Dienstag, 10. Januar 2023

3046 Abgang

 

12:13.  Ein Haar – vermutlich von mir – tanzt mit dem Staub in der Luft. Die Tageskinder schauen unten Wimmelbücher an und ihre Kommentare, die auf dem Luftweg zu mir herauf wandern, bereichern mein Ohrensurren. Lange noch war ich in der Nacht wach gelegen und bin jetzt schon ein paar Stunden auf. Langsam kippe ich weg und sehe vor der inneren Schwärze ein Gesicht mit geschlossenen Augen, und während ich noch überlege, ob dies nicht mein Antlitz sein könnte, zeigt es mir die Zunge.

Jetzt sind die Kinder unten schlafen gegangen und es ist ganz still. Dem Surren, das ich nun deutlicher höre, hat sich streckenweise ein leichtes Knattern beigesellt; ebenso ein ständiges Zischen. Einer der Pfeiftöne wird richtig melodiös, ähnlich wie so manches Vogelgezwitscher. Immer wieder tauchen vor meinem inneren Auge die Brüste der Elli/ Inka Kallén aus dem letzten Film gestern Nacht auf. Wobei mir nicht klar ist: verfolgt mich das Bild oder bin ich es, der das Bild „verfolgt“? Vielleicht ist das das Selbe: das Bild und ich sind eine Beziehung eingegangen.

Gehört das alles eigentlich schon zur Altersdemenz? Nein, noch nicht, würde ich antworten, aber bald.

Mein Gott! Wie habe ich meinen Vater verachtet, weil er am Sterbebett die Brüste der rumänischen Vierundzwanzig-Stunden-Pflegerin sehen wollte (die arme Frau – eine ausgebildete Architektin – und dann wurden ihnen noch die Kinderbeihilfen reduziert – türkises Gesindel!) und weil ihm – meinem Vater - angesichts des Todes nicht mehr eingefallen ist und er nicht mehr zu bieten hatte. Und meine Mutter, die völlig dement die wildesten Sexgeschichten über meinen Vater – alle erfunden – also aus ihrer Phantasie – erzählt hatte, die sie alle selber beobachtet haben wollte. Und jetzt schaut’s so aus, als steuerte ich langsam aber sicher einem ebensolchen erbärmlichen Abgang zu! Ich werde wohl die Verachtung aufgeben müssen.

 

(10.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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