Montag, 23. April 2012

77 Transsubstantiationslehre

Kürzlich saß ich in einer Runde beim Essen und dabei kam die katholische Transsubstantiationslehre aufs Tapet und ich – als jemand, der Theologie studiert hat – wurde gefragt, ob das wirklich so gemeint sei, daß sich in der Messe bei der Wandlung Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln oder ob das Ganze nicht bloß symbolisch gemeint sei. Ich habe bestätigt, daß das wirklich als Verwandlung und nicht symbolisch gemeint ist. Als dann das Gespräch tendenziell in die Richtung ging, daß dies eine verschrobene, absurde Auffassung sei, war der Punkt erreicht, wo ich in eine Zwickmühle komme. Einerseits kann ich mich nicht als Christ bezeichnen, schon gar nicht als lehramtlich konformen, andrerseits halte ich es kaum aus, wenn der moderne Zeitgeist (der schon länger beginnt, alt auszusehen) selbstgerecht seine Überzeugungen für absolut hält und Kulturen und Denker vor seiner Zeit und und abseits seiner Überzeugungen für zurückgeblieben hält. Darum habe ich angefangen, die Transsubstantiationslehre zu verteidigen bzw. Argumente und Hinweise zu suchen, die für sie sprechen.
Ich bestreite nicht das berechtigte Mißtrauen gegenüber Institutionen, die Glaubensgehorsam verlangen, das heißt, den Menschen aufzwingen wollen, was sie für wahr zu halten haben, aber jenseits dessen können wir uns doch anschauen, was mit solch einer Theorie anschaulich gemacht werden soll. Wir alle sind natürlich mehr oder weniger in die Selbstverständlichkeiten des Common Sense verstrickt und meine Anstrengung, Argumente und Beispiele zu finden und meine Trägheit gegen diese denkerische Anstrengung, zeugen davon, wie sehr.
Außerdem kann so ein Vorhaben nicht gut gehen, weil wirkliche Wahrheit nicht verteidigt werden kann und braucht, und weil ich in solchen Situationen viel zu lange brauche, bis mir halbwegs angemessene Antworten eingefallen sind und die Zuhörer bis dahin schon längst abgelenkt und müde geworden sind (oder nur ihre Vor-Urteile bestärkt haben wollten). Bevor das Gespräch richtig begonnen hat, war es schon wieder aus. Erst bei einem längeren Spaziergang nachher, alleine, ist mir das eine oder andere in den Sinn gekommen.
 Mir kommt auch vor, daß die Transsubstantiationslehre nicht wirklich angemessen ist und schon zur Zeit ihrer Festlegung defensiv gegenüber der aufkommenden Moderne formuliert wurde, was fast sicher bedeutet, daß sie von dem, was sie abwehren will, schon infiziert ist. Dennoch: ich habe einen unwiderstehlichen Hang zum Absurden; und ganz so absurd ist sie bei näherem Hinsehen gar nicht.
Die Seher vor und um Castaneda beschreiben, wie unsere Wahrnehmung durch unsere Beschreibung bestimmt wird, so, daß vom Wahrgenommenen nur mehr Promille in unseren Wahrnehmungsgegenständen präsent ist; der Rest ist unsere Beschreibung, die uns apriori Form, Inhalt, Eigenschaften vorgibt. Wenn wir also ein Stück Brot oder ein Glas Wein anschauen, sind von dem, was da draußen auf unsere Sinne einwirkt, nur mehr ein paar Promille anwesend. „Sehen“ - im Gegensatz zum alltäglichen „Schauen“ - ist Wahrnehmen ohne Beschreibung. Dies ist nicht erklärbar, für unsere Rationalität unmöglich, aber dennoch erfahrbar. Versucht ein Seher, sein Sehen zu beschreiben, kann er nur ungefähre Annäherungen liefern; dabei muß er wieder auf Begriffe unserer Alltagswelt zurückgreifen, aber er verwechselt nicht seine Beschreibung mit dem beschriebenen „Ding an sich“ (wenn man so will; und wenn der Seher lauter ist). Die Seher bei Castaneda sprechen dann von der Wahrnehmung einer Welt leuchtender Energiekonglomeraten. Das gilt für unbelebte Gegenstände als auch für lebendige Wesen; auch der Mensch wird als leuchtende Kugel vibrierender Energie wahrgenommen. Ich habe hier in der „Schublade“ schon öfters vermutet, daß die Rede von den zwei Naturen Christi – menschliche und göttliche – der Versuch ist, die zwei Wahrnehmungs- und Existenzweisen des Menschen - nämlich als belebter Gegenstand der (physischen und psychischen) Alltagswelt mit all ihren Gesetzmäßigkeiten und als leuchtendes Wesen jenseits aller Beschreibung - irgendwie zu fassen. In der Transsubstantiationslehre scheint mir dieses Zwei-Naturen-Denken teilweise auf natürliche Gegenstände übertragen zu werden: auf Brot und Wein. Tatsächlich: „sieht“ ein Seher Brot und Wein, sieht er vielmehr als das, was wir unter diesen Namen in der Alltagswelt kennen, nämlich das wirkliche „Ding an sich“ hinter der Erscheinung mit viel umfassenderen Wirkmöglichkeiten. (Insoferne hat bei uns schon in unserer Alltagswahrnehmung eine „Transsubstantiation in die andere Richtung", von einem unergründlichen „Ding an sich“ zu einem für unser sehr beschränktes Bewußtsein handlichen Alltagsgegenstand stattgefunden.) Also wird in dieser Transsubstantiationslehre schon versucht, die eigentliche, transzendente, wirkliche Wirklichkeit, die man dann zumindest in der hellenistischen Tradition sehr leicht „göttlich“ nennen kann, gegenüber der reduzierten Wahrnehmung der Alltagswelt zu artikulieren und zu behaupten. Also: indem gesagt wird, daß durch die Wandlung Brot und Wein Leib und Blut Christi werden, wird implizit die Möglichkeit zu dieser Wahrnehmungs- und Zustandsverschiebung (für Tolteken: Verschiebung des Montagepunktes) mitgesagt. Ein Schamane, der heilt, macht auch nichts anderes, als daß er die Fixierung auf die reduzierte Beschreibung lockert, um – näher an den tragenden Seinsgrund gerückt – dessen für unsere Rationalität unglaublichen Wirkmöglichkeiten (zum Heilen) ins Spiel zu bringen. (vgl. Auch meinen Artikel Nr. 4 „Über die Heilige Kommunion“ hier in der Schublade)
 Wie gesagt: ich glaube auch, daß die Transsubstantiationslehre es nicht mehr ganz schafft, diese energetischen Tatsachen angemessen zur Sprache zu bringen – sie basiert ja nur mehr auf Überlegungen und nicht mehr auf „Sehen“, und mir sind die bei Castandea überlieferten Erzählungen, Beschreibungen und Erklärungen der modernen Seher – in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit – auch lieber, aber dem Versuch will ich Respekt zollen.


