Donnerstag, 30. September 2021

2451 Nach C

 

Ich sitze auf der Strudelhofstiege in der zweiten Kurve und esse eine Käseleberkässemmel und eine Semmel mit faschiertem Laberl und trinke ein Cola classic: Doderer wird sich im Grab umdrehen, zumindest des Colas wegen. Ein Kindergarten wurde vorbeidefiliert: Zweierreihe! halt! weiter! etc. und viele Passanten für eine – in meiner Wahrnehmung – so abgelegene Gegend. Ein heraufstapfendes Paar lacht laut. Ich beziehe es gleich auf mich (ein bisserl Größenwahn – man gönnt sich ja sonst nichts) aber das ist wohl eine voreilige Annahme, oder? Oder meine Zöpfchen? Ein Hund bellt, Motorräder jaulen auf, Autos rauschen. Irgendwer sagt „hopphopphopp!“ - aber sehr pointiert – es klingt wie „poppoppopp!“ im Stakkato.  - wie vermutet zu einem Hund, um ihn die Stiegen hinauf zu dirigieren. Ich geh die Stiege nicht runter, ich bin ja kein Tourist; ich raste hier lediglich. Jugendliche und Hubschrauber. Touristinnen. Passantinnen. Mit einem Jahr Therapie darf ich laut Kranker-Gesundheits-Kassen-Psychiater noch rechnen. Ich denke, ich bräuchte Therapie bis an mein Lebensende (schließlich hatte ich schon das Messer neben meinem Bett liegen), aber gut, vielleicht geht es sich eh aus. Ansonsten werde ich tun, was ich immer mache: mich nach der Decke strecken. Zur Gänze die Therapie allein bezahlen kann ich mir sicher nicht leisten. Es geht eh so schon die Hälfte meiner Pension drauf. Dann eben nicht. Ich finde zwar, dass mir das auf Grund einer Kindheit in gewalttätiger Umgebung zustünde (und nicht nur mir), aber meine Interessen und Ansprüche durchzusetzen war nie meine Stärke. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben; also höre ich jetzt mit dem Gejammer auf und mache keine Umstände; ich will ja auch nicht in Verzweiflung fallen; dafür ist es dann, wenn es so weit ist, immer noch Zeit.

Nun bin ich doch die Strudelhofstiege hinunter gegangen um einen Papierkorb für meine Abfälle zu finden. Darum sitze ich jetzt bei dem Wasser speienden Fisch im Strahlenkranz aus Steinen. Das Plätschern klingt irgendwie nach seelischem Überdruck; es klingt nicht so entspannt. Das Gedicht von Doderer fährt mir nicht ein. Schade. Das hier ist offensichtlich der Touristen- und der Doderer-Bewunderer-Hotspot. Es wird viel photographiert. Unruhe.

Eine Frau in Rot will auch auf der Bank sitzen; ich erlaube es ihr, nachdem sie höflich gefragt hat. Ein magischer Ort ist es schon. An das starke Wasserrauschen habe ich mich inzwischen gewöhnt. Auch die Umgebung ist besonders; die Häuser sind interessant, der Geländeabbruch sowieso. Ich finde es hier nicht typisch für Wien! Und das tut dem Ort gut. Der Fisch pritschelt die Steine unter seinem Kinn an. Ich betrachte die Wellen im kleinen Auffangbecken. Die rote Frau schreibt jetzt auch. Von rechts nach links. Hebräisch ist mein erster Gedanke. Oder Arabisch. So gut sehe ich nicht trotz auffällig unauffälligen Hinschielens nicht auf ihr Blatt. Farsi könnte es auch sein (und das war richtig, wie ich erfragen konnte. Nicht immer ist der erste Gedanke der richtige, vor allem, wenn er sich erst durchs Vor-Gedachte hindurch kämpfen muß). Ja, diese Stiege wird von nicht wenigen normalen Passanten benutzt, die von A nach B wollen. Und ich muß bald nach C.

 

(30.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2450 Die Katze geht

 

Das Morgengrauen ist so schön. Das Surren in den Ohren läuft auf Hochtouren und hüllt mich zur Gänze ein. Das Morgengrauen wird heller. Ein neuer Tag, und ich habe noch nie wirklich verstanden, dass das am Abend einen Tag weniger heißen wird. Ein „vorwitziger Unsterblicher“ also. Hält mein Bücherregal die Überladung aus? Und meine Seele? Ein voll schwarzes Unidentifiered Flying Object sprüht weißes Licht aus (auf einer gegen den Strich interpretierten Kunstkarte). Mein Auferstandener steigt eher aus einer Wasserwoge heraus und hat auch keine Hände, wie mir scheint. Die Prostituierte sitzt so armselig da. Mein Surren spitzt sich zu und die kleine Baustelle im Hof ist laut. Die Haut um meine Augen ist angespannt. No risk, no fun. Die Platane am Fußende wächst in fremde Vergangenheit hinein. Der Morgen ist bereits Tag. Das anscheinend ökonomisch sinnvolle Unfreundlich-Sein. Den Totenschädel vom Dürer kann man vor lauter Grau nicht sehen. Der Waldl fällt mir ein und mir wird fast schlecht. R.B., kannst du dich noch an unseren Astrostammtisch erinnern?! Die Katze geht.

 

(30.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 29. September 2021

2449 Tüddeln und Piepsen

 

Tüddeln und Piepsen wecken mich auf. Der vergessene Traum ist schwer abzuschütteln. Ohje! Ich stehe vor einem amerikanischen Gericht. Das ist das Letzte, was ich brauchen kann. Irgendetwas ist unter den Teller gerutscht. Achja, die neueste Erkenntnis ist versunken. Ich schlage in der Wirklichkeit 2 das Laptop auf und zu. Ich schicke Küsse durch die Luft – in Wirklichkeit 1. Aufstehen geht noch nicht.

Von Größe, Bedeutung und Gewicht müßte die Wirklichkeit 2 eins heißen, und die Wirklichkeit 1 zwei. Sie wurden halt aus unserer beschränkten Subjektivität heraus nummeriert.

 

(29.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2448 Alligator

 

Ich werde von der Polizei verfolgt, habe ich geträumt. Und anfällig für Zeitgeist und Blindheit bin ich auch – fällt mir gerade auf. Ich sollte bei meiner Kernkompetenz und meinem Leisten bleiben. Katzengras werden wir auch bald wieder brauchen. Mama mia! Wann war das? Volksschule, das ist ziemlich sicher. Früher? Unwahrscheinlich. Und hier und jetzt? Zufallende Augen. Ein gottgewollter Sesselkreis – nicht hier. Eine Krähe ruft in meine sich deutlicher machenden Träume und beendet sie. Die Sache kippt mehrmals. Die mit dem Fahrrad versteckt sich; erst als ich aufgegeben habe, schiebt sie fröhlich grinsend sich und ihr Rad vor mein inneres Fenster. „Abtreibung!“ ruft eine andere Stimme innen und während ich schreibe; nun gibt die Kulispitze immer eine kleine Aura aus weißem Licht ab. Frau Katz sitzt neben mir wie eine schnurrende Sphinx und macht es mir schwer, sie zu streicheln, weil sie konsequent in meinem toten Winkel liegt. Wann hat der Pfarrer von St.Leopold Sprechstunde? Geht’s um Kirchenasyl? Ein Alligator kommt angekrochen und wirft sich vor meiner inneren Linse in Position.

 

(29.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2447 Kreidetafel

 

Mein Auferstandener hat die Füße eingezogen, als wären sie ihm zu kalt. Mein Lehrer steht noch immer an dieser altmodischen Kreidetafel. Meine – vielleicht – Liebenden gehen im zu Dunklen fast unter – zumindest aus dieser Entfernung. Meine Tiroler Landschaft und mein Mali Lošinj werden wieder beweglicher. Die zwei Visionäre schauen professionell. Meine Schweizerin bleibt bei ihrer Verweigerung. Selbst die Bücher fangen nun ein wenig zu schweben an. Ich spüre meine Ahnen nicht; auch nicht hinter ihren Auswirkungen und meiner Trauer. Feig sind sie!

Ich bin für euch da.

 

(28./29.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 28. September 2021

2446 Gute Nacht

 

Weil meine Dämonen vertrieben sind, bleiben meine Bilder und Kunstkarten eher leer und unbewegt, wenn ich sie betrachte. Es ist weniger spannend sie anzuschauen. Kann aber sein, dass mein „System“ durch Überstimulierung erschöpft ist und auf Schongang heruntergeschaltet hat. Nunja: ich könnte mir schon vorstellen, dass ich – wenn ich länger hinschaute – von der Idee, dass mir die Schweizerin ihre jetzt gerade noch verhüllten Brüste enthüllt zeigt, besessen werde, aber ich schaue nicht lange hin. Auch in Mali Lošinj könnte ich an der unebenen Stelle in der Kurve am Hafenkai irgendwelche Figuren entdecken – wenn ich nur lange genug hinstarrte. Aber ich habe keine Lust, so lange hinzugaffen. Gute Nacht! (4:43 a.m.)

 

(27./28.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2445 Vigil

 

Auch am Morgen schwirrt mir der Kopf, aber vom Träumen. Das ist noch nicht mein richtiger Morgen, sondern meine Vigil, eine Schlafunterbrechung im Dienste der Katze, die jetzt zufrieden vor sich hin redet und bald wieder schlafen und schnarchen wird, so wie ich auch.

 

(27.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2444 Drei zu null

 

Mit den Pölstern ist das so eine Sache: in der Früh hatte ich es noch mit einem kometenhaften Polster zu tun (Bezug dreimal so groß als der Polster itself = Komet mit Schweif), jetzt knotze ich an der trinitarischen Polsterung (drei Stück im Rücken so zu schlichten versucht, dass ich bequem im Bett sitze).

Was kann ich noch berichten? Ich habe auf Facebook die „Peoples Republic“ vom Revolutionary Ensemble geteilt und dem Franz Stephan zum Wahlerfolg gratuliert. Sturm hat in Wien die Rapid 3: 0 besiegt! Whooow! Und stundenlang habe ich die Wahlsendungen verfolgt. Jetzt schwirrt der Kopf. Vorher noch hatte mich meine liebe Frau zum Essen in der Schönen Perle eingeladen. Anschließend oberflächliche Zeitungslektüre und Kreuzworträtsel (Chronologisch ist das nicht!). Jetzt schwirrt mir der Kopf wohl auch von den Erinnerungen und Erkenntnissen die Tage davor. Und ich bin müde.

