Sonntag, 1. Januar 2023

3033 Kein Personalausweis

 

Meine Frau bittet mich, aus dem Postkastl die Sonntagszeitung holen zu gehen. Sie hatte schon probiert, die Zeitung aus dem Postfach herauszufischen, aber sie hat sie nicht richtig erwischt und nicht herausbekommen. Dazu ist zu sagen, dass nur ich einen Postkastlschlüssel habe und dass ich den nicht aus der Hand gebe, denn meine Frau hat noch jeden Postkastlschlüssel verloren, so wie auch den Zweitschlüssel zu dem, der jetzt der meinige ist. Also gut – denke ich mir. Ich schlüpfe aus meinen Wohnungsschlapfen in die Stiegenhausclogs, die eine ordentliche Sohle haben. Wie ich vor die Wohnungstür trete, sehe ich: meine liebe Frau hat dort einen Restmüllsack und einen Biomüllsack deponiert. Ich mag das gar nicht, wenn sie dort Müll deponiert und stehen läßt – ich empfinde das als Zumutung für die anderen Bewohner des Hauses. Also gut – denke ich – ich trage den Restmüll in den Hof. Und den Biomüll? Für den müßte ich auf die Straße zum nächsten, zu Fuß höchstens fünf Minuten entfernten Biomüllcontainer gehen. Ich zögere, denn ich bin in Hauskleidung und will nicht mehr rauf in mein Zimmer um mich umzukleiden. Hauskleidung heißt: Rumrutschhose (sehr weitgeschnitten), löchrige Wollsocken, diese Clogs eben, Hausjacke und keine Winterjacke. Außerdem habe ich mir für den kurzen Gang in den Hof nur die Schlüssel eingesteckt und sonst nichts. Wurscht! - denke ich - ich nehme auch den Biomüll, den kurzen Weg schaffe ich auch ohne Outdoorkleidung.

Während ich – nachdem ich den Restmüll in den entsprechenden Container im Hof geworfen habe – auf der Straße Richtung Biomüllcontainer gegangen bin, habe ich eine ganz typische Phantasie. Wegen dieser ganz, ganz typischen Phantasie erzähle ich das überhaupt, denn sie kommt jedesmal, wenn ich in Hauskleidung und das heißt auch ohne Personalausweis und Handy auf die Straße gehe. Die Phantasie geht so:

Eine Polizeistreife kommt und verlangt meinen Ausweis. Ich habe keinen mit und bin verdächtig und deswegen werde ich aufs Revier zur Identitätsfeststellung mitgenommen. Dort machen sich ein paar subalterne Polizisten – die sofort gerochen haben, dass ich auf Opfer programmiert bin – eine Hetz und beginnen, mich niederzumachen, dann zu verprügeln und ich „falle die Stiegen hinunter“. Ich bin schwer verletzt und niemand glaubt mir meine Vision, sondern die der lügenden Polizisten, dass ich randaliert und die armen Beamten attackiert hätte. Je nach Stärke der aktuellen Depression lasse ich die Geschichte mit Koma und meinem Tod enden, oder doch mit meiner einer nach langen Kämpfen erfolgreichen Rehabilitation. In diesem Fall zeige ich jeden Plermpel an, der mich als Kriminellen anspricht, weil der die gelogene Polizeiversion in Kronen Zeitung, Heute oder Österreich gelesen und geglaubt hat, und lasse keine Mediation zu und verlange die volle Strafe für das Arschloch.

Ich betone es nochmals: das ist die verschärfte Version meiner Angst, die ich sowieso immer habe, wenn ich auf die Straße gehe. Natürlich weiß ich mit meinem Verstand, wie weit hergeholt diese Geschichte ist – obwohl es doch immer wieder solche Fälle gibt – aber meine Seele fürchtet sich j-e-d-e-s Mal! Kein Wunder, dass ich mein Zimmer nur ungern verlasse und nach jedem Ausflug in die Welt erschöpft bin und Zeit für Rekonvaleszenz brauche. Wobei – so vermute ich – „kein Personalausweis“ für „keine Identität“ und damit auch für keine Zugehörigkeit und keinen Schutz steht. Also für das Lebensgefühl, dass meine Existenz von vornherein illegal ist. Und wenn es hart auf hart ginge, würde mir auch der Personalausweis nicht wirklich helfen.

 

(1.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite