Montag, 18. Januar 2010

51 Geistige, geistliche, akademische und sonstige Väter

Von der Anthropologin Mary Douglas stammt die Aussage, daß die Väter dafür zuständig sind, den Kindern „die Welt zu erklären und ihren Ort darin“ (weiß nicht mehr, ob wörtlich so; Belegstelle vergessen).
Zumindest für die fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat der Satz noch gegolten, zumindest für Buben, und ich vermute, daß er in Wirklichkeit auch heute gilt.
Also werden die meisten Kinder und Jugendlichen, wenn sie aus ihrem Milieu hinausmutieren wollen oder sollen, so etwas wie einen geistigen Vater brauchen, jemanden, der ihnen diese neue Welt und ihre Spielregeln erklärt, sie einführt, ihnen hilft, Fuß zu fassen, ihnen bei den ersten unsicheren Schritten hilft und ihre Entwicklung überblickt. Ich kenne Beispiele, wo das gelungen ist. Wo z.B. ein Lehrer in einem Dorf die Hilfsarbeiterfamilie darauf aufmerksam macht, daß ihr Sohn begabt ist und aufs Gymnasium gehört und dann auch hilft, einen Platz zu finden, ein Heim, wenn nötig, oder was auch immer die in diesem Bereich hilflosen Eltern nicht können. Das setzt übrigens bei den Eltern auch so etwas wie Demut und die Bereitschaft, sich etwas sagen zu lassen, voraus und somit die Einsicht in die eigene soziale Beschränktheit in dem Sinn, daß sie wissen, das sie über die akademische Welt z.B. nichts sagen oder raten können. Offener oder heimlicher Größenwahn bei den Eltern ist da kontraproduktiv. Und das Kind loslassen müssen sie auch können.
Auch bei mir wären solche geistigen Väter nötig gewesen und für mich – wie sich mein Leben als Kind so entwickelt hatte – wären die katholische Kirche und ihre Repräsentanten die richtigen gewesen.
Nun kann nur der geistiger, geistlicher oder sonstwie Vater sein, der es auch „normal“ sein könnte.
Wenn also ein Priester z.B. nur über seine Geschlechtsangst einen Heiligenschein bastelt, dann geht das nicht. Zölibat heißt ja, daß jemand seine Geschlechtskaft in den Dienst der Kirche und des Himmelreiches stellt; dazu muß er aber überhaupt eine Geschlechtskraft haben. Die Keuschheit ist nicht das Problem, im Gegenteil, sie kann bei der geistlichen Vaterschaft (natürlich auch bei einer solchen Mutterschaft) sehr hilfreich sein; nein, das Problem ist, wenn gar keine Energie da ist. Wenn also einer keine Energie, keine Kraft hat und dann so tut, als sei das ein Verzicht um des Himmelreiches willen. Die Kraft, die er haben soll, kann durchaus eine geistige sein, und es geht auch nicht darum, daß er von sexuellen Energien gequält wird, sondern das er diese reif, erwachsen, ruhig und entschieden transformiert hat. Aber Energie muß da sein und ins Leben gebracht werden.
Mir sind immer wieder so unechte Väter begegnet. Als ich mein Theologiestudium begonnen hatte, frisch vom Land in die Stadt, kam ich nach einem kurzen Intermezzo bei eher sehr antiklerikal eingestellten, hilfsbereiten Verwandten zum Wohnen in ein katholisches Studentenheim. Beim Anblick des heimleitenden Priesters war ich entsetzt und hätte damals nicht recht sagen können, wieso. Er kam mir irgendwie körperlich verkrüppelt vor, verkrümmt, extrem dünn, mir kam vor, seine Arme hingen wie energielose Würmer herab, mit den Schultern nur lose verbunden. Natürlich hatte ich damals gleich ein schlechtes Gewissen, so zu denken, weil es schließlich nicht ums Äußerliche gehe. Welch ein Irrtum!