 

(26./27.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 24. September 2021

2443 Demeter

 

12:54: das nenn ich einen Morgen! So gut ausgeschlafen und von allen Dämonen befreit! Niemand schimpft mit mir. Niemand macht mich falsch und klein. Niemand nennt mich lebensuntüchtig oder lebensunwert. Danke, liebe schöne Demeter! Welche Heilkräfte du uns geschenkt hast! Und Erkenntnisse. Die arrogante Büste in meinem Bücherregal bekommt die hohe Nase überhaupt nicht mehr herunter; ich schaue direkt in die Nasenlöcher. Die Schweizer Getreidebäuerin, die aus Not und gegen Geld dem Maler Modell gesessen ist, bedauert, dass sie mir nicht ihre Brüste zeigen kann. Ich sehe es an ihrem Blick. Sie fühlt sich mit dem aufgesetzten, dekadenten Hut sehr entfremdet, überrollt, überfordert und mißbraucht. Und bloßgestellt. Ihrer Identität beraubt. Da kommt ihr mein Blick, der aus ähnlichen Wunden kommt, natürlicher und keuscher vor. Danke, liebe Frau. Und danke, dass du deiner Verletzungen eingedenk nicht hysterisch herumschreist.

 

(24.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2442 So, oder so

 

Diiinnnng! So der unabsichtliche Gong (Pilotpen an metallenem Lampenschirm). Und der grüne Pilotpen schreibt blau. Aber das ist kein Mysterium: ich besitze als Ersatzminen nur schwarz und blau. Meine Frau schaut immer noch ungehalten (Kosmetik! Farben! Foto! … Foto!!). Meine Schweizerin drallt immer noch verheißungsvoll. Wir fahren alle den Lift in die Tiefe, nur ein Grünstichiges bleibt an der Wand stecken. Je länger ich dem Lift in die Tiefe zuschaue, desto mehr fühle ich meine zusammengebissenen Zähne. Wenn schon die Welt nicht hier, so doch wenigstens im Jenseits (trans)rational ist (Fragestellung und Rettungsthese meiner Kindheit) hinter dem Engel des Herrn (Lied). Die verrückte Religionslehrerin hatte auch versehrte Finger! Ihre Handhaltung erinnert mich. Die Fragestellung auch (so? Oder so?). Erinnert mich an eine Religionslehrerin der anderen Art.

Der Lift. Meine Lippen zittern bewegungslos. Warum habe ich eigentlich das Gefühl, der Lift fährt nach unten, wenn ich auch die Wände hinuntersinken sehe? (Meine Katze schnurrt geduldig; sie scheint meine Schreibkonzentration zu respektieren). Der Auferstandene wird zu kraftlackelnden Vaterfigur. Da stimmt halt etwas nicht! Niemals wird der geopferte Sohn zum Vater! Ich lasse den Blaustich hinuntersinken. Ein inneres Vibrieren der Lippen hebt an. Ich sauge an den verstümmelten Fingern und mache die Seele federleicht. Das geile Potential des Religiösen – schon als Kind erkannt. (Mit dem kann frau schon Pferde stehelen! - kleiner Exkurs ins Gesichtsbuchhafte). Was so einer kleinen Seele alles widerfährt! Geisterfahrer rasen sie nieder. Unzählige Geisterfahrer.

 

(24.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2441 Jessica wird alt

 

Ein wenig dreht es sich noch. Mein Auferstandener bekommt eine Mädchengestalt. Gold und Blau sind so irre Farben. Der Priester verwandelt sich, nicht Brot und Wein: zuerst in ein Mädchen, dann … ich komme nicht nach – ein einziger fließender Übergang von einer Identität zur nächsten. Meiner kleinen Schweizerin steigt Zornesröte ins Gesicht. Jessica wird alt. Die zwei Visionäre wie zwei Affen, aber ihre Augen arbeiten noch auf vollen Touren. Die Mondnacht ist wieder eine Mondnacht. Der Auferstandene bekommt so einen Neunzehntes-Jahrhundert-Geniekult-Schädel. Die Drucke auf meinem Bettzeug: verblasstes Blau auf vergilbtem Weiß. Das Gestell reagiert auf mich leicht aggressiv.

Ich lasse wieder alles von den Wänden fließen. In Stille. Die frankophone Schweizerin wirft mir Speisen zu. Aber ansonsten habe ich auf das Fließen noch blauen Zugriff. Alles rinnt langsam herunter, wie vorher an die Wand geklatscht (gut so! Alles Unreife an die Wand schleudern! Wie beim Froschkönig). 3 Uhr a.m. Wär‘s nicht langsam Zeit? Nicht müde? Schon, aber ich will nicht. Noch nicht. Wie wenig Ahnung alle haben.

Na gut, ich bin bereit.

 

(23./24.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2440 Die Kunst der Fuge

 

Ich pumpe für meine Frau die schwach gewordenen Reifen des Kindertransportwagerls auf, sie hält den Schlauch am Ventil fest, als es zum Angelus läutet (19 Uhr; ohne Sommerzeit 18 Uhr) und mir das Lied „der Engel des Herrn“ einfällt. Ich fange es schon während des Pumpens zu singen an, auch wenn ich den Text nur fragmentarisch erinnere. Ob sich meine Frau wundert, weiß ich nicht. Ich bekomme den Song nicht mehr aus dem Ohr. Ich beschließe, ihn mit der Kunst der Fuge zu verjagen. Kitsch erlaube ich mir nicht!

Es beginnt die Kunst der Fuge. Vom Geruch gekochten Sauerkrauts überdünstet. Frau Katz starrt mich an und maunzt mich an und ich sage zu ihr: „Wenn diese Seite der LP fertig ist, gehe ich mit dir runter und schaue, ob du was zum Fressen brauchst.“

Mein Geist eilt ungerechtfertigt davon. Die Cellos wiegen mich hin und wiegen mich her. Und die Bässe fangen mich auf. Ich brauch gar nicht zuhören. Ich bin auch davon befreit, Bach bewundern zu müssen und auch vom Anspruch, diese anspruchsvolle, konzentrierte und zeitlose Musik „verstehen“ zu müssen. Ich weiß schon: Themen vor, zurück, versetzt, gespiegelt … – das genügt mir. Oder es kommentieren zu müssen. Ich darf Laie sein.

Die Oboen. Ich selber sitze unter dem Thron, unter der Brücke, under the boardwalk, aber im Trockenen und windgeschützt. Herz, mach, was du willst.

Du kannst dich gern dazugesellen. Eine Krabbe klettert auf der Wand. Alt und Tenor, ein wunderschönes Streicherduett. Augenblick v... Goethe! Schleich dich!

Was für Abschlüsse! Die kleinen Kratzer auf der LP bringen mich fast zum Weinen. Aber vor Berührt-Sein. Der Kleiderbügel ohne Kleid schaukelt, als würde der Wind durch sein Kleid wehen.

Der alte Mann steht auf, wankt wie ein alter Mann auf den Plattenspieler zu, stoppt, dreht die Platte um etc. Ich bin im Zentrum der Welt, und weiß, wie die Schöpfung der Erlösung harret. Döbereiner! Schleich du dich auch! Ab!

b.a.c.h. Wer darf schon über seinem gehaltvollen Namen sterben? Um den Plattenspieler strahlt weißliche Aura ab. Den Sterblichen zum Trost der Choral.

 

Ausgerechnet der Vesuvstein glitzert heut. Mein Atem bremst sich etwas ein. Der Auferstehungscatcher kniet wieder dort, und holt zu einem Rundschlag aus. Die meisten Bilder halten sich versteckt, und tarnen sich als abgedreht und blind. Ich will es ihnen gar nicht glauben. Wenn wirklich alles leer ist? Die zwei Visionäre pressen je ihren Mund zu. Die Schweizerin spielt wieder das Vernarrungsspiel mit mir. Zu spät. Ich bekomme den Busen nie zu sehen. Schon längst von Würmern, Erde aufgefressen. Einmal die Katze berühren und alles unter Pelz, selbst meine Schreiberei ist pelzig. Der Berg wird ein Pferd. Der Mond wird ein See. Das Meer wird ein Geist. Die Straße wird ein Herold. Das Seeufer wird eine Autobahn. Die Autobahn wird ein Fluß. Meine Frau wird verlegen. Gott Zeus kniet im Schatten. Wird Hera Aphrodite? Ich komme mit dem Pilotpen nicht mehr durch den Pelz. Die Frau wird länger. Jetzt fängt die Rinnerei wieder an. Aus dem Schnee wird eine Straße. Aus dem Priester wird Lucky Luke. Die zwei Visionäre bekommen längere Gesichter und einen Zaun vor die Nase. Aus dem Maler wird ein Vergewaltiger. Aus der Skulptur ein Aristokrat. Will mir eigentlich wer was sagen? Aus dem Meer wird ein Himmel. Aus dem Strand wird ein Bahnhof. Aus dem Wasser wird ein Quell, aus der Niederung ein Berg. Aus dem Alten wird ein Clown. Aus dem Mighty Quinn wird ein Rohfleischfresser. Beide Schweizerinnen bereiten sich auf die Himmelfahrt vor. Aus einem Busen wurde Holz. Aus dem Richter wird eine Giraffe (nicht zum ersten Mal!). Aus dem Meer wird Schnee. Aus den Liebenden wird ein Ungeheuer. Aus dem Ungeheuer wird ein Kind. Aus dem Kind werden wieder Liebende.

 

(23.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2439 Apokalypse now?

 

Am Platz vor dem Haus auf der Gassen. Zwischen drei jungen Bäumen, deren Namen ich immer noch nicht herausgefunden habe. Die kleine Feder habe ich vergessen. Die vielen Autos, die vorbeifahren, sind heute viel lebendiger. Irgendetwas stinkt hier. Ein kleines Mädchen fängt Seifenblasen. Das Königreich nebenan ist Corona-bedingt geschlossen. Immer wieder stelle ich fest: ich kenne die Bewohner unseres Hauses nicht.

Was kann ich eigentlich bezeugen? Wovon bin ich Zeuge? Echter Zeuge!? Es ist noch warm, aber schon ein wenig kühl. Abend im Frühherbst halt. Sanfter Wind spielt mit meinen freigewordenen Haaren – die mir aus den Zöpfen entkommen sind. Das letzte Sonnenlicht liegt auf den obersten Stockwerken und Dächern. Eine Frau wie Rosa Luxemburg kommt aus dem Haus. Das nackte steinerne Paar oben am Haus schaut in seiner Verdreckung sehr frivol aus. Heute stören mich die Autos nicht. Der Wind weht mir immer mehr Haare ins Gesicht. In den Häuserschluchten wird es merkbar dunkler. Slawische Frauen in bunten Stiefeln. Frisch wird es. Ausgenommen Radfahrer. Ich sollte oben in der Wohnung die Fenster schließen. Tauben kommen angeflogen: im Anflug finde ich sie schöner und ansprechender; aber es ist dem Universum wurscht, was ich finde. Zu recht.

