Freitag, 28. April 2017

680 Gewissenserforschung

Nicht viel habe ich an diesem Tag weitergebracht. Einen kleinen Text geschrieben. Vielleicht nicht so schlecht, aber wird der irgendjemanden und die Welt weiterbringen? Oder das Leben erleichtern? So, daß jemand nach dem Lesen ein anderer Mensch ist? Oder werden kann? Oder seine wirkliche Chance hatte?
Habe ich irgendetwas getan oder erlebt oder zugelassen, was mein Bewußtsein erweitert hat? So, daß bei meinem Tod, wenn ich mein Bewußtsein abgebe, mein Anteil dazu beigetragen hat, das Große Bewußtsein im Universum zu vermehren? Hm? Zuviel verlangt? Wer weiß!

Eine ungeheure Frustration ist das, auf so einen Tag zurückzublicken. Die habe ich – eigenartigerweise – als Ziehen um meinen Mund gespürt. Als würde ich ausgesaugt werden. Oder vergeblich zu saugen versuchen. Populärfreudianer werden vermutlich auf Zweiteres tippen. Das ist auch eindeutig da. Aber so eindeutig ist diese Empfindung selbst nicht; auch das Erstere schwingt mit.

Ich verliere nämlich Energie durch den Mund. Mein Kopf ist schon irgendwie vernebelt und löst sich auf. Das Ziehen ist ein Ring um den Mund, bis in die Wangen, bis zu den Nasenflügeln, innen bis zu den Augenhöhlen, nun, zumindest bis zu den Nebenhöhlen hinauf. Dieses Ziehen ist mit einem Pulsieren verbunden.
Doch eher ein archaischer Saugreflex? Uralte Erinnerungen aus meiner Urzeit? So ungefähr neun Monate nach meinem Urknall?

Oder gibt es Vampire? Die saugen doch immer am Hals, heißt es. Oder sollen wir uns mit diesem falschen Bild in falscher Sicherheit wiegen?

Die Schatten in meinem Zimmer bewegen sich unauffällig. Nur wenn sie glauben, ich merke es nicht.
Ich habe schon davon gehört, daß sich die Schatten in Wirklichkeit bewegen. Daß sie sich nach dem Licht richten wäre bloß ein Arrangement für uns Einfältige und Beschränkte. Um uns nicht zu sehr durcheinander zu bringen und uns nicht zu erschrecken. Für Erschrecken gäbe es jedoch gar keinen wirklichen Grund. Oder täusche ich mich? Lauert hinter den Schatten das wirkliche Entsetzen?

Oder kommt mein Ziehen um den Mund vom lebenslangen Zähnezusammenbeißen? Vom Sichzusammenreißen? Meine Muskeln dort können nicht mehr? Weder richtig zusammen sich zu reißen, noch lockerlassen? Ist in Erwägung zu ziehen.

Oder will ich selber zubeißen? Zurückgestaute Aggression? Will mir meinen Anteil am Leben und an der Welt erkämpfen? Wer weiß.

Zu spät?








(27./28.4.2017)















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 27. April 2017

679 Der freie Wille

Ich schlage meine Bettdecke auf und ein ganzes Universum von Staubteilchen entsteht direkt vor meinem Auge.                                                            Inzwischen liege ich schon im Bett und lange, lange schweben und kreisen diese Objekte in ihrem Weltenraum; ganze Ewigkeiten wie mir scheint. Und ich bin Der, Der sie beobachtet (wenn ich hinschauen will). Mehr noch, ich habe dieses Universum mit meinem Tun erschaffen! Allerdings nicht aus dem Nichts. Obwohl dieses Universum vorher noch nicht existiert hat.

Einige Teilchen schweben immer noch. Das warme Licht der Leselampe und mein Atem scheinen ihnen Auftrieb und Energie zu geben. Und ich bin Der, Der das mit seinen Augen betrachtet.

Aber eher machtlos. Von omnipotent kann keine Rede sein! Obwohl ein Hauch von mir wieder einiges in Bewegung bringt und aufwirbelt. Sozusagen als zweiter erster Beweger. Dennoch, ich selber bin viel zu sehr verstrickt. Ich kann zwar auf den schwebenden Staub blicken, schaue aber über meinen Tellerrand nicht hinaus. Ich stecke in meinen Interpretationen fest. Was ziehe ich für Schlüsse daraus? Ich könnte in meinem Zimmer viel öfters staubwischen.

Aber kann ich das wirklich? Was hältst du vom „freien Willen“? Oder führt das in die falsche Richtung? Ich meine, ist schon die Frage falsch gestellt? Führt das zu sinnlosen Diskussionen? (Nicht hier, soviel Leser habe ich nicht.)









(26./27.4.2017)















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 26. April 2017

678 Ich bin nicht empört!

Eine Krähe sitzt auf der schmalen Seitenwand eines flachen Anhängers eines geparkten Autos und wartet, bis die, die da im Hauseingang auf den Stufen hocken und essen, ihre Brösel und Kollateralverluste freigeben. Und das mitten im ersten Bezirk! Ich bin nicht empört. Im Gegenteil, ich hätte gerne mit der Krähe gesprochen, aber vor den andern? und außerdem in Sorge, daß ich sie damit verscheuche. Was hat sie schon von einem dahergelaufenen Idioten (ἰδιώτης, von ἴδιος / idios: abseits befindlich, eigen, persönlich, eigentümlich, seltsam,  privat, für sich allein …), der gar kein Futter für sie bei sich hat? Aber so berechnend sind Tiere gar nicht, nicht so; sie geben auch Geschenke, wie ich im Internet gesehen habe.

Ich sitze im Kaffeehaus. Ich glaube immer, dann wird die Inspiration groß sein. Ist sie aber nicht. Nicht wirklich. Macht nichts. Die junge Frau nebenan beugt sich ganz tief über ihre Notizen; ich selber nicht so tief über die meinen. Ich bleibe oberflächlich.

Ich schaue mich um. Nichts Besonderes, soweit es mein beschränkter Geist erkennen kann. Ein Blick mit Tiefenschärfe und das wäre anders: die spannendsten Lebensgeschichten, die archaischsten  Tragödien, die umwerfendsten Komödien, die unglaublichsten Schicksale, die leidenschaftlichsten Lebenskämpfe würden offen vor einem liegen. Aber wie schon gesagt: ich bin oberflächlich.

Draußen vorm Fenster zieht ein ständiger Strom von Fußgängern vorbei und erzeugt einen Sog, der mehr der Dynamik eines schnellfließenden Baches entspricht.

„Hochachtung!“ sage ich zu einem jungen Mann, der im ersten Stock ein großes Dekorationsbild malt. Er scheint sich wirklich zu freuen und strahlt über das ganze Gesicht.

Eine Nonne kauft Kuchen. Oder Torte. So weit entfernt sehe ich keine Details.

Ich bin beim Verzetteln. Im übertragenen Sinn, denn mein Notizbuch ist ordentlich gebunden. Das Kaffeehaus gehört übrigens zu Gebäudekomplex eines Stiftes. Was meinen Sie? Wird sich Schottland abspalten? Eine mehr (sie) oder weniger (er) junge Familie schreitet feierlich zur Mehlspeistheke. Die Nonne ist schon längst weg, dafür trägt er das Kind am Arm.

Der Kellner greift sich an den Kopf. Ich bringe die Zeitungen zurück.

Gut, ich muß die Leute in Ruhe lassen; auch mit meinem inspirationserheischenden Blicken.

Das Lokal wird voller. Jetzt ist auch herinnen viel Bewegung; der Bach ist übergegangen, herein geronnen und hat ein wenig das Ufer überschwemmt.

Mein linkes Ohr hat was. Wahrscheinlich von der Zugluft im Telefonstudio. Selber schuld!

Ich denke, es ist Zeit zu gehen. Ob dieser Impuls aus mir selber, aus meiner inneren Dynamik kommt, oder von außen, von der größeren Unruhe hier im Lokal, oder von einer dialektischen Aufschaukelung der beiden Komponenten – ich weiß es nicht!








