Donnerstag, 30. März 2023

3153 Schlackern

 



10:03 a.m. In mir geht etwas auf: die Sonne, eine Erkenntnis, das Dasein, die Alltagswelt – ich weiß es nicht. Oder Trauer und Schmerz – die Sache ist ergebnisoffen und situationselastisch. Mir fällt ein, meine verkrampfte linke Hand zu lockern – und das am frühen Morgen – gut so! Ich lauere erwartungsvoll. In meinem Inneren schlackert es. Ich verliere meine Konzentration, mein Geist zappelt herum. Seufzen. Gähnen. Atmen. Ist’s edler im Gemüt … ich fühle mich trotzdem irgendwie dumm. Ich verstehe nichts. Meine Kunstkarten im Regal hüpfen beim Lidschlag meiner juckenden Augen. Ich muß auf mein Smartphone schauen, obwohl es gar nicht gedüdelt hat. Ich gehe nicht aufs Facebook. Ich bin stolz auf meine Selbstbeherrschung (man gönnt sich ja sonst nichts). Ein leichtes Ziehen und Zucken um meinen Mund. Der schwarze Rabe schaukelt heute viel dezenter als gestern. Boah! Ich kann vorm Weltgericht nicht bestehen! Ich habe mich noch nicht entschieden, wer das Weltgericht ist. Wird das jetzt eine Farce? Gut, vielleicht kann ich dann leichter aufstehen.




(30.3.2023)

©Peter Alois Rumpf März 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3152 Umhorchen

 



2:59 a.m. Das ist kein guter Tag geworden – innerseelisch. Ich wanke, aber ich falle nicht. Ich atme die Irritation aus. Ich löse meine verkrampfte linke Hand, die sonst den Weg zu meinem Herzen sperrt. So weit, so gut. Vor Müdigkeit beginnen schon die Zimmerwände aufzuweichen und sich zu wellen. Aber ich will noch nicht schlafen. Ich will mich noch umschauen und umhorchen. Vielleicht zeigt sich etwas. Vielleicht macht sich etwas bemerkbar. Vielleicht entdecke ich etwas.




(30.3.2023)

©Peter Alois Rumpf März 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 29. März 2023

3151 Mein schwarzer Geselle

 

9:58 a.m.  Der schwarze Holzrabe schaukelt für seine Verhältnisse, will sagen: für den geringen Spielraum, den ihm seine Aufhängung läßt, recht wild und abrupt im Aufwind über dem Heizkörper hin und her und bewegt sogar seine ausgebreiteten Flügel sanft auf und ab – wenn letzteres keine optische Täuschung ist, die aus seiner leichten Drehbewegung um seine vertikale Achse kommt. Aber schon toll! Wenn ich länger hinschaue, kann ich es kaum glauben, dass es bei dieser Performance mit rein natürlichen Mitteln zugeht. Ich gebe zu, mein Gemüt neigt zu einer ständig auflauernden Wundersucht. Oh! Jetzt hat der schwarze Geselle auch seinen Schwanz bewegt, der Holzrabe stößt sich immer wieder von der Rollo hinter ihm ab und versucht loszufliegen. Auf zur Sonne, zur Freiheit! Es ist ganz offensichtlich: mein hölzener Rabe mit dem falsch designten gelben Schnabel will davonfliegen. Ja! Du darfst! Ich fange dich nicht ein. Ich mach dir das Fenster auf, aber nicht das hier in den finsteren Lichtschacht, denn der ist oben vergittert; ich leite dich dann ins Atelier und mache dort die Oberlichte in den Hof auf; da kannst du davonfliegen.

Ich schieße mit meinem neuen Smartphone ein Photo  und stelle es in die „Familienfreizeit“. Das ist meine neuestes Vergnügen. Ganz belebt bin ich von diesen neuen Möglichkeiten der Weltgestaltung und gar nicht mehr depressiv und arbeite mich in eine regelrechte Munterkeit hinein. Oder … siehe oben.

Nun aber kann ich die Aura meines Holzraben sehen, das zuckend schimmernde weißliche Licht, das seinen holzigen Körper umgibt. Ich betrachte dieses Geschehen aufmerksam und gebannt im Halbdunkel des Zimmers, das schwarze Gestaltlein mit seiner weißbläulichen Aura ruckelt und zuckelt hin und her; der Vogel bewegt sich so lebhaft, so lebendig, so lebensecht. Was passiert jetzt? Lösen sich die einzelnen Holzteile von einander? Wollen sie sich als Einzelne befreien? Mir kommt vor, der gelbe Schnabel übernimmt jetzt die Führung über die vereinzelte, locker assoziierte Truppe.

Jetzt meldet sich der Hunger und will mich zu einem Frühstück überreden. Ungern verlasse ich die magische Holzrabenshow, aber mein Körper ist stärker als mein Geist.

 

(29.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3150 Im Katscheli

 

Wo bin ich? Im Katscheli. Bei Kakao. Draußen schneibelt es. Typisch Frühfrühling. Am Heimweg dann nicht das Druckerpapier einkaufen vergessen. Noch zwei ältere Herren sitzen hier. Angenehme altjazzige Barmusik aus den ungesehenen Lautsprechern. Sonst ist es ganz ruhig. Ich habe mich gestern unverbindlich erkundigt, wie man/frau (brav! brav!) in die Grazer Autorinnen Autorenversammlung aufgenommen werden kann und prompt eine sehr freundliche, informative und einfühlende Antwort erhalten. Und heute habe ich beim Schreiben große Hemmungen. Soll ich auf meinen Beitrittsantrag verzichten? Verunsichert mich schon jetzt die dann berechtigte Beruf(ung)sbezeichnung „Autor“? Verliere ich dann die Unbekümmertheit und Unbefangenheit des Eigenbrötlers am Abstellgleis, wo ich mich um nichts scheißen brauche und rücksichtslos vor mich hinschreiben kann? Oder kommt das eklatante Absinken meiner Schreibwut noch aus dem Kaffeeentzug? Meine Schreiberei ein Produkt aus Kaffeedrogensucht mit ihrer weinerlichen Nervösität (die sich als Sensibilität ausgeben will)? Und jetzt, wo auch die Plagen und Schmerzen des Entzugs vorbei sind, alles flach?

Machen wir einmal ein Photo mit meinem neuen Smartphone (ich hatte noch „Handy“ geschrieben!) und schicken es in die „Familienfreizeit“; mein Herumsitzen im Café ist somit dokumentiert. Die Sonne kommt heraus und scheint herein. Ich gehe.

Übrigens: „Einfühlende Antwort“, weil ich darauf hingewiesen wurde, dass sich die Aufnahmejury ändert und manche erst beim zweiten Versuch aufgenommen werden.

 

(28.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 24. März 2023

3149 Kein Landeplatz

 

10:12 a.m.  Ich habe mich im Bett aufgesetzt und hocke schon eine Zeit lang da und lasse die Gedanken schweifen. Die kreisen und finden keinen Landeplatz. So kann keine Geschichte, kein Text zustandekommen. Ein bißchen verheddern sich die Gedanken jetzt bei Erinnerungen meiner sozialen Ungeschicktheit - um es freundlich auszudrücken. Dort kristallisiert sich etwas aus, bevor es sich doch wieder vorzeitig auflöst. Um sich dann an einer neuen Stelle zu einer Geschichte oder einer Erkenntnis zusammenzubrauen, die sich jedoch wieder vorzeitig auflöst.

Wenn ich Musiktheorie gelernt hätte, könnte ich vielleicht mein Surren in den Ohren endlich umfassend und genau beschreiben, aber mir fehlen die musikalischen Kenntnisse und Begriffe. So kann ich lediglich sagen, dass es ein monoton dahinfließender Strom an Tönen ist, der sich aber in sich – wenn man genau hinhört – als ein recht polyphones, variantenreiches, komplexes Geschehen erweist. Wie jeder Fluß. Ich lasse mich mit verschränkten Händen in diesen Strom versinken, werde jedoch immer wieder an die Oberfläche getrieben. Ich weiß nicht beim wievielten Mal hochkommen offenbart sich mir plötzlich mein Zimmer und ich kann es klar und deutlich und gut sehen. Ich scheine in der Gegenwart angekommen zu sein.

