640 Ein wahrlich beschissener Text
Wieder im Untergrund. Es stinkt. Ist das ein schlechtes
Zeichen? Ein gutes Zeichen? Kein Zeichen? Jetzt rieche ich es nicht mehr. Doch,
ein wenig schon noch.
Diese geschundene Mauer spricht zu mir. Blödsinn, nein! Sie
wirft nur zurück. Und zwar nicht mein Spiegelbild, sondern meine von der
Wirklichkeit losgerissenen Gedanken und Emotionen.
Naja, die Wandmalerei fast zur Gänze zerstört. Mauerfraß hatte
sich ausgebreitet und durchgearbeitet. Kaum mehr etwas zu erkennen. Nur mehr
Reste vom ursprünglich angelegten Bild. Das dürfte schlicht gewesen sein. Von
schlichter Schönheit. Einfache rote Lebenslinien. Kann dieser Zustand
konserviert werden? Es wird versucht.
Viel Gesurre im Raum, Lüftungsanlagen, weiß der Teufel was.
Der verrückte Typ mit den zwanghaften Ritualen fällt mir
ein, damals, im Stephansdom. Vor jedem Kreuz, jedem Heiligenbild hat er sich
bekreuzigt, ist hingekniet, oder hat sich zu Boden geworfen. Nach der
Wichtigkeit der Bilder hierarchisch geordnet. Mit dem gehetzten Blick eines
Fanatikers - ja nichts übersehen! Kaum ansprechbar, ich hatte ihn etwas
Harmloses gefragt, er konnte kaum antworten, hatte kaum ein Wort
herausgebracht. Kein Smalltalk möglich. Ist das gut oder schlecht? Keines von
beidem? Je nachdem?
Wer weiß, was hier alles geschehen ist. Wer weiß, was ich
hier alles einfangen kann. Aber ich bin stur; ich gehe nicht weg. Eine Frau
schaut mich skeptisch an.
Ich vergleiche die Kreuze. Ich rede von Wandmalereien.
Radkreuze, von gezackten Kreisen eingefaßt. Nägel in der Wand. Keine
gewöhnlichen, sondern wissenschaftliche Nägel im Dienste von Meßung oder
Restauration. Man kann schon sagen, ich bin in einer Höhle. In jeder Höhle wohnt
ein Geist, selbst in einem Auto. Hier bin ich schon einige Meter unter der
Erde. Der Aufseher starrt mich an. Er muß natürlich da sein. Dauernd muß ich an
ihn denken, was er denkt, was ich da mache. Ist das ein angenehmer oder ein
unangenehmer Job? Ich bin sicher, er wird nach der Arbeit sehr müde sein.
Die Apsis ist besonders hell angestrahlt. Sie verdient das
auch. Jetzt muß ich an den Andre Heller denken! Ist das notwendig? Wer weiß
schon, was die Not wendet. Ich schaue auf die Uhr. Eine halbe Stunde kann ich
noch da sein, dann wird geschlossen. Soll ich jetzt schon gehen? Mir ist fad.
Vielleicht kommt noch was. Gerade irgendein technisches Geklapper. Lüftung,
Heizung, was weiß ich.
Sicher gibt es untergründige Zusammenhänge, die an der
Oberfläche unvorstellbar sind; Einflüsse, die so subtil sind, daß es fast nicht
möglich ist, sie wahrzunehmen; Verbindungen, die sich an der Oberfläche
bekämpfen, im Untergrund aus demselben Reservoir ihre Energien beziehen.
Die Frau schaut mich wieder mit ausdruckslosem, fast
ängstlich erstarrten Gesicht an. Mich krümmt es verdammt stark zusammen; ich
spüre mein Kreuz und kann mich kaum aufrecht halten.
Der Aufseher geht jetzt herum, ich denke, es ist besser, ich
gehe auch.
Ich gehe jetzt.
(21.3.2017)
©Peter Alois Rumpf
März 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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