Sonntag, 31. Januar 2016

279 Wundertäterfragment 1

„Der Wundertäter war von hohem Wuchs.“ (Daniil Charms).


Der Wundertäter wird in den Himmel geholt (à la Dante), trifft dort alle Möglichen und Unmöglichen, Vorfahren, Eltern, die Opfer des Krieges, auch die seiner Verwandten …  und erhält dort seine Fähigkeit, Wunder zu wirken; oder er hat diese Kraft schon und sie wird ihm im Himmel gezeigt.

Mit meinen Träumen arbeiten. Der Wundertäter erfährt im Träumen von seiner Fähigkeit und reist öfters dort hin.

Der Wundertäter wird schon oft von vornherein, ohne daß er noch ein Wunder vollbracht hat, bewundert. Kann oder will oder darf er kein Wunder vollbringen? Nicht vergessen: bei Charms ist die geniale Grundidee, daß der Wundertäter Zeit seines Lebens kein einziges Wunder vollbringt. Er könnte es, tut es aber nicht. Also: er kann es. Warum macht er es nicht? Darüber muß ich eine klare Entscheidung treffen. Muß ich das wirklich? Kann es nicht auch changieren?

Über Georgos Thaumatourgos nachlesen! Vielleicht findet sich dort etwas brauchbares.

Im Bewußtsein des Wundertäters ist alles mögliche, um nicht zu sagen, alles präsent, Rebellion und Unterwerfung, religiös und antireligiös etcetera.

Ahnung von der Komplexität des Daseins.
Hemmung, Wunder zu vollbringen – wer nur ein Steinchen verschiebt, ändert die ganze Welt.
Oder hebt sich „Alles“ in ihm gegenseitig auf? (Die Bewegungen aller Teilchen heben sich alle gegeneinander gleichzeitig auf.)

Die “MMeistersinger“ (sic!) treten auf, sie deklamieren als Chor immer so nazi-darwinistische Sprüche („Nur die Harten kommen durch ...“ usw.)

Begleittier? Hund? Säbelzahntiger? Wolf? Schlange? Wir werden sehen (schau'ma mal).

Das ganze wie ein absurdes Theaterstück à la Hermanovsky-Orlando? Oder romanhafte, erzählerische, dramenhafte, drehbuchartige etc. … Abschnitte? Egal, ich bin ein alter Mann, ich  darf schreiben, was ich will. Auch dann, wenn ich davon keine Ahnung habe. (Altersstarrsinn und senile Schlafflucht).

„Der Wundertäter war von hohem Wuchs“ (Daniil Charms). Er ging aufrecht durch die Welt, nur manchmal, wenn er allein und müde war, konnte er auch gekrümmt wirken. Nein, Blödsinn, als Wundertäter ist man immer eher allein. Oder? Gekrümmt? - nein.

Warum er als Wundertäter keine Wunder vollbringt (kann man Wunder auch anders als „vollbringen“? - tun, schaffen, fertigen, wirken; wie würde man bei einer Wundertäterin sagen? Wundertäterin!? Ist das eine Idee?! - nein, die Seelen der Frauen kenne ich viel zu wenig): eingeschüchtert, stolz, er weiß es nicht, daß … - geht eher nicht. Er muß wissen, daß er Wunder tun kann; das ist ja die Pointe. Ist er träge, erschrocken, neben der Spur?
Wie sieht er aus? Schlank? Eher ja; Sicher ja! Er strahlt Würde aus – eher eine verborgene. Wirkt sich seine Kraft zum Wunderwirken, die er nie einsetzt, so aus, daß er eine verborgene, stille Würde ausstrahlt? Oder ist das schon zu viel?

Ich denke, er ist dunkelhaarig; kein Bart; Augen – braun?
Trägt in der Regel dunkle Kleidung – schwarz, grau; keine gemusterten und gestreiften Sachen (Döbereiner, verschwinde!); doch bunt? Aber sicher nicht als Clown unterwegs!

Wann lebt er? Zu Charms Zeiten oder zu meinen Zeiten? Das ist eine wichtige Entscheidung. Momentan bin ich eher für jetzt. Das geht ja gar nicht anders! Was weiß ich schon von Charms Welt; und außerdem bin ich zu faul um aufwendige Recherchen zu betreiben.

Wird er, wie bei Charms, zum Schluß aus der Wohnung geworfen? (Ich muß nochmals genau in der alten Frau  nachlesen!  Daniil Charms, „Die alte Frau“) Das kann noch offen bleiben, je nachdem sich die Geschichte entwickelt. Er könnte durchaus öfters Wohnung wechseln, auf Wohnungssuche sein.

Weiß er, daß er Wunder wirken kann und ist bloß zu – ja, zu was? - zu aufgeregt, damit zu beginnen?; schiebt sozusagen sein erstes Wunder ständig hinaus, bis es zu spät ist? (Wann ist es zu spät? Irgendwann im Alter oder erst im Tod?) Der Wundertäter als Verzögerungstaktiker und Verzögerungsmeister. Oder hat er sich entschlossen, aus irgend einem Grund, auf Wunder zu verzichten, zum Beispiel weil er es unfair fände, sich so einen Vorteil gegenüber seinen Mitmenschen zu verschaffen? Oder gehört das zu seiner Mission in dieser Welt? – wie kommt ein Wundertäter heutzutage ohne Wunder durch – ist das sein „kosmischer“ Auftrag? Als verschärftes Jesus-Christus-Experiment. Allerdings kann man dann nicht sagen, daß in ihm Gott dem Menschen zeigt, wie er ihn bei der Schöpfung „gedacht“ hat, denn da gehören Wunder dazu. Oder machen die da oben ein Feldexperiment, wie sie unter den Bedingungen einer aufgeklärten, modernen, funktionalistischen Welt die Menschen retten können? Der Wundertäter ohne Wunder als ein Vorläufer für den kommenden Retter, der seine Möglichkeiten austesten will? Oder ganz anders, hat er bei Antritt der Lebensreise in einem Vertrag mit den Mächten unterschrieben, daß er kein Wunder vollbringen wird – irgendwie genötigt, sozusagen eine „jenseitige“ Sonne-Neptun-Königskonkurrenz (W. Döbereiner)? Oder eine irdische Verzichtserklärung, wie bei mir?

Überhaupt: wie viel Autobiographisches darf einfließen? Daß etwas einfließt wird unvermeidlich sein. Bevor ich zu schreiben beginne muß ich mir dazu eine gründlich durchdachte, gut ausgearbeitete, klar formulierte Liste anlegen, was er von mir haben darf, oder besser, was er von mir nicht haben darf. Aber heute traue ich mich noch nicht mit dieser Liste anfangen. Jetzt, in dieser Phase, muß alles noch möglichst offen sein.















©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

278 Die letzten zwei Abende und heute früh.

Eine Aufgeregtheit hat mich und die kleinere Katze erfasst, schon länger, und auch jetzt um zwei Uhr in der Nacht. Sie streicht herum und will gestreichelt werden, aber beruhigt sich nicht. Schreiben geht jetzt schwer.


Manchmal hatte ich den Eindruck, daß die Töne, daß regelrecht Teile des Musikstücks durch die Kellerräume fliegen. Zuerst diese Scheu, so lange!, dann endlich tanzen. Es waren die Cream, die mich hervorgelockt haben. Dann endlich tanzen.

Ich gehe jetzt liegen, jetzt um drei; ich habe mich schon hingelegt und mir die Walkingstöcke in Reichweite gelegt, sicherheitshalber. Ich bin müde und gekrümmt, aber glücklich. Der Wind schaukelt heftig die Schnur der Rollo. (Ich weiß! Wir sagen trotzdem so.) Es zieht durch die Fenster und es ist kühl. Ich freue mich auf den Schlaf und auf luzide Träume.


Ich gehe nicht mit Krücken! Die Walkingstöcke waren nicht notwendig.

Die liegende Lage kommt meinem Gedanken- und Schreibfluß entgegen. Zwei Notizbücher gleichzeitig aufgeschlagen und schreibbereit: ich komme mir ganz toll vor. Ich lebe wie Gott in Frankreich. (Was soll das eigentlich heißen?) Trotzdem bin ich eher im Ausgedinge. Okay, ich gehe in meinen „Garten“ am Fensterbrett. (Nachschauen, ob es einen spirituellen oder literarischen Johannestrieb gibt. Hi, hi, hi!)

Ich bin ja so aufgeregt und neugierig. Ja, richtig gierig. Ich kann es kaum erwarten, bis sich das Gelingen einstellt. Soll ich lachen?    Nein, lächeln genügt.















©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 29. Januar 2016

277 Meine Himmelsrichtungen

Anscheinend will meine Haut aufplatzen. Sie kann oder will meiner Zeitlupenexplosion nicht mehr standhalten. Meine Sterne gehörten rund. Man und weib sieht, ich übertreibe gern und verstecke mich hinter Konjunktiv und Formulierungen.

Der rote Faden zieht sich nach links über die Decke. Immer wieder läutet es an der Tür. Gottseidank bin ich nicht zuständig. Ich lümmel mitten in einem lauten, schrillen Stilleben. Jubelndes Geschrei der abziehenden Gruppe.
Hinter den Augen Heulen und an den Zähnen Knirschen. Also ist meine Raumkapsel draußen, irgendwo im verlorenen Weltall. Das ist eine Vorstellung voller Erhabenheit für mich. Allmählich schleicht sich die vertriebene Müdigkeit zurück.

