts von der Frau aus gesehen. Eine Erscheinung kündigt sich an. Fast hätte ich gesagt: Mariae Verkündigung. Ihr Kopf neigt sich schon hingebungsvoll zur Seite, den Erzengel Gabriel in seinem Auftauchen nicht abwehrend; und sie beginnt schon zu leuchten.

Mich interessiert an Kunst nur, ob und wenn Transzendenz, besser gesagt: Nagual durchkommt. Echte Transzendenz, nicht frömmelnd ausgedachte und egal ob dieses Durchschimmern vom Maler, der Malerin bewußt angestrebt ist oder nicht. 
Echte auch bei Werefkin, deren zwei Bilder auch fast bersten vor lauter Anderem.

Wenn die Kunst rein irdisch ist beziehungsweise sein will – echter Kunst gelingt das gar nicht – dann wenigstens Licht vel Erotik (auch echte Erotik gemeint, nicht sexualfrömmelnd ausgedacht).

Den bunten Berg bei Oberstdorf (Jawlensky)(bevor es die depperte Sprungschanze und die Bergbahnen gab – nehme ich an) nehm ich im Vorbeigehen auch noch mit.

Jetzt wieder meine Große Erholung, mein Großes Aufatmen vor Kokoschkas Städten. Das himmlische London – das himmlische Jerusalem bekommt Konkurrenz – und das Sonnen-untergehende Dresden. Das Himmel-Hölle-Spiel. Beide Bilder sind wunderschön.

Und hier der siebenblättrige Klee und der dreiblättrige Kandinsky (der manzusche Kardinal wird ignoriert). Der Beginn eines Festes voll gelber Vorfreude und Erwartung. Aber der Mond weint schon. Er weiß schon. Denn auf den zweiten Blick: irgendetwas stimmt nicht! Nicht im Bild, beim Fest, oder? Sein Zwergmärchen so rund und überhaupt nicht kindisch. Entstehungsjahr Geburtsjahr meiner Mutter. Immer wieder mein Entsetzen, was die braunen Banden an Entwicklung zerstört haben. Ich als Nachkomme mußte wieder weit vor Klee anfangen zu entdecken und mich weiterzuentwickeln! Keine Tradition, auf deren Schultern man stehen konnte.

Der Arbeiter der Motesiczky strahlt verhalten, sanft im persönlichen Umgang und lächelnd, bescheiden: ein echter Prophet; ob nach Ninive oder noch vorher; in Warteposition auf seine Stunde oder im Ausgedinge nach vollbrachter Tat – das kann ich nicht sehen.
Auch ihre Straße in Hinterbrühl leuchtet und die Transzendenz drängt sich überdeutlich von hinten, von unten, von innen an und strahlt auch via Sonne her. Was für Bilder!

Ich raste sitzend vor Chagalls Papierdrachen, so ernst, lustig, tiefsinnend und blau. Blau, blau, dieses Blau!

Vor Giacomettis vier Frauen auf Sockel und ihre transzendierenden Schatten raste ich wieder. Mein Blick wandert auch hinüber zu seiner berührend verzweifelten Landschaft (auch die gesamte Schöpfung harrt der Erlösung, die sich im Licht ankündigen könnte) und streift manchmal Max Ernsts gelbgrüne, verfarnte Scheibe.

 

(21.10.2020)

 ©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2047 Teamchef

 

Ich habe keinen Vertrag. Die ganze Zeit schon liefere ich meine Texte gratis. Das abzustellen: eine meiner unangenehmen Aufgaben als Teamchef. Meine Ex war mit dem anderen Teamchef verheiratet? Was!? Das kann nicht sein! Nein, nein, mit einem engen Freund vom anderen Teamchef. Ich bin so verwirrt! Ich hänge da wie der letzte Sandler. Ich … unterschreib, Ex! Unterschreib! Vielleicht ist eh alles gut ausgegangen; der andere Mafiaboß scheint d'accord zu sein.

 

Ich sollte wieder an meine alte Stelle zur Kontrolle gehen. Es war schon in Ordnung dort.

 

Tja, die Spiele der Kindheit sollten schön gewesen sein. Ich finde meinen Schlüssel nicht.

 

 

 

(21.10.2020)

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2046 Entkalkung

 

Entkalkung. Entkalkulierung. Entkaltung. Um 4:12 a.m. ist mir schon die Kraft für Ideen ausgegangen. Die Ideen des Oktobers. Aber ich schreib doch fast jeden Tag einen Tagesabschluß- und Abendtext! Warum sollte mir das heute so gar nicht gelingen?

Die heutigen Krimis? Im ersten wars einer aus der Clique, im zweiten der Professor, im dritten die Tochter, im vierten der Bruder. Da habe ich jetzt lange nachdenken müssen.

 

4:23 a.m. Trotz unbefriedigendem Text schließe ich jetzt das Notizbuch und den Tag ab.

 

 

 

 

(20./21.10.2020)

 

 

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Dienstag, 20. Oktober 2020

2045 Akzeptiert

 

Solarplex ist angespannt. Die linke Hand will sich ständig verkrampfen. An den Schläfen entsteht Drehdruck, der die Augenlider hinabzusenken versucht.

 

Wandgeräusche; irgendwer im Nachbarhaus arbeitet gegen meine Wand. Ungewöhnlich. Sonst ist es von dieser Seite her ganz ruhig.

 

Ein Hubschrauber tuckert über den Lichtschacht.

 

Die Zähne beiße ich zusammen, schon fast bis zum Knirschen.

 

Die Lider sind zugefallen.

 

Gut.

 

Akzeptiert!

 

 

 

 

(20.10.2020)

 

 

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2044 Prophetenprolet

 

Ich bin ein Prophetenprolet. Eigentlich bin ich ein Prophetenprolet: keine Manieren, spreche Dialektal-Slang, besonders unter feinen Leuten (unabsichtlich!), rede blöd und vulgär daher. Lache bei ordinären Witzen. Kann mit Damen kaum umgehen – fange gleich zu zappeln an oder zu verstummen. Stottere, wenn man mich zur Rede stellt (das ist das Prophetische! Das will nicht zur Rede gestellt werden und geniert sich gleich!). Schreibe gerne absurd getarnte absurde Texte (will sagen: kaum glaubwürdig). Fragwürdig. Läßt sich gehen.

 

 

 

 

(19./20.10.2020)

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 19. Oktober 2020

2043 Tödliche Spinne

 

Zirka ein Uhr post meridiem morgens. Schreibe einen Albtraum von einer tödlichen Spinne mit Kugelschreiber in mein Traumbuch. Dabei fallen mir schon wieder die Augen zu. Ich kämpfe darum, die Augen offen zu halten, aber eine Lähmung legt sich auf und über mich. Ich bin davon wie in einem Kokon eingehüllt. Deshalb ist es unglaublich anstrengend, die Augen aufzureißen und Sätze zu formulieren und hinzuschreiben. Schon verschwimmt wieder alles und die Augenlider fallen gleich wieder zu.