(26.4.2017)

















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

677 geschienen, gescheint, geschonnen

Beim Marsch durch die Allee beschleicht mich das Gefühl, daß alles gut ist. Ja, Wehmut! aber es ist gut. Die Sonne hat geschienen, gescheint, geschonnen; Menschen waren unterwegs (eine Fußgängerallee – die Autos auf der Fahrbahn daneben; dahingebraust in ihrer Ankommensgier – die haben mich überhaupt nicht gestört.)

Im Schatten auf das Licht zu. Ein mildes Lächeln auf den Lippen und im Gesicht (glaube ich zumindest!), „gutes Vorankommen ich dir wünsche!“ (ein bißchen ein Plagiat).

Irgendetwas zwischen Loslassen und Aufgeben. Aber in Frieden!







(25./26.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 24. April 2017

676 Trailer

Es ist Morgen. Die Panik hat kurz aufgeheult; ich habe sie als Verkrampfung in der Körpermitte gespürt, wie ein Steinklumpen im Bauch – der Wolf von den sieben Geißlein fällt mir dazu ein – ist das eine Täter – Opfer – Umkehrung? - aber ich habe sie im Zaum gehalten.

Mitten im Dösen dann plötzlich das Aufblitzen der Erkenntnis, daß ich mich in meinem Leben nie durchsetzten und behaupten werde können. Ein Kurzfilm, ein Trailer einiger solcher Lebensszenen - stellvertretend für alle, die das "beweisen" – und schon steigt eine verzehrende Trauer in mir auf. Auch sie macht sich als nagendes Gefühl in meiner Leibesmitte körperlich bemerkbar.

Die Panik sieht wieder ihre Chance auszubrechen und verstärkt ihre nun untergründig unterminierende Arbeit.

Aber ich muß das abbrechen; ich muß aufstehen, auch auf die Gefahr hin, daß das so offen gelassen aus dem Hintergrund weiter in mein Alltagsleben wirkt.








(24.4.2017)
















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

675 Lack

Die Wirklichkeit scheint mir von glänzendem Lack überzogen. Vielleicht noch gar nicht richtig ausgehärtet. Zuerst dachte ich, das hat etwas mit meinen verschmierten Lesebrillen zu tun, durch die ich ins Zimmer blicke; aber über den Brillenrand geschaut wirkt das, was ich sehe, genauso lackiert.
Mein Empfinden ist ebenfalls luft- und wasserdicht; nichts kommt rein und nichts kommt raus.





(23.4.2017)












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Freitag, 21. April 2017

674 Ziehen

Ein Katzenhaar schwebt an meinem linken Auge vorbei. Ich fühle mein Gebiss „ziehen“. Mein Magen knurrt. An meinem dritten Auge spüre ich einen leichten Druck. Mein Magen knurrt. Jetzt hat sich der Druck zu den Schläfen verlagert. Natürlich höre ich mein Surren. Dazu will ich festhalten: das Surren in den Ohren stört mich überhaupt nicht. Ich finde es interessant, manchmal beinahe aufregend; es tritt besonders deutlich am Übergang von Schlaf und Traum zur Realität, der sogenannten, auf und umgekehrt. Jetzt ist es normal in Lautstärke und Schwingung.

Jetzt ist der leichte Druck zu den Ohren herunter gewandert; hinter den Augen sitzt ein schwaches Ziehen, das allmählich bis in die Mundhöhle hinunter reicht. Ein Ziehen hinter den Augen, das – wäre es stärker - an den Zustand kurz vor einem Tränenausbruch erinnerte. Eben jetzt ganz schwach und ohne jede seelische Verstimmung. Ich fühle mich „neutral“, sozusagen in der Mitte, noch besser: in unaufgeregter Balance (Dienst erst am Nachmittag).

Das Ziehen im Kopf geht in ein leichtes Pulsieren über. Was die Selbstbeobachtung betrifft verliere ich den Faden; es sind zu viele Eindrücke, die sich bemerkbar machen, ich kann sie nicht mehr ordnen: der Druck auf den Körperflächen, wo ich aufliege und anlehne; der Druck der Finger, mit denen ich den Kugelschreiber halte; und bei denen, die das Notizbuch halten; die Wahrnehmung meines körperlichen Innenraumes, was sich da abspielt und mit welchen Empfindungen es einhergeht. Das Atmen zum Beispiel. Herzklopfen (ruhig; … Moment! … Moment! Jetzt spüre ich nichts! Bin ich etwa ein Zombie? Ein Außerirdischer mit ganz anderen herzlosen Körpersystemen? Kommt daher meine „Neutralität“? Sicherheitshalber ertaste ich den Puls; Ah! Ja! War vorhin keine Einbildung. Mein Herz schlägt; normal, soweit ich das als Laie feststellen kann!)

Durch die nicht ganz optimale Hockstellung erzeuge ich einen leichten Schmerz im Nacken. Ich versuche, meine Haltung zu korrigieren. Ja, so ist es besser. Jetzt spüre ich einen Druck im Körperinnenraum, der etwa von den Augenhöhlen bis in den Bauch reicht.

Der leere Magen macht sich stärker und knurrend bemerkbar. Ich werde um ein Frühstück nicht herumkommen.








(21.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

673 Von innen

Heute Abend habe ich meine Übungen „von außen“ begonnen – sinnigerweise auf meinen inneren Befehl – und dann „von innen“ - im Flow -  fortgesetzt. Zumindest so halbwegs. Phasenweise.









(20./21.4.2017)











 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

672 Wie kann ich es noch erklären?

Wie kann ich es noch erklären? „Zusammenreißen!“ und „da mach ich doch so … oder so …!“ Mein lieber Freund! Zusammenreißen tu ich mich zu meinem Schaden schon mein ganzes Leben, leider, und das, was du „ich“ nennst, genau das fehlt mir weitgehend.  Damit haben meine Handlungen keine feste Basis. Ein paar (oder mehrere) Überzeugungen täuschen eine (Pseudo-) Stabilität vor. Pseudo deshalb, weil die von außen aufgesetzt sind, wie ein äußerer Panzer, der aber kein inneres Rückgrat ersetzt (Meine Kreuzschmerzen sind nur folgerichtig). Sie sind entweder zu starr – können weder die Umstände und die Umgebung wahrnehmen und auf sie reagieren oder gar dazulernen, noch können sie die echten, wahren, guten inneren Impulse aufnehmen – oder sie sind zu schwach und zerbrechen bei der ersten Bewährungsprobe.

„Da sage ich dem doch: nicht so mit mir ...!“ Ach Gott, da ist es leichter, einem toten Hund über den Zaun zu helfen, als jemanden wie dir das nahe zu bringen! Versuche einmal, ein paar Schritte in meinen Mokassins zu gehen. Versuche, dich hinein zu versetzen.

Ja, wie kann ich das jemandem, der (anscheinend - scheinbar) mit beiden Beinen im Leben steht, erklären? Ich probiere es so: diese Instanz in dir, die sagt: „das will ich“, „das will ich nicht“, „damit habe ich nichts zu tun“, „dazu stehe ich“ „das liebe ich“ und so weiter, diese Instanz ist in mir nicht da, oder vorsichtiger ausgedrückt: sehr beschädigt, noch vorsichtiger: sehr schwach entwickelt. Mit diesem „ich“ meine ich übrigens nicht das Ego - das gehört mehr dem Panzer an - sondern die Gestalt des individuellen Lebendigen in einem, das aber wiederum im Tiefsten eine Verbindung zum Großen Lebendigen (Neutrum) überhaupt hat. Nun kann es schon sein, daß jemand sagt: „das will ich!“ und dieses „ich“ hat mehr Anteile am Panzer als am Selbst, und wenn diese Konstruktion gesellschaftlich kompatibel ist und in sich nicht zu widersprüchlich, sodaß sich die konkurrierenden Kräfte nicht gegenseitig beschädigen und aufheben, höchstens nach außen projiziert werden, ja dann kann die schon auf einen oberflächlichen Blick hin fast gesund ausschauen. Gell mein Freund?!