„Mehr Breite!“ lautet die Botschaft jetzt. Ich bin davon erschrocken aufgewacht. Außer dem Dreck, ist da noch viel? Ich wundere mich gerade, daß ich das alles aufschreibe. Habe ich meinen Größenwahn übersehen? Wie geht das; so klein ist er nicht. Eine sicherlich unechte Erinnerung taucht auf. Woher die wohl ihre Energie nimmt? Auch der Auftrieb kostet Kraft, oder ist das ein Perpetuum mobile?

Eine kleine Fliege schwebt vor meinem unscharfen Blick, als wäre sie bloß eine kleine Trübung, die auf meiner Netzhaut schwimmt. Ständig auf einer endlosen Flucht vor einem imaginären Feind.

Die Zweige des Kirschbaums schmücken sich mit Regentropfen.

Im Osten stapeln sich viele Lebensfilme übereinander. Meine Ordnung darin ist fragwürdig, aber lustig.

Zuerst krähen sie unten, dann schreien sie in den Süden und rufen Karl. Ein feiner Mensch!

Meine linke Seite ist irgendwie heller und bewußtvoller als die rechte. Hinter mir surrt der Ventilator bedrohlich. Ich schlage leicht auf den Computer und er läßt sich wirklich einschüchtern und hört auf damit. Der Westen ist aggressiv und humorvoll. Seine Scherze sind nicht immer angenehm.

Wenn ich aufmerksam nach Norden schaue, muß ich immer an Eiger Nordwand denken und Traurigkeit erfüllt mein Herz. Der kalte Norden muß hinter den vielen Bildern soviel leiden.

Ich werde meine Träume durch die Gegend schleudern und schärfen, bis sie die Lügen problemlos durchschneiden und die Wahrheit hervorquillt. Als ich meinen Kopf umdrehe ist kurz ein dunkler Balken in mein Gesichtsfeld gehangen. Ich nehme aber auf solche Kokolores keine Rück-sicht mehr. Virtute et exemplo. Der Ventilator traut sich jetzt wieder surren. „Ein Schlag in das Genick, erhöht das Denkvermögen!“ Dieser Spruch eines Lehrers fällt mir ein und things-liberation (auch Dinge haben eine Seele). Von unten tönt es „Hallo!“, „Feuerwehr!“ und „Feuer!“











©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 28. Januar 2016

276 Material

Die kalte Luft strömt ein. Es ist zwei Uhr nachts. Begierig sauge ich die frische Luft in tiefen Atemzügen auf. Mein Denken hat viel zu verarbeiten. Wie im Karussell drehen sich Gedanken, Erinnerungen, Befürchtungen und Gefühlsfragmente um mein zagendes Herz. Weil ich nicht genau hinschauen will, ist mir das Ganze unangenehm. „Die Wahrheit wird dich befreien.“
Ich bitte um eine Botschaft im Traum.

Eine Eskimofrau hat mich angeschaut, gelächelt und dann geweint. Ihr breites, rundes Gesicht strahlt vor Offenheit und echten Gefühlen. Auch ihre Tränen in ihrem Gesicht strahlen. Ich muß ihr sehr leid getan haben. Ihr Blick ist voller Mitgefühl.

Aber was ich wirklich in meinem Leben erreichen wollte, habe ich erreicht.


Im Traum habe ich mit einem kleinen, schmalen Spaten – einem Kinderspaten ähnlich – in Gasthäusern und Lokalen kaputtes, mürbe und porös gewordenes Material von Fußböden, Speisekarten, Tischen etcetera entfernt. Ausgesehen hat das, wie wenn ich etwas Gebackenes vom Backblech hebe, aber es war alles verdorbenes Material. MATERIAL. Dabei habe ich denen bloß gezeigt, daß und wie ich das mache – um dann den Auftrag zu bekommen, auf diese Weise alles Verdorbene zu entfernen. Da hätte ich dann einen erwachsenen Spaten verwendet.
Getragen habe ich dabei einen Wahnsinnsledermantel, lang bis zum Boden, das Leder sehr dick, sehr steif, aber auf schlank geschnitten. Manchmal hat er mich bei der Arbeit gestört. Ich gehe als Kunde ins Lokal und teste mit dem Kinderspaten verschiedene Stellen. Wenn ich merke, da ist etwas porös, das Material ermüdet, fahre ich mit dem Spaten rein und hebe das verdorbene Material heraus, egal, ob das eine Stelle am Fußboden, am Tisch, an der Wand oder auf einer Speisekarte ist. Ich habe noch das Bild vor mir, wie ein Blatt der Speisekarte aufgedunsen und dick ist, weil es vollgesogen ist mit irgendetwas, das inzwischen schon wieder getrocknet ist. Das aufgedunsene, dicke Papierblatt, vermischt mit der Plastikhülle, ist schon porös und schaut aus wie ein bleich gebackener Teig in einem Blech. Ich fahre mit dem Spaten unter die zersetzte Schicht, hebe sie in die Höhe und zeige damit, daß schon alles aufgelöst und porös ist und unbrauchbar und sage zum Barkeeper: „Siehst du, so mache ich das.“


Die Möndin schaut betropetzt drein, hat etwas verlorenes im Blick und trägt ein Kopftuch. Dicke Strahlen gehen von ihrem Gesicht aus und ziehen dicke, bunte Tropfen an; der Sog des Mondes, wie wir ihn kennen.
Eine Kirche und ein Turm begrenzen den Horizont, von dem sich eine wellige Landschaft herunterwölbt, herunter zu einem gemauerten Wasserbassin – ein Schwimmbecken vermute ich in diesen alten Zeiten noch nicht. Bei diesem Bassin hocken zwei Hunde und heulen die Möndin an, auf die Mauern dieses Bassins fallen von den Hunden zwei ganz dunkle, finstere Schatten herunter.
Im Wasser schimmt ein eigenartig verwuzzelter Krebs; schaut fast schon aus wie ein Wurzelstock, der im Wasser treibt. XVIII. La Luna.













©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 27. Januar 2016

275 Einsicht

Ich schaue in ein inneres Bild und sehe, ich komme in meinen Handlungen oft nicht vor. Sie geschehen in einer Art stillen, vergessenen Panik, die mich aus mir selbst vertrieben hat. In meiner Mitte finde ich mich nicht; fast alles geschieht in einem bewußtlosen Taumel. In meinem Innersten findet eine Explosion statt, ich weiß nicht, ob es der Urknall ist oder sein Nachbild oder der letzte Krieg oder meine Panik in der Teufelsgrube. Jedenfalls blendet es mich und ich kann nicht sehen. Nicht, was um mich stattfindet, noch, was in mir los ist. Übrig bleibt ein unausgereifter Replikant, dessen Mechanik sehr leicht blockiert, störanfällig beim kleinsten Stress, am Rande der Materialermüdung.

Wie ein leeres, ungeschütztes Haus.

Gern hülle ich mich in Decken ein, damit das verlorene Selbst nicht davondampfen, sondern wenigstens zu einer flüssigen Substanz kondensieren kann. Eine Leerstelle in mir, vollgeräumt mit fremdem Zeugs. Darum oft dieses achselzuckende „ich weiß nicht“. Es fehlt der, der sieht.

Ich gleite jetzt ab in einen japanischen Fischmarkt. Und jetzt bin ich mit Grillparzer unterwegs, wo, das weiß ich schon nicht mehr. Ein kleines Flugzeug schneidet sich in hohem Ton durch mein Traumbewußtsein und holt mich so – bei immer tiefer werdender Tonlage – zurück. Die ganze Sahara liegt drei Monate unter Regen, die Wüste lebt und blüht wieder auf.

Meine Finger sind verknotet und weich wie ein Wollknäuel. Mein Traumgesicht täuscht mir ein vollgeschriebenes Notizbuch vor. Im Inneren wünsche ich meinen Lieben einen schönen Tag, bevor ich wieder in Träume versinke. Ich rieche etwas, das Kaffee oder Katzenscheiße sein könnte.
„High on ice cream, and not melting, mouths to feel, but not be felt“ (aus: Escalator over the hill; Musik: Carla Bley Text: Paul Haines; Akt: Over her head; es singt: Ginger = Linda Ronstadt)

Im Niemandsland zwischen Traum und Wirklichkeit nehme ich alles auf mich und trage es. Trotzdem ist es eine Komödie, darauf bestehe ich, oder mein Rest an Stolz.

Und: Musik hilft, das Chaos zu ordnen.

















©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 26. Januar 2016

274 Ein fremder Morgen

„So schreibe ich meine Texte“, erkläre ich, „im Gesicht noch verschlafen weil gerade aufgewacht, in die Bettdecke eingehüllt mit angezogenen Knien, drei Pölster im Rücken.“ So erkläre ich es meiner imaginierten Tochter, während die reale unten in der Küche ihr Frühstück bereitet.
Als ich die Anführungszeichen nachtrage, ruft eine Krähe; Krähenfüßchen? Gänsefüßchen? Ach, Blödsinn! Ich schreibe wie unter Zwang und schaue mir dabei verwundert zu.

Heute ist etwas anders; etwas, das die ganze Stimmung verändert. Eine Pattsituation, aber zwischen welchen Kräften? Der Morgen ist mir fremd, obwohl er aus den vertrauten Elementen besteht, zum Beispiel dem Gefühl, gut ausgeschlafen zu sein und der Angst.
Sicher, es saust eine jugendliche, drängende Kraft in der Wohnung herum, aber diese ist nicht das Befremdende.