Zur Beruhigung gegen die Angst aus dem Albtraum, die mich noch zittern läßt, streichle ich die Katze. Meine Raubtierfreundin beginnt, meine Hand auf ihrem pelzigen Bauch mit zärtlicher Rauheit abzuschlecken.

 

(19.10.2020)

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2042 Ohne Punch

 

Drei Uhr drei ante meridiem. Ich versuche, meinen Tag abzuschließen. Bin zwar müde, aber mir ist noch nicht zum Schlafen. Ich schau mich auch nicht richtig im Zimmer um; meine Blicke gleiten verstohlen, beinah wie mit Schuldgefühl und ohne Punch gleich wieder vom Gesehenen ab. Ich halte mein Schauen zurück und nur unabsichtlich rutscht etwas durch – möglichst wenig und ungenau und oberflächlich wahrnehmen.

Jetzt schließe ich die Augen, was das Hören hervortreten läßt: laut, schrill; die inneren Sirenen bearbeiten mein Gehör, als würden sie die Ohren richtig berühren.

Der Druck in den Ohren nimmt immer noch zu. Zumindest kommt es mir so vor.

 


(18./19.10.2020)


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Samstag, 17. Oktober 2020

2041 Stofffetzerl

 

Proph. Jonas zählt vierundsiebzig Stofffetzerl. Er hat sie nach dem Wäschewaschen zum Trocknen auf den Wäscheständer gehängt. Ich meine, er hat zwei Maschinen gewaschen, eine sechziggrädige und eine vierziggrädige, aber die Stofffetzerl (sechzig Grad) reiben ihn am meisten auf.
Sie bestehen aus zerschnittenen alten Handtüchern; ungesäumt und mürbe produzieren die Fetzerl Unmengen an Abrieb, Futzerl und weghängenden Fäden und sind deswegen vernudelt und schwer zu glätten.

Gebügelt wird im Haushalt von Proph. Jonas nur in äußersten Fällen, aus Energiespar- und Klimarettungsgründen und aus Bequemlichkeit. Lieber läuft er herum, als hätte ihn der Walfisch gerade ausgespuckt beziehungsweise als hätte er den Bauch des freundlichen Ungeheuers noch gar nicht verlassen.

Vierundsiebzig also zählt Proph. Jonas und ihm dünkt, es müßten auch schon mehr gewesen sein.

 

 
(17.10.2020)


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Freitag, 16. Oktober 2020

2040 Das graue Licht

 

Ich wußte gar nicht, wie gerne ich das graue Licht habe, das am Morgen auf meine buntere Bücherwand fällt. Diese Mischung aus Optimismus weil Morgen und Melancholie weil grau.

Das Prinzip Regentropfen. Gegenüber die jämmerlich jammernden Atemzüge der schlafenden Katze neben mir.

Hey! Hey! - Rufe aus der Traumwelt. Und aus einer anderen Rille: „Sorry! Es ist so typisch, daß ich angerufen habe!“ (weiblich).

Bumm! Bumm! Ein zweihöckriger Pumperer aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Schädeldecke weist unbekannte Störungen auf; ich habe die Stimme drüben nicht gut verstanden.

 

 

(16.10.2020)

 

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Donnerstag, 15. Oktober 2020

2039 Die Brücke

 

Die Brücke ist gesperrt. Ich weiß nicht recht: stehe ich auf der Brücke zwischen Wirklichkeit und Realität auf der Seite der Realität und will hinüber zur Wirklichkeit, oder auf der Seite der Wirklichkeit und will zurück zur Realität?

Ganz von Ferne überträgt mir die feuchte, kalte Luft die Schallwellen des Jubelgeschreis unserer Tageskinder. Sie sind wohl gerade in ihrem Wagen auf dem Weg hierher.
Und jetzt hallt ihr fröhliches Geplauder im Stiegenhaus.

Ich presse wirklich aber nicht real Lippen und Zähne aufeinander, was um die Mundpartie Druck und Schwere erzeugt, die auch von innen gegen die Ohren drückt. Dort scheinen Verschlußstellen zu sein, die mein Gesicht auf meinem Schädel festgeschnallt halten.

Wie üblich stimmt die wache mit der geträumten Notizbuchseite nicht überein.

Meine Gedanken wandern weg und gehen zur Österreichischen Gesundheitskassa und zu meinem Ärger, daß ich mein Geld meist mit großer Verzögerung bekomme und möglicherweise – in dem Chaos ihrer durcheinander abgeschickten Überweisungen habe ich den Überblick verloren – noch alte Beträge offen sind. Und dass sie mich, wenn ich mein Geld urgiere, höflich abschasseln.

Dabei hat sich mein Geist verrannt und hält nun verwirrt auf der Stelle rotierend in seiner Umherschweiferei inne.


Oh wie schön! Wie sich der Schlaf allmählich und friedlich in diesem angenehmen Zimmer wieder auf mich und meine Augen senkt.

 

 

 

(15.10.2020)

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com


2038 Das Kemenatenreich

 

Bilder- und Bücherwände, das gelbe Rouleau, der überladene Schreibtisch, Sessel und Stuhl, mein Hausaltar, der Bettvorleger, mein Bett, die Kasteln, die CD-Türme, das Pinnzeug … meine Heimat! Meine geliebte Heimat, in der ich mich geborgen und geschützt fühle. Ich bin Bürger des Kemenatenreichs.

 

Die Kemenaten … wie sag' ich es? … die Kemenaten sind verloren gegangene Tolteken. Sozusagen die Fußkranken und Maroden, die bei der Großen Wanderung zurückgeblieben sind. Sie haben sich in Pseudixtlan niederlassen und einzurichten versucht. Es gehört ihnen hier nichts, aber das ist irrelevant: niemandem gehört irgendwas.

 

Im Kemenatenreich ist so um 2 Uhr 22 Abend. Und hier ist es Brauch, lange zu schlafen und selten Staub zu saugen. Es gibt im Kemenatenreich einige unentdeckte Schätze und so gut wie keinen Tourismus.

 

 

 

 

 

(14./15.10.2020)

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 14. Oktober 2020

2037 Aufstehung

 

Die englische Idylle über meinen Knien schaut romantisch aus, aber für mich sehr unglaubwürdig (um das Rätsel zu lösen: der Blaudruck auf meiner Bettdecke). Mir kommt vor, ich mache aus Schlafen und Träumen, vorallem aber aus Erwachen und Aufstehen eine Inszenierung Wagnerschen Ausmaßes. Also sehr sehr fragwürdig. (Aber das ist auch egal. Ich bin beim Schreiben zu jeder Schandtat bereit!)

Die Katze hüpft mir davon. Im Kiefer ein Stechen. Auf der Stirn ein Konzentrationspunkt, der sich soeben bemerkbar macht. Die Augen hinter der Brille wieder sehr müde.