Gehtelefonierer, Handymeditierer. Mir wird schon etwas kalt. Ich harre noch aus. Die Mistkübel scheppern. Frau Rosa Luxemburg fährt mit dem Lastenfahrrad weg. Der Himmel ist noch hell – womit ich nicht sagen will, dass Himmel und Hölle ganz einfach das Gleiche sind. Kinderstimmen und Transportmütter. Kaum schreib ich das her, fährt ein fröhlich pfeifender Vater mit Tochter am Rad vorbei. Ein Essenszusteller kommt mit Rad an – ich mach mir bei allen Zustellern aller Art Sorgen, dass sie die Hausnummern 12 und 12A verwechseln. Man braucht schon gute Wien-Kenntnisse, um das zu durchschauen. Genauso bei den Stockwerken. Dieser Zusteller da hat nicht verwechselt. Einparker mit Musikbegleitung. Eine Brise Wind. Der Essenszusteller radelt wieder ab von meiner Bühne. Dünne ätherische Wolkenfetzen ziehen nach Osten? Der Duft von Zigarettenrauch. Die Menschen sind so groß jetzt. Apokalypse now? Die Straßenbeleuchtung springt an, nachdem ich aufgestanden bin.

 

(23.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2438 Himmelfahrtskatze

 

Die Morgens sind schon recht frisch, während meine Abends recht spät sind. 8 Uhr a.m. kann nicht meine Zeit zum Aufstehen sein. Aber das Papier hat so geknallt, dass die Katze erschrocken geflüchtet ist. Ich könnte einmal ein Bild einer Himmelfahrtskatze malen. Das ist kein Spott! Meine Referenzzauberer bezeugen, dass sie auch Tiere und Bäume auf ihre Reise in die dritte Aufmerksamkeit mitnehmen. Ich allerdings bekenne bloß, dass ich das glaube. Übrigens: das „Meine“ ist immer unter Anführungszeichen. Mich stören im Notizbuch die Spuren herausgerissener Seiten an einzelnen zerrissenen Bindungsfäden. So geht man nicht mit literarisch wertvollem Material um! In Gedanken bin ich jedoch gleich abgeschwiffen und habe mich als Sterbender von wichtigen Menschen meines Lebens verabschiedet. Natürlich habe ich da noch ganz souverän und großzügig Hof gehalten und mich schön phantasiert. Zurück in der Gegenwart fallen mir die Augen zu.

 

(23.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2437 Katzenhaare

 

2:28 a.m. Ich bin schon im Bett, sitze, habe die Beine angezogen und das Notizbuch auf meine Oberschenkel gelegt. Rechts neben mir liegt und schnurrt die Katze und will gestreichelt werden. Ich tu das und davon kommen Katzenhaare auf die leere Seite. Bevor ich zu schreiben beginne, will ich sie wegwischen, was nur unvollständig auch nach längerer Wischerei gelingt. Das Schnurren der Katze wird schwächer, also streichle ich sie wieder und komme so nicht zum Schreiben, weil da die Wischerei von neuem beginnt. Ich denke nach, versuche einen Gedanken zu finden, fahre meine Fühler aus – schon wieder Katzenhaare auf den Seiten und dem Pilotschreiber. Mit diesem pelzigen Pilotschreiber schreibe ich „Pilotschreiber“ unter den Katzenhaarpelz der leeren Seite.

 

(22./23.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. September 2021

2436 Flecken in der dunkelbraunen Wand

 

Ich habe Regentropfen im Schlaf gehört. Und jetzt sind es graue Ballungen mit Farbtupfern, die vor meinen Augen tanzen. Überhaupt gehen Wellen von meinen Augen aus und wandern durchs Universum, bei dem ich mich für den grauen Morgen bedanke. Ich versuche mich an die gestrigen Krimis zu erinnern und an den gestern konzipierten heutigen Tag. Aber mein Gedächtnis ist noch nicht so weit. Beim dritten Auge wurlt es; irgendein automatisches Abcheckprogramm läuft ab. Vor kurzem war ich noch im Zug über den Semmering, aber wer und warum legt so einen eigenartigen Zeitmaßstab an? Ich zwinge mein Gehirn zum Nachdenken: Anfang August bin ich das letzte Mal diese Strecke gefahren. Über meine Lippen läuft bewegungsloses Zittern, eine juckende innere Vibration. Jetzt erst fühle ich meinen verschlossenen Mund. Ich kratze mich am Kopf und mein Alltagsbewußtsein taucht ein paar Zentimeter weiter aus der Ursuppe heraus. Ich kratze mich an der linken Schläfe und stierle mit dem Klicker meines Schreibpiloten in meinem rechten Ohr, aber jetzt funktioniert diese Methode nicht mehr und mein Alltagbewußtsein droht wieder zu versinken. Da hilft nur Radikalität, die ich im Moment nicht aufbringe. Ich kämpfe tapfer aber defensiv gegen die Zufälle der Augen, die schon so jucken. Mit geschlossenen Augen sehe ich nichts, nur leicht hellere Flecken in der dunkelbraunen Wand. Ich kratze über das juckende dritte Auge und anschließend die juckende Nase, wobei des Jucken zuerst hinter die Ohren und dann wieder zum dritten Auge wandert. An den Konturen meines schreibenden Pilotpens und der ihn führenden Hand erscheinen kleine Lichtabstrahlungen und verschwinden wieder. Ich lege meinen Kopf zurück, den Nacken auf den kleinen Polster über der Kante meines Bettgestells. Mein linker Arm, der mein Notizbuch etwas verkrampft festhält, driftet ins Bewußtsein. Ich versuche, ihn etwas zu entspannen, um mein Herz zu schonen, was jedoch seit der Opferung des ersten Gliedes meines linken Daumens auf dem Kreissägetisch vor 44 Jahren nicht mehr vollständig möglich ist, weil durch den Cut eine ständige Spannung im linken Arm zurückgeblieben ist. Die merke ich nur, wenn meine Aufmerksamkeit auf den Arm gelenkt ist. Ich versuche einen inneren Lachanfall, der nicht so recht gelingen will. Ich fasse den Entschluß aufzustehen. Bin neugierig, wie lange ich dafür brauchen werde.

 

(22.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2435 Probieren

 

Es ist genau 2 Uhr a.m. und ich frage mich, habe ich an diesem Tag vorm Einschlafen noch etwas zu sagen? Nein, mir fällt nichts ein. Soll ich ein wenig warten, ob etwas auftaucht, das ich schreiben könnte? Ja, wir können es probieren.

Ich lausche in die Stille der Nacht und in das Surren meiner Ohren. Ich gehe die Lichtreflexionen auf den Buchrücken durch, lasse auch sonst meine Augen herumgleiten. Nicht unbedingt im Kreis, eher wie ein nachdenklicher Eisläufer auf einem gefrorenen Teich.

Ich verliere meinen Blick in einem Spalt zwischen einem über die stehenden Bücher quergelegten Bücherstapel und der linken Wand des rechten Regals, bis ich auch dort in der Tiefe das Licht sehe.

 

(21./22.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2434 Angenommen

 

Nehmen wir einmal an, ich läge mich um 2:33 a.m. ins Bett, nähme Notizbuch, Brille und Stift und begänne zu schreiben. Ich blickte auf meine Bücherwand und meine Bilder und sähe nichts besonderes. Die frankophone Schweizerin hielte weiterhin ihr letztes Leiberl fest, der Rückenakt hätte uns weiter den schönen Hintern zugedreht, der Auferstandene wachle weiterhin etwas ungeschickt mit seinen Armen, als versuchte er aufzufliegen, der schiefköpfige Priester hielte immer noch die Hostie rituell in seiner rechten Hand, die zwei Visionäre glurrten weiterhin ein wenig erschrocken, die Katze schnurrte an meiner rechten Seite, die Ohren surrten heftig und wild; nur in Mali Lošinj am Kai sähe ich einen kniend betenden Menschen und zu Rettschoess schlüge das schlafende Ungeheuer seine Augen auf und ich sähe weder Pupillen noch Iris, sondern bloß ein weißes, gleissendes Leuchten.

 

(20./21.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. September 2021

2433 In der Modä

 

In der Morgendämmerung strahlt meine Leselampe sowohl meine frömmelnden, als auch meine geilenden Bildchen an den Wänden an (beides geht zur „Müllhalde des Menschengeschlechts“ (C.C.)). Die zwei Visionäre schauen wie betroffen und ertappt drein – nein, nein, ich bin schon selbst verantwortlich! Und plötzlich ist mir, als lebte ich in der tibetischen Bergwelt, mein Kastl am Bettende mein zentraler Berg, mit dem ich zu Rande kommen muß, und ich im Kloster an seinem Fuß. Die Regale im Hintergrund sind entferntere Bergflanken noch höherer Bergmassive. Um dieses Feeling nicht zu verlieren, fange ich einen halblauten, monotonen, memorierenden Singsang ohne Inhalt und Sinn an, der wie tibetische Mönchslitaneien klingen soll. Immer mit dabei: mein privater, tapferer Bergtiger. Dieses rührende Bild geht mir sehr ans Herz und sogleich verspüre ich ein leichtes Stechen dortselbst. Der Singsang itself bricht bald wieder ab. Einen gewissen inneren Frieden kann ich nicht abstreiten. Das ganze Menü unterzogen von einem ungewissen Lächeln, das sich als ein gewisses ausgeben möchte.

Es ist besser, mich noch ein wenig flach zu legen.

 

(16.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2432 Die Ockerisierung der Welt

 

Vibration und Flimmern nehmen langsam zu. Und wieder ab. Wellenähnlich.

Zum ersten Mal sehe ich, dass am Kai vom Hafen von Mali Lošinj eine Frau mit traditionell österreichisch gebundenem Kopftuch ein anderes Lebewesen – ein Kind? Eine Tier? Eine Frau? - das sich aufbäumt, zu halten oder zu tragen versucht. Kurz dachte ich, diese kopfbetuchte Frau wäre meiner Großmutter mütterlicherseits ähnlich, aber nein, die Frau am Bild ist viel schlanker als die Großmutterkanonenkugel und hat nicht so ein bösartiges, blödes Gesicht. Außerdem verändert sie sich rasch.

Die frankophone Schweizerin ist wieder runder geworden. Der auferstandene Herr auf meinem nicht so angelegten, aber zur Parodie geratenen Heiligenbildchen hat die Haltung eines leicht übertreibenden Ballettänzers (mein Fehler! Schlecht gemalt). Die zwei neuvalistischen Visionäre grinsen. Ich spüre den Krampf in meinen Gebissmuskeln.

Ich glaub, die frankophone Schweizerin, die ja immer fester wird, wird mir bald eine kleschen. Die zwei Visionäre schauen nun etwas betreten drein. Das Blatt meines Notizbuches knickt in Zeitlupe und mit lautem Getöse um. Die Katzehaare fliegen in verlangsamten Weltraumtempo durch die Luft. Fremde, verhaltene, schöne Töne kommen aus dem Schacht. Allmählich beginnen die zwei Visionäre, sich meiner zu schämen. Mein Gott! Nun hat sich der Auferstandene in einen Conterganraufbold verwandelt.

Das Glitzern rundherum wird mehr. Jetzt hebt der Tanz an! Wohlgemerkt: ein sehr sanfter Tanz.

Meine Frau am Foto schaut immer wilder. Ich mache eine ganz neue Entdeckung: bei den Lichtstrahlen geht der energetische Sog zur Lichtquelle! Der Leninverschnitt da oben frißt und säuft Wein, seine Augen sind schon ganz klein.

