Sonntag, 5. September 2021

2412 Bellevue

 

Ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal. Ich stelle mir das vorher immer so toll vor: ich gehe auf die Bellevue, den schönsten Platz von Wien, verbringe Stunden dort bis zur Abenddämmerung, die an diesem Ort besonders reizvoll ist, wenn dann unten in der Stadt allmählich die Lichter angehen; ich versinke in Meditation und Schönheitstrance und der Energiehotspot, der an diesem Platz, auch wegen der Freud-Traumdeutungsgeschichte, sicherlich sein muß, wird mir Inspiration und Tiefe vermitteln.

Nun: ich lehne sitzend am Freud-Traumdeutung-Denkmal in der Sonne und hoffe auf Inspiration vom genius loci – wobei ich mir schon nicht sicher bin, ob das hier der wirkliche Ort ist, wo dem Freud seine Methode der Traumdeutung eingefallen ist, denn den Wiener Rationalisten trau ich es zu, dass sie sagen: „Scheiße! Na! Is jo eh wuascht! Des woar do drüben, oba do stangatz im Weg. Stöma den Stoa do her am Round!“

Starke Zauberer könnten zwar Energiehotspots an einen Ort hinbringen und zumindest für die Zeit, zu der sie persönlich dort wirken, verankern, aber die müßten schon sehr, sehr mächtig sein. Sonst muß man zu den natürlichen Energiehotspots hingehen, so wie ich. Ein magischer Ort ist die Bellevue sowieso – so schön wie sie ist geht einem hier das Herz auf. Aber was ist jetzt mit der Inspiration? Ist die Freud'sche Energie für mich überhaupt die richtige? Egal, ich nehme alles! Oder vertreibt mich jetzt der hier situierte Geist, weil es mich gar so in den Schatten zieht? Bin ich der Freud-Energie-Inspiration nicht würdig, weil ich mich bloß an seine Bedeutung dranhängen will? In seinem Licht sonnen? Ich gebe das Denkmal frei.

Immerhin war da hinten einmal ein Stasi-Restaurant und jetzt sind viele Paare hier. Und Leute mit Hunden; was immer das sagt. Hoffentlich sitze ich nach dem Platzwechsel in den Schatten nicht in der Hundescheiße. Der Blick geht weit, bis zu den Ausläufern der slowakischen Berge. Überraschend viele Bäume haben schon braune oder gelbe Blätter, nicht nur wegen der Miniermotte. Gekicher, Liebesgeflüster, Kindergeschrei, und ein leichter Wind. Es gibt nicht wenige Leute, die diesen Platz hier lieben.

Wenn ich jetzt den Inpuls habe zu gehen, ist das ein Fluchtimpuls? Vor dem, was in mir hochkommt? Oder ist die Energie hier nichts für mich? Aber früher hatte ich hier doch schon lange Abende verbracht!

Der Hügel, der sich wunderbar sanft wölbt und dann zur Stadt abfällt. Ein Mädchen läuft unbefangen zum Freud-Dings um die Gedenktafel zu lesen. Ich bin unruhig. Doch! Ich gehe jetzt wieder.

Auf dem Weg hinunter nach Grinzing fallen immer wieder tote Blätter von den Büschen und Bäumen auf den Weg und mir vor die Füße. Und jedesmal ist es ein kleiner Schock.

 

(4.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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