Er gab mich zu einem Linken ins Zimmer mit Leninplakat an der Wand mit dem Auftrag, diesen zu bekehren (zu versuchen); dabei war ich hilflos überfordert, denn ich selber hätte noch der führenden Hand eines geistigen Vater bedurft. Aber genau dieses Amt hat dieser Heimleiter aus oben genannten Gründen nicht erfüllen können. Es war mir unmöglich, mit ihm ein Gespräch zu führen – ich habe ihn nicht verstanden. Er galt als sehr intellektuell, sehr gebildet, hatte aber einen stark ästhetisierenden Zug. Das heißt, seine Aussagen hatten wenig Kraft, waren eher wie schnörkselndes Beiwerk, so in dem Stil: „da könnte man vielleicht sagen, daß Gott eine gewisse...“; und das nervös, hüstelnd vorgetragen. Er galt als großer Prediger, ich kann mich aber an nichts aus seinen Predigten erinnern, kein Satz ist hängen geblieben. Gut, das kann auch mit mir zu tun haben. Glaube ich aber nicht. Im Heim dominierten die Studenten, die sich am Besten durchsetzten konnten; die wollten Selbstverwaltung und selber bestimmen, wen sie ins Heim holen. Einer von denen - mit wichtiger Funktion im Haus - hatte mich zu einem Gespräch eingeladen und überredet (dafür, weil dazu genötigt, habe ich zum erstenmal eine Vorlesung geschwänzt) unter dem Vorwand, mich als neuen Mitbewohner kennenlernen zu wollen; er hat mich dabei in ein sehr persönliches Gespräch verstrickt, tatsächlich aber wollte er mich nur abklopfen und herausbekommen, wie und durch wen ich ins Heim aufgenommen wurde. Dann ist mir aus seiner Reaktion schon klargeworden, daß die mich nicht wollten. Später hat man mir den „Sozialarbeitskreis“ empfohlen, wo so unglaublich gscheite, unglaublich maskenhaft dreinschauende Psychologen und/oder Therapeuten werkten. Ich bin dann in innerer und äußerer Emigration zu den Mensasitzern geflüchtet, mit allen Konsequenzen. Und schließlich wurde mir – zu recht – nahe gelegt, das Heim zu verlassen. (Wenn der König schwach ist, regieren die Minister, die in die eigene Tasche arbeiten, die Wesire, Experten, Bürokraten, Funktionäre, Angeber, Raubritter, Warlords, die Straßenbanden usw.)
Oder der Professor an der Universität, in dessen Seminar ich mein erstes Referat hielt, hat sich für diesen Termin unter irgendeinem Vorwand als verhindert entschuldigen lassen, weil er sich vor dem zweiten Referenten, der am selben Tag auch sein Referat gehalten hat, gefürchtet hat. Dieser war nämlich als „wilder“, streitlustiger 68iger-Veteran bekannt. Der „Revoluzzer“ hat mir dann nach meinem Referat applaudiert („Bravo! ein so gutes Referat habe ich dir ehrlich gesagt gar nicht zugetraut“); der akademische „Vater“ war aus Feigheit nicht da.
Ich muss noch etwas zu diesen pseudoväterlichen Priestertypen sagen: sie sind ja nicht nur als geistliche Väter falsch gewickelt, weil sie aus Kraftlosigkeit nicht orientieren können, sondern auch, falls sie vom geistlichen ins sexuelle Fach wechseln (was nicht alle tun!). Denn dann kommen sie – siehe Fall Groer – über das frühpubertäre Stadium des Zipferlspielens auch nicht hinaus. Niemals kann ein solcher – wenn er in diesem Stadium stecken bleibt – als reifer Mann reife Beziehungen – welcher Art auch immer - eingehen. Auf einem anderen Blatt steht, daß es auch viele nicht-zölibatäre Männer (und Frauen) gibt, die in diesem Stadium stecken geblieben sind.
Nur zum Thema „Zölibat“, das heute so angefeindet wird, noch eine Anmerkung bzw. Verdeutlichung: Keuschheit ist kein Hindernis für Reife; ich bin versucht zu sagen, eher im Gegenteil. Keinesfalls will ich das Zölibat kritisieren. Und als Draufgabe: Castaneda hat einmal seinem Lehrer Don Juan Matus erzählt, daß sein Vater von der Idee der mexikanischen Revolution, den Klerus und die Kirche auszurotten, fasziniert war. Worauf Don Juan Matus gelacht hat und geantwortet hat, daß die Kirche unmöglich zerstört werden kann, solange es echte Priester und Nonnen gibt, die ihre generative Kraft der Kirche zur Verfügung stellen. Und ich ergänze: und hoffentlich haben sie das auch um des Himmelreiches willen auf sich genommen.