Wenn diese „Gestalt“ fehlt, gibt es keine Abgrenzung; alles, was reinkommt schlägt voll durch oder überschwemmt einen, jeder Wind weht einen um, jeder, der einen anredet, zieht einen auf seine Seite und so fort … das ist dann ein Taumeln. Das ist jedoch nicht einfach nur blöd, das kann auch Sensibilität bewirken, wenn diese Dualitätsschwäche von ihrem Träger als Chance angenommen wird. (Zum Beispiel als Vermittler zwischen dual verfeindeten Parteien, weil man dann ja beide verstehen kann.)

Im eigenen Leben bedeutet es taumeln und strampeln im Versuch, nicht unterzugehen. Außer man  schafft es bis zum Schwimmen und Surfen und kann es genießen. Dazu müßten aber die Panzer des Ego abgelegt werden und alle Wunden verheilt sein.










(19./20./21.4.2017)















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 19. April 2017

671 Es regnet

Ich liege wach. Es ist dunkel und ich kann nicht sehen, wie spät es ist. „Es ist noch Zeit, der Wecker hat noch nicht geläutet,“ denke ich mir. Ich bleibe ruhig liegen, aber die Unruhe hat mich schon erfasst. Dann kommt der Gedanke: „Und wenn ich den Wecker überhört habe?“ In dem Moment findet eine Explosion von Panik in mir statt. In meinem ganzen Körper, vor allem aber in der Körpermitte zittert es. Mir bleibt fast die Luft weg. Nur mit innerer Kraftanstrengung kann ich verhindern, daß ich das Licht aufdrehe, um auf die Uhr zu schauen. Ich sage mir: „Es ist nicht möglich, daß ich den Wecker überhöre; das ist mir noch nie passiert – also habe ich noch Zeit.“ Ein wenig kann ich mich beruhigen, aber es ist eine unruhige Ruhe, in der ich liege. Ein wenig döse ich ein, dann wieder das Aufschrecken: „Wer weiß, vielleicht habe ich doch den Wecker überhört! Oder vergessen, ihn richtig einzustellen! Oder er hat einen Defekt! Vielleicht habe ich schon verschlafen und bin schon zu spät?!“ Wieder diese Explosion von Panik, wieder überschwemmt mich blanke Angst. Wieder versuche ich mich zu beruhigen. So geht es vier-, fünfmal hin und her. Bis ich es nicht mehr aushalte und das Licht aufdrehe. Noch eine halbe Stunde bis zum Aufstehen-Müssen. Ich drehe das Licht ab. Eine kurze Phase von alarmierter Ruhe – wenn es soetwas gibt.
Sagen wir es so: mehr halte ich mich ruhig, als daß ich wirklich ruhig bin. Nach zehn Minuten halte ich genau das nicht mehr aus und drehe wieder die Lampe auf und beginne, das hier zu schreiben.


Es muß also der Gehorsam sein. Die panische Angst, einen Befehl zu überhören. Ich selber habe nichts Substantielles dagegen zu setzen. Ich bin dem voll ausgeliefert. Wie gesagt, mein ganzer Körper zittert. Dieser elende Gehorsam! Der zerstörerischste Habitus - neben den Schuldgefühlen - den man sich vorstellen kann. (Die beiden treten sowieso gemeinsam auf).

Diese Prägung muß sehr alt sein. Und es ist eine traurige Bilanz, am Lebensabend noch nicht weitergekommen zu sein und immer noch Sklave des Gehorsams zu sein und ohne innere Substanz, ohne innere Stabilität zu leben. Die Ungeheuerlichkeit dieser Verstrickung und deren – im wahrsten Sinn des Wortes! - gewaltiges Ausmaß ist mir erst durch das Schreiben und das meist damit einhergehende Hineinhorchen in mich, also erst in letzter Zeit bewußt geworden - meine Lektüre hat auch eine Rolle gespielt. Diese Erkenntnis ist richtig unangenehm und erschreckend und tut weh. Ich hätte schon längst profunde Hilfe gebraucht. Jetzt kommt es mir schon ziemlich spät vor, fast zu spät.

Und ich bin auch enttäuscht, daß in den vielen Therapien, die ich gemacht habe – das Gefühl, daß mit mir etwas nicht in Ordnung ist, war ja die ganze Zeit da – niemand diese Verstrickung gesehen und erkannt und angesprochen hat und niemand mir geholfen hat, das Ganze wirklich grundsätzlich und an seinen Wurzeln aufzuarbeiten. Die Not und das Leid der Stillen im Lande – um mich wieder einmal ein wenig hinter einer Floskel zu verstecken – die Verzweiflung der Schüchternen, der Braven wird oft und oft übersehen, auch bei TherapeutInnen. (Vom brüllenden Geschimpfe und verächtlichen Hertreten des Herrn Döbereiner ganz zu schweigen.)
Sicher, wir rücken ja selber nicht so leicht damit heraus; sei es, um die TherapeutInnen zu schonen – halten sie es aus? - sei es, weil wir selber es nicht wissen, wie tief die Deformierung sitzt und wie wenig wir von uns selber kennen, sei es, weil wir glauben, nicht so viel Wind von uns selber machen zu dürfen.

Ein Abgrund! Ein übles und Übelkeit verursachendes Gefühl, so wenig von einem selber, seinem innersten gesunden Kern zu kennen, sich selber so fremd zu sein. Unter den demütigen Bedingungen einer Besatzungsmacht leben, mit dem schalen, ekligen Geschmack der Kollaboration im Mund.

Aber, das will ich festhalten, es war zur Zeit der letzten Therapie, daß ich zu schreiben begonnen habe. Dafür sage ich danke!










(19.4.2017)
















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 18. April 2017

670 Selbstmitleid verboten!

Es ist Morgen. Ich bin – übereifrig und gehorsam wie ich bin – eine Stunde vor dem Weckerläuten von selber aufgewacht. Die würgende Angst steigt schon in mir auf. Ein beinahe bewegungsloses Zittern breitet sich aus, bleibt aber auf die Körpermitte konzentriert. Von mir ist schon nichts mehr übrig. Mich gibt es kaum noch, nur mehr die Angst (wenn es mich überhaupt je gegeben hat).
Ich weiß, du bist alt, Angst, aber was hast du mir heute noch zu sagen? Daß mein Leben noch immer nicht in Ordnung ist und alle meine Anstrengungen vergeblich waren? Daß ich mich zu wenig bemüht habe?
Das verstehe ich nicht; wenn du da bist, kann ich weder denken, noch spüren, was los ist.
Mein Herz, klopft es noch, oder zappelt es nur mehr vor Furcht? Mein armes verzagtes Herz, daß ich dir nicht mehr Mut habe schenken können!
Wie lange werde ich das aushalten? Kann ich denn nie und nirgends selbstverständlich sein? Ach! Laß das! Selbstmitleid verboten! Was soll's! Ich werde mich wieder hinlegen und zudecken, bis sich mein Herz beruhigt hat.

Aber es funktioniert nicht; ich zittere im Dunklen lediglich dem Weckerläuten entgegen.








(18.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

669 Der heftige Regen

Der heftige Regen läßt gerade nach. Es tropft nur noch von den Dächern. Das höre ich. Sehen tu ich es nicht, denn die (!) Rollo ist schon heruntergelassen. Ich sitze im Bett und warte, bis ich müde genug zum Schlafen bin, denn morgen muß ich früh aufstehen. Zu müde zum Lesen bin ich schon. Die Angst vorm Wecker schleicht sich schon ein.

Manchmal begreife ich selber nicht: wie kann man nur so Angst vor der Arbeit haben! Meine Erfahrungen dort im Job sind ja meistens nicht schrecklich, höchstens unangenehm. Die Prägungen der Kindheit - ich bin sie nicht wirklich losgeworden. Was für verderbliche Gehirnschaltungen!

Schon breitet sich das innere Zittern aus. Mein Herz ist verzagt. Oh nein! Nicht schon wieder! Jetzt kratzt auch noch die Katze an der Tür. Ich sehne mich nach Ruhe. Ich sehne mich so sehr nach Ruhe.