 

(24.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3148 Kein schlechtes Leben

 

2:20 a.m.  Ich habe ja kein schlechtes Leben: trotz allem kann ich lachen und mich freuen. Ich habe mein wenn auch bescheidenes so doch ein Auskommen. Ich bin reich an Büchern, Bildern und an Musik, an Phantasie und Geschichten, habe Verstand und Witz, habe ein passables Gleichgewicht zwischen Gemeinschaft (Familie) und erquickendem Alleinsein gefunden. Ich hungere nicht und habe ein trockenes Zimmer. Ich habe meinen Spaß mit dem Internet und und und. Und dennoch: wenn ich alles abdrehe und mich zur Ruhe begebe, wenn ich in mich hineinhorche: immer steigt da in mir das Empfinden auf, nutzlos und gescheitert zu sein. Der Gedanke „ich bin ein Versager“ lauert ständig im Hintergrund, auch wenn er nicht nach vorne kommt. Manchmal steigt das langsam hoch wie ein unauffällig wirkendes Gift, manchmal sucht es mich plötzlich in voller Wucht und mit voller Gewalt heim. In mich hineinhorchen heißt diese elendige Suppe vorfinden. Etwas anderes scheint es in meiner Seele nicht zu geben.

Hinter meine Augen hat sich ein Druck gelegt, der meinen Blick abzudrängen scheint und ihn trübe macht. Jetzt kribbelt es deutlich und heftig auf meiner Stirn, da wo das dritte Auge sitzt. Dann überfällt mich wie aus dem Nichts blanke, blinde Wut. Dann beruhige ich mich wieder. Meine Hände zittern noch. Aber ich sehe jetzt klarer. Jetzt vibrieren meine Lippen und werden von einem zuckendem Ziehen umschlossen. Jetzt merke ich, wie müde ich bin.

 

(24.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 23. März 2023

3147 Hannakenbrunnen

 

Bald werde ich an einem der schönsten Plätze Wiens, nämlich herunten unter Maria am Gestade sitzen und mich fragen, ob es denn darum geht, vom Ufer aus ins beruhigende Wasser zu schauen (das es da realiter gar nicht mehr gibt), oder nicht eher darum, endlich an ein festes Ufer zu schwimmen.

In Wirklichkeit sitze ich im Wartezimmer der Zahnambulanz und ja! - ich bin herspaziert, zu Fuß, wie es der Name verspricht. Der diskrete Charme der staatsnahen Verwaltung. Der Wanduhr nach müßte ich in sechs Minuten drankommen, aber das wird sich nicht ausgehen. (Nachtrag: Doch! Diesmal pünktlich drangekommen.) Die Bildschirmuhr geht falsch – ich mag diese Screenerei sowieso nicht. Die Wanddekoration – seitlich photographiertes Gras – ist bemüht und es gibt wahrlich Hässlicheres. Und die aktuellen Botschaften am Infoscreen – ich kann es nicht vermeiden, dass mich eine Bewegung am Bildschirm an der Wand hinschauen läßt – sind zirka drei Jahre alt: Abstandregeln in der Pandemie, bevorstehende Einführung von ELGA („was man spricht, das ist man selber, sagt die Tante (H)Elga!“ „Was die Tante Elga spricht, nein, das int’ressiert mich nicht“). Zehn Minuten ist die Bildschirmzeitanzeige hinten; der Wetterbericht ist vom 15.10.2020. Der Vogel am Bildschirm befreit sich schon seit Jahren aus dem Käfig und startet doch immer wieder dortselbst von Neuem. Mundschutzreisen – wenn man am Bildschirm gerade den Übergang von Info zu Werbung erwischt. So! Schluß! Ich bereite mich seelisch auf die Zahnbehandlung vor. Ich schwitze unter der Maske, die hier noch vorgeschrieben ist.

Jetzt steh ich an Marias Gestade (ich dachte, das heißt herunten Passauerplatz) beim trockenen Brunnen, weil keine Sitzbank frei ist und schaue den steinernen Fischern zu, wie sie einen der ihren retten („steinern“ – schaut eher wie gegossen aus). (Nachtrag: Oh! Ganz falsch! Hannakenbrunnen: ganz andere Geschichte!). Das Gesicht der einen Figur schaut irgendwie aus, aber wie? Einerseits in seine „Arbeit“ vertieft, sachlich, aber auch – andrerseits – wenn es denn überhaupt eine andere Seite ist – ein wenig desinteressiert, gleichgültig. Jedenfalls sehr ernsthafte Männer, alle drei. Kein Geschrei! Kein Ausnahmezustand, als wäre diese Rettung alltäglich. (Nachtrag: ganz so falsch bin ich nicht gelegen, weil in alten Zeiten an dieser Stelle ein Bader residiert haben soll, genannt Hannakenkönig, der nächtlichen Passanten in der Dunkelheit Prügeln vor die Füße werfen hat lassen, damit er dann an der Kurierung der Verletzten verdienen konnte!) Ein Hund ist auch dabei und ein umgestürzter Krug, aus dem eine Flüssigkeit rinnt. Im wasserleeren Brunnenbecken liegen unzählige Pistazienschalen. Ziemlich porös die Männer vom Brunnen! Ich spöttel so herum, aber irgendwie gefällt mir der Brunnen, oder ist es der Platz, der mich so nachsichtig und weichherzig macht?

Nun sitze ich auf der Stiege zur Kirche rauf und schaue hinunter zum Brunnen. Aus dieser Entfernung fallen mir erst die Fischköpfe auf, die ganz blöd dreinschauen und aus denen im Sommer Wasser sprudeln wird (werden wir genug Wasser dafür haben?).

Jetzt habe ich eine freie Bank gefunden, die vielleicht etwas unglücklich steht (wenn auch regengeschützt). Mittagsläuten. Der Platz ist wirklich sehr schön, aber der Mistkübel stört enorm. Dieses überdesignte Zeug kann und will sich nicht ins Ambiente einfügen, muß auffallen und alles rundherum dominieren. Da ist mir die Dominanz des Glockengeläutes eindeutig lieber. Die Passanten – beruflich und touristisch – alles gelungene Leute, scheint mir. Wer macht dann diese Mistkübel? Eine Taube setzt sich auf den Kopf der zentralen Figur. Der Staub, der Dreck und die Verwitterung tun den Brunnengestalten gut. Der metallene Mistkübel stört hier so besonders, weil der Platz autofrei ist und gegen die Straße und deren Blechverkehr durch ein Mäuerchen abgegrenzt und geschützt.

Anscheinend kommen wieder die blau-weiß gestreiften Latzhosen auf. Heute schon die zweite.

Nun sitze ich auf einer anderen Bank näher am Brunnen, wo ich den unseligen Mistkübel fast im Rücken habe und fast ignorieren kann, dafür liegen auf den Bodenplatten zwei Meter vor mir zwei Hundstrümmerl (die DNA aller Hunde in der Stadt sollte registriert sein und jedes Hundstrümmerl auf den Verursacher rückführbar und ordentlich bestraft werden!). Okay, man kann nicht alles haben. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich hier will und die Sonne scheint mir auf meine lichtscheue Glatze. Aufstehen! Die ein wenig runtergerutschte Hose hochziehen und Abmarsch.

 

(23.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. März 2023

3146 Hinten nach

 

7:59 a.m.  Aus einem schrecklichen Traum von Verirrung und Überforderung aufgewacht – ich habe ihn gerade in meinem Traumbuch zu notieren versucht – fühle ich mich schrecklich und obwohl er schon zirka eine halbe Stunde her ist, fühle ich mich noch ganz elend. „Elend“ passt, weil ohne Geld und ausreichende Sprachkenntnisse in Frankreich – im Traum. Es war nicht mal ich selbst, der dort sein wollte: es war eine Gruppe, mit der ich mit bin – ich weiß nicht wieso – die so verantwortungslos agiert hat. Ganz langsam beruhige ich mich, aber nicht ganz: der Schrecken ist noch immer da. Die Welt ist für mich viel zu kompliziert, unverständlich und viel zu schnell – ich komme nicht mit, bin immer hinten nach, nie verstehe ich die Situation und was läuft. Ich tappe ständig nur im Unverstandenen herum. Auch mein liebes, kleines Zimmer starrt mich ganz fremd an.

 

(22.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3145 Halt bei den Knöcheln

 

1:51 a.m.  Bitte zu verstehen, dass ich so langsam lese; aber ich lese langsam, weil ich nicht schnell bin. Manchmal aber zu schnell. Eigentlich öfters zu schnell. Im Schreiben bin ich langsam. Und wenn ich schnell sein will, dann kann ich’s nicht mehr lesen.

Also die paar Zeilen haben mich aus meiner Schwermut geholt und ich darf innerlich lachen. Ach! Wie ist das Leben ein Spaß! Ein Spaß von 10:30 in der Früh bis zum Abend so gegen Mitternacht. Ein Spaß nach dem andern Spaß spaziert im Spalier. Eine verpharene Situation! Ja wirklich: Ich lache mit dem Bauch. Jetzt. Aber nur kurz. Sehr kurz. Ich glaube, es waren drei Bauchlachstöße. Ich habe vergessen mitzuzählen. Möglicherweise vier. Oder doch nur drei.

