Freitag, 30. Dezember 2016

555 Erste feministische Lehrstunden

Als die ersten Feministinnen in meinem grazerisch – studentischen Umfeld auftauchten; oder richtiger gesagt: als ich in dieses Umfeld eintauchte, einem Umfeld, von den vier, fünf, sechs, sieben Jahre zurückliegenden Achtundsechziger-Revolten geprägt, links, fortschrittlich, emanzipatorisch, fortschrittsgläubig und auch schon skeptisch, ja, da war auch ich voller Illusionen. Eine, die mir heute sehr lächerlich vorkommt, war, daß mein Nicht-ganz-richtig-Mann-Sein, diesen Frauen gegenüber, die ja gegen die Männerdominanz kämpften, ein gewisser Vorteil sei. Schließlich war ich ja kein dominanter Mann. Und die Machos fürchtete ich selber auch. Mit ihrer Gewalttätigkeit, verbal und nonverbal, bin ich nicht zurecht gekommen.

Daß ich kein richtiger Mann respektive Bub sei, habe ich ja wegen meiner Schüchternheit, Dualitätsschwäche und Kampfunfähigkeit meine ganze Kindheit und Jugend herauf als ständiges Mantra gehört.

Man könnte das fast einen geschwisterlichen Zugang nennen, den ich da zu diesen Frauen versuchte, aber verwirrt und verschwommen wie ich war, machte ich mir durchaus auch Hoffnungen, über diese Schiene bei diesen starken Frauen – natürlich auch mehr oder weniger stark – zu landen und der einen oder anderen auch erotisch näher zu kommen. Oh! Das ist eine sehr blöde Mischung! Mein Gott, ich mußte das dann auf eine für mich sehr harte Art lernen, dieses grundlegende Mißverständnis zu durchschauen und zu begreifen.

Zunächst einmal muß festgehalten werden, daß auch ich als „gescheiterter“ Mann diese ganzen Machovorstellungen in mir hatte, sonst hätte ich mich ja ohne ein solches Bild als Vergleich gar nicht als gescheitert definieren können; das heißt, so sehr ich unter diesen Männlichkeitsidealen litt, so sehr hatte ich sie in Wirklichkeit verinnerlicht.

Und auch diese klassischen patriarchalischen Frauenbilder Jungfrau, Mutter, Hure; wenn auch das Mutterbild kälter, rigider, abweisender als in der klassischen überlieferten Dreifaltigkeit war, und viel stärker von emotionaler Distanz geprägt.

Diese frauenfeindliche Dreifaltigkeit wurde mir übrigens viel stärker von der Mutter „gelehrt“ als von meinem Vater. Diese seine Herkunftsfamilie war in den Generationen vorher viel stärker von einem – nennen wir es – slawisch-katholischen Laissez-faire geprägt als die Herkunftsfamilie meiner Mutter. Meine Großmutter väterlicherseits hatte schon vor der Ehe mit meinem Großvater ein Kind aus einer anderen Beziehung; sie selber war die Tochter aus der unehelichen Verbindung ihres Vaters mit seiner Lebensgefährtin. Die konnten nicht heiraten, weil mein Urgroßvater schon verheiratet war, aber er hatte seine Ehe verlassen, als ihn seine Arbeitskollegen darauf aufmerksam machten, daß ihn seine Frau – wenn ich die Erzählungen noch richtig beisammen habe - mit dem Bettgeher betrügt. Bettgeher waren damals Arbeiter, die sich keine eigenen Haushalt leisten konnten und sich deswegen das Bett eines Schichtarbeiters für die Zeit gemietet hatten, wo dieser in der Schicht arbeitete und der Bettgeher dann die jeweilige Gegenschicht machte. Scheiden lassen konnte sich mein Urgroßvater nach damaligem Recht nicht, aber er ging dann halt eine neue, „illegitime“ Beziehung ein, der u.a. meine Großmutter entsprang. Dieser Vorfahre war übrigens ein ein Slowene aus der Untersteiermark (slovenska Štajerska), mir wurde erzählt, ein tief religiöser Mann, der in seiner Jugend eigentlich Priester werden wollte, es aber nach dem damaligen Kirchenrecht als uneheliches Kind nicht durfte.

Diese Abschweifung war nicht unwichtig, um zu zeigen, daß es bei strengen Traditionen durchaus legeren, situationselastischen Umgang mit derselben geben kann und ich meine das positiv und nicht zynisch. (Außerdem ist mir zu erstenmal bewußt geworden, daß es unter meinen Vorfahren schon einen gegeben hat, der so wie ich in seiner Jugend Priester werden wollte und es nicht durfte. Obwohl ich alle Fakten kannte, habe ich diese Parallele noch nie gesehen. Das könnte das Thema einer nächsten Aufstellung werden.)

Um zum Thema zurückzukehren: der rigidere Anteil, auf das Frauenbild bezogen, kam also von meiner Mutter, deren Herkunftsfamilie sehr von - in ländlich-bäuerlichen Dimensionen gedacht -  Großbürgervorstellungen und vom Nationalsozialismus beeinflußt war. Das natürlich auch nicht widerspruchsfrei. Aber es war meine Mutter, die mich, als ich in meiner frühen Jugend einmal wegen einem Mädchen unglücklich dreingeschaut habe, gefragt hat, ob die denn eine Hure sei. Das war es, das sie überall gewittert hat.

Mit dieser unheiligen Frauenbilddreifaltigkeit glaubte auch ich wirklich, wenn eine Frau nicht „vergeben“ ist – also von einem Mann „abgedeckt“, aber „willig“ ist - also auf Jungfräulichkeit keinen Wert legt – dann steht sie allen Männern zur Verfügung und auch ich müßte bei einer solchen eine Chance haben, denn andere Kategorien hatte ich in diesem Modell nicht zur Verfügung. Oh mein Gott! „werch ein illtum!“ (Zitat setzte ich voraus.)(Sei nicht so hochnäsig!)( Also gut: ernst jandl)

Und ich mußte es auf harte Art lernen, daß eine Frau zwar auf Abenteuer aus sein kann, mit dem, mit dem, mit dem dort auch, aber trotzdem nicht mit mir. Auf dem Weg vieler Enttäuschungen (im wahrsten Sinn des Wortes) und Gottseidank war ich so schüchtern und reagierte mit Rückzug – so ein Psychogemenge kann auch explosiv sein. Aber schon lustig! Ein gescheiteter Macho und hat trotzdem noch so viel Machismo in sich! („antrainiert“).

Aber ich habe dazugelernt; durch Erfahrung, durch lesen – ich habe damals viel feministische Literatur studiert, Erfahrungsberichte von Frauen gelesen und damit ihre Wahrnehmungen solcher gesellschaftlicher Regeln und Muster kennengelernt – in unzähligen Diskussionen, ob deklarierte oder zufällig entstandene, ob öffentliche oder mehr noch in kleinen Gruppen am Mensatisch, im privaten Rahmen der Wohngemeinschaft zum Beispiel, ob ich nur zugehört habe, oder gar mitgeredet – ich habe mich dabei von vielen Selbstverständlichkeiten verabschieden müssen, viele „Prachtelemente“ meines mühsamst aufrecht erhaltenen Selbstbildes als Mann als wertlosen Plunder erkennen und über Bord werfen müssen, eines Selbstbildes, das sowieso schon mehr aus Trümmerresten zusammengepickt war, die kaum zusammenhielten.

Es war nicht leicht für mich damals, wenn ich in eine Disco gegangen bin und eine Frau mich angeschnauzt hat, daß solch ein Typ, wie ich es bin, hier überhaupt nichts verloren hat und auf meine erstaunte und hilflose Frage, wieso, die Antwort kam, „ja, schau, genau deswegen! Was fragst so teppert, du Weichei!“ (das war eine normale Disco, kein Hardrockbude.) und viele andere Nadelstiche dieser Art. Was blieb von meinem restpositiven Selbstbild über? Nichts. Gar nichts! Und ich versteh die gute Frau schon! Inzwischen verstehe ich das gut (ich mein, eh schon längst).

Ich muß noch lachen, wenn ich daran denke, wie beim - meines Wissens - ersten Frauenfest in Graz  - natürlich Eintritt nur für Frauen – mir eine Oberfeministin damals – zumindest aus meiner Sicht war sie das – vorher bei uns in der Wohngemeinschaft vorgeschlagen hat, mich dort hin aufs Frauenfest mitzunehmen. Mir war das nicht geheuer, denn trotz all meiner Illusionen und Verdrehtheiten war ich sensibel genug, zu verstehen, daß ich da nichts verloren habe. Aber sie hat mich, ihren braven Schüler in Sachen Feminismus, überredet, mitzukommen. Der Sinn des Ganzen war mir zunächst völlig schleierhaft, aber Nein-Sagen war nicht meine Stärke und so bin ich voller unbehaglicher Gefühle mit.

An der Tür heißt es dann von einer Türsteherin „Eintritt nur für Frauen!“ „Und was machen die Männer da hinten?“ fragt meine Begleiterin. „Die sind von der DSU (oder war es die FÖJ?) und müssen noch etwas in der Druckerei da hinten fertigdrucken. Dann gehen sie weg.“ Meine Begleiterin – kann ich eigentlich nicht sagen, denn ich habe ja sie begleitet – wollte aber weiterverhandeln und hat zur Türwächterin – übrigens eine liebe, sanfte Frau, die mir noch alles erklärt hat, was mir ohnehin schon klar war, daß das eine reine Frauenveranstaltung ist etcetera – die „Nicht-Begleiterin“ hat also auf mich deutend noch zur Türwächterin gesagt, „aber der ist eh harmlos!“ Aha! So verteidigt werden ist wie niedergeschlagen werden! Die Türsteherin hat noch etwas geantwortet wie „für dich vielleicht, aber für eine andere vielleicht nicht!“ Aber ich war froh, daß das überstanden ist, ich den Ort verlassen und erleichtert nach Hause gehen kann (bin ich dann nach Hause gegangen? Egal!), während meine nun Ex-„Begleiterin“ hinein zum Frauenfest ist.