Das Befremdende ist in mir.

Das Surren erlebe ich heute als einen langsamen, breiten Strom, der sich über mich ergießt, als stünde ich in einem trägen, zeitlupischen Wasserfall aus Tönen.
Ich höre einen Wind heulen und die Kinder spielen.

Ich glaube, das Befremdende sitzt doch in der vertrauten Angst. Gehört die Angst nicht zu unserem natürlichen Erbe? Eine fremde Installation? Paß auf, daß du die Dinge nicht verwechselst und vermischt.

Einerseits muß ich schreiben, andrerseits will ich diesen Text aufgeben. Und innen ein Gefühl, als würde mein Bewußtsein bald zusammenklappen.











©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 25. Januar 2016

273 Rationales oder die Einkaufstour

Es ist dreiuhrsiebenundzwanzig in der Früh und diesmal ist meine Schlaflosigkeit wirklich hausgemacht. Erstens, indem ich gestern für unsere Gäste eine Thermoskanne mit gutem, starken Kaffee aus biologischem Anbau gemacht und dann nicht ausreichend dafür gesorgt habe, daß sie leer getrunken wird; und zweitens, indem ich es heute nachmittags nicht geschafft habe, den Rest einfach wegzuschütten – beim Wegwerfen von Lebensmitteln bin ich einer Zwischenkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsmentalität verhaftet – und ihn deshalb selber ausgetrunken habe.

Ich bin mit klopfendem Herzen in der Dunkelheit gelegen und habe mich abstrusen Gedankenspielen und Phantasien hingegeben. Zum Beispiel habe ich mir ausgemalt, daß ich Kinder habe, von denen ich nichts weiß. |: |: Äußerst unwahrscheinlich! :| :| Und wenn, sind sie über dreißig Jahre alt.

Gut, habe ich mir gedacht, du kannst nicht schlafen. Dann schalte halt das Licht ein, nimm dein Notizbuch und schreibe. Und öffne das Fenster, der Raum braucht frische Luft.

Gutes Timing, denn soeben hat es zu regnen begonnen und ich liebe das Geräusch und den Geruch von Regen. Ich höre auch ein Summen, als stünde im Lichthof ein Kühlschrank und kühlte vor sich hin.

Kaffee ist eindeutig eine rationalistische Droge. Nichts poetisches in meinem Geist, nur trockene, dürre Gedanken, die nicht ausufernd und nicht ausschweifend mäandern; keine ordentlichen Sprünge und Wasserfälle. Eine richtige Selbstantreiberdroge. Keine Traumfetzen, in deren Nachklängen und Nachbildern man kleine Schätze, Perlen, Formulierungen, Botschaften, Bildpuzzelteilchen entdecken, keine Zwischenräume, durch die irgendetwas verheißungsvolles durchschimmern könnte. Eine geschlossene Welt. Kein Aufzug nach oben oder unten.

Der Regen hat aufgehört; auch den Klang der letzten Tropfen, die sich vom Dach stürzen, mag ich.

Gut, denke ich mir, dir fällt nichts rechtes zu schreiben ein. Dann leg dich halt wieder hin. Und wenn du nicht schlafen kannst, dann spinn weiter deine witzlosen Gedankenfäden.


Ich bin aus einem spannenden Traum aufgewacht, wo ich in eine fremde Wohnung eingedrungen und auf Abenteuer aus war. Vorher bin ich zu fünfzig Stockhieben verurteilt worden. In dieser Wohnung pflanze ich heimlich ein ganz kleines Pflänzchen, aber jetzt kommt die Inhaberin telefonierend zurück und muß mich gleich durch die Glastür sehen. Ich habe ja auch das Licht aufgedreht. Schnell versuche ich mit der Pflanzerei fertig zu werden und gehe jetzt sehr schlampig vor. Sie tanzt die ganze Zeit vor der Tür herum, geht hin und her, und telefoniert. Ich kenne sie eh, aber es ist mir deswegen erst recht unangenehm, wenn sie mich hier erwischt. Zunächst war ich sehr nervös, aber schließlich bin ich durch meine Kühnheit und Nervenstärke entkommen. Denn plötzlich war mir alles egal, auch, was mit mir selber passiert, und eine Welle von innere Kälte hat mich erfaßt, ich bin einfach durch die Tür raus – in einem Moment, wo sie beim Hin- und Hergehen links von der Tür war – aber so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, habe mich nicht umgedreht, bin auf die Stiegen zugegangen und schließlich fröhlich, unbekümmert und unentdeckt hinuntergehopst.

Ich scheine trotz aller Traumsymptome wie heftiges Surren in den Ohren noch immer ganz rationalistisch geladen zu sein, denn es tauchen keine Bilder mehr auf, keine Stimmen, die mir etwas sagen, keine herumgeisternden Traumfetzen. Ich bin viel zu wach.

Gerade setzt draußen der Regen ein mit seinen edlen, schönen Geräuschen und zieht sich doch gleich wieder zurück. In meinem Körper spüre ich eine Spannung und ein still aufgeregt Vibration. Meine hingerichtete Aufmerksamkeit verscheucht die Empfindung.

Ich bin voller Tatendrang – ich muß ja schließlich einkaufen gehen! Es amüsiert mich, wie das freche Abenteuer des Traumes sich im Diesseits in eine Einkaufstour zu einem Baumarkt verwandelt hat. Aber Baumärkte sind für mich doch äußerst fremde Reviere, fast so fremd und unheimlich wie Saudi-Arabien. Ich brauche eine minimale, aber notwendige Masse an Mut um dort hinzugehen. Unter dieser kritischen Masse kein Baumarktbesuch.













©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 24. Januar 2016

272 Sonntagmorgen

Meine Füße schmerzen, obwohl ich nicht gegangen bin.
Wie ein alter, alter Mann habe ich mich aus dem Schlaf geschält.
Der Schnee – so heißt es – soll zergehen.
Wie wenn ich traurig oder mutlos oder müde bin,
wie ein erstickender Schrei nach Norden;
am Boden kurz das Lichtgesicht,
nur kurz, dann ist es eine helle, starre Maske,
dann ein Lichtfleck am Boden ohne erkennbaren Sinn.
„Ach!“, denke ich mir während ich tief atme,
ein kleines Lächeln steigt in mir auf
und ich gehe frühstücken, wäschewaschen, zeitunglesen.










©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 23. Januar 2016

271 Lieschen

Haben die Damen auch meinen Blumenstrauß bewundert?
Schon in der ersten Volksschule habe ich begriffen, daß Lieschen nicht Lieschen, sondern Lies-chen heißt, und zwar gleich beim erstenmal, als mir das Wort begegnet ist!
Hinter den Liebenden (VI) lauert der Tod (XIII). Oder war es umgekehrt? Ist die XIII vor der VI gekommen?
Siebenundsechzig, siebenundsechzig, woran erinnert mich das?
Und was ist alles in Verstoß geraten?
Schlaflosigkeit ist eine feine Sache; diese Nachtstunden sind kostbar, erquickend und still.

Mein Herz wirkt auf mich ein bißchen mitgenommen.
Mein Rücken ist ein bißchen gekrümmt.
Mein Geist ein wenig zerstreut und unkonzentriert.
Soziale Platzanweisungen können sehr früh geschehen.
Zweieinhalb Stunden vorher hätte ich alles auch noch ganz anders gesagt.
Ich atme tief, aber das geht nicht so leicht bei eingesunkenem Brustkorb. Und aufrichten? Ist nicht kuschelig genug.

Der Blick aus dem Fenster fällt auf mich selbst zurück. Ich schaue mir zum ersten Mal beim Schreiben zu. Viel sieht man nicht. Nur so eine Hand sich ein bißchen bewegen, eher ruckartig denn fließend. Und das nur, wenn man genau hinschaut. Dafür sieht man sie doppelt. Das Gesicht bleibt im Dunklen kaum erkennbar, schaut aber gerade deswegen gut aus. Die Lesebrillen machen auch was her; ich habe ihrer mindestens zwanzig in der Wohnung verteilt. Mit der Wahrheit nehm' ich es nicht immer so genau, auch nicht gegenüber Europe's Noblest Woman.
Für alles gibt es eine Erklärung.

Ich wundere mich, warum die Brillen immer anlaufen und verschmutzen. Ich weiß es nicht. Ich bin ja auch kein Physiknobelpreisträger. Aber mit mir selber reden tue ich schon.

Ich lege den Dingen die Hände auf. Es muß in alten Zeiten ein Bewußtsein von der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit gegeben haben, weil „Ding“ verwandt ist mit dem Ratsversammlungs-Thing. Oder ein Unterbewußtsein.
Ich lese gerade, daß rotwelsch „Ding“ Verbrechen bedeutet. So schnell können sich die Dinge ändern! Und vermutlich auch die Ableitungen der Wörter. Und meine sind ja immer etwas voreilig und pointenfokussiert.

Soll ich das jetzt um halb drei Uhr früh noch in den Computer tippen? Ja, schon, dann bin ich es los.
`Tschuldigung.













