Dienstag, 30. April 2024

3646 Die Mücke

 



1:53 a.m. Ich schaue meine Hände an; zuerst die inneren Handflächen mit der Lebens- und weiß-Gott-was-alles-für Linien, den kleinen Narben, den halben Daumen links und den Ehering rechts; dann drehe ich die Hände um, betrachte die bereits schrumpeligen Handrücken mit den vielen Altersflecken, die neun wirklich schönen Fingernägel, beim rechten Mittelfinger diese gepolsterte Delle vom Schreibstifthalten, die ansatzweisen Schwimmhäute zwischen den Fingern.

Das war es dann im Großen und Ganzen. Ein wenig schaue ich noch unkonzentriert im Zimmer herum, registriere die hauptsächlich innere Geräuschkulisse, die momentan sehr lebhaft und variabel klingt, bemerke eine kleine Mücke auf meiner Bettdecke, wo sie aber nicht bleibt und ich verliere sie aus den Augen. Ganz kurz tanzt sie von meinem linken Auge, dann ist sie verschwunden, dass ich schon überlege, ob sie nicht eine Halluzination aus Müdigkeit war. Aber akkurat fliegt sie nun vor mir im Kreis, mir zu beweisen, dass sie echt und lebendig ist und ich sie ernst nehmen soll.


(30.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3645 Am Fenster

 



Das Revolutionary Ensemble spielt Clear Spring. Das schöne, dezente Bild hängt schief an der Wand des Musikzimmers. Ich stehe auf und richte es gerade. Die Schallplatte hat schon zu viele Kratzer. Auf der Straße unten der spärliche Nachmittagsverkehr; in dieser Ecke der Stadt wirklich nicht arg. Nach dem geflöteten Vogelgezwitscher und den eindrucksvollen Basstrommelschlägen in gekonnt großen Abständen, spielt jetzt Sirone ein kurzes, intensives, kunstvolles Basssolo. Und dann spielt wieder der Jenkins Geige, und der Cooper sein wirklich umwerfendes Schlagzeug, mit dem er so langsam aus einzelnen, eher chaotischen Schlägen und Rhythmuselementen einen kompakten, stringenten dahinrasenden Rhythmus aufbaut, der das Stück zusammenhält, zentriert und mit seiner Dynamik und seinem Tempo mitreißt, bis das Stück an seinem Ende klassisch und feinfühlig verklingt.

March 4-1. Geige, Bassgeige gestrichen, Klavier (Cooper), eine Posaune (Sirone) taucht auf, dann statt Klavier wieder das Schlagzeug (Cooper), das alles mitnimmt, was da klingt… Sonne und Hitze sind zurückgekehrt, die drei Säulengleditschien spenden schon ihre lichten Schatten, heißer, föhniger Wind streicht in die Bäume.

Chicago heißt das nächste Stück, nachdem ich die Platte umgedreht habe, von besonderer Schönheit und schlichter Intensität. Ich war ja bei der Aufnahme dieses Konzertes dabei und dachte damals: das ist der Höhepunkt der Musik; es kann in der Musik keiner Weiterentwicklung mehr geben; das ist das Ende der Geschichte.

Revolutionary Ensemble heißt das nächste Stück und vermutlich das letzte vor der Auflösung des Ensembles. Das in braunen, gelben, ocker und orangen Tönen gehaltene Bild – ein kleines Meisterwerk meiner Frau Daniela Hantsch – hängt jetzt gerade über dem Plattenspieler. Aus Verlegenheit über das schöne Bild, die wunderbare musikalische Fülle und meine Wenigkeit zupfe ich das Preispickerl vom Pilotstift, mit dem ich schreibe. Das Geigenspiel wird jetzt für diese Passage ganz leicht und zart, bis es wieder lauter, eindringlicher, fester und schmerzhafter wird. Sirone zupft einen irren Bass und Cooper klopft seine Rhythmuscluster, die sich bald zu einem rhythmischen Strom zusammenfügen werden (ich habe diese LP schon hunderte Male angehört), und Jenkins Geigenspiel wird noch aggressiver, schreit den Schmerz hinaus, während der Drive von Schlagzeug und Bass immer drängender wird. Die ersten Schatten kriechen schon am Erdgeschoss des Hauses drüben hinauf. Die Musik ist aus, der Platz unten wird etwas belebter. Das Fußgängeraufkommen hat sich mindestens verdoppelt. Eine Ameise klettert in mein Notizbuch und rennt flott über meine Notizen. Ich streife die Ameise herunter, bevor ich das Buch zuklappe. Eine junge Frau auf einer der Bänke unten kämmt sich, richtet sich her, zieht die Lippen nach, zupft an ihrem Gewand, steht auf und geht langsam, ganz langsam weiter.