Diese bürokratischen Bestandsaufnahmen jetzt werden kein rechter Text. „Text“ ist feig. Warum nicht Geschichte, Erzählung, Beschreibung?

Doch die gewebehafte Verwandtschaft des Wortes „Text“ gefällt mir und kommt mir passend vor.

Plötzlich fallen mir im (!) Schlaf die Augen zu und ich blicke in völlige Finsternis. Nur kurz. Dann kehren die übliche Helligkeitseinstellung bei geschlossenen Augen und die inneren Bilder zurück und das Format meines Notizbuches wird größer (A4 – glaube ich – mindestens!). Dann springt das in die depperte Panoramaschaltung und ich finde meinen Text trotz allem Herumfahrens mit dem Cursor nicht mehr.

Auf der Rückseite des Polsters findet auch ein separates Geschehen statt.

Als Meister der hochgefeierten Aufstehung (!) tu ich mir jetzt trotzdem schwer, aus dem Bett zu kommen – selbst zwischen Schrift und Papier läuft ein eigener Videoclip ab.

 

 

(14.10.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2036 Meine männlichen Wadeln

 

Die Regentropfen-minimal-music-Musik hält gerade eine verdammt lange Generalpause. Dabei schüttet es. Eine eigenartige Komposition. Aber langsam komme ich der Komponistin auf die Schliche: in Stille die Emotionen aufstauen um dann in einem Cluster von ausperlenden Tönen sich ganz zurückgenommen zu verausgaben. Nur selten lassen vereinzelte Töne den musikalischen Faden bis zum nächsten Tonclusterausbruch nicht ganz abreißen. Die gebannt wartende Spannung bleibt.

Dein Surren hat heute einen wehenden Beiton, der sogar als Druck im Ohr spürbar ist.

Hinter der Nasenwurzel baut sich energetisches Gewicht auf, das dann in Zuckungen und Vibrationen des ganzen Körpers – das ist mein Leib – eskaliert.

Und wieder baut sich an der angegebenen Stelle ganz schnell Gewicht auf, das jedoch sofort im Körperinneren absackt.

Nun beschleichen fast unmerkliche Vibrationen meine männlichen Wadeln.

Wäre an der Zeit, im inneren Wien oder London auf zu räumen. Die Polizei läßt sich nicht dreinreden; die jagen meinen armen inneren Flüchtling von einem Versteck ins nächste.

 

 

(14.10.2020)

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2035 Sprüche II

 
Schaukelnde Schiffe küsst man nicht.

Eine Kluppe macht noch keinen Sommer.

Früher Vogel stirbt per Wurm.

Nur Regentropfen werden überleben.

Der Wind, der Wind, das himmlische Rind.

Wer andern eine Truhe gräbt, springt selbst hinein.

Mamor, Stein und Eisen bricht, aber unser Trafo nicht.

Wer sein Auto liebt, gibt, giebt, gibbt, rippt, kippt.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend toben.

Selbst ist der Wahn!

Die Axt im Haus entsetzt den Zimmermann, die Zimmerwirtin und den Zar.

Morgenstund (ist kugelrund. [wegstreichen?]).



(13./14.10.2020)

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 13. Oktober 2020

2034 Der Kaffeemaschinenmann

 

Draußen schüttet es und es ist kalt. Hier ist es warm und trocken. Ich betrachte den Lehrer und seine Hörer, die ich gezeichnet habe. Immer noch ein anziehendes Bild. Jetzt fallen …

 

Ach was! Themenwechsel.

 

Ah! Der Traum! Meine Frau hat einen Freund, der eine riesige, kugelige Kaffeemaschine besitzt und in unsere Wohnung mitgebracht hat. Mindestens ein Meter Durchmesser. Und der Freund meiner Tochter – glaube ich zumindest; ich kenne ihn nicht – haut irgendwas zusammen, was mir wichtig ist. Doch ich ärgere mich nicht. Auch meine Frau stürzt nach hinten und zwar ziemlich ausführlich und fast fliegend und zerstört dabei einiges – ich glaube: hauptsächlich küchenaffines, aber es gehen auch etliche Möbel zu Bruch.

Bis jetzt weiß ich noch gar nicht, dass der Typ mit der Riesenkaffeemaschine ihr Gespiele ist.

Nun ist mein Weib allein mit mir im Zimmer, barbusig und – das spüre ich – recht geil. Das macht auch mich geil und ich mache mich an sie heran. Sie ist leicht abwesend – nicht abwehrend, aber im Geist irgendwo anders – da erst dämmert es mir, dass der Kaffeemaschinen-mann ihr Liebhaber sein könnte. Ich bin selbst schon zu sehr angetörnt, als dass mich das stören würde. Übrigens schaut meine Traum-Frau gar nicht aus wie meine reale Frau (Sorry, D.! Aber das ist nur Traumbeschreibung und benennt nur traumhafte Fakten. Keine wache Wunscherfüllung! Außerdem sagt Fritz Perls, dass alle Gestalten im Traum Aspekte der eigenen Seele sind. Meine Zauberer sagen noch etwas ganz anderes).

Ich lenke mein geiles, aber leicht abwesendes Weib zu ihrem Bett, aber da liegt der Kaffeemaschinenmann. Das war also der Grund für ihre „Abwesenheit“! Sie machte sich Sorgen wegen mir und meine Reaktion auf diese Entdeckung. Ich ärgere mich gar nicht, geschweige denn dass ich geschockt oder wütend wäre. Ich reiche dem Liebhaber meiner Frau sogar die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Ich ziehe ihn hoch (Gottseidank bin ich kein Freudianer!). Ich finde diese ganze Entwicklung da irgendwie interessant und spannend.

 

Hier hört mein Traum auf, denn die Katze hat die Fortsetzung gefressen. Will sagen: sie hat mich zum Frühstückdienst geweckt.

 

 

 

 

 

(13.10.2020)

 

 

 

 

 

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2033 Schlag auf die Kehle

 

Regenguß im Anfangs- oder im Endstadium. Die Frequenz der Tropfen ist nicht eindeutig steigend oder fallend. Eher End-.

 

Vom Punkt zwischen Nase und Oberlippe geht ein kraftvolles, energisches Magnetfeld aus, das meinen Hintern, die Leibesmitte vorne, die Fußsohlen erreicht und vibrieren und Zuckungen bis an die Schädeldecke auslöst. Und im Nacken.

 

Die Regentropfen sind immer noch nicht eindeutig. Doch eher Anfang-.

 

Ein Schlag auf die Kehle von der drüberen Seite. Aber …

 

Zum dritten Mal der Kugelschreiber aus der Hand gefallen und ich in den Schlaf.