©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 22. Januar 2016

270 Morgenamüsement


Manchmal schaut man – oft in unstrukturierten Momenten - bei mir zum Beispiel gerne vorm Einschlafen – wo man die Gedanken einfach kreisen läßt und die Assoziationen laufen – da schaut man auf sich und das, was man tut oder nicht tut und warum, und hat dabei einen etwas offeneren, ehrlicheren Blick auf die eigenen Motive, sieht seine Ängste, die großen, die man gut versteht und über die man gut Bescheid weiß und die man erklären kann und ihre Geschichte erzählen, aber auch auf die kleinen Ängste, die unangenehmeren, die mehr mit Kleinlichkeit zu tun haben – was werden die anderen denken, wie stehe ich dann da – und wenn man dieses Konglomerat vor sich sieht und hinblickt, dann schaut das Ganze gar nicht toll aus, auch nicht edel bescheiden, sondern ein wenig schäbig. Jetzt, mitten in der Nacht, war so ein Moment. Halbherzig habe ich mich rauszuwinden versucht, ja, auch für diese kleinlichen Ängste kann ich Erklärungen finden, nur …   seufz     schnauf        würg        Äääääh      (Flucht in die Comic-Sprache)  es kommt nichts heraus dabei.

Es geht auch nur ums Standhalten.


Im Traum hat mir ein Mann per Post ein Gewehr geschickt, auf daß ich mich wegen meiner schlechten Texte erschießen möge. Ob es überhaupt ein echtes, funktionstüchtiges Gewehr war, konnte ich nicht feststellen. Ich könnte es auch in dieser Realität da nicht feststellen. Beim Aufwachen hat mich das sehr amüsiert und ich habe mir überlegt, ob ich damit zur Polizei gehen muß – soweit ich noch im Traum verfangen – oder müßte – soweit ich schon in dieser Welt war.

Ich gehe blitzschnell in Gedanken alle meine Gewohnheiten durch, auch die sexuellen, anscheinend eine interne Umfrage, aber bevor ich damit fertig bin, wache ich schon wieder auf. Auch davon ziehe ich es vor, amüsiert zu sein. Aha, bin ich heute auf feiner Pinkel unterwegs? Wie lange wird draußen auf der Straße diese Stimmung halten?

Jetzt ist von den Früchten die Rede. Von den Früchten der Arbeit, der Bemühungen und Anstrengungen, von den Früchten des Lebens …

Der Lärm in der Nachbarwohnung irritiert mich, jedoch nicht, weil er so laut wäre, nein, sondern weil er sich anhört, als käme er aus der eigenen Küche. Ein fremdes Wesen hantiert dort herum.

Jetzt bin ich in eine innere Pattsituation geraten – die Gedanken heben sich gegenseitig auf und die inneren Bilder sind fast leer, zumindest inhaltsleer, stellen nichts dar, wie leere Rahmen.
Warum fällt mir jetzt Italien ein und das italienische Schulsystem, das ich gar nicht kenne? Ist meiner Imaginationskraft schon fad?

Jetzt sind ein paar Typen wegen eines Nick-Cave-Konzerts unter einem auf Stelzen stehenden Hochhauses wie aufgescheucht herumgerannt. Gegen Nick Cave habe ich eine fragwürdige Aversion, die mehr auf sein Aussehen am Photo beruht und auf Eifersucht.

Eine weibliche innere Stimme mit ausländischem Akzent sagt: „ich kann dazu nicht kommen.“
Okay. Ist gut. Dann hören wir auf.

Jetzt stören mich die Geräusche der Nachbarwohnung doch, weil dort Musik läuft und durch die Wand nur Gewinsel dringt.









©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 21. Januar 2016

269 Der Geistesblitz

Etwas hat sich in den Ritzen meines Bewußtseins versteckt. Was, kann ich mich nicht erinnern. Der unerwartete Schnee draußen hat mich sofort auf eine andere Bewußtseinsebene gerissen, darum habe ich vergessen, was es war.
Es war wichtig. Es war eine einleuchtende Erkenntnis, ein wirklicher Geistesblitz, wo ein Lichtstrahl vom Großen Überblick in die schummrige Dämmerung meines von einer schlechten Energiesparlampe schlecht erleuchteten Bewußtseins gefallen ist. Die Entdeckung, daß sich da etwas versteckt und was es ist, hat oder hätte mir wirklich weitergeholfen, denn nun war oder wäre mir vieles klarer. Aber alles ist weg. Ganz ruhig warte ich, ob diese Erkenntnis noch einmal aufsteigt. Nein, perdu. Das Ticken des Weckers leistet mir beim Lauern Gesellschaft. Im Mund habe ich noch den Geschmack der Zwiebel von gestern.

Inzwischen liebe ich diese frühe Morgenstunde um fünf herum. Das Dröhnen eines Flugzeugs klingt wie ein ganz ernstes, komprimiertes, großes Musikstück. Da! Da waren wieder die Ritzen im Bewußtsein! Ich habe sie bemerkt! Schon sind sie weg, bevor ich erfassen konnte, was sich in ihnen versteckt hält.

Ich war gerade bei einem Satz; bin dann jedoch gestolpert; ich kann nichteinmal mehr seine Bruchstücke auflesen. Ein Wassertropfen, der aufs Fensterblech aufschlägt, will mich an etwas erinnern. An was? Was denn?! Das Dröhnen der Entlüftung eines Nachbarn ist fast so gut wie diese Flugzeugsymphonie. Eine innere Lautsprecheransage lautet: „Ja, sicher!“ Es war eine weibliche Stimme.

Kann Goethe rehabilitiert werden? Vor kurzem erst ist mir irgendetwas untergekommen, das mir das nahe gelegt hat. War das in den Weiten meiner Träume oder in den Weiten meines Internetzes? (Danke Dr. Kurt Ostbahn.) Jetzt bin ich ganz woanders. Im Cafe Europa vor genau siebenundzwanzig Jahren. (Das mit der Genauigkeit ist natürlich ein Bluff, denn um diese Uhrzeit hat es schon längst geschlossen gehabt.) Jetzt bin ich in der Blue Box; kein weiter Sprung, aber ich bin wieder wo anders. Ich muß einem Freund gegenüber meinen Irrtum aufklären! So eine dumme Verwechslung der Kellnerinnen! Mein bamstiges Gehirn will nicht mehr präzise arbeiten. Es hat genug von dem ganzen Zirkus, will rasten.

Sätze werden mühsam zusammengestellt, aufgerichtet und verworfen, oder stürzen in sich zusammen, gehen verloren. Stürzen in sich zusammen wie die entarteten, überheblich in zu große Höhen strebenden gotischen Dome. Ach! Was soll's! Vieles geht verloren, verrottet vergessen und vernachlässigt und düngt die nächste Generation. Wir sind alle Sternenstaub, wie alles andere auch. Nur luzide Träumer kommen durch, und von denen nur ein Promille.













©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 20. Januar 2016

268 Männerphantasie

In meiner Jugend war für uns Burschen Schweden das „Traumland“, wo die Frauen locker und für Sex leicht zu haben sind. Natürlich waren das dumme Phantasien und Projektionen zwischen pubertärem Größenwahn und Versagensangst, angeheizt durch unzählige Geschichten von den angeblich geilen Schwedinnen und durch die skandinavische Freizügigkeit bei Pornographie. Dieser Mythos hatte mit Schweden vermutlich genauso viel oder wenig zu tun wie mögliche Projektionen zum Beispiel arabischer oder afrikanischer oder sonstiger Männer, von wo her auch immer, mit der Realität in Europa. Die Medien haben bei dieser Mythenproduktion auch mitgewirkt, genauso wie heute die Fernseh- und Medienwelt ein ziemlich schiefes Bild von Europa vermittelt – vor allem für Menschen, die in einem komplett anderen kulturellen Umfeld leben. Auch wir haben hier in Österreich damals in einem noch recht deutlich anderen kulturellen Umfeld gelebt als die Menschen in Skandinavien. Aber selbst wenn dieser Mythos gestimmt hätte, oder auch nur teilweise gestimmt hätte – das erste Mißverständnis läge schon darin, zu glauben, daß eine „freizügige“ Frau mit jedem ins Bett geht, also auch mit uns, als hätte sie nicht Lust und das Recht, sich die Partner selber auszusuchen. Da steckt wohl noch das Mutter-Jungfrau-Hure-Schema dahinter und andere patriarchale Denkmuster – die übrigens recht häufig – so vermute ich es zumindest – von den Müttern an die Söhne weitergeben werden. (Zumindest meine Mutter hatte, als ich einmal als Jugendlicher wegen irgendeinem Liebeskummer oder Ähnlichem traurig herumgesessen bin – und sie hatte da einen Riecher dafür, denn erzählt habe ich davon nichts – sofort gefragt, ob sie – die sie nicht kannte und von der sie nichts wußte – ob sie denn eine Hure sei.)

Das Alles stimmt natürlich hinten und vorne nicht und ich selber wäre damals selbst bei „Erfolg“ vor Angst oder Unsicherheit ins Schwimmen gekommen – wäre ich wirklich mit einer „geilen Schwedin“ (alleine) konfrontiert gewesen.

Aber das war – zumindest in Kreisen pubertierender männlicher Jugendlicher und daselbst steckengebliebener Männer ein weit verbreiteter Mythos. In so einem Denkschema ist es naheliegend (nicht entschuldigend gemeint), daß bei einer Ablehnung durch eine als „freizügig“ eingestufte Frau – und das heißt dann in der Projektion, daß die mit allen schläft – daß dann eine Ablehnung Wut auslöst, denn wenn sie eh mit allen vögelt, warum dann nicht mit mir? Aggression oder auch Depression, je nach Charakter.