Am nächsten Tag hat sie dann in der WG erzählt – sie war nämlich die Freundin des iranischen Wohngenossen in unserer WG, der einer der zwei Hauptbetreiber dieser Wohngemeinschaft war - daß später dann auf dem Frauenfest – so wie sie es schon vorher erwartet hatte – dann doch sehr wohl Männer aufgetaucht sind und eingelassen wurden, vornehmlich von der GRM unter Führung des revolutionären Obergenossen Alf, der dort wieder seine üblichen großen Reden schwingen und seine Sprüche klopfen konnte, von einem Teil der Frauen angehimmelt. Und sie ergänzte, daß sie das so hat kommen sehen und mich genau deswegen mitgenommen, um den Frauen dort auf dem Fest zu demonstrieren, wie inkonsequent und widersprüchlich sie in ihrem Verhalten gegenüber Männern sind, wenn sie einen harmlosen „Deppen“ - hat sie nicht gesagt – nicht reinlassen, aber den gefährlichen Obergenossen schon, der schon seine Mädels als fünfte Kolonne vorgeschickt hat, auf daß sie ihm die Tore öffnen, unter dem Vorwand, daß es schließlich bloß um eine gemeinsame Plattform gehe, damit die junge Frauenbewegung nicht in Nabelbeschau und ins Unpolitischen abgleite, denn schließlich – worum geht es? Es geht darum, daß etcetera, etcetera, etcetera.

„Aha!“, habe ich mir gedacht, „muß ich mich wegen meiner Rolle da geehrt fühlen?“ Fast habe ich mich gefühlt!

Lange habe ich auch gebraucht, um zu verstehen, daß mein anfänglich vermuteter Vorteil, kein Macho zu sein, so wie ich es damals auffaßte, äußerst fragwürdig ist. Die „geschwisterliche Annäherung“ ist, wenn es ums Erotische geht, unangebracht, erst recht, wenn sich ein Mann einer Frau wie ein Kind nähert. Kein Macho zu sein ist noch überhaupt keine Qualifikation dafür, ein neuer oder besserer Mann zu sein. Aber das führt über diese Zeit und mein Anliegen hier in diesem Text hinaus.

Trotzdem: ich bin diesen Frauen und speziell meiner „Begleiterin“ und WG-Genossin auch heute noch dankbar für die Gespräche, Diskussionen und Erfahrungen damals; sie waren ein wichtiger Anstoß für einen Nachdenk- und Reifungsprozess, der, auch über eine desaströse Männergruppe, die meines Wissens erste in Österreich, wo ich Gründungsmitglied war (Mitglied ist gut!), bei mir zu einem ganz anderen Männerbild geführt hat, das letztlich auf ganz andere Werte und Bilder beruht. Dafür waren aber auch noch – wie bei mir so oft - die Bücher von Castaneda und vor allem seiner Gefährtinnen Florinda Donner-Grau und Taisha Abelar wichtig.

Das alte „Mannsbild“ lauert noch irgendwo in den hinteren Reihen meiner Seele auf Gelegenheiten, nach vorne keifen zu können.






(29./30.12.2016; angeregt durch einen Jugendfilm, den ich mit einer meiner Töchter angeschaut habe.)















 ©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 29. Dezember 2016

554 Wundertäterfragment 26

oder:

der Wundertäter spricht zu seiner schlafenden Frau



Der Wundertäter sitzt am Schreibtisch vorm Laptop und liest, surft, spielt, hört sich Musikstücke an, schreibt den einen oder anderen Kommentar und so weiter und so fort. Es ist schon einiges nach Mitternacht, seine Frau ist schon um zweiundzwanzig Uhr zu Bett gegangen und schläft schon längst. Allmählich wird auch der Wundertäter – nicht zu vergessen: es ist ein Wundertäter, der nie ein Wunder vollbringt – müde, „Aber das noch, das lese ich noch“, denkt er sich, „noch ein Solitär, dann mach ich Schluß“, „und noch ein Mahjong“ - gut, aus – es ist soweit. Gegen zwei Uhr. Der Wundertäter ist hundemüde, dreht das Gerät ab, geht ins Badezimmer, putzt seine Zähne, zieht sich um, hüllt sich in seinen Bademantel, nimmt sein Traumtagebuch, sein Notizbuch und seine Taschenlampe, schaltet das Licht aus, geht hinunter, sucht seine Lesesbrille für das untere Stockwerk und einen Kugelschreiber, legt dies alles mit den Büchern und der Taschenlampe auf den Tisch, legt den Bademantel ab und schlüpft ins Bett. Seine Frau wacht ein bißchen auf, geht kurz ins Bad; er denkt sich „sie ist munter – ich kann sie anplaudern“ und – plötzlich recht wach – beginnt er zu ihr zu sprechen.

„Mein Weiblein!“, sagt er in die Dunkelheit hinein – der Wundertäter ist ein wenig nachtblind - „hast du deine Äuglein schon zu?“ und muß schon lachen über seine wunderschöne Anrede. Der Wundertäter kann sich köstlich über seine eigenen Formulierungen amüsieren, vor allem, wenn er dabei Worte seiner Frau aufnehmen und ein wenig verarschen kann. „Meine Äuglein“ hat nämlich sie in die Ehe mit eingebracht und überhaupt kann sich der Wundertäter sehr gut mit sich selbst unterhalten.

Also: „Mein Weiblein, hast du deine Äuglein schon zu?“
„Ja“, haucht sie schlaftrunken.
„Bist du wach?“ fragt er noch fast scheinheilig.
„Hmm“, kommt es von ihr.

Kurz fällt ihm nichts mehr ein, aber eine Welle von Euphorie erfaßt ihn und er redet weiter:
„Ich habe gerade gelesen, daß eine amerikanische Studie die drei Hauptmerkmale besonders intelligenter Menschen herausgefunden hat. Diese drei Eigenschaften sind bei solchen Menschen besonders häufig anzutreffen … Moment!“ Er unterbricht seine Rede, klettert mühsam aus dem Bett, denkt, „das muß ich aufschreiben! Das kann ich vielleicht für einen Text brauchen“, geht zum Tisch, dreht die Taschenlampe auf, schlägt das Notizbuch auf und notiert, nachdem er die Lesebrille aufgesetzt hat, ein paar Stichworte. Dann klappt er das Buch zu, dreht die Lampe und nimmt die Brille ab und klettert wieder ins Bett.

„Also die drei Eigenschaften … hörst du, Zweiäuglein?“ - wieder kichert er über die Formulierung; er wird immer munterer und fährt fort: „Erstens, die superintelligenten Leute haben meistens einen chaotischen, sehr chaotischen Schreibtisch! So wie ich! Ich glaube, das gilt auch für dich.“
„Hmh.“
„Zweitens … Moment, ich muß schnell aufs Klo. Die unbesockten Füße vorhin beim Notizenmachen …“
Er deckt sich tapfer wieder ab, steht auf und geht ins Bad, mit seiner Taschenlampe den Weg beleuchtend. „Diese verdammten Energiesparlampen!“, denkt er, „früher hat man einfach das Licht aufgedreht, und wenn man fertig war, abgedreht. Mit diesen beschissenen Energiesparlampen ist man mindestens schon dreimal fertig, bevor es überhaupt dämmrig, geschweige denn hell wird; dann soll man sie nicht gleich wieder abdrehen, weil sie davon kaputt werden, so sollte man eine dreiviertel Stunde am Klo warten, bis man das Licht wieder abdrehen kann. So eine Idiotie! Welche Vollkoffer uns das eingebrockt haben! Alles nur Zwangsmaßnahmen, damit die Industrie ihren Dreck loswerden kann!“ Er versucht, im Bad die Taschenlampe so hinzulegen, daß sie nicht umfällt, ihn nicht blendet und trotzdem etwas Licht abgibt, um ein wenig sehen zu können. „War bei dieser Energiesparlampengeschichte nicht auch Greenpeace beteiligt? Genau weiß ich's nicht, aber falls: solche Volltrotteln! Die kriegen von mir keinen Heller mehr! Deppen!“
Er verrichtet sein kleines Geschäft - sitzend! Der Wundertäter ist ein notorischer Sitzbrunzer! - wäscht sich die Hände – wieder die schwierige Herausforderung, die Taschenlampe sachgemäß zu platzieren, weil jetzt auch noch der Spiegel mit seinen Reflexionsmöglichkeiten einzubeziehen  (blenden!) und am Waschbeckenrand alles vollgestellt ist. Schließlich hält er die Taschenlampe mit den Zähnen, um beide Hände frei fürs Einseifen, Abwaschen und Abtrocknen zu haben. Gut! Alles erledigt.
Der Wundertäter wandert wieder zurück und schimpft in seinem inneren Monolog weiter auf die für die Energiesparlampen verantwortlichen, überbezahlten Kanaillen.

Er klettert wieder ins Bett. „Die zweite Eigenschaft habe ich vergessen. … Was war das? Verdammt! Was war das bloß? Es fällt mir nicht ein! Mein Gedächtnis wird immer schlechter! Wahrscheinlich habe ich Alzheimer. Verfluchte Scheiße! … Welcher Hirngestörte hinterläßt seinen Namen auf einer Krankheit und will sich so verewigen! Himmel, Arsch und …  Bist du noch da?“
„...“
„Die dritte Eigenschaft hochintelligenter Leute jedenfalls war – laut dieser Studie, daß sie viel fluchen. Ihr Wortschatz diesbezüglich ist sehr groß! [Anmerkung für die LeserInnen: daß hier jetzt der diesbezügliche Wortschatz etwas mager ausfällt, möge man/frau mir verzeihen; es ist jetzt Dreizehnuhrfünfundzwanzig nachmittags, meine schöpferische Hochzeit ist in der Nacht] Ich habe es auch am Text gemerkt, wie schwer sich die Amis mit einer positiven Haltung zum Fluchen tun. Diese armen, puritanischen Wi ...“
„...“
„Ah! Jetzt fällt mir auch wieder die zweite Eigenschaft ein: sie sind nackt – äh – nachtaktiv. Ihre besten Einfälle kommen ihnen in der Nacht. Was sagst du dazu? Trifft alles auf mich zu einhundertzwanzig Prozent zu! Nicht schlecht, was?! … Schläfst du?“
„...“
„Ja, es ist einfach toll! Ich finde das Leben überhaupt ganz toll. Ich bin gerade euphorisch! Findest du nicht auch, daß es mir in letzter Zeit besser geht? … Ich wundere mich selber! [als Wundertäter?! Anmerkung vom Setzer], dabei habe ich nichts genommen. Du weißt ja, ich nehme nichts!“

Der Wundertäter denkt an eine Karikatur und muß wieder vor sich hin kichern und lachen. Er hat kapiert, daß seine Frau schläft und will sie nicht stören, aber er kann sein Lachen nicht ganz unterdrücken. Über dieses Bild lacht er schon den ganzen Tag in Stundenabständen.

