659 Ich wache ein wenig auf
Ich wache ein wenig auf, aber verlasse diese Zone der
inneren und äußeren Dämmerung nicht. An sich angenehm, nur mit einem leichten
Anflug von Unruhe: was ist heute? was muß ich erledigen? wann habe ich Dienst?
Plötzlich macht es „plopp“ und ich bin in Panik. Die nackte
Angst hat mich gepackt.
Ich fühle sie als einen schweren, starren Knoten, als
dunkle, eiserne Kugel im Bauch. Ich bin luzide genug, das Steuer nicht ganz aus
der Hand zu geben und versuche, diesen Knoten zu erforschen.
Wer oder was bist du? Wo kommst du her? Von außen? Bist du
in mir gewachsen? Bist du fremd oder gehörst du zu mir? Bist du relativ neu –
ich meine, bist du so alt wie ich, oder bist du schon über die Jahrhunderte und
Jahrtausende gewachsen? Hast du einen Namen? Wenn ja, wie heißt du? Hinz? Kunz?
Müller? Rumpelstilzchen? Dschingis Khan? Was willst du eigentlich sagen? Wie lautet deine Botschaft? Bitte klar und
deutlich, daß sie auch ein Narr wie ich versteht! Warnst du mich vor
etwas? Bin ich vom rechten Weg
abgewichen und du willst mich zurückscheuchen? Von meinem rechten Weg
oder von dem anderer? Im Dienste welcher Macht stehst du? Sagtest du mir deine
Botschaft, könnte ich dir trauen oder lügst du? Was ist deine Funktion? Oder
bist du nur die abgelegte Angst meiner Kindheit? Eine versteinerte Ablagerung?
Was tust du dann noch da? Aber du mußt doch eine Funktion haben! Welche? Klär
mich auf! Bist du eine Ablagerung aus – bildlich gesprochen – irgendwelchen
Umweltgiften? Gibt es dich da draußen und ich habe die Partikel eingeatmet? mit
der Nahrung aufgenommen, über die Haut, mit den Augen, Ohren? Oder bist du
tatsächliches Umweltgift? Oder bestehst du aus der gesammelten Todesangst der
gegessenen Tiere? Und der Pflanzen, die empfinden doch auch!
Du sagst nichts. Du öffnest dich nicht. Du bist hermetisch
wie ein schwarzes Loch. Mir kommt vor, du bist sehr alt. Tausende Jahre. Dich
gibt es schon seit der Vertreibung aus dem Paradies, als die Menschheit das
Stille Wissen verlassen und sich in diesem Traum verloren und verfangen hat,
der jetzt unsere Realität ist. Wirst du seitdem von Generation zu Generation
weitergeben? Bist du das? Panik, ich rede mit dir! Immerhin sitzt du ja in mir;
du hast dich in mir eingenistet.
Du redest nicht. Hast du Angst, aufgedeckt zu werden?
Oder kommst du aus all den Erfahrungen meiner Vorfahren? Von
den Eltern und Großeltern aus den zwei großen Kriegen vererbt? Aus den vielen kleinen Kriegen und Massakern?
Aus Inquisition und Hexenverfolgung? Aus den Religionskriegen? Den
Türkenbelagerungen? Überhaupt aus den
Erfahrungen mit den umherziehenden Heeren, den „eigenen“ und den feindlichen?
Ihrem Rauben, ihren Morden, Vergewaltigungen? Von Mädchen und Buben, Frauen und
Männern? Von den Drangsalierungen der Herrschenden? Ihrem Raub, ihren
Übergriffen, Demütigungen, ihrem ius primae noctis? Von den vielen ständig
geprügelten Kindern, Schülern, bloßgestellt und verachtet? Von all den
mißbrauchten Vorfahren? Als Kinder oder Erwachsene? Das verschwindet alles doch
nicht von selber, indem man Gras darüber wachsen läßt! Oder von den
Volksaufständen und ihren Greueltaten, den jahrhundertealten Judenverfolgungen,
der Lynchjustiz? - die Taten der Täter verfolgen ja auch die Täter und ihre
Nachkommen; auch das hört nicht von selber auf, indem man Gras drüber wachsen
läßt.
Oder hast du, du stille Panik, etwas mit Dämonen zu tun? Mit
dem Kontakt zu anorganischen Lebewesen aus anderen Dimensionen im Schlaf? Daß
deren Begegnung unsere schwächlich zusammengebastelten Bilder von uns selbst
und der Welt, auf die wir uns ängstlich verlassen, unmöglich macht und wir uns
vor dieser Freiheit fürchten?
Oder bist du bloß ein tumber Klumpen Dreck? Weil die Leber
nicht gut entgiftet hat, zum Beispiel?
Nein, nein, mit solchen primitiven medizinischen Aussagen
lasse ich mich nicht abspeisen! Ich glaube daran, daß alles einen Sinn hat.
Also: wofür bist du da?
Die Panik hat sich jetzt aufgelöst; nur fürchte ich, sie hat
sich bloß versteckt und macht von meiner Körpermitte aus weiterhin ihren
rätselhaften Job. Ich habe mich selber, besser mein Bewußtsein mit meinen
Wörtern, Gedanken, Fragen, Überlegungen eingehüllt, damit es die Panik nicht
wahrnehme. Sonst könnte ich nicht aufstehen, in die Arbeit gehen, überhaupt
könnte ich mit dieser Panik akut auch nicht bloß ein klein wenig funktionieren.
Aber sie ist da. Sie ist weiterhin da und betreibt aus dem
Untergrund ihr boykottierendes Werk. Das befürchte ich. Oder sie gehört doch
einfach nur zum Leben. Ach! Ich gehe jetzt frühstücken.
(6.4.2017)
©Peter Alois Rumpf
April 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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