Donnerstag, 12. Januar 2023

3048 Schönen Tag noch

 

Mimimimimi mamamamama. „Hallo!“ war die Begrüßung, mit der ich beim Betreten des Lokals begrüßt wurde. Ich muß lachen – nach innen, allzuviel davon wird sich nicht auf meinem Gesicht zeigen – weil ich hier letztens kritisiert wurde, dass ich den Kellner bei einer Nachbestellung mit „Hallo!“ gerufen habe. Ich finde „Hallo!“ auch unsicher bis ein wenig feige, aber „Herr Ober!“? „Frau Oberin!“? „Fräulein!“ geht gar nicht und klingt schrecklich. „Mademoiselle“ klingt besser, ist inhaltlich jedoch genauso abartig. „Seňior!“? „Hey, Seňiorita!“ geht gar nicht. Aber war soll’s?! Der Hal(l)o-Effekt? „Madame!“? Ich probiere „Madame!“ - nehme ich mir für die Nachbestellung vor.

Mein Sozialstress bewirkt, dass ich erst jetzt allmählich das Lokal und seinen Schmuck wahrnehmen kann. Ich habe mir „Madame!“ doch nicht getraut, sondern gewartet, bis mich die Kellnerin via Augenkontakt registriert hat, dann habe ich sie erst angesprochen. Ich bin wohl überall fremd. Darum kann ich so wenig souverän handeln und meist nur mit Sehnsucht auf die Welt blicken. Die tieferen Klangbereiche der lokalen Begleitmusik, die nimmt meine Seele auf. Das ist gut. Die Kaffees sind schon dabei mich auszuhebeln. Die Sonne erreicht die hintere Ecke des Lokals vom Osten her von außen durch das Fenster. Die junge Frau neben mir am Nebentisch  - ich hatte sie beim Eintreten gefragt, ob ich mich an den freien, aber an ihren herangerückten Tisch setzen darf - schreibt fleißiger als ich. Ich bin erstaunt, dass sie händisch notizbuchschreibt; ich hätte sie als moderne, ausschließliche Laptopschreiberin eingeschätzt. Das könnte von vorne nicht unwitzig ausschauen, wie da zwei nebeneinander wie in einer Schulbank sitzen und schreiben, innehalten, den Blick heben, dann wieder schreiben. Sie schreibt radierkompatibel, ich schmierkompatibel. Vor mir – dass ich das auch berichte – hinter der Budel die glänzende Gläserfront. Jetzt ist es die Stimme der Sängerin der Begleitmusik, die reingeht. Die Geschichte nebenan (andere Seite) beginnt meine Aufmerksamkeit einzufangen, aber ich höre zu schlecht um ihr wirklich folgen zu können und die Wiener Bobosprache und ihre Artikulation und ihr Sound sind mir viel zu wenig vertraut.

Zum ersten Male seit dem Eintreten heute schaue ich mich kurz, schüchtern und ein wenig bewußter um, registriere einige der Besucher schlampig – zu mehr reicht mein Selbstbewußtsein nicht. Nun kommt ein wenig Unruhe und Unbehagen auf; es beginnen die inneren „Gehn-wir-lieber“-Appelle. Ich vermute, dass diese Appelle immer auftauchen, knapp bevor es interessant wird. Darum werde ich dem ein wenig standhalten. Aber ich merke schon, lange werde ich das nicht  durchhalten und doch vor dem Leben? dem Abenteuer? der großen Infragestellung? der Apotheose? der Ernüchterung? dem Aufwachen? der Relativierung? der Entdeckung? dem Durchbruch? vor was auch immer flüchten.

Mein Gott! Bin ich deplatziert hier! Raus in die Sonne! Raus auf den einsamen sendero luminoso!

Jetzt habe ich wieder das Problem mit dem „zahlen!“ rufen. Und die Nachbarschreiberin hätte ich gerne angesprochen und gefragt, ob sie Schriftstellerin ist und wenn ja was sie schreibt und ihr meine Schubladenkarte gegeben. Es hat nur gereicht, dass ich beim Hinausgehen „Einen schönen Tag noch!“ gewünscht habe.

 

(12.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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