„Ich kann diese Karikatur nicht erklären … hmha … der Toaster, wie die Brotscheiben rausspringen hahaha … und wie das Paar dreinschaut!  Die haben auch schon viele Jahre Kampferfahrung hahaha … man weiß nicht, sind die schon in der Ehehölle oder kriegen sie es noch hin? Was sagst du?“
„...“

„Ja vielleicht nicht Hölle, sondern nur Fegefeuer. … Obwohl der Vergleich stimmt ja nicht! Das Fegefeuer ist ja ein Reinigungsort, das Ziel ist ja die Erlösung, als Loslösung von den Fesseln, ein Befreiungsort, da geht was weiter. Sicher kann das schmerzhaft sein, alle die halbherzigen, unfertigen Taten, Manöver und Gedanken seines Lebens anzuschauen, aber eine Sackgasse ist es nicht. Ich stelle mir das Fegefeuer als eine nachträgliche Rekapitulation des Lebens vor. Das ganze Leben wird wiedererlebt, aber sub specie aeternitatis (Angeberei muß auch durchgearbeitet werden!), also so, wie es dein echtes, freies Bewußtsein erlebt hat, unverstellt von irgendwelchen fremden Installationen oder Verbogenheiten. Da - so stelle ich mir das vor – kann schon einiges, was man getan hat, weh tun, gleichzeitig versteht man auch warum man so und nicht anders gehandelt hat. Und so weiter. Also ich freue mich aufs Fegefeuer! … Mein Weiblein, schläfst du?“

Der Wundertäter steht wieder auf, um etwas zu notieren, denn er hat eine geniale Idee. Er notiert: neuer Wundertätertext: „der Wundertäter spricht zu seiner schlafenden Frau“.

Kichernd kriecht er wieder ins Bett zurück und kann wieder nicht aufhören zu lachen. Er amüsiert sich an seiner Idee. Noch dazu, wo seine Frau die Wundertätertexte besonders liebt.

Seine Frau dämmert so ein wenig in den Wachzustand hinein und fragt: „Was?“

Der Wundertäter lacht und sagt, „ich habe eine geniale Idee, aber ich verrate noch nichts.“ Er kann sich kaum beruhigen. „Hahahihi, übrigens, „Weiblein“ habe ich vom Castaneda. Aus der Szene, wo er dem Todestrotzer zum zweitenmal begegnet; du weißt schon, der alte Seher, der schon zehntausend Jahre lebt. Bei dieser zweiten Begegnung erscheint er ihm als Frau. Als echte Frau! Keine Travestie! Die alten Zauberer konnten das. Einfach alles auf den Energiekörper transferieren, dort irgend Energiedings umdrehen – was genau habe ich vergessen – und dann wieder retour. Als echte Frau. … diese Techniken waren schon vergessen,  … der Todestrotzer hat sie ihnen wieder gezeigt. … Im Jahre 1723 … dem Nagual Sebastian erschienen … … … der war Messner (für deutsche Leserinnen: Küster) … mehr oder weniger gezwungen … Handel … weil … klingt alles verrückt, ich weiß …    …   du weißt schon   … ich gaub' das wirklich ….“

„...“

„...“

„...“






(29.12.2016)











©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 27. Dezember 2016

553 Ich huste mir den Leib aus der Seele

Der Wind heult. Ich huste mir den Leib aus der Seele. Die Wohnungstür ist offen und ein viel zu junger Nachbar steckt seinen Kopf herein (viel zu jung! Ich habe ihn viel älter in Erinnerung). Meine Zimmertür ist zu und die Katze erkratzt sich Einlaß. Mühsam habe ich ein paar geniale Sätze mindestens eine Stunde lang durch den Schlaf gerettet, aber beim Aufwachen dann doch verloren.
Mein Fieberthermometer zeigt zum ersten Mal nur mehr „erhöhte Temperatur“. Durch ein Mißgeschick in der Nacht habe ich wahrscheinlich eine Überdosis Hustenmittel genommen; die von drüben behaupten, damit dürfte ich in Seattle nicht nur nicht autofahren, sondern auch das Auto selbst würde beschlagnahmt werden. Das Auto selber! Wo doch „autos“ eh schon „selbst“ heißt!
Vielleicht waren die genialen Sätze von drüben doch nicht so genial.

Vielleicht waren wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Oder zu wenig, weil uns immer die Katzen ablenken, oder der Wind, der immer wieder ruckartig anheult und dabei etwas zum Scheppern bringt.
Mein Kopf tut sich schon schwer mit dem Husten, er hat Angst vor den Hustenstößen, die von unten herauf bis zur Schädeldecke hinaufhacken. Aber es geht noch. Die Schmerzen halten sich noch im Rahmen des Erträglichen.

Ein Hiesiger sagt – aber von drüben - „in deinen Aussagen ist viel Schaum!“ Ich antworte: „warte einmal, bis sich der Schaum gesetzt hat!“





(27.12.2016)









©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

552 Der brave Schatten

Der Schatten, den ich vor ein paar Tagen losspringen gesehen habe, erscheint mir jetzt ganz ruhig; geradezu brav steht er da und rührt sich nicht, mit stolz geschwellter Brust (sozusagen). Ich drehe die Leselampe in eine andere Position, aber der Eindruck ändert sich nicht.





(Nacht 26./27.12.2016)










©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

551 Zweites kleines Weihnachtswunder

Als ich nach dem Aufwachen die Augen öffne, sehe ich für einen kurzen Moment zwei glühende Knäuel aus Energiefäden, direkt vor, respektive auf meinen Augen.
Statt daß ich die Welt, die mich umgibt, sehe, sehe ich diese zwei Knäuel aus Lichtfäden, aber nicht in meinem Blickfeld, sondern anstatt meines Blickfeldes. Naja, der Eindruck ist fast so, als wären die Pupillen diese Lichtkugeln. Ziemlich ähnlich wie vorgestern, nur daß da aus dem kugelförmigen Zentrum Funken wie Sternspritzer raus gesprungen sind, während heute die Energiekugeln ruhiger sind, eher glühend, und die Struktur eines Wollknäuels haben; ich konnte sehen, wie die leuchtenden Fäden zusammengerollt sind.




(26.12.2016)












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550 Große Alltagsflächen sind nicht mehr nötig

Große Alltagsflächen sind nicht mehr nötig. Nur mehr kleine Basislager.
Nicht tun! Nicht tun!
Alle lieben den Pfad dort, wo sie einsteigen.
Eise sind fließend.
Ich halte immer Ausschau nach extremen Sachen.

Wer sich wundert – ich bin in einem leichten Fieberwahn. Das Ganze ist noch jung, und Husten, Niesen und Schlucken sind unangenehm, aber noch nicht richtig schmerzhaft. Solange es sich so verhält, liebe ich dieses Weggetretensein – ich darf mich von der Welt zurückziehen.
Ins Surren bin ich richtig eingebettet und in den Ohren spüre ich nur selten ein Ziehen. Dieses auf Hochtouren laufende Surren hüllt mich ein wie ein Kokon, gleichzeitig schwebe ich in ihm durchs Universum. Major Tom oder jerusalemitische Geistreise – irgendwo dazwischen.



(25.12.2016)














©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 24. Dezember 2016

549 Kleines, egozentrisches Weihnachtswunder

Als ich heute um halbsechs in der Früh auf dem Weg zum Klo im Finstern die Augen reibe, sehe ich Funken wie von Sternspritzern. Während ich also meine Augen reibe, entstehen auf oder vor den geschlossenen Lidern helle, sprühende Funken, die ich deutlich als solche sehe, ganz deutlich.





(24.12.2016)













©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 23. Dezember 2016

548 Unkatholische Morgenbetrachtung

Indem die Uhr fünf vor acht zeigt ist es fünf vor zwölf.
Nicht ich hole mir eine blutige Nase, sondern die blutige Nase holt mich.
Ein Einkauf wird mir angeordnet, aber ich schreibe noch. Ich überlege schon, was einzukaufen ist und mache eine imaginäre Liste (Gerade noch mein Schreiben gerettet!).
Bald aber wird meine Konzentration verloren gehen, denn die einzukaufenden Lebensmittel fressen sich immer mehr in meine Aufmerksamkeit.

Ein selbstzerstörerischer Ärger über die Kommandostrukturen hier an Bord schiebt sich unter meine Gedanken und links unter meine Körpermitte. Welches Schiff sind wir und wo fahren wir hin? Egal, jedenfalls ist jetzt unangenehmer Wellengang und ich bin eine wenig seekrank.

Die Saiten meines inneren Schreibinstruments sind nun verstimmt. Noch verstumme ich nicht, aber bald ist es so weit. Der Morgen ist kaum noch zu retten, der Alltag hat gewonnen.

Schluß mit der unkatholischen Morgenbetrachtung!





(23.12.2016)













©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

547 Mir ist kalt




Kalt. Mir ist kalt. Als eine frierend ängstliche Gestalt hocke ich zusammengekrümmt im Bett.
Ich will das jetzt von innen heraus ändern.

1.)  Ich wehre mich nicht mehr gegen die Kälte, sondern akzeptiere sie.
2.)  Ich verbanne dieses Bild einer mageren, ängstlich frierenden Frau, die ihre Hände übereinandergelegt vor ihrem Solarplex hält, die Schulter vorgestreckt mit mitleiderhaschendem Blick, aus meinen inneren Kino.
3.)  Ich atme tief und ruhig.
4.)  Ich lege mich flach hin, decke mich zu und drehe das Licht ab.