(29.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3644 Ein Rasenmäher

 



15:19. Die Plane über dem weit aufgerissenen Erdhang der abgerissenen Flotowvilla bewegt sich regelrecht elegant im Wind: rollte sich sachte ein, breitet sich wieder aus, läßt Wellen durch ihren dünnen Plastikkörper laufen und schlägt manchmal hin und her. Ein Rasenmäher heult verzweifelt in der Nachbarschaft, dass ein Auto und ein Motorrad mit einstimmen. Als die vorbei sind, stirbt der Rasenmäher mit einem enttäuschten Schnaufer ab. Der Betreiber kennt jedoch keine Gnade und startet ihn von Neuem und zwingt ihn, wieder hoch aufzuheulen. Der Wind läßt die Schatten auf der Wiese hüpfen und wenn ich meinen zu Boden gesenkten Kopf hebe, sehe ich den Wind auch in den Bäumen und Büschen. Ich liebe dieses nachmittägliche Licht, obwohl es mir immer eine schwere Melancholie verpasst: der Tag beginnt sich zu neigen – und was habe ich erreicht, bevor die Finsternis kommt? Das Blau des Himmels ist so wunderschön vor dem sonnenlichtgelben Grün der Bäume, auch das scheint eine unerreichbare Schönheit zu versprechen, die mir fast das Herz zerreißt. Könnte es sein, dass es der ständige Lärm des Autoverkehrs ist, der mich hier festnagelt und mich nicht davondriften läßt? Das Rauschen in den Bäumen – so kommt mir vor – könnte ich mit hinüber nehmen. Aber nix genaues weiß man nicht. Ein Schauder läuft mir über den Rücken, ein Hund bellt kurz auf, ich werde hineingehen.


(27.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 26. April 2024

3643 Drei Meister

 



16:40. Die drei Säulengleditschien leuchten in jungem Grün und die gegenüber liegenden Hausfassaden strahlen blendend im wieder erstarkten, tief stehenden Sonnenlicht. Hubschrauber fliegen lärmend und in rotierender Wichtigtuerei über die Häuser. Es gibt den inneren - oder bloß innen deponierten - Impuls, hinaus in die Sonne zu gehen, aber ich bleibe im Musikzimmer und blicke aus dem Fenster auf den kleinen Platz unten mit den zwei Bänken und lege mir The Psyche vom Revolutionary Ensemble auf. Der Wind bewegt leise die Zweige und Jerome Cooper trommelt, Sirone basst und Leroy Jenkins zieht über die Geige. Ich kenne nicht viel, aber ich kenne keinen Schlagzeuger, der verrücktere Rhythmen klopft. Der junge Mann unten verläßt die junge Frau auf der Bank und fährt mit dem Fahrrad davon. Ich glaube nicht, dass es für immer ist, aber glauben heißt nichts wissen. Das Bassspiel von Sirone aka Norris Jones erzeugt eine eindringliche Intensität, wie ich sie selten erfahren habe (immerhin bin wegen der Drei 1977 nach Moosham gereist, um sie zu hören und zu sehen und habe ihnen mein herzübergelaufenes Bravo allerdings verhalten und etwas zaghaft in die Liveaufnahme geschrien). Und das Bassspiel wird jetzt von Leroy Jenkins Sologeige abgelöst – eigentlich abstrahierte Spititualmusik. (Natürlich kommen jetzt wieder die depperten Hubschrauber.) Der Schmerz ist noch deutlich spürbar. Während ich stehend am Fensterbrett schreibe und dabei hin und her wanke – Spielbein – Standbein – knackst mein linkes Knie. Nun spielt Jerome Cooper eine Art Klaviersolo, während Sirone hineinbasst. Alle drei sind Meister im langsamen Spannungsaufbau und Meister der versteckten und verhaltenen Melodiösität. Und Meister des absolut konzentrierten Dichte. Und Meister der hinausgezögerten Übergänge – was nichts mit Zögerlichkeit zu tun hat. Die Passanten unten habe ich jetzt nicht beachtet, aber nun schleppt sich eine müde, alte, beladene Frau vorbei, während sich die scheinchaotische musikalische Invasion – Cooper wieder am Schlagzeug – in minimalen Schritten zu einem rockigen Jazz zu ordnen und zusammen zu fügen beginnt. Wirklich mit kaum wahrnehmbaren Übergängen. Die Abendschatten haben das Erdgeschoß schon erreicht.




(26.4.2024)




©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3642 Wechselrahmen

 



8:23 a.m. Bis jetzt um 11 Uhr 59 ante meridiem ist mir nichts zu schreiben eingefallen und das jetzt noch mit dem billigen Trick, zu schreiben, dass einem nichts eingefallen ist; ein Trick, den ich sowieso schon viel zu oft angewendet habe. Ich gebe zu: ich habe inzwischen auch gelesen und im Sitzen geschlafen. Aber trotzdem: vielleicht sind diese Sätze die Öffner; die Öffner für ein neues Kapitel sozusagen. Und richtig: im Glas des billigen Wechselrahmens dieses schlichten Liebespaarbildes dort im Regal spiegelt sich eine Gestalt, die ich nicht identifizieren kann. Vielleicht ist es der Holzrabe mit dem fälschlicherweise grellgelben Schnabel innen vorm Fenster, aber hinter diesem Glas wirkt er anders, mächtiger und – obwohl er sich nicht bewegt – lebendig.

