Montag, 30. Januar 2023

3064 Dass es eine Freude ist

 

In der Albertina. Wie immer raste ich vor der bewunderten Werefkin und rutsche in Phantasien und ins Träumen. Am Eingang habe ich gesehen, wie Eltern das Flascherl mit Trinkwasser für ihr Kleinkind im Buggy abgeben mußten, weil jetzt Flüssigkeiten mitzunehmen verboten ist. „Terrorgefahr!“ Ein Beispiel, wie sich Vorschriften und Bürokratie ins Ornamentale aber verselbständigt haben und damit unsinnig und bösartig werden.

Die Rast vor Kokoschka. Die Aufseher haben enormen Stress; sie sausen rastlos herum. Dresden (London fehlt). Wie immer: Biermann: „In Dresden, da steht ja die Elbe so still und die Stadt fließt so träge vorbei ...“ …

Rast vor dem depperten Kardinal, gegenüber mein Spiegelbild und das des Kardinals, rechts die paar Klees, links ein Jawlensky und ein paar Kandinskys. Ich bin sehr müde, denn ich bin um 7:20 a.m. aufgestanden, habe die Tagis vom Augarten nach Hause gekarrt und bin dann sofort ab in die Albertina. Ich habe viel zu wenig geschlafen. Aber die Vormittagsalbertina ist eine neue Erfahrung. Ich versuche, ein wenig hier zu bleiben, denn an diesem Platz sitze ich mit Rückenabstützung. Nachdem das ein schmaler Gang ist, passieren die Leute so knapp an mir vorbei, dass ich Hemmungen habe, sie anzuschauen und zu beschreiben. Nicht so sehr, weil sie es bemerken könnten, sondern weil sie mir so zu nahe gehen. Ich vermute, die umfangreicheren Energiekörper berühren einander im Vorbeiwalken. Manche Passantinnen zögern, an mir vorbeizugehen. Verständlich, aber das macht mich jetzt unruhig und nervös auf meinem Sitz. Vielleicht geht es unten bei den Sphinxen besser? Dort ist der Gang viel breiter.

Weitere Rast beim freundlichen Arbeiter (Motesiczky), auch dort sitze ich gern, wenn auch nie lange, wegen der fehlenden Rückenlehne (Kreuz). Die Farben sind so leicht und schön. Ich blicke von hier bis in den dritten Saal. Die Wand im Bild hinter dem auf einem einfachen Stuhl sitzenden Arbeiter kommt mir fast ikonenhaft gemalt vor, wenn auch säkularisiert (Gottseidank!). Weiter.

Heut rast ich auch vor Chagalls Papierdrachen. Ein wahrhaft lustiges Bild, das mir sehr gefällt. Heute habe ich echte Hemmungen vor der Personengafferei. Das ist gut: so bleiben die Bilder und das intensive Chagall’sche Blau. Und Weiß. Und Rot. Und Grün. Und Braun.

Giacomettis Anette (seine Landschaft fehlt), seine vier Frauen auf Sockel mit ihren Schatten (und dem des Sockels) und wieder habe ich mich hingesetzt. Sonst halte ich im Saal nicht allzuviel aus. Aber jetzt vibrieren der Fußboden und die Bank, auf der ich sitze, so stark, dass es eine Freude ist. Ich warte auf den nächsten Passanten, der das Ganze in Schwingung bringt. Dazu das leise Röhren der Klimaanlage. Es schaukelt einen richtig durch, wenn wer den Raum durchschreitet. Max Ernst’s Wald und Sonne gehen auch; und sein Monument des Stillstandes.

Nachschlag

Hiemit beende ich meine Kaffeehauskaffeeschimpfereien: im wirklich altwiener Tirolerhof habe ich am Kaffee nichts auszusetzen. Draußen zupft schon ein stärkerer Wind an Zweigen, Dekor und Planen und es sieht so aus, als will er sich auf Hochform auflaufen. Die Sonne scheint noch. Noch vertreibt der Wind die Wolken. Ein interessantes Wetter. Ich selbst bin k.o. Aber ach was! Ich geh zu Fuß in die Therapie: kleine Stadtwanderung. Die Sonne glitzert stark. Ich zögere etwas mit dem Aufbruch. Raus in den beginnenden Sturm. Auf! Auf! Meine Trinkgeldwirtschaft ist schlicht und einfach entartet. Der Wind bläst stark draußen, die sonnenbeleuchteten Flecken strahlen in so einem reinen, verklärenden Licht und werden aus der gewöhnlichen Welt gehoben.

 

(30.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 27. Januar 2023

3063 Die 2er und der 43iger

 

Die Zweiertour fängt damit an, dass ich in die eher unsympathischen Bereiche meines Bezirkes gehen muß. Und beim bequemen Warten auf der Bank auf die Straßenbahn muß ich ein unsympathisches Telefonat mithören. Zuerst ist kein Fensterplatz in Fahrtrichtung frei. Aber jetzt schon. Nun geht es vom Schwedenplatz am Donaukanal entlang. Viel fällt mir weder auf noch ein. Wir biegen rechts ab auf den Ring. Der Reiter mit Sattelgurt. Oder doch ohne? Ich kann es im Vorbeifahren nicht erkennen. Die Angewandte windet sich vorüber. Hier steigen viele aus. Am Stadtparkwald. Verdammt! Es geht alles zu schnell: schauen, aufnehmen, verarbeiten, formulieren, schreiben: das geht sich nicht aus. Einer mit gefärbten Haaren klickt irrsinnig laut auf seinem Handy herum. Piazza del Monte Negro. Die Sonne schimmert hinter Hochnebel. Die Fahrt ist zeitweise recht wackelig. „123Gold“ steht vielversprechend an der Wand. Ein positives Menetekel für mich? Hm? Opernhafte Menschenströme. Das Interessanteste ist die ab und zu in den Häuserschluchten zwischen den Wänden auftauchende Sonne hinter den lichtabsorbierenden Wolken. Viele Kräne. Kunst und Natur, dazwischen thront Maria Theresia. Das neualte Parlament mit dem alten Schreihals an seiner protokollarischen Spitze. Das scheußliche Rathaus. Die Ampeln blinken. Die Straßenbahn fährt ab und biegt nach links. Ich habe doch tatsächlich die in meinem Gehirn abgespeicherte Geographie Wiens vergessen! Baustellen. Kräne. Also doch zum St.Josefs-Theater (hihi). Dieses geballte neunzehnte Jahrhundert! Manchmal verstehe ich den Le Corbusier. Wir queren den 13A. Es gibt schon viel Wohlstand: teure Autos auch bei jungen Leuten. Wir stehen unter der Stadtbahnbrücke vulgo U6. Blick in die Bretagne (Plakat). Nun, Le Corbusier, es ist nicht Gescheiteres nachgekommen: wirkt alles sehr schnell abgefuckt. Würstelstand wirbt mit Zipferl (Bier!). Jetzt wird’s eng um meinem Sitzplatz. Jetzt wird’s draußen lichter. Niedrigere Häuser; die Erdgeschoße stehen leer und verfallen. Oh! Hier ganz in der Nähe habe ich auch einmal gewohnt. „Heaven No! Hell Yeah!“ steht an der Wand. Darunter: „Fiasko“. Ein kleiner Weihnachtsmann verdreckt noch außen an einem Balkon hängend. Hier ist der Radweg rot („Radfahren ist veganes Reiten“ Olaf Schubert). Ganz, ganz vereinzelte Schneeflocken. Noch ein Weihnachtsmann verreckt außen an einer Fensterscheibe. „Umpassagierung“ (viele Fahrgäste raus, viele rein). Ahne Speckbacher. Einer hinter mir redet dauernd und mit so belegter Stimme, als wäre er ein Oberton-Unterton-Sprecher. Jetzt weiß ich wieder wo ich bin: Heiligenkreuz im kleinen Astroraster. Straßenbahn biegt nach rechts ab. Riesensupermarkthalle: alles aus Glas, das sofort verhängt und verpickt wird. Rote-Wien-Gemeindebauten. Hier, bei Liebknecht, gibt es noch Schneereste. Dornbach. Aufforderung an der Endstelle auszusteigen. Ich bin neugierig, wie die Endstelle ausschaut; ich kann keine Erinnerung abrufe. Ohje! Nicht schön.