(22./23.12.2016)










©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


546 Unter alten, kettenrauchenden Damen

Ich sitze im Raucherzimmer eines Cafés unter lauter alten, kettenrauchenden Damen, weil im kleinen Nichtraucherbereich „kein Platz für [mich] war“ (Lk 2;7). Ich halte den Tabakrauch aus, weil ich mich gestern schon beweihräuchert habe. Feinstaub bleibt Feinstaub und „anrachig“ bleibt „anrachig“ (aus einem mir unbekannten steirischen Gedicht; Danke Peter Waugh).
Eine Szenerie wie aus dem vorigen Jahrhundert, mitten in der Stadt wie in einem Vorstadtcafé. Ich kann diesem süchtigen Saugen und Einatmen durchaus etwas abgewinnen, beinahe bekomme ich Lust aufs Rauchen. Dieses gierige und tiefe Einsaugen mit aufgerissenen oder geschlossenen Augen wirkt so welt- und leidensintensiv – man nimmt diesen Leute alles ab, was sie erzählen. Woanders schauen sie vielleicht cooler drein, wenn sie beim Rauchen posieren. (Wäre ich jetzt in einem hinduistisch-buddhistischen Yoga-Zen-Café – wenn es soetwas gibt – ich würde sofort Asket werden wollen. Mein Magnetfeld ist zu schwach, alles, was mich umkreist oder umgibt, übt eine starke Anziehungs- seltener auch Abstoßungskraft aus.)

Die Kaffeemaschine röhrt geradezu herzergreifend und zischt siebenmal die Tonleiter rauf und runter. „Du mußt lesen, was der Taxifahrer sagt!“ rät eine abgehackt sprechende alte Frau ihrem Gegenüber, dem Riegel mit dem Rücken zu mir. Die Krawallzeitung als heilige Schrift. Aber ich bin genauso leer. Der Muskel links über dem linken Auge beginnt zu zucken; wie immer, wenn ich in tabakverrauchten Räumen bin und/oder echten Kaffee trinke.
Der laute Rülpser des Riegels war echt, keine Halluzination.

Gut, mitten in der Stadt ist relativ; immerhin bin ich jenseits des Donaukanals.

Ich gehe jetzt.




(22.12.2016)

















©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

545 Ein blöder Text

Traumverwirrt aufgewacht kann ich, indem ich mit niemandem spreche, meine Erinnerung an den Traum noch eine halbe Stunde halten und das meiste aufschreiben. Nach Beendigung der Niederschrift lasse ich den Traum los, aber er bleibt noch ein wenig da.

Den Traum aufzuschreiben war genau betrachtet eine seelische und geistige Anstrengung; nämlich die Balance zu halten zwischen einerseits dem Aufbau von Alltagsrationalität und Denken um schreiben zu können, aber andererseits nicht so scharf und stark, daß dabei die Reste des Traumbewußtseins und damit die Traumerinnerung verloren gehen. Wach genug sein und gleichzeitig noch in den Traumgefühlen zittern.

Jetzt rutsche ich wieder mehr ins Traumbewußtsein zurück, jedoch bei schwarzer Traumkinoleinwand vor meinem inneren Auge.

Meine Konzentration löst sich auf. Und noch etwas, das ich vergessen habe.

Ein zu einer festeren Masse erstarrtes Leuchten um meine Hände beginnt hin und her zu rutschen in einem zwanghaften, armseligen Tanz.

Keine Zahl, wieder keine Zahl.

Wegen dem abgestandenen Weihrauchgeruch in meinem Zimmer befürchte ich – in phantastische Gedankenläufe abgerutscht – eine Drogenrazzia bei mir. Aha, der uralte und schon fad gewordene Ich-werde-unschuldig-verfolgt-Mythos; der scheint tief in mir verankert zu sein; hat sich festgekrallt. Interessant, daß ich mir dabei trotzdem schuldig vorkomme. Als ginge es darum, mir selber meine Unschuld laut vorzusagen. Damit ich es weiß.
Ja, ja, viele Therapeuten kommen aus zu feinen Familien.

Mit dem Kopf am Polster angewachsen strecke ich meinen Leib – wie die Seeanemone ihre Fangarme – ins Traumgewässer, das mich umgibt.

Wenn wir die hölzernen Kochlöffel mit meinem Namen markieren, oder mit ML, dann kann der Büttel der Hygienekommission nicht gegen uns vorgehen. (Gehört auch zum obigen „Mythos“)

Auch der diesseitige Arzt sagt, meine Stimme ist nicht voll entfaltet, sondern blockiert. Ich denke, es ist schon zu spät. „Ich erhebe meine Stimme.“ In der Versammlung der Freien steht man (!) auf und spricht und die anderen Freien hören zu und die Stimme zählt.




(22.12.2016)










©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

544 Der Geruch von kaltem Rauch

Der Geruch von kaltem Rauch kitzelt meine Nase. Im Blickfeld vor mir fangen Punkte zu tanzen an. Dunkle Punkte, keine leuchtenden Punkte. Die Schatten sind etwas verhaltender, als sie es am Morgen waren.
Fast finde ich es schade, daß die Tage wieder länger werden. Das sage ich jetzt, nicht im Februar. Ich habe die Adventzeit noch nicht richtig gespürt draußen. Ich brauche noch die langsame Dämmerung, die schon mitten am Nachmittag beginnt. Den langsamen Übergang, den Nebel, richtig dichten Nebel. Und das Warten. Die Stadt … nein, mit Stadt – Land hat es nicht viel zu tun, aber ich sehne mich manchmal nach dem Land, doch auch dort werden viele Straßen nie mehr still.
Es fehlt mir die erwartungsvolle Dunkelheit; hier spüre ich die Jahreszeiten wenig.
Ich passe nicht in diese Gegenwart.

Freilich ist es überheblich, so zu reden.




(21./22.12.2016)








©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

543 Rumms!

Von einem Rumms! bin ich aus einem verlorenen Traum aufgewacht. Wie ein Ruck, der durch die Wirklichkeit gegangen ist. Unklar, ob durch diese hier oder die andere drüben. Wie eine plötzliche, seismographisch meßbare Verschiebung; nicht extrem stark, ein kleiner, aber lauter Ruck, dann ist es wieder ruhig. Oder arbeitet gerade eine Schamanin oder Yogini irgendwo dort unten an der Wirklichkeit herum? Der Scherz funktioniert nicht, momentan ist mir das innere Lachen vergangen, ich bin ganz ernst. Ich empfinde eine Kälte in mir, als würde ich von innen erfrieren. Es ist noch extrem früh, noch nicht einmal fünf. Ich schaue mich in der mich umgebenden angefüllten Leere um. Nichts. Kein Funke springt über. Die Wände sind „sprachlos und kalt“, besser kann man es nicht ausdrücken.
Auch meine geliebte Altarwand bleibt kalt wie eine fremde Erinnerung an ein fremdes Kind, das hier einmal gewohnt hat. Als wäre es ein anderer, der hier umherblickt, einer, dem das alles nichts sagt.

Ein Seufzer, der sich einfach so gebildet hat. Ein Anklang von einem Lebenszeichen, auch er wirkt eingefroren wie der Posthornton bei Münchhausen. Dieser Versuch zur Lockerung, er hilft nicht: kein Lächeln.

Die Katzen assistieren mir; wie aus einer entfernten Erinnerung heraus streichle ich einer übers Fell; aber nur kurz, auch ihr fremd gewordenes Schnurren bricht bald wieder ab. Ich versuche es nochmals und ein schwaches, nur schwach lebendiges Energiefeld entsteht an meiner Handfläche, dann löst es sich gleich wieder auf.

Der zweite Seufzer, obwohl etwas flacher, geht tiefer hinein. Vielleicht komme ich jetzt langsam zurück.

Ich denke: es ist ein Wahnsinn, alles unter dem Titel „Schuld und Sühne“ zu betrachten und anzugehen, denn wir „wissen nicht, was [wir] tun“. Wo kommt das jetzt her? Sind das meine Gedanken? Eine fremde Installation? Es „kracht im Gebälk“. Eigentlich krachte es bei meiner Altarwand.
Was ist denn jetzt los? Warum das Knacken und der Zitierfimmel? Weil ich keine eigenen Worte mehr habe? Oder merke ich soeben erst, daß ich die ganze Zeit keine hatte? Ich werde jetzt wieder einzuschlafen versuchen. (Vergeblich.)

Eine neue Seite im Notizbuch, wie ein Neustart. Weg vom verstiegenen Geschreibsel. Alles ist wieder leer. Ich beginne nocheinmal von vorn.

Das Bild mit dem magischen Schwimmbecken wandert immer höher, aber ändert seine Position nicht. (Ich tippe auf Kreislauf.)
Mein Blick entzündet Sankt-Elms-Feuer auf meinen Büchern an der Wand.
Ich sehe einen schwarzen Punkt durch mein Gesichtsfeld sausen, plötzlich und schnell wie eine Sternschnuppe.
Die Leselampe wirft nur schwache Schatten, aber diese haben es in sich; bei einem meint man, der werde gleich losspringen.
Beinahe höre ich die Botschaft der zwei glurrenden Visionäre.
Der Schatten des einen Walkingstockes wirkt stärker als dieser selbst.




(21.12.2016)








©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

542 Unbehagen

Unbehagen. Mich beschleicht die Erkenntnis, daß ich innen hohl bin. Dort, wo der Wesenskern, das innerste Selbst wirken sollte, ist nichts. Daß ich alles nur spiele, ohne Substanz, fremdgesteuert (so ähnlich wie Kinder die Erwachsenen nachahmen, wenn sie Lokomotivführer, Vater und Mutter, oder meinetwegen auch (wie ich damals) Priester spielen). Das klingt sehr nach Koketterie, im Moment meine ich es jedoch ernst. Es ist nichts da. Es würde mich auch nicht wundern; es paßt gut zu meinem Aufwachsen.