Anscheinend war dieser Mythos (eigentlich verwende ich das Wort „Mythos“ nicht gern für solche Sachverhalte, denn Mythen sind für mich etwas ganz anderes; aber sei's drum! Mir fällt jetzt auch kein besseres Wort ein) besonders bei österreichischen Männern stark verbreitet, denn ein Gewährsmann – den ich als sehr glaubwürdig eingeschätzt habe – hat mir vor Jahrzehnten erzählt, daß in den Sechzigerjahren Schweden ernsthaft erwogen habe, die Einreise und Einwanderung männlicher Österreicher zu beschränken und zu kontrollieren, weil sich diese den Frauen in Schweden gegenüber so schrecklich benommen hätten. Im Mythos von den geilen Schwedinnen verfangen glaubten viele tatsächlich, man brauche dort nur eine Frau ansprechen und eventuell zur Verdeutlichung angreifen, dann wäre die Sache geritzt.

Ich kann diese Erzählung nicht mehr überprüfen, denn der Gewährsmann lebt nicht mehr, aber glaubwürdig kommt sie mir schon vor, wenn ich bedenke, was heute auf Grund der aktuellen Ereignisse alles erwogen wird.

Und: es geht bei der Befreiung aus der Verfangenheit in „Mythen“ darum, den Denkhorizont, die Wahrnehmung und die Erfahrung zu öffnen und zu erweitern.









©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 18. Januar 2016

267 Unerlebte Schrift

Früher Abend gegen Mitternacht. Ich weiß. Aber ich bin in letzter Zeit sehr spät zu Bett gegangen. Eine gefährliche Traurigkeit hat mich erfaßt. Ich mag darüber nicht nachdenken und dem nicht auf den Grund gehen. Ich werde mir einen Internet-Surf-Stop verordnen. Aufgewühlt, konfus und ratlos liege ich da. Jetzt ist die Traurigkeit in Wut umgeschlagen. Es zuckt und reißt in mir. Irgendetwas stimmt nicht. Mein Herz klopft noch, aber ich beruhige mich wieder. Eine „unerlebte Schrift“ ist nicht die Schrift eines Unerlebten, sondern die eines Eingeschüchterten. Was sollen solche Sätze! Rede klar und deutlich oder halte den Mund! Manche fangen halt an, indem sie murmeln und stottern und vorsichtig reden, indem sie undeutliche Wörter wie Versuchsballone vorausschicken. Ja, und manche fangen an und machen nicht weiter.


Früher Morgen gegen sechs. Ich habe einen unklaren Traum aufgeschrieben und bin daraus nicht schlau geworden. Ein gewisser, morgendlicher Optimismus, der sich dem Tag zuwenden traut, ist da. Das Surren ist auch da. Und im Nacken eine Unsicherheit und Unruhe, ein Druck, ausgelöst von einer Starre. Ich finde keine Ruhe- und Schreibposition. Sehnt sich mein Körper nach Rekapitulation? Das Zurückholen meiner Illusionen und Träume?

Und du – wie gut kennst du dich im Internet aus? Kannst du gut recherchieren? Und deine Englischkenntnisse? Willst du meine Privatsekretärin sein? Agentin? Managerin bei gutem Gehalt? Manchmal wird es wenig zu tun geben, manchmal viel. Du müßtest meine Kommunikation nach außen organisieren und alles finden, was ich dazu brauche: RechtsanwältInnen, Druckereien, Verlage … . Und wie gesagt – du wirst sehr gut bezahlt und ich bleibe höflich und distanziert und lebe keusch.

Ich begebe mich in Ruheposition und werde sehr unruhig dabei, fast zornig. Nichts passt, etwas sitzt mir im Nacken.

Die vorbeigehenden Kinder spüre ich in meinem Inneren. Mensch! Warum hast du nicht Malerei studiert?! Nein, nein, ich meine nicht mich, sondern einen anderen in Graz, der mich nichts angeht. Noch ein anderer: mein wörtlicher Doppelgänger in der Elektrik.
Ich warte auf das Weckerläuten. Haus-am-Fluß-ähnliche Erinnerungsfetzen. Aber ich war mit Schreiben beschäftigt. Nicht schlecht! Ich geb nicht auf. Es riecht komisch. Schluß. Aus.


Das Wohnzimmer, ungewohnt um diese Zeit. Die Kerze unter den Bildern brennt nicht. Ich fürchte, daß ich sie dann vergessen würde. Ruhig ist es an diesem Vormittag in der Gasse. Das Licht ist vertrauenserweckend. Die Sonne wirft Weidenbaumschatten an die Hausmauer. Der Miesberg zum Beispiel hängt hinten in der Küche. Aus dieser Entfernung schaut er ganz realistisch aus, aus der Nähe sind es nur Farbflecken. Dieses Bild hat von der Weiten eine unglaubliche Intensität, das ist mit bis jetzt noch nie aufgefallen.

Die Katzen schnurren und kratzen und bringen Unruhe ins Spiel, dann wieder Ruhe. Alles sinkt tiefer. Alles, deshalb bleiben die Proportionen gleich. Beim Einatmen hebt es sich wieder. AOUM läßt die Katzen flüchten. Die Müllabfuhr bringt leben in die Bude. Aber nur kurz, dann zieht sie wieder lärmend von dannen. Wie ein Gewitter hört man sie noch polternd und scheppernd abziehen.

Fast alles kann an Intensität gewinnen, wenn man es lange anschaut. Alles, das sich nicht gegen Intensität versperrt. Möglicherweise ist es nur eine Frage der Dosierung. Möglicherweise! Tauben rufen im Winter. - ich habe mich nicht geirrt. Ich warte. Ich warte auf den Installateur.

Ich liebe den Blick von der Wohnzimmercouch auf die Stiege und durch die Tür in die Küche. Ein schöner Platz zum Verweilen; man sieht viel Holz, aber nicht zu viel. Ich lache über den Wankelmut der Beurteiler und was ihn hervorruft: zuerst märchenhaft schön, dann märchenhaft kitschig. Nein, nein, nicht das hier. Das hier ist schön. Nur das Kerzenlicht fehlt mir ein wenig dort drüben am Ofen, unter den Bildern. Was für eine Kraft in einer gewissen Blindheit stecken kann! Nämlich in einer Blindheit für die Welt.















©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 15. Januar 2016

266 Im Wald

Vor einer halben Stunde noch wollte ich in einem Wald übernachten, aber die Decke war viel zu klein, nur ein Drittel meiner Körperlänge. Außerdem hätte es ein Zelt sein sollen. Und außerdem: wo ist meine Frau? Wer immer das ist. Wo ist sie hin und warum kommt sie nicht zurück? Wegen der Kinder?

Jetzt sehe ich am Hang drüben links auf einer Lichtung einen Jäger sitzen und mich beobachten. Ah, wegen Feuer! Was habe ich vorher angezündet? War das ein kleines Probefeuer? Oder eine Zigarette? Habe ich überhaupt etwas angezündet? Ich weiß es nicht mehr. Ich fühle mich schuldig und fürchte mich vor dem Jäger.

Ansonsten rundherum Wald. Dichter, aber von Lichtungen und niedrigen Jungwaldbeständen durchsetzter Wald. Rechts von meinem Lagerplatz, nicht weit von hier, hinter einer Baumreihe hinter einer Lichtung fließt ein größerer Bach; ja, es hilft nichts, ich denke, es ist ein Fluß, obwohl mir ein solcher hier unwahrscheinlich vorkommt. Ein Fluß ungefähr von der Größe der Enns. Aber das Ennstal, glaube ich, ist es hier nicht. Eher das Waldviertel. Obwohl mich die Landschaft hier nicht ans Waldviertel erinnert. Nur der große Wald, der sich viele Kilometer in alle Richtungen ausdehnt, erinnert mich ans Waldviertel. Wie das im Traum halt so ist: man träumt, man ist im Waldviertel, es schaut jedoch gar nicht so aus.

Ich werde etwas unruhig, weil es jetzt finster wird und offensichtlich mit dem Zelt nichts ist und mich der Jäger beobachtet. Schießt der auch? So genau weiß man das bei denen nie.
Ein breiterer Weg führt links an meinem Lagerplatz vorbei und plötzlich geht da ein jüngerer Mann; ich denke gleich, der sucht auch Quartier. Er ist wie aus dem nichts aufgetaucht. Ich gehe hinter ihm her, mit etwas Abstand, und gleich zwanzig, dreißig Meter weiter steht dort linker Hand ein altes, verfallenes Haus, das mir bis jetzt nicht aufgefallen ist. Anscheinend ist es in den Hang hineingebaut, von der Architektur her ähnlich wie es manchmal Weinkeller im Weinviertel sind.  Aber wir sind hier im Traumwaldviertel und ringsherum ist riesiger Wald. Fenster sehe ich keines am Haus.

Ich klopfe an die Tür, versuche die Tür zu öffnen, eine alte, verfallende Holztüre, aber das Haus scheint verlassen zu sein. Da kommt der junge Mann daher und zeigt mir, wie die Tür aufgeht. Nebenbei: wie geht das, wenn ich hinter ihm gegangen, und jetzt vor ihm beim Haus bin? Egal. Jedenfalls schiebt er die Tür zuerst in die Höhe, dann kann er sie aufmachen. Aha! So geht das! Und schon ist der junge Mann verschwunden. Offensichtlich ein Türöffnungshilfsgeist.