Die kleine frankophone Swizzeria wird immer lebendiger; ich hoffe immer, dass sie endlich ihr letztes Leiberl runterrutschen läßt. Meine Rettenschoesser Landschaft ist plötzlich so flach und leer; flacher und leerer als eine Kulisse. Hat der Jesus da oben den einen beim Ohrwaschel? Auf meiner Schreibhand blüht immer mehr Katzenhaar. Die Geräusche der Rax kommen aus dem Schacht. Der heilige Priester frißt seine Kinder. Ich muß jetzt eingreifen.

Ich bin ein Riese und rage hoch, ganz hoooooch über den Boden hinaus und ich muß euch sagen: hier riecht's nach Kakao.

Oh! Meine pralle Inderin: 4,5 Zentimeter im Quadrat.

Plötzlich alles Grünstich! Dann Blaustich. Dann erlebe ich die Ockerisierung der Welt.

Ganze Ozeane rinnen aus meinem Gesicht. Die zwei Visionäre schauen drein, als wären sie beim Arzt.

Sagt die Prallere zur Prallen, laß uns da nicht niederfallen! (ich habe zwei Bildchen der Schweizer Dame.) Ich fürcht, ich werd frivol!

Der Lenin frißt und säuft zu viel, so fett ist er schon. Mein kleiner Priester sucht den Himmel nach Sternen ab.

Der Tanz ist im vollen Gange. Ein Pulsschalg nach dem andern, jeder ein Urknall by himself (hahaha!).

Die Welt sinkt ganz einfach vom Regal herunter; nichts kann sie halten. Der Stich geht ins Zartgrüne. Die zwei Visionäre wirken überfordert. Ihr da draußen am Gang – ich möchte auch mitlachen. Ich studiere den Strichcode an der Wand, aber den Kopf verdreht zu halten wird mir gleich zu anstrengend. Ah! Wird sind schon in den Donnerstag hinein!

Überall, wohin ich blicke, geht ein Universum auf. Mir aber sind schon die vielen Reiseangebote zu viel: überall, wo ich hinblicke, könnte ich landen. Der Katzenhaare werden immer mehr. Holt die Mäuse, auf dass sie die Katzenhaare fressen! Der Lenin ist ja nichteinmal ein Bierbrauer! Und wieder sackt die Welt ab und nur die Bilder bleiben. Ein paar Gelsen erinnern mich daran, dass es ja auch Musik gibt. Schon wieder sackt die Welt ab. Und wie!

Jetzt kenn ich ich gar nicht mehr aus: alles sackt ab, aber alles bleibt stehen? Runter mit der Wäsch! Aber alles bleibt angezogen. Es tanzt schon noch was. Ganze Wirklichkeiten stürzen von den Wänden, unaufhörlich, wieder und wieder. Zack! Weg! Und alles ist wie vorher. Wir sind schon sehr einsturzgefährdet! Ja, alle Bewegung geht nach unten: alle legen ihre Waffen nieder, ihre Schilder, da da da da, irgendwo muß es doch zusammnefließen, irgendeinen kosmischen Abfluss wird’s doch geben! Wie eine Liftfahrt down vom höchsten Turm der Welt. Mir ist des wuascht! I loß es blitzn!

Und: alles herunter und immer noch gleich. Schade, aber ich bette mich jetzt zur Ruh.

 

(15./16.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 15. September 2021

2431 Auf Englisch!

 

Zunächst: es ist schon 8 Uhr. Dann: über das Auferstehungs-Himmelfahrts-Bild verläuft ein Kabel. Weiters: das versteckte Halbnacktfoto meiner Frau fällt ganz leicht aus seinem Versteck. („Halbnackfoto“! Am Strand oben ohne.)

Und schon wieder bin ich mit meinen Gedanken abgerutscht und beim „Gott“-Welt-Problem: wie ist die Wirksamkeit „Gottes“ in der Welt zu denken? Und wo ziehe ich die Grenze zwischen „Gott“, göttlich und irdisch? Und das vor dem Hintergrund der zwei Möglichkeiten, das Göttliche im Namenlosen zu belassen – mit der Gefahr, es aus den Augen und der Welt zu verlieren und es dann kompensatorisch radikal in einem fragwürdigen Kraftakt deklamatorisch in die Welt hinein zu knallen – im Gegensatz zur hellenistischen Variante, das Auftreffen des Göttliche auf Erden so zu betonen, dass schnell alles göttlich wird mit der Gefahr, das Göttliche völlig in die Welt zu ziehen und zu verweltlichen, sodaß auch der Kaiser göttlich wird und die Götter dieselben Intriganten und Schlitzohren und dualitätsblind sind, dann gibt es einen Gott für Rapid, einen für die Austria und auch einen für die Bedürfnisse und Verdrängungen der Kriegerdenkmalisten. In meiner Phantasie erkläre ich das gerade jungen, laizistischen Juden aus Amerika, die einmal hier zu Besuch waren und die frühere Wohnung ihres Großvaters besichtigen wollten, auf Englisch. Auf Englisch! Wo ich doch nicht einmal in der Lage bin, auf Englisch jemandem, der mich nach dem Weg fragt, zu sagen „geradeaus“. Angefangen hat dieser Gedankenwirbel damit, dass ich meine Photokopie des von mir gemalten Bildchens vom – vielleicht – letzten Abendmahl, die ich erst kürzlich angetackert habe, betrachtet habe, ein Bild, das aus einer Zeit stammt, als dieser jüdische Amerikaner mit seiner Freundin hier in der oberen Wohnung war – damals noch Atelier und die Bildchen zu meiner Begutachtung an der Wand gelehnt, und sie, die Freundin, gesagt hat – auf Englisch natürlich – dass ihr meine Bilder gefallen. Ich habe aber nicht reagiert. Es wäre doch das Naheliegendste gewesen, ihnen eines oder mehrere zu schenken. Diese Bildchen hatten alle mehr oder weniger christlich angehauchte Motive, womit ich ihnen nicht zu nahe treten wollte. Vielleicht mit dem unterschwelligem Schuldgefühl, dass wir als Christen den Juden ihre Geschichte, ihre Propheten und ihre Geschichten und Namen in gräzisierter Form gestohlen haben. Aber es war auch die Scham, als Sohn eines SS-Mannes in einer – wie ich vermute – arisierten Wohnung zu leben - noch dazu, wo auch die mütterliche Herkunftsfamilie schwer in Verbrechen verwickelt war – in einer Wohnung in einem Haus, indem ein Sammellager untergebracht war. Ich war völlig blockiert und von Schuld und Scham handlungsunfähig.

Jedes Mal, wenn ich die Bildchen aus dieser Serie oder deren Photokopien sehe, erinnere ich mich, wie ich im Malerkittel die Eingangstür oben, an die geklopft wurde, öffne und dieses junge Paar mit der Bitte, die Wohnung anschauen zu dürfen, davor stand. Und wie schon gesagt: Vor Schuldgefühl und Scham und wegen meiner schlechten Englischkenntnisse war ich nicht in der Lage, wie ein souveräner Mensch zu reagieren, sie nicht nur hereinzubitten, sondern ihnen einen Platz und auch etwas zu trinken anzubieten und ihnen wenigstens ein Bild zu schenken.

 

(15.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2430 Zu fromm

 

Die ungewöhnlichste Schreibezeit seit langem: 14:14. Weder nach dem Aufwachen traumhapert, noch vorm dem Einschlafen in Müdigkeitsauflösung. Ich bin auch nicht draußen, sondern in meinem Zimmer. Ich lasse meinen Blick wie immer über die immer reicher werdenden Bilderwände gleiten, in normalem, hier immer gedämpftem Nachmittagslicht. Das Heiligenbildchen – oder seine Parodie – berührt mich. Wahrscheinlich bin ich jetzt zu fromm. Im Angesicht des Todes - ich meine das nicht lebensaktuell, sondern metaphysisch-existentialistisch – ist das auch egal. „Marsch I“ von Ruben Fraga fällt mir ein. Ruben Fraga war der Workshopleiter und Regisseur; die einzelnen Teilnehmer habe ihre Beiträge über die Haltung angesichts des Todes selbst erarbeitet. Gesehen habe ich das Stück am Karlsplatz bei einem Straßentheaterfestival.

14: Uranus-Saturn; „die Weihe des Hauses“ oder der Versuch, die Unvereinbarkeit frömmelnd zu überbrücken und die auseinanderbrechende Form zu „sanktionieren“, also zu heiligen. Passt vielleicht zu meinem Heiligenbild. Wenn das alles überhaupt stimmt – ich muß mit den Sätzen und Definitionen des Münchner Affenarsches vorsichtig umgehen. So vorsichtig wie mit hochexplosiven Material. Ich will nicht nochmals in die Luft gejagt werden und dann jahrzehntelang meine Trümmer zusammenklauben müssen. Dafür würden mir doch Kraft und die Lebenszeit fehlen. Material wohlgemerkt, Herr D.! Und ob es „falsch“ in einem metaphysisch-ontologischen Sinn gibt, darf bestritten werden. Schon klar – ich komme in Schwierigkeiten, wenn ich behaupte, der Satz „es gibt Falsches“ sei falsch. Den Trick aus der Logistik der siebziger Jahre mit Ebene und Metaebene will ich jetzt nicht auspacken und fände ihn nicht so schnell in meinem Gehirnarchiv oder auf meiner inneren Müllhalde.

Trotzdem: die Kopie dieses „religiösen“ Bildes, das ich gemalt habe, zieht meinen Blick an. Wobei „religiös“ einfach als Kategorie gemeint ist, nicht, dass das Bildchen die Rückbindung an den Ursprung schafft. Es ist kein Sportbild – nicht mehr ist gemeint. Fast bereue ich es, das kleine Bild vor Jahren jemandem wahrscheinlich Unwürdigen verschenkt zu haben.

 

(14.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2429 Bucht

 

Ich lebe in einer Bucht. Das Fenster im Vorzimmer ist offen, nicht das hier; offen ist nur die Tür.

Ich spüre Kontraktionen an meinem Hinterkopf. Bewegungsloses Zittern in mir und um mich herum. Tatsächlich! Am Hinterkopf sitzt die Kraft, die alles zusammenzieht. Das Zittern geht in Vibrieren über.

Er entspannt sich nicht (drüben!). Mein neu angetackertes „Heiligenbild“ zieht permanent meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich finde es so toll gemalt; ich staune, dass ich das so hingekriegt habe (hier!). Oder spielt mir das Drüben hier einen Wahrnehmungsstreich?

Ich schlafe wieder ein.