Natürlich glaube ich zu wissen – aber bloß von der Idee abgeschaut! – daß es irgendwo tief drinnen diesen Kern gibt, aber ich fühle ihn nicht; ich bin davon abgeschnitten, das „Wissen“ also nicht aus eigener Anschauung und Empfindung. Das würde viele meiner Reaktionen erklären und meinen starken Hang zu Glaubenssystemen (und meistens habe ich mir schon die besseren ausgesucht!).

Im Übrigen bin ich nicht der einzige Hohle; es laufen viele herum, mehr oder weniger gut getarnt.



Viel später

Die herumirrenden Gedanken heben sich gegenseitig auf. Dabei drängt es mich, etwas zu sagen, aber ich kann es nicht fassen, schon gar nicht in Worte. Es sind unangenehme Erkenntnisse. Die richtigen Worte finde ich nicht. Ich warte, bis mein Seismograph ausschlägt.

Ich bin wieder woanders hingeraten. Vielleicht ist es gut so.





(20.12. ergänzt und überarbeitet 22.12.2016)












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541 Die Gefühle der Ohnmacht

Es geschieht in der Welt genug, das mir Angst macht. Eigenartig ist mein Gefühl, von meiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Jahre, Jahrzehnte lang konnte ich mich durchschummeln, aber jetzt kommt es näher. Die Bedrohungen meiner Kindheit kommen wieder – so empfinde ich es. Ich muß mich stellen. Aber was ist das wirklich? Die Gefühle und Gedanken dazu sind verwirrend. Ich vermute, daß es die Gefühle der Ohnmacht sind. Dem habe ich nichts entgegen zu setzen. Über Jahrzehnte konnte ich eine gewisse Souveränität vortäuschen – obwohl es immer welche gegeben hat, die das durchschaut haben – jetzt – so fürchte ich – wird es offensichtlich werden. Ich fürchte, jeder wird das Zeichen lesen können, mit dem ich bezeichnet bin: zum Abschuß freigegeben. Ich bin aufgeflogen.

(Na, komm! Gib nicht so an!)
(Wenn ich in mich hineinhorche, klingt das aber so.)




(Nacht vom 19. auf den 20.12.2016)














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Montag, 19. Dezember 2016

540 Ein neuer Text soll entstehen

Ein neuer Text soll entstehen. Es herrscht jedoch noch Flaute. Ich habe gerade einen komplexen Traum aufgeschrieben und dann meinen Kindern einen guten Schultag gewünscht. Ich bin dafür aufgestanden und hinunter gegangen. Und jetzt fällt mir nichts ein. Ich weiß, ich muß nur warten, dann wird sich schon etwas zeigen.

Ich habe bereits Weihnachtsurlaub und an freien Tagen fällt mir das Schreiben schwerer. So schaut es zumindest aus. Ich habe wohl ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht arbeite und die anderen Familienmitglieder schon. Das kommt mir verdreht vor. Meine Gedanken sind nicht frei, sondern kreisen um das und um was ich heute alles erledigen will und soll und darum, wie ich das schaffen kann. Es ist noch alles offen und gerade das bindet mich und hemmt meinen Gedankenfluß. Ich höre meine Frau unter ihren Mühen stöhnen, während ich hier im Bett liege und faulenze. Obwohl ich schreibe beziehungsweise zu schreiben versuche. Das ist der Nachteil meiner klandestinen Schriftstellerei, daß sie mit keinen Berufsschutz gewährt. Denn damit verdiene ich kein Geld und trage nichts bei. Somit ist meine Schreiberei, die ja auch einen Lichthof aus Nichtstun und Muße und vergeblichem Suchen braucht und Zeit für das Einstellen der inneren Schreibinstrumente, eine Schmarotzertätigkeit. Ein Teufelskreis, weil dies meine Schreiberei und die unbefangene Inanspruchnahme meiner Zeit dafür schwächt, was mich noch mehr ins Abseitige treibt. Die jugendliche Unverfrorenheit, es trotzdem zu tun – nun, ich möchte nicht sagen, daß sie fehlt, aber sie tut sich ohne optimistische Zukunftsperspektive schwer. Sie droht in sich zusammenzufallen und das Gefühl der Vergeblichkeit tritt schnell vom Rand in die Mitte.

Ich könnte ja statt schreiben die Wohnung putzen, notwendige Reparaturen durchführen oder mich um deren Erledigung kümmern, einkaufen gehen und so weiter. Ein Gefühl, mit meiner Schreiberei meine Familie im Stich zu lassen, schleicht sich ein und wird immer stärker. Ich kann ja nicht mehr daran glauben, daß daraus irgendwann noch etwas entsteht, mit dem ich meine Schulden und Kredite an meine Umgebung zurückzahlen kann. Was heißt! … glauben tu ich es noch, aber ich komme mir dabei sehr weltfremd und unrealistisch vor und fürchte, ich muß diesen Glauben als infantil und neurotisch aufgeben.
Mein Einkommen aus dem Job reicht auch nicht aus, um selbstbewußt aufzutreten und das Recht auf Selbstbehauptung zu begründen. (Und ein echtes, tragfähiges Selbstbewußtsein ließe sich darauf sowieso nicht aufbauen.) Es gibt schon einen Teil in mir, der nicht nachgibt und weiterhin an meine Chance glaubt und es bis zu meinem Tod glauben wird. Ein verrückter Narr, der momentan nur sehr schwach durchkommt.

Oder anders gesagt: darf ich mich so viel und auf diese Art mit mir selber beschäftigen?





(19.12.2016)










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539 Ich fürchte Herzversagen

Herzversagen, ich fürchte Herzversagen.
Liebe LeserInnen! Laßt euch nicht in die Irre führen. Meine beschreibende Suche findet ja weniger in der raumzeitlichen Wirklichkeit, als bloß in meinen inneren Vorstellungs- und Gedankenwelten statt. Nicht ausgeschlossen, daß da Botschaften zum Beispiel aus der körperlichen Wirklichkeit hineinruschen oder daß diese Gedanken selber wiederum in der körperlichen Welt wirken, aber  … ihr wißt schon – ein weites Feld, da gibt es alles, Wahnvorstellungen, Hypochondrie, implantierte Fremdkörper, Koketterie und so weiter. Also nochmals von vorne.
Herzversagen, ich fürchte Herzversagen. Ich meine, mein Herz hat schon oft versagt – Empfindungen und gelebte Empathie waren nie meine Stärke. Und ob ich den „Weg mit Herz“ gefunden habe? Wenn überhaupt, dann wohl zu spät. Nein, mein Herz ist auf eine ängstliche Art verschlossen; ein offenes Herz habe ich sicher nicht. (Ich setze gerne den Strichpunkt, weil ich einmal gelesen habe, daß davon die Rede ist, den abzuschaffen; ich finde, man kann damit zwischen zwei Aussagen eine Verbindung ausdrücken, die enger als bei einem Punkt ist, aber distanzierter als bei einem Beistrich.) (Ich fürchte tatsächlich, daß mir aussterbende Strichpunkte näherstehen, als – was weiß ich!)

Ich bin jetzt am helllichten (eigentlich mag ich die neue Rechtschreibung nicht. Ich finde es bürokratisch, hier drei l schreiben zu müssen, statt sich eine Abkürzung gönnen zu dürfen. Aber weil es kurios ausschaut und mir der Computer das zweielige unterstrichen hat – sei's drum!) Nachmittag so müde, daß ich mich ins Bett gelegt habe – mein liebster Aufenthaltsort und Lese- , Schreib- und Meditationsplatz – und mir fallen die Augen zu. Was ist mit meinem Geist und meiner Seele los? Oder ist es mein Körper, der nicht mehr will? „Du Joseph, ich mag nicht“. Streikt der Esel auf dem Weg nach Bethlehem? Auf der Flucht nach Ägypten? Oder beim Einzug in Jerusalem? Ist das Kind noch vor der Geburt? Auf der Flucht? Oder reitet es erwachsen auf seinen baldigen Tod zu?

(Wie gesagt, liebe LeserInnen, laßt euch von mir und mein Gehabe nicht ins Bockshorn jagen; auch wenn vermutlich gleich ein Klagelied folgen wird.)

Meine provisorische Existenz! Mein Gott! Wie ist meine Existenz provisorisch! Mein Zimmer: ein Provisorium! Meine Wahrnehmung: provisorisch! „Der Duft der weiten Welt“ (Zitat Kurt Sowinetz): provisorisch! Meine Notizen – provisorisch (ich verweise auf das Vorige und auch auf den nächsten Absatz).

Ich liege da und ich lache über meinen selektiven Fanatismus. Ich wähle etwas aus und bin dann darin fanatisch. Dann ermüdet mein Fanatismus, ist erschöpft und ich werde legerer; doch dann erholt er sich nach einiger Zeit und ich wähle wieder etwas aus und …







(18.12.2016; überarbeitet am 19.12.)