Ich trete ein in einen düsteren, schmalen, lang nach hinten gehenden Raum, der eigenartigerweise zwei verschiedene Fußbodenhöhen hat – rechts ist der Fußboden um mindestens einen Meter höher als links, wo ich jetzt in der Tür stehe. Es geht sozusagen eine Geländestufe durch den Raum. Und vorne rechts, aber hier noch auf gleichem Niveau, sitzen ein jüngerer Mann und ein Kind – ich glaube ein Mädchen – an einem kleinen Tisch und machen gemeinsam die Hausaufgaben, Etwas weiter hinten, rechts, schon erhöht, sitzt, wie auf einem Thron vom Eindruck her, aber auch nur auf einem normalen Sessel, der bei einem kleinen Tischchen steht, der Hausherr; ein Mann in mittleren Jahren, mit landesüblichem Bauch, nicht übertrieben, aber deutlich. Er ist eindeutig der Chef hier. Ich frage ihn, ob ich eintreten darf und er – ja was? Nickt er? Sagt er ja? Keine Ahnung! Irgendwie ist sein Ja bei mir angekommen.

Er ist kein Typ, der mir sonderlich sympathisch ist, eher einer von denen, die ich fürchte, aber denen ich mich gerne unterwerfe. Das habe ich natürlich nicht gern und ist mir äußerst unangenehm. Aber hier, in diesem Wald - draußen ist es Nacht - bin ich froh, Unterschlupf gefunden zu haben.

Ich sehe jetzt in diesem länglichen Raum, rechts im erhöhten Bereich, aber noch weiter hinten, einen offenen Durchgang zu einem anderen Raum, in dem mehrere Leute an verschiedenen kleinen Tischen in kleinen Gruppen sitzen. Ist das vielleicht ein Gasthaus? Der Gedanke erleichtert mich, dann braucht mir meine Anwesenheit hier nicht so unangenehm und peinlich sein.

Aber wo ist meine Frau? Wer immer das ist. Kommt sie noch wie abgesprochen? Oder nicht mehr? Ist sie bei den Kindern? Wo sind die Kinder eigentlich? Wo haben wir sie zurückgelassen? Bei Freunden oder Verwandten? Im Wald, wie bei Hänsel und Gretel? Nur daß wir selber nicht mehr zurückfinden? Oder meine Frau – wer immer das ist – schon, nur ich nicht? Bin ich da in diesem Haus in Sicherheit oder muß ich Angriffe und Attacken befürchten?

Erst jetzt fällt mir das laute, hohe, durchdringende Singen in meinen Ohren auf.

Ich strecke mich. Ho!                 Ho! Ho! Ho!













©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 13. Januar 2016

265 Ich höre jetzt mit diesem Text da auf

Nacht, Nacht, Nacht, tiefe Nacht, wenn die meisten Bewußtseine schlafen und ihre Ausstrahlungen, Ausdünstungen stillgelegt sind, ruhen, schlafen und jene in ihren Träumen diese Welt verlassen haben und sich woanders herumtreiben. Die Stille, diese klare Luft! Es tut sich etwas auf. Und jetzt kommt der Wind und die Sterne leuchten und reden dich an. Der Gehörraum öffnet sich und das Hören wird weit. Und du hörst die Sphärenmusik. Die Mauern stehen fest.


Morgen, Morgen, Morgen, eigentlich schon Vormittag. Das Leben draußen ist in vollem Gange während ich aufwache, obwohl ich im Moment nicht viel davon mitbekomme, denn ich bin allein hier und es ist still in der Wohnung und draußen am Gang. Lediglich alle zehn Minuten kommt ein Windstoß auf, der irgendwo pfeift und bläst und gegen irgendetwas drückt und seine fegenden Geräusche macht. Was kehrt der auf? Meinen Mist? Deinen Mist? Unseren Mist? Was bläst der weg? Meine Ausdünstungen? Deine? Unsere? Oder gar meine schlechten Texte? Oder befächelt er sie, damit sie Luft bekommen, zu atmen beginnen und doch noch zum Leben erwachen?

Jetzt hat der Wind überhaupt aufgehört. Er wird doch nicht aufgegeben haben! Ist er denn depressiv? Nein, das kann ich nicht glauben. Ah! Richtig! Jetzt heult er wieder auf. Eine Depression will er sich nicht unterjubeln lassen! Da wehrt er sich gegen diese Frechheit. Danke, Wind, für deine klare Stellungnahme.

Mein kleines, vollgestopftes Reich ist wirklich ganz still und ruhig. Nichts bewegt sich. Selbst die Kabelschlangen verharren in ihrer Schlängelbewegung still; eine hat sich regelrecht in eine Steckdose verbissen und hält geduldig inne. Eine einsame, vergessene Krawatte umschlingt mein vernachlässigtes Rekapitulationstuch.
Die Zeich(nung)en an den Wänden stehen nicht auf Sturm. Tatsächlich! Sie erzählen alle von Liebe! Mein Gott, welch eine Offenbarung! - all das wurde aus Liebe gemacht! Jedes einzelne Stück! Alle diese Zeichnungen, Objekte, Geschenke, Bilder und Photos, die an dieser Votivbilderwand hängen. Das ist unglaublich! Welch ein Glück! Was bin ich für ein reicher Mensch! Was für ein Segen! Was für eine Fülle! Wie sehr sind ich und diese Welt geliebt! Danke!

Ich höre jetzt mit diesem Text da auf.















©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 12. Januar 2016

264 Der Pawlowsche Hund

Ich wache still und friedlich auf. Ich fühle mich ausgeruht und erholt. Bis mir einfällt, daß heute ein Arbeitstag ist. Da explodiert die Angst in mir und breitet sich wie ein Innenflächenbrand aus. Panik überfällt meinen Körper, sofort ist dieses nagende Gefühl da und frißt sich durch meine Eingeweide. Das muß ein sehr alter Reflex sein, jahrelang wie einem Pawlowschen Hund antrainiert in Kindergarten und Schule, und wahrscheinlich, nein, sicherlich schon vorher. Die Angst, nicht zu genügen. Die Angst vor Demütigung und Bloßstellung. Eine lähmende, würgende Angst.

Ich kann beobachten, wie sie sich im Körper ausbreitet, wie sie ihn in Alarm versetzt, der aber zu nichts führt, nur zur Lähmung. Angenagelt dastehen und das alles wehrlos über sich ergehen lassen: die Entwertungen, Beschimpfungen, die Verachtung. Und was davon zurückbleibt: das elende Gefühl des Versagens. Der Impuls aufzugeben. Ich mag nicht mehr.

Ein tiefer, aber stoßweiser Atemzug – wie bei Kindern nach dem Weinen – schafft eine kleine, resignative Erleichterung. Gelöst ist gar nichts. Die Angst ist noch da. Ich arrangiere mich mit ihr. Ich erkläre mich bereit, mit ihr zu leben. Obwohl die innerste Stimme sagt: „geh nicht hin!“ - trotzdem hingehen. Das ist ein verlegen machender Verrat. Diese innerste Stimme ist so leise, kaum hörbar, kommt verschämt daher, als wäre sie im Unrecht, denn laut schreien die anderen Stimmen: „du mußt!“ Diese innerste Stimme wirkt so schwach wie ein nicht überlebensfähiges Baby. Die anderen schreien: „die Welt ist hart und ein Kampf – so kannst du nicht überleben!“ „Das kannst du dir nicht herausnehmen! Wer bist du schon!“, sagen sie auch. „Was bildest du dir ein?! Du mußt dich überwinden und hingehen!“

Viele tausende Male habe ich mich überwunden und bin hingegangen; ichmich, nicht die „anderen Stimmen“. Ja, das ist ein Verrat. Und dieser Verrat ergibt ein Arrangement, in dem ständig der Beweis für das Unrecht der inneren Stimme gesucht wird. Sie darf nicht recht haben. Das Versagen muß durch die äußere Welt bestätigt werden; schlimmstenfalls wird erlebte – beinahe hätte ich  geschrieben: erlittene – Wertschätzung als Mißverständnis interpretiert und auf jeden Fall relativiert.

Soll ich so etwas überhaupt herschreiben? Jedenfalls brauche ich mindestens fünfunddreißig Jahre Erholung und Urlaub, damit ich wieder zu meinem innersten Kern finde und dann loslegen kann! Das wird verdammt knapp! Wau.












©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 11. Januar 2016

263 An den Rändern zweier Tage

Wie nach einem guten Tag, an dem man sein Tagewerk geleistet hat, obwohl: es waren bei mir nur ein paar fragwürdige Zeilen. Trotzdem zufrieden und rechtschaffen müde. Ja, so habe ich es gern – den Tag am Schreibtisch zu verbringen und zwischendurch ein paar kurze, tatkräftige Aktionen wie Geschirrabwaschen und Christbaumentsorgen. Dieses Bild ist jedoch ein wenig irreführend, denn es ist der Laptop, vor dem ich die meiste Zeit sitze, und nicht unbedingt schreibend, sondern surfend. Dabei fordert mich dieser Laptop mehrmals freundlich auf, damit aufzuhören, indem er mir immer wieder abstürzt. Manchmal steige ich auf seinen Hinweis auch ein.

Ja, eine regelrechte Idylle. Mein Geist und meine Gedanken kreisen herum und irgendwann kristallisiert sich doch etwas heraus. An diesem Abend bin ich ein wirklich zufriedener Mensch. Außerdem glaube ich, heute jemandem Unbekannten via Internet etwas sinnvolles gesagt zu haben, das dieser Person weiterhelfen könnte. Das macht mich glücklich, richtig glücklich. Ich muß aber selber lachen, daß das gleich ein so pathetisches Gefühl auslöst, nicht umsonst auf der Welt zu sein. Was für ein Drama wegen einer solchen Kleinigkeit! Aber ich freue mich wirklich.