©Peter Rumpf, Jänner 2010 peter_rumpf_at@yahoo.de

Freitag, 15. Januar 2010

50 Im Schatten

Die Anthropologin und Zauberin Florinda Donner-Grau, eine Mitkämpferin Castanedas, lebte und arbeitete eine zeitlang mit einer venezolanischen Heilerin (Florinda Donner-Grau, Die Lehren der Hexe; Hans-Nietsch-Verlag). Ihr Übereinkommen sah vor, daß die Klienten der Heilerin Frau Donner ihre Lebensgeschichten erzählen. Es ging dabei immer wieder darum, wie Menschen an entscheidenden Stellen ihres Lebens in den Schatten anderer gerieten und dadurch – wie sich die Heilerin ausdrückte - „ihr Rad des Schicksals sich drehte“ und deren Leben so auf eine andere Bahn geriet. Fast immer auf eine schlechtere, weil ihnen diejenigen, in deren Schatten sie gerieten, meistens irgendetwas Ungelöstes ihres Lebens aufgeladen haben, und um sich davon zu befreien kamen die Klienten auch zur Heilerin.
In kleinerem Rahmen habe ich auch einmal so etwas erlebt. Ich war damals sechzehn Jahre alt und bin mit einer katholischen Jugendgruppe meiner Schule nach Seggauberg (bei Leibnitz/Libnica, Steiermark) zu einem Wochenendseminar zum Thema Sexualität gefahren. ( So um 1970 das Zeitgeistthema!) Referent war ein gerade vom geweihten Priesteramt zu Psychologie und Psychotherapie umgesprungener „Theopsychologe“. Also soeben laiisiert. Viel Wichtigtuerei bei Referent und Seminarbesuchern! Für mich als schüchternen Menschen alles sehr unangenehm – sowohl Thema als auch Ablauf! (Ich hatte mich auch irgendwie zu dieser Veranstaltung überreden lassen). (Nebenbei gesagt: auf den Weg zum Seminar, bei einem Zwischenaufenthalt in unserer Landeshauptstadt Graz besuchten wir Landbewohner einen von den Franziskanern betriebenen Jugendtreff – auf katholische Empfehlung – wo ich dann den ersten eingerauchten Menschen meines Lebens sehen durfte).
Irgendwann kam der Referent und Seminarleiter auf einen Bekannten von ihm zu sprechen, den er als einen klugen und geistig wachen Menschen beschrieb, der aber bei seinen eigenen Angelegenheiten immer versagte und scheiterte und so mit seinem Leben nicht zurecht kam. Und da einfach nicht rauskommt. Mir wurde bei dem Thema schon mulmig und dachte, „hoffentlich ist er jetzt nicht durch mich auf dieses Thema gekommen, hoffentlich schaut er jetzt nicht mich an!“ Aber tatsächlich, er schaute mich lange an und ich wußte oder ahnte, wenn ich jetzt nicht sofort rausgehe, kriege ich diese Definition nicht mehr los und das, was sich in meinem Leben schon abzuzeichnen begann, wird endgültig und unausweichlich. Ich war aber wie gelähmt; mein Atem stockte und ich erstarrte. Zu spät! Schließlich schämte ich mich ja auch.
Nun kann ich nicht sagen, daß diese Begegnung meinem Leben eine andere Richtung gegeben hat, sondern eher, daß eine schon eingeschlagene schädliche Richtung festzementiert wurde; dennoch – ich glaube, daß ich mir die Definition dieses Referenten in ihrer Ausweglosigkeit aufladen habe lassen, daß ich also zu lange im Schatten dieses Menschen gestanden bin. Ich habe zu lange gezögert zu fliehen.
Dieser Referent ist übrigens in unserem Land durchaus bekannt; man kann ihn manchmal im Fernsehen bewundern oder im Radio hören; ich möchte auch gar nicht sagen, daß seine Statements für mich immer so schrecklich wären – aber ich bleibe immer mißtrauisch, ich bleibe auf der Hut, wenn ich ihn höre; ich denke immer: er legt mich rein, wenn ich nicht gleich dahinterkomme, was da faul ist. Denn ich betrachte ihn doch als einen meiner Verderber.
Eine andere Frage ist, für wen aller ich zum Verderber geworden bin.