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Freitag, 16. Dezember 2016

538 Mein Wecker geht pro Tag fünf Minuten vor

Abend. Nacht. Dazwischen ist nichts passiert. Nichts Schriftliches.
Jetzt geschieht auch nichts. Hier. Zumindest nichts, was ich als beschreibungsfähig wahrnehme. Wobei dies ja auch eine Frage der Interpretation ist. Oder so ähnlich.
Ich meine, mein Herz klopft – zum Beispiel. Und was passiert alles, ohne daß ich es merke? Rundherum oder in mir? Irgendwelche Zellen arbeiten wie verrückt herum und verhindern gerade noch irgendwas, oder arbeiten ganz normal oder umgekehrt.
Oder im angrenzenden Haus. Irgendwer wälzt sich schlaflos im Bett, oder schreibt Briefe (analog oder digital), telefoniert, hm … oder umgekehrt: das Bett wälzt sich herum – ja, ja, ich weiß – äußerst unwahrscheinlich, aber was weiß ich schon, was zwischen Himmel und Erde alles möglich ist!? Jetzt zum Beispiel höre ich Schritte, und kaum sind sie verklungen, geht im Lichtschacht die Lüftung los. Das ist doch was!
Einige werden schlafen, und wieviele anorganische Kundschafter gehen in ihren Träumen ein und aus?
Staubmilben zum Beispiel, zwei lieben sich gerade und zeugen Nachkommen. Könnte ja sein, ich weiß doch nicht, ob und wann die Paarungszeiten haben.
Elektronen kreisen. Kräfte wirken.
Das Lüftungsgeheule hat soeben aufgehört, aber was machen die Luftschwingungen jetzt? Sind die heim gegangen? Und wo wohnen sie?
Oder wieviele Zellen meines Körpers beschäftigt meine aufkommende Weihnachtsstimmung? Oder umgekehrt, wieviele Zellen lassen sich nicht anstecken?
Was macht meine Leber gerade? Hat sie Dienst?
Oder warum geht mein Wecker immer vor? Wer hat das veranlaßt? Und was alles passieren mußte, daß genau dieser Wecker, hier bei mir, vor geht!? Meine Eltern mußten mich zum genau richtigen Zeitpunkt gezeugt haben, dieses Sperma, diese Eizelle, genau diese Genmischung (hauptsächlich slawisch, germanisch, keltisch). Die Fabrik, die den Wecker produziert hat, die ArbeiterInnen, ihre Zeugung, der psychologische und soziologische Hintergrund, der Techniker, der Ingenieur – inklusive Zeugung und dem ganzen Pipapo, die ganzen Generationen vor uns, die das alles aufgebaut haben, das richtige Luftgemisch, das auf unserem Planeten entstehen mußte, damit hier Leben möglich ist, der Meteoreinschlag, der die Dinosaurier erledigt hat. Die richtigen Materialien, daß Wecker hergestellt werden können, das richtige Klima, nicht zu heiß, nicht zu kalt; überhaupt: der Urknall!
Das alles, damit hier und jetzt – und schon seit längerer Zeit – und ich wage die Prognose – noch länger in Zukunft – mein Wecker pro Tag um fünf Minuten vor geht!
Die Batterien habe ich ganz vergessen; wer aller daran gearbeitet hat; die Erfinder, ein jeder auf den Schultern seiner Vorgänger stehend; die kosmischen und irdischen chemischen und physikalischen Prozesse. Die psychologischen und soziologischen Entwicklungen, daß das Bedürfnis nach Weckern entsteht. Also eine Nachfrage – ja, verdammt! Die Wirtschaft dahinter! – die behauptet doch immer, daß sie die Grundlage für alles ist. Und zwar immer schon! Die Wirtschaft des Urknalls, die Wirtschaft der Religionssysteme – ich kann das jetzt nicht lückenlos ableiten, aber es ist evident, daß ohne Klöster  und ihre geregelten Zeiten für das Stundengebet und ihre fabricae genannten Wirtschaftsgebäude weder das Bedürfnis nach Weckern, noch die Fähigkeit, sie zu erzeugen, entstanden wären.
Meine Erziehung – familiär und gesellschaftlich, der ganze psychologische Background, daß ich so geworden bin und nicht ein Winnertyp, der entweder gleich bessere Wecker kauft respektive kaufen läßt oder falsch gehende sofort ins Geschäft zurückbringt respektive zurückbringen läßt und auf Schadenersatz klagt und außerdem noch eine Armada an Spitzenjuristen auf das vor-gehende Wecker-verkaufende Geschäft jagt.
Ja und die Wissenschaft dahinter! Angefangen bei Lao Tse und die Sumerer. Nein, noch viel früher!
Es ist einfach überwältigend!

Glücklich der Mensch, der einen Wecker hat, der pro Tag fünf Minuten vor geht!

Ja nicht vergessen: der Rationalisierer in der Weckerfabrik, der aus Einsparungsgründen vorgeschlagen hat, den früher bei Weckern üblichen kleinen Schieber abzuschaffen, mit dem man/frau die Mechanik beschleunigen oder verlangsamen konnte (+ -).





(15./16.12.2016)













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Donnerstag, 15. Dezember 2016

537 Meine Altarwand

Der Jesus, der so streng dreinschaut; rechts darunter der Jesus, der lächelt. Oben Mitte rechts das leere Grab und der jubelnde Engel - eine bunte, strahlende Kinderzeichnung meiner jüngeren Tochter für mich. Das erste übrigens ist ein kleines Photo einer Ikone, das zweite eines von einem Weinfaßrelief aus Heiligenkreuz. Ein unbekanntes Gesicht, nur in Resten erhalten – Virgilkapelle. Ein Schutzengel (Ikonenreproduktion). Eine kleine, wunderschöne, abstrakte Arbeit der frommen Künstlerin Jana Vizjak in einem halbwegs ordentlichen Glasrahmen.

Ganz oben, unmittelbar unter dem Plafond, so eine Art Jesusbild, noch von mir gemalt, als Heiler dargestellt, aber schon fast karikaturhaft, wie es halt so meine Art war (oder Un-Art). Weiter herunten, noch über der „Ikonostase“, also der Fläche mit den dicht nebeneinander hängenden Bildern, eine Reihe getrockneter Blätter, einfach an die Wand gepinnt.

Die weiteren Bilder darunter sind: eine innige Zeichnung einer Kirchenszene (Heilige Messe) meiner älteren Tochter, als sie noch jünger war, extra für mich. Ein Porträt von meiner jüngeren Tochter, als sie noch sehr klein war, das mich darstellt, unrasiert. So eine Art Fußballemblem, ebenfalls ein Geschenk meiner Kinder, wie es auch ein gemalter Apfel ist.  - Ich habe meinen Töchtern immer gesagt, ich freue mich über Zeichnungen und Bilder oder Basteleien von ihnen; sie können mir immer solche selbstgemachten Bilder schenken, ob zu Weihnachten, zum Geburtstag oder Vatertag, darum gibt es noch mehr davon auf meiner „Altarwand“. Dann auch unser Hochzeitsphoto aus dem Gasthaus. Ein kleines Heiligenbild der Maria Magdalena und eines der Teresa von Avila. Eine einfach an die Wand getackerte Kopie eines Photos der Grabplatte Johannes Taulers, weil ich über seine Himmelfahrtspredigten meine Diplomarbeit geschrieben habe (Grab - Himmelfahrt: ein unauffälliger Widerspruch in sich) - ja, das ist wirklich mein Thema. Ein kleines Bild einer Marienikone aus Jerusalem, das mir jemand vom russisch-orthodoxen Kirchenchor von einer Israelreise mitgebracht hat, als ich noch im Chor mitgesungen habe, es stellt die Gottesmutter mit dem Jesuskind dar. (Für döbranitische Leser und Innen betone ich nochmals: mit dem Kind!) Ein Bild eines Kreuzemblems aus der unterirdischen Wiener Virgilkapelle. Eine glückverheißende Geburtstagskarte der Lieblingstante meiner Kindheit zu meinem Sechziger. Die Einladungskarte zu einer Theateraufführung, an der meine ältere Tochter mitgewirkt hat.

Auf einer kleinen Konsole – diese ist auch eine Bastelarbeit meiner Kinder – sind hinter einem kleinen Standräucherfäßchen ein paar Steinchen übereinandergeschlichtet, die ich irgendwo gefunden habe. Darunter auf einer größeren Wandkonsole eine Räuchervorrichtung mit Teelicht. An der Seite dieser Konsole ist ein Nagel eingeschlagen, an dem ein kleines, traditionelles Räuchergefäß hängt, eines, das man richtig hin und her schwingen kann. An diesem Wandbrett lehnen noch meine Walkingstecken (für deutsche LeserInnen: -stöcke). Darunter steht der Sessel (für deutsche LeserInnen: Stuhl), auf dem ich mein Gewand, das ich in Benutzung habe, des nachts ablege.

So ungefähr schaut meine Hausaltarwand aus. Ich weiß nicht, wie die auf außenstehende Betrachter-Innen wirkt, ob diese Altarwand fromm oder unverschämt ausschaut; mir kommt sie trotz meines lockeren, legeren Umgangs frömmer und christlicher vor, als ich es bin. Aber ich kann nur sagen, immer wenn ich im Bett liege und diese Wand anschaue, freue ich mich über sie, auch wenn ich manchmal innerlich über die leichte Absurdität dieser Zusammenstellung lachen muß. Meine Frau macht sich gern ein wenig lustig darüber, daß ich so viel Spaß mit mir selber und meinen Taten und Gedanken habe. Gell, sie hat nicht unrecht, aber mir verschafft das Erleichterung.

Ja, ich freue mich wirklich über meine Altarwand. Ich weide meine Augen auf ihr, und ich freue mich schon, wenn ich wieder mein Räucherzeugs voll anwerfen kann. Ich habe Weihrauch in verschiedenen „Geschmacks“richtungen und Mischungen.





(14./15.12.2016)















©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 14. Dezember 2016

536 Kurze Reflexion über meinen literarischen Erfolg

Als ich vor nicht einmal zwei Jahren plötzlich „literarisch“ zu schreiben begonnen habe, hat sich bald mein pubertärer Wunsch nach Entdeckt-Werden eingestellt und mich und meine Schreiberei eine zeitlang beflügelt. Einfach, indem ich glaubte, daß das möglich und realistisch ist.

Jetzt ist es anders – jetzt gefällt mir die Situation, einfach und unbehelligt für die Schublade zu schreiben und alles einfach und unkontrolliert im Internet zu veröffentlichen. Ehrlich gesagt, ich hätte ordentlichen Schiß davor, mich einem Verlag, LektorInnen, KritikerInnen, der Öffentlichkeit stellen zu müssen. (Nebenbei: ist es angebracht, an dieser Stelle die weiblichen Pluralformen mit zu verwenden, wo es um Angst und Kritik geht, wo ich diese lästigen Formen sonst fast gänzlich ignoriere? Und ich bin mir sicher, ich habe mehr Angst vor männlichen Kritikern und Lektoren!) Ich trau mir das, verstärkt durch mein Alter, gar nicht mehr zu. Ich meine, wie sollte ich als Debütant mit meinem Debüt zurechtkommen, wo man/frau dabei normalerweise – sagen wir – zwanzig ist? Ich käme mir blöd vor. Verschärft noch dadurch, daß große Teile meiner Seele – auch auf Grund des fehlenden sozialen Status – tatsächlich auf der Stufe von – sagen wir – zwanzig stehen geblieben ist. Damit – um nicht zu sagen: mit dieser Unreife, mit diesem Status des Nicht-Initiierten – könnte ich aber auch nicht die Rolle eines abgeklärten, alten Mannes und welterfahrenen Schriftstellers spielen, sollte man/frau mich so ansprechen und aufnehmen wollen.