 

 

 

 

 

 

(13.10.2020)

 

 

 

 

 

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Montag, 12. Oktober 2020

2032 Oumeĩgohd!

 

Oumeĩgohd! Gar nichts bemerkenswertes: Stille, Surren und tief unten ein kaum wahrnehmbares Maschinengeräusch; von Ferne stampfend; der Motor des Universums? Oder doch bloß der der Stadt? Oder gar: mein Herz?

Jetzt mischt sich ein Flugzeug ein: so weit weg, dass sein Lärm noch zur Stille gehört.

Mein Geist haut ab, erklärt gerade jemanden den Berg-Karabach-Konflikt, bis er merkt, dass er nicht allzuviel Ahnung hat.

Dann startet er das Namensverkostungsspiel: Stepanakert, Step-an-a-kert, kert … er läßt es auf der Zunge zergehen. Bis er merkt, wie obszön das ist, den Namen einer Stadt, wo gerade Krieg herrscht, literarisch zu schmecken und genießen!

Was ihn, den Geist, zur Frage führt: haben Namen und Bezeichnetes irgendetwas miteinander zu tun? Der Nominalistenstreit. Ist es also unsensibel der leidenden Bevölkerung gegenüber, den Namen ihrer Stadt und ihrer Region (Ka-ra-bach) zu verkosten wie ein Sommelier den Wein? Oder sind wir in ganz verschiedenen Wirklichkeiten?

Irgendein Seelenteilchen ist beleidigt und entschlossen, aber nicht mir gegenüber. Der Geist selbst ist erleichtert, daß er den Nominalistenstreit nicht lösen oder entscheiden muß (warum eigentlich glaubt er, das nicht tun zu müssen?).

New York! New York! Mit dem Körper im Bett in Wien, mit dem Geist in New York. Die Newyorkistische Geistreise. Ich mache aber weder ein Rumpf-Psalter, noch ein Musiktheater daraus. Mein Lieber Geist, komm bitte wieder zurück!

Die Wellen sind wieder da. Und Stepanakert. Und die Müdigkeit im Hier und Jetzt.

 

 

 

 

(12.10.2020)

 

 

 

 

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2031 Sprüche

 

Ich bewege mich nicht, aber etwas zappelt in mir.

Ah! Jetzt weiß ich es: ich bin der Frosch am Grunde des Brunnens. Unrekapituliert alt geworden, weil keine goldene Kugel ins Wasser gefallen ist.

Das Brot schreit: „Nimm mich heraus! Nimm mich heraus!“ „Laß mich heraus!“ wäre wohl zu wenig.

„Meine Frau, die Ilsebill, will nicht so als ick es will!“ Stimmt das? Oder stimmt das nicht?

„Es ist bekannt von alters her ...“  Bitte! Wer trinkt denn Likör!

Die ersten werden die letzten sein, wenn sie im Kreis laufen.

„Es regnet Schusterbuben“ Jo meĩ!

„Schnee am Bergbergberg“. Wenn's wahr ist.

„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ Ja, das stimmt. Passt!

 


 

(11./12.10.2020)

 



 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 11. Oktober 2020

2030 Der Wundertäter, der kein Wunder tut, tut ein Wunder

 

Der Wundertäter, der darauf verzichtet, irgendwelche Wunder zu vollbringen, hat es sich in seinem Reich – auch Kemenatenreich genannt – ohne Wunder häuslich eingerichtet. Im Wesentlichen besteht das Reich aus einem kleinen Zimmer. Man könnte den Wundertäter auch als einen König ohne Land bezeichnen, der im Reiche und bei einer Königin Asyl gefunden hat.

Er lebt dort zurückgezogen und bescheiden, verläßt tagelang nicht den Palast, hält sich vor allem in der Kemenate auf, die ihm zur Verfügung gestellt wurde, und in der sich alle seine Schätze befinden, benützt jedoch manchmal auch andere Zimmer des verborgenen Palastes der Königin – wie zum Beispiel Wohnzimmer, Küche, Bäder – denn er steht mit ihr auf gutem Fuß. Auf sehr gutem Fuß! So gut, daß er sie manchmal in ihrem Schlafalkoven besucht.

Es gibt ein Laster, dem der Wundertäter fröhnt: er benützt täglich mehrmals eine bestimmte Droge – ich hoffe, liebe Leserinnen und Leser, ihr seid nicht total schockiert: er trinkt täglich mehrere Tassen Kaffee! Zwar bevorzugt er einen Kaffee, den er den skandinavischen nennt, weil sie in den skandinavischen Krimis ständig und auch zur Nachtzeit Kaffee trinken und er deswegen annimmt, dass der sehr dünn sein muß, aber Droge ist Droge, nicht wahr? Deshalb stellt der Wundertäter, wenn er einen Kaffee zubereitet, die Kaffeemaschine der Königin auf Maximum Wasser und Minimum Kaffeepulver. Diesen Kaffee trinkt er, eine Mischung aus Dinkel- und Haferdrink beigegeben. Er ist richtig süchtig danach und bekommt Kopfweh und Entzugserscheinungen, wenn er die Droge absetzt.

Eines Tages im Oktober, schon gegen Abend hin, schreitet der Wundertäter in seiner herrlichen, unnachahmlichen Art zur Kaffeemaschine, stellt sie nach seiner Gewohnheit ein und drückt den Startknopf. Die Kaffeemaschine legt los, mahlt lärmend die Kaffeebohnen, surrt und zischt mit dem Wasser herum, spritzt es – von außen nicht sichtbar – in die Pulverkammer, wartet, macht unter Surren und Gurgeln weiter und läßt den dünnen, wässrigen Kaffee in die Tasse rinnen. Bis jetzt ist alles normal. Die Tasse, die der Wundertäter benutzt, ist übrigens die einzige, die groß genug ist, die ein- und bestellte Flüssigkeitsmenge aufzunehmen.

Und dann passiert etwas unvorhergesehenes und der Wundertäter vollbringt den ersten Teil seines Wunders: Die Kaffeemaschine hört mit dem Wasserlassen nicht mehr auf! Das Kaffeeheferl wird voller und voller und droht schon überzugehen, da – oh Wunder! - die Flüssigkeit hat schon den obersten Rand erreicht – da stoppt die Kaffeemaschine, weil ihr Wasserbehälter leer ist. So kann der Wundertäter das volle Heferl vorsichtig aus der Maschine nehmen und eine leere Tasse – die zweitgrößte in der Sammlung der Königin – unterstellen. Dann nimmt er den Wasserbehälter heraus, füllt ihn voll, setzt ihn wieder an der richtigen Stelle ein und die Kaffeemaschine brunnt weiter. Selbstvergessen und ohne zu Denken setzt sich der Wundertäter innerlich mit den kosmischen Kräften in Verbindung, fliegt ins Möglichkeitslager des Universums und zieht „Maschine halt!“ aus dem Potentiellen heraus und mit ganzer magischer Kraft in das Hier-und-Jetzt und schleudert es in die Maschine. Und wirklich: die Maschine hört auf zu brunnen! - der zweite Teil des Wunders.

