Mittwoch, 22. September 2021

2436 Flecken in der dunkelbraunen Wand

 

Ich habe Regentropfen im Schlaf gehört. Und jetzt sind es graue Ballungen mit Farbtupfern, die vor meinen Augen tanzen. Überhaupt gehen Wellen von meinen Augen aus und wandern durchs Universum, bei dem ich mich für den grauen Morgen bedanke. Ich versuche mich an die gestrigen Krimis zu erinnern und an den gestern konzipierten heutigen Tag. Aber mein Gedächtnis ist noch nicht so weit. Beim dritten Auge wurlt es; irgendein automatisches Abcheckprogramm läuft ab. Vor kurzem war ich noch im Zug über den Semmering, aber wer und warum legt so einen eigenartigen Zeitmaßstab an? Ich zwinge mein Gehirn zum Nachdenken: Anfang August bin ich das letzte Mal diese Strecke gefahren. Über meine Lippen läuft bewegungsloses Zittern, eine juckende innere Vibration. Jetzt erst fühle ich meinen verschlossenen Mund. Ich kratze mich am Kopf und mein Alltagsbewußtsein taucht ein paar Zentimeter weiter aus der Ursuppe heraus. Ich kratze mich an der linken Schläfe und stierle mit dem Klicker meines Schreibpiloten in meinem rechten Ohr, aber jetzt funktioniert diese Methode nicht mehr und mein Alltagbewußtsein droht wieder zu versinken. Da hilft nur Radikalität, die ich im Moment nicht aufbringe. Ich kämpfe tapfer aber defensiv gegen die Zufälle der Augen, die schon so jucken. Mit geschlossenen Augen sehe ich nichts, nur leicht hellere Flecken in der dunkelbraunen Wand. Ich kratze über das juckende dritte Auge und anschließend die juckende Nase, wobei des Jucken zuerst hinter die Ohren und dann wieder zum dritten Auge wandert. An den Konturen meines schreibenden Pilotpens und der ihn führenden Hand erscheinen kleine Lichtabstrahlungen und verschwinden wieder. Ich lege meinen Kopf zurück, den Nacken auf den kleinen Polster über der Kante meines Bettgestells. Mein linker Arm, der mein Notizbuch etwas verkrampft festhält, driftet ins Bewußtsein. Ich versuche, ihn etwas zu entspannen, um mein Herz zu schonen, was jedoch seit der Opferung des ersten Gliedes meines linken Daumens auf dem Kreissägetisch vor 44 Jahren nicht mehr vollständig möglich ist, weil durch den Cut eine ständige Spannung im linken Arm zurückgeblieben ist. Die merke ich nur, wenn meine Aufmerksamkeit auf den Arm gelenkt ist. Ich versuche einen inneren Lachanfall, der nicht so recht gelingen will. Ich fasse den Entschluß aufzustehen. Bin neugierig, wie lange ich dafür brauchen werde.

 

(22.9.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   September 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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