Jetzt weiß ich, warum ich nichts abgespeichert habe: dieser Ort gibt nicht viel her, mitten an einer Hauptstraße. Kein Bach. Keine Dornen. Außerdem muß ich Ost und West verwechseln, denn für mich haben die Straßenbahnen der 43iger Linie richtungsmäßig die falschen Aufschriften. Kalt, nass, hässlich, grau und vor allem: viel zu viel Autoverkehr. Spontaner Entschluß: ich fahre weiter nach Neuwaldegg. Nun sehe ich einen Weinberg und viele Bäume. Und Villen. Viele Schneeflocken. Es wird „gebirgig“. Naja. Okay. Die Endstelle 43. Als erstes fällt mir die Kloanlage auf. Okay. Es ist die schlechteste Jahreszeit: alles wirkt dreckig und tot. Die Straßenbahn fährt leer um ein Kirchlein herum, das ich erst jetzt registriert habe. Oh! Sankt Peter und Paul! Wie die Kirche meines Aufwachsens. Aber geschlossen. Verstößt das nicht gegen das Kirchenrecht? Müssen Kirchen nicht tagsüber wenigstens zeitweise für Beter geöffnet sein? Okay! Für Beter – nicht für Peter. Okay! Ich suche hier in der verkehrsreichen Einöde, die einstens sicherlich schön war, ein Café. Dafür gehe ich zu Fuß ein Stück des Weges zurück, denn von der Straßenbahn aus ist mir eine Bäckerei aufgefallen. Ich wundere mich immer wieder, wie ruhig ich es im Gegensatz zu hier heraußen in meiner Kemenate mitten in der Stadt habe. Einsiedler, kommt alle in die Stadt herein!

Im Souterrain des Cafés. Das hier hat schon etwas Ländliches in seiner typischen, ein wenig aufgetakelten „modernisierten“ Variante. Erinnert mich an die Cafés in den Märkten am Land. Vorstadt halt. Wie alte Häuser geupdatet wurden, aber ihre Herkunft nicht ganz verleugnen können. Im Moment ist mir das nicht unsympathisch – ob ernsthaft oder aus Schwäche weiß ich nicht. Auch die Klientel und ihre Kommunikation hat etwas Nicht-Urbanes. Der Dekor sowieso. Der Kaffee geht. Keine Offenbarung, aber ich habe mir einen schlechteren erwartet (im Gegensatz zur Lucy-Bar: dort erwarte ich einen besseren. Möglicherweise sind die Kaffees eh gleich). Durch die modern befensterte Luke (nicht vergessen: jetzt sind wir in der Postmoderne) blicke ich auf eine alte Pawlatsche, so passend für die Rückseite eines organisch gewachsenen Hauses. Gefällt. Jemand schaut im Vorbeigehen von der vorbeiführenden Straße herein. Kurzer, beidseitig unbeabsichtigter Blickkontakt. Hier herinnen ist es ruhig, auch wenn zwei Frauen und besonders drei Kinder lebhaft und ständig reden. Die Vorbeigehenden sieht man in etwa von den Knien bis zu Brust oder Hals. Das kommt natürlich darauf an, wie nahe oder wie weit entfernt vom Fenster sie vorbeigehen. Langsam werde ich nach Hause aufbrechen.

Zurück mit dem 43iger. Die Infoscreens stören enorm, weil sie mit ihrem optischen Gedudel meine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Heute bin ich sehr milde gestimmt und kann auch Villenvierteln etwas abgewinnen. Industriebauten sind um diese Jahreszeit besonders trist. Eine richtig schwarze Krähe sitzt in einem kahlen Baum. Watt-Gassen! (kleiner Knicks vor Bernhard). Diese unsäglich hässlichen Wettcafés! (Wetten! - weiterer Knicks vor Bernhard). (Das wird heute noch viel Arbeit: zweimal Wäsche, zweimal Geschirr, Texte eintippen.) Arbeiterherrlichkeit an der Hauswand. Oh! Da war ich vor kurzem: eines Buches wegen, das es nur in dieser Zweigstelle der Städtischen Bücherei gab. Allmählich gerate ich in gut bekanntes Terrain. Turnverein im Erdgeschoß (Turn! Turn! Turn! - Peter Paul and Mary – so hatte ich das Lied von Peet Seeger kennengelernt). Ich betrachte die Menschen an der Gegenhaltestelle. Einzelne drehen sich zur Seite. Wir kommen an meiner alten Arbeitsstelle vorbei. Trotz Zimmermanngasse kein Erlöser. Aber meine alten Freunde: die große und die „kleine“ Platane, die Birke, und die Bäumchen 007 bis 1010. Wir treffen auf den 13A. Ich packe das Notizbuch in mein Albertinatascherl. Finita la commedia!

 

(27.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3062 Tüchtigkeit

 

9:24 a.m.  Das Leben ist schön. Zumindest zurzeit, hier und von meinem Bett aus: wie ich dem vom Zudecken aufgewirbelten Staub beim Schweben zuschaue und meinem Surren in den Ohren und der Lüftung im Lichtschacht lausche. Jetzt kommt noch das fröhliche Geschrei der Tageskinder im Stiegenhaus dazu; bald wird das Wohnzimmer unten von sprudelndem Leben erfüllt sein. Die Baustelle nebenan macht sich nun akustisch bemerkbar; so viel Tüchtigkeit – ich geb’s nicht so gern zu – hat auch etwas.

Meine Großeltern fallen mir plötzlich ein, wie sie im hohen Alter das Haus an der Straße mit dem Dopplereffekt verlassen mußten – abgerissen – und eine Wohnung mitten im Markt bekommen haben, die für mich gar nicht zu ihnen gepasst hat. Ich betone: für mich!

Die aufs Bett gehüpfte Katze ist die Gamechangerin.

Wieder zurück zum Papier scheint mein Geist die Arbeit zu verweigern. Nur so viel quetsche ich mir raus: meine Schlampigkeit ist die Rettung vom sterilen Perfektionismus.

 

(27.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3061 Glücksgefühl

 

2:20 a.m.  Es überkommt mich schon immer ein Glücksgefühl, wenn ich mich ins Bett lege; egal ob zum Lesen, Schreiben oder Schlafen. Die Welt ist für mich, einfach so wie sie ist, sehr anstrengend. Und wieder höre ich meinen Puls im linken Ohr.

3:03 a.m.  Ein wenig habe ich im Bett gelesen. Jetzt will ich noch ein wenig nachsinnieren. Aber mir reißt das Gähnen mehrmals mein Maul auf. Sauerstoffmangel kann es nicht sein, ich habe vorm Hinlegen gelüftet. Noch immer der Puls im linken Ohr; ich höre ihn wieder. Die Katze bestellt noch ein Nachtmahl – oder ist es schon das erste Frühstück? - und das wird es wohl gewesen sein, was diesen Tag betrifft. Ich will mich jetzt zum Schlafen betten.

 

(27.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 26. Januar 2023

3060 Jemand, der schreibt

 

2:36 a.m.  Was soll das!?! Beinahe täglich und beinahe nächtlich schreibe ich etwas hin, ohne mich zu rechtfertigen. Immerhin sterben Bäume dafür. Zwar scheue ich davor, mich Schriftsteller zu nennen, aber Hobby lasse ich nicht durchgehen! Von diesem Wort wird mir sowieso schlecht, egal ob ich damit zu tun habe oder nicht. Ich bin jemand, der schreibt.

Wieder pumpt mein Herz das Blut durch das linke Ohr, wo ich es höre. Es klingt ein bißchen wie zu kurzer und zu schneller Atem; wie verhaltenes Schnaufen. Aber es ist das Blut. Mein Hände und Füße sind kalt. Irgendwo zittert es ein wenig.

Es klopft ganz laut im Zimmer, nicht an der Tür. Wie ein paar Tropfen am Fenster, aber als tropften sie innen. Dann ist der Spuk wieder vorbei.

Jetzt klingt das Pochen im Ohr mehr wie eine kurzschrittig marschierende Armee. Was das Surren betrifft gibt es ein paar Töne, die auszubrechen versuchen. Ich plane mein Hinlegen und beim Einschlafen auf die Geräusche zu horchen.

 

(26.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 25. Januar 2023

3059 Kunst hin oder her

 

Im Einundzwanzigerhaus. Meine gültige Jahreskarte, die ich vor vier Wochen erstanden habe, funktioniert nicht. Also ohne Umwege in die Lucy-Bar. Ich sitze schon ein paar Minuten … ah jetzt kommt wer die Bestellung aufzunehmen. Cappuccino, wie es meine Gewohnheit geworden ist. Früher war ich immer auf Melange, als stiller Protest gegen die Italophilie vor allem unserer Damen und zur Verteidigung des französischen Erbes in Wien. Aber seit ich weiß, dass der Cappuccino der zunächst über die K-K-Armee aus Wien nach Italien weitergewanderte Kapuziner ist (Wikipedia: „Der Kapuziner ist eine Kaffeezubereitungsart der Wiener Kaffeehauskultur. Er ist ein kleiner Mokka mit wenigen Tropfen Schlagobers, die dem Kaffee die Farbe einer Kapuzinerkutte geben. Gelegentlich wird auch ein starker Kaffee mit Schlagobers und Schokoladenpulver bestreut als „Kapuziner“ angeboten.“), der dann italienisiert als Cappuccino wieder eingewandert ist, bin ich umgestiegen. Soviel Patriotismus darf sein! Ganz leicht ist es mir nicht gefallen, die französische Tradition Wiens fallen zu lassen, weil ich die schon als Kind im steirischen Ennstal aufgewachsen von unserer aus Wien importierten Hausmeisterin – Frau Kruntorad – inoffiziell ins Steirische sprachlich eingebürgert als Frau Grundrad – aufgenommen habe, wenn besagte Meisterin uns zornig, wild und oft prophylaktisch anschrie: „Geht’s jo net owa vom Trottorar! Jo net in Rasn steign! Eis Bankert!“

Also gut, in der Lucy-Bar. Der Kaffee geht so, aber ist nicht wirklich gut. Ich würde als Bürgermeister von Wien anordnen, dass nur diejenigen gewerblich Kaffee ausschenken dürfen, die einen Baristakurs besucht haben und gut geröstete Kaffeebohnen zu verwenden bereit sind. Allen anderen wird die Lizenz zur Kaffeeausschank entzogen. Aus! Basta! Ich lache schon über die arroganten Kellner in den altwienerischen Kaffeehäusern, die etwas dazulernen müssen. Die Überprüfung meiner Jahreskarte ist immer noch nicht abgeschlossen. Ein unerklärlicher Fehler im System. Das passt zu mir, denn so fühle ich mich auch oft hier auf Erden. Die Lampen in der Lucy-Bar sind wirklich toll. Ich gehe herum und photographiere einige. Ah, jetzt bringt mir der wirklich freundliche und hilfbereite Mann vom Schalter (keine Wiener Akzent! Ich tippe auf norddeutsch oder skandinavisch), der meine spinnerte Jahreskarte bearbeitet hat, eine neue her zum Cafétisch und da er sie erst ab heute gültig geschalten (sic! So viel Wienerisch darf sein) hat, habe ich einen Monat Gültigkeit dazugewonnen. So ähnlich werde ich es auch mit meinem Ablebensdatum zu machen versuchen: ein Fehler im System und Neustart!

Machen die das mit dem schlechten Kaffee absichtlich, damit nicht so viele kaffeetrinkende Leser und Schreiber herumsitzen, sondern mehr Esser und Trinker? Zeitungen gibt es eh nicht beziehungsweise ich find keine. Schluß mit den Schwurblereien. Ich gehe Bilder schauen.

Ich bin durch die Ausstellungen gegangen und sitze nun im Foyer. Der Rockenschaub - den ich nicht so mag – blinkt und blinzelt aus der großen Halle herüber. Geht schon! Warum denke ich jetzt an Neuseeland? Der Mann am Nebengestühl spricht mit überzeichnetem Mund, als wäre sein Gesicht durch ein Comicprogramm gelaufen. Gibt es hier und jetzt einen Baby-Mütter-Treff? Langsam nervt das Gezappel und Gezucke vom Rockenschaub, das mir ständig von der Seite her ins Gesichtsfeld flasht. Der Comic-Mund spricht steirisch (was man normalerweise unter Steirisch versteht). Noch mehr Mütter und Babys. Zwei Damen vom Haus mit Erkennungsmarken um den Hals gehängt führen alle Mütter mit Babys zum Lift. Eine Nachzüglerin eilt gerade herein. Der Comic-Mouth rennt jetzt verloren herum. Ich, der ich verloren herumsitze, werde mich jetzt nach Hause aufmachen; Kunst hin oder her.

 

(25.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3058 Keine Sorge!

 

3:33 a.m.  Still ist es in meiner sinnlosen Nacht. Auch heute habe ich nichts Wirkliches weitergebracht; mich nur gegen meine letzte Stunde versündigt. Aber die wird sich rächen; keine Sorge! Ich bin viel zu müde, als dass mir das etwas ausmacht. Zu müde zum Bedauern. Gott sei Dank oder wem oder was auch immer. Ich höre meinen Puls im linken Ohr, dem ist das völlig wurscht. Eigentlich höre ich ihn außerhalb meines leiblichen Körpers (oder außerhalb meines körperlichen Leibes – was klingt besser und gibt den Sachverhalt präziser wieder?) (ich hatte „wiedergeben“ ohne „e“ geschrieben; wie Widerstand) (also dem Sachverhalt kontra geben?) (Nein: wiedergeben – ich bleibe dabei!) (Auch Sprachspiele sollten der Wahrheitsfindung und dem Erhellen dienen, und nicht dem Verwischen!) Jetzt lache ich. Ich werde gut schlafen.

 

(25.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 23. Januar 2023

3057 Die Schuberts

 

2:20 a.m.  Heute hat meine Winterreise unten im Wohnzimmer begonnen, dann habe ich sie in meinem Zimmer am Schreibtisch vorm Laptop und mit Franz Schubert und Kopfhörer fortgesetzt – „fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ (Wilhelm Müller) – oh! Wie mich Schmerz und Sehnsucht gepackt haben! Dann habe ich mir das Ganze mit all seiner Todessehnsucht mittels Krimi (Tatort) und Olaf Schubert – die Vorsehung zeigt Humor – abgeschüttelt, den Schmerz vergessen, die Sehnsucht verpuffen lassen und die Schwermut versickern. Noch einmal seufze ich durch, gleich werde ich aufs Klo gehen, dann bin ich bereit für meine Einschlafphantasien. Bin neugierig, was mir heute einfallen wird.

 

(23.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 22. Januar 2023

3056 Die Spinnweben zittern

 

Mein Herz klopft. Meine Atmung stockt ein wenig und meine Nase scheint leicht verstopft. Ich hole tief Atem und beruhige mich. Meine linke Hand hält mein Notizbuch. In vollem Bewußtsein und mit voller Absicht öffne und lockere ich die chronisch verkrampfte Hand. Dann schüttle ich den ganzen Arm, weil die Lockerung nicht bis hinauf wandern will. Das Surren in meinen Ohren bearbeitet auch meine Nasenwurzel, und zwar von außen, außen herum. Über den Lichtschacht drängt von der Stadt draußen – zumindest hört es sich so an – das Dröhnen wie von einem fernen Bombergeschwader heran. Meine – im Übrigen recht starke – Rationalität sagt mir, es könnte ganz einfach die Lüftung oder Klimaanlage im Lichtschacht sein, die so bedrohlich dröhnt. Der Schnee tropft als Wasser aufs Fensterblech und herinnen zittern die Spinnweben.