Jetzt lach ich nicht mehr. Jetzt zieht es um den Mund und ein automatischer Gähnmechanismus reißt ihn mir auf. Das innerliche Lachen ist nun tiefer gerutscht und vibriert mir die Beine: Oberschenkel, Unterschenkel. Halt bei den Knöcheln.

 

(22.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 21. März 2023

3144 Immer wieder Sätze

 

2:51 a.m.  Ich habe mich zu Bett begeben und hocke noch da und will meine unsägliche Trauer – ich weiß nicht – genießen oder loswerden. Meine Surrerei spielt verrückt und überschlägt sich sogar. Vielleicht kommt meine Trauer gar nicht aus der Vergangenheit, sondern aus meiner Gegenwart? Oder gar aus meiner Zukunft?

 

10:33 a.m.  Die üblichen Morgenängste. Ich seufze sie langsam raus – hoffe ich. Und nun die Trauer, meine liebe Lebenstrauer. Das Zimmer habe ich noch verdunkelt, aber mit dem Weiterschlafen wird wohl nichts mehr. Mein Geist (hatte mich vertippt: „Gast“) meandert herum bei Katastrophen, Krimis, meiner Vergangenheit und persönlichen, meine Zukunft betreffenden Dystopien. Kein Mensch ist illegal. Es sind immer wieder Sätze, an denen ich mich aufzurichten versuche. Aber jetzt genügt mir das Hocken im Bett; aufstehen will ich noch gar nicht. Das an sich monotone Surren wirkt etwas verstört. Ist das die Auflösung, die immer mehr um sich greift und mich erfasst? Eine meiner schlimmsten Untergangsphantasien ist, von der Polizei zu Tode geprügelt zu werden. Darum ist mir der Satz „kein Mensch ist illegal“ eingefallen, damit ich im Untergang nicht auch noch einsehe, dass mir das eh zu recht angetan wird. Der Hunger meldet sich: das ist gut: so werde ich nun doch bald aufstehen und für mich sorgen.

 

(21.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3143 Moderat

 

7:55 a.m.  Im Dunkeln liege ich hier im Bett wie im neunzehnten Jahrhundert. Sobald ich das Leselicht aufdrehe, stimmt das nicht mehr. Die Stadt und ihr Leben legen – hier immer noch moderat – los. Ich niese in der kalten Luft, während im Lichtschacht eine Lüftung losheult. Bald wird die Heizung anspringen. Vom Niesen habe ich noch Tränen in den Augen. Ich gehe zurück in die randbelichtete Dunkelheit.

 

(20.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3142 Eine halbe Stunde

 

14:06  Nun sitze ich im hellen Wohnzimmer, das allmählich sonniger und sonniger wird, auf der bequemen Couch; in der Küche der Topf mit Linsen und der Topf mit der Gemüsesuppe, die ich aufgestellt habe. Der Reistopf steht schon warm in einem großen Badetuch eingewickelt unter dem Tisch. Die vielen Pflanzen oben und herunten habe ich bereits gegossen. Das geballte, von der gegenüberliegenden Häuserfront hergeworfene und ein wenig gestreute Sonnenlicht an den Fensterscheiben der Nordostseite blendet mich fast. Mein Samstagkreuzworträtsel auf der letzten Seite des Spektrums habe ich gelöst und ich wäre bereit zu lesen. Aber etwas hält mich zurück. Etwas will noch ans schöne Tageslicht. An manchen Stellen erstrahlt die Wohnzimmerwand in wunderbarem hellen Weiß, noch nicht direkt von der Sonne beschienen, aber erfasst von einer anderen, fast eigenständig erscheinenden Helligkeit, deren lichtphysikalische Logik mir nicht klar ist. Aber das heißt nicht viel. Mein stärkender Kräutertee (ich verrate nicht, was er stärkt) wird auch bald genügend abgekühlt und trinkbereit sein. Ich bin ganz allein zu Hause. Es ist so still (das Zischeln der Kochtöpfe ist in die Stille integriert). Unsägliches will sich offenbaren; die Membran dazwischen scheint nur mehr ganz dünn zu sein. Noch zerreißt sie nicht. Ich bin immer so verdammt knapp dran! Den kaputten Dreiradler der Tageskinder habe ich schon vorher zu reparieren versucht; wir werden sehen, ob die Verleimung gelungen ist. Die und die Küchenarbeit fallen mir noch ein. Das Essen sollte bald fertig sein. Eine halbe Stunde noch?

 

(14.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 17. März 2023

3141 Fassen

 

7:34 a.m.  Es rauscht eine Lüftungsanlage im Lichtschacht und vielleicht auch ein wenig die Stadt weiter draußen. Meine Ohren surren schrill dazu.

7:42 a.m.  Diese zwei Sätze geben die letzten acht Minuten kaum wieder; ich habe angestrengt versucht, mehr zu derpacken und in die Sprache zu bringen. Der größere Inhalt ist in den Lücken, in dem was fehlt, in dem zwischen den Zeilen, Sätzen, Wörtern, Aussagen. Ich habe darum gerungen, die Geräusche, die in dieser Stille hier so laut sind, die äußeren und die inneren, genauer und deutlicher zu fassen, aber diese Dichte habe ich nicht in Worte bringen können. Wenn ich hineinhorche, werde die Geräusche im umfassender, komplexer, lebendiger, eigenständiger, immer zwingender. Die Interferenzen klingen manchmal wie fernes Glockengeläut. Die Augen fallen mir zu. Mein Surren schreit geradezu in den höchsten Frequenzen.

 

(17.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3140 Fußsohlen

 

1:55 a.m.  Ich zieh mir eine Geschichte nach der anderen rein. Vermutlich weil ich meine eigene nicht mehr anschauen kann. So bleibe ich halbwegs stabil. In den Nächten ist es noch saukalt. Ich habe es gewußt: wenn ich das Laptop mit seinen Meldungen, Erzählungen, Diskussionen, Aufregern, Anregern und Krimis heruntergefahren und zugeklappt habe, wenn ich im Bett dann das Buch weggelegt habe, dann kommt die Trauer den Körper herauf und der Schmerz in die Seele. Undefinierte Wellen gehen undeutlich, aber spürbar über mich hinweg und durch mich hindurch. Kommen sie aus den Fußsohlen, wie es jetzt scheint? Oder ist deren Abstrahlung eine Reaktion auf die Wellen? Ich bin so müde.

 

(17.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3139 Kleine Wanderung

 

14:06  (die Zeitangabe ist mir anscheinend schon zum Zwang geworden.) Als ich heute aufgewacht bin, hatte ich das Bild eines Aussichtsplatzes vor mir, den ich jahrelang nicht mehr besucht hatte, und so sitze ich jetzt hinterm Kobenzl am Abhang des Latisberges und blicke durch die Gitter eines Geländers in die östliche Weite bis zu den Kleinen Karpaten. Freilich: ganz entspricht die äußere Wirklichkeit da drüben nicht meinem inneren Bild, aber so ungefähr kommt es hin. Ganz grob. Die Sonne im Rücken und von der Höhenstraße kommt – wie immer – ein ekelhafter Autolärm (dass das Aufblasen des Egos = αυτός immer so viel Lärm braucht!). Die Senke vor mir im Vorfrühling; will sagen: die Wiesen sind zumeist noch braun und die Bäume kahl. Knospen könnte es schon geben. Der Wind, wenn er herkommt, ist sanft und kalt. Sehr kalt für den warmen Tag. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Das Gitter ist an meiner Stelle etwas deppert; will sagen: unnötig verschnörkselt und überkandidelt, an anderen Stellen ist es schlicht und man sähe besser durch. Die Senke vor mir, mit ihren Hängen und Leiten, ihren Wäldchen und Baumreihen, ihren Wiesen und Weingärten beruhigt mein Auge und berührt mein Herz. Schönes Licht liegt auf den vornehmlich grauen Baumstämmen und die kahlen Bäume mit ihrem kahlen Geäst strahlen zur Sonne zurück und zu mir her. Ohne den sinnlosen Autolärm wäre es hier richtig schön. Die Ferne verliert sich im Dunst, die Bergrücken der Slowakei sind bloß eine niedrige, vernebelte Begrenzung für den Blick, sanft und unaufdringlich. Unzählige Windräder stehen elegisch in der Ebene und hinter dem gegenüberliegenden Hügel der Senke schimmert eine Reihe weißer Betonbauten hervor.