(17.4.2017)











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Montag, 17. April 2017

668 Jemand, der schreibt

Die nachtverklebten Augen brennen, wenn ich sie auszuwischen versuche. Das Schreiben ist weit weg gerutscht. „Ach, ja, ich habe immer geschrieben.“ „Was wollte ich eigentlich damit?“ „Soweit ich mich erinnere, war es nicht so gut.“

Es schleicht etwas Gröberes herum. Dauernd glaube ich, aus den Augenwinkeln heraus eine Katze zu sehen, aber es stimmt nicht.

„Literatur war es nicht, was ich geschrieben habe.“

Ratlos hocke ich da. Ein Gefühl, daß es jetzt ernst wird; deshalb gehe ich auf meine Angst nicht ein; ich kann es mir im Moment nicht leisten; in Panik verfallen darf ich nicht.
Ich bin an meinem sichersten Ort, in meinem Zimmer hinterm Katzenklo, gut versteckt, vor einer halben Stunde habe ich mich hierher zurückgezogen.

Das kleine Holzschaf am Bücherregal ist ein wenig hin und her gerückt. Das läßt sich aber leicht als optische Täuschung erklären, wie die Katzen. Wirklich nichts Ungewöhnliches im Blickfeld. Nur dahinter, da braut sich irgendetwas zusammen.

Eigenartige Geräusche aus dem Lichtschacht, aber auch die sind ganz leicht innerweltlich zu deuten.

Ich muß an den Holl [Adolf Holl] denken; an das Interview, das ich vorgestern gesehen habe. Deswegen lache ich ein wenig vor mich hin (von außen würde es wie ein kleines Lächeln aussehen, aber innerlich lache ich).

Im Stiegenhaus lacht auch wer, ein Mann und eine Frau.

Jetzt erfaßt mich Trauer, aber wieso?

Ich stelle nocheinmal fest: meine Texte sind nicht Literatur, zumindest keine große. Damit will ich gar nichts zu tun haben. Ich bin nur jemand, der schreibt.








(17.4.2017)











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Donnerstag, 13. April 2017

667 Ich sitze nackt in der Arbeit

Ich sitze nackt in der Arbeit. Oder in einem Kurs, einer Schulung – ich kann mich nicht mehr erinnern. Die anderen alle sind viel jünger als ich und bekleidet. Ich halte es für selbstverständlich und für mein selbstverständliches Recht, nackt zu sein. Ich fühle mich auch überhaupt nicht als Provokateur. Aber ich weiß, die Jungen tun sich mit solchen Freiheiten schwer. Sie verstehen das nicht mehr und sind von den amerikanischen Serien puritanisiert. Ihnen zuliebe beschließe ich, mich anzuziehen. Und ich weiß ja auch, wie sehr die auf Hygiene bedacht sind und wegen jeder kleinsten Verschmutzung durchdrehen und sich ständig duschen müssen. Ich finde das schädlich und lächerlich, aber ich weiß es.
Also krame ich in meiner Tasche herum und nehme eine Jeans heraus. Ich ziehe sie an und stelle fest: die ist mir viel zu weit. Die könnte ich zweimal um meinen Bauch wickeln. Ich wundere mich, aber ich freue mich auch, daß ich so abgenommen habe. Erstaunt bin ich nur, daß ich schon einmal so dick war. Kurz zweifle ich, ob das überhaupt meine Hose ist. Aber ein Kontrollblick klärt: ja, das ist meine Tasche, aus der ich die Hose genommen habe. Da ist noch eine andere Jeans in der Tasche, in etwas hellerem Blau. Ich nehme sie heraus und …     aufgewacht!









(13.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

666 Das Zentrum der Welt

Die Bilder schweben – vor Müdigkeit – mehr im Raum, als daß sie an den Wänden hängen. Ich selber bin im Zentrum der Welt.

Ich bin das Zentrum der Welt.


Das Zentrum der Welt geht jetzt schlafen.





(12.4.2017)









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665 Ich spüre die Angst

Ich spüre die Angst, wie sie mir im Bauch sitzt und mich auffrisst. Ich zittere und mir ist beinah schlecht. Jeden Morgen diese unglaubliche Angst vorm Leben, um die Existenz. Ja, es stimmt, ich sehe mich mit dem da draußen nicht hinaus. Ich bin ein ungeheuer tapferer und mutiger Mensch, daß ich trotzdem jeden Tag aufstehe. Oder einer, der sich bis zur Selbstaufgabe unterworfen hat („tapfer gegen das eigene Empfinden“) und sich nicht wehrt.

Was könnte mich in diese Welt locken? Was mich anziehen? So, daß ich freudig den Tag beginne? Etwas, wo ich mich einbringen kann, wo ich mich entfalten kann? Eine Perspektive? Hoffnung wenigstens?


Was mir noch nicht klar ist: einerseits kommt diese Angst aus den Träumen; ich wache ja oft zitternd auf. Das hat mit den Begegnungen in den Traumwelten zu tun, die für Selbstbild und Weltbild bedrohlich sind, weil sie deren Selbstverständlichkeit und Ausschließlichkeit auflösen. Es stärkt aber auch das Bewußtsein, daß es da mehr gibt, als wir es uns vorstellen. Soweit klar. Andererseits richtet sich die Angst auch auf die Alltagswelt, mit der zurechtzukommen ich mir überhaupt nicht zutraue. Was ist also was? Die schlimmste Angst, die ich jemals erlebt habe, war in einem Traum, aber – so blöd das klingt – gerade vor der habe ich mich überhaupt nicht gefürchtet (siehe hier in der Schublade Nr. 84 „Fut frißt Hose“). Ich wollte diesen Traum nächste Nacht gleich nochmals erleben. Diese Angst habe ich als kreatürlich empfunden. Die Angst vor den Menschen und der Alltagswelt wird – denke ich – eine soziale Angst sein. Nicht kreatürlich, sondern angelernt. Das gibt ihr einen so unguten Beigeschmack von Versagen oder Ähnlichem. Bei der kreatürlichen Angst spielt das alles keine Rolle; was ist an einer Kreatur, die stirbt, schon zu kritisieren oder zu bewerten? Gar nichts.


Wenn ich mich erinnere, wie ich zum Beispiel meine Ausstellungen vorbereitete, damals, als ich noch als Künstler herumgelaufen bin, da waren diese sozialen Ängste auch da, manchmal sehr stark – ist das gut genug? Was werden die anderen Künstler und die Kritiker sagen? etc. -  aber ich bin oft voller Elan in den Tag gestartet, ich wußte, ich habe viel Arbeit, aber ich hatte Freude daran. Es gab ein starkes Gegengewicht zur Angst. Ich hatte die Möglichkeit, mich einzubringen, mein Werk zu zeigen, eine Chance auf Anerkennung – so klein die Anerkennung auch gewesen sein mag – und die Chance darauf, wahrgenommen zu werden. Und ich hatte noch viele Hoffnungen und Illusionen, was sich daraus noch alles entwickeln könnte. Und – das muß hier angeführt werden – ich habe die Angst gelegentlich mit Alkohol gedämpft. Das muß nicht immer so krass gewesen sein. Aber ein paar Schlückchen Bier zum Beispiel federten schon die Auswirkungen der sozialen Angst ab. Ich war gelassener, kommunikativer, konnte alles besser händeln.

Heute habe ich weniger Illusionen und Hoffnungen und verwende keine Angstdämpfer. Ich habe – auf sozialer Ebene und was mein öffentliches Wirken betrifft – keine „Auftrittsmöglichkeiten“ mehr. Ich sehe meine damaligen künstlerischen Arbeiten viel kritischer und – natürlich, im Alter – meine Möglichkeiten und Chancen schwinden. Mein Lebensresümee fällt in meinen Augen meist nicht gut aus. Meine Illusionen reichen kaum noch für eine kleine Euphorie.   Ja, das Schreiben! Das ist der letzte Zipfel, an den ich mich noch festhalte (und wo noch ein paar Illusionen und Hoffnungen dranhängen).







(12./13.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 12. April 2017

664 Was schaust du mich so komisch an?

„Was schaust du mich so komisch an, weil ich Brot esse? Du mit deinem Porridge! Brot ist auch nichts anderes als gebackener Getreidebrei!“

Ach ja, diese Sätze da oben stehen nur so da. Ich weiß auch nicht, woher sie kommen.

