Donnerstag, 5. Januar 2023

3041 Schaut gut aus

 

Belvedere. Ich suche die ziemlich nackten fünf Sinne; drei von denen hängen nämlich als Magnetbildchen an den Lautsprechern meines Kassettenrecorders am Fußende meines Bettes und ich wollte mich an ihnen in ihrer wahren, vollen Pracht delektieren. Schöne Hintern und Brüste, aber ständig stehen mir irgendwelche Plermpeln im Blickfeld oder schreiten andächtig durch. Malerisch interessieren mich die handwerklich sicher großartigen Bilder nicht; ich will nur die realistisch pseudidealistischen nackten Weiber sehen. Ich selbst lauf als Karikatur meiner selbst herum: in bunter, billiger chinesischer Hausjacke, die langen dünnen Haare offen, meinen lächerlichen Schmuck angelegt, mit einer mit einem künstlerischem Button veredelten, aber an sich schirchen braunen Baskenmütze am Kopf, die schlichte Gemüter als „künstlerisch“ und künstleraffin decodieren und der bajuwarische Affenarsch zur „Unterwerfungsmütze“ erklärt hat. In den Ohren meinen lieben John Frusciante – vor allem – sitze ich als Karikatur meiner selbst da und schreibe und schreibe. Und weil ich nicht blind schreiben kann, sondern meine Augen aufs Papier und meine Schreiberei gerichtet haben muß, komme ich gar nicht recht dazu, die Nackten anzuschauen. Und die Passantinnen.

Alles Passt, alles fügt sich: die Situation ist so grotesk wie es sich bei mir gehört, dass ich mich amüsiere (hauptsächlich über mich selbst). Ich hatte vor, hier stundenlang zu sitzen und zu gaffen, aber das werde ich nicht aushalten. Der fünfte auf die Bilder geworfene Blick wird mir schon etwas fad und ich fange an den Gestalten herumzukritteln an: das eine Gesicht etwas blöde, das andere auch nicht viel besser, der eine Hintern nicht so toll … obwohl … naja … ich tät ihn schon … Die Körperhaltungen manieriert (ich verabscheue dieses sexuell aufgeladene 19. Jahrhundert), die Allegorien dekadent … Stundenlang wollte ich die Bilder anschauen! Gut, ich hatte dabei einen ruhigen, leeren Saal in meiner Vorstellung, keinen vollgerammelten, lauten. Ich drehe meine Musik lauter auf. Ich habe nicht vor, irgendein anderes Bild anzustarren, nein, ich möchte mich an diesen fünf Sinninnen abarbeiten. Diese Unruhe hier im Saale! Ich will noch etwas durchhalten hier, aber ohne Rückenlehne wird das schwierig; ich sitze zusammengekrümmt wie der homo incurvatus in se ipsum und mein Handy läutet irgendeinen Keileranruf. Langsam beginnt meine Aufmerksamkeit nicht nur die nackten Gestalten, sondern auch ihre Malerei wahrzunehmen. Meine Baskenmütze ist hier in dem geheizten Saale wahrlich eine Bürde; eine Bürde aus sich selbst zerstörende Angeberei. Dieser saublöde Putto! Nieder mit der depperten Antike, die uns die eingebrockt hat! Gilt auch, wenn der ein Kleinkind darstellen soll. Ich lebe gern im Heute, aber nicht im Hier und Jetzt. Die Leute im Saale sind alle zu warm und dick angezogen, aber wenn es geht, vergleiche ich die Hintern der Besucherinnen mit denen der gemalten Sinne – durch das Gewand hindurch, wenn es geht. Zu faktenbasierten und glaubwürdigen Erkenntnissen komme ich nicht. Ich versuche, aus den Brust-Bildern etwas herauszubekommen (wie verräterisch! Der Lektor). Ich stelle eine gewisse Ratlosigkeit im Saale fest. Die Gitarren jaulen und schweißen mir die Ohren voll und mich up to date. Eine Besucherin scheint schönere Wölbungen zu haben als die auf den Bildern, aber vom Typus her möchte ich nichts mit ihr zu tun haben (abgesehen von Alter, Freund und so). Wegen „Gewölbe“ blicke ich heute zum ersten Mal auf den Plafond, an dem sich scheinbar der Himmel geöffnet hat (es hat sich halt eröffnet, das hi-immlische Tor, die Puttalan die kugalen ganz haufenweis hervor, die Madalan, die Buabalan, die mochn Purzigagalan, boid auffi, boid owi (lacht), boid hin und boid her, boid übaschi, boid untaschi, des gfreit sie umso mehr) (himmlische Orgie) – jetzt sind wir wieder dort, wo wir eigentlich nicht sein wollen: ich bin gar nicht so geil wie ich tue. Überhaupt nicht. Jetzt ist der Blick ziemlich frei, aber ich bin des Ganzen schon überdrüssig; im Sinnlichen liegt keine Erlösung, da müßte ich über die fünf Sinne hinausgehen.

Wie geht es eigentlich einer Frau, wenn sie hereinkommt und männliche Bilder nackter Weiber an der Wand hängen? Mal abgesehen von irgendwelchen Gaffern. Die da an der Wand durften eh noch Weiber sein – körperlich gesehen – ohne Abnehmhysterie und Schönheitsoperationen, oder ? Oder? Oder?

Wie lange sitze ich schon hier? Eine Stunde wenigstens sollte ich durchhalten. Ich weiß nicht, zu welcher Uhrzeit ich hergekommen bin. Mir ist schon fad und die ganzen Nackerten interessieren mich jetzt nicht mehr so recht. Ich zwinkere lächelnd einem kleinen Mädchen zu, das mich die ganze Zeit angestarrt hat. Das war auf meiner Tour der schönste, gelungenste, lebendigste und keuscheste Moment.

Ich versuche, wieder zu den Bildern zurückzukehren, aber ich glaube, ich sollte doch eher gehen, bevor die Karmapolice kommt.

Kurz schaue ich noch bei Kokoschka, Kolig & Co vorbei, dann fahre ich nach Hause. Ich habe noch viel zu tun und viel vor (Nicht-Tun).

 

(5.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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