Ich stehe auf, ziehe am Schnürchen des Rabenmobile, gehe ins Bett zurück und tatsächlich: die befremdende Gestalt ist die verfremdende Spiegelung des Holzspielzeugs. Eine mittägliche Geisterstunde ist es nicht, denn wir haben Sommerzeit. Der Geisterrabe schaukelt immer noch leicht hin und her. Tja, das kommt davon, wenn man kein anders Thema hat, als seine bewohnte Umgebung zu beschreiben.

Der Rabe schaukelt immer noch ein wenig, aber jetzt dürften es nicht mehr die Ausläufer meines Bewegungsimpulses sein, die das verursachen, sondern die Aufwärme über dem Heizkörper beim Fenster. Aber dann müßte er sich doch auch schon vorher bewegt haben!?


(25.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3641 Heimliche Feierlichkeit

 



1:31 a.m. Es ist dunkel und still jetzt. Und leer im vollgestopften Zimmer. Staub schwebt durch den Lichtkegel der Leselampe, weil ich gerade erst die Bettdecke auf und dann zugeschlagen habe. Verschwommen nehmen meine Augen die Buchrücken und Bildchen im Bücherregal wahr. Abgelegene Erinnerungen tauchen bildhaft auf meinem inneren Bildschirm auf, gefolgt von befremdenden Gedanken, die jedoch gleich wieder verlöschen. Ich bin müde, aber eine heimliche Feierlichkeit hindert mich, mich hinzulegen.


(25.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 24. April 2024

3640 Amos Oz

 



10:04 a.m. Als ich, nachdem ich nach dem Aufwachen lange Zeit mit geschlossenen Augen im Bett hockend verweilt bin und versucht habe, nichts zu denken, die Augen aufschlage, erscheint mir alles im kleinen Zimmer von besonderer Intensität zu sein; jeder einzelne Gegenstand, jedes Ding ist in Farbe und Kontur verstärkt, wie auf manchen Gemälden, was in einem Kontrast zur Verschwommenheit meines verschlafenen Geistes steht. Darum kann er sich nicht entscheiden, ob ich aufstehen und frühstücken, oder aufstehen und Tensegrity üben, oder lieber im Bett bleiben und lesen will. Diese Unentschlossenheit bewirkt freilich, dass ich im Bett bleibe, gähne, den Träumen nachhänge, den Kopf am Polster im Nacken hin und her drehe, mich am juckenden Mittelfinger der rechten Hand kratze, der beim Schreiben den Pilotstift aufliegen hat, und auch ein wenig die vielen Bilder in meinem Zimmer anschaue, wobei ich in der Ecke mit Munchs nackter Geliebten, dem verwortakelten und eingeschrumpften Auferstandenen, und der geisterhaften Liturgieszene hängen bleibe (die letzten beiden sind Photokopien alter Bilder von mir, die auch nur schlampig gemalte und in Trance hingeworfene Kopien irgendwelcher Klassiker sind. Zumindest das eine. Aber nicht ohne!).

Unten ist das Tageskindergeschehen im Moment recht heftig mit Geschrei und Heulen in vollem Gange; und außerdem sind Praktikantinnen in Ausbildung da, was meine Lust, aufzustehen und mein Zimmer zu verlassen, deutlich schwächt. Ich bleibe im Bett und lese (Amos Oz; Eine Geschichte von Liebe und Finsternis).




(24.4.2024)




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Dienstag, 23. April 2024

3639 Perdu

 



8:42 a.m. Ich wache halbwegs auf, lasse die Augen geschlossen, döse noch angenehm und warm unter der Decke, meine Gedanken schweifen umher, dann bin ich bereit, den heutigen Tag und seine Anforderungen in Augenschein zu nehmen, und ich denke mir, keine Termine heute, ein freier Tag, aber ich könnte diese Finanzamtssache angehen. Sofort ist es mit dem Frieden vorbei, Panik überfällt mich, mein Magen verkrampft sich bis zur Übelkeit, mein Atem stockt und macht dann nur mehr verhalten und flach weiter. Dabei will ich bloß meine Psychotherapierechnungen, die von der kranken Gesundheitskasse auch nicht zum Teil übernommen werden, als Sonderausgaben – wie sagt man? - geltend machen. Aber ich habe keine Ahnung, wie das geht, wo und mit welchem Formular das zu beantragen ist etc. Und ich fühle mich komplett überfordert. Das schiebe ich schon seit Monaten vor mich her und meine Recherchen im Internet haben nichts ergeben, was ich verstanden hätte. Meine gute Stimmung ist niedergebrannt und mein inneres Gleichgewicht perdu.


(23.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3638 Was wird?