Ein zufriedener Abend schützt nicht vor Angstträumen. Eingebettet in mein Surren und die Bettdecke, mit einem leichten Zittern in der Körpermitte, schaue ich auf die Licht- und Farbspiele, die sich aus meinem unzentrierten Blick aus verschlafenen Augen ergeben. Ein mißverstandenes Pulsieren in meinem Kugelschreiber in der rechten Hand erschreckt mich – führt der schon ein Eigenleben? Mir fallen die Augen zu, nachdem mir klar geworden ist, daß das ruckhafte Abgleiten des Kugelschreibers über das Notizbuch – ausgelöst, weil die Spannung in meiner Hand durch mein Einschlafen nachgelassen hat – ein ruckartiges Vibrieren des Kugelschreibers verursachte, den meine traumverfangene Wahrnehmung irrtümlich als Pulsieren deutete. Heute bin ich sehr aufgeklärt, darum wird alles entmystifiziert. Ein einschlafender Aufklärer beschreibt seine unaufgeklärten Wahrnehmungen am Rande des Tages.

Die Morgensterne waren wegen des in Wolkendecken eingebetteten Himmels nicht zu sehen. So mißverstanden kann Wahrnehmung sein, wenn es das verschlafene Bewußtsein nicht zum heliozentrischen Weltbild geschafft hat. Mein Magen knurrt und lechzt nach Nahrung. Lechzt er wirklich? Und ist es wirklich der Magen und nicht meine Angst, die nach Nahrung lechzt? „Lechzen“, was für ein eigenartiges, schönes Wort. Ich bin zu faul um aufzustehen, zum Bücherregal zu gehen und das etymologische Wörterbuch zu holen.
Was sich in meinen Ohren abspielt empfinde ich so, als würden lange Geräuschröhren, innen hohl, in meinen Gehörgängen stecken, so lang, daß sie weit aus meinen Ohren ragen.

Meine Aufmerksamkeit balanciert über irgendwelche undefinierten Abgründe. Meine Seele ärgert sich noch immer über den Diebstahl meiner teuren, guten Winterschuhe im Traum, mein Alltagesbewußtsein versucht, sie über den Unterschied von Traum und Wirklichkeit aufzuklären. Das Empfinden der Seele beharrt darauf, daß beides Wahrnehmungs- und Erlebniswelten sind und will nur widerwillig nachgeben.
So kämen wir der Sache schon näher, aber ich bin wieder am Einschlafen, sodaß aus dem Näherkommen nichts wird. Andächtig lausche ich den Wassergeräuschen aus der Dusche, ohne zu wissen, ob sie alltagsweltlich oder geträumt sind. Selbst als Aufgeklärter komme ich der Andacht nicht aus. Mein Bewußtsein bewegt sich in Serpentinen aufwärts, obwohl auch viel für das Hinabgleiten in den Schlaf spricht. Ja.
Diesmal liege ich mit gespreizten Beinen da und werde sie nicht überkreuzen.

Ich habe mich dann bald zur Seite gedreht und die Beine überkreuzt und mußte dann stundenlang um Aufwachen und Aufstehen kämpfen. Selbst das Öffnen der Augen war langwierige, mühsame Arbeit. Mein Bewußtsein versuchte zwar immer wieder aufzutauchen, konnte jedoch die Membran nicht durchstoßen.

Und übrigens: „lechzen“: Intensiv zu mittelhochdeutsch „lechen“, austrocknen (Lutz Mackensen; Ursprung der Wörter; Südwest 1985)











©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 8. Januar 2016

262 Herrgottsfrüh

Die Türme aus CeDes und Büchern wirken äußerst instabil, aber sie bleiben ganz unbewegt, jetzt, in aller Herrgottsfrüh. Traumfäden hängen noch im Raum herum. Die übliche Geräuschkulisse ist von einem fernen, rotierenden Pulsieren unterlegt, wie von einem im Leerlauf laufenden Motor tief im Innersten der äußeren Welt. Was der antreibt? Fährt der langsam all die schlafenden Bewußtseine hoch? Und glüht jetzt schon vor, um in ein, zwei Stunden voll auf Hochtouren zu laufen? Es ist noch zu früh für Späße. Ich fühle mich noch aus dem Traum gebrochen, oder den Traum aus mir. Die Bruchstelle ist noch offen. Die imaginären Grillen zirpen in voller Orchesterbesetzung drauf los, aber nicht fröhlich, sondern starr und stur forciert, das privat surrende Panikorchester. Irgendwie ist es lichter als gestern, aber nicht hell.

Ich lehne in Lauerstellung am Rande des Tages; ein früher Jäger, der am Hochsitz einzuschlafen droht. Ich bin allein mit der Welt – da habe ich das Gefühl, schon irgendwie zurechtzukommen. Nicht unbedingt elegant, aber es gibt keine zensurierenden Zuschauer. Das Surren kommt mir zentral gesteuert vor und der Dirigent läßt es anschwellen und abklingen, manchmal abrupt.

Meine Beine kommen mir plötzlich fremd, wie aus einem runden Körper heraushängende Vogelfüße vor. Meine Arme fühle ich kaum, nur den Stift in der Hand spüre ich da vorn in der Mitte. Ein vages, höflich zurückhaltendes Gelächter kosmischer Wesen um mich. Jetzt bringt ein unspürbarer kosmischer Wind alles zum Flattern. Zumindest jetzt, wo mir der Kugelschreiber beinah aus der Hand fällt, gerät meine Schrift in Bewegung und zerrinnt am Papier als wäre sie geschmolzen worden. Sich ständig bewegende Wahrnehmungsfetzen umkreisen mich. Ein schmutziges Dreckslackenbier im Glas schäumt über und löst sich und das Glas wieder auf. Plötzlich reißt irgendwer Unsichtbarer die unsichtbare Tür auf und kommt mit seiner Bande still lärmend herein. Es ist nichts zu hören, aber irgendein Pegel ist jetzt  höher gestellt, im unhörbaren Frequenzbereich lauter aufgedreht. Meine Ohren werden innen mehrmals auseinandergezogen und schnellen gleich wieder zurück. Jetzt eindeutiger Diesseitslärm. Stabilität ragt nun innen in die Welt hinein.

Es geht los, der Morgen beginnt.












©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 7. Januar 2016

261 „Tanz des Lebens“

Spät in der Nacht ist der Himmel klar genug um die Sterne zu sehen. Orion, Aldebaran im Stier und die Plejaden, Capella mit ihren Begleiterinnen, Prokyon ... . Ich freue mich über ihren Anblick.
Es reicht nicht gegen die Angst, die sich eingenistet hat. Angst vorm morgigen Tag. Wo ist meine Zuversicht? Immer noch fühle ich mich schutzlos. Wo ist der Abwehrzauber gegen dieses Programm? Der Magen krampft sich zusammen. Mir fallen die vielen Kinder ein, die morgen wieder in die Schule müssen. Diese elenden Anstalten! Diese elende Welt! Diese elende, würgende Angst!
Nein, so geht es auch nicht. Damit werde ich die Angst nicht los.
Angst, was willst du mir sagen? Liebe Angst, bitte sprich mit mir!

Die Wände bleiben stumm. Nichts geschieht. Nur die Zeit tickt und surrt weiter. Fast dröhnt die Stille und pulsiert sich in meine Aufmerksamkeit. Seufzend atme ich tief. Ein wenig Erleichterung, aber mein Inneres bleibt verknotet. Nichts geschieht. Nur stockend und nach langen, ratlosen Pausen fährt mein Schreiber über das Papier. Ich warte auf eine Antwort. Schutzgeist, Schutzengel, Begleiter, Doppelgänger, Energie-was-weiß-ich-was, nimm meine Hand und schreib eine Antwort! Irgendetwas, das ich verstehen kann und das mir hilft. Jetzt belächle ich meine Dramatik. Spöttisch und zynisch zu sein finde ich jetzt unfair.

Die Angst ist immer noch da. Ich bin sie gewöhnt und es kommt mir nun vermessen vor, sie loswerden zu wollen. Okay! Okay!             Okay!

Also, was willst du? Und warum lähmst du mich? Was? Mir fehlt Vertrauen? Das wundert mich nicht. Und? Weiter? Woher nehmen wenn nicht stehlen?

So kommen wir auch in kein Gespräch. Ich lasse es gut sein.


Ich bin aufgewacht in die Finsternis und die Angst in mir schreit stumm. Es ist der Morgen und es ist das drittemal. Die ersten beide Male hat mein Geist seine Sätze formuliert und versucht aufzutauchen, aber ist aus Traum und Schlaf nicht hoch genug gekommen um meine Hand zum Schreiben zu bewegen.
Die Angst in mir schreit und surrt panisch. Ich atme und bekomme ein wenig Abstand. Ich schaue sie an und erkenne, wie vertraut sie mir ist. Ich habe gelernt, sie zu ignorieren, aber in mir heult ein stiller Alarm. Was willst du? Ich bin deiner überdrüssig und traurig. Wer straft mich hier wofür? Die Angst in meinem Leben ist viel älter als die Schuld. Also, was willst du!

Bald werde ich aufstehen mit allem, was man am Morgen so macht und dann so tun, als wärst du nicht da, bis ich dich vergessen habe. Was soll ich sonst machen? Wie kann ich sonst leben? Du bist dann nicht weg; du nagst weiter in meinem Inneren und frißt meine Lebenskraft.

