Dienstag, 20. Dezember 2022

3024 Cristóbal de Morales

 

Ich sitze in der Albertina vor Muntean/Rosenblums Video mit der Motette von Cristóbal de Morales – ich bin extra wegen dieses Videos hergekommen, weil ich es unbedingt nochmals anschauen wollte – und wie beim ersten Mal kommen mir die Tränen. Diesmal bin ich gefaßter und beherrschter. Meine religiöse Sehnsucht – was immer die genau ist – kann sich wirklich an allem Möglichen entzünden. Alle psychologischen Erklärungen – so sehr sie zutreffend und berechtigt sein mögen – greifen jedenfalls zu kurz. Es geht nämlich letztlich um den Ausgriff nach dem verfehltem magischen Erbe, das uns Menschen übergeben und anvertraut ist und zusteht, nach dem tatsächlich in der wirklichen Menschheitsgeschichte verlorenen Paradies (das Stille Wissen), von dem ich anscheinend eine Ahnung in mir habe, die mich für diese Welt hier unbrauchbar macht (was nicht so sein müßte!). Und wieder kommen mir die Tränen (sicher: Sehnsucht ist sinnlos, wenn man sie nicht in Disziplin, Ausdauer, in ein Ziel und einen konkreten Weg verwandeln kann). Am meisten bringt mich der kniende Typ zum Weinen: was hab ich für eine Sehnsucht, mich hinzuknien und all meine Kämpfe aufzugeben, alle Bemühungen und Träume aus der Hand zu legen! (Und das ist ein Irrweg!) (Wurscht!) Unsere Wirklichkeit ist wirklich bloß eine fragile Skizze, über die Unendlichkeit geworfen. Natürlich! Qui tollis peccata mundi – das ist mein sinnloses Thema. Die Schuld zu leben. Kein Wunder, dass ich da heulen möchte.

Ich erhole mich von Schmerz und seelischer Erregung bei einem Waldbild, Pastell auf Papier, von Hauenschild Ritter, die Motette von Cristóbal de Morales noch hinter den Augen. Dieser unaufgeräumte Wald, von verklärtem Licht durchflutet; schwarz, grau, weiß – das genügt ... und jetzt erst habe ich die Geschichte dieser Stelle im Wald gelesen: das dreht nochmals alles um. Der Wald ist nicht einfach ein Wald, obwohl er nur ein Wald ist. Wer wird gewinnen, hier an dieser Stelle? (Gimme Shelter). Heute, mit den Infrarotkameras und den Satellitenbildern hätten die versteckten Männer wohl keine Chance.

Lasse meine Seele bei Werefkin, die mir schon vertraut ist, durchatmen. Auch hier lasse ich mich bezaubern, verzaubern und überwältigen. Ich lasse das zu. Die Bäume im kalten Wald: jeder einzelne ein eigenes magisches Wesen. Auch hier zeigen die zwei Bilder mehr von der dahinter liegenden Wirklichkeit. Heute hat es mir besonders der Nachtschwärmer angetan und seine gefrorene Nacht.

Dresden (London fehlt): ich möcht hinreisen, obwohl es dieses Dresden nicht mehr gibt. Eine Vergangenheit, in der ich  - so vermute ich – noch weniger zurecht gekommen wäre als heute. Aber schön müssen noch Stadt, Fluß und Landschaft gewesen sein, zumindest zeigt das der Kokoschka. Den Thöny möchte ich auch gern ehren – Erinnerung an den Roten Raum Trigon 81 – aber nicht heute. Heute gehe ich weiter.

Die obligatorische Rast beim depperten Kardinal in der Nähe der Klees und das fällige Photo von mir im Spiegel – diesmal als Onkel H. Den Klee schaue ich mir von der Seite an. Den ersten mag ich nicht so – und das ist selten bei Klee – den zweiten sehr; die im Spiegel beide.

Ein bisserl Beckmann heute, aber natürlich auch den Arbeiter von Marie-Luise von Motesiczky (ihr Kröpfelsteig fehlt!). Der Beckmann als Blackmann hellt dann doch recht auf! Der freundliche Arbeiter -  an dem habe ich einen Narren gefressen – ich weiß auch nicht, warum. Ich erhebe mich, mache ein Photo und gehe weiter.

Nochmals ein wenig zum Weinen zur Motette. Qui tollis peccata mundi – ja, der Erlöser! Wenn das funktionierte, könnten wir wieder von Neuem anfangen. Wahrlich, wahrlich ich sage euch: ich bin leicht einzufangen! Und die Sonne glurrt durch die hoch niederhängenden Wolken am Himmel.

 

(20.12.2022)

©Peter Alois Rumpf  Dezember 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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