2412 Bellevue
Ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal. Ich stelle
mir das vorher immer so toll vor: ich gehe auf die Bellevue, den schönsten
Platz von Wien, verbringe Stunden dort bis zur Abenddämmerung, die an diesem
Ort besonders reizvoll ist, wenn dann unten in der Stadt allmählich die Lichter
angehen; ich versinke in Meditation und Schönheitstrance und der
Energiehotspot, der an diesem Platz, auch wegen der Freud-Traumdeutungsgeschichte,
sicherlich sein muß, wird mir Inspiration und Tiefe vermitteln.
Nun: ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal in der
Sonne und hoffe auf Inspiration vom genius loci – wobei ich mir schon nicht
sicher bin, ob das hier der wirkliche Ort ist, wo dem Freud seine Methode der
Traumdeutung eingefallen ist, denn den Wiener Rationalisten trau ich es zu,
dass sie sagen: „Scheiße! Na! Is jo eh wuascht! Des woar do drüben, oba do
stangatz im Weg. Stöma den Stoa do her am Round!“
Starke Zauberer könnten zwar Energiehotspots an einen
Ort hinbringen und zumindest für die Zeit, zu der sie persönlich dort wirken,
verankern, aber die müßten schon sehr, sehr mächtig sein. Sonst muß man zu den
natürlichen Energiehotspots hingehen, so wie ich. Ein magischer Ort ist die
Bellevue sowieso – so schön wie sie ist geht einem hier das Herz auf. Aber was
ist jetzt mit der Inspiration? Ist die Freud'sche Energie für mich
überhaupt die richtige? Egal, ich nehme alles! Oder vertreibt mich jetzt der hier
situierte Geist, weil es mich gar so in den Schatten zieht? Bin ich der
Freud-Energie-Inspiration nicht würdig, weil ich mich bloß an seine Bedeutung
dranhängen will? In seinem Licht sonnen? Ich gebe das Denkmal frei.
Immerhin war da hinten einmal ein Stasi-Restaurant und jetzt
sind viele Paare hier. Und Leute mit Hunden; was immer das sagt. Hoffentlich
sitze ich nach dem Platzwechsel in den Schatten nicht in der Hundescheiße. Der
Blick geht weit, bis zu den Ausläufern der slowakischen Berge. Überraschend viele Bäume
haben schon braune oder gelbe Blätter, nicht nur wegen der Miniermotte.
Gekicher, Liebesgeflüster, Kindergeschrei, und ein leichter Wind. Es gibt nicht
wenige Leute, die diesen Platz hier lieben.
Wenn ich jetzt den Inpuls habe zu gehen, ist das ein Fluchtimpuls?
Vor dem, was in mir hochkommt? Oder ist die Energie hier nichts für mich? Aber
früher hatte ich hier doch schon lange Abende verbracht!
Der Hügel, der sich wunderbar sanft wölbt und dann zur Stadt
abfällt. Ein Mädchen läuft unbefangen zum Freud-Dings um die Gedenktafel zu
lesen. Ich bin unruhig. Doch! Ich gehe jetzt wieder.
Auf dem Weg hinunter nach Grinzing fallen immer wieder tote
Blätter von den Büschen und Bäumen auf den Weg und mir vor die Füße. Und
jedesmal ist es ein kleiner Schock.
(4.9.2021)
©Peter Alois Rumpf September
2021 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite