Donnerstag, 30. März 2017

650 Ich kratze mich am Kopf

Ich kratze mich am Kopf. Zuerst hinten rechts über dem Ohr und dann vorne an der Stirn leicht rechts in der Mitte. Aha! Die rechte Seite wird bevorzugt. Aber wen interessiert das? Wir werden sehen, wie oft der Text angeklickt, geliket und geteilt wird. Jetzt hält sich meine rechte Hand mit dem Kugelschreiber zwischen den Fingern am Handgelenk meiner linken Hand relativ fest an.

Gut, es gibt Kritik von berufener und prominenter Stelle (Alfred Kolleritsch) an Texten, bei denen es um die Schwierigkeiten beim Aufstehen geht. Ja, ja, ich weiß schon, die Schreiberei jetzt findet beim Hinlegen statt, aber auf die Kritik bezogen ist das doch wurscht. Kopfkratzen gilt genauso. Außerdem sind die Texte vorm Aufstehen bei mir geradezu eine literarische Kategorie. Also: die Kritik. Was sag ich jetzt? Ja, da ist was dran.

Andrerseits: wo kann man heutzutage anfangen, wenn nicht bei sich selbst? Die Gesellschaft hat sich längst in atomisierte Einzelwesen aufgelöst. Der sozusagen strukturell vorgegebene Bezug aufeinander existiert nur in Resten. Man kann das an den vielen Menschen beobachten, die in der Öffentlichkeit mit sich selber reden, oder sichtbar in Erklärungen, Anklagen, Rechtfertigungen etcetera vertieft sind, während sie die Straße entlang gehen. Die Kopf-Hörer sowieso. Keiner erlebt sich mehr auf der Straße in einem gemeinsamen Raum, wo alle vor jeder aktuellen Kommunikation schon gleichsam „apriori“ über die Gesellschaft miteinander verbunden sind. Sondern sie scheinen sich als Einzelwesen zu fühlen, sich selbst überlassen, die durch einen Dschungel streifen.
In meiner Jugend war ich noch geschockt über einen Mann, der allein auf der Straße leise vor sich hingelacht hat, offensichtlich in einer Erinnerung oder Ähnlichem versunken. Ich dachte damals wirklich, der ist verrückt, oder knapp davor. Heute würde ich sagen, der Mann hatte überhaupt nichts Verrücktes an sich, überhaupt nichts. Ich will damit herausstreichen, daß dieses Phänomen enorm zugenommen hat. Ich selber rede inzwischen dauernd mit mir selbst, beziehungsweise mit den Personen, die ich mir im Geist her hole. Dabei versuche ich ein neutrales, gleichgültiges, ernstes Gesicht aufzusetzen, aber das gelingt selten. Manchmal verzerrt sich mein Gesicht unwillkürlich, während ich im Inneren eine Brandrede halte oder jemanden zurecht weise oder zurückschlage, oder ich schüttle mißbilligend mit geschürzten Lippen den Kopf, oder lächle sogar.
Wo sollen wir anfangen, wenn nicht bei uns selbst, die wir nicht mehr verbunden, ja, verloren sind? Auch wenn wir das Verbunden-Sein suchen, müssen wir bei uns selber beginnen, uns unser vergewissern, bevor wir losziehen können.

Ja, ja, ich weiß schon, die Politik; aber ich kann diese ganzen intellektuellen Statements dazu kaum noch lesen. Nein, da ist keine Rettung mehr zu erwarten. Wir sind nur mehr Einzelkämpfer ums Überleben.

Aber mir kann das egal sein. Ich schreibe nur, um mir meinen Lebensabend zu verschönen schicke keine Texte an Verlage und Lektoren. Und daß ich sie ins Internet stelle – gut, ich lasse halt meine Papierschiffchen das Bächlein hinunter schwimmen, so weit sie halt kommen. Mir kann es wirklich egal sein.

Jetzt juckt es mich am Hinterkopf (meine erste Option war „Hinterhaupt“ - zu Fleiß! zu Fleiß! - aber das war mir dann doch zu geschwollen und zu ironisch!)

Ich bin müde. Ich werde bald mein Haupt auf den Kopfpolster legen.

Ob diese Vereinzelung gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Vielleicht gehört sie schon zur Geburt des Individuums oder zu deren Vorbereitung. Als ein notwendiges Stadium der Herauslösung, damit sich dann die Individuen frei und aus eigener Intention heraus sich als solche verbinden können. Vielleicht. Was weiß denn ich, welche Gestalt sich da entwickeln will.








(30.3.2017)

















©Peter Alois Rumpf    März 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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