Der Wundertäter vollbrachte dieses Wunder fast unabsichtlich, ganz spontan aus der Situation heraus, geschockt von der Vorstellung, dass wie im Märchen vom süßen Brei der Brei, hier der Kaffee nicht mehr aufhört zu fließen und Küche und Palast seiner Königin überschwemmt und ruiniert und sie alle mit Kind und Kegel ertrinken müssen.

Jetzt muß der Wundertäter ohne Wunder damit leben, doch ein Wunder vollbracht zu haben.

 

(Anmerkung zum Verbum „brunnen“: das ist die ursprüngliche Form, die mit dem Suffix -zen zur Intensivform „brunzen“ verstärkt wurde und einfach „wie ein Brunnen Wasser abgeben“ heißt.)



 

(10./11.10.2020)

 



©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2029 Meterhoch Schnee

 

Ein müder Mann läßt seinen Kopf hängen, beugt sich immer weiter nach vor und ist eingeschlafen. Das sah ich beim ersten Hinschauen. Dann habe den Blick auf das Notizbuch gesenkt um das zu notieren. Wie ich wieder meinen Blick hebe, sehe ich auf dem Bild etwas anderes. Zwar auch eine menschliche Gestalt, aber aufrecht und mit dem Rücken zu mir. Beim dritten Hinschauen: die von mir beim Malen betrachteten und abgemalten Tiroler Berge. Und deutlicher und besser denn je. Keine menschlichen Gestalten mehr statt der Landschaft.

Und vor meinem inneren Auge sehe ich Schnee, Schnee, meterhoch Schnee.

 

 

 

 

(10.10.2020)

 

 

 

 

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Freitag, 9. Oktober 2020

2028 Mein Gemächt

 

Ich spüre die Wellen in mir und das Wasser ansteigen und absinken. Nun laufen kosmische Energiewellen durch mich hindurch und lösen kleine Entladungen aus. Lokale Vibrationen kündigen sich an, zuerst am Kinn, dann in den Knien. Mein Magen knurrt. Meine Sirenen setzten kurz aus und dann in einem eleganten Auftakt neuerlich ein.

Mein linker Arm ist mir etwas zu verkrampft; das wäre nicht neu (seit der Daumen-Kreissägesache chronisch). Ein Schauder läßt mich zusammenzucken, dass es mich beutelt. Vom Nacken gehen Wellen aus. Mein Hintern bringt seine Auflageflächen ins Spiel; die Fußsohlen schließen sich an.

Blecherne innere Stimmen sprechen Bundesdeutsch. Wie durch schlechte Lautsprecher verstehe ich nichts. Ist das jetzt die Energiesäule entlang des Rückgrats? Jucken an unklaren Oberflächen.

Schlafen. Schlafen. Noch eine undeutliche Durchsage, die mit „weil die so ähnlich sind“ endet.

Jetzt kommt die ganz große langsame Riesenwelle. An den Schläfen viel viel höhere Frequenz. Mein Gemächt hängt sich und sein Gewicht in Erinnerung. Ich werde die Beine ausstrecken und mich flachlegen bei unauffälligem Surren.

 

 

 

 

(9.10.2020)

 

 

 

 

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2027 Halt!

 

Halt! Eine der angepinnten Photos schwebt mitten im Zimmer! Na gut: „mitten“ ist übertrieben, aber es schwebt vorm Bücherregal, Abstand: 5 bis 10 Zentimeter.

Und mich durchläuft ein Aggressionszucken, heftig, dass ich für einen Augenblick in zuckende Trance verfalle und alles rundherum ausgeblendet ist. Bin schon wieder da! Gottseidank! Herz klopft noch. Beruhigungsatmen. Besser schlafen.

 

 

 

 

 

(8./9.10.2020)

 

 

 

 

 

 

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2026 Mund-Teldor Schutz

 

MUND-TELDOR SCHUTZ

TRATEL DORCHT!

Nas-Teflor Putz

Trotel horcht!

Wien watel prampft

Schien sattel dampft

Pimp Kendur Rotz

Fratel schnorcht!

Mö Denkur Schmotz

Sissel sorcht!

Zoomkritik und Ubinacht

kasperlt gegen Übermacht

Kittelfalten Kapilack

Semmelspalten firlefack

Blumenkorso brumiburr

Himmelforz kaleidikurr

Techtelschlechtel sagasvil

Koripechtl bim April

Schikuschatzi zabelatz

Schneckenhäusl binikatz

 

 

 

(8./9.10.2020)

 

 

 

 

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2025 Verzieh mich

 

Ich liebe die Schattenspiele der Bäume im Innenhof auf Boden und Wände unseres Wohnzimmers. Dazu das rotierende Plätschern des Geschirrspülers. Die langsam vorbeirauschenden Autos. Die unverständlichen Gesprächsfetzen der Passanten. Das Tapsen der Katzenschritte auf der Holzstiege. Das Aufheulen beim Gasgeben der Autofahrer. Musik mit Gesang dringt unerkannt durch die Wände herein. Der spritzende Rotor im Geschirrspüler stößt irgendwo an. Meine Katze schnurrt.

Die Schattenspiele sind vorbei; die Sonne ist hinter dem Haus verschwunden. Ganz im Hintergrund pritschelt auch die Waschmaschine. Alles von mir in Betrieb gesetzt.

Nein, ich mag nicht hinaus. Aus meinem Zimmer in die Wohnung: das geht. Ach, den Freud- und den Monetmagneten (Beute aus der Albertina) wollte ich noch am Kühlschrank anbringen. Das mache ich gleich.

Der Lieferant ist schon am Weg. Darum sitze ich im Wohnzimmer herunten und nicht in meinem Zimmer (oben höre ich das Läuten nicht).

Und außerdem gute neue Nachrichten: der Lieferant ist gekommen und meine Liebe Frau vom DKT. Ich habe den Kühlschrank falsch eingeräumt. Zu aufregend hier. Ich verzieh mich bis auf weiteres in mein Kemenatenreich.

 

 

 

 

(8.10.2020)

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 8. Oktober 2020

2024 Mainstreamfahrer

 

Aaah Ahaa! Wa! Was für ein Traum! Alles vergessen, aber mein Herz klopft noch ganz aufgeregt und meine Körpermitte zuckt und vibriert. Wollen die Emanationen im Inneren meines Kokons die Hülle aufbrechen und sich mit denen außerhalb vereinigen? Das wäre mein Tod gewesen. Ich kann es nicht recht glauben, dass die Sehnsucht der Emanationen schon so groß ist und sie es bei mir nicht mehr aushalten, beziehungsweise dass das Schild meiner Hülle schon zerbricht. Aber denkbar ist es. Und was die Zerbrechlichkeit des Schutzschildes betrifft: ehrlich: bist du nicht schon recht in deine (sic!) täglichen Routinen erstarrt und läßt kaum noch neue Erfahrungen und Herausforderungen zu? Verkriechst du dich nicht in deinem Kemenatenreich und verweigerst dich dem fließenden Leben? Tschak! Und schon stupse ich – mein Geist ist ins Phantasieren geflüchtet – meine beliebtesten Facebook-Friendinnen an! Als wäre das der Ausweg! Du weiß genau, dass das nicht hilft. Das wird mich siħalich nicht retten. Mein lieber Geist! Da bist du in die falsche Richtung unterwegs. Wenn auch nicht als Geister-, sondern als Mainstreamfahrer.