 

(22.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3055 Die Taschenlampe

 

Meine Augen brennen etwas in der unteren Dämmerung. Der Wohnzimmerbaum am Fenster steht schon im Aufgehellten, aber bleibt selbst noch dunkel. Das Licht meiner Taschenlampe erhellt ihn kaum, färbt aber das Holz seiner Zweige rötlich. Es ist ein alte, flache Taschenlampe, keine von den hightechnischen, ihr Licht ändert die Intensität je nachdem, wo die dicke Flachbatterie hinrutscht. An der nackten weißen Wand ergibt der Lichtstrahl einen schwachen, äußerst unregelmäßigen, aber gerade noch geschlossenen Lichtkreis mit einem schwarzen – na, sagen wir: grauen Loch in der Mitte. Das Zentrum des Universums wird das nicht sein. Die rötliche Farbe der Ästlein des trinitarischen Wohnzimmerbaums lösen eine Wehmut aus, vermutlich wegen einer alten Erinnerung, die dranhängt, aber nicht aufplatzt, sodass ich nicht weiß, welche es ist und was da eigentlich abstrahlt. Und ich weiß nicht: kommt die Wehmut wegen eines tief unten erinnerten, verlorenen Glücks oder wegen eines tief unten erinnerten erlittenen Schmerzes.

 

(22.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 20. Januar 2023

3054 Bamstige Lippen

 

Bamstige Lippen von der Zahnärztinspritze, saumüde, da schon sehr früh aufgestanden, kippe ich jetzt vom Bett aus beinah wieder in den Schlaf an diesem grauen Vormittag. Ich vermeide das Internet und habe zu lesen versucht. Aber weit komme ich nicht: weder mit dem Lesen noch mit dem Schreiben. Alte Musik diffundiert von unten in der Küche zu mir herauf und begleitet undeutlich und verhalten meine Müdigkeit. Mein Energiekörper scheint zu zerbröseln, Wellen laufen durch meinen psychophysischen Leib. Es ist besser, ich lege mich flach hin. Ein Festnetztelephon läutet ein Mal im Transzendenten. Dafür hätte es sich nicht gelohnt, sich aufzurichten.

 

(19.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 18. Januar 2023

3053 Bussi-Tour 13A

 

Die Infoscreens im Bus stören unglaublich die meditative Wachsamkeit, die eine solche Bussi-Tour bräuchte, indem sie mit ihrem Geflimmer und Gezappel ständig die Aufmerksamkeit an sich ziehen. Nur nicht aus dem gesellschaftlich-industriell-spätkapitalistisch-neoliberalistisch gewünschten inneren Monolog herausfallen! Nur keine Lücke in der Berieselung zulassen! Ich könnte zum Paranoiker und Verschwörungstheoretiker werden. Werde ich aber nicht.

Die Deckenbeleuchtung im Bus suggeriert zumindest mir müden alten weißen Mann einen offenen Himmel – was mir gefällt.

Der 13A springt geradezu wie der Frühling durch den achten Bezirk!

Der Bus rast am Standort meiner Arbeitsschwierigkeitengruppe (Diplomarbeit, damals) und an einem ehemaligen Arbeitsplatz (Makrokosmos; lang, lang ist’s her) vorbei. Am unseligen Bierwirt. An einem Ex-Herz-Schmerz-Platz. An einem meiner unzähligen Wohnplätze (WG) – hier fährt der Bus schon langsamer – durch meine Lieblingsgasse und Ex-Heimat, in der ich gewohnt, gelebt, gelitten habe und aufgeblüht bin. An meinem früheren Stammlokal – die legendäre Bluebox (Mann mit Hut; Maler Krönchen) – fast vierzig Jahre her! - noch so eine Geschichte und nahe an einer ganz wilden Geschichte (ich meine natürlich den Schauplatz) – wow! - von damals (gleich zwei Durchgänge), nahe an noch einer ehemaligen Wohnstatt (bei der Rückfahrt dann direkt mit Blickkontakt) – auch wild, und tragisch; an der Rosa-Lila-Villa; dann drüben im Fünften nahe am ehemaligen Priesch’schen Atelier, ein ganz wichtiger Ort damals für mich (Beginn meiner Künstlerkarriere). Die 13A-Linie war wohl für Jahre meine Lebensader.

Irgendwo war eine Brezel auf Draht zu sehen – wahrscheinlich schon früher.

Dann wird die Fahrt erinnerungsmäßig schwächer, dort war ich nicht oft.

Bei der Rückfahrt: die Wellen sind gekommen und erstarrt.

Und  - wie schon gesagt – in Wehmut direkt an einer alten Wohnstatt mit weitem Ausblick vorbei.

(BUSSI AUS WIEN - Forschungsreisen mir den städtischen Bussen. Projektreihe von Nora Mayr und Julischka Stengele. Begleitheft 13A: Busfahren mit Philipp Muerling)

 

(17.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3052 Brei

 

Schöne Musik aus dem Küchenradio, der Wasserkocher rauscht und die Katze bei mir im Bett schnurrt verhalten. Dann eine Sopranistin – etwas überkandidelt und hoch. Aber heute stört mich das alles nicht und meine Nerven fühlen sich nicht angegriffen. Mein Kopf fällt nach vorne und will mich einrollen oder zur Erde fallen. Jetzt kommen nur mehr reine Küchengeräusche aus der Küche: wie angenehm still. Die Katze läuft nun die Stiegen hinauf – ich höre ihr Trippeln – dann ruft sie laut und wie in Schmerz und Not. Ich schlafe im Sitzen ein. Die Kaffeemaschine gurgelt zum Steinerweichen; es knackt im Fußboden, ohne dass jemand darüber geht. Da fällt mir ein: ich habe das Projekt, meine Texte in wasserdichten Behältern in Höhlen zu deponieren, komplett vergessen. Meine Vergesserei wird immer stärker und häufiger. Dabei hatte ich mit dem Höhlendepot schon angefangen, oder habe ich das nur geträumt? Und der Feldmann auf Sylt? Er ist schon eine Krätzn, aber sie behandelt ihn auch schlecht. Jetzt kommt das Frühstücksbreichen.

 

(17.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 15. Januar 2023

3051 Nerven

 

Grün und weiß sind die dominierenden Farben im Wohnzimmer von der Schlafkoje aus gesehen. Befremdliche Musik kommt aus dem Radio in der Küche. Die Wimpern meines linken Auges bleiben ständig am Glas der Lesebrille picken. Ich wische beide Augen aus und streiche auch die Augenbrauen glatt, aber etwas stimmt nicht. Die Kaffeemaschine zischt höchst erregt. Jetzt redet einer nervtötend aus dem Radio, weil so laut, dass meine Aufmerksamkeit ständig und unweigerlich angezogen wird und das Gerede nicht ignorieren kann, aber so weit weg und so verzerrt, dass ich nichts verstehen kann. Das ist sehr frustrierend.

Ich versuche, mich vom Akustischen weg auf des Optische zu konzentrieren, aber keine Chance: mein Geist bleibt gefangen und ich sitze wie auf Nadeln. Ich probiere – wie ein Yogi – in diese Radio- und Küchengeräusche hineinzugehen wie in einen Schmerz, geduldig, und die ganze Szenerie zu akzeptieren, wie sie ist; liebevoll in meinen Frust hineinzufühlen, aber es gelingt nicht. Es ist als würde jemand meine Nerven schmirgeln.