Es ist einfach eine unmögliche Situation, die ich nur lösen kann, indem ich alleine vor mich hinschreibe und das auf und in meine Schublade stelle.

Nur Lesungen kann ich mir vorstellen, aber in einem ganz unspektakulären und – um ein Modewort zu verwenden – niederschwelligen Rahmen, wo kein Umfeld einen Erwartungszirkus aufbaut.


Gut, das Sich-Blöd-Vorkommen würde ich schon auch in Kauf nehmen.






(14.12.2016; nach der Lektüre von Karl Ove Knausgård,  „Dorthin, wo die Erzählung nicht kommt“; in „Das Amerika der Seele“; Luchterhand 2016)

















©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

535 Es ist Mitternacht

Aufatmen. Durchatmen. Die kalte, frische Vollmondluft strömt herein. Meine Körpermitte fängt zu vibrieren an, wie ich es nur nach ganz großer Anstrengung kenne; ich weiß jedoch von keiner ganz großen Anstrengung, nicht in dem Bereich, den mein alltägliches Bewußtsein kennt und erreicht.

Ich habe schon wochenlang nichts mehr von meinem Surren geschrieben, obwohl es mich ständig begleitet, jetzt aber läuft es wieder auf Hochtouren.

Aus dem Lichtschacht höre ich eine Klospülung zurückhaltend rauschen und die „zarten“ Geräusche eines Handys, das abgedreht wird. Ich registriere beim Schreiben viele Rechtschreibfehler, legasthenische und andere Verschreibungen. Bin ich doch erschöpft? Gleich kommt der Reflex zum seufzenden Durchatmen.

Dann zerfallen meine Gedanken in nicht mehr faßbare, nicht mehr erinnerbare Einzelteile. Es ist wie mitten im Chaos ins Leere starren.
Dann wieder durchatmen.
Und nocheinmal ein tief luftholender Seufzer.

Ich warte. Ich warte darauf, daß sich irgendetwas zeigt. Außen oder innen.

Wieder ein tiefer Atemzug. Erleichtert, wie nachdem man etwas geschafft hat. Aber was habe ich geschafft? Es ist Mitternacht. Der 13. Dezember 2016 ist zu Ende. Der 14. Dezember 2016 beginnt. Das Leben besteht aus lauter solchen Tagen; ihre Anzahl ist begrenzt, nicht unendlich. Das zu sagen ist banal, aber jetzt spüre ich diese Erkenntnis.

Ein Seufzer.
Ich versuche, bewußt alle Gedanken loszulassen, auf daß sie zerrinnen.

Ein Seufzer; auch er muß sich gegen den eisernen Ring um meine Brust anstrengen. „Heinrich, der Wagen bricht! ...“

Fast ein wenig übertrieben, fast ein wenig hysterisch saugt meine Lunge wieder die Luft für den nächsten Seufzer ein.


Der Atemzug jetzt jedoch war tief, ruhig und fließend.






(13./14.12.2016)











©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 13. Dezember 2016

534 Wir liefern heute keine Begründungen

Welche Unruhe die Katze ins Zimmer bringt mit ihrem ständigen Hin- und Herwuseln.
Wie arm Freund R ist, weil er … Keine Begründungen! Wir liefern heute keine Begründungen!
Die Schritte über die Stiege hallen ganz leicht in meinem Kopf wider; ich spüre sie wie sanfte Trommelschläge an der Innenseite meiner Schädeldecke, kaum mehr als ein Hauch davon.
Keine Begründungen deshalb, weil sie meistens Rationalisierungen sind (wird behauptet) (1).
Die Stimmung im Zimmer ist jetzt entspannter, weil sich die Katze beruhigt und am kleinen Teppich ausgestreckt hat (2).
Ich bin mehr der kontemplative Typ, weil ich mich lieber den Herausforderungen von innen als denen von außen stelle (3).
Wie schön die Katze daliegt. Aber jetzt, in diesem Moment, steht sie auf und verläßt mein Zimmer.
Die Stimmen vom Frühstückstisch kommen bis hierher, aber ohne daß ich sie verstehen kann. Sie verbreiten hier ihre Stimmung und geben mir das Gefühl, gleichzeitig dabei und nicht dabei zu sein. (Vielleicht, weil ich sie höre, aber nicht verstehe (4)).
Die Katze kommt wieder herein und beginnt wieder mit ihrem unruhigen Gewusel.
Jemand rutscht auf der Stiege aus und das löst bei mir einen kleinen Schock aus, den ich in der Herzgegend spüre. Aber es ist überhaupt nichts passiert.
Die Katze beruhigt sich halbwegs.
Draußen entsteht Unruhe, denn es wird Zeit, den Weg zur Schule anzutreten (5).
Man muß sich von etwas nicht beeindrucken lassen, nur weil es einen wissenschaftlichen Namen hat.
Unten beginnt der Umbau zur Tageskinderstätte, wie ich höre.
Ich bin sicher nicht das Zentrum der Welt. Aber das macht nichts; die meiste Zeit habe ich mich damit abgefunden.
Die andere Katze kommt, die ältere; sie strahlt viel mehr Ruhe aus, obwohl auch sie unnachgiebig meine Aufmerksamkeit einfordert.
Ich stelle an mir eine große Empfindlichkeit, was Advent- und Weihnachtsfeiern betrifft, fest. Ich kann es einfach nicht verstehen, wie man daraus Partys und bloße Familienfeste machen kann und nicht das Hereinkommen des Transzendenten in diese unsere Welt – wie es eigentlich bei jeder Geburt geschieht – feiern kann und vorher das freudige Warten darauf. Möglicherweise gehörte ich in ein Kloster. Die ersten Tageskinder unten, die gerade ankommen, bringen mich wieder auf andere Gedanken.
Ich bin schon hungrig. Ungewöhnlich um acht Uhr früh, weil ich normalerweise erst gegen Mittag frühstücke (6).
Ich amüsiere mich gerade über meinen „Hausaltar“ mit seinen drei verschiedenen Räucherungsvorrichtungen.
Vielleicht ist meine ganzes Weihnachtsgetue doch nur fundamentalistischer Mist, weil ich das sowieso überall anwesende „Transzendente“ (oder Nagual) nicht wahrnehmen kann (8).
Ich werde unten die Scheibtruhen und Dreiradler schmieren; sie quietschen schon erbärmlich. Erbarmen mit Dingen. Ich entschuldige mich ja auch manchmal bei Dingen, wenn sie mir zu Boden fallen zum Beispiel, so wie heute beim Ankleiden bei meiner langen Unterhose. „Thingsliberation“ fällt mir dazu ein, „denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. (…) Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (9). Das sagt Paulus (Röm 8;19,21,22), den ich überhaupt nicht mag. (Der wird sich im Grab umdrehen, wenn ich ihn mit den Verrückten der Zeitschrift „Humus“ aus den späten Siebzigern, den frühen Achtzigern zusammenspanne!) (Aber ich liebe es, abstruse Zusammenhänge herzustellen, um ebensolche aufzudecken (10?)) (Ist das eine Begründung? Eher nicht. Ich zähl's trotzdem!) (Weil ich in meinen Texten ja völlige Freiheit habe, zu schreiben und zu zählen, was und wie ich will! (11)).
Ich bin hungrig. Sollte ich wirklich schon jetzt frühstücken? Dann wird es mit dem Üben heute schwer, weil mit vollen Bauch … (12).

1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7 – 8 – 9 – 10 – 11 – 12. Zwölf Begründungen. Das ergibt heute ein Bußgeld von zwölf Euro.

Ich werde mir jetzt unten eine schönen Auftritt gönnen!







(13.12.2016)













©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 12. Dezember 2016

533 Das Bett ist mein Zufluchtsort

Nacht. Ihr versteht das nicht! Ihr könnt' euch das nicht vorstellen, wie es ist, wenn einem das Innerste zertrampelt wird. Ganz fremd in der Welt. Die Zugbrücke zum Du fällt ins Leere.

(Steig wie an einer Strickleiter hinunter und gehe einfach los!)


Morgen. Die Seele ist ein empfindsames Gebilde. Oder ein empfindliches. Eine Kleinigkeit kann sie umstoßen, daß sie in Verzweiflung stürzt. In bodenlose Verzweiflung.
Ein Teil – ist es der Geist? - scheint nicht so stark involviert zu sein und schaut ihr dabei zu. Dessen Distanz rettet sie. Sie ist dadurch von ihrer Verzweiflung etwas abgelenkt. Der Schmerz in der Körpermitte läßt nach. Der Geist „weiß“, daß sich seine düsteren Gedanken wieder ändern werden. Er kann sich erinnern. Dem anderen Teil ist das nicht recht; der behauptet, die Verzweiflung wäre der wahre Zustand, der echte, der authentische; wenn sich der Zustand wieder verbessert, ist die Seele bloß abgelenkt und korrumpiert und belügt sich selbst. Der Distanziertere weiß aber, daß es verschiedene Sichtweisen gibt und einen Bereich, wo das alles völlig irrelevant ist, ohne jede Bedeutung. Ja! Jetzt kommt der tiefe, aufseufzende Atemzug. Unwillkürlich und von selber bringt er Erleichterung.

Das Bett ist mein Zufluchtsort. Lieber stelle ich mich der Infragestellung von innen als von außen. Und das Liegen im Bett lindert meinen Schmerz wirklich.

Heute hat mich wieder im Schlaf eine Stimme gerufen „Peter! Peter!“. Ich reagiere noch zu langsam. Es dauert zu lange, bis ich antworte „Ja, hier bin ich!“




(11./12.12.2016)













©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

532 Kleine Bibelstunde

Wenn ich im Dunkeln gegen den Plafond starre, wirkt er nicht wie eine Zimmerdecke, nicht glatt und gerade, nicht viereckig, sondern wie eine Höhle mit vielen unregelmäßigen Strukturen und Unebenheiten. Wülste sind erkennbar und Fasern und Stränge, die teilweise nach unten hängen. Allerdings schaut das mehr wie eine lebendige Höhle aus, denn diese Strukturen und Stränge bewegen sich und wirken nicht hart, sondern weich. Wenn ich konzentriert hinschaue – sie bewegen sich eigentlich nicht; es ist eher ein Flimmern, das diesen Eindruck erzeugt; und das ist am Rande meines Gesichtsfeldes stärker. Ein Flimmern und Pulsieren, wie Wellen, die durch meine Wahrnehmung laufen, jedoch mehr spürbar als sichtbar.

