632 Ich lege meine Hand auf die Katze
Der fröhliche Morgen unten färbt auf mich ab. Ich lege meine
rechte Hand noch mit dem gezückten Kugelschreiber vorsichtig auf die Katze und betrachte
meine helle, altersfleckige Haut, die sich vom dunklen Katzenfell so deutlich
abhebt. Irgendeine kompakte Erkenntnis gewinne ich daraus nicht, aber das ist
auch nicht nötig.
Schön sind diese frühlingshaften Frühen, das Licht schon
merklich früher, milder. Das merke ich sogar in meinem dunklen Zimmer bei
herabgelassenem Rollo. Der Morgen, der Optimismus machen sich schon überall
bemerkbar, aber ich muß nicht gleich aufspringen, anspringen, losspringen. Ich
kann mir Zeit lassen, wie die Büsche und Bäume draußen bei ihrem Ausschlagen.
„Tut ein jeder wie er kann“ (oder muß) -
das gilt für die Bäume draußen genauso wie für mich. Der Holunder zum Beispiel
treibt die Blätter schon aus, während alle anderen im Hof noch warten.
Vielleicht jedoch muß der die Zeit nutzen, bevor es ihm die Essigbäume
nachmachen und dadurch das Licht nehmen. Aber ich habe Zeit. Ich kann warten,
bis ich soweit bin. (Natürlich: angesichts der Todes hat niemand Zeit; ich
meine damit: ich muß mich nicht hetzen; ich kann, ja muß den Morgen genießen,
gerade weil – wie bei jedem – der Tod hinter einem steht. Ich habe keine Zeit
dafür, den Morgen nicht zu genießen.)
Eine optische Täuschung läßt für einen kurzen Moment die
Deckenlampe leicht schwanken. Oder ist es mein Tod, der mir winkt und mich
grüßt? Oder ein anderes Wesen aus der Weite des Universums? („ … den Schöpfer
alles Sichtbaren und Unsichtbaren“ - aus dem nicänischen Glaubensbekenntnis.)
Ich bleibe heute lieber bei der optischen Täuschung; mich
gelüstet es jetzt mehr nach Nüchternheit als nach Verrücktheit (weil ich heute
die Täuschung bevorzuge?). Die zwei Visionäre da am Seitenbrett des Regals –
ein Photo eines Bildes von Neuvalis – die glurren mich mit ihren wagenradgroßen
Augen an. Möglicherweise wollen sie als Seher in die andere Welt, als deren
Freunde, als die, die als Hüter der Geheimnisse den drüberen Anteil hier
herüben verwalten, mich an den Wert des Verrücktseins erinnern und es als mein
legitimes Erbe einfordern; ich möge doch diesen Anteil leben.
P.S.: Genau genommen macht die Nüchternheit nur Sinn, wenn sie verrückt ist, und Verrücktheit ist nur dann brauchbar, wenn sie von äußerster Nüchternheit geprägt ist.
(15.3.2017)
©Peter Alois Rumpf März
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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