Donnerstag, 6. April 2017

659 Ich wache ein wenig auf

Ich wache ein wenig auf, aber verlasse diese Zone der inneren und äußeren Dämmerung nicht. An sich angenehm, nur mit einem leichten Anflug von Unruhe: was ist heute? was muß ich erledigen? wann habe ich Dienst?
Plötzlich macht es „plopp“ und ich bin in Panik. Die nackte Angst hat mich gepackt.

Ich fühle sie als einen schweren, starren Knoten, als dunkle, eiserne Kugel im Bauch. Ich bin luzide genug, das Steuer nicht ganz aus der Hand zu geben und versuche, diesen Knoten zu erforschen.

Wer oder was bist du? Wo kommst du her? Von außen? Bist du in mir gewachsen? Bist du fremd oder gehörst du zu mir? Bist du relativ neu – ich meine, bist du so alt wie ich, oder bist du schon über die Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsen? Hast du einen Namen? Wenn ja, wie heißt du? Hinz? Kunz? Müller? Rumpelstilzchen? Dschingis Khan? Was willst du eigentlich sagen?  Wie lautet deine Botschaft? Bitte klar und deutlich, daß sie auch ein Narr wie ich versteht! Warnst du mich vor etwas?  Bin ich vom rechten Weg abgewichen und du willst mich zurückscheuchen? Von meinem rechten Weg oder von dem anderer? Im Dienste welcher Macht stehst du? Sagtest du mir deine Botschaft, könnte ich dir trauen oder lügst du? Was ist deine Funktion? Oder bist du nur die abgelegte Angst meiner Kindheit? Eine versteinerte Ablagerung? Was tust du dann noch da? Aber du mußt doch eine Funktion haben! Welche? Klär mich auf! Bist du eine Ablagerung aus – bildlich gesprochen – irgendwelchen Umweltgiften? Gibt es dich da draußen und ich habe die Partikel eingeatmet? mit der Nahrung aufgenommen, über die Haut, mit den Augen, Ohren? Oder bist du tatsächliches Umweltgift? Oder bestehst du aus der gesammelten Todesangst der gegessenen Tiere? Und der Pflanzen, die empfinden doch auch!

Du sagst nichts. Du öffnest dich nicht. Du bist hermetisch wie ein schwarzes Loch. Mir kommt vor, du bist sehr alt. Tausende Jahre. Dich gibt es schon seit der Vertreibung aus dem Paradies, als die Menschheit das Stille Wissen verlassen und sich in diesem Traum verloren und verfangen hat, der jetzt unsere Realität ist. Wirst du seitdem von Generation zu Generation weitergeben? Bist du das? Panik, ich rede mit dir! Immerhin sitzt du ja in mir; du hast dich in mir eingenistet.           Du redest nicht. Hast du Angst, aufgedeckt zu werden?

Oder kommst du aus all den Erfahrungen meiner Vorfahren? Von den Eltern und Großeltern aus den zwei großen Kriegen vererbt?  Aus den vielen kleinen Kriegen und Massakern? Aus Inquisition und Hexenverfolgung? Aus den Religionskriegen? Den Türkenbelagerungen?  Überhaupt aus den Erfahrungen mit den umherziehenden Heeren, den „eigenen“ und den feindlichen? Ihrem Rauben, ihren Morden, Vergewaltigungen? Von Mädchen und Buben, Frauen und Männern? Von den Drangsalierungen der Herrschenden? Ihrem Raub, ihren Übergriffen, Demütigungen, ihrem ius primae noctis? Von den vielen ständig geprügelten Kindern, Schülern, bloßgestellt und verachtet? Von all den mißbrauchten Vorfahren? Als Kinder oder Erwachsene? Das verschwindet alles doch nicht von selber, indem man Gras darüber wachsen läßt! Oder von den Volksaufständen und ihren Greueltaten, den jahrhundertealten Judenverfolgungen, der Lynchjustiz? - die Taten der Täter verfolgen ja auch die Täter und ihre Nachkommen; auch das hört nicht von selber auf, indem man Gras drüber wachsen läßt.

Oder hast du, du stille Panik, etwas mit Dämonen zu tun? Mit dem Kontakt zu anorganischen Lebewesen aus anderen Dimensionen im Schlaf? Daß deren Begegnung unsere schwächlich zusammengebastelten Bilder von uns selbst und der Welt, auf die wir uns ängstlich verlassen, unmöglich macht und wir uns vor dieser Freiheit fürchten?

Oder bist du bloß ein tumber Klumpen Dreck? Weil die Leber nicht gut entgiftet hat, zum Beispiel?

Nein, nein, mit solchen primitiven medizinischen Aussagen lasse ich mich nicht abspeisen! Ich glaube daran, daß alles einen Sinn hat. Also: wofür bist du da?

Die Panik hat sich jetzt aufgelöst; nur fürchte ich, sie hat sich bloß versteckt und macht von meiner Körpermitte aus weiterhin ihren rätselhaften Job. Ich habe mich selber, besser mein Bewußtsein mit meinen Wörtern, Gedanken, Fragen, Überlegungen eingehüllt, damit es die Panik nicht wahrnehme. Sonst könnte ich nicht aufstehen, in die Arbeit gehen, überhaupt könnte ich mit dieser Panik akut auch nicht bloß ein klein wenig funktionieren.

Aber sie ist da. Sie ist weiterhin da und betreibt aus dem Untergrund ihr boykottierendes Werk. Das befürchte ich. Oder sie gehört doch einfach nur zum Leben. Ach! Ich gehe jetzt frühstücken.








(6.4.2017)
















©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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