Mittwoch, 30. April 2014

83 Nachruf


Am 5. April 2014 ist der Astrologe Wolfgang Döbereiner gestorben. Obwohl ich schon vor Jahren mit ihm gebrochen hatte, merkte ich, daß ich trauerte, als ich davon hörte. Was immer das bedeuten mag. Ich hatte schon jahrelang keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihm und der döbranitischen Szene, besuchte keine Seminare mehr; ich schickte ihm nur noch einige Briefe, in denen ich versuchte, ihm Fragen, die mir auf der Seele brannten, zu stellen und zu artikulieren, was ich an seinem Denksystem nicht (mehr) mittragen will und was – wie ich glaubte – bei meiner Beratung durch ihn schief gelaufen ist. Diese Briefe haben dann – im Laufe der Zeit - zum Teil schon den Charakter einer Abrechnung mit ihm bekommen. Ein paar Tage vor seinem Tod hatte ich ihm noch die Kassette, auf der die Beratung, die ich von ihm bekommen habe, aufgezeichnet ist, geschickt, mit der Anmerkung, daß das sein Werk sei und ich es deshalb nicht dorthin schmeißen könne, wo es hingehöre, nämlich auf den Mist und daß er darüber verfügen möge, wie er wolle. (Wobei ich nicht davon ausgegangen bin, daß er das liest oder es sich gar anhört). Auch deswegen bin ich bei der Nachricht von seinem Tod erschrocken.
Wegen all dem fühle ich mich nicht wirklich berufen, einen Nachruf auf ihn zu schreiben – aber weil sein Tod anscheinend so sang- und klanglos zur Kenntnis genommen zu werden scheint – es kannten ihn ja viele Menschen – schreibe das jetzt hin.

Wolfgang Döbereiner hat die moderne Astrologie entscheidend geprägt; aber auch dazu kann ich nicht mehr sagen, da ich schon jahrelang keine Astrologie mehr betreibe und auch kaum weiß, was in der Szene los ist.
Jedenfalls hat die Begegnung mit ihm mein Leben und mein Denken nachhaltig beeinflußt. Im Großen und im Kleinen. Viele Gleichnisse und Formulierungen haben sich bei mir tief eingeprägt, weil sie einen Sachverhalt präzise, knapp, bildhaft und treffend darstellen. Um nur zwei seiner Formulierungen als Beispiele zu erwähnen: „tapfer gegen das eigene Empfinden handeln“ oder „die eigene Verdorbenheit als Maßstab für andere nehmen“ - da braucht man doch nichts mehr erklären, oder?

Ich werde auch nie vergessen, wie ich eines Tages Anfang der Neunzigerjahre eher aus Langeweile die Idee hatte, eine Bemerkung Döbereiners über die astrologischen Konstellationen für Baustellen mit Erdaushub – also wenn eine Straße aufgegraben wird – aufzugreifen und für die aktuellen Konstellationen in Wien auszuprobieren. Fleißig und intensiv rechnete und zeichnete ich im Stadtplan von Wien herum und schließlich zog ich – streng der astrologischen Methode Döbereiners folgend – mit dem Bleistift im Stadtplan eine Linie vom Urban-Loritz Platz bis zur Wienzeile, an der entlang den Berechnungen nach am heutigen Tag Baustellen mit Aufgrabungen neu eröffnet haben sollten.
Wie ich zum Urban-Loritz-Platz hingehe, fällt mir auf: ich habe mich im Datum geirrt! Ich habe alles auf den 15.9 berechnet, heute war aber der 14.9.! Kurz ärgere ich mich über den Fehler, aber weil ich zu faul war, wieder zurückzugehen und alles nochmals neu zu berechnen, denke ich mir: „is ja wurscht! Wenn morgen die Baustelle eröffnet wird – vielleicht kann man schon heute etwas sehen.“
Ich gehe weiter und – tatsächlich! - ich erreiche den Urban-Loritz-Platz und da stehen Tafeln: „Baustelle, halten verboten, gültig ab 15.9.“ Zuerst lächle ich ungläubig und weiß noch nicht recht, ob es Zufall ist oder nicht. Ich gehe mit dem Stadtplan in der Hand zur nächsten Stelle, wo meine imaginäre Linie eine Gasse kreuzt (was sich in den Gebäuden an Umbauten für den 15.9. abgespielt hat, konnte ich natürlich nicht überprüfen) und tatsächlich!: da steht eine Halteverbotstafel, gültig ab 15.9. und daneben ein abgezäuntes Areal mit Bauhütte, Rohren und ähnlichem Material. Jetzt bin ich schon etwas aufgeregt und mein Herz klopft. Ich will die ganze Schilderung abkürzen: als ich fast ganz unten bei der Wienzeile bin, hatte ich schon sechs oder sieben solcher Baustellen mit Schildern gültig ab 15.9. exakt auf „meiner“ Linie gefunden. Dort unten gibt es noch die kleine Fallgasse, die nur ein kurzes Stück zur Wienzeile geht, und ich schaue so von Weitem in die Gasse und sehe nichts von einer Baustelle. Ich denke: „es genügt schon! Ich dreh jetzt um, ich bin schon müde.“ Dann gehe ich doch noch rein in die Fallgasse und finde ein Straßenschild: Baustelle; Halten verboten; gültig ab 15.9.
Jetzt zittern mir die Knie und ich stehe wohl unter einer Art leichten Schock; ich reiße mich zusammen und schaffe es noch über den Wienfluß in den fünten Bezirk zu gehen – immer der Linie folgend – und nach zwei weiteren Baustellenankündigungen für 15.9. reicht es mir und ich breche erschöpft meine Expedition ab. Ich war jetzt erschüttert und tief getroffen, daß ich einen Blick in die Gesetzmäßigkeiten und in die Tiefendimension der uns umgebenden Wirklichkeit machen durfte. Ich betone nochmals: diese astrologische Methode, die ich da angewendet habe, ist ausschließlich von Wolfgang Döbereiner und sonst niemandem.
Insoferne hatte ich kein Problem, Döbereiners Aussage über sich, er sei ein Genie, wie es nur alle zweitausend Jahre gibt, ohne Zynismus ernst zu nehmen und nicht als Hybris, sondern als nüchterne Einschätzung der Tatsachen zu akzeptieren.

Ich werde aber auch nie vergessen, wie er in seinen Seminaren herumgebrüllt hat und ich voller Angst drinnen sitzend kaum den Kopf zu heben wagte, oder noch vorher, bei meiner ersten persönlichen Begegnung mit ihm, wie ich, den Termin zur Beratung wahrnehmend, seine Praxis betreten habe – so in der Vorstellung, ich werde jetzt jemandem begegnen, der – wie Moses z.B. - tatsächlich die Gesetze des Himmels herunterholen kann und sie mir – auf meine Situation gewendet – auslegen kann und dadurch mit entsprechender Ehrfurcht und Angst, mit Herzklopfen und Aufregung – wie er also dann – mit den Kopf auf mich deutend – zu seiner Frau sagte: „Was is denn des da!“ Bei der Beratung selber – so behaupte ich – ist einiges schief gegangen, obwohl ich es dieser Beratung verdanke, daß ich mein abgebrochenes Studium dann abgeschlossen habe. Aber dennoch habe ich – eingeschüchtert – wohl „tapfer gegen das eigene Empfinden“ falsche Lebensentscheidungen getroffen. (Wobei klar ist, daß es in meiner Verantwortung liegt, mich ihm so ausgeliefert zu haben). Diese Beratung hatte auch bewirkt, daß ich die Malerei aufgegeben und - wenn auch erst ein paar Jahre später - alle meine Bilder und Zeichnungen zerrissen und verbrannt habe.
Ja, mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen.

©Peter Rumpf 2014 peter_rumpf_at@yahoo.de