14:50  Jetzt blicke ich Richtung Süden auf die Stadt. Ich bin nämlich zur Bellevuewiese gewandert, dem schönsten Platz am Rande Wiens. Die Stadt glitzert von unter herauf; die Weite, die sich dem Blick öffnet, ist atemberaubend (ich seufze tief), die Luft in der Nähe noch klar und sonnig, in der Ferne dunstig. Hinterm Prater kommt ein wenig Donau (die Zweite) zum Vorschein. Im Weingarten vor mir am Abhang zur Stadt ackert ein Traktor (ich gebe zu: genaugenommen weiß ich nicht, was er tatsächlich macht). Ich suche unten den Stephansdom und finde ihn schnell (jetzt bleibt mein Blick am scharfen, tiefen, dunklen und transzendierenden Schatten meines Pilotstiftes hängen, während eine Krähe vier Mal ruft). Viele heraufglitzernde Stellen da unten in der Stadt. Hunde sausen hin und her und queren mein Blickfeld. Japaner (ich habe sie an der Sprache erkannt) photographieren (ich habe heute keine Lust, Photos zu machen, obwohl es ein herrlicher Tag mit herrlichem Licht ist). Drei deutsche Frauen (ich habe sie an der Sprache erkannt) in dicken, gesteppten Wintermänteln gehen und reden. Es ist moderat warm, aber der Schatten und vor allem der Wind ist kalt. Drei Uhr Läuten. Ich werde das Schlagen der Turmuhren und das Läuten der Glocken immer lieben. Im Südwesten die Hügeln und Berge des Wienerwaldes und in der Ferne der Schneeberg. Von hier ist die Stadt so schön und vielversprechend. Ich gehe weiter. Zunächst noch zur Freud’schen Traumstelle.

 

(16.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3138 Hell

 

9:53 a.m.  Ohne Licht. Es ist hell genug, ohne Leselampe schreiben zu können. Draußen muß die Sonne scheinen, von der man hier in meiner abgelegenen Kemenate nichts sieht. Was ist jetzt los? Plötzlich und wie aus dem Nichts steigt eine heftige Traurigkeit auf. Freilich: sie kommt in echt nicht aus dem Nichts; sie war schon immer da und hatte sich nur ein wenig in den Hintergrund zurückgezogen. Ich lasse sie zu. Ich kann ihr richtiggehend zuschauen, wie sie in meinem Körper aufsteigt und immer mehr Regionen befällt. Was heißt „befällt“!? - wie immer mehr Regionen ihren abgespeicherten Schmerz auslassen. Offenbaren sozusagen. Darum verhindere ich es nicht. Das Zentrum ist die Körpermitte. Jetzt beginnt das Ganze wieder zu verebben. „verebben“ ist nicht das richtige Wort, denn die Flut steigt noch und hat das Herz, und dann den Mund erreicht – ich merke es am Ziehen der Muskel um den Mund – aber die Stärke und Schärfe nehmen ab. Ein tiefer Seufzer. Mein Blick wird klarer. Die Helligkeit hilft.

 

(16.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3137 Ein tiefer Seufzer

 

2:41 a.m.  Was jetzt? Ein tiefer Seufzer, dann atme ich flach weiter. Ich schaue etwas am Handy nach, dann gähne ich. Es ist spät und höchste Schlafenszeit. Wer sagt das eigentlich? Mein linkes Ohr tut immer etwas exzentrisch; jetzt juckt es, manchmal zieht es und das Surren arbeitet auch dort am stärksten. Mein Geist ist irgendwie unentschlossen und zaudernd, meine Wahrnehmung träge. Die betrachteten Gegenstände verfremden sich. Meine Seele schläft vielleicht schon.

 

(16.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3136 Nicht unklug

 

10:41 a.m.  Mein Aufwachen, das sich schon länger hinzieht – mindestens eine Stunde – war heute ein wenig befremdlich: körperlich nicht richtig fest und wankend, meine Seele von starken Empfindungen überschwemmt, die jedoch von keinen Bildern, keinen Assoziationen begleitet waren. Ein wenig in bildloser Trance. Dabei habe ich meine Tagesplanung hinbekommen und das nicht unklug.

 

(14.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 13. März 2023

3135 Gänseblümchen

 

Im Park sind die Wiesen ziemlich vertrocknet und neben einigen Grasbüscheln kommen höchstens ein paar Gänseblümchen hervor. Die schwache laue Brise schaukelt die herabhängende rechte obere Ecke eines zu einem Viertel abgerissenen kommunistischen Plakats. Ein paar Studenten und Innen knotzen herum; eine träge, müde Atmosphäre; Mittagspause. Hof neun. Ein alter Mann mit grauen Haaren und verzweifeltem Gesicht läßt seinen Kopf hängen, blickt nur zu Boden und schlendert beinah so ganz still und in sich gekehrt, richtig zurückgenommen vorbei. Eine Frau bettelt mich an, aber ich gebe nichts. Ich habe nichts mehr zu geben. Ich packe mein Zeugs zusammen, stehe auf und gehe. In die Therapie.

 

(13.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3134 Marktflecken

 

8:39 a.m.  Das Wort „Marktflecken“, das mir so im Einschlafen-Aufwachen in den Sinn gekommen ist, nachdem ich der Katz unten ihr Fressen gemacht und mich heroben wieder hingelegt hatte, hat ein ungewöhnlich heftiges Gefühl in mir ausgelöst, das ich gar nicht recht beschreiben kann: eine Gemisch aus Trauer und Sehnsucht vielleicht, die mich fast zum Weinen brachte. Ich war sehr erstaunt und versuchte, dem auf den Grund zu gehen, aber sehr weit bin ich damit nicht gekommen. Dass es etwas aus der Kindheit ist, ist klar. Ein Gefühl aus der Kindheit, ganz, ganz stark. Ich rufe meinen Heimatort Irdning vor mein inneres Auge und ja, es muß mit ihm zu tun haben. Außerdem taucht immer eine vage Erinnerung an eine Schulfunksendung auf. Als die Welt noch in Ordnung war? Aber die Welt war für mich damals nicht in Ordnung. Schmerz über die verlorene Zugehörigkeit oder über die nie erlangte? Oder eine Mischung aus beiden? Oder als mein Leben noch voller Hoffnungen war? Oder übersichtlicher? Marktflecken. Hm. Geht es um Idylle? Ich komme nicht dahinter und mein Geist staunt, dass so ein nebensächliches Wort ein so strarkes Empfinden auslösen kann. Vielleicht war es ein Satz über einen Marktflecken in einer Radiosendung, oder eine Geschichte, eine Sage. Was ist passiert? Ich komme nicht dahinter. Hat es mit meiner Ministrantenzeit zu tun? Das war für mich keine schlechte Zeit: ich hatte eine leidlich angesehene Funktion, man war mit mir zufrieden und ich bekam viel Wertschätzung von der Pfarre. Marktflecken. Hm. So richtig geht das alles nicht auf: der entscheidende Punkt fehlt; der Kern der Geschichte entgeht mir. Marktflecken. Schon wohnen am Land mit Wiesen und Wäldern.

9:52 a.m.  Die erste Klasse Volksschule im modernen Neubau assoziiere ich noch und das Bild eines sauberen, modernen Milchgeschäfts im Schulbuch. Bekommt der Marktflecken idealmütterliche Züge? Geh bitte!

11:55 a.m. Sauber, rein und trotzdem ein Flecken? Das Problem der unbefleckten-befleckten Empfängnis? Marktflecken. Hm. Ich weiß nicht ...

 

(13.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3133 Heutzutage

 

1:28 a.m.  Ich habe mich mit ausholenden Bewegungen innerlich eingerollt. Ein bißchen grantig so vor mich hin. Die Farbe, in der ich schreibe, ist an der Grenze. Der letzte Krimi spielt noch in meiner Seele, aber ich bin zu müde um mitzuspielen. Ein Lektor hat einmal vor Jahren im Radio gesagt: „Ein Schriftsteller heutzutage muß in der Lage sein …“ - da hat es mich nicht mehr interessiert.