Eine geschwollene Stelle links am Hals und Schluckschmerzen. Zwiebel gibt es nicht, um sie neben das Bett zu legen. Ich habe vergessen, welche einzukaufen. Soll ich Knoblauch nehmen? Oder ist es schon zu spät? Ich versuche es mit Knoblauch als Krankheitsvertreiber. Brennt ein wenig in den Augen. Und er stinkt. Selbst mir als Knoblauchfresser stinkt er fast zuviel.

„Im Bett bist du fad! Von dir kommt gar nichts!“  Waas!! Wer wagt es, mir solche Frechheiten an den Kopf zu werfen!? Wer stört mit seinen blöden Sätzen meinen Text?

Ich muß einmal lernen, saubere Geschichten zu schreiben. Sauber, getrennt, die Geschichten nicht vermischen. Ich muß wirklich das Schreibhandwerk erlernen. Klare Figuren, klare Erzählstränge. Vorher entscheiden, was ich erzählen will. Entscheiden, ob es einen Ich-Erzähler gibt oder einen von außen. Den Figuren klare Namen geben, einen klaren Charakter. Nicht zuviel herumspielen, nicht dauernd die Ebenen wechseln oder die Ich-Erzähler. Nicht aus dem Erzählen oder Beschreiben springen, die Meta-Ebene vermeiden (auch die Überstrapazierung des Bindestrichs, dort, wo er gar nicht notwendig ist) und nicht über die Entstehung des Textes schwafeln oder gar über das Schreiben selbst. Allen diesen Attitüden ausweichen. Ich muß einen Schreibkurs besuchen. Auf einer Volkshochschule zum Beispiel. So kann das nicht weitergehen. Arroganz hilft dir nichts. Ich sage es nocheinmal: nicht so viel herumspielen; das ist schon eine ausgelutschte Sache.

„Sex and Drugs and Rock and Roll!“ Da! Schon wieder! Habe ich mir einen anorganischen Trottel eingefangen, der mir dauernd dazwischenredet? Oder einen ex-organischen, der jetzt da irgendwo in der Gegend herumgeistert? Oder ist es ein guter Geist, der mir Vorschläge für Geschichten oder deren Anfangssätze zuflüstert? Eher nicht. Dafür waren die Einflüsterungen zu schlecht. Oder ich höre nicht gut.

„Am Tag, als ...“    Nein! Aus!






(11.4.2017)













 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 11. April 2017

663 Kleine morgendliche Anmerkung

Ich habe jetzt das Licht aufgedreht, obwohl ich noch eine gute halbe Stunde Zeit bis zum Aufstehen habe, denn wenn ich an den Wecker denke – und das ist schon einer mit sanften Tönen – verkrampft sich sofort mein Bauch und mein Herz bekommt Angst. Dann lieber gleich sich "freiwillig" aus dem Schlaf jagen.

Es geht dabei eindeutig um das Müssen. Die Fremdbestimmung ist es, die diese Angst auslöst. Klar, wegen dieser Fremdbestimmung verliert man ja die Verbindung zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, zu sich selber. Wohl deshalb diese bodenlose Angst, man findet in sich selber keinen Halt.

Und ohne diesen Bezug zu sich selbst kommt man in der Außenwelt nicht zurecht, was wiederum die Angst vor ihr verstärkt. Man holt sich dann ja die entsprechenden Erfahrungen.








(11.4.2017)














©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 10. April 2017

662 Auf der Bank mit vielen Unterstellungen

Das weiße Blatt glänzt in der Sonne und blendet mich. Ich zwicke die Augen zusammen. Selbstredende Läufer rennen vorbei, Menschen von Hunden gezogen; die U-Bahn höre ich in die Station rattern und sehe sie nicht; ein wenig sehe ich vom Fluß. Der U-Bahn-Zug fährt wimmernd/jaulend/singend (du kannst es dir aussuchen!) wieder los. „Im Marketing ist soviel Erfahrung“, sagt eine junge Frau. Radfahrer strampeln. Einsame Männer auf der Suche - zurückhaltend, lauernd oder gierig. Läuferinnen, die  - so schaut es aus - ihre runden Hintern bis zur Flachheit abarbeiten wollen (sie wissen nichts von Bioenergetik) (sicher eine Unterstellung). Fette Hundebesitzerinnen, die raumeinnehmend nach jeder Empörung greifen, die ihnen über den Weg läuft (so wie ich nach allem greife, das ich aufzeichnen kann). Kleine Gruppen, die sich unterhaltend vorüberdriften. Spaziergänger – kurzärmelig, langärmelig. Kleine, wackelnde Hunde, die kaum noch gehen können (scheint es).  Es gibt auch feinsinnige Läufer, deren Feinfühligkeit an der vorgestreckten Nase und der Frisur erkennbar ist.

Ich kann kaum schauen vor Sonne.
Paare.
Gegenüber gibt’s Dachbodenausbauten (Ah, deswegen wurde vor Jahren das Wäscheaufhängen auf den Dachböden verboten!).

Ich bin zu warm angezogen. RollschuhläuferInnen.
Krähen und Tauben sehe ich, andere Vögel höre ich.
Manche Läufer laufen sehr vornübergebeugt.
Ein dunkler Punkt hat sich direkt vor mir bewegt. Dort, wo er sich bewegt hat, sehe ich bloß den Schatten eines kleinen Steinchens.

Ein Schiff höre ich flußaufwärts kommen.
Jetzt ist es in der sichtbaren Zone. Der Impuls, denen am Schiff zu winken. Warum? Weil man unterbewußt meint, sie fahren zum Meer? in die Freiheit? in die Unendlichkeit? Obwohl man oberbewußt weiß, sie machen eine Rundfahrt? Oder winkt man gerne, weil man weiß, es kommt kein wirklicher Kontakt zustande? Oder freut man sich einfach, ganz ohne Hintergedanken?

Und natürlich der Autolärm, den ich wegblenden will oder zu einem etwas schrägen Waldesrauschen umdeuten (ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt).
Eine Frau bildet sich etwas ein, sagt sie. Welche Bilder will ich noch aufnehmen? Ich glaube, mir reicht es. Ich werde gehen.

Der Schatten einer Taube, über mich gegangen, hat mir den Weg gewiesen. Nach links.







(9./10.4.2017)

















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 9. April 2017

661 Ratlose Stille

Eine ratlose Stille ganz früh am Morgen. Etwas fehlt. Etwas beunruhigt mich. Aber es bleibt still. Ich bemerkte eine leicht würgende Leere an mir. Und irgendetwas höre ich doch. Irgendjemand geistert im Haus herum. Der Unruheanteil wird größer. Ich nutze diesen Moment der Ratlosigkeit für etwas, das man, mit einigem Wohlwollen betrachtet, als kurzes Morgengebet durchgehen lassen könnte, oder etwas in diese Richtung. Dabei  habe ich damit gar nichts am Hut. Darum habe ich auch ein schlechtes Gewissen, daß ich es tue. Damit jedoch halte ich mich jetzt nicht länger auf. Ich weiß aber gar nicht, wohin die Reise geht. Ich glaube, der Unruheanteil ist bald so stark, daß ich dann aufstehen werde und das hier abschütteln. Etwas nagt in mir. Die Flucht nach vorne, ich werde jetzt aufstehen. Ich höre wieder etwas. Jetzt ist es wirklich soweit.









(9.4.2017)

















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 7. April 2017

660 Ich spreche heute zur Wand

Ich spreche heute zur Wand. Aber vielleicht lebt die Wand. Vielleicht hat sie einen ganz winzigen Anteil am Weltbewußtsein, meinetwegen in homöopathischer Verdünnung und kann daher in eine ganz minimallebendige Schwingung versetzt werden. Oder sie besteht wenigstens aus leitendem Material und gibt wie ein Medium meine Worte weiter; meine gesagten, meine geschriebenen, meine gedachten.

Obwohl: sind meine Wörter es wert? Und wohin weitergeleitet?           In den Aether!

Ach, hör auf mit dem geschwollenen Gerede: in die Luft! Einfach in die Luft draußen! In diese Luftsäule über uns, mit ungefähr etwas weniger als 1 bar Luftdruck, die bis oben geht. Und von dort aus von mir aus dann in den Aether.





(6./7.4.2017)
















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 6. April 2017

659 Ich wache ein wenig auf

Ich wache ein wenig auf, aber verlasse diese Zone der inneren und äußeren Dämmerung nicht. An sich angenehm, nur mit einem leichten Anflug von Unruhe: was ist heute? was muß ich erledigen? wann habe ich Dienst?
Plötzlich macht es „plopp“ und ich bin in Panik. Die nackte Angst hat mich gepackt.

Ich fühle sie als einen schweren, starren Knoten, als dunkle, eiserne Kugel im Bauch. Ich bin luzide genug, das Steuer nicht ganz aus der Hand zu geben und versuche, diesen Knoten zu erforschen.

Wer oder was bist du? Wo kommst du her? Von außen? Bist du in mir gewachsen? Bist du fremd oder gehörst du zu mir? Bist du relativ neu – ich meine, bist du so alt wie ich, oder bist du schon über die Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsen? Hast du einen Namen? Wenn ja, wie heißt du? Hinz? Kunz? Müller? Rumpelstilzchen? Dschingis Khan? Was willst du eigentlich sagen?  Wie lautet deine Botschaft? Bitte klar und deutlich, daß sie auch ein Narr wie ich versteht! Warnst du mich vor etwas?  Bin ich vom rechten Weg abgewichen und du willst mich zurückscheuchen? Von meinem rechten Weg oder von dem anderer? Im Dienste welcher Macht stehst du? Sagtest du mir deine Botschaft, könnte ich dir trauen oder lügst du? Was ist deine Funktion? Oder bist du nur die abgelegte Angst meiner Kindheit? Eine versteinerte Ablagerung? Was tust du dann noch da? Aber du mußt doch eine Funktion haben! Welche? Klär mich auf! Bist du eine Ablagerung aus – bildlich gesprochen – irgendwelchen Umweltgiften? Gibt es dich da draußen und ich habe die Partikel eingeatmet? mit der Nahrung aufgenommen, über die Haut, mit den Augen, Ohren? Oder bist du tatsächliches Umweltgift? Oder bestehst du aus der gesammelten Todesangst der gegessenen Tiere? Und der Pflanzen, die empfinden doch auch!

Du sagst nichts. Du öffnest dich nicht. Du bist hermetisch wie ein schwarzes Loch. Mir kommt vor, du bist sehr alt. Tausende Jahre. Dich gibt es schon seit der Vertreibung aus dem Paradies, als die Menschheit das Stille Wissen verlassen und sich in diesem Traum verloren und verfangen hat, der jetzt unsere Realität ist. Wirst du seitdem von Generation zu Generation weitergeben? Bist du das? Panik, ich rede mit dir! Immerhin sitzt du ja in mir; du hast dich in mir eingenistet.           Du redest nicht. Hast du Angst, aufgedeckt zu werden?

Oder kommst du aus all den Erfahrungen meiner Vorfahren? Von den Eltern und Großeltern aus den zwei großen Kriegen vererbt?  Aus den vielen kleinen Kriegen und Massakern? Aus Inquisition und Hexenverfolgung? Aus den Religionskriegen? Den Türkenbelagerungen?  Überhaupt aus den Erfahrungen mit den umherziehenden Heeren, den „eigenen“ und den feindlichen? Ihrem Rauben, ihren Morden, Vergewaltigungen? Von Mädchen und Buben, Frauen und Männern? Von den Drangsalierungen der Herrschenden? Ihrem Raub, ihren Übergriffen, Demütigungen, ihrem ius primae noctis? Von den vielen ständig geprügelten Kindern, Schülern, bloßgestellt und verachtet? Von all den mißbrauchten Vorfahren? Als Kinder oder Erwachsene? Das verschwindet alles doch nicht von selber, indem man Gras darüber wachsen läßt! Oder von den Volksaufständen und ihren Greueltaten, den jahrhundertealten Judenverfolgungen, der Lynchjustiz? - die Taten der Täter verfolgen ja auch die Täter und ihre Nachkommen; auch das hört nicht von selber auf, indem man Gras drüber wachsen läßt.

Oder hast du, du stille Panik, etwas mit Dämonen zu tun? Mit dem Kontakt zu anorganischen Lebewesen aus anderen Dimensionen im Schlaf? Daß deren Begegnung unsere schwächlich zusammengebastelten Bilder von uns selbst und der Welt, auf die wir uns ängstlich verlassen, unmöglich macht und wir uns vor dieser Freiheit fürchten?

Oder bist du bloß ein tumber Klumpen Dreck? Weil die Leber nicht gut entgiftet hat, zum Beispiel?

Nein, nein, mit solchen primitiven medizinischen Aussagen lasse ich mich nicht abspeisen! Ich glaube daran, daß alles einen Sinn hat. Also: wofür bist du da?

Die Panik hat sich jetzt aufgelöst; nur fürchte ich, sie hat sich bloß versteckt und macht von meiner Körpermitte aus weiterhin ihren rätselhaften Job. Ich habe mich selber, besser mein Bewußtsein mit meinen Wörtern, Gedanken, Fragen, Überlegungen eingehüllt, damit es die Panik nicht wahrnehme. Sonst könnte ich nicht aufstehen, in die Arbeit gehen, überhaupt könnte ich mit dieser Panik akut auch nicht bloß ein klein wenig funktionieren.

Aber sie ist da. Sie ist weiterhin da und betreibt aus dem Untergrund ihr boykottierendes Werk. Das befürchte ich. Oder sie gehört doch einfach nur zum Leben. Ach! Ich gehe jetzt frühstücken.








(6.4.2017)
















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

658 Die Wiese vorm Fenster

Meine „Wiese vorm Fenster“, das ist ein Blumenkistl am Fensterbrett, hauptsächlich wachsen da üppiges Gras, Löwenzahn und Klee; ein paar andere Pflanzen kann ich in diesem frühen Stadium noch nicht identifizieren. Der Löwenzahn jedoch hat schon über zehn Blüten, die schön und herrlich aus dem frischen, dichten Grün hervorleuchten.

Gut, „herrlich“. Warum nicht „fraulich“? - (ich bin schon wieder viel zu schnell bei der Sprache gelandet.)
Wie ich gelernt habe: Herren – Frauen; Männer – Weiber.
„Herr“ ist ein Herrscher- und Göttertitel - „Herr, erbarme dich unser“ - mehr muß man nicht anführen.
„Frau“ ist die entsprechende Anrede für Göttinnen und „Herr“scherinnen: „Frau Holle“, die Göttin mit ihrem Holunderbaum, „Unsere Liebe Frau von Loretto, Guadalupe, Lourdes, Coromoto, Fatima, Absam, Von den Tränen, Von der immerwährenden Hilfe, Von Pötsch, Von Wladimir …; „Frau Hitt“ (! übrigens, schöne Grüße!)

Ja und Mann. Mann, man, mind – Geist.
Weib, womb; nachzulesen bei Taisha Abelar und Florinda Donner-Grau, über die angeborene Gebärmutterkraft der Frauen (eigentlich: Weiber, denn diese Kraft ist „demokratisch“! Hi, hi hi!), wenn die nicht nur für Männer und Kinder, sondern auch zum Zaubern eingesetzt wird. Dann sind die Frauen unschlagbar im schamanischen Reisen und den Männern weit überlegen, weil die diese Kraft nicht haben. Die Frauen haben diese Kraft zusätzlich zur üblichen anthropologischen (!) Ausstattung, die auch die Männer haben, und deswegen haben die Weiber einen unmittelbaren Zugang zum – wie nenne ich das? - transzendenten Bereich, ohne daß sie dafür Religionssysteme, Denkgebäude etcetera brauchen, an die sich wie an ein Geländer haltend die Männer mühsam hinüberhanteln müssen. Der Zugang über die Womb ist unmittelbar, ohne Sprache, direkt.