 

(14.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2428 Dialog

 

Es war gegen Mitternacht, ich war hundemüde, aber eigentlich ist das noch nicht meine Schlafenszeit. „Soll ich mir noch eine Soko Wismar reinziehen?“ Ich stehe auf und gehe ins Bad. „Ach was!“ denke ich mir „in bin noch geschwächt von der Speiberei vor drei Tagen und ich bin müde. Ich gehe liegen. Ich kann ja noch in einem meiner Bücher aus dem Stapel der Ungelesenen neben dem Bett herumschnüffeln.“ Ich gehe also ins Bad, putze mir die Zähne etc, lege mich dann ins Bett, setze die Lesebrille auf, suche mir aus dem Stapel Erich Hackls „Am Seil“ heraus, richte die Pölster her, bringe die Lampe in die richtige Position, und sage zur Katze „komm ruhig!“ Ich beginne zu lesen, Frau Katz springt herauf, legt sich rechts von mir, ich streichle sie mit der rechten Hand, während ich mit der linken das Büchlein halte. Ich bin so ins Lesen vertieft, dass ich gar nicht merke, wie ich aufhöre, der Katze über den Pelz zu streichen, und auch nicht, dass sie sich dann am kleinen Teppich vorm Bett niedergelassen hat. Die Lektüre nimmt mich so gefangen – ich lese das Büchlein aus. Es ist gegen zwei Uhr. Ich stehe auf, weil ich aufs Klo muß. Auch Frau Katz steht auf und folgt mir ins Bad. Ich nehme an, sie hofft, dass ich mit ihr hinunter in die Küche gehe um sie zu füttern. Ich denke aber „nein, du müßtest noch genug Futter unten haben“. Als ich vom Klo zurückkomme, wartet sie schon auf der Stiege auf mich und redet mich an. Sie sagt: „komm! Gehen wir runter und gib mir noch was zu essen!“ Und das in einem klagenden Ton, denn sie weiß, dass ich es nicht vorhabe. Aber ich verwöhne meine Katze und lasse mich erweichen, manchmal denke ich sogar, sie geht nicht gern allein hinunter, weil sie sich im Dunkeln fürchtet (da muß ich jetzt selber laut lachen, sodaß mein Notizbuch, das auf meinem Bauch liegt, auf und ab hüpft). Oder weil sie möglicherweise auch in der Nacht fürchtet, dass Tageskinder unten hereinkommen könnten (dass sie heroben nicht hereinkommen, weiß sie). „Also gut, ich geh mit dir runter und schaue, ob genug Fressen da ist.“ Sie antwortet irgendwas, das ich nicht ganz versteh – irgendsoein Gebrumme und Gemaunze, vielleicht: „endlich hab ich ihn so weit“. Frau Katz sitzt jetzt auf der Treppe und versperrt mir den Weg. „Also was jetzt!“ sage ich etwas ungehalten „gemma jetzt oder was!“ und schüttle den Kopf „Gemma hoid obi!“ Darauf meckert sie zurück: „Reg' dich nicht gleich so auf! Zuerst muß man dich stundenlang (Katzen übertreiben gern) bearbeiten und dann soll's zack, zack gehen!“ (auf Kätzisch ist der Satz viel kürzer) und steigt vorsichtig und wachsam die Stufen hinunter, nicht ohne immer wieder stehen zu bleiben und die Umgebung zu checken, wobei ich dann immer sehr aufpassen muß, dass ich ihr nicht auf den Schwanz steige, besonders, wenn sie an einem Stiegenpfosten ihre Krallen schärft und aufgeregt den Schwanz hin und her bewegt, aber ich kann ihre Schwanzbewegungen schon recht gut vorausahnen.

 

(13./14.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 13. September 2021

2427 Immer noch schlecht

 

Ist es einfach vermessen, einfallslos und aufdringlich, zum ich-weiß-nicht-wie-viel-hundertsten-Mal den grauen Morgen in meinem Zimmer zu beschreiben? Den Blick auf die Wand mit dem Bücherregal und drei Bildern von mir und dem Photo, das meine Tochter gemacht hat? Und ewig der gleiche Schmäh, mit der in der Dämmerung und gerade aus dem Schlaf erwacht noch unsicheren und wankelmütigen Wahrnehmung zu spielen? Immer die Gafferei vor allem auf die im Bücherregal als Kunstkarten lehnenden meist nackten Weiber?

Gut, gestern habe ich eh aufs Kastl zu Füßen meines Bettes eine Kopie einer von mir gemalten, ernst gemeinten, aber zur Parodie auf ein historisches Christi-Himmelfahrts-Bild gewordenen Kleinmalerei getackert. Und daneben eine Figur, von der ich nicht mehr weiß, wer sie ist, woher sie kommt, wohin sie geht, wer sie im Original gemalt hat, die mir auch so recht recht religiös zu sein scheint. Aber reicht das als Gegengewicht aus oder wird das als Antagonist erst recht so recht den Gegenspieler (Leser:innen! Kennt ihr euch noch aus? Wißt ihr noch, was mit dem Gegenspieler gemeint ist?) aufstacheln? Mein Gott! Mir ist so schlecht und schwindlig, und ich schreib immer noch so recht viel Zeugs zusammen! Jetzt schon, am stillen, frühen Morgen. Dabei kreisen meine Gedanken und inneren Bilder eh nur um die pralle Inderin, deren Miniaturbildchen aus einem meiner Siebdrucke von früher ich auch gestern auf der Stirnseite der Seitenwand des hölzernen kleinen Bücherregals links seitlich hinter mir an der Wand getackert habe. Noch aus der nebelfest-Zeit der Siebdrucke. Dabei ist mir immer noch schlecht.

 

(13.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2426 Ich schau halt gern

 

 

Meine kleinen Karten. Oh, die schau ich gern an! Bilder an die Wand! Dadadada. Bilder an der Wand! (Hab ich schön getackert.)

Habe ich Angst vor der Leere? Könnte man meinen. Und trotzdem will ich das nicht diagnostizieren. Es kommt mir nicht so vor. Ich schau halt gern. Ich schau auch nackte Wände an.

 

(12./13.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2425 Wieder ist mir schlecht

 

Wieder ist mir schlecht. Im Traum habe ich gelernt, dass man tief tauchen muß, bevor man hoch fliegen kann. Das Flughafengebäude ein finsterer Schuppen aus Holz. Es wird mir nahe gelegt, die Platzkarten jetzt schon einzulösen, obwohl ja noch Zeit ist. Aber mit dem Tauchen vorher wird's wohl nichts mehr. Mir ist schlecht und mir fallen vor Erschöpfung die Augen zu. Ich habe keinen Appetit. Im parallelen Traum schreibe ich auch ein Notizbuch, aber ich kann es nicht lesen.

In diesem Tagebuch im Traum habe ich gerade noch etwas wie „Ambrosi“ derlesen. Die Hubschrauber des Marathon nerven gehörig. Das ist also wieder hier: Wien, 12.9.2021. Trotz intensiver Hubschrauberbeschallung schlaf ich wieder ein. Wenn die Augen zugefallen sind, ahne ich rechts von mir eine leuchtende Gestalt.

 

(12.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2424 Die Zacken

 

Die Zacken sind nur so durch mein Gesichtsfeld gelaufen, dass es eine Freude war. Ganze Zackenreihen. Dabei hatte ich nichts genommen. Und ich bin sehr müde. Sehr müde. Jetzt ist nichts mehr.

 

(11./12.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 11. September 2021

2423 Nachtrag zu 2420 Bääääh

 

Meine Frau hat mir nach der Lektüre von 2420 erklärt, wo Josef und Maria, die Hirten und die zwei (!) Könige sind: sie hat sie weggeräumt! Denn eines Tages haben die Kinder angefangen, Spritzpistole zu spielen. Das habe auch ich mitbekommen. Sie nahmen irgendwas Längliches und hielten es dem oder der anderen vor die Brust und riefen: „spritz! spritz!“ oder machten spritzendes Wasser nach so à la „tschschsch tschschsch“. Ich kann mich erinnern, dass sich manche beschwert haben, dass sie „angespritzt“ werden. Wie das im Eifer des Spiels halt so ist und wir drücken ja auch im Spiel echte Emotionen aus. Mich haben sie übrigens auch gerne „angespritzt“. Ja dann hat wer angefangen, Josef und Maria als Spritzpistolen zu verwenden. Da bestand die Gefahr, dass sie im Spielrausch sich gegenseitig diese größeren und schwereren Krippenfiguren an die Köpfe schmeißen könnten; und die sind schon havier als die Schafe und das kleine Jesusbaby.

Aber was für eine Freiheit! Die Figuren, die vom Impresario und dem Requisiteur der Bühne unseres Lebens und unserer Kultur angeboten werden, so nonchalant, frei, unbekümmert und kreativ zu nutzen! Und sich nicht von deren reingeschnitzten Rollen besetzen zu lassen. Darum geht es ja auch im Leben. Josef und Maria als Spritzpistolen! Herrlich!

 

(11.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2422 Unten

 

Herunten auf der Straße umkreist mich ein sanfter Wind und treibt auch die leichteren Dinge wie Blätter und Plastiksackerl elegisch und melancholisch um mich und die Bank, auf der ich sitze, herum. An den obersten Stockwerken der Häuser hängt noch richtiges Sonnenlicht und leuchtet der kommenden Nacht den Weg heran. Es ist Abend, die Stunden des Übergangs, das Tagewerk wird beiseite gelegt und das Sonnenlicht verglüht. Ich schaue mit von Autos verstelltem Blick die Gasse entlang, bis ein großes Haus sozusagen den Talschluß bildet. Eine Krähe fliegt hoch am Himmel und zeigt mir die eigenartigen Strukturen und Formen der sich auflösenden Wolken. Das ist eine ruhige Gasse, aber an dieser kleinen Kreuzung herrscht jetzt im Abendverkehr erstaunlich viel Unruhe.

Das Plastiksackerl war zuerst rechts von mir und hat sich im Bündnis mit der Brise hinter meinem Rücken vorbeigeschlichen und kommt links hervor, bleibt bei meinen Füßen stehen, als würde es sich vorstellen, geht dann nach vor und kommt wieder zu mir zu meinen Füßen, gleitet vorbei und schwebt unter die Bank durch und kommt jetzt rechts von hinten wieder zum Vorschein. Ich werde ganz müde, die feine bizarre Wolke macht auf Aquarell und zerrinnt in Superzeitlupe. Der Wind treibt ein paar kleine Taubenfedern über das Pflaster; ich werde so müde, dass ich bald hinaufgehen werde, hinauf in die Wohnung. Viel wiederholt sich, aber kein Tag gleicht dem andern.

 

(10.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2421 Die sieben leeren Wäscheleinen

 

Der Schlauch vom Staubsauger umschlingt die gestapelten Stühle wie die Schlangen die Laokoon-Gruppe und droht den einen herunterzureißen. Ein Baustellen-Singsang dröhnt wie die Posaunen von Jericho oder die des Jüngsten Gerichts, aber elegischer, melodiöser als erwartet. Die sieben leeren Wäscheleinen, hoch über der Tür ausgespannt, als hätten sie eine geheimnisvolle Botschaft, als wären sie ein magisches Omen, wie in einem alten Bergmannfilm. Das trinitarische Einkaufswagerl – drei kleine Räder sind über eine Achse so angeordnet, dass sie gemeinsam den Stiegensteigereffekt bewirken – steht zu nah bei mir, der ich im großen Badezimmer am Klo hocke, ob als Schutzgeist oder als Wärter – wer weiß.