 

(13.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 12. März 2023

3132 Notwendiges Statement

 

Ein gewisser (oder ungewisser) Alexxawar Bierbrauer schreibt mir in mehreren PIN-Nachrichten, ich wäre russophob, weil ich mich auf Facebook immer wieder entschieden gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine ausgesprochen und Beiträge, die diesen Überfall rechtfertigen oder relativieren, in meinem Sinne kommentiert und Beiträge, die dieser meiner Haltung entsprechen, geteilt habe. Er unterstellt mir, dass ich Russen für Untermenschen halte, dass ich ein eindimensionales Weltbild hätte, unserer Staatspropaganda - so nennt er es - eigenartig, wo die österreichischen Politiker und Wirtschaftsbosse dem Putin doch reihenweise in den Arsch gekrochen sind - auf den Leim gegangen wäre und einiges andere. Der gute Mann - Mann, das nehm ich an - hat von mir keine Ahnung. Ich hätte mich eher als russophil bezeichnet, eher in diese Richtung blind. Ich habe jahrelang - wenn auch nicht als tragender, sondern mitlaufender Sänger - mit Freuden und gerne im kleinen deutschsprachigen russisch-orthodoxen Kirchenchor in Wien gesungen, weil ich die byzantinische Liturgie, der ich schon in meiner Jugend begegnet bin - allerdings in einem griechisch-katholischen Gottesdienst - ihre Gesänge, ihre mystische Aura - im Gegensatz zum pädagogisierten westlichen Gottesdienst - ihre Prachtentfaltung - an der auch jeder Arme ohne Eintrittsgeld teilhaben kann - so geliebt habe. Ich liebe einiges der russischen Literatur - ich gebe zu, ich kenne nur wenig - aber Daniil Charms wird immer zu meinen Lieblingsdichtern gehören. Sein Satz "Einst aß Orlov zuviel Erbsenbrei und starb" und der ganze Text bringt mich immer zum Lachen als Parodie auf das Schicksalgeringe bei Dostojewski, den ich natürlich auch verschlungen habe. Und sein erster Satz in "Die neuen Bergsteiger" wird für mich für alle Zeiten der lustigste, beste erste Satz der Weltliteratur (gut, gut - soweit ich sie kenne) sein, noch dazu, wo er mein Lebensmotto sein könnte: "Bibikov erstieg einen Berg, fiel in Gedanken und stürzte ab". Ich liebe viele Filme des Moskauer Gorki-Instituts und besonders die Märchenfilme des Alexander Rou aus den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, und "Warwara krasa" ist für mich der schönste Märchenfilm aller Zeiten, hoch, hoch über den zeitgleichen Disneydreck, weil dieser Film wirklich märchenhaft ist, voller Poesie, psychologisch wahr und ohne Kitsch. Meine Kinder sind mit diesen Märchenfilmen aufgewachsen. Nein, russophob war ich nicht, eher russophil - was ich erst jetzt - also wahrlich verspätet! - in Frage stelle. Die Liebe zu Charms und den erwähnten Filmen werde ich sicher nicht aufgeben, aber Russland und vor allem seine Kirche viel, viel kritischer sehen als vorher; genauer: ich singe nicht mehr im Chor und will nichts mehr mit der russisch-orthodoxen Kirche zu tun haben. Und für die Angst vor Russland (Russophobie) gibt es für Ukrainer, Polen, Balten und all die anderen Nachbarn gute Gründe und das nicht erst seit heute: der russische Imperialismus ist nicht besser als irgend ein anderer.

 

(10.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3131 Urknall

 

7:17 a.m.  Die weißliche Aura meines Holzraben war mir kurz sichtbar. Kalt ist es noch in meiner Kemenate. Mein Schauen und Schreiben ist steckengeblieben. Kein Gedankenlärm ist in mir, nur das reine Surren. Aber ich würde mich täuschen, wenn da nicht plötzlich vor meinem inneren Auge ein Gerät fürs Sehen mit dem dritten Auge aufgetaucht und wieder verschwunden ist; etwas wie eine Brille für das andere Sehen. Eine ernsthafte Stimme spricht irgendetwas  über „beeinflußen“. Meine geträumte Frau lacht mich aus deswegen. Japan können wir im Moment links liegen lassen. Ich lockere meine verkrampfte linke Hand und beschließe weiterzuschlafen.

9:58 a.m.  Der Urknall macht sexualbefreit – habe ich drüben gelernt. Jausner (c/o Peter Hodina) ißt sein Frühstück – alles Wahrheiten von drüben. Die umgedrehten Töpfe stehen traurig in der Ecke – auch drüben gesehen. Im Drüben fischen – ein Satz von mir hier. Hiroshima mon hamour (!) – von drüben.

 

(10.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3130 Gedichte

 

2:07 a.m.  Gedichte können so schön sein: ihre Trauer nimmt die meine mit. Die reden dann angeregt miteinander, tauschen sich aus und freuen sich.

 

(10.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3129 Ich mit meinem Ego beim Mosbacher

 

Im Belvedere 21 zur Eröffnung von Alois Mosbacher – hinauf zur Eröffnung in den ersten Stock darf ich nicht – weil keine persönliche Einladung – so wie es ausschaut. Später dann darf auch die Unterschicht hinein. Immerhin. Wobei das hier – wenn ich die Wartenden so betrachte – eine sehr gebildete Unterschicht ist. Jenes war früher nicht so – kommt mir vor. Aber vielleicht trügt meine Erinnerung. Ich kann mich jedoch an eine Vernissage in der Secession erinnern, wo ich fast in den amerikanischen Außenminister gestolpert bin – ich hoffe nicht, dass wegen mir die Zutritte  zu Vernissagen so rigide eingeschränkt wurden. Sicher: früher gab’s auf Vernissagen immer auch ein paar Trankler, die wegen des Gratisweins und eventuell auch der Brötchen wegen gekommen sind. Na und?! Es ist niemandem ein Stein aus der Krone gefallen oder ist in den Konkurs gegangen, weil ein paar Arme mitgenommen wurden. Damit es kein Mißverständnis gibt: ich brauche keinen Wein und keine Brötchen. Ich hätte nur gerne die Eröffnung mit allem Drum und Dran verfolgt. Friede den Hütten! Krieg den Palästen! Auch den künstlichen!

Ist mein narzisstischer Grant noch eine Auswirkung meines Kaffeeentzugs? Ist er denn gar ungerecht? Ich laufe mit meiner Zöpfchenfrisur, dem Ziegenbart und der dekorierten Baskenmütze ja als (Künstler)Karikatur herum – jetzt sehe ich einen, der ähnlich unterwegs zu sein scheint, aber viel eleganter, gestylter und mit gepflegterem Bart und Haaren, sodass sein Stil vermutlich gar keine Karikatur sein soll, sondern mit unbewußter Absicht – will sagen: er hat das Problem, dass er nicht weiß, dass er eine Karikatur ist. Wurscht! Ich gebe zu: ich beneide den ein wenig; ich glaube, er kann sich ernst nehmen.

Viele alte und ältere Frauen sind hier – ist das des Künstlers Gefolgschaft? Auch darum empfinde ich Neid. Wo bleibt meine Gefolgschaft? Alles verloren! Ich aarmer schwaarzer Kaater!!! Das nächste Mal lege ich mir zu so einem Anlass meinen schwarzen Anzug und eine Krawatte an. Ich warte immer noch unten auf den Einlass. Die Eingangshalle füllt sich immer mehr. Das wartende Publikum wird immer edler und edler, dass ich mich immer deplatzierter fühle; das schon vor dem Einlass zur Ausstellung. Ich kann nicht glauben, dass das alles massa damnata ist! Sogar Prominente (oder kommen schon die ersten von oben herunter?) Bin ich gar auf der Seite der Erlösten geraten? Unabsichtlich! Kenne ich mich da aus? Weiß ich, wie man sich in diesen Kreisen benimmt? Halte ich es da aus? Auf der Toilette riecht es wirklich gut nach irgendwelchen Südfrüchten. Ich habe schon Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Der Zugang für das Volk wird geöffnet. Jetzt bin ich oben und sehe alte Freunde aus meiner Künstlerzeit – die dürften schon bei der geschlossenen Veranstaltung dabei gewesen sein. Zuerst habe ich wegen der unterstellten Verweigerung des Zutritts zur Eröffnung losgeschleimt – jetzt stehe ich mitten in einer ganz normalen Vernissage, höre den Reden zu und habe vom Stehen schon Kreuzschmerzen. Ich höre: Bildbiotop, denke gegen den Vortragenden dass defrichieren legitim ist, weil hinter allem die Unendlichkeit ist und das Problem lediglich darin besteht, dass wir allem eine falsche Aura verpassen; aber hinter dieser falschen Aura ist nicht nichts, sondern alles. Ich höre das Wort Palinops – ein gutes Wort! Ein guter Begriff! Vor allem im Zusammenhang mit Schauen und Sehen.

Wenn das jetzt die richtige Vernissage mit Brot und Wein ist, was war das vorher? Naja, ich wäre schon gern dabei gewesen, wie der Mosbacher seine künstlerische Arbeit erklärt hat; das hätte mich interessiert. Naja, man muß sich seine Zugehörigkeit auch verdienen.