 



1:41 a.m. Was wird aus mir in der Nacht? Kaum eingeschlafen kommen die anderen Lebewesen als Traumgestalten getarnt. Unter meinen Augen hängt schon die Müdigkeit und zieht ihre Furchen. Fernes Wummern erreicht meine Ohren, oder täusche ich mich? Vibrationen zupfen von außen an meiner Außenhaut und lösen inneres Zucken aus. Ich lockere meine linke Hand, die das Notizbuch zwischen Zeigefinger und Mittelfinger verkrampft festgehalten hat.


(23.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3637 Zwei Heilige

 



18:07. Zwei Heilige sehe ich von hinten dort oben am Dach stehen. Einer hält eine Lilie, scheint mir, was der andere in der Hand hat, erkenne ich aus der Entfernung nicht. Davor ragt ein schlanker, blauer Kran auf. Und ich sehe schräg von der Seite auf eine Fünfziger- oder Sechzigerjahrfassade noch voller Fortschritts- und Energieoptimismus mit Balkontüren mit Gittern, aber ohne Balkon als Fenster und zeittypische Kunst am Bau in den Zwischenräumen. Die Musik aus den Boxen tröpfelt angenehm dahin; deutlicher, dezenter Rhythmus und bedächtiges Tenorsaxophon. Der blaue Kran streckt seinen Arm sozusagen von mir weg Richtung Kirche, aber gen Himmel. Ich werde jetzt gehen und die Schritte zur Kirche zählen, um den Abstand zu den erhöhten Heiligenfiguren ungefähr abschätzen zu können.

Knappe hundert Meter, schätze ich. Was ich für eine Lilie gehalten habe scheint das Flammenschwert des Heiligen Elias zu sein und das andere eine Lilien-Rosen-Schwert-Kompilation des Heiligen Angelus des Karmeliters. An der rechten Seite sehe ich noch den Heiligen Albert von Jerusalem mit – ich glaube das passt jetzt – einer Lilie in der Hand und einen Heiligen Elisäus, anscheinend der Nachfolger von Elias nach dessen Himmelfahrt.

Auch ich mache mich auf den Heimweg.


(22.4.2024)


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Sonntag, 21. April 2024

3636 Ach mein Herz

 



1:37 a.m.  Ach mein Herz, mein verrücktes, armes Herz will sich jung fühlen, als hätte es noch ein ganzes Leben vor sich, dieses Narrenkind, es glaubt noch alles, war ihm gesagt wird, es träumt noch von Verwirklichung und Erfüllung, denkt sich noch viele dumme Geschichten und Gespräche aus und versteht die Welt noch immer nicht. Am Ende lache ich – wer ist das eigentlich? - über mein Herz und seinen Narrheit. Mein Geist will gar nichts mehr dazu sagen; er läßt es gut sein und geht ganz am Rande seinen eigenen Gedanken nach um nicht zu stören. Aber mein Herz merkt es, dass es schon aufgegeben wurde, und wird schwermütig und traurig und sendet mir ein unsichtbares freundliches Lächeln ins Gesicht. Vielleicht leuchten meine müden Augen doch noch ein wenig.


(19.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3635 Flach legen

 



1:32 a.m. Gibt es noch ein Tagesresümee? Schaffe ich noch irgendeine Zusammenfassung oder einen Durchblick oder Ausblick? Die Müdigkeit reißt mir schon gähnend das Maul auf und als ich meine Augen geschlossen halte, weil ich mein juckendes linkes vorsichtig reibe, sehe ich kurz in meinem inneren Dunkel eine Eisdrift den schwarzen Strom hinab nach links fließen. Die Augen tränen schon wie bei einem Greis (noch traut er sich das herschreiben, weil er sich noch sicher wähnt, kein Greis zu sein – der innere Spötter). Aber jetzt reicht es; ich werde mich flach legen.


(18.4.2024)


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Mittwoch, 17. April 2024

3634 Müllabfuhr

 



8:08 a.m. Gerade noch war es recht hell für mein dunkles, abgelegenes Zimmer, aber als ich zum Schreibzeug greife, verdüstert es sich und ich muß die Leselampe aufdrehen. Ein nun fast schon majestätischer Husten durchschüttelt, durchrüttelt und durchquert meinen Sonne-Neptun-königlichen Leib. Wenn sich dieser Husten allerdings verstärken sollte und die Hustenstöße öfters und heftiger auftreten, dann wird es mit der Feierlichkeit bald vorbei sein und er wieder ordinär, vulgär und unterschichtig werden. Schon rinnen mir wegen der Hustenanfälle Tränen die Wangen hinunter, so leid tun sie mir, weil sie den Dreck in der Lunge nicht und nicht hinauskriegen und sich vergeblich anstrengen. Eine interessante Frage taucht plötzlich und unvermittelt in meinem Geist auf: ob mich die Welt jemals erreicht hat? Habe ich sie jemals erkannt, anerkannt und angenommen? Die Müllabfuhr schiebt unten im Hof akustisch die Mülleimer auf die Straße vors Haus. Vom Husten drohen jetzt die Nackenmuskel zu schmerzen zu beginnen und auf jeden einzelnen Huster superempfindlich zu reagieren. Ich werde kurz vom Bett aufstehen und in der Wohnung herumgehen. Dabei werde ich die Pflanzen gießen und überprüfen, ob die Müllabfuhr wirklich die vollen Container hinaus, und nicht schon die leeren hereingestellt hat. Dann werde ich mich wieder ins Bett legen und lesen.