 

 

 

 

(8.10.2020)

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2023 Das Datum

 

Das Datum habe ich in für mich ungewöhnlich schöner und leserlicher Schrift notiert. Einfach so. Ohne bewußte Absicht. Dann habe ich längere Zeit nicht weiter gewußt. Meine Gedanken sind abgeschweift („abgeschwiffen“ würde mich auch reizen), bis ich dann wieder zurückgekehrt bin. Ausgerechnet von einer toltekischen Belehrung meiner Therpeutin (also ich belehre).

Jetzt hocke ich im Bett und schaue dem Zimmerfenster beim grauer und grauer und heller und heller Werden zu. (Meine Handschrift ist immer noch recht passabel.) Im Traum war wegen eines von mir groß angelegten Betrugs ein Helikopterflug mit Kind und Kegel angesagt. Dabei habe ich gar keine Kegelkinder! Wie das ausgegangen ist, habe ich nicht mehr derträumt (zum Frühstücksservice für die Katze aufgeweckt).

Ach, wie schön ist es hier und jetzt! („Augenblick verweile ...“ wäre mir viel zu affektiert und aufgeblasen.) Ich hänge zwischen Schlaf, Traum und Wirklichkeit, genieße die Wärme unter der Bettdecke, kann jederzeit die Beine strecken und mich flach hinlegen. Was für ein Reichtum an Zeit und Ambivalenz! Ich drifte ab in ein wenig Vergangenheitsverkostung. Bin wieder da und um in den Schlaf zu versinken.

 

 

 

 

 

 

(8.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 7. Oktober 2020

2022 Meĩ albertiniše Čenereišn

 

Terry Winter's „Licht“. Ansonsten ist mir alles zu ornamental, zu gaghaft, zu beliebig (ahem – ich richte mir verlegen den nicht vorhandenen Krawattenknopf) – schon auch eindrucksvoll, aber momentan zündet es nicht.

Alles, alles neu hier – in diesem Teil kein vertrautes Werk mehr, keines, vor dem ich verweilen will. Bei den Kathedralen 1- 9 von Cherrie Levine bin ich schon auch stehen geblieben.

Die erotischen und nackten Szenen von Eric Fischl habe ich mir auch länger angeschaut, aber eher weil mir Erotik und Nacktheit gefallen, mehr als die Malerei.

Roni Horns Hamilton Blue schaue ich länger an. Fischl's sich duckend. Ein wenig setze ich mich zu Fischl's Jungen Revolutionären.

Erschöpft raste ich bei den blöden Sphinxen und bin froh, dass sie da sind. Aus den Spiegeln schaut mich ein ganz anderer Mann an: ein feiner, grauer, grauer Herr. Ich habe meine verpopte Generation verlassen und gehe zu den vertrauteren Sälen.

Édouard Vuillard fasziniert mich immer wieder: Akt im gestreiften Salon: das ist ein Bild! Dicht, malerisch, stark, selbstbewußt, sicher, und was ich so gern habe: von weitem Gestalt und Raum; aus der Nähe gekonnte Farbflecken und Striche. Und Damespiel. Und Rosen und Tuch.

Und auch die Zeichnungen von Pierre Bonhard, oder sein kariertes Tischtuch, das haltbar bleibt, während sich das Geschirr darauf sich schon auflöst und schon in die Himmelfahrt schwebt („Thing's Liberation“).

Trotz allem: beim Hodler mag ich den Kirschbaum und das Jungfrauenmassiv von Mürren aus.

Und immer wieder Vuillards blaues Zimmer! Da verweile ich stehend.

Und ich freue mich auch über Manguins Weiberarsch (Rückenakt unter Bäumen).

Ahh! Marianne von Werefkin ist auch noch da! (Nachtschwärmer und Sturmnacht) Da setze ich mich hin.

Den nächsten Saal habe ich trotz Munchs Winterlandschaft flott durchschritten, weil es mich zu den zwei Kokoschka-Städten zieht. Hier ruhe ich mich aus. Auch hier können die Formen ihre innere Energie kaum noch halten, besonders in London, wo das Licht schon explodiert. In Dresden wird deutlich, dass die Abstraktion die Vor-Vorstufe zur Himmelfahrt ist.

Nachdem ich ausgeruht habe, bleibe ich sitzen und schaue die Menschen an (Eingeweihte wissen, was das vor allem heißt). In meinen Ohren singt Ximena Sariňana ihr Andachtslied. Gutes Timing!

Beim blöden Kardinal mach ich ein paar Selfies, weil ich dort vorm Spiegel raste (als Papst Petrus II würde ich den aus der Kirche ausschließen).

En passant nehme ich freudig die Klees auf.

Oh! Auch Marie-Louise Motesiczky ist wieder da! Mit ihrem feinen Arbeiter und dem sommerlichen Kröpfelsteig, wo die Bäume noch lebendigere Gestalten sind und die Telegraphenmasten und Drähte reden und etwas zu sagen haben. Da setze ich mich wieder.

Meine blauen Lieblings-Chagall grüße ich im Vorbeigehen.

Giacomettis 4 Frauen auf Sockel und ihre Schatten haben es mir angetan – wie immer. Und seine Landschaft.

Annähernd 5 Stunden habe ich mich in der Albertina herumgetrieben.

 

 

 

 

(7.10.2020)

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2021 Bleib drüben!

 

Aber jetzt! Jetzt fimmert's! Bin „schon vom Schlaf erwacht“. Mir ist fast schlecht beim Gedanken aufzustehen. Mein Kiefer schmerzt und der linke Wangenknochen.

Heißt das wirklich „Kiefer“? Ist das nicht ein Baum? Das Wort ist so fremd. „Bleib drüben! Ich komme zu dir!“ Das Wort wird mir aus der Nähe auch nicht vertrauter. Fremd liegt es in dicken Metallettern vor mir.

Bin ich in der falschen Wirklichkeit gelandet? Meine Sirenen surren auffällig in höchstem Alarm (bloß habe ich keine Waffen).

Der Mann in Leder greift mich an. Schweigend und ohne Vorwarnung ist er von einer Sekunde auf die nächste aufgetaucht aus dem Nichts. Mit großer Mühe kann ich mich behaupten, denn er ist ein wahrer Riegel. Riegel? Nein, nicht schon wieder! Ich steig auf die Wortfremdheit nicht ein!