Und soll ich jetzt den ganzen Text streichen, da ich offensichtlich nicht das wirkliche Geschehen hier beschreibe, sondern meine Projektionen? Nein, ich lasse den Text mit all seinen falschen Annahmen und Unterstellungen, denn es werden ja meine Ängste, meine Enttäuschungen, meine Kleinlichkeiten meiner verkrampften Seele so schön sichtbar und wie man etwas eine falsche Aura verpasst – will sagen: wie man sich in seine frustgesteuerte Gedankenwelt hineinsteigern kann und dann nicht mehr in der Lage ist, zu sehen was ist, sondern nur mehr die selbstgezüchteten Dämonen. Nur soviel bin ich in der Lage auszusagen: die Ausstellung ist wirklich sehenswert. Grüße an Mosbacher und „a jeds gwaundt, wos a steira trogg, is a steiragwaundt!“

(9.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 9. März 2023

3128 Der oder das

 

7:25 a.m.  Meine Lebensgeister erwachen wieder. Der Entzug scheint im Großen und Ganzen vorbei zu sein. Ich bin – zumindest körperlich – die Kaffeesucht los. Ganz traue ich dem Frieden noch nicht, aber ich wage aufzuatmen. Obwohl ich jetzt ganz müde bin, spüre ich eine neue Frische und eine größere seelische Freiheit. Große Worte in aller Herrgottsfrüh! Ich staune. Ich werde noch ein wenig schlafen und träumen, ernsthaft.

10:21 a.m.  Ein Sturm fegt über Wien. Ich höre ihn in meiner abgedunkelten Kemenate.

11:17 a.m. Ich ziehe das Rollo hoch und sehe im Dachbodenfenster hoch oben gegenüber einen Kran seinen Kranarm in der Spiegelung durch-drehen und wieder verschwinden und wundere mich, wie sich das physikalisch ausgehen soll, da der Kran im Nachbarhof steht und meinem physikalischem Gefühl (!) nach nicht im richtigen Winkel um gespiegelt zu werden; bei allem, was ich über Himmelrichtungen und die Geographie dieses Ortes weiß. Aber in diesem Fall glaube ich nicht an ein Wunder, sondern zweifle eher meine physikalisch-geographische Einschätzung an.

Ich beuge mich an meinem Schreibtisch ganz vor und kann so ein winziges Stück des vergitterten Himmels erkennen und sehe, wie der Sturm die Wolken vorbeijagt und so wechseln die Lichtverhältnisse in meinem Zimmer in schneller Abfolge. Ich starte das Laptop und frage nach, welches  Geschlecht Laptop im Deutschen hat (der oder das – beides ist erlaubt) und ob beim Selbstreinigungsprogramm des Geschirrspülers Reinigungstabs verwendet werden (ja).

 

(9.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3127 Schlußphase

 

1:39 a.m.  Gottseidank: mein Geist war auf Reisen, aber ließ sich dabei von einem Roman führen. Jetzt tut er sich schwer zurückzukommen. Man kann sagen: ich habe gelesen, wie ich als Kind gelesen habe: völlig in den Roman eingetaucht. Ich habe das Buch weggelegt und es bleibt ein komischer Nachgeschmack im Mund und meinem Bewußtsein taugt es nicht, wieder hier sein zu müssen. Mein Entzug scheint in die Schlußphase gekommen zu sein; die Schmerzen scheinen sich zu normalisieren, nur die linke Gesichtshälfte bleibt – vorallem ums Ohr herum – irgendwie letz. Das Ziehen um den Mund kannte ich schon früher.

 

(9.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3126 Besseres Thema

 

8:23 a.m.  Seit gut zwanzig Minuten bin ich wach, habe die Katze gestreichelt, ihr unten das Futter bereitet und bin jetzt wieder ins Bett zurückgekehrt (natürlich: Wasser lassen und Tee trinken gehörte auch dazu). Am stärksten spüre ich meinen Entzug in der Herzgegend und – eigenartigerweise – im Kreuz. Soweit mein erster Bericht heute.

Ich stoppe meinen umherschweifenden Geist und verbiete ihm, sich mit dem Münchner Affenarsch (will sagen Wolfgang Döbereiner) und wie ich ihm antworten hätte sollen zu beschäftigen. Aber er gehorcht nicht. Tief, tief rutsche ich in die Chose hinein. Ich strample wie der berühmte Frosch im Milchtopf, aber vergeblich. Ich bleibe in der Schreibhockposition, mit dem Notizbuch auf den angezogenen Oberschenkeln, lege den Pilotstift ab, schließe die Augen und stecke jetzt auch die Arme unter die Decke und warte auf ein besseres Thema, eine Inspiration, eine Erleuchtung meinetwegen.

9:53 a.m.  Oh! Was stelle ich fest?!?: ich liege flach und höre unten die Tageskinder heimkommen; die Katze springt aufs Bett und ich bin erwacht.

 

(8.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 7. März 2023

3125 Entzug II

 

7:56 a.m.  Das graue Morgenlicht, das von jenseits der Mauern kommt, staut sich beim Fenster. Mein Kaffeeentzug arbeitet zur Zeit mit Muskel- und Gliederschmerzen und Druck am Herzen. Wie  beruhigend meine kleine bunte Welt von unter der Decke aus ist! Die Heizung springt an; ich höre ihr Gurgeln. Eine Lüftungsanlage im Lichtschacht rauscht und surrt gemeinsam mit dem in meinen Ohren. Whow! Was für eine optische Dichte beim Regal! Jetzt muß ich sie nur mehr in meinen Text bringen. Oder die akustische. Das äußere Rauschen hat soeben aufgehört. Mein Körper will sich strecken und dehnen – ist das schon der erste Erfolg des Entzugs? Mir kommt vor, dass ich das schon lange nicht mehr verspürt habe. Mein schmerzender Nacken macht es mir unmöglich, noch länger in dieser meiner Lieblingsposition zu bleiben.

Also bin ich aufgestanden und ohne Frühstück in den Augarten walken gegangen (laufen darf ich wegen meines kaputten Rückens nicht). Eine Runde, immerhin. Danach ging es mir etwas besser. Später dann wieder von neuem die Entzugsschmerzen. Ein heißes Bad mit anschließender Kaltdusche hat wieder etwas Linderung gebracht. Zwischendurch weiß ich nicht mehr, warum ich mir das antue.

 

(7.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3124 Polsterschlacht

 

1:11 a.m.  Lachend lege ich den Roman von Romain Gary „Die Jagd nach dem Blau“ für heute weg  - es geht um einen verliebten Vierzehnjährigen – und bereite mich zum Schlafen. In meiner hockenden Lese- und Schreibstellung im Bett pflege ich mir zwei größere, dicke Pölster (für meine deutschen Freunde: Kissen) in den Rücken zu stopfen. Ich nehme jetzt den oberen der zwei und stelle ihn an die Wand links neben die zwei anderen Pölster, die ich zurzeit beim Lesen nicht brauche: einen größeren, aber sehr dünnen – ein Geschenk meiner jüngeren Tochter noch aus ihrer Schulzeit mit einem von ihr gestalteten Druck (oder Batik) – einer Schneeflocke nicht unähnlich – vielleicht ein schulgebasteltes Weihnachtsgeschenk – und auf der Rückseite beschriftet mit „Papas Schnarchplatz“ – und den anderen, kleineren mit dem handmade Überzug aus Mexiko (Vogel, Hase und ein Tier, das ich nicht zuordnen kann, in rot), den ich zum Schlafen verwende. Links neben die zwei übereinander gelehnten, kleinen stelle ich jetzt also den ersten dicken Rückenpolster hin. Dann nehme ich den kleinen, mexikanischen Schlafpolster, den ich jedoch für meine erste Phase des Einschlafens, die ich am Rücken liegend verbringe, noch nicht brauche – während der Nacht werde ich dann diesen Polster unter meinen Kopf ziehen, mich nach rechts drehen, das linke Bein anziehen, das rechte ausgestreckt lassen, die linke Hand unter den Rand des mexikanischen Polster stecken und die rechte auf mein linkes Knie legen und so erst richtig weiterschlafen – und positioniere jetzt, vor der ersten Einschlafphase den mexikanischen auf der linken Seite ans Nachtkästchen gelehnt, dann nehme ich den zweiten, dicken Rückenpolster, den ich auch beim Lesen als Rückenlehne benutzt habe und lege ihn auf Papas-Schnarchplatz-Polster. Dann drehe ich das Licht ab und lege ich mich selbst auf den Rücken und mir fällt ein: ich könnte dieses Polsterarragement und seine wechselhafte Dramatik beschreiben. Ich drehe das Licht wieder auf und vollführe die Polsterarbeit im Rückwärtsgang – mit der Ausnahme, dass ich das mexikanische Pölsterchen neben dem Nachtkastl lasse – zum Schreiben brauch ich die zwei dicken Pölster im Rücken. So. Erledigt. Jetzt nochmals die ganze Geschichte sozusagen geradeaus, will sagen: die Pölster wieder in die Erste-Phase-Einschlaf-Position; genauer: drei Pölster rechts, der mexikanische Schlafpolster links, Licht aus und ich kann mich flach legen. Erwähnen sollte ich noch: mein „links-rechts“ bezieht sich auf meine Schreib- Lese- und Schlafposition; wenn mit den Pölstern arbeite, habe ich mich freilich umgedreht und dann sind links und rechts eigentlich andersrum.

