3048 Schönen Tag noch
Mimimimimi mamamamama. „Hallo!“ war die Begrüßung, mit der
ich beim Betreten des Lokals begrüßt wurde. Ich muß lachen – nach innen,
allzuviel davon wird sich nicht auf meinem Gesicht zeigen – weil ich hier
letztens kritisiert wurde, dass ich den Kellner bei einer Nachbestellung mit
„Hallo!“ gerufen habe. Ich finde „Hallo!“ auch unsicher bis ein wenig feige,
aber „Herr Ober!“? „Frau Oberin!“? „Fräulein!“ geht gar nicht und klingt
schrecklich. „Mademoiselle“ klingt besser, ist inhaltlich jedoch genauso
abartig. „Seňior!“? „Hey, Seňiorita!“ geht gar nicht. Aber war soll’s?! Der
Hal(l)o-Effekt? „Madame!“? Ich probiere „Madame!“ - nehme ich mir für die
Nachbestellung vor.
Mein Sozialstress bewirkt, dass ich erst jetzt allmählich
das Lokal und seinen Schmuck wahrnehmen kann. Ich habe mir „Madame!“ doch nicht
getraut, sondern gewartet, bis mich die Kellnerin via Augenkontakt registriert
hat, dann habe ich sie erst angesprochen. Ich bin wohl überall fremd. Darum
kann ich so wenig souverän handeln und meist nur mit Sehnsucht auf die Welt
blicken. Die tieferen Klangbereiche der lokalen Begleitmusik, die nimmt meine
Seele auf. Das ist gut. Die Kaffees sind schon dabei mich auszuhebeln. Die
Sonne erreicht die hintere Ecke des Lokals vom Osten her von außen durch das
Fenster. Die junge Frau neben mir am Nebentisch
- ich hatte sie beim Eintreten gefragt, ob ich mich an den freien, aber
an ihren herangerückten Tisch setzen darf - schreibt fleißiger als ich. Ich bin
erstaunt, dass sie händisch notizbuchschreibt; ich hätte sie als moderne,
ausschließliche Laptopschreiberin eingeschätzt. Das könnte von vorne nicht
unwitzig ausschauen, wie da zwei nebeneinander wie in einer Schulbank sitzen
und schreiben, innehalten, den Blick heben, dann wieder schreiben. Sie schreibt
radierkompatibel, ich schmierkompatibel. Vor mir – dass ich das auch berichte –
hinter der Budel die glänzende Gläserfront. Jetzt ist es die Stimme der
Sängerin der Begleitmusik, die reingeht. Die Geschichte nebenan (andere Seite)
beginnt meine Aufmerksamkeit einzufangen, aber ich höre zu schlecht um ihr
wirklich folgen zu können und die Wiener Bobosprache und ihre Artikulation und
ihr Sound sind mir viel zu wenig vertraut.
Zum ersten Male seit dem Eintreten heute schaue ich mich
kurz, schüchtern und ein wenig bewußter um, registriere einige der Besucher
schlampig – zu mehr reicht mein Selbstbewußtsein nicht. Nun kommt ein wenig
Unruhe und Unbehagen auf; es beginnen die inneren „Gehn-wir-lieber“-Appelle.
Ich vermute, dass diese Appelle immer auftauchen, knapp bevor es interessant
wird. Darum werde ich dem ein wenig standhalten. Aber ich merke schon, lange
werde ich das nicht durchhalten und doch
vor dem Leben? dem Abenteuer? der großen Infragestellung? der Apotheose? der
Ernüchterung? dem Aufwachen? der Relativierung? der Entdeckung? dem Durchbruch?
vor was auch immer flüchten.
Mein Gott! Bin ich deplatziert hier! Raus in die Sonne! Raus
auf den einsamen sendero luminoso!
Jetzt habe ich wieder das Problem mit dem „zahlen!“ rufen.
Und die Nachbarschreiberin hätte ich gerne angesprochen und gefragt, ob sie
Schriftstellerin ist und wenn ja was sie schreibt und ihr meine Schubladenkarte
gegeben. Es hat nur gereicht, dass ich beim Hinausgehen „Einen schönen Tag
noch!“ gewünscht habe.
(12.1.2023)
©Peter Alois
Rumpf Jänner 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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