Eine sanft  unwuchtig rollende Bewegung berührt meine Körpermitte. Eine alte Frau vor mir scheint Auskunft geben zu können; sie setzt mehrmals zu reden an, aber bringt keinen Ton heraus und öffnet vergeblich ihren Mund. Sie wirkt zertreut und senil.

In meiner Mitte, im Zentrum, ist immer noch die Angst. Ein altes, verfallendes Gebäude unter Denkmalschutz existiert so vor sich hin. Ist das der Fehler? Der Denk-mal-schutz? Mein Atem hebt und senkt die Landschaft. Kurz erfaßt mich eine Gier und verschwindet wieder aus dem Scheinwerferlicht. Ich schimpfe mit den Heiligen. Das Ticken des Weckers greift plötzlich ganz tief in mein Inneres, bevor es sich wieder an die Oberfläche zurückzieht. Ich suche meinen nicht aufgeschriebenen Text, aber er verschwimmt immer; ich kann die gefundenen Stellen nicht lesen. Ist die Angst eine verkannte Kraft? Ist das nicht zu einfach? Und wenn schon, welche? Mir wird meine Sucherei zu blöd. Eine ältere, runde, weiche Frau hat sich hinter mich gestellt und ist schon wieder weg. Ich habe die Täuschungsmanöver satt!, aber meine Haltung gefällt mir auch nicht.

Wortwolken schweben auf mich zu, sie kommen jedoch aus der falschen Richtung. Meine Aufmerksamkeit verliert ihre Konzentration. Gibt es eine Wahrheitsdroge? Jetzt taucht das Bild praller weiblicher Brüste auf. Ich bin deswegen von mir enttäuscht. Oder habe ich die Angst tatsächlich mit der Muttermilch eingesogen? Ich habe als Säugling viel gekotzt und wollte nicht zunehmen, wurde erzählt. Ist das die richtige Spur?

Dieser psychologische Kram ist mir unangenehm und enttäuscht mich. Ich komme damit auch nicht weiter.

Ich strecke meine Beine und lege die Füße übereinander, wie bequem am Kreuz angenagelt. So kann ich nicht herunterfallen, schon gar nicht im Liegen. Ahhh! Furchtbar diese Mutter-Sohn-Ehen! Jetzt wird’s mir richtig unangenehm. Ich möchte flüchten. Auf und davon. Geht schwer mit überkreuzten Füßen. Ich lache blöd. Ein schreckliches, zynisches Gefühl. „Tanz der Lebens“ fällt mir ein. Ja, so könnte es gehen.




©Peter Alois Rumpf  Jänner 2016    peteraloisrumpf@gmail.com


                 





All creative works builds on what came before...Photographed and animated by Nina Paley. Music by Todd Michaelsen
Posted by Alp Alphan on Sonntag, 12. April 2015




Photography & Animation: Nina Paley
Music: Todd Michaelson
Photographed at Metropolitan Museum of Art; New York City








Dienstag, 5. Januar 2016

260 Am Ende ein schöner guter Morgen

Ich welchem Fahrwasser schwimme ich jetzt? Genug der Fragerei. Überwinde deine Trägheit und zieh los. Der Abend ist fast so still wie der Morgen. Müdigkeit. Ich mache mich auf in die Traumwelt. Ich höre kaum das ferne, tiefe Pulsieren, aber es ist da. Genug jetzt. Der rote Vogel wartet schon.

Der Traum hat mich in eine stille Verliebtheit zu einer rothaarigen Frau und in ein Lokal zu Herbert Achternbusch geführt. Der wurde dann ohnmächtig und ich wußte nicht recht, was tun. Alles Genauere ist schon wieder in diesen trägen, zähwässrigen See des Vergessenen gerutscht; ich weiß, da war noch etwas, aber ich erinnere mich nicht mehr was, spüre nur noch die heftigen Gefühle, ohne sie zuordnen und verstehen zu können. Eine befremdliche Intensität. Ansonsten ist der Morgen wie immer, nur etwas später als die letzten Tage. „Die letzten Tage der Menschheit“ fallen mir ein. Und der Schmerz im Kreuz. „In diesem Zeichen wirst du siegen.“ Meine Einfälle waren auch schon einmal besser. Hoffe ich. Einen schönen guten Morgen liebe Leserinnen und Leser.















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 4. Januar 2016

259 Gesäuse

Im Traum bin ich die Enns flußaufwärts gegangen, durchs Gesäuse, ganz unten am Ufer, zeitweise durch seichtes Wasser. Nur, daß da keine Straßen, keine Bahngleise, keine Siedlungen waren. Lediglich dort vorne, hinter der nächsten Flußbiegung, ahnte ich das Haus meiner Großeltern. Meiner Traumgroßeltern, denn das Haus meiner Diesseitsgroßeltern stand nicht auf einem Hügel direkt am Ufer der Enns.
Es war also ein Traumgesäuse und ich bin im Traum schon öfters diesen Weg gegangen – ich kann mich erinnern. In den früheren Träumen bis nach Admont; in diesem sind wir an dieser Flußbiegung vorm Großelternhaus wieder umgedreht. Wir - mein Begleiter und ich. Ich weiß nicht, wer mein Begleiter war; er wollte nicht weitergehen, ich schon.  Wegen ihm bin auch ich umgedreht. Wir waren noch im nördlichen, sanfteren, grüneren Bereich des Gesäuses, so zwischen Weißenbach an der Enns und Wolfsbachau, oder ein bißchen weiter. Bevor es mit den Felsen und Schluchten richtig losgeht. Ab dem Großelternhaus wird es steil und eng. Und Admont ist der Ort meiner Geburt.

Jetzt liege ich wach, erfüllt und eingehüllt von heftigen Traumgefühlen. Ein traumhafter Morgen voller Intensität und Ratlosigkeit. Was ist eigentlich los? Mein Herz pocht laut wie nach einem Schrecken, ist jedoch von einer starken Sehnsucht erfüllt. Wonach sehnt sich mein Herz?

Es ist ein stiller Morgen, wie ich ihn hier oft erlebe. Ganz ruhig, kaum Geräusche von außen. Das obligatorische, intensive Surren in den Ohren, das den Eindruck von Stille und Alleinsein verstärkt, als deren rechtmäßige, artgerechte, charakteristische Bergleitmusik. So wie im Gesäuse die Enns rauscht und trotzdem die Gegend still ist.

Eine Pattsituation, aber wem oder was gegenüber? Wellen eines undefinierten Gefühls gehen durch mich hindurch. Ich kann dieses Gefühl nicht zuordnen, aber nicht, weil es so fremd ist - nein, es ist mir sehr vertraut – sondern weil es … ja was?
Weil es zu groß ist? Zu alt? Zu lange her? Weil es in einer anderen Sprache „spricht“, die ich oft gehört, aber nie erlernt habe? Oder schon längst vergessen?

Ein altrosa Fleck taucht vor meinem inneren Auge auf und das Geklapper aus der Küche in meinem Ohr. Die hiesige Wirklichkeit wird lauter.

Jetzt ist wieder das Surren dominant mit seiner ruhigen, kontinuierlichen Aufgeregtheit. Etwas alarmierendes haftet ihm schon an, nur daß ich mich nicht alarmieren lasse. Auch nicht vom Herzklopfen. Ja, das kommt noch alles aus dem Traum, aber dort bin ich nicht mehr.

Der Wind pfeift durch den Schornstein. Ich stolpere über das Wort „Schornstein“. Warum nicht „Rauchfang“, wie ich im Sprechen sagen würde? Ist meine Schriftsprache stärker eingedeutscht? Weil ich im Grunde heimatlos bin? Ein Anschluß des wachen Bewußtseins? Der Wind hat sich nicht mehr gerührt. Ich schnaube durch die verstopfte Nase. Das Gefühl jetzt kann ich identifizieren: Traurigkeit. Trauer, weswegen? Das weiß ich nicht. Ich will darüber nicht nachdenken. Ich lasse es einfach gut sein.












©Peter Alois Rumpf    Jänner 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

258 Importierte Erinnerungen

Eigenartig. Ich erinnere mich an Dinge, die ich nicht erlebt habe. Zumindest nicht in dieser Welt. Gehen wir es rational an. Beim Anhören französischer Chansons erinnere ich mich, in eine Frau verliebt gewesen zu sein, ganz frisch, mit ihr zu sprechen, mit ihr durch einen Park zu gehen, in ein Cafe und so weiter. Alles noch ganz am Beginn und kaum entfaltet. Nur: diese Erinnerung ist emotional ganz stark, ich fühle all dieses Glühen wieder, aber es hat nie stattgefunden. Ich erinnere mich auch nicht an die Frau, an das Ambiente sehr vage, nur an meine Gefühle erinnere ich mich, sie überschwemmen mich geradezu und beinahe erlebe ich sie „wieder“.

Gibt es so etwas wie „importierte“ Erinnerungen? Die man sich aus Liedern, Filmen, Lektüre einverleibt hat? Oder aus solchen Versatzstücken zusammengebastelt? Anscheinend. Vielleicht habe ich sie als Jugendlicher taggeträumt und mein alterndes Bewußtsein erinnert sich an die damaligen Gefühle.

Eigenartig, was da so alles daherkommt. Ich bin regelrecht irritiert. Geht jetzt schon das große Aufräumen los?













©Peter Alois Rumpf    Dezember 2015/Jänner 2016     peteraloisrumpf@gmail.com