 

(7.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 6. März 2023

3123 Zu faul zum Schneuzen

 

Mit meiner phrygischen Mütze, den Zöpfen und dem Kinnbart schaue ich wie ein kuschitischer Krieger aus, der im Hof 9 auf der Parkbank rastet. „Es ist genug für alle da“ sagt ein Plakat. Ach, meine Kämpfe! Ich muß lachen! Eher wie bei Don Quixote als wie ein Kuschit. Ein wenig Sonne kommt durch, während meine Nase rinnt. Zu faul zum Schneuzen ziehe ich meinen Rotz auf, bis mir das zu blöd wird. Das dafür abgelegte Notizbuch verblättert mir sofort der Wind – der hat darauf gewartet – vorher ist er mir nicht aufgefallen! Wieder ein bißchen Sonne, die sich aber bald wieder hinter einer Wolke vernebelt - Decke über den Kopf – ich kann das verstehen. Die Menschen wollen den Winter vorbei – da bin ich mir recht sicher. Selbst einem Jahreszeitenfan wie mich, der die Abfolge Frühling, Sommer, Herbst und Winter nicht missen möchte, reicht es jetzt (wie immer um diese Zeit). By the way: Im Volksschultheater war ich der Herbst. Frage: bin ich noch im Herbst meines Lebens oder schon im Winter? Oh! Die Wartezeit ist vergangen – ich bin auf Termin. Bald kann ich aufbrechen. Die Erntezeit ist vorbei – wenn, dann bestenfalls Spätherbst. Ein schwarzer Mann spricht mich an und sagt: „Keine Angst!“ und geht weiter.

 

(6.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3122 Allzuviel und Also

 

Heute habe ich mich in die erste Reihe an die Glasfront gesetzt. Die U6 fährt mir zwischen den Beinen durch (Richtung Siebenhüten – äh! - Siebenhirten). Beim Hergehen habe ich in den diversen Spiegelungen gesehen: ich schaue mit meine phrygischen Mütze, den Zöpfen und dem Kinnbart wie ein kuschitischer Krieger aus. Nein, wie ein babylonischer, nein, wie ein sumerischer – verdammt, ich weiß nicht mehr, wie die heißen, die ich meine! Allzuviel Zeit habe ich nicht. Der Entzug macht mir ein wenig Delirium  - ich muß gut aufpassen, wenn ich über die Straße gehe; ich schwanke beim Gehen und meine Wahrnehmung ist leicht gestört.

Ich habe mir doch einen Roman ausgeborgt. Eigentlich wollte ich ausschließlich bei den Farnen bleiben. Die Tauben fliegen herum. Ich bin terminnervös, also: auf in die Therapie.

 

(6.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3121 Es rauscht und klopft

 

7:34 a.m.

8:13 a.m.  Es rauscht und klopft auf sämtlichen Baustellen außen in der Nachbarschaft und inwendig in mir. Im Hals kratzt es vom Kräutertee, den ich trinke.

8:25 a.m.  Gott sei Dank: der Rabe schaukelt wieder; die Heizung funktioniert und es wird etwas wärmer werden hier in meiner Kemenate.

8:35 a.m.  Ich kämpfe Szenen meiner späten, zweiten Studienzeit durch und will sie mir zurechtrücken und das Damalige nachträglich verbessern. Das Manöver bleibt jedoch chaotisch und wirkungslos; ich habe nicht genug Distanz und Disziplin, die fremden Hinterlassenschaften und Ablagerungen zurückzugeben und mir meine verlorenen Energien zurückzuholen.

8:50 a.m.  Ich halte meine Hände immer noch unter der Bettdecke und habe keinerlei Impuls aufzustehen. Ich hocke im Bett an die Pölster gelehnt und wenn mein Körper diese Stellung stundenlang aushielte, würde ich stundenlang in dieser Stellung verbleiben. So angenehm ist sie meiner Seele.

9:03 a.m.  Ich mache ein Photo von meinem Zimmer exakt von meiner Betthockerposition aus und will es später auf Facebook unter dem Titel „so verbringe ich meine Vormittage“ posten. Mein Geist hatte sich wieder in der Döbereinerscheiße verfangen.

9:11 a.m. Jetzt beginnen die Entzugsmuskelschmerzen und das Ziehen um den Mund; noch leicht erträglich. Ich fürchte mich vor der Phase, wo es wirklich losgeht,

 

(6.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3120 Entzug

 

0:38 a.m.  Der Drogenentzug (Kaffee) bereitet mir die ersten Kopfschmerzen und Ungemach. Mein Wille schwächelt. Hände und Füße sind ganz kalt. Noch halte ich das Steuer in der Hand. Aber ich fürchte den kommenden Sturm. Wozu das Ganze überhaupt? Wie gesagt: mein Wille schwächelt.

 

(6.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 4. März 2023

3119 Der eigene Untergang

 

9:21 a.m.  Am Gang seltsame Winselgeräusche; mir ist unklar, ob von Mensch oder Tier. Alles ist denkmöglich. Mein Blick fällt zufällig auf den Freud im Regal. Ich muß innerlich lachen: hatte ich denn nicht den Plan, ihn vom Kopf auf die Füße zu stellen? Ich hab den Plan zwar irgendwo artikuliert und die Grundidee niedergeschrieben, aber jetzt – so scheint mir – glaub ich es mir selber nicht mehr. Meine Erfolglosigkeit beginnt auch schon mein eigenes Denken und mein eigenes Innenleben zu zersetzen. Immerhin habe ich heute Nacht beschlossen, mit der Kaffeesucht aufzuhören: radikaler Entzug ist angesagt. Ein wenig fürchte ich mich davor, aber meine Aggression ist stark genug.

Einsiedler hätte schon auch was gehabt: der eigene Untergang betrifft nur einen selbst; man zieht niemand mit in den Abgrund (die Familie hat einen schon vorher aufgegeben).

Ich habe immer noch die Illusion, dass nach meinem Tod meine Texte „entdeckt“ und herausgegeben werden. Dabei ärgere ich mich schon jetzt, wie in meine Texte eingegriffen werden wird und vermeintliche Fehler ausgebessert. Die meisten Fehler sind keine Fehler, auch die nicht, die offensichtlich scheinen! Es gibt in meinen Texten immer mindestens eine zweite klandestine Ebene, die sich manchmal als sogenannte „Fehler“ ausdrückt! Erschwerend kommt hinzu, dass es auch ein paar echte Fehler, die ich übersehen habe oder wo ich zu faul zum Ausbessern war, geben wird.

Ich fühle mich sogar von meinem Abgang überfordert. Ich kann nur hoffen, dass mit dem Tod wirklich alles Bewußtsein erlischt, was ich jedoch nicht glauben kann. Ich fürchte, dann als wütender Geist in den Randzonen der normalisierten Wirklichkeit ruhelos und zornig herumzuzischen.

Ach, meine linke Hand! Schon wieder verkrampft!

 

(4.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3118 Zaht an

 

2:09 a.m.  Ich schalte einen Gang höher. Mein geräumiges Raumschiff zaht an. Als Passagier merkt man es kaum. Nur über mein Ohrensurren wird es mir bemerkbar: der Sound ändert sich und wird höher. Reisender in Sachen Nichtigkeiten. Deswegen muß ich auch nicht an Türen klopfen und muß auch nicht anhalten, wenn ich nicht will. Eindeutig ein raumschiffiger Schlafwagen.

 

(4.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3117 Farne

 

23:22  Bei meiner Lektüre (Peter Hodina, „Spalier der Farne“) hauen mich immer wieder Sätze um. Was heißt umhauen! Sie strecken mich geradezu nieder! So zutreffend sind sie! Früge mich der Autor, welche Sätze das wären, ich antwortete: „FrongS mi net! De hob i scho längst wieda vagessn. Bei mia kummt ois in a ursuppn, die nit urig is und ah net wirkli ur.“ Ein Kessel unzerkaut gierig hinabgeschlucktes Unverdautes. Also mich könnt’s vergessen!

 

(3.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. März 2023

3116 Eheliches Einkaufen

 

Im Laufe einer längeren Ehe können sich leicht verschiedene Spielchen entwickeln – so auch bei uns. Mein Frau neigt dazu, alle fünf Minuten eine neue Idee zu haben (und ich zu übertreiben), von der sie begeistert ist und irgendwie erwartet sie – kommt mir vor – dass auch ich begeistert sein sollte und in begeisterten, zustimmenden Jubel ausbrechen. Ich aber kenne das Spiel schon und weiß, dass sie in fünf Minuten vielleicht alles ganz anders will – was mich nicht daran hindert, immer wieder darauf reinzufallen – aber ich habe mir angewöhnt, dazu ein undurchschaubares, tiefsinniges Gesicht aufzusetzen und eventuell noch ein undeutliches  „hm! hm!“ von mir zu geben mit ergebnisoffenem Ausdruck.