 ©Peter Rumpf 2012 peter_rumpf_at@yahoo.de


Nachtrag 19.12.2013: eine Stelle in Carlos Castaneda "Der zweite Ring der Kraft", die gut zu obigem Text passt; Seiten 211f; Castaneda redet mit Maria Elena "La Gorda":

Don Juan, so sagte ich, habe mir das Nagual immer als unbeschreibliches Prinzip, als Ursache von allem erklärt.
"Sicher", sagte sie lächelnd, "ich weiß, was er meinte. Das Nagual ist alles."
Höhnisch hielt ich ihr vor, daß man ebenso gut das Gegenteil behaupten könne: das Tonal ist alles. Sie erklärte mir ausführlich, daß dies kein Widerspruch sei, daß meine Feststellung richtig sei, denn das Tonal sei ebenfalls alles. Das Tonal, das in allem enthalten ist, so sagte sie, könnten wir leicht mit unseren Sinnen wahrnehmen, während das Nagual, das in allem enthalten ist, sich nur dem Auge des Zauberers offenbare. (...) Und doch seien das Tonal und das Nagual allezeit in allem gegenwärtig. Es sei daher richtig, wenn ein Zauberer den Anblick des Tonals, das in allem enthalten ist, als "Schauen" bezeichnet, während er den Anblick des Nagual, das in allem enthalten ist, als "Sehen" bezeichnet. Wenn also ein Krieger als gewöhnlicher Mensch die Welt betrachtet, dann schaut er; wenn er sie aber als Zauberer betrachtet, dann "sieht" er.

Sonntag, 1. April 2012

76 John Frusciante

http://www.youtube.com/watch?v=xn9tnSgylqc&feature=share


Zuerst muss ich sagen: ich verstehe nichts vom Text; ich nehme diesen Song nur als Musik auf. Aber diese Musik findet in meiner Seele einen Widerhall, sie erreicht meine Innerstes und erfaßt mich beinah total. Ich kann diesen Schmerz nachempfinden; ich weiß, das klingt übertrieben, und ich frage mich selber: wieso? aber irgendwo empfinde ich diesen Schmerz. Wenn ich diesem Musikstück zuhöre, könnte ich heulen und weinen. Aber diese Musik beglückt mich dabei, ich bin glücklich, dass dieser Schmerz seinen Ausdruck findet und hochsteigen kann. Und ich bin so dankbar, dass es dem Künstler gelungen ist, diesem Empfinden einen Ausdruck zu geben. Ich weiß, wie problematisch das ist, was ich da sage, denn John Frusciante hat diese seine Lebenphase beinah nicht überlebt. Und ich sitze da und höre zu, während er in tiefste Finsternis hinabgestiegen ist. Irgendwie steht er da alleine vor der Unendlichkeit, nur seine Gitarre als Schutzschild. Natürlich muss man sich nicht zerstören um in die Tiefe zu gehen. Aber ich bin so froh, dass er wieder heraufgekommen ist und dieses Kleinod mitgebracht hat. Danke John Frusciante.