Aber Schluß mit diesem eingeschobenen Vortrag! Zurück zur winzigen Wiese. Ich glaube, daß hier auch schon kleine Bäumchen keimen.


Schnitt! Szenenwechsel. Die Sonne ist untergegangen und ich schaue jetzt in eine andere Richtung. Nicht mehr zur kleinen Wiese am Fenster, deren Anblick mein Herz weiter macht, wenn ich sie da wachsen sehe – wir lieben ja Wachstum und Aufblühen – sondern  in meine dumpfe Frustration. Der Tag ist nicht so verlaufen, wie ich ihn mir vorgenommen hatte. Ich habe mich viel zu oft ablenken, abhalten und stören lassen, gerade in den entscheidenden Momenten, und meine Vorhaben nicht durchgezogen. Immer das Gleiche! könnte ich jetzt sagen, aber ich sage es nicht; es klingt und riecht zu sehr nach den Vorwürfen meiner Kindheit.

Dabei bräuchte ich jetzt nur meine Vorstellungen loslassen, meine getroffenen Entscheidungen akzeptieren, die Folgen daraus annehmen und schauen, was einem auf diesem gewählten Weg begegnet. Und staunen. Staunen kann man immer, egal auf was man blickt.

Allmählich tritt Entspannung ein. Ich seufze ein paarmal. Mein Atem bekommt ein klein wenig mehr Raum.

Ich bin nun mit meinem Tag so halbwegs versöhnt.





(4.4.2017)













©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 5. April 2017

657 Meine Außenwelt

Ich schaue auf den kalten, starren Fliesenboden, betrachte seine Musterung. Dann verschiebt sich etwas, mein Blick rutscht tiefer, scheint die Oberflächen zu durchdringen und alles fängt an, sich zu bewegen und zu glänzen.
Nur kurz, dann ist es wieder vorbei.

Zurück im Zimmer will ich diese Wahrnehmungsverschiebung wieder holen. Sie kommt jedoch nicht; nur eine gewisse Unruhe ist in meiner Außenwelt, mehr zu fühlen als zu sehen. Zu sehen ist an manchen Stellen lediglich ein leichtes Flimmern und die Bewegung meiner Augenlider.
Mir dieses Schließens und Öffnens bewußt zu werden, erschreckt mich fast ein wenig. Wie gefährdet wir sind. Stell dir vor, die Lider vergessen, die Augen zu befeuchten, oder die zuständigen Drüsen – ich nehme an Drüsen – schütten kein Wasser mehr aus.

Wie filigran wir gebaut sind!

Oder irgendetwas ist mit unserer Seele!







(4./5.4.2017)













©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

656 Wegbegleiter

Wie ich so dahineile befiehlt der Wind einem Zigarettenstummel und einer abgefallenen Baumblüte mich ein Stück des Weges zu begleiten. Der Stummel scheint sich regelrecht zu freuen, so windbegeistert hüpft er neben mir her. Die Blüte, viel kleiner, saust mit erstaunlicher Geschwindigkeit an meiner rechten Seite mit, bevor sie sich nach einer kunstvollen Pirouette – ich vermute erschöpft – auf den Asphalt legt.

Es ist bereits wieder frisch und es wird auch in der Sonne nicht mehr so warm; ein zerrissener Wolkenschleier bremst ihre immense Kraft.

Das Schlechtwetter ist angekündigt und mit dieser Info im Kopf sehe ich es auch schon langsam Deckung suchend heranschleichen, obwohl die Sonne immer wieder ein wenig durchkommt.





(4.4.2017)















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 4. April 2017

655 Morgengebet

Morgengebet. Ich spreche Heilige und Zauberinnen an. Für meine Töchter. Ich glaube nicht so recht an die Wirksamkeit meiner Gebete, aber weil sie meine sind, nicht weil Gebete generell nicht wirksam wären. Der Beter ist zu schwach.

Aber ich hoffe. Vorsichtig.

Fehlt noch meine Liebe; die Liebe im Alltag, im Konkreten. Ich bin da sehr spröde und ungeschickt.

Muß ich das so sehen? Anscheinend. (Von wem oder was geht dieser Schein aus?)

Mein Blick durch meine Lesebrillen ist so verschwommen, daß ich einige Gegenstände meines vertrauten Zimmers nicht identifizieren kann. Ich erkenne sie nicht. Braucht nur ein unerwarteter Glanz auf dem Ding liegen, von irgendwelchen Lichtreflexionen hervorgerufen, und ich erkenne es nicht mehr. Und mein Geist baut manche Gegenstände überhaupt falsch zusammen. Beim CD-Player baut er etwas Ausladendes an, als hätte der noch einen Teil mit einer Funktion, die mir bisher entgangen ist, was jedoch in dieser unseren Realität bloß ein zusammengerolltes Kabel ist.








(4.4.2017)















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

654 Meine Müdigkeit bewirkt

Meine Müdigkeit bewirkt, daß mein Schauraum langsam und sanft zu pulsieren beginnt. Leichte Bewegungen laufen wie untergründige Wellen im Zeitlupentempo durch mein Blickfeld. Aber auch Staub reist durch die Luft, wie ich gerade gesehen habe, vom Lampenlicht bestrahlt und in meine Aufmerksamkeit geschoben.

Schatten schleichen an den Rändern herum, zucken ein wenig, aber können mich noch nicht erschrecken. Ich glaube immer wieder eine Fliege zu sehen, aber sie müßte eine stumme sein; kein Summen.

Ich presse die Augen zusammen und gähne laut und deutlich. Die Nackenmuskeln spannen sich gefährlich krampfhaft an. Dann lassen sie wieder los und mein Kopf sinkt auf die Brust.







(3./4.4.2017)














©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 3. April 2017

653 Ich lächle

Ich atme tief durch und denke: Danke. Ein schöner, warmer Sonntag. Erholsam. Friedlich. In der Nacht einen guten Text geschrieben, am Vormittag ein ausführliches Frühstück. Den Text überarbeitet und auf die Schublade gestellt. Mit D. essen gegangen. Fußball geschaut. Mit D. ins Kino gegangen. Mit D. und Kindern gelacht. Ein wenig gespielt. Gute Nacht gesagt.
Wahrlich ein gelungener Tag. Ich atme tief durch. Ein Gefühl rechtschaffener Müdigkeit.
Ich atme tief durch.
Der Tag schwingt aus. Die Nacht ist still.
Nocheinmal atme ich tief durch.
Ich lächle.
Tatsächlich: ich lächle!






(2.4.2017)














©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 2. April 2017

652 Wie ich einmal ein junges Mädchen verfolgt habe

Ich werde sechszehn gewesen sein, allerhöchstens siebzehn. Ich hatte es mir immer noch gefallen lassen, von meiner Mutter ausstaffiert zu werden. Das ist ein ganz wichtiger Fakt! So hatte sie mir eine Kappe aufgedrängt, von der sie behauptete, sie wäre modern und chic. Zunächst hatte ich mich gewehrt, die aufzusetzten, aber schließlich gab ich nach und habe sie getragen. Und sie ist gut angekommen. Meine Mutter hatte recht. Dann habe ich diese Kappe ständig getragen.
Wir sind Anfang der Siebzigerjahre und ich war ein … ein Bursche, der von Tuten und Blasen tatsächlich keine Ahnung hatte. Schüchtern, weltfremd, lebensuntüchtig. Was macht man dann als junger Ma... Bursche? Richtig! Man geht viel spazieren, noch dazu, wenn man Peter heißt (Schlager 1966: „er heißt Peter, und er geht so gern spaziehieren ...“). Oft bin ich mit dem Kofferradio spazieren gegangen und habe jedoch nicht Schlager, sondern Popmusik gehört.