Zurück in der Schlafnische decke ich mich warm zu und blicke auf die weiße Wand und den ebenfalls trinitarischen Baum. Obwohl die Zahl drei für Dynamik steht, ist es jetzt ruhig und still. Drei Blätter vom Baum bilden einen grünen Vogel, drei Blätter, die sich in dieser Gestalt von ihrem Baum absetzen und wegzufliegen anheben. Der Baustellensingsang klingt hier und jetzt wie ein avantgardistisches Streichkonzert unter Dominanz von Cello und Kontrabass (also T und B). Obwohl es schon gegen Mittag geht, werde ich noch ein wenig zu schlafen versuchen; Das Freigabevisum zum Übertritt in die Alltagswelt ist noch nicht ausgehändigt worden. Ich lege mich flach und das kleine Badezimmer über mir und der Stauraum unter mir erfüllen mich mit Ehrfurcht und Staunen (Scherz!).

 

(10.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 9. September 2021

2420 Bääääh

 

Das Jesuskind liegt in der Krippe, ganz allein im ruinösen Stall, dem schon das Dach und eine Seitenwand fehlen. Die hölzernen Kühe und Schafe weiden – wie's ausschaut – auf dem Regalbrett gleich neben dem Stall. Wo Josef und Maria sind, weiß ich nicht – die Tageskinder spielen gerne mit den Figuren und versetzen sie oft in andere Welten. Auch die Hirten sind unterwegs und ebenso die zwei Könige. Ihr habt richtig gelesen: zwei Könige! Zu drei Königsfiguren haben wir es nie geschafft; irgendwann ist die jährliche Bestellerei von Figuren abgerissen.

Seit Jahrzehnten spielen die Tagis auch mit diesen Krippenfiguren, und das kleine Jesusbaby - so als kleines Holzstücklein – das so leicht verloren gehen könnte, ist noch nie für längere Zeit verloren gewesen. Dabei haben die Figuren dieser Weihnachtskrippe öfters ihre auf den Leib geschnitzten Rollen durchaus wechseln können.

Den größten Rollenwechsel habe ich mit einem Schaf erlebt: vom Schaf (bääääh!) zu einer Bohrmaschine (boooääääeee!) über die akustische Brücke. Denn so schwer ist es nicht, vom schafischen Bäh zu den Motorengeräuschen einer Bohrmaschine zu kommen, noch dazu, wenn die Rolle als Arbeiter mit Bohrmaschine zu den beliebtesten des spielenden Buben gehörte. Zuerst hat er mir das blökende Schaf an der Sperre zur Küche, wo ich mein Frühstück zubereitet habe, gezeigt, um dann die Figur an das Holz der Sperre zu halten und in einen Bohrarbeiter zu mutieren.

Aber jetzt schauen die Tagis vor ihrem Mittagsschlaf noch gemeinsam eines der Wimmelbücher an, während ich in der Küche mein Frühstück bereite und das Universale Jesuskind schon ruhig in seiner Krippe schlummert.

 

(9.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2419 Scheiße

 

Mein Rettenschoesser Bild ist zurzeit vom zentralen Scheißhaufen dominiert. Wie eine brütende Gluckhenne sitzt er zentral in der Landschaft und und und  … dominiert die Gegend. (Entschuldigung! Schlechter Anfang! Unerträgliche Redundanz! Für einen friedlichen Morgen viel zu reißerischer Einstieg. Die Wortwahl bezüglich des dominierenden Begriffs viel zu wenig reflektiert und zu wenig überprüft und nicht korrigiert. Ich mein, was soll Scheiße im Morgengrauen gleich nach dem Aufwachen? Ah! Vielleicht soll ich Lotto spielen! Wenn nach Freud Gold im Traum Scheiße in der Wirklichkeit ist, vielleicht ist Scheiße im Traum in Wirklichkeit ein Lottogewinn, der sich gewaschen hat? Von einem Lottospielbesitzer habe ich doch auch geträumt, oder?)

Meine einheimischen Arbeitskolleginnen aus grauer Vorzeit fallen mir ein. Ich verliere gerade die Schachpartie gegen den Schlaf.

 

(9.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2418 Die Leite

 

Ich sitze auf einer Bank in einer Hangwiese mit alten Obstbäumen, rechtsseitig bin ich von Gebüsch geschützt, und es ist so schön, dass es weh tut. Die Sonne kommt von rechts herein und beleuchtet mir die Wiese in Streifen mit ihrem tagesalten Licht, der Wind bläst daher, ebenfalls von rechts, und läßt die Blätter, Äste und Zweige mit den späten Sonnenlichtern spielen. Mich erinnert es – obwohl eine andere Landschaft – an die Wiese mit den Obstbäumen und die Leite hinterm Haus, in dem die Großeltern wohnten. Das war ein Anwesen, obwohl das Haus nicht meinen Großeltern gehörte. Das Haus meiner Eltern hat viel zu wenig Landschaft um sich um ein Anwesen zu sein. Es liegt nicht in der Wiese und ist so über ein Siedlungshaus mit Garten nicht hinausgekommen (in mancher Hinsicht kann der soziale Aufstieg ein Abstieg sein). Die Krähen schreien schon; ich werde bald weiter zu den Steinhofgründen hinauf gehen. Das Gras steht hoch, das Kindergeschrei vom Spielplatz unten hinter den Bäumen kommt nur gedämpft her, und so ist es still. Der Wind in den Büschen raschelt und erschafft hinter mir und am Hang gegenüber echtes Waldesrauschen. Was für eine Schönheit!

Es nimmt ein wenig den Atem, wenn die tief stehende Sonne im Wald ins Unterholz leuchtet, denn sie zeigt den Wald, wie man ihn sonst kaum sieht – Erleuchtung und Aufklärung bevor es finster wird – das löst kleine und heilsame Schocks aus. Und auf den Wiesen greift das tiefe Licht in den Dschungel aus Blättern und Halmen hinein, wirft lange Schatten, bei denen mir immer vorkommt, sie hätten so viel zu erzählen: vom Leben und Sterben, von der Schönheit auf und jenseits der Welt und der unermesslichen Freude, auf dieser Welt zu sein. Auch die Schatten der Kieselsteine am Schotterweg zeigen eine solche Tiefe, dass einem schwindlig werden kann und es kaum auszuhalten ist.

Ich sitze oben an der Kuppe der Steinhofgründe und blicke nach Südwesten in die untergehende Sonne – noch zwei Zentimeter über dem Horizont – und in die Landschaft im hügeligen Wienerwald, dem man hier und jetzt fast abnehmen könnte lieblich zu sein; dabei kann er so rauh und kalt sein, wie ich weiß. Die fernen Hügel und Berge veredeln sich im Blau der Luft und vermutlich im allmählich aufkommenden Dunst. Und immer dieser unruhige Wind: mal sanft, mal fährt er stark und rücksichtslos in das hochstehende Gras, mal hält er gänzlich inne. Unmittelbar vor mir glitzert jeder sonnengestreifte Grashalm, jedes sonnengestreifte Blatt, jedes sonnengestreifte Stück Holz. Die lagernden Menschen können – wenn sie es wollen – im hohen Gras verschwinden. Auch die unbeschriebene Seite meines Notizbuches ist sonnentrunken und die schattigen Stellen, die Schatten meiner schreibenden Hand und des schreibenden Pilotstiftes sind – vor allem an ihren Rändern – blaustichig und das Ganze tief. (In innerem Schweigen könnte ich mich durch diese blaue Tiefe in andere Welten stürzen.)

Noch ein Zentimeter über dem Horizont. Die Rispen der Gräser bewegen sich aufgeregt und der Wind versucht jetzt sogar von links mein Notizbuch aufzublättern. Viele Flugzeuge überfliegen uns; zu viele für meinen Geschmack, aber darum geht es nicht.

Es sind die letzten Sonnenstrahlen, die vorm Untergang auf den Baumkronen liegen und die Bäume und Büsche kompakt, stumpf (eingehüllt von Licht) und doch transparent machen. Das ist die Stunde, da ich mich schmerzhaft von den Erwartungen und Hoffnungen des Tages verabschieden muß und die spärlichen Erwartungen und Hoffnungen der Nacht zaghaft aufkommen. Ja, jetzt läuten die Glocken zum Ave Maria und genau jetzt geht die Sonne unter.

Und jetzt: der Horizont glüht noch rot und gelb, während es schon Nacht wird. Rechts in dieser glühenden Horizontschale steht der zunehmende Mond in Form einer ganz schmalen Sichel, und links die Venus, der Abendstern.

 

(8.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 8. September 2021

2417 Liebesabenteuer

 

Drei Stunden später gelingt es mir, mit meinem Blick mein Bücherregal an den anvisierten Stellen aufzuweichen. An einer Stelle sogar ein Objekt zu erzeugen, das vom Regal in den Raum ragt; nur mit meinem Blick. Meine Schweizerin zum Beispiel bleibt jedoch stabil und hält weiterhin ihr Unterleiberl fest, auf dass es nicht runterrutsche und ihren Busen meinem Blick freigebe. In den Augenwinkeln spielen die Gegenstände mit mir „Zimmer, Küche, Kabinett (hinterm Ofen steht ein Bett)“ - wenn ich hinsehe, stehen sie still, wenn ich nicht hinsehe, bewegen sie sich.

Die Katze schnarcht auf meinem Schreibtisch (das Fenster ist zu). Ich versuche noch, mich an den letzten Traum zu erinnern, aber vergeblich. … Irgendwas mit Wohnungen … ich habe eine einfache Wohnung, wo ich aber zurzeit nicht wohne und die ich vergessen hatte. Das ist nur ein größerer Raum. Ich denke: „Gar nicht schlecht! Für Liebesabenteuer gut geeignet. Habe ich nicht gerade mit einer hübschen Frau geplaudert? Ich bleibe gleich da!“ Ich bleibe gleich da, halte mich dort auf, gehe jedoch kurz weg und komme wieder zurück. Ich weiß nicht: waren die jetzt schon da, oder sind sie dann gleich gekommen, jedenfalls ist jetzt ein älteres, sehr aufeinander bezogenes Paar (symbiotisch?) herinnen. Ich frage sie: „Was macht ihr da?“ Sie antworten: „Wir wohnen hier!“ Ich glaube es ihnen sofort. Es stört mich aber, wie sie gleich den ganzen Tisch mit ihrem Zeugs belegt haben. Die geben keinen Millimeter nach! Während ich sofort bereit war, mich für sie zurückzunehmen – schließlich wohnen sie da – werden sie absolut nichts an ihren Gewohnheiten und ihrem Geturtel ändern und mich schlicht und einfach ignorieren – obwohl das meine Wohnung ist. Liebesabenteuer – adé!

Ich entdecke eine Kunstkarte im Regal, die ich nicht kenne. Ich werde jetzt aufstehen und hingehen – das gibt es doch nicht!