 

(15.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 14. Januar 2023

3050 Haun

 

Ungewöhnlicherweise sitze ich zum Schreiben tatsächlich am Schreibtisch. Die Red Hot Chili Peppers im Kopfhörer starre ich auf meinen Tischkalender. „14h Haun“ steht für Montag da: das ist kein Schlägerei-, sondern mein Therapietermin. Und „D.:B.B.“ für Donnerstag hat nichts mit Brigitte Bardot zu tun, sondern ist der Operationstermin meiner Frau bei den Barmherzigen Brüdern. Dahinter das spinnwebenbehängte Fenster in den Lichtschacht mit Einblick in den gegenüberliegenden Flur. Mein Kopf spiegelt sich wegen der gegebenen Lichtverhältnisse undeutlich im Fensterglas in Gemeinschaft mit einigen Ingredienzien vom Schreibtisch und aus der Räumlichkeit dahinter. Von Zeit zu Zeit nehme ich einen kleinen Schluck kalten Kaffee und horche von Zeit zu Zeit wieder konzentriert auf die Musik. Ich hebe die Augen und nehme den schwarzen Holzraben mit seinem fälschlicherweise gelben Schnabel in den Blick, der jedoch beiläufig und uninteressiert bleibt. Ich singe bei der Schlußsequenz von Bag of Grins mit versagender, daneben geratender Stimme mit, erlebe aber dabei trotzdem ein paar gelungene Passagen meiner Singerei und ein paar zerbrechliche Glücksmomente. Tränen steigen mir in die Augen, aber brechen nicht aus. Nie und nimmer. Ich liebe mein Zimmer: mit all seinen Spuren des Lebens, der Abnützung, den schrundigen Wänden, meinen angetackerten Glücksversuchen, dem Staub, den vergessenen Heilungsversuchen und ihre Überbleibsel, den Zeichnungen meiner liebenden Kinder, mit der von meinem Platz aus gesehen andächtig aufragenden Bücherwand, dem Papier- und Kabelchaos am Schreibtisch, dem kleinen, aber aktuellen CD-Stapel daneben, dem ganzen unaufgearbeiteten Kram, und – ich betone es nochmals – mit den schönen, zarten und graphisch so ansprechenden Spinngewebe. Bei In the Snow versuche ich wieder mitzusingen respektive mitzulallen (lalala).

 

(13.1.2023) 

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3049 Licht aus

 

1:30 a.m.  Müde bin ich nicht, nur ein bisschen erschöpft, aber ich werde probieren zu schlafen. Eine Aufregung beschäftigt mich schon drei Nächte lang und wenn ich mich jetzt nicht entspannen kann, wird das die vierte beinahe schlaflose Nacht. Was tun? Nichts. Ich lasse es drauf ankommen. Mein Körper wird schon wissen, wann er Schlaf braucht. Oder spielt ihm das sehnsüchtige Herz mit seinen Wünschen einen Streich? Oder der rastlose Kopf mit seinen Gedanken? Ich lasse die Augen über die Wände gleiten, seufze, gähne und jetzt lege ich mich hin.

3:09 a.m.  Nichts ist mit schlafen. Ich kann mich nicht beruhigen. Ich will auch nicht klein beigeben. So starre ich lustlos in mein Zimmer. Die Katze stört mich andauernd.

3:33 a.m.  So hocke ich wach im Bett und weiß mit mir nichts anzufangen. Von soetwas wie innerer Stille bin ich meilenweit entfernt. Von Handlungsfähigkeit auch. Das Leselampenlicht kommt mir nun ein wenig blaustichig vor; wär mir bis jetzt nicht aufgefallen. Ich gebe mir den Befehl: Licht aus!

 

(13.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Donnerstag, 12. Januar 2023

3048 Schönen Tag noch

 

Mimimimimi mamamamama. „Hallo!“ war die Begrüßung, mit der ich beim Betreten des Lokals begrüßt wurde. Ich muß lachen – nach innen, allzuviel davon wird sich nicht auf meinem Gesicht zeigen – weil ich hier letztens kritisiert wurde, dass ich den Kellner bei einer Nachbestellung mit „Hallo!“ gerufen habe. Ich finde „Hallo!“ auch unsicher bis ein wenig feige, aber „Herr Ober!“? „Frau Oberin!“? „Fräulein!“ geht gar nicht und klingt schrecklich. „Mademoiselle“ klingt besser, ist inhaltlich jedoch genauso abartig. „Seňior!“? „Hey, Seňiorita!“ geht gar nicht. Aber war soll’s?! Der Hal(l)o-Effekt? „Madame!“? Ich probiere „Madame!“ - nehme ich mir für die Nachbestellung vor.

Mein Sozialstress bewirkt, dass ich erst jetzt allmählich das Lokal und seinen Schmuck wahrnehmen kann. Ich habe mir „Madame!“ doch nicht getraut, sondern gewartet, bis mich die Kellnerin via Augenkontakt registriert hat, dann habe ich sie erst angesprochen. Ich bin wohl überall fremd. Darum kann ich so wenig souverän handeln und meist nur mit Sehnsucht auf die Welt blicken. Die tieferen Klangbereiche der lokalen Begleitmusik, die nimmt meine Seele auf. Das ist gut. Die Kaffees sind schon dabei mich auszuhebeln. Die Sonne erreicht die hintere Ecke des Lokals vom Osten her von außen durch das Fenster. Die junge Frau neben mir am Nebentisch  - ich hatte sie beim Eintreten gefragt, ob ich mich an den freien, aber an ihren herangerückten Tisch setzen darf - schreibt fleißiger als ich. Ich bin erstaunt, dass sie händisch notizbuchschreibt; ich hätte sie als moderne, ausschließliche Laptopschreiberin eingeschätzt. Das könnte von vorne nicht unwitzig ausschauen, wie da zwei nebeneinander wie in einer Schulbank sitzen und schreiben, innehalten, den Blick heben, dann wieder schreiben. Sie schreibt radierkompatibel, ich schmierkompatibel. Vor mir – dass ich das auch berichte – hinter der Budel die glänzende Gläserfront. Jetzt ist es die Stimme der Sängerin der Begleitmusik, die reingeht. Die Geschichte nebenan (andere Seite) beginnt meine Aufmerksamkeit einzufangen, aber ich höre zu schlecht um ihr wirklich folgen zu können und die Wiener Bobosprache und ihre Artikulation und ihr Sound sind mir viel zu wenig vertraut.

Zum ersten Male seit dem Eintreten heute schaue ich mich kurz, schüchtern und ein wenig bewußter um, registriere einige der Besucher schlampig – zu mehr reicht mein Selbstbewußtsein nicht. Nun kommt ein wenig Unruhe und Unbehagen auf; es beginnen die inneren „Gehn-wir-lieber“-Appelle. Ich vermute, dass diese Appelle immer auftauchen, knapp bevor es interessant wird. Darum werde ich dem ein wenig standhalten. Aber ich merke schon, lange werde ich das nicht  durchhalten und doch vor dem Leben? dem Abenteuer? der großen Infragestellung? der Apotheose? der Ernüchterung? dem Aufwachen? der Relativierung? der Entdeckung? dem Durchbruch? vor was auch immer flüchten.

Mein Gott! Bin ich deplatziert hier! Raus in die Sonne! Raus auf den einsamen sendero luminoso!

Jetzt habe ich wieder das Problem mit dem „zahlen!“ rufen. Und die Nachbarschreiberin hätte ich gerne angesprochen und gefragt, ob sie Schriftstellerin ist und wenn ja was sie schreibt und ihr meine Schubladenkarte gegeben. Es hat nur gereicht, dass ich beim Hinausgehen „Einen schönen Tag noch!“ gewünscht habe.

 

(12.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3047 Der erste und der zweite

 

2:08 a.m.  Ich hole in einem tiefen Atemzug tief Luft. Dann noch einmal. Der erste Atemzug war seufzend, der zweite schon befreiter. Die Gegenstände in meinem nicht voll ausgeleuchteten Zimmer gehen in den dunkleren Regionen neue Verbindungen ein; sie lösen sich als einzelne auf und bilden größere Konglomerate, die meine müde Aufmerksamkeit als eigene Einheiten wahr nehmen will. Meine Gedanken zucken nun hin und her, so wild, dass sich das abgeschwächt auf die Muskeln überträgt. Das Atmen beruhigt das Ganze wieder. Ich versuche, einen undeutlich geschriebenen Buchstaben auszubessern, aber er wird immer unleserlicher, da es mir nicht gelingt, die neuerliche Schriftkurve genau über der alten unterbrochenen aufzusetzen. Dennoch: alles ist gut. Ich freue mich schon auf meine Einschlafphantasien.

 

(11.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 10. Januar 2023

3046 Abgang

 

12:13.  Ein Haar – vermutlich von mir – tanzt mit dem Staub in der Luft. Die Tageskinder schauen unten Wimmelbücher an und ihre Kommentare, die auf dem Luftweg zu mir herauf wandern, bereichern mein Ohrensurren. Lange noch war ich in der Nacht wach gelegen und bin jetzt schon ein paar Stunden auf. Langsam kippe ich weg und sehe vor der inneren Schwärze ein Gesicht mit geschlossenen Augen, und während ich noch überlege, ob dies nicht mein Antlitz sein könnte, zeigt es mir die Zunge.