Ich muß ganz aufwachen! Mein Herz klopft aufgeregt. Das ist mir alles zu schräg. Aber ich bin noch so müde. Mein Oberkörper kippt nach links. Die Augen sind zugefallen.

 

 

 

 

 

(7.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2020 Auf Anhieb

 

Auf Anhieb sehe ich 10 Landschaftsbilder hier. Und dann noch 12 Frauenbilder. Nein 13 – eines kann ich vom Bett aus nicht sehen. Warum sollte ich also aufstehen und das Zimmer verlassen?

Nach dieser Zählung und Bestärkung werden mir Augen und Mund schwer, denn ich bin noch lange nicht ausgeschlafen.

 

 

 

 

 

(7.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 6. Oktober 2020

2019 Weg nach Westen

 

Inzwischen liebe ich den warmen Auflösungszustand. Früher habe ich mich nach Bad oder Dusche immer eiskalt abgebraust, um mich in die Realität zurück zu jagen, aber als ich nach vielen Jahren feststellen mußte, dass ich davon Gelenks- und Kreuzschmerzen bekomme, gab ich diese Übung auf.

Nun sitze ich nach dem Bad im Atelier und blicke in den sonnigen Herbsttag hinaus, mitten hinein in die mächtig gewordenen Baumkronen des Innenhofs, sonnenbeschienen und an wenigen Stellen die Zweige und Blätter bewegt vom kleinen, herumstreifenden Wind. Wie ein Versprechen eines späten Glücks, das mich tief einatmen läßt und sich von außen wie ein Seufzer anhört.

Nocheinmal. Dieser Atemzug weitet nicht nur die Brust, sondern stößt bis in den Bauch hinein.

Der nächste noch tiefer, bis zu den Genitalien (dabei bin ich kein kritikloser Italienfan!).

Oh, nun wirbelt der Wind die Bäume ordentlich auf. Stimmt er mir zu oder empört er sich – über eine Südströmung aus Italien gekommen – über meine Vorbehalte und Frechheit?

Sind meine Haare schon trocken? Kann ich schon losgehen?

Mein Weg jetzt führt nach Westen, ins Reich der untergehenden Sonne.

 

 

 

 

(6.10.2020)

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2018 Jenseits meines Kemenatenreichs

 

Jetzt sitze ich da, um 7:48 nach eine schlaflosen Nacht aufgestanden und warte auf den Installateur. Die zwei Kaffees, die ich intus habe, haben mich mehr nervös denn wach gemacht.

Aber still ist es, so still! Erste Sonnenflecken zeigen sich am Dachvorsprung, die Schatten bewegen sich fast nicht; ich muß lange hinschauen, um ein kleines, verhaltenes Schwingen zu bemerken, das nur kurz anhält.

Die Katze spricht mit mir; vermutlich will sie Yoghurt. Ich bin aber zu faul, um mich von der Couch zu erheben, denn es ist schön hier. Das ist der schönste und mein liebster Platz in der Wohnung außerhalb meines Kemenatenreichs.

So eine Stille! Meine Sirenen können sich voll entfalten und müssen nicht so schrill sein. Die Katze, meine Realitätsprinzipin, hilft mir, von Zeit zu Zeit wieder aus der Betrachtung herauszusteigen und etwas reales zu tun. Dann setze ich mich wieder auf die magische Couch und kann mich neuerlich versenken.

Weil ich kurz auftauche und Unruhe und Nervosität meiner Coachin bemerke und sie schon irgendwo verschwunden ist und in Winkeln und Schlufe herumschleicht, bin ich beunruhigt beim Gedanken, dass sie jetzt etwas anstellt; z.B. ihr Revier markiert. Normalerweise sind wir um diese Zeit nicht herunten im unteren Stock.

Ich niese plötzlich laut, dass es im Wohnzimmer hallt. Ich rufe die Katze, auf dass sie herkomme, aber sie kommt nicht.

Ich gebe ihr das Yoghurt.

Wieder sinke ich in die Stille hinab; betrachte das Wasser im gläsernen Krug und entdecke das geballte weiße Licht darin.

Als die Haustür unten anschlägt, knackt es mehrmals hier in der Wohnung.

Endlich kommt die Katze zu mir und schenkt mir ihr heiser gestartetes Schnurren.

 

 

 

 

(6.10.2020)

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2017 Mähh mi mi

 

„Mähh mi mi mimi mo na mu muli lu pu zu kurų!“ Weiß auch nicht, warum mein Verstand das unbedingt zu Papier bringen will – immerhin ist es 3:09 a.m. Und ich kann nicht schlafen.

Hat er, mein Verstand, nichts mehr zu sagen, aber kann nicht aufhören zu reden? Möglich. Jedenfalls arbeitet meine innere Sprech- und Denkmaschine auf maximaler Drehzahl und im Kreis.

Ich bin aufgeregt und hundemüde: morgen muß ich um 8h aufstehen und das macht mich die ganze Zeit nervös.

Nun ja, ich werde noch aufs Klo gehen – wenn ich schon munter bin – und dann nochmals zu schlafen versuchen. Ich liege schon seit Stunden wach. Dabei ist das völlig egal.

Die Katze habe ich auch noch reingelegt: normalerweise scheucht sie mich so ab 3h bis spätestens 6:30 auf und fordert ihr Frühstück. Heute bin ich zuerst hinunter und bin ihr mit ihrem Frühstück zuvorgekommen.

 

 

 

 

(5./6.10.2020)

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2016 Nichts verschwimmt

 

Große Klarheit ist hier im Raum. Die Gegenstände sind alle kompakt und abgegrenzt. Nichts verschwimmt, obwohl es schon nach Mitternacht ist. Da draußen bleibt alles so, wie es ist. Nur mein Bewußtsein verfällt in geistigen Ausschweifungen und Phantasmagorien, bis es endlich wieder zurückkommt und ich weiterschreiben kann. Mein katzenhaftes Realitätsprinzip habe ich dabei gestreichelt, aber zugleich gar nicht beachtet. Jetzt muß es sich putzen.

Friede ist hier. Kein romantischer, ein nüchterner. Mit der Luft vermeine ich ein klares, dünnes Grün wahrzunehmen, als hätte sich ein Tropfen grüner Farbe in die Luft aufgelöst und verbreitet.

 

 

 

 

 

 

(5./6.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 5. Oktober 2020

2015 Zimmer, Küche, Kabinett

 

Morgenfinsternis. Mein Zimmer ruckt und zuckt noch und an den Büchern des Bücherregals klettern anorganische Lichtkäfer nach oben. Die Bilder rechts an der Wand hängen stramm und still, aber ich habe den Verdacht, sie spielen mit mir „Zimmer, Küche, Kabinett“. Mich dreht es nach links und so ganz unten, hinten kommt leise das Gefühl auf, ich schwebe im Raumschiff in Schwerelosigkeit. Mein katzenhaftes Realitätsprinzip springt - erst zögernd, dann entschlossen – auf mein Bett und fordert schnurren ihre gestreichelte Anerkennung.