(17.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3633 Mein unverbrauchtes vergangenes Leben

 



1:37 a.m. Ich huste mein unverbrauchtes vergangenes Leben aus. Trotzdem möchte ich im Lotto gewinnen. Nachhaltig. Ich bin so müde, dass ich schon undeutliche Stimmen aus der Traumwelt höre. Vor meinem inneren Auge wabert eine schwammige Masse von schwarzer Farbe mit goldenen Einsprengseln verhalten, aber nur kurz, dann verschwindet sie.


(16.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3632 Idylle im Augarten

 



17:22. Ich sitze auf einer Bank im Augarten, es ist sonnig und warm, viele Menschen sind da, gehen an der Bank vorbei, treiben Sport, lagern in den Wiesen, die Kinder spielen und schreien, die Vögel singen und rufen; ich sitze im Schatten mit der Sonne im Rücken, das heißt: was ich vor mir sehe - den Garten, die Wiesen, die Baumreihen und so weiter – ist vom schönsten, intensivsten, beeindruckendsten Nachmittagslicht beschienen und zeigt so eine berückende Klarheit, Deutlichkeit und scharfe Konturen. Helligkeit und Licht, aber mir legt sich eine Schwere auf, die ich hier gar nicht verstehen kann; wie eine Wahnsinnssehnsucht nach dem, was ich gerade sehe. Eine Angst macht sich nun bemerkbar, die ich noch weniger begreife hier am hellichten Tag. Ich will das ignorieren. Ich muß ja nicht gleich auf die Idylle reinfallen, aber auf ihr Gegenteil auch nicht. Ich ziehe die Luft tief ein. Ich bin nahe am Heulen, finde jedoch keinen Grund dafür. Ich beschließe weiter zu gehen. Vielleicht komme ich mit Bewegung und Ortswechsel aus dieser Stimmung heraus. Es ist die Zeit des schönsten Grüns. Aber die Schatten; die Schatten sind deutlicher als üblich.


(12./17.4.2024)


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Donnerstag, 11. April 2024

3631 Der linientreue Autobus

 



14:08. Die Sonne scheint ins Café herein und beleuchtet die glatzophilen Hinterköpfe der älteren Männer in den wirklich allerbesten Jahren. Ich hätte zwar auch ein dafür passendes Alter und einen entsprechenden Hinterkopf, aber ich sitze nicht in der Sonne, weder verkehrt, noch seitlich, noch frontal. Die Musik aus den Boxen ist von angenehmer Melancholie mit korrigierender Sprödigkeit im notwendigen Pathos. Ich entdecke auf der anderen Straßenseite einen autoverstellten, aber dennoch Durchblick in einen begrünten Innenhof. Die Leute kennen sich hier. Welche Leitkultur haben sie? Fallen da Bruchstücke hoch oben von der Fassade? Alle schauen hinauf. Ich weiß nichts. Ich muß auch nichts wissen. Jetzt ist mir der ausgedachte, geplante, aber dann entfallene Gag doch wieder eingefallen (wie geht das? Wenn etwas entfällt, fällt es doch nach unten; und wenn etwas einfällt, denkt eines eher, dass es von oben kommt – der innere Kritiker). Die Sonne hat schon drei Viertel der Flächen der sich in ihrer Reichweite befindlichen Tische erobert. Heute ist nämlich wieder ein sonniger Tag und manches Fenster des gegenüberliegenden Hauses ist geöffnet; das fördert ein freundliches Grätzelgefühl (darum können Glasfassaden und zum Beispiel Zugwaggons ohne Fenster, die eines öffnen kann, so abweisend und hermetisch sein (jetzt stellt er ungeprüfte Behauptungen auf und belehrt seine Leserschaft wieder – der innere Spötter). Der linientreue Autobus braust durch die Gasse, die heute lebhafter ist. Elegisch hebt und senkt der Wind das rosarote Stoffsonnendach überm Schanigarten draußen.


(11.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3630 Das Rettenschoesser Lebewesen

 



8:55 a.m.  Mali Lošinj erstrahlt in einem neuen Glanz. Rettenschoess wird zu einem ungeheuerlichen Lebewesen. Akustische Wischer fahren über meine Ohren, während ich in Veli Lošinj nachschaue, was da los ist. Das Rettenschoesser Lebewesen beginnt sich schwerfällig und schleppend zu bewegen, aber kommt nicht recht von der Stelle. Plötzlich erstarrt Mali Lošinj, das sich leicht bewegt hatte, und wird optisch unglaublich eindringlich. Die Bilder vergessen, was sie darstellen sollen und haben ein Eigenleben angefangen. Meine Augen sind nicht mehr offen zu halten und fallen einfach gegen meinen Befehl zu. Vor meinem inneren Auge sehe ich im dunklen Gesichtsfeld eine kleine, kreisrunde Stelle, die Licht hat und in der sich eine winzige Szene abspielt, aber leider zu schnell, als dass ich etwas erkennen und erfassen könnte. Nach einer Sekunde ist die Szene verschwunden. Die Augen wieder offen – jetzt geht es – wandert mein Blick wieder die Bilder ab. Sofort jedoch fangen die Augen wieder an zuzufallen. Ich halte dagegen und Mali Lošinj verändert sich, die Häuserzeile am Hafen verschmilzt zu einem Wesen, das in die Dunkelheit der zugefallenen Augen abtaucht.