 

(8.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2416 Empfindlich kalt

 

Empfindlich kalt und laut – ich lasse jedoch mein Zimmerfenster offen. Nachdem aber die Klimaanlage (oder der Dunstabzug) im Hof – ich weiß es einfach nicht, was es ist – ihr Röhren eingestellt hat, ist es still. Die Stille bevor der Tag losgeht. Der Katzen-Ruheplatz auf meinem Schreibtisch, der direkt vorm Fenster steht, wird frisch-Luft-belüftet, gekühlt und von der feuchten Morgenluft gereinigt. Die Katze steht von meinem Bett auf, betrachtet ihren erneuerten Stammplatz auf meinem Schreibtisch gleich hinterm Laptop und entschließt sich, sich auf den kleinen Fleckerlteppich vor meinem Bett zu legen.

 

(8.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 7. September 2021

2415 Meine Augen schielen

 

Ich wache auf, richte mir die Pölster her und mein Lošinj-Bild hat einen klaren, frischen, fröhlichen Horizont. Dahinter spielt es sich ab: der Himmel arbeitet und läßt die Wolken tanzen. Die freuen sich über die Himmelsdisco mitten am Tag. Im anderen Lošinj-Bild (Veliki) fährt durch eine Pappel ein breiter Lichtstrahl und Energieschlauch von Himmel herab und geht weiter bis zur leuchtenden Straße, die sich schon in einen Energiestrom verwandelt hat. Auch im Rettenschoess-Bild beginnt die ganze Landschaft zu schwimmen, weil der Untergrund schon zu fließender Energie transsubstanziiert ist.

Meine Augen wollen zufallen, aber weil ich das nicht zulasse, beginnen sie zu schielen. Mein Notizbuch droht mir aus der Hand zu rutschen. Die Gedanken reißen ab und lösen sich gleich auf.

 

(7.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2414 Wieder auf der Bellevue

 

Am Abend bin ich gegen die Sonne den Berg hinan gestiegen und jetzt sitze ich auf der Bellvue-Wiese, unser untergehendes Zentralgestirn im Rücken, von unten kommt das Ave-Läuten herauf und die Stadt hat einen rosa-blauen Farbstich (die Gebäude rosa, deren Schatten blau). Das letzte Sonnenlicht auf den Baumwipfeln schimmert vor deren Grün gelblich, der Freud und sein Gedenkstein verschwinden fast im Schatten. Ins Auge sticht unten, relativ nahe, der weinrote Kran. Glockengeläut aus allen Richtungen (außer Westen). Der melancholische und schwierige Übergang vom Tag in die Nacht hat begonnen. Ich schwitze nicht nur im Angesicht. Das Geläute, das immer noch anhält, wird immer wieder, aber schwächlich von Tatü-Tatas gestört; insgesamt jedoch ist die Transzendenz stärker zu dieser Stunde als die Normalität. Das ist ja auch die Stunde, in der das Fieber gerne ansteigt und die Junkies und an der Seele Verletzten leicht Panik bekommen. Kein Wunder, dass man hier das Abendgebet angesetzt hat.

Es sind einige Leute hier – es gibt viele, die diesen Ort lieben – und ihre Gespräche, von denen ich nur einzelne Worte deutlich hören kann, sind ein beruhigendes Hintergrundrauschen. Noch immer läuten die Glocken, als hätten die Kirchen ihre Reihenfolge abgesprochen. Irgendein Hochhaus – sagen wir am Donaukanal – fängt mit seiner Glasfassade das letzte direkte Sonnenlicht ein und wirft es bis zu uns her. Selbst der Kran leuchtet wie in gefakter Himbeerlimonade getaucht. Die Berge rechts hinten im Dunst wirken veredelt und in Trance entrückt. Viele junge Leute kommen nun an. Das Kraftwerk in der Lobau zeigt mir den Stinkefinger aus dem Grünen heraus. Ich suche den Stephansdom und finde ihn gleich im Häusermeer. Nur mehr die höchsten Türme und Hochhäuser trifft ein schwächelnder Abglanz der Sonne; dafür ist der Himmel hinter mir von blassem Rot. Auf Erden werden die Farben stumpf und die Stadt unten grau. Der Himmel ist noch viel zu hell für die Sterne. Zwischen meinen Beinen wächst Schafgabe. Die ersten Lichter im Prater. Und dann ganz im Süden, noch südlich der Spinnerin am Kreuz. Die Gräser beginnen kaum merklich zu schwanken. Die Laubbäume beim Freud drüben werden kompakter, fester, runder und wesenhafter. Der Donauturm steht genau zwischen zwei Baumgruppen, sonst könnte ich ihn nicht sehen. Das Firmenschild am roten Kran leuchtet ebenfalls elektrisch. Es ist einfach unglaublich, was sich da unten vor einem an Schönheit und Intensität ausbreitet: auch eine Offenbarung über die Welt!

Ganz vereinzelt leuchten schon kleinere Lichter aus der Stadt herauf; ganz vereinzelt. Allmählich werden der Lichter mehr. Lautes Gelächter von rechts hinten, unsympathisch, weil überdreht und angespannt. Der Kahlenbergsender blinkt noch sehr verstohlen sein rotes Licht in den grauen Himmel. Eine Uhr schlägt, ein Hund bellt. Eine einzige, kleine, zartblaue Wegwarte entdecke ich gerade noch, bevor es zu dunkel wird.

Jetzt sieht man schon am AKH-Klotz die Fenster leuchten. Und überhaupt sind unten wieder der Lichter mehr geworden. Trotzdem ist ein toter Punkt erreicht: Niemandsland im Grenzübergang vom Tag zur Nacht. Ein elegisches, existentialistisches Flugzeug. Die Bäume: so mächtig, so stumm. Die Glitzerei unten nimmt immer mehr zu und wird stärker. Das Maximum ist noch nicht, aber bald erreicht. Das Firmament ist noch sternenlos verblieben; die Schöpfung ist noch unvollendet, der Schöpfer hängt durch.

Im Osten der erste Stern. Wer ist es? Kann es schon die Capella sein? Die kann noch nicht heraußen sein, oder? Oder die Wega? Die müßte schon viel höher stehn. Oder ein Planet? Jupiter? Ja, von der Helligkeit her tippe ich auf Jupiter.

Reifen auf Asphalt. Die Stadt entfaltet ihr Lichterkleid; die Bäume stehen so still, unbewegt, rühren sich nicht und sind so unglaublich präsent in der Dunkelheit. Es riecht so gut nach Sommerwiese und die Luft ist voller Schlieren und dunkleren Flecken und Gewimmel von Korpuskeln, wie ich behaupte. Der westliche Himmelsrand glüht noch, wo er den Horizont trifft. Fledermäuse flattern lautlos. Fast ist der Übergang geschafft – aber es ist noch nicht ganz Nacht. Vereinzelte Sterne tauchen aus dem Grau auf.

Ich schätze jetzt so dreißig Leute hier. Es wird kühl. Einige gehen, aber einige kommen. Adler, Schwan, Wega? Noch nicht deutlich genug. Bald ist es zu finster zum Schreiben, aber der Freudstein drüben leuchtet voll herüber im Stäbchensehsystem. Ja, sicher: Schwan, Adler und Wega in der Lyra sind nun bestätigt; der Himmel ist finster genug und ich kann auch die schwächeren Sterne ausmachen.

Die Leute, die hier lagern, kommen mir nun vor wie Pilger, die gelassen, fröhlich und ohne Krampf auf den Geist warten, während sie essen, trinken, rauchen, plaudern und scherzen und von ihrem Leben erzählen. Flugzeuge starten in Schwechat und steigen als Lichtpunkte in den Himmel.

 

(6.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

 

Montag, 6. September 2021

2413 So hart, wie es heute war

 

So hart, wie es heute war, mich aus Schlaf und Traum hinaus zu kämpfen, war es schon lange nicht mehr. Ich hatte ja auch nicht den Zeitpunkt abgewartet, an dem eine kleine Explosion den Sperrknoten sprengt und die Glaswand zur Realität weg ist. Das Geschehen unten bei den Tageskindern hatte mich neugierig gemacht und aufgescheucht. Jetzt erst habe ich die Realität so einigermaßen etabliert. Und nun hält mir Frau Katz, die mir auf der Brust sitzt, ihr Hinterteil an den Hals und schnurrt, und dann stellt die Klimaanlage im Lichtschacht ihr Geheule ein, sodaß mein Ohrensurren wieder die akustische Herrschaft übernimmt. Ich zupfe mit einem vom kleinen Finger meiner linken Hand abstehenden Hautstückchen an einer verklebten Stelle im Pelz am Nacken der Katze und sie zuckt daraufhin. Mit meinem Ziegenbart am Kinn streiche ich durch sanftes Hin- und Her- Bewegen meines Kopfes über den Pelz der Madame – so kann ich gleichzeitig schreiben und die Katze streicheln. Das Schnurren von Madame Mi-Tsi geht in eine Symphonie mit Lauten, die fast wie Gezwitscher klingen, über. Eine Zeit lang hält diese Konstellation im Universum an, dann springt Madame vom Bett und hüpft auf meinen Schreibtisch um sich dort zu lagern. Ich aber bleibe noch im warmen Bett und rätsle über die Geräusche, die vom Flur gegenüber beim weit aufgerissenen Fenster hereinkommen.

 

(6.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 5. September 2021

2412 Bellevue

 

Ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal. Ich stelle mir das vorher immer so toll vor: ich gehe auf die Bellevue, den schönsten Platz von Wien, verbringe Stunden dort bis zur Abenddämmerung, die an diesem Ort besonders reizvoll ist, wenn dann unten in der Stadt allmählich die Lichter angehen; ich versinke in Meditation und Schönheitstrance und der Energiehotspot, der an diesem Platz, auch wegen der Freud-Traumdeutungsgeschichte, sicherlich sein muß, wird mir Inspiration und Tiefe vermitteln.

Nun: ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal in der Sonne und hoffe auf Inspiration vom genius loci – wobei ich mir schon nicht sicher bin, ob das hier der wirkliche Ort ist, wo dem Freud seine Methode der Traumdeutung eingefallen ist, denn den Wiener Rationalisten trau ich es zu, dass sie sagen: „Scheiße! Na! Is jo eh wuascht! Des woar do drüben, oba do stangatz im Weg. Stöma den Stoa do her am Round!“

Starke Zauberer könnten zwar Energiehotspots an einen Ort hinbringen und zumindest für die Zeit, zu der sie persönlich dort wirken, verankern, aber die müßten schon sehr, sehr mächtig sein. Sonst muß man zu den natürlichen Energiehotspots hingehen, so wie ich. Ein magischer Ort ist die Bellevue sowieso – so schön wie sie ist geht einem hier das Herz auf. Aber was ist jetzt mit der Inspiration? Ist die Freud'sche Energie für mich überhaupt die richtige? Egal, ich nehme alles! Oder vertreibt mich jetzt der hier situierte Geist, weil es mich gar so in den Schatten zieht? Bin ich der Freud-Energie-Inspiration nicht würdig, weil ich mich bloß an seine Bedeutung dranhängen will? In seinem Licht sonnen? Ich gebe das Denkmal frei.

