3033 Kein Personalausweis
Meine Frau bittet mich, aus dem Postkastl die
Sonntagszeitung holen zu gehen. Sie hatte schon probiert, die Zeitung aus dem
Postfach herauszufischen, aber sie hat sie nicht richtig erwischt und nicht
herausbekommen. Dazu ist zu sagen, dass nur ich einen Postkastlschlüssel habe
und dass ich den nicht aus der Hand gebe, denn meine Frau hat noch jeden
Postkastlschlüssel verloren, so wie auch den Zweitschlüssel zu dem, der jetzt
der meinige ist. Also gut – denke ich mir. Ich schlüpfe aus meinen
Wohnungsschlapfen in die Stiegenhausclogs, die eine ordentliche Sohle haben.
Wie ich vor die Wohnungstür trete, sehe ich: meine liebe Frau hat dort einen
Restmüllsack und einen Biomüllsack deponiert. Ich mag das gar nicht, wenn sie
dort Müll deponiert und stehen läßt – ich empfinde das als Zumutung für die
anderen Bewohner des Hauses. Also gut – denke ich – ich trage den Restmüll in
den Hof. Und den Biomüll? Für den müßte ich auf die Straße zum nächsten, zu Fuß
höchstens fünf Minuten entfernten Biomüllcontainer gehen. Ich zögere, denn ich
bin in Hauskleidung und will nicht mehr rauf in mein Zimmer um mich
umzukleiden. Hauskleidung heißt: Rumrutschhose (sehr weitgeschnitten), löchrige
Wollsocken, diese Clogs eben, Hausjacke und keine Winterjacke. Außerdem habe
ich mir für den kurzen Gang in den Hof nur die Schlüssel eingesteckt und sonst
nichts. Wurscht! - denke ich - ich nehme auch den Biomüll, den kurzen Weg
schaffe ich auch ohne Outdoorkleidung.
Während ich – nachdem ich den Restmüll in den entsprechenden
Container im Hof geworfen habe – auf der Straße Richtung Biomüllcontainer
gegangen bin, habe ich eine ganz typische Phantasie. Wegen dieser ganz, ganz
typischen Phantasie erzähle ich das überhaupt, denn sie kommt jedesmal, wenn
ich in Hauskleidung und das heißt auch ohne Personalausweis und Handy auf die
Straße gehe. Die Phantasie geht so:
Eine Polizeistreife kommt und verlangt meinen Ausweis. Ich
habe keinen mit und bin verdächtig und deswegen werde ich aufs Revier zur
Identitätsfeststellung mitgenommen. Dort machen sich ein paar subalterne
Polizisten – die sofort gerochen haben, dass ich auf Opfer programmiert bin –
eine Hetz und beginnen, mich niederzumachen, dann zu verprügeln und ich „falle
die Stiegen hinunter“. Ich bin schwer verletzt und niemand glaubt mir meine
Vision, sondern die der lügenden Polizisten, dass ich randaliert und die armen
Beamten attackiert hätte. Je nach Stärke der aktuellen Depression lasse ich die
Geschichte mit Koma und meinem Tod enden, oder doch mit meiner einer nach
langen Kämpfen erfolgreichen Rehabilitation. In diesem Fall zeige ich jeden
Plermpel an, der mich als Kriminellen anspricht, weil der die gelogene
Polizeiversion in Kronen Zeitung, Heute oder Österreich gelesen und geglaubt
hat, und lasse keine Mediation zu und verlange die volle Strafe für das
Arschloch.
Ich betone es nochmals: das ist die verschärfte Version
meiner Angst, die ich sowieso immer habe, wenn ich auf die Straße gehe.
Natürlich weiß ich mit meinem Verstand, wie weit hergeholt diese Geschichte ist
– obwohl es doch immer wieder solche Fälle gibt – aber meine Seele fürchtet
sich j-e-d-e-s Mal! Kein Wunder, dass ich mein Zimmer nur ungern verlasse und nach
jedem Ausflug in die Welt erschöpft bin und Zeit für Rekonvaleszenz brauche.
Wobei – so vermute ich – „kein Personalausweis“ für „keine Identität“ und damit
auch für keine Zugehörigkeit und keinen Schutz steht. Also für das
Lebensgefühl, dass meine Existenz von vornherein illegal ist. Und wenn es hart auf hart ginge, würde mir auch der Personalausweis nicht wirklich helfen.
(1.1.2023)
©Peter Alois
Rumpf Jänner 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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