(10.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3629 Zwei Stunden

 



9:36 a.m. Seit mindestens zwei Stunden hocke ich nach dem Aufwachen im Bett und versuche zu klären, was es mit diesem unangenehmen, eigenartigem Gefühl links der Körpermitte auf sich hat. Dabei bin ich mehrmals eingeschlafen und konnte das Rätsel nicht lösen. Erst jetzt dämmert mir, es könnte doch einfach die alte, vertraute Angst sein; Existenzangst oder Lebensangst, oder beides. Das wäre keine neue Erkenntnis. Warum schreibst du das dann her? Offensichtlich bist du nicht tiefer in die Sache eingedrungen.


(9.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 9. April 2024

3628 Vier mächtige Kastanien

 



Im Hof 5. Vier mächtige Kastanien, fünf Linden. Industriebarocke Hausfassaden (wenn’s wahr ist – vielleicht doch spätere Zubauten – der innere Korrektor) (nein, Hof 5 ist josephinisch – der äußere Korrektor). Fahrradabstellplätze. Mistkübeln hinter der kleinen Betonmauer. Ein paar Büsche. Ein asphaltierter Umgang und eine asphaltierte Diagonale durch den Hof. Vier Sitzbänke (auf deren einer ich sitze). Der Himmel oben mit dünnen Schleierwolken bedeckt. Warmer Wind. Das obligatorische Auto fährt in den Hof und fährt wieder raus (meine Aversion hat es vertrieben – der innere Übertreiber). Der obligatorische Baulärm aus einem der anderen Höfe wird extrem laut. Hier im Hof ist keine Baustelle. Zwei Kastanien blühen voll. 26°C soll es haben. Ich schaue nach 138° SO. Menschliche Stimmen gibt es auch. Ich verstehe nichts. Ein bodygebildeter Mann geht jetzt auffällig dekorativ vorbei. Ich selber bin etwas müde. Das Wetter setzt mir zu. Jetzt noch ein Flugzeug. Eine zersetzende Geräuschkulisse (die man nicht wegschieben kann; also keine Kulisse – der innere Besserwisser). Tatü-tata. Ich geh weiter.


(8.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3627 Es dauert noch ein wenig

 



8:03 a.m. Verdammt! Mir ist nach dem Aufwachen noch schlecht vom Albtraum, aus dem ich komme, und meine Leibesmitte ganz aufgewühlt. Ein „Albtraum“ im klassischen Sinn war es gar nicht, kein Ungeheuer ist mir auf der Brust gesessen und niemand hat mich gejagt. Ich war bloß an der Uni und wollte irgendetwas – was genau, weiß ich nicht mehr – fertig studieren, aber bin damit nicht zurechtgekommen. Ich habe nicht verstanden, was von mir verlangt wird und was konkret zu tun ist. Ich bekomme Auskunft, aber kapiere sie nicht; ich weiß nicht, wovon da die Rede ist. Einen wirklich unangenehmen Nachgeschmack hat das Ganze. Es ist das Gefühl, ohne jede Aufklärung, ohne Information oder Vorbereitung in die Welt geworfen zu sein, völlig im Stich gelassen in einer komplett fremden Welt, die ich nicht durchschaue. Dann wache ich aus dem Traum auf und kann diese Stimmung nicht an der Realität korrigieren, sondern empfinde mein Hiersein genauso verloren wie im Traum.
Jetzt ist es 8:37 a.m. und allmählich kann sich meine Seele von dieser Stimmung lösen. Ein wenig wird es noch dauern.


(8.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3626 Noch

 



Die vielen Rufe der Krähe hallen durch das Viertel und holen mich aus Halbschlaf und Traum, denn es geht um etwas Wichtiges; was, das weiß ich noch nicht. Der zerschlissene Vorhang – ein kleines Meisterwerk unserer Siebdruckkunst – wölbt sich beim offenen Fenster herein. Die Krähe ruft immer noch. Ich bin gewarnt, aber verstehe nicht wovor. Ich betrachte meine Hände und reibe sie dann aneinander; ich spüre dabei eine gewisse Steifheit in den Muskeln. Jetzt bläht sich der Vorhang weniger stark, dafür aber kontinuierlicher ins Zimmer herein; gerade noch schiebt er sich am Türstock vorbei, sodass ich ihn gerade noch sehen kann. Die Krähe warnt immer noch; nun schon mit heißerem Eifer in der Stimme; wie mir scheint, etwas weiter weg.; fast überschlägt sich ihre Stimme und eine zweite Krähe antwortet. Ich höre den Brunnen im Hof plätschern und eine noch schwache, namenlose Trauer will aufsteigen. Nun bläht der Wind den Vorhang ganz weit ins Zimmer herein und ich kann die aufgedruckten wunderbaren Zeichnungen schön sehen.


(7.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 7. April 2024

3625 Auf der Hollywoodschaukel

 



Eine große, schwarze Krähe fliegt lautlos mit weit ausgebreiteten Flügeln über die blühenden Gärten. Es ist sommerlich warm, ich sitze auf der Hollywoodschaukel, im T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin freiwillig hier“. Gemeint ist die Welt. Nehmen wir das an, oder schlimmstenfalls will ich es mir einreden, dass ich freiwillig auf der Reise durch die Unendlichkeit hier auf Erden gelandet bin. Ja, jetzt ist es wirklich schön und ich blende aus, dass es den lebhaft zwitschernden Vögeln um Revier und Weibchen geht. Die große Thuja hat sich vom Winter erholt und wird grüner und bekommt Besuch von einem Amselmännchen. Das Gezwitscher ist wirklich betörend, während mir der ständige Autolärm Kopfschmerzen bereitet (das könnten auch Föhn, Saharastaub oder die starke Sonneneinstrahlung sein – der innere Korrektor). „Jetzt kommt der Ansturm!“ wird mir gesagt, „genieße noch die letzten Minuten deiner Ruhe“.

Jetzt genieße ich die Ruhe im Haus, weil fast alle in den Garten gekommen sind und schaue durch die halb offene Glastür in das Grüne hinaus und einzelnen Pflanzen und Blättern beim sanften Tanzen im sanften Wind zu und wie sie ihre Schatten in Bewegung bringen, soweit ich die sehen kann. Es ist die schon sommerliche, manchmal stagnierende Nachmittagsstimmung, irgendwie schön und erwartungsvoll, irgendwie enttäuschend, weil irgendetwas nicht zum Durchbruch kommt. Die trägen Flugzeuggeräusche gehören dazu, irgendwoher aufgeschnappte Stimmen, selbst dieser fade, lästige, umkippende Autolärm. Die Dinge sind alle nicht am richtigen Platz; beinahe sind sie es, aber dann doch noch nicht.


(6.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 4. April 2024

3624 Rush Hour

 



14:17. Seifensieder. Nestroyplatz. Poststelle. Das ist das Ergebnis der Zeitungslektüre im Café. Gibt nicht viel her. Der Kaffee hat mich – wie zu erwarten war – etwas aufgekratzt, womit ich jedoch nicht viel anzufangen weiß. Diese Aufgekratztheit ist mir momentan lästig und verstört mich; beflügelt mich nicht. Falsche Droge zum falschen Zeitpunkt im falschen Ambiente. Dabei wüßte ich so viele interessante Sachen. Alle fünf Gäste im Café arbeiten schreibend. Fast lasse ich mich als einziger Handschreiber einschüchtern. Aber nur fast. Langsam arbeite ich mich aus meiner geduckten Haltung heraus. Die Tischlerei Zapfel fährt draußen vorbei. Beim Zahlen lasse ich mir das Restgeld in Münzen herausgeben.




14:52. Die drei Säulengleditschien am kleinen Platz vor unserer Haustür treiben endlich ihre Blätter aus, während mir all die geparkten Autos ebenerdig die Sicht verstellen. Die abgeholten Tageskinder winken zurück; ich warte nämlich auf einer der Bänke vorm Haus, bis die Rush Hour vorbei ist. Die Sonne wird bald hinterm Haus verschwinden; jetzt scheint sie mir noch ins Gesicht und wärmt. Größtenteils weiße Wolken ziehen hoch über die Häuser. Paketboten tanzen und zappeln vor den Haustüren herum. Das letzte Tageskind kommt herunter. Auch ihm winke ich. Jetzt gehe ich hinauf.


(4.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3623 Leichter Ekel

 



8:32 a.m. Der Morgen ist grau. Die Bücherwand bringt heute ihre Farbigkeit verhalten zum Ausdruck. Gerade jetzt beginnt es mit unsicherem Getröpfel zu regnen, hört jedoch gleich wieder auf, und setzt dann von neuem ein. Unwillkürlich huste ich mein inneres Zittern hinaus aus dem Körper. In Mali Lošinj steht ein bären- oder gorillaartiges Wesen einfach so auf dem Meer nahe der Hafenkante, verflüchtigt sich aber beim genaueren Hinsehen. Der Regen ist immer noch unentschlossen und tut so hin und her. „Oh ich armer lothringer Bur, wie isch mir das Lewe sur, Ich wäs nit enn, unn wäs nit uss, Am sammefelle isch min Huss.“ Diese Liedzeile hat sich aufgedrängt und ließ sich nicht wegschieben. Es muß etwas dran sein, denn mich überkommt jetzt eine leichte Übelkeit, ein leichter Ekel.


