Mittwoch, 31. März 2010

55 Ohne Titel

Das Hauptthema zur Zeit scheinen die Mißbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu sein. Bei allen Fällen sexuellen Mißbrauchs wird eine hohe Dunkelziffer vermutet, deshalb ist es schwer abzuschätzen, wie viele solche Fälle es innerhalb und außerhalb der Kirche gibt. Trotzdem kommt mir vor, daß die Fälle außerhalb in der veröffentlichten Meinung vergleichsweise vernachlässigt werden. Viele attackieren nur die Kirche – ist auch einfacher, weil diese Fälle unter der Überschrift „Kirche“ subsumiert werden können. Es scheint so, daß viele aus der Kirche austreten wollen. Alles verständlich, aber wie kommt es, daß eine Zeitung voll von Berichten und Kommentaren zu den Mißbrauchsfällen in der Kirche ist und in der gleichen Ausgabe gibt es eine Kritik des Woody-Allen-Konzerts in Wien ohne sein - formulieren wir es vorsichtig - Anstreifen an dieses Thema zu erwähnen? Und der Fall Polanski? Alle seine Unterstützer in seinem Prozeß haben auch so viel (unangebrachtes) Verständnis für klerikale Täter? Und regen sich nicht auf, falls die Kirche Schweigegeld an die Opfer gezahlt hätte? Oder boykottieren die angeblichen Kinderschützer jetzt alle Polanski- und Woody-Allen-Filme? Oder betreten nicht mehr das Museum für angewandte Kunst, weil dort Otto-Mühl-Bilder ausgestellt wurden? Oder zahlen keine ORF-Gebühr mehr, bis der ORF keine Filme von Kinderschändern mehr zeigt? Oder fordern die Streichung sämtlicher Steuergelder fürs Museum der Angewandten, bis das bereinigt ist? Und fordern eine Kommission zur Aufklärung der direkten und indirekten Billigung und Förderung der Fälle bei Mühl durch die Kunst- und Kulturszene (wegschauen, wegdiskutieren, ein bißchen sympathisieren)?
Es ist auch die Forderung nach Kündigung des Konkordats aufgetaucht. Natürlich kann das Konkordat in Diskussion stehen. Aber mir ist ein Fall aus meiner Heimat bekannt, wo ein deutscher Tourist einen dreizehnjährigen Buben mißbraucht hat. Müssen wir jetzt den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland fordern? Und von wegen Vertuschung in der Kirche – glaubt ihr im Ernst, daß der Fremdenverkehrsverein mit den Tourismusbetrieben der Region großes Interesse gehabt hätte, diesen Fall aufkommen zu lassen und die Gäste aus der Partnerstadt zu irritieren? Und sich wegen der „psychischen Probleme“ eines Dreizehnjährigen ihre Geschäfte stören zu lassen?
Bei den Kindesmißbrauchsfällen in der Kirche kommt in der Tat der Verrat an der Transzendenz erschwerend hinzu. Pfarrer Schermann schlägt laut Medienberichten einen außerkirchlichen Atheisten als Opferbeauftragten vor. Ich verstehe schon das Anliegen: es soll jemand sein, der absolut außerhalb des Beziehungsgeflechts Kirche und ihrer Hierarchie steht, damit er von ihr nicht unter Druck gesetzt werden kann und um überhaupt unangebrachte Rücksichtnahmen von vornherein zu verhindern. Ich denke zwar, daß ein Gläubiger vom Evangelium her für die Opfer noch rücksichtsloser kämpfen könnte; und überhaupt sind Rückgrat und Unbestechlichkeit eher persönlichkeitsbezogene Charakterhaltungen als so einfach weltanschaulich ableitbar. Aber das Anliegen kann man verstehen. Ich frage mich nur, ob jemand – egal welcher Weltanschauung – der keinen Sinn für Transzendenz hat – ich lasse den Begriff bewußt so vage und mehrdeutig stehen – das Ausmaß an Verrat dem Himmel, dem Nichtdualen gegenüber ermessen kann, wenn einer ein Kind, das ihm anvertraut ist, um ihm zu helfen, oft gegen den Spott der Welt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen seinen dualen und nichtdualen Anteilen zu finden, wenn also einer solch ein Kind sexuell belästigt und sich an der Energie, die er beim Kind aufwühlt, gierig weidet. Auch wenn nicht alle Fälle Vergewaltigungen im strengen Wortsinn sind, eine Vergewaltigung der von den aufgewirbelten Empfindungen und losgetretenen Emotionen überforderten Seele des Kindes ist das allemal. Damit dreht er die Lebensrichtung des Kindes vom Nichtdualen weg in die Verstrickung einer Dualität, für die es noch nicht reif oder überhaupt nicht geeignet ist.
Aber das gilt eigentlich wieder für alle solche Mißbrauchsfälle. Mein Eindruck bleibt, daß in den Medien mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Und es stellt sich die Frage: wird die Kirche angegriffen, weil und insoferne sie Verbrechen begeht und deckt und damit auch ihren Transzendenzauftrag verrät, oder wird sie angegriffen, weil sie die Transzendenz vertritt oder vertreten will oder vertreten soll? Im zweiten Fall würde ich sie verteidigen.

©Peter Rumpf,2010 peter_rumpf_at@yahoo.de

Dienstag, 2. März 2010

54 sich schämen

Eine Abtreibungsambulanz wirbt in einer U-Bahnstation mit folgendem Text:


„Es kann jeder Frau passieren, dass sie ungewollt schwanger wird. Wir sind aber nicht verpflichtet, uns dafür zu schämen“
Eine Patientin


Da kann man nur sagen: ja richtig, keine Frau muß sich wegen einer ungewollten Schwangerschaft schämen. Und? Wer verlangt das? Und was hat das mit Abtreibung zu tun?
Da merkt man schon, wie bei diesem Thema herumgebogen werden muß. Denn wenn man sich einer Schwangerschaft nicht schämt, dann braucht man schon gar nicht abtreiben.


Peter Rumpf, 2.3. 2010 peter_rumpf_at@yahoo.de