Das, was ich jetzt erzähle, muß schon im Winter gewesen sein, jedenfalls war es früh dunkel. Ich bin im Mantel mit hochgestelltem Kragen und meiner Kappe herummarschiert, vielleicht habe ich auch eine Pfeife geraucht. Soweit ich mich erinnere ohne Kofferradio. Ich hatte einen weiten Weg gewählt, zuerst Richtung Gatschen, Quilk, dann abgebogen nach Winklern rüber und über den Katzensteig, der schon eine schmale Straße war, wieder nach Irdning zurück.
Nein, nein, es war anders! Ich bin die Lindenallee heraufgekommen und dann in die Klostergasse Richtung Ortsmitte weiter gegangen. Und das unbekannte Mädchen ist aus der Winklerner Richtung die Klostergasse herunter gekommen. So war es. Jetzt glaube ich es genau zu wissen.
Jedenfalls war das Mädchen in meinen Augen sehr hübsch. Und sonst waren keine Leute mehr unterwegs. Sie ist in deutlichem Abstand vor mir gegangen. Festzuhalten ist, daß sich das zufällig ergeben hat, daß ich hinter dem Mädchen hergegangen bin; das war einfach mein Weg nach Hause.

Bei mir ist gleich soetwas wie ein innerer Film abgelaufen, eine Art „Lehrfilm“ über das richtige Verhalten Frauen gegenüber. Natürlich war dieser „Lehrfilm“ eine fremde Installation, zusammengestückelt aus all dem, was einem als Aufwachsenden damals am Land  erzählt und vorgespielt wurde oder auch richtig anzuerziehen versucht. „Die mußt du jetzt ansprechen! Das ist deine Chance! Du kannst nicht ständig und ewig als dieser Schüchti und Trauminet herumrennen; du mußt ein Mann werden! So wie der, und der, und der da! So eine Gelegenheit gibt es so schnell nicht wieder! Schau! Sie hat sich umgedreht! Sie ist auch an dir interessiert! Deine coole Kappe - „cool“ hat hat man damals natürlich noch nicht gesagt – diese coole Kappe und der aufgestellte Kragen haben Eindruck gemacht! Los! Trau dich!“

Aber ich habe mich nicht getraut. Verdammt! Verdammt! Verdammt! „Da schau! Sie dreht sich wieder um! Sie ist an dir interessiert! Du gefällst ihr! Sprich sie an! So machen es doch alle! Willst du ewig dieses traurige Lehmlocherl sein?!“

So ist es eine zeitlang in mir hin und her gegangen. Wir haben inzwischen den Marktplatz, wo damals auch die Autobushaltestelle war, mit dem Kirchpark erreicht. Ich nehme alle meine Kraft zusammen, meinen ganzen Mut und spreche das Mädchen an. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht mehr – nur das weiß ich noch: es war ein fürchterliches Gestottere. Ich habe gezittert vor Angst und Aufregung und nur mit Gewalt ein paar gestammelte Wörter herausgebracht, nur mit Gewalt! (gegen mich selber. Ich mußte mir einen festen Tritt verpassen, daß ich ein Wort herausgebracht habe. Unter solch stressigen Bedingungen nimmt man sein Gegenüber nicht oder kaum wahr.) Sie hat geantwortet, aber ein Gespräch ist so, unter diesen Vorzeichen, natürlich nicht entstanden. Ich habe schon nicht mehr gewußt, was ich sagen soll – wenn ich mich richtig erinnere habe ich hauptsächlich Fragen gestellt – das Ganze hatte schon mehr Verhörcharakter, kommt mir jetzt nachträglich vor – zum Beispiel, woher sie komme. Aus Stainach. Was sie mache. Auf den Bus warten.
Dann ist ein kleiner roter Mini die Straße heruntergefahren, das Mädchen läuft weg, zum Auto hin, eine Bekannte von ihr sitzt  am Steuer, sie hält sie auf und fragt, ob sie sie nach Stainach mitnehme.
Was heißt fragt! In Panik hat sie das ausgerufen und ist dann schnell ins Auto gestiegen.

Erst da habe ich kapiert, daß dieses Mädchen die ganze Zeit vor mir Angst hatte. Daß jemand vor mir Angst hat, das ist etwas, was ich mir überhaupt nicht vorstellen kann. Bis heute nicht wirklich. Ich bin es doch, der Angst hat!

Aber jetzt hatte ich es verstanden, daß sie den ganzen Weg schon Angst hatte und sich nicht aus Interesse oder Neugier umgedreht hatte, sondern aus Panik, daß der Verfolger schon näher kommt. Ich war völlig perplex!

Gottseidank war und bin ich ein schüchterner Mensch. Sofort wie ich es kapiert habe, habe ich mich erschrocken zurückgezogen. Hätte ich das früher schon verstanden, hätte ich sie gar nicht angesprochen. Wenn ich es im Moment gemerkt hätte, in dem ich sie angesprochen habe, hätte ich mich entschuldigt und wäre sofort weggegangen. Schon als so etwas wie Mutters Ein und Alles – allerdings bei sofortigem Widerruf bei Versagen – von Größenwahn infiziert, aber vom Leben bereits schmerzhaft in die Schranken verwiesen, renne ich nicht mit der Vorstellung herum, daß mir alle Weiber zustehen. Wiewohl es meinem Affenego gefallen würde.

Ich konnte das kaum begreifen! Ich war es doch, der Angst hatte! Das Mädchen wirkte auf mich cool und souverän. Sie hatte  Angst vor mir?! Dazu fällt mir noch die Feststellung von Marshall Rosenberg ein, daß die Angst in den Augen des einen beim andern fast immer, immer als Aggression wahrgenommen wird.
Außerdem: das ist festzuhalten: kaum hatte ich beim Spaziergang das Mädchen gesehen, habe ich meine Aufmerksamkeit auf sie fokussiert; ich bin nicht mehr einfach nur unschuldig spazieren gegangen. Dieses Aufmerksamkeit-Ausrichten ist schon so etwas wie zielen, auch wenn ich – das ist mir wichtig, es noch einmal zu betonen – von meinem Vorhaben, sie anzusprechen, sofort abgelassen hätte, wenn ich wahrgenommen hätte, daß sie Angst hat.

Was wäre gewesen, wenn tatsächlich ein Gespräch zustande gekommen wäre – ohne Angst bei ihr? Ich selber hätte erst recht Angst gehabt und wäre mit meinem Latein schnell am Ende gewesen.

Ein paar Tage später richtet mir meine Schwester – die Austreiberin in der Familie – AustreiberIn: das ist ein astrologischer Begriff in der Münchner Rhythmenlehre – richtet mir also meine Schwester Grüße von der Soundso aus Stainach aus. Wie sich herausgestellt hatte, besuchte das angesprochene Mädchen die selbe Schule wie meine Schwester und war erst dreizehn Jahre alt. Das war noch ein extra Schock; ich hätte sie für viel älter, so in meinem Alter eingeschätzt. Noch dazu beim Mittagessen vor versammelter Familie hat das meine Schwester ausgerichtet und erzählt, das Mädchen habe ihr gesagt, daß ich sie verfolgt und angesprochen habe (wie sich das für eine Austreiberin gehört). Die Grüße waren natürlich ironisch gemeint und provokativ, im Sinne einer Warnung: ich weiß jetzt, wer du bist!

Das war mir jetzt ausgesprochen unangenehm! Ich habe es einfach verleugnet und behauptet, es müsse eine Verwechslung sein. Ich glaube, meine Mutter, die es nicht erwarten konnte, daß ich endlich männlich werde und anfange – wie sie es gern formuliert hat – mir „die Hörner abzustoßen“, hat auch noch ihren Senf dazu gegeben, natürlich mich verteidigend, so in dem Sinn, daß ein Bursche schon ein Mädchen ansprechen darf. Das ist wichtig – es sind meistens die Mütter, die solche Söhne aufstacheln und aufhussen.

Das Ganze war mir furchtbar unangenehm. Ich habe meinen „Blick in die Weite“ aufgesetzt, den mit den zusammengezwickten Augen, als tät' ich ernsthaft etwas zu erinnern versuchen, aus irgendwelchen Fernen herbeiholen oder aus irgendwelchen Tiefen hervorholen.

Und genau gesagt: es ist mir diese Szene, wie ich das Mädchen verfolgt und angesprochen habe, noch heute unangenehm und auch meine Feigheit vor der Familie.






(1./2.4.2017)

















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com