(4.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3622 Wie geschickt!

 



0:38 a.m. Ach, wie geschickt ich den kleinen Staubknäuel, der den Minenmechanismus meines Pilotstiftes blockiert hat, aus der Kugelschreiberspitze herausgekletzelt habe! Damit ist die Welt wieder ein kleines Stück handlicher geworden und das wird mir das Universum nie vergessen. Ich lache stumm über meine hinterhältige Behauptung und amüsiere mich still beim Gedanken an meine Leser. Richtig fröhlich werde ich dabei, obwohl ich schon recht müde bin. Wenn ich nicht so müde wäre, würden mir noch mehr hinterhältige Behauptungen einfallen. Für heute müßt ihr euch mit dieser einen begnügen.


(4.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 3. April 2024

3621 Mit Charms

 



14:11. Mit Charms habe ich mich in Aufregung, Furor und Rage geredet, sodass meine Wangen glühen und ich meinen Redeschwall zunächst nicht, dann aber gott-oder-wem-oder-was-auch-immer-sei-dank doch abbremsen konnte. Deshalb notiere ich das, damit ich nicht weiterrede.

Should I stay or should I go? Wenn ich zuhause nicht in die Tageskinderabholzeit geraten möchte, muß ich sofort aufbrechen. Ansonsten muß ich länger bleiben oder woanders herumtanzen. Ich lenke mich mit meinem Handy ab und bleibe. Noch ein Getränk? Keinen Kaffee mehr! Draußen klescht es baustellenmäßig heftig und laut, aber eindeutig meinem Anti-Kaffee-Vorsatz zustimmend. Danke, Universum (oder-wem-oder-was-auch-immer).


(3.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3620 Mein wirkliches Alter

 



8:37 a.m. Die über die Lehne des Schreibtischstuhles geworfene hellgrüne Tagesdecke wirft schöne Falten und Wellen. Ansonsten ist der Morgen mau. Die Träume sitzen mir noch als Zittern im Leib und als Angst in der Seele. Irgendetwas mit Obdachlosigkeit und gefährdetes Wohnen auf ungeschützten Baustellen. Aber mir ist im Traum mein wirkliches Alter eingefallen und das hat mich im Traum schon erleichtert, weil es nicht mehr allzulang dauern kann. Die paar Jahre schaffe ich schon irgendwie, trotz wohnen in Zement und Kalkstaub und umgeben von Bauarbeitern und Bauvorgängen, das war mein tröstlicher Gedanke. Langsam verfließen die Traumreste und die Angst läßt nach. Die frankophone Schweizerin dort im Bücherregal schaut nackter aus, als sie ist. Schon habe ich sie wieder vergessen und meine Augen wandern ziellos herum, bis sie mir zufallen.


(3.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 1. April 2024

3619 Sozusagen

 



12:15. Ich blicke von der Lucy-Bar in den Schweizer-Garten hinter dem Zwanzgerhaus (bei mir bleibt dieser Name) sozusagen in den Frühling hinein. Ein mächtiger Baum – keine Ahnung, was der für einer ist – nimmt meine Aufmerksamkeit in Beschlag und ich schaue länger hin. Schöner Bar-Jazz aus den Boxen. Mich stört eigentlich nur dieser Belvederekleinlastwagen mit dem depperten Klimtkuß drauf, der mitten in meinem Gesichtsfeld abgestellt ist. Der eigene Gärtner im eigenen Gesichtsfeld sein und – in diesem Fall wirklich – das Unkraut entfernen. Es ist ja schon die gestellhafte Gestalt eine Autos fast überall störend, erst recht mit dem fürchterlichen Klimtkuß behübscht (vermutlich würde es helfen, die eigene Seelenlandschaft aufzuräumen – der innere Kritiker). Preisfrage: Fände ich bei fehlendem Klimtwagen etwas anders, das mich stört? Der Jazz lullt mich ein und ich blicke tapfer am Klimt-Kuss-Kleinlastwagen vorbei. Was aber nicht durchzuhalten ist, weil der genau mitten im Blickfeld steht. Eine junge Nebelkrähe landet auf der Betonmauer vorm Garten und fliegt dann mit einigen plötzlich aufgetauchten Kompagnons wieder weiter. Der Jazz ist verdammt angenehm; so könnte man sich langsam, ganz langsam betrinken. Der gute Kaffee jedoch tut’s auch. Da gibt es keinen Weg zurück. Ich würde dabei sowieso nur irgendwelche unmöglichen Fünfzigerjahrefilme schlecht nachspielen. Zwar bleibe ich auch im Moment nicht wirklich im Hier und Jetzt, und Seele und Geist driften weg, irgendwohin, wofür ich keinen Bezugsrahmen finde, aber dennoch vergesse ich meinen aktuellen Standort nicht.


(1.4.2024)


©Peter Alois Rumpf April 2024 peteraloisrumpf@gmail.com