Zufällig kreuzt mein Blick den der zwei Visionäre und bleibt ein wenig stehen.

Die dicke dünne Gestalt aus Draht steht breitbeinig da und will nicht nach hinten kippen. Weil ich mich jetzt allmählich beruhige, merke ich erst, wie aufgeregt ich vorhin war.

In meiner Leibesmitte liegt das Gefühl gespeichert, dass ich aus einem großen Abenteuer komme und gerade gelandet bin.

Die Dunkelheit verfeinert sich, will sagen: es steigt schon ein wenig Morgengrauen herauf.

 

 

 

 

(5.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2014 Meine Lebensaufgabe (!)

 

Der Zwei-Minuten-Schuß resultiert aus einem Schreibfehler. (Schluß – durchgestrichen). Ich lasse mich von den zwei Visionären am Kastl anstarren.

Zwischen den Büchern des Bücherregals quillt ein ungutes Grün hervor. Meine surrealistischen Surrsirenen transsistieren auf Hochtouren (keine Ahnung, was „transsistieren“ heißt; eine reine himmlische Eingebung). Meine stabile Welt rundherum beginnt langsam zu driften. Ich sehe es nicht, aber ich weiß es. Jetzt ist es wieder eingerastet.

Ich flüchte schon immer wieder in meine Schlupflöcher, von einem zum andern, oder raus und wieder zurück: sehr erschöpft: ein milder Abendnarr. Trauer als Begleiterscheinung, aber alles okay (Ich vertrage diese Stenogramm-Amtssprache nicht, falle immer wieder auf sie rein). Die Katze putzt sich hingebungsvoll auf meinem Bett.

Die Steine am Hausaltar bilden eine Gestalt: engelhaft mit langen Haaren. Die gehen auch als Kopftuch durch.

Ich nehme die Herausforderung an: heute werde ich luzide träumen.

Aber meine Lebensaufgabe (!) ist das Schlafen.

 

 

 

 

 

(4./5.10.2020)

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Sonntag, 4. Oktober 2020

2013 Minuten

 

Jetzt ist es erstaunlich still – nur eine Lok gleitet vorbei – während John Frusciante Gitarre spielt. Am Nachmittag, dem späten, kann fast alles schön sein.

Der Sekundenzeiger der Bahnhofsuhr kreist flott an seinen Ziffern vorbei, der Wind von rechts blättert mein Notizbuch auf.

Eine gebeugte Frau mit schwerem Rucksack geht mit ihrem Blick in den Boden versenkt vorbei. Sieben Minuten bis zur Ankunft des Zuges. Mein Ausatmen in die Stoffmaske beschlägt die Brille mit … Tau, könnte man sagen.

Sechs Minuten. Ich bin nervös.

Fünf Minuten. Ein Stromausfall würde die Zeit aufhalten.

Vier Minuten. Bald werde ich es nicht mehr aushalten und Schreibzeug und Musik weglegen.

Drei Minuten. Ich bin wirklich kein Multitasking-Genie.

Zwei Minuten.

 

 

 

 

 

 

(3.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2012 Sirenenprobe

 

(Für mich wird immer später früh)

 

Ein ganzer Frieden hier im freundlichen Licht. Alles strahlt gut ausgeschlafen und am richtigen Platz.

Die Sirenen heulen nur zur Probe und in meinem abgelegten Winkel gibt es sonst keinen Lärm. Nur in mir surren die Ohren, aber heute geht das als Begleitmusik durch.

Der nächtliche Mond leuchtet von der Kunstkarte (Nolde) und eine solche heimliche Idylle wie hier findest du nicht einmal am Land. Ich lege meine Schreibhand um meine Katzenfreundin und warte auf den nächsten Probealarm.

Genußvoll kratze ich meine Brust und merke, dass mir langsam die Einfälle ausgehen (!) und der Hunger gestillt werden will.

 

 

 

 

(3.10.2020)

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2011 Hoforchester

 

Die abstrakten Formen müssen von den Schatten kommen (siehe auch: Fynn, „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“). Und auch das Licht wirft durch die Stufen der Stiege so schöne geometrische Streifen. Beinah ein bauhäuslicher Anblick bei uns daheim. Gestell aus Holz kann schön sein.

Dann gleite ich phantasierend und sinnierend ab und finde mich wieder bei dem Satz: es ist schon meine Angst, die mein Leben verhindert hat.

Da es einigermaßen still ist, lausche ich auf mein Surren und stelle überrascht fest: das Surren ist erhebend. Es hebt meinen Geist. Macht meinen Geist schlank und fit und richtet ihn auf Großes und Erhabenes und macht mich feierlich. Mein Hoforchester.

 

 

 

 

 

 

(1.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com

2010 Neues Lokal

 

Ich blicke auf das senkrechte Meer an der Wand und schlürfe Kaffee. Zum ersten Mal im Nachfolgelokal einer meiner Lieblingscafes. Neuübernahme schon vor Monaten. Die Damen reden finnisch. Das wußte ich das schon im Voraus und erkannte den Sound wieder. Ich muß es ja nicht verraten, dass ich schon in der Zeitung vom Lokal gelesen habe und vom finnischen Background wußte. Gern würde ich von meiner unglaublichen Finnlandreise erzählen, aber das kann ich jetzt noch nicht einfädeln. Ich habe ja auch Monate gebraucht, bis ich den „Verrat“ am Paim übers Herz und die Geldbörse brachte. Ich sitze übrigens anders als früher; das hat mit den Umstellungen im Lokal zu tun. Die Einzelgänger -täter -trinker-Tische sind nun auf der anderen Seite.

Jetzt erst entdecke ich einen noch besseren Einzelplatz (der natürlich dual ist; wir sind doch in der hier-dort-oben-unten-ich-du-Mann-Frau-Freund-Feind-Rapid-Sturm-Welt).

Meine Kappe nehme ich entgegen meiner Gewohnheit nicht ab, weil ich die Haare ungewaschen habe. Die Mühen des Langhaarzeitalters – außer ich wäre Gammler. Fast.

Ab morgen bin ich tip-top angezogen: mein neuer Kleidungsreichtum macht es möglich.

Ein schönes Frauengesicht ist vorbei gegangen (kein unerlebtes, ein wirklich schönes)(Ich sehe nur durch einen schmalen Fensterausschnitt).

Ja, ich nehme das Lokal an. Wenn es mir meine Finanzen erlauben, werde ich manchmal herkommen.

 

 

 

 

 

 

(1.10.2020)

 

 

 

 

 

 

©Peter Alois Rumpf   Oktober 2020   peteraloisrumpf@gmail.com