2432 Die Ockerisierung der Welt
Vibration und Flimmern nehmen langsam zu. Und wieder ab.
Wellenähnlich.
Zum ersten Mal sehe ich, dass am Kai vom Hafen von Mali Lošinj
eine Frau mit traditionell österreichisch gebundenem Kopftuch ein anderes
Lebewesen – ein Kind? Eine Tier? Eine Frau? - das sich aufbäumt, zu halten oder
zu tragen versucht. Kurz dachte ich, diese kopfbetuchte Frau wäre meiner
Großmutter mütterlicherseits ähnlich, aber nein, die Frau am Bild ist viel
schlanker als die Großmutterkanonenkugel und hat nicht so ein bösartiges,
blödes Gesicht. Außerdem verändert sie sich rasch.
Die frankophone Schweizerin ist wieder runder geworden. Der
auferstandene Herr auf meinem nicht so angelegten, aber zur Parodie geratenen
Heiligenbildchen hat die Haltung eines leicht übertreibenden Ballettänzers
(mein Fehler! Schlecht gemalt). Die zwei neuvalistischen Visionäre grinsen. Ich
spüre den Krampf in meinen Gebissmuskeln.
Ich glaub, die frankophone Schweizerin, die ja immer fester
wird, wird mir bald eine kleschen. Die zwei Visionäre schauen nun etwas
betreten drein. Das Blatt meines Notizbuches knickt in Zeitlupe und mit lautem
Getöse um. Die Katzehaare fliegen in verlangsamten Weltraumtempo durch die
Luft. Fremde, verhaltene, schöne Töne kommen aus dem Schacht. Allmählich
beginnen die zwei Visionäre, sich meiner zu schämen. Mein Gott! Nun hat sich
der Auferstandene in einen Conterganraufbold verwandelt.
Das Glitzern rundherum wird mehr. Jetzt hebt der Tanz an!
Wohlgemerkt: ein sehr sanfter Tanz.
Meine Frau am Foto schaut immer wilder. Ich mache eine ganz
neue Entdeckung: bei den Lichtstrahlen geht der energetische Sog zur Lichtquelle!
Der Leninverschnitt da oben frißt und säuft Wein, seine Augen sind schon ganz
klein.
Die kleine frankophone Swizzeria wird immer lebendiger; ich
hoffe immer, dass sie endlich ihr letztes Leiberl runterrutschen läßt. Meine
Rettenschoesser Landschaft ist plötzlich so flach und leer; flacher und leerer
als eine Kulisse. Hat der Jesus da oben den einen beim Ohrwaschel? Auf meiner
Schreibhand blüht immer mehr Katzenhaar. Die Geräusche der Rax kommen aus dem
Schacht. Der heilige Priester frißt seine Kinder. Ich muß jetzt eingreifen.
Ich bin ein Riese und rage hoch, ganz hoooooch über den
Boden hinaus und ich muß euch sagen: hier riecht's nach Kakao.
Oh! Meine pralle Inderin: 4,5 Zentimeter im Quadrat.
Plötzlich alles Grünstich! Dann Blaustich. Dann erlebe ich
die Ockerisierung der Welt.
Ganze Ozeane rinnen aus meinem Gesicht. Die zwei Visionäre
schauen drein, als wären sie beim Arzt.
Sagt die Prallere zur Prallen, laß uns da nicht
niederfallen! (ich habe zwei Bildchen der Schweizer Dame.) Ich fürcht, ich werd
frivol!
Der Lenin frißt und säuft zu viel, so fett ist er schon.
Mein kleiner Priester sucht den Himmel nach Sternen ab.
Der Tanz ist im vollen Gange. Ein Pulsschalg nach dem
andern, jeder ein Urknall by himself (hahaha!).
Die Welt sinkt ganz einfach vom Regal herunter; nichts kann
sie halten. Der Stich geht ins Zartgrüne. Die zwei Visionäre wirken
überfordert. Ihr da draußen am Gang – ich möchte auch mitlachen. Ich studiere
den Strichcode an der Wand, aber den Kopf verdreht zu halten wird mir gleich zu
anstrengend. Ah! Wird sind schon in den Donnerstag hinein!
Überall, wohin ich blicke, geht ein Universum auf. Mir aber
sind schon die vielen Reiseangebote zu viel: überall, wo ich hinblicke, könnte
ich landen. Der Katzenhaare werden immer mehr. Holt die Mäuse, auf dass sie die
Katzenhaare fressen! Der Lenin ist ja nichteinmal ein Bierbrauer! Und wieder
sackt die Welt ab und nur die Bilder bleiben. Ein paar Gelsen erinnern mich
daran, dass es ja auch Musik gibt. Schon wieder sackt die Welt ab. Und wie!
Jetzt kenn ich ich gar nicht mehr aus: alles sackt ab, aber
alles bleibt stehen? Runter mit der Wäsch! Aber alles bleibt angezogen. Es
tanzt schon noch was. Ganze Wirklichkeiten stürzen von den Wänden,
unaufhörlich, wieder und wieder. Zack! Weg! Und alles ist wie vorher. Wir sind
schon sehr einsturzgefährdet! Ja, alle Bewegung geht nach unten: alle legen
ihre Waffen nieder, ihre Schilder, da da da da, irgendwo muß es doch
zusammnefließen, irgendeinen kosmischen Abfluss wird’s doch geben! Wie eine
Liftfahrt down vom höchsten Turm der Welt. Mir ist des wuascht! I loß es
blitzn!
Und: alles herunter und immer noch gleich. Schade, aber ich
bette mich jetzt zur Ruh.
(15./16.9.2021)
©Peter
Alois Rumpf September 2021 peteraloisrumpf@gmail.com
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