Dienstag, 21. März 2017

640 Ein wahrlich beschissener Text

Wieder im Untergrund. Es stinkt. Ist das ein schlechtes Zeichen? Ein gutes Zeichen? Kein Zeichen? Jetzt rieche ich es nicht mehr. Doch, ein wenig schon noch.

Diese geschundene Mauer spricht zu mir. Blödsinn, nein! Sie wirft nur zurück. Und zwar nicht mein Spiegelbild, sondern meine von der Wirklichkeit losgerissenen Gedanken und Emotionen.
Naja, die Wandmalerei fast zur Gänze zerstört. Mauerfraß hatte sich ausgebreitet und durchgearbeitet. Kaum mehr etwas zu erkennen. Nur mehr Reste vom ursprünglich angelegten Bild. Das dürfte schlicht gewesen sein. Von schlichter Schönheit. Einfache rote Lebenslinien. Kann dieser Zustand konserviert werden? Es wird versucht.

Viel Gesurre im Raum, Lüftungsanlagen, weiß der Teufel was.

Der verrückte Typ mit den zwanghaften Ritualen fällt mir ein, damals, im Stephansdom. Vor jedem Kreuz, jedem Heiligenbild hat er sich bekreuzigt, ist hingekniet, oder hat sich zu Boden geworfen. Nach der Wichtigkeit der Bilder hierarchisch geordnet. Mit dem gehetzten Blick eines Fanatikers - ja nichts übersehen! Kaum ansprechbar, ich hatte ihn etwas Harmloses gefragt, er konnte kaum antworten, hatte kaum ein Wort herausgebracht. Kein Smalltalk möglich. Ist das gut oder schlecht? Keines von beidem? Je nachdem?

Wer weiß, was hier alles geschehen ist. Wer weiß, was ich hier alles einfangen kann. Aber ich bin stur; ich gehe nicht weg. Eine Frau schaut mich skeptisch an.

Ich vergleiche die Kreuze. Ich rede von Wandmalereien. Radkreuze, von gezackten Kreisen eingefaßt. Nägel in der Wand. Keine gewöhnlichen, sondern wissenschaftliche Nägel im Dienste von Meßung oder Restauration. Man kann schon sagen, ich bin in einer Höhle. In jeder Höhle wohnt ein Geist, selbst in einem Auto. Hier bin ich schon einige Meter unter der Erde. Der Aufseher starrt mich an. Er muß natürlich da sein. Dauernd muß ich an ihn denken, was er denkt, was ich da mache. Ist das ein angenehmer oder ein unangenehmer Job? Ich bin sicher, er wird nach der Arbeit sehr müde sein.

Die Apsis ist besonders hell angestrahlt. Sie verdient das auch. Jetzt muß ich an den Andre Heller denken! Ist das notwendig? Wer weiß schon, was die Not wendet. Ich schaue auf die Uhr. Eine halbe Stunde kann ich noch da sein, dann wird geschlossen. Soll ich jetzt schon gehen? Mir ist fad. Vielleicht kommt noch was. Gerade irgendein technisches Geklapper. Lüftung, Heizung, was weiß ich.

Sicher gibt es untergründige Zusammenhänge, die an der Oberfläche unvorstellbar sind; Einflüsse, die so subtil sind, daß es fast nicht möglich ist, sie wahrzunehmen; Verbindungen, die sich an der Oberfläche bekämpfen, im Untergrund aus demselben Reservoir ihre Energien beziehen.

Die Frau schaut mich wieder mit ausdruckslosem, fast ängstlich erstarrten Gesicht an. Mich krümmt es verdammt stark zusammen; ich spüre mein Kreuz und kann mich kaum aufrecht halten.

Der Aufseher geht jetzt herum, ich denke, es ist besser, ich gehe auch.

Ich gehe jetzt.





(21.3.2017)














©Peter Alois Rumpf    März 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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