©Peter Rumpf, Jänner 2010 peter_rumpf_at@yahoo.de

Donnerstag, 14. Januar 2010

49 Eine Verrückte Idee

Man hat ja immer wieder so verrückte Ideen; eine davon gefällt mir schon seit Tagen (aus welchen Gründen auch immer!):
Wenn ich reich, aber wirklich sehr, sehr reich wäre, würde ich eine nicht mehr gebrauchte alte Kirche mieten (um eine bestehende Kirchengemeinde nicht zu stören)(und umgekehrt), würde am Eingang eine Stechuhr montieren lassen und Leute (z.B. Arbeitslose) zum Beten anstellen. Sie bekommen Stundenlohn fürs Beten. Sie müssen nicht gläubig oder religiös oder Kirchgänger sein – das ist komplett wurscht. Sie können das Ganze ruhig für blöd halten und das in ihrer Freizeit laut und öffentlich sagen; sie müssen auch nichts unterschreiben, daß interne Angelegenheiten nicht verraten und das Ansehen der Firma nicht herabgesetzt werden darf. Nur wenn sie zur Gebetsarbeit in die Kirche kommen, müssen sie sich an die dortigen Spielregeln halten: Kreuzzeichen mit Weihwasser beim Eintreten, Kniebeuge vorm Hinsetzen, … ein Benehmen halt, daß dem Ort angemessen ist. Sie bekommen dann vorgelegt, was gemeinsam laut zu beten und zu singen ist: Stundengebet, Heiligenlitaneien rauf und runter, Rosenkranz....
Eine echte innere Beteiligung und Anteilnahme wird nicht vorausgesetzt und nicht erwartet, schon gar nicht ein (pseudo-)subjektiv-emotional-engagiertes Beten – das ist sogar verboten! es soll ruhig geleiert werden - aber laut und bereitwillig soll schon gebetet werden; ein Engagement, wie es halt für einen 08/15-Job erwartet wird.
Irgendwie ein Experiment, und ich wäre schon neugierig, was das für die Gesellschaft bewirken würde.
Ob für mich auch ein Reiz dahinter ist, auf andere eine Zwang auszuüben? Könnte eventuell sein, aber erstens wäre die Mitarbeit freiwillig und zweitens das Machtgefühl für den Arbeitgeber auch nicht stärker als bei jedem beliebigen 08/15-Firmenchef. Was die Arbeitsleistung der Gebetsarbeiter betrifft ist die für die Gesellschaft sicher sinnvoller, als grüne Streifen in der Zahnpasta zu erfinden oder zu "entwickeln", oder Meinungsforschungsstudien zu machen.
Ich stelle mir das auch vom Sound her toll vor, wenn eine volle Kirche mit kräftigen Stimmen so eine Heiligenlitanei betet oder singt.
Vielleicht entwickelt sich das dann so, daß Auftraggeber kommen, die für die Bearbeitung bestimmter Anliegen (in der Fachsprache: Intentionen) bezahlen und es wird auch ein Geschäft? Muß aber nicht, denn ich wäre ja sehr, sehr, wirklich sehr reich.


©Peter Rumpf Jänner 2010 peter_rumpf_at@yahoo.de