Immerhin war da hinten einmal ein Stasi-Restaurant und jetzt sind viele Paare hier. Und Leute mit Hunden; was immer das sagt. Hoffentlich sitze ich nach dem Platzwechsel in den Schatten nicht in der Hundescheiße. Der Blick geht weit, bis zu den Ausläufern der slowakischen Berge. Überraschend viele Bäume haben schon braune oder gelbe Blätter, nicht nur wegen der Miniermotte. Gekicher, Liebesgeflüster, Kindergeschrei, und ein leichter Wind. Es gibt nicht wenige Leute, die diesen Platz hier lieben.

Wenn ich jetzt den Inpuls habe zu gehen, ist das ein Fluchtimpuls? Vor dem, was in mir hochkommt? Oder ist die Energie hier nichts für mich? Aber früher hatte ich hier doch schon lange Abende verbracht!

Der Hügel, der sich wunderbar sanft wölbt und dann zur Stadt abfällt. Ein Mädchen läuft unbefangen zum Freud-Dings um die Gedenktafel zu lesen. Ich bin unruhig. Doch! Ich gehe jetzt wieder.

Auf dem Weg hinunter nach Grinzing fallen immer wieder tote Blätter von den Büschen und Bäumen auf den Weg und mir vor die Füße. Und jedesmal ist es ein kleiner Schock.

 

(4.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. September 2021

2411 Kunstwerke, die mir gelungen sind

 

Meine Landschaften hängen äußerlich brav oben unter dem Plafond, aber innerhalb ihrer Rahmen spielt es sich so ab, dass ich mich daran nicht sattsehen kann. Das ist nebenbei gesagt nicht von vornherein ein Beweis für ihren Kunststatus; das könnte auch mit Flecken an einer Wand oder Sprüngen in der Mauer geschehen, jedoch nicht so schnell, einfach und zielgerichtet. In den Bildern ist tranzendentale Absicht eingeflossen und sie sind Fenster zur Transzendenz (das ist alles, was über unsere vereinbarte Weltbeschreibung hinausgeht). Eine Absicht, die nicht ich geschaffen, sondern nur durchgelassen habe. Deshalb könnte man auch sagen: die Bilder sind vom Geist inspiriert. Deshalb sind sie Kunstwerke. Kunstwerke, die mir gelungen sind. Und nach dieser Feststellung stehe ich auf und gehe hinunter in die Küche frühstücken.

 

(3.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2410 Die notwendige Dämmerung

In der Brust noch eine Aufregung aus einem vergessenen Traum. Die notwendige Dämmerung zu Tagesbeginn ist frisch und kalt. Ist es Angst, und Panik, die in meiner Körpermitte lauert und sich wie leichte Übelkeit anfühlt? Ein paar unwillkürliche, tiefe Atemzüge, die sich erst in die Körpermitte hinunter stoßen mußten, dämpfen etwas diese Angst, die da aufkommen wollte. Der zusätzliche Sauerstoff erzeugt leichten Schwindel im Kopf; alles will sich zu drehen beginnen. Ein schwacher Schauder geht innen im Körper den Rücken hoch bis zur Schädeldecke. „Einsteigen! Einsteigen!“ ruft eine Stimme und bewirkt, dass sich mein Körper entspannt und an den Ohren ein weicher, plastischer Druck entsteht, der sich wie zwei kompakte Kugeln aus verdichteter Luft anfühlt. Im Bauch arbeitet und gurgelt es.

 

(3.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com


2409 Morgens früh um 6

 

Morgens früh um 6   kommt die kleine Hex – das ist Frau Katz und weckt mich, damit ich sie füttere.

Morgens früh um 7   schlaf ich wieder drüben.

Morgens früh um 8   wird kurz aufgewacht.

Morgens früh um 9   muß ich mich mit irgendwelchen Prüfungen an der Uni herumschlagen, die zu erledigen ich angeblich vergessen habe und es schaut nicht gut aus, dass ich das noch hinbekomme, denn alles hat sich weiterentwickelt hier und verändert und ich finde mich weder in den Räumlichkeiten, noch in der Wissenschaft zurecht und ich verstehe nicht, was der Professor will und was der daherredet.

Morgens früh um 10   sollt ich doch aufstẹhn,

aber erst um 11 ist es so weit,

frühstücke bis 12   Brot und Hüttenkäs, Tomate, Apfel, Karotte, Nüsse; erst ein paar Schluck Kaffee, dann den aufgedonnerten Morgentee (der jeden Tag variiert wird).

Was mich in der Kindheit irritiert hat und mir heute sehr gefällt: um 10 ist noch immer morgen früh!

Morgens früh um 1   sitzt ich vorm Laptop bis viertel zwei; geh dann in die Thearpie, an meinem Ufergarten vorbei.

Die dauert dann bis dreiviertel 3   da fahr ich mit der U-Bahn hei   m.

 

(2./3.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2408 Wirklich kalte Herbstluft

 

Wirklich kalte Herbstluft kommt durchs weit aufgerissene Fenster. Morgenstille in der Dämmerung. Meine Ohren surren als würde mein Kopf in einer anderen, fremden, lauten Welt stecken. Mein Herz zittert noch ein wenig dem Traum nach, aus dem es soeben erlöst wurde. Es passt noch nicht alles zusammen. Aber das macht nichts. Meine Brust habe ich wegen der kalten Luft gut eingewickelt. Als mein Surren etwas nachläßt, kann ich das abgeschirmte Rauschen der Stadt ahnen. Ich arbeite mich akustisch in dieses Ahnen hinein und kann die Symphonie in der Ferne hören. So weit bin ich mit den Erforschungen noch selbst (ich würde so gern „selber“ schreiben!) gekommen. Der erwachende Tag unten in der Küche läßt diese meine Pionierarbeit stoppen. Auch gut. Ich bin ein freier Forscher (ein Pfadfinder, der lieber markierte Wege geht?).

 

(2.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. September 2021

2407 Schöne Passage

 

Ich hocke noch gemütlich und aus-, aber verschlafen im Zentrum der Welt unter der Decke. Von einer stillen Zufriedenheit erfüllt blicke ich mich nach Wundern und optischen Täuschungen um. Ich nehme erstmals den gelben davonfliegenden Vogel auf der beeindruckenden Ausstellungseinladungskarte von Anna Stangl wahr. Die Welt außerhalb flimmert noch. Ich sitze – um es so zu sagen – in einer Schicksalssymphonie und momentan ist gerade eine sanfte, schöne Passage. Nun vergrößere und intensiviere ich willentlich meinen Bildausschnitt und lasse die Dinge ein wenig zerfließen. Panta rhei. Das wechselnde Sonnenlicht hilft mir dabei. Ich bin schon hungrig, aber ich will dieses innere Gleichgewicht noch nicht stören. Genau in meinem Nacken arbeitet Energie; ich merke es am Vibrieren und Kribbeln.

 

(1.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2406 Die alte Eller

 

Die alte Dr. Eller! Dieser Drachen! Leitet „Selzthal“ etymologisch von „Salztal“ ab! Was für ein Unsinn! Das kann nur deutschnationaler Dünkel sein. Der Name geht nämlich auf den Lokativ von altslawisch sedlo für Sitz, Siedlung zurück. Wie ignorant und dumm kann frau als Deutschprofessorin sein! Wo gibt es denn einen Beleg, dass „Salz“ zu „Selz“ werden kann!?! Nirgends. Noch dazu, wo „Salz“ in der Region „soiz“ ausgesprochen wird und in alten Zeiten überhaupt „Hall“ = Saline der Namensgeber für Salzorte war, während Selzthal nie etwas mit Salzabbau zu tub hatte. Und das waren die Figuren, vor denen ich mich in meiner Kindheit gefürchtet und von denen ich mich einschüchtern lassen habe. Nur erbärmliche Geschöpfe ohne Mut zur Wahrheit, ideologisch blind und zumindest verbal gewalttätig. (Ich erledige die Dämonen meiner Kindheit.) (Die Übelkeit läßt nach.) Ella Guru (ich weiß, dass dieses Lied von Captain Beefheart nix, absolut nix mit dieser Eller zu tun hat, aber immer wenn ich diesen Song höre, fällt mir diese Eller ein: so tief hat sie sich mit ihrer scharfen, aggressiven, feindseligen Stimme in meine Seele hineingeschnitten. Dabei hatte ich sie nie als Lehrerin).

 

(1.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2405 Ein Löffel Yoghurt

 

Im Traum mußte ich – ich glaub – mein ganzes Leben ausmisten. Das hat nach einer Herkulesarbeit ausgesehen. Wenn nicht nach Sisyphos. Ich bin noch ganz zittrig. Im Bücherregal hat sich aus mehreren Büchern ein magischer Quader gebildet, der nun schräg im Regal steht und recht stabil bleibt (wenn du das Wort „magisch“ nicht abwerten willst, verwende es nicht inflationär! Aber mein Montagepunkt scheint sich wirklich zumindest minimal verschoben zu haben!). Ahja! Die faszinierende Ausstellungseinladung von Anna Stangl zur Vernissage am Mittwoch, den 5. Juni 2019, 19 Uhr in der Galerie Gerersdorfer ist auch gekippt: ich sehe nicht mehr die weibliche Gestalt, sondern eine komplexe Landschaft. London existiert nicht mehr, nur die Brücke steht noch, jedoch zu einem Steg mutiert, ansonsten eine menschenleere, naturbelassene Flußlandschaft mit Gebüsch und Bäumen am Ufer. Oder ist das Dunkle rechts der Rest der zu einem Felskonglomerat verschmolzenen Stadt?

Meine Schweizerin zeigt wieder ihre blasse, aber lebendige Unterschichtshaut – also: hat ihre Bluse ausgezogen und trägt nur noch ihr Unterhemd. Warum mir jetzt leicht übel wird, weiß ich nicht. Zu früh vom Schlaf erwacht? Seit wann rebelliert mein Magen gegen einen Löffel Yoghurt?

 

(1.9.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2404 Umgestülpt

 

Meine Schweizerin ist heute Nacht grau, als wäre ihre nackte Haut ohne Blut und zu schmutzigem Marmor erstarrt. Eine Kunstkarte hat sich umgestülpt: ich sehe keinen schneebedeckten Gipfel vor dunkelblauem Himmel, sondern einen dunkelblauen Himmelskörper, der weißes, dünnes Korpuskellicht in gleichzeitig unterschiedlichen Intensitäten ausstrahlt. In einem anderen sehe ich kein spätwinterliches, längliches Schneefeld am nördlichen Meeresstrand, sondern einen breiten, weißen Fluß durch die Landschaft ziehen. Und in einem sehe ich nicht die Großstadt am weltbekannten Strom, sondern eine bergige, steile, menschenleere Küstenlandschaft.

 

(31.8/1.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August/September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com