Jetzt sind die Kinder unten schlafen gegangen und es ist ganz still. Dem Surren, das ich nun deutlicher höre, hat sich streckenweise ein leichtes Knattern beigesellt; ebenso ein ständiges Zischen. Einer der Pfeiftöne wird richtig melodiös, ähnlich wie so manches Vogelgezwitscher. Immer wieder tauchen vor meinem inneren Auge die Brüste der Elli/ Inka Kallén aus dem letzten Film gestern Nacht auf. Wobei mir nicht klar ist: verfolgt mich das Bild oder bin ich es, der das Bild „verfolgt“? Vielleicht ist das das Selbe: das Bild und ich sind eine Beziehung eingegangen.

Gehört das alles eigentlich schon zur Altersdemenz? Nein, noch nicht, würde ich antworten, aber bald.

Mein Gott! Wie habe ich meinen Vater verachtet, weil er am Sterbebett die Brüste der rumänischen Vierundzwanzig-Stunden-Pflegerin sehen wollte (die arme Frau – eine ausgebildete Architektin – und dann wurden ihnen noch die Kinderbeihilfen reduziert – türkises Gesindel!) und weil ihm – meinem Vater - angesichts des Todes nicht mehr eingefallen ist und er nicht mehr zu bieten hatte. Und meine Mutter, die völlig dement die wildesten Sexgeschichten über meinen Vater – alle erfunden – also aus ihrer Phantasie – erzählt hatte, die sie alle selber beobachtet haben wollte. Und jetzt schaut’s so aus, als steuerte ich langsam aber sicher einem ebensolchen erbärmlichen Abgang zu! Ich werde wohl die Verachtung aufgeben müssen.

 

(10.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3045 Hohliness

 

2:56 a.m.  Kalt ist mir. Ich bin vorm Laptop beim Filmeschauen von innen erfroren. Ich zittere. Vereinzelte Regentropfen schlagen auf das Fensterblech. Meine alten Hände sind eiskalt. Eine Hohlheit, eine fragwürdige Hohliness zieht mächtig in mir als würde sie mich umstülpen wollen, mitsamt meiner Seele. Der Anfall klingt wieder ab und ich bin wieder beim Zittern. Mein Geist springt mit meinen Gedanken wild herum, kehrt jedoch immer wieder zum letzten Film des Abends zurück. Ich schlüpf jetzt unter die Deck’.

 

(10.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 9. Januar 2023

3044 Schwören

 

8:45 a.m.  Gut ausgeschlafen ziehen meine schwerfälligen Gedanken relativ leicht durch mein Gemüt. Heute spüre ich die Architektur meines Zimmers und den realen Abgrund vor meinem Fenster, aber gut geschützt hinter den Stapeln am Schreibtisch bin ich im Bett an der rückseitigen Wand. Meine Existenz wirft viele Frage auf, die mich jetzt nicht aushebeln. Meine linke Hand liegt auf dem Notizbuch, als müßte ich etwas schwören; aber das tue ich lieber nicht: ich bin mir meiner so gar nicht sicher. Bin ich in so einer Art Zwischenlager? Bis ein Endlager gefunden wird, dass meiner toxischen Radioaktivität standhält? Voller Genugtuung döse ich wieder weg, obwohl ich gar nichts getan habe. Ich werfe vom Bett aus noch ein paar Blicke aus dem Fenster, um den Abgrund da draußen zu fühlen. Vielleicht rücken dann meine psychophysischen Teilrepubliken stärker zusammen.

 

(9.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3043 In Frieden

 

2:16 a.m.  Traurig zieht mein ungelebtes Leben durch meine melancholisch heitere Seele. Ich beklage nichts und niemanden; ich bin mit allem in Frieden. Ich lächle über einen ganz, ganz leichten Schwindelanfall heute, eine unbedeutende Kreislaufschwäche, die sofort den Gedanken an das Sterben herbeigeholt hat. Ich blicke wieder in die mit Lichtkorpuskeln aufgeladene vertraute Düsternis hinter dem Lichtkegel meiner Leselampe. Ich seufze stockend wie nach einem kindlichen Weinkrampf, der bei mir jedoch unsichtbar und unhörbar gewesen sein muß. Ich atme seufzend tief, aber offensichtlich nicht tief genug. Nach zwei, drei weiteren Atemzügen wird sich der Widerstand gelegt haben. Ich habe es schön hier, jetzt. Mein Atem ist schon freier. Ich lächle in die reiche Leere um mich; die vielen Dinge hier im Zimmer machen mir Freude. Fast selig lege ich mich hin.

 

(9.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3042 Zelle

 

12:38  Das Bett ist noch ganz kalt, aber ich habe mich ergeben und von meiner Angst ab- und in meine Zelle führen lassen. Dort atme ich jetzt tief durch, schließe immer wieder meine Augen und lausche in das Stiegenhaus, wo Männerstimmen zu hören sind. Die klingen gleich so bedrohlich, aber hier fühle ich mich einigermaßen in Sicherheit.

So still! Ach! So still!

Ich erinnere mich.

 

(7.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 5. Januar 2023

3041 Schaut gut aus

 

Belvedere. Ich suche die ziemlich nackten fünf Sinne; drei von denen hängen nämlich als Magnetbildchen an den Lautsprechern meines Kassettenrecorders am Fußende meines Bettes und ich wollte mich an ihnen in ihrer wahren, vollen Pracht delektieren. Schöne Hintern und Brüste, aber ständig stehen mir irgendwelche Plermpeln im Blickfeld oder schreiten andächtig durch. Malerisch interessieren mich die handwerklich sicher großartigen Bilder nicht; ich will nur die realistisch pseudidealistischen nackten Weiber sehen. Ich selbst lauf als Karikatur meiner selbst herum: in bunter, billiger chinesischer Hausjacke, die langen dünnen Haare offen, meinen lächerlichen Schmuck angelegt, mit einer mit einem künstlerischem Button veredelten, aber an sich schirchen braunen Baskenmütze am Kopf, die schlichte Gemüter als „künstlerisch“ und künstleraffin decodieren und der bajuwarische Affenarsch zur „Unterwerfungsmütze“ erklärt hat. In den Ohren meinen lieben John Frusciante – vor allem – sitze ich als Karikatur meiner selbst da und schreibe und schreibe. Und weil ich nicht blind schreiben kann, sondern meine Augen aufs Papier und meine Schreiberei gerichtet haben muß, komme ich gar nicht recht dazu, die Nackten anzuschauen. Und die Passantinnen.