Sozusagen das Innere eines Wales, fällt mir ein, des Wales vom Propheten Jonas selbstverständlich. Ich bin neugierig, wo mich der ausspucken wird. Der Auftrag an mich war ja nicht so klar wie bei Jonas. Zumindest mir nicht – wo predigen, was predigen, wie predigen. Ja, Umkehr! Gut! Aber wer soll wohin umkehren? Ich kenne mich ja selber nicht aus!

Die Geschichte von Jonas ist ja wirklich erstaunlich. Zuerst scheißt er sich an vor Angst, den Auftrag Gottes auszuführen, will nach Tarschisch, also nach Spanien flüchten, das Schiff gerät in einen gefährlichen Sturm, der sich erst beruhigt, als die Schiffsbesatzung den Jonas von Bord schmeißt – nicht ohne sich bei ihm und seinem Gott zwanzigmal zu entschuldigen. Dann schluckt ihn der Wal, spuckt ihn wieder an der Küste aus und jetzt kommt er nicht aus und macht halt, was Gott ihm angeschafft hat:  er geht nach Ninive und als er dort angekommen ist, geht er durch die Stadt und ruft „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“ Und wirklich, die Leute hören auf ihn und kehren um und fasten und bereuen ihre Sünden. Damit ist der angedrohte Untergang der Stadt hinfällig und Gott zieht seine Androhung zurück. Jonas aber traut weder sich, noch den Leuten, weder Gott, noch dem Frieden und steigt auf einen Hügel, um sich aus sicherer Entfernung den Untergang der Stadt anzuschauen. Das will er sich geben.
Kann ich gut verstehen. Und dann muß ich lachen – der Jonas ist auf Gott beleidigt, weil er, Jonas, den Untergang der Stadt verkündet hat, der jetzt jedoch nicht stattfindet. „Wie steh' ich als Prophet blöd da!?“ denkt er sich. Da muß ich immer lachen. So ein eitler, narzisstischer Geck! Die Leute sind ihm wurscht. Er hat nicht einmal bemerkt, welche Wirkung sein Auftritt hatte, was er da ausgelöst hat. Naja, ich kann mir das schon denken, er hatte eine horrende Angst, daß ihn die Leute lynchen und hatte dadurch überhaupt nichts mitbekommen. Ich kann ihn ja so gut verstehen, aber eitel sind wir schon auch!

Ich muß immer wieder lachen! Jonas baut sich einen Sonnenschirm aus Zweigen und sitzt dort gemütlich und wartet auf den Untergang der Stadt und schmollt, als nichts weitergeht. Er erklärt jetzt Gott, daß er ja gerade deswegen nach Spanien flüchten wollte, weil er eh gewußt hat, daß er, Gott, das nicht machen werde! Der gute Jonas fällt in eine regelrechte Depression und bittet Gott, daß er ihm das Leben nehmen möge, „denn es ist für mich besser zu sterben als zu leben.“ Gott läßt zuerst einen Strauch wachsen, der Jonas Schatten spendet und am nächsten Tag gleich wieder verdorren, sodaß ihm die Sonne (bei mir scheint gerade der Mond) ordentlich auf die Glatze brennt, daß er fast ohnmächtig wird und erst recht zornig auf Gott und … Moment! Moment! Woher willst du wissen, daß der Jonas eine Glatze hatte? Schließe nicht von dir auf andere!

Also ich würde es so machen …

Nein, reden wir von was anderem. Es ist immer wieder schön und erhebend, den Sternenhimmel zu betrachten …

Ich meine …

Also ich würde zuerst einmal in die Literatur flüchten. Da muß man nicht alles so direkt sagen wie ein Prophet („In vierzig Tage ist die Stadt zerstört!“), kann sich in Wortspiele und Sprachspielereien flüchten, kann, aber muß nicht veröffentlichen. Man kann dann auch sozusagen für die Schublade schreiben und den ganze Aufwand der Nachwelt überlassen. Die Verantwortung sozusagen wieder den Göttern zuschieben – sie sollen sich darum kümmern, daß das nicht verloren geht, wenn sie meinen, das sollte erhalten bleiben. Und man kann dann über das direkte Aussprechen, Ansprechen und das „Predigen“ ein wenig die Nase rümpfen (im wahrsten Sinn des Wortes!)

Gut, man hat ja auch seine Erfahrungen mit dem Fanatismus gemacht. Mit dem eigenen, meine ich. Da wird man halt vorsichtig. Man weiß nicht mehr, was himmlischer Auftrag, was Eingebildetes ist.
Obwohl: einbilden – ein Bild kommt herein –  wäre das nicht schön? Aber welche sind die echten, und welche sind die vom Ego? Außerdem ist die Welt heute so komplex! Wenn ich durch Wien ginge und schriee „Kehrt um! Der Untergang ist nah!“ - weiß dann irgendwer, was mit Umkehr gemeint ist? Also ich nicht!
Außerdem ist es heute überall laut. Ich bräuchte einen Lautsprecherwagen. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Ich hab's! Ich kann ja gar nicht Autofahren, ich habe ja keinen Führerschein! Die Sache ist erledigt! Melde zurück: kein Führerschein! Bitte einen anderen Auftrag!

Ah ja, und Gott sagte noch zu Jonas, „Mir aber sollte nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh?“





(10./11.12.2016)


















©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 10. Dezember 2016

531 Die Schreibbrille ist verschmiert

Ich sitze wieder einmal vorm Luftballonherz. Schon länger bin ich nicht mehr hierher gepilgert. Mein Weg hat heute zufällig vorbeigeführt. Der Plan war, in ein Kaffeehaus einzukehren, aber die waren alle überfüllt. Beim Café Central, also beim Trotzkij, beim Freud, Schnitzler, Altenberg, Zweig, Polgar, Loos stehen sie Schlange mehrere Meter auf der Straße heraußen. Nicht zu vergessen Friedell, Adler, Kuh, Hoffmannsthal, Kafka, Musil. Es ist viel los in der Innenstadt, und auch hier in der U-Bahnstation, unter den Mosaiken von Lehmden, die mir so gefallen. Die U-Bahnfahrerin brüllt genervt, weil die Leute nicht zurücktreten. Massen sind unterwegs.

Meine Lese – und Schreibbrille ist verschmiert. Ich putze sie. Ganz kurz ist es etwas ruhiger. Eine Frau auf der Nebenbank schließt für ein paar Sekunden die Augen. Ich nehme an, sie sucht wie ich eine kleine Dosis Innere Stille. Möglicherweise gelingt es ihr genausowenig wie mir. Ihr erschöpfter Gesichtsausdruck läßt mich darauf schließen. Die nächste U-Bahn kommt angedonnert. Und die nächste in der Gegenrichtung.

Viel rote Farbe ist vom Luftballonherz schon abgeblättert und darunter kommt eine silbrige Farbe zum Vorschein. Aber es hängt noch da, schon viele Monate, und schaukelt immer noch im Fahrtwind der U-Bahnzüge.

War das in der U-Bahn da nicht der Peter Henisch? Sofort gebe ich ihm meine Karte mit dem Aufdruck www.dieschublade.at – aber nur in meiner Phantasie. Ich sitze ja auf der Bank und raste mich aus; ich bin ja gar nicht in die U-Bahn gestiegen, aber meine Phantasie ist immer und immer noch pubertär oder bestenfalls infantil auf Rettung aus. Irgendwer wird mich retten. Ich selber kann es nicht; ich traue es mir nicht zu. Der Mann in der U-Bahn, es wird sicher nicht Peter Henisch gewesen sein. Fährt der überhaupt U-Bahn? Oder geht er zu Fuß? Oder fährt er Rad oder Taxi? Sehen Sie – ich habe keine Ahnung.

Ich habe auch einmal wochenlang die U-Bahn verweigert, weil diese Verstärkerröhren nur das Ungute verstärken: die Hektik, den Stress, die Aggression, den Lärm, das Geschrei – jetzt im Moment kurze Ruhe - ein alter Mann – also noch älter als ich – liest auf der Nebenbank Zeitung – er scheint es auch nicht eilig zu haben – jetzt ist sie wieder vorbei, die Ruhe – und als ich dann nach zwei, drei Monaten wieder U-Bahn gefahren bin, war es ein Schock: dieser Lärm! von allen Ansagen, Geräuschen, den knallenden Türen, dem Anfahrtslärm gingen Aggression und Befehle aus; die Türöffner- Türschließsignale, dieses alarmierende, aufgeregte Tüten (Alarm! Zu den Waffen!), in den Zügen und in den Liften: alles Befehle und Scheuchen.

Eine Frau mit Fahrrad wird kaum Platz im überfüllten Waggon finden, alle sind voll. „Steigen sie nicht mehr ein!“ jetzt in beiden Fahrtrichtungen gleichzeitig. Die Ohren schmerzen. Die Frau hat doch Platz gefunden.

Das Luftballonherz habe ich schon wieder vergessen. Ich schaue hinauf und hege den Wunsch, daß ich damit auch jemanden anderen zum Hinaufschauen animieren kann. (Heimlicher Größenwahn!) Aber das geschieht nicht. Keiner schaut hinauf. Verständlich, was ist das schon. Ein hängengebliebener Luftballon, der sich im Wind ein wenig dreht. Die Menschen um mich starren auf ihre Smartphones, oder in eine Zeitung, schauen leer vor sich hin, oder konzentriert, um irgendetwas Inneres zu fassen zu kriegen, oder führen miteinander ihre Übereinstimmungsgespräche. Alles ganz normal. Genauso nichts Besonderes wie alles andere auch. Auch in mir löst sich nichts. Ich glaube, ich gehe weiter.




(9.12.2016)










©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com