Alles Passt, alles fügt sich: die Situation ist so grotesk wie es sich bei mir gehört, dass ich mich amüsiere (hauptsächlich über mich selbst). Ich hatte vor, hier stundenlang zu sitzen und zu gaffen, aber das werde ich nicht aushalten. Der fünfte auf die Bilder geworfene Blick wird mir schon etwas fad und ich fange an den Gestalten herumzukritteln an: das eine Gesicht etwas blöde, das andere auch nicht viel besser, der eine Hintern nicht so toll … obwohl … naja … ich tät ihn schon … Die Körperhaltungen manieriert (ich verabscheue dieses sexuell aufgeladene 19. Jahrhundert), die Allegorien dekadent … Stundenlang wollte ich die Bilder anschauen! Gut, ich hatte dabei einen ruhigen, leeren Saal in meiner Vorstellung, keinen vollgerammelten, lauten. Ich drehe meine Musik lauter auf. Ich habe nicht vor, irgendein anderes Bild anzustarren, nein, ich möchte mich an diesen fünf Sinninnen abarbeiten. Diese Unruhe hier im Saale! Ich will noch etwas durchhalten hier, aber ohne Rückenlehne wird das schwierig; ich sitze zusammengekrümmt wie der homo incurvatus in se ipsum und mein Handy läutet irgendeinen Keileranruf. Langsam beginnt meine Aufmerksamkeit nicht nur die nackten Gestalten, sondern auch ihre Malerei wahrzunehmen. Meine Baskenmütze ist hier in dem geheizten Saale wahrlich eine Bürde; eine Bürde aus sich selbst zerstörende Angeberei. Dieser saublöde Putto! Nieder mit der depperten Antike, die uns die eingebrockt hat! Gilt auch, wenn der ein Kleinkind darstellen soll. Ich lebe gern im Heute, aber nicht im Hier und Jetzt. Die Leute im Saale sind alle zu warm und dick angezogen, aber wenn es geht, vergleiche ich die Hintern der Besucherinnen mit denen der gemalten Sinne – durch das Gewand hindurch, wenn es geht. Zu faktenbasierten und glaubwürdigen Erkenntnissen komme ich nicht. Ich versuche, aus den Brust-Bildern etwas herauszubekommen (wie verräterisch! Der Lektor). Ich stelle eine gewisse Ratlosigkeit im Saale fest. Die Gitarren jaulen und schweißen mir die Ohren voll und mich up to date. Eine Besucherin scheint schönere Wölbungen zu haben als die auf den Bildern, aber vom Typus her möchte ich nichts mit ihr zu tun haben (abgesehen von Alter, Freund und so). Wegen „Gewölbe“ blicke ich heute zum ersten Mal auf den Plafond, an dem sich scheinbar der Himmel geöffnet hat (es hat sich halt eröffnet, das hi-immlische Tor, die Puttalan die kugalen ganz haufenweis hervor, die Madalan, die Buabalan, die mochn Purzigagalan, boid auffi, boid owi (lacht), boid hin und boid her, boid übaschi, boid untaschi, des gfreit sie umso mehr) (himmlische Orgie) – jetzt sind wir wieder dort, wo wir eigentlich nicht sein wollen: ich bin gar nicht so geil wie ich tue. Überhaupt nicht. Jetzt ist der Blick ziemlich frei, aber ich bin des Ganzen schon überdrüssig; im Sinnlichen liegt keine Erlösung, da müßte ich über die fünf Sinne hinausgehen.

Wie geht es eigentlich einer Frau, wenn sie hereinkommt und männliche Bilder nackter Weiber an der Wand hängen? Mal abgesehen von irgendwelchen Gaffern. Die da an der Wand durften eh noch Weiber sein – körperlich gesehen – ohne Abnehmhysterie und Schönheitsoperationen, oder ? Oder? Oder?

Wie lange sitze ich schon hier? Eine Stunde wenigstens sollte ich durchhalten. Ich weiß nicht, zu welcher Uhrzeit ich hergekommen bin. Mir ist schon fad und die ganzen Nackerten interessieren mich jetzt nicht mehr so recht. Ich zwinkere lächelnd einem kleinen Mädchen zu, das mich die ganze Zeit angestarrt hat. Das war auf meiner Tour der schönste, gelungenste, lebendigste und keuscheste Moment.

Ich versuche, wieder zu den Bildern zurückzukehren, aber ich glaube, ich sollte doch eher gehen, bevor die Karmapolice kommt.

Kurz schaue ich noch bei Kokoschka, Kolig & Co vorbei, dann fahre ich nach Hause. Ich habe noch viel zu tun und viel vor (Nicht-Tun).

 

(5.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3040 Also gut

 

11:28 a.m.  Ich kämpfe gegen den Regen. Genauer gesagt: ich ringe in meinen Gedanken damit, trotz des Regens meinen Vorsatz, heute ins Belvedere zu gehen, nicht wie gestern fallen zu lassen, sondern auszuführen und nicht gemütlich zu Hause zu bleiben. Mich zum Hinausgehen zu überreden ist sowieso schon fast immer ein Kampf, auch ohne Regen und ohne mich rasieren, meine Zöpfe entflechten, mich duschen und die Kleider wechseln zu müssen. Was für ein unüberwindlicher Berg da in meiner Vorstellung! Und den nur überwinden, um dann draußen jederzeit wegen Identitätslosigkeit derklatscht werden zu können. Ich laufe ja ohne Auftrag herum und kann jederzeit auffliegen!

Also gut: ich steh auf.

 

(5.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3039 Jucken

 

7:25 a.m.  Jetzt ist es die Nase, die sich selbständig machen zu wollen scheint: ich spüre, wie sie sich unabhängig vom Kopf nach links drängt; ich spüre den Druck physisch, als wäre eine analoge Schädeltektonik am Werk. Und nun, nach dem Ausbruchsversuch juckt sie herausfordernd, aber ich weigere mich. Das Jucken dehnt sich jetzt bis über die Augenbrauen hinauf. Kommt wieder Wind auf? Ist die Katze schon von der Fütterung zurück? Oder steckt der Kommandeur dahinter? Hat er den Tatort leerräumen lassen? Ahja! Noch etwas: am Tatort wurden antike Schmuckstücke im Erdreich gefunden. Schon damals vor Jahrhunderten begraben.

 

(5.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3038 Nicht leicht

 

3:20 a.m.  Draußen heult der Wind, während ich mich herinnen vollgelesen habe. Vor meiner Zimmertür raunzt die Katze und lenkt mich ab; ich zögere, die Tür zu öffnen. Heute tanzen die Staubteilchen regelrecht. Mein stumpfer Blick auf das Bücherregal entgleist. Diese optische Entfremdung scheint davon verstärkt zu werden, dass ich durch den Lichtkegel der Leselampe hindurchschaue. Mein Kopf zeigt Allüren zur Selbständigkeit und für einen Moment glaube ich, er rolle davon. Die Katze mit ihrem Geschnaufe vor der geschlossenen Türe zieht meine Aufmerksamkeit hinüber. Jetzt geht sie jedoch die Stiege hinunter. Wieder presse ich die Zähne zu stark aufeinander. Es fällt mir nicht so leicht, die Katze zu enttäuschen – schließlich bleibt ihr nichts anderes übrig, als von mir abhängig zu sein. Ich sollte mich nun richtig schlafen legen.

 

(5.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3037 Bettdecke

 

6:49 a.m.  Nachdem ich die Bettdecke auf- und wieder zugeschlagen habe, herrscht unter den Staubflankerln Massenhysterie, die sich erst langsam legt. Der Anblick meines Kleiderablagesessels ist mir um diese Zeit und in diesem Zustand unangenehm: so schlampig habe ich in der Nacht mein Gewand hingeschleudert. Das rote Einlegeband meines Notizbuches macht sich selbständig und stürzt sich den Papierabhang der aufgeschlagenen Seite hinunter, aber ich lege es wieder nach oben zurück und stopfe es hinter das Buch. Vor Unausgeschlafenheit kann ich nicht denken, was jetzt kein Nachteil ist. Ich lasse die Augen zufallen und grinse körperlos ins Schwarze und nach innen. Die herangezogenen Beine, auf deren Oberschenkel das Notizbuch liegt, drohen wegzurutschen. Schwach rote, blaue und gelbe Flecken gleiten stumpf durch meine augenverschlossene Schwärze. In meinen Ohren schreit mich die Stille an und lenken kleine Geräusche meine Aufmerksamkeit auf sich. Meine Zähne pressen aufeinander als gäbe es kein morgen, aber noch ohne zu knirschen. An meinem Zimmer kann es nicht liegen, dass Krieg herrscht. Oder?

 

(4.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 3. Januar 2023

3036 Zumutung

 

15:09.  Ich weiß nicht: ist es die Realität, die sich auflöst oder bin ich es; aber das Geäst des Weihnachtsbaumes, den ich müde, wie in Trance und in mich gefallen anstarre, verändert ständig seine Form und die Zweige ihre jeweilige Gestalt. Dieser Zustand ist so faszinierend und selbstverständlich: so ist mein Leben. Alles andere ist eine Zumutung, der ich nicht gewachsen bin.

 

(3.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3035 Zweieridylle

 

2:53 a.m.  Bin ich jetzt mit Existenzialismus vollgeladen? Ehrlich gesagt: er hat begonnen mich anzuekeln. Trotzdem werde ich noch ein Buch - eines! - von Romain Gary lesen. Nur eines, um sicher zu sein. Ich lagere im Bett und rechts neben mir atmet noch jemand, ein unsichtbares Wesen. Schon irgendwie synchron mit meinen Atemzügen, aber doch anders. Das Geräusch kommt von rechts an mein rechtes Ohr. Also der Tod ist es nicht: der käme von links und atmet nicht (nehme ich an). Existenzialistisch und zynisch angehaucht blicke ich auf meine rundum aufgehängten Kunstkarten und lächle über die vielen nackten Weiber darunter, ohne sie wirklich gesehen zu haben. Jetzt habe ich es verstanden: wenn ich ausatme, atmet der rechts neben mir ein. Ich drehe den Kopf nicht hin: hier genügt mir mein Ohr. Ein tiefer Seufzer könnte unsere Zweieridylle zerstört haben. Nein, er atmet nur schwächer. Ich vermute, es ist ein männliches Wesen da rechts; seine Atemzüge lassen es vermuten. Ist er jetzt verschwunden? Ich kann nicht entscheiden, ob ich ihn noch ganz schwach höre oder ob ich es mir nur einbilde. Aber ich sehe jetzt klarer. Deshalb wähle ich mir – von den Kunstkarten angeregt - meinen nächsten Museumsbesuch aus. Zurück zur Einheit von Raum und Zeit und wenn es geht auch von meiner Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. Das genügt für heute.

 

(3.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 2. Januar 2023

3034 Ein paar gelungene Orgien

 

Den ersten Tag des neuen Jahres hätten wir heruntergebogen; und die erste ganze Nacht auch. Und das zweite Frühstück des Jahres. Wir biegen also die Tage herunter und erschlagen sie, als strebten wir auf ein großes Ziel zu, auf den Großen Auftritt, darauf, dass wir endlich unser Lebenswerk vollbringen. Dabei ist es nur der Große Abtritt, auf den wir bemüht und eilends zusteuern, sonst nichts. Irgendeine Lüftung oder Klimaanlage heult aus dem Lichtschacht herauf; die Dämmerung hier in meiner Kemenate weiß nicht, ob sie zum Morgen oder zum Abend gehört. Wenn das äußere Rauschen pausiert, springt das innere Surren ein. „Springen“ eigentlich nicht: der Übergang geht viel dezenter und unaufgeregter vor sich. Ein paar gelungene Orgien vor meinem Tod, das wär’s! Ich werde jetzt genauso primitiv wie meine Altvorderen! Nun ja, hoffnungslos kindischer Ersatz für das verfehlte Große Ziel. Mein Gott! Ist das lächerlich! Und noch dazu von einer alten Schastrommel wie mich und toxischem Zauderer. Ich lächle wirklich. Zurück zur Götter-Dämmerung und ihrem Geheule: Dieses Zimmer wirkt eindeutig beruhigend und ernüchternd auf mich. Zumindest jetzt und in gewisser Weise. Aber schon kippe ich wieder weg in Kriegsszenen. Es ist die Katze, die auf meine Brust springt und mich nun vom Krieg abzieht und ablenkt. Später dann habe ich ein Handtuch von der Wäscheleine genommen und in das Badezimmer gehängt.

 

(2.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 1. Januar 2023

3033 Kein Personalausweis

 

Meine Frau bittet mich, aus dem Postkastl die Sonntagszeitung holen zu gehen. Sie hatte schon probiert, die Zeitung aus dem Postfach herauszufischen, aber sie hat sie nicht richtig erwischt und nicht herausbekommen. Dazu ist zu sagen, dass nur ich einen Postkastlschlüssel habe und dass ich den nicht aus der Hand gebe, denn meine Frau hat noch jeden Postkastlschlüssel verloren, so wie auch den Zweitschlüssel zu dem, der jetzt der meinige ist. Also gut – denke ich mir. Ich schlüpfe aus meinen Wohnungsschlapfen in die Stiegenhausclogs, die eine ordentliche Sohle haben. Wie ich vor die Wohnungstür trete, sehe ich: meine liebe Frau hat dort einen Restmüllsack und einen Biomüllsack deponiert. Ich mag das gar nicht, wenn sie dort Müll deponiert und stehen läßt – ich empfinde das als Zumutung für die anderen Bewohner des Hauses. Also gut – denke ich – ich trage den Restmüll in den Hof. Und den Biomüll? Für den müßte ich auf die Straße zum nächsten, zu Fuß höchstens fünf Minuten entfernten Biomüllcontainer gehen. Ich zögere, denn ich bin in Hauskleidung und will nicht mehr rauf in mein Zimmer um mich umzukleiden. Hauskleidung heißt: Rumrutschhose (sehr weitgeschnitten), löchrige Wollsocken, diese Clogs eben, Hausjacke und keine Winterjacke. Außerdem habe ich mir für den kurzen Gang in den Hof nur die Schlüssel eingesteckt und sonst nichts. Wurscht! - denke ich - ich nehme auch den Biomüll, den kurzen Weg schaffe ich auch ohne Outdoorkleidung.

Während ich – nachdem ich den Restmüll in den entsprechenden Container im Hof geworfen habe – auf der Straße Richtung Biomüllcontainer gegangen bin, habe ich eine ganz typische Phantasie. Wegen dieser ganz, ganz typischen Phantasie erzähle ich das überhaupt, denn sie kommt jedesmal, wenn ich in Hauskleidung und das heißt auch ohne Personalausweis und Handy auf die Straße gehe. Die Phantasie geht so:

Eine Polizeistreife kommt und verlangt meinen Ausweis. Ich habe keinen mit und bin verdächtig und deswegen werde ich aufs Revier zur Identitätsfeststellung mitgenommen. Dort machen sich ein paar subalterne Polizisten – die sofort gerochen haben, dass ich auf Opfer programmiert bin – eine Hetz und beginnen, mich niederzumachen, dann zu verprügeln und ich „falle die Stiegen hinunter“. Ich bin schwer verletzt und niemand glaubt mir meine Vision, sondern die der lügenden Polizisten, dass ich randaliert und die armen Beamten attackiert hätte. Je nach Stärke der aktuellen Depression lasse ich die Geschichte mit Koma und meinem Tod enden, oder doch mit meiner einer nach langen Kämpfen erfolgreichen Rehabilitation. In diesem Fall zeige ich jeden Plermpel an, der mich als Kriminellen anspricht, weil der die gelogene Polizeiversion in Kronen Zeitung, Heute oder Österreich gelesen und geglaubt hat, und lasse keine Mediation zu und verlange die volle Strafe für das Arschloch.

Ich betone es nochmals: das ist die verschärfte Version meiner Angst, die ich sowieso immer habe, wenn ich auf die Straße gehe. Natürlich weiß ich mit meinem Verstand, wie weit hergeholt diese Geschichte ist – obwohl es doch immer wieder solche Fälle gibt – aber meine Seele fürchtet sich j-e-d-e-s Mal! Kein Wunder, dass ich mein Zimmer nur ungern verlasse und nach jedem Ausflug in die Welt erschöpft bin und Zeit für Rekonvaleszenz brauche. Wobei – so vermute ich – „kein Personalausweis“ für „keine Identität“ und damit auch für keine Zugehörigkeit und keinen Schutz steht. Also für das Lebensgefühl, dass meine Existenz von vornherein illegal ist. Und wenn es hart auf hart ginge, würde mir auch der Personalausweis nicht wirklich helfen.

 

(1.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3032 Und heute?

 

Und heute? Was wird mir das Glück heute schicken? Ein paar Ideen hätte ich schon, aber ich will doch dem Glück nicht reinpfuschen; so aufdringlich bin ich nicht.

Ich blicke auf den tischbetuchten Wohnzimmertisch mit den schönen riesigen roten Blumen im Blechkrug, der früher in der Denglergasse mein Wasserkrug war, mit dem ich damals das Wasser von der Bassena in die Wohnung getragen und den ich mit in die Ehe gebracht habe. Dahinter unser trinitarischer Wohnzimmerbaum mit einer bescheidenen Lichterkette und einem vergessenen Sankt-Matin-Lampion.

Aha! Die erste Gabe ist das Frühstück, das mir meine liebe Frau mit dreimaligem Niesen ins Bett serviert (sie will es so! Ich meine das Servieren). Da muß ich jetzt wohl vom Schreiben zum Essen umsteigen.

 

(29.12.2022)

©Peter Alois Rumpf  Dezember 2022   peteraloisrumpf@gmail.com