Heute waren wir wie so oft gemeinsam beim Hofer einkaufen. Das ist sowieso von vornherein spannungsgeladen, denn mein ideales Einkaufen ist: da! da! da! fertig und nichts wie raus. Für meine Frau ist das Freizeit und Erholung: sie gerät in Trance, schaut dies an und das an, nimmt es heraus, legt es wieder zurück, um nach ein paar Schritten umzukehren und es doch herauszunehmen und herumzutragen. Ich lade inzwischen die Sachen, von denen ich weiß, dass wir sie brauchen, in den Einkaufswagen und habe Mühe meine liebe Frau bei ihrem berauschten Tanz durch den Einkaufstempel wieder zu finden, auf dass sie ihre liebevoll umarmten Waren  - will sagen: sie trägt sie in den Armen umher - in das Wagerl legen kann. So weit – so üblich. Bei uns nimmt so ein Einkauf schnell Dimensionen eines Großeinkaufs an: es gilt, den Bedarf für eine Woche (oder wenigstens für eine halbe) von fünf Tageskindern zu besorgen; am Wochenende kann Besuch zu uns kommen: meine Frau hat fünf Kinder und drei Enkelkinder, Verwandtschaft … also unser supergroßer Supertrolley ist schnell voll. Ich leere vorm Einkaufengehen unsere Ikeatasche, die uns als hängender Papierkorb dient, im Hof unten aus, um für leichtere Sachen eine zusätzliche Transportmöglichkeit zu haben und diesmal haben wir auch noch – meine Anregung! - das Altglas aus dem Vorzimmer in seinem Sack mitgenommen, weil letzterer dann auch noch als Einkaufstasche genutzt werden kann. Ich stelle klar, dass wir kein Auto haben und zu Fuß unterwegs sind – alles jedoch in akzeptabler Entfernung. Auch diesmal wird der Einkaufwagen im Supermarkt sehr voll und zum Transport nach Hause benutzen wir Trolley – den zu ziehen ist mein Job – und die zwei Säcke, die mit leichterem Zeugs gefüllt, meine Frau trägt. Da ist es schon ein bißchen hin und her gegangen – nehme ich ihr eine Tasche ab? Nein? Ja? Nein! - sagt sie!

Wie so oft gibt es beim Hofer nicht immer alles und so bleiben auch heute ein paar Posten offen und dafür gehen wir zum Billa. Ich schlage meiner Frau am Heimweg vom Hofer vor, sie solle mir die Sachen, die sie noch braucht, auf einen Zettel schreiben und ich gehe gleich anschließend zum Billa – mein liebe Frau hat nach einer Fünftagewoche mit den Tageskindern, Praktikanten in Ausbildung, Praktikantennachbesprechung, Yogaunterricht etc etc eine anstrengende Woche hinter sich und hält heute Abend noch einen Yogakurs und hat morgen noch Weiterbildungstermine.

Jetzt geht das Spiel los: „Ach!“, sagt sie, „ich gehe gleich jetzt am Heimweg zum Billa rein“. „Mit zwei vollen Taschen umgehängt“, denke ich mir, „ich werde sie ihr dort einfach abnehmen, wenn ich dann auch wie ein Esel bepackt vorausgehe. Sagen tu ich jetzt nichts, um mir diese Hin-und-her-Diskussionen zu ersparen.“ Dann meint sie: „Nein, es ist doch gescheiter, wir bringen die Hoferlieferung zuerst nach Hause und gehen dann zum Billa, ich bin doch schon müde!“ „Gut“, sage ich, „ich mach das; schreib mir nur deine Waren auf.“

Zwischenbemerkung: Unsere Einkäufe sind zum Teil für uns und unsere Großfamilie und zum Teil für die Arbeitsstätte Tagesmutter – und dafür weiß nur meine Frau als Geschäftsführerin, was sie braucht. Ich möchte betonen, dass ich nicht der Trottel bin, der nicht weiß, was eingekauft werden muß – im Gegenteil: vor dem Tagesmutterjob meiner Frau hatte ich oft mehr Überblick darüber, was gebraucht wird, und auch jetzt ist es noch so, dass für manche Bereiche (Katze zB) ausschließlich ich zuständig bin und auch sonst kaufe ich immer wieder ergänzend Übersehenes ein. Wiewohl ich zugebe, dass ich – im Gegensatz zu früher – nur mehr ganz selten selber koche und ich somit auch einkaufsmäßig als selbständiger Einkäufer abgebaut habe. Zwischenbemerkung Ende.

Dann schlägt meine Frau vor, dass sie den Billa morgen macht. Ich lehne das ab, denn ich weiß schon, dass sie morgen Stress gehabt haben wird und erschöpft sein und zwischen ihren Terminen kaum Zeit. Außerdem befürchte ich dann morgen Nachmittag einen Anruf, dass sie es doch nicht schafft und ich dann sofort und in letzter Minute vor Ladenschluß aufspringen muß. Nachdem ich diese Variante abgelehnt habe, will sie mir einreden, dass wir jetzt alles nach Hause transportieren, wir uns dann ausrasten und wir (oder doch ich?) später zum Billa gehen. Da sage ich wirklich und entschieden „nein!“. Denn ich hasse es  - besonders im Winter – x-mal am Tag die Kleidung zu wechseln. Allein schon die Winterstiefel aufschnüren und dann weit genug Zunge und Lasche öffnen, dass ich herausschlüpfen kann, ist Schwerarbeit. Und das Hineinschlüpfen dann beim Wiederhinausgehen erst recht: die Schuhbandeln sind ungleich lang; ich muß beim Schnüren die richtigen Haken erwischen im dürsteren Vorzimmer mit der Lampe mit dem meinetwegen schönen, aber bescheuerten, die Birne umschließenden und so  lichtabsorbieren Lampenschirm … nein! Einmal am Tag rein in die Stiefel und einmal raus: das ist genug! Außerdem kann ich es nicht leiden, fünf Mal am Tag die bequeme, häusliche, zerfallende Rumrutschhose ausziehen und die Ausgehhose anlegen zu müssen und retour (das Hineinschlüpfen in die zerfallende Rumrutschhose ist eine besondere Hausforderung, denn ich muß sehr aufpassen, sie und ihre Nähte dabei mittels Zehennägel oder durch die angewandte Zugkraft nicht völlig zu zerlegen). Und die voluminöse zerfallende Winterjacke! Ist noch alles da, oder schon etwas durch die diversen Löcher gerutscht? Nein! Das ist Schwerarbeit, für die ich 50% meiner Tagesenergie verbrauchen muß. Nein! Kommt nicht in Frage. Ich gehe gleich anschließend zum Billa! Wenn ich schon mein Supermankostüm unter Stöhnen und Ächzen angezogen habe und somit außenweltbereit bin, dann will ich auch in einem Aufwaschen alle Supermantätigkeiten erledigen! Dann wieder nach Hause, raus aus diesen Klamotten und rauf in meine Kemenate!

 

(3.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3115 Creme


2:41 a.m. [Meine Hände riechen nach Creme. Ich glaube, das ist das erste Mal in meinem Erwachsenenleben (Ausnahme Sonnencreme), dass ich meine Hände …] alles durchgestrichen! Alles durchgestrichen – das ist ein Scheißanfang!

11:00 a.m.  Nach ziemlich genau acht Stunden Schlaf fällt mir nichts ein. Mir ist vorm Einschlafen um zirka drei Uhr früh auch schon nichts eingefallen. Und jetzt um 11:36 a.m. fällt mir immer noch nichts ein.

Ich schaue seit Monaten wieder auf die frankophone Schweizerin, die als Kunstkarte in meinem Bücherregal lehnt, und schon nach ein paar Sekunden wird sie recht plastisch und bewegt sich ganz leicht hin und her. Ihr Gesicht bleibt aus dieser Entfernung undeutlich, umso deutlicher die nackten Schultern und Oberarme. Der Busen bleibt verhüllt, aber es schaut so aus, als würde sie im nächsten Moment bereit sein, auf Anweisung des Malers ihr Hemd fallen zu lassen. Angeblich hat sie diesen Job aus Armut gemacht. Ich denke sie mir als eine sehr harte Frau; ihre Brüste hätte ich doch gern gesehen, weil ich Brüste einfach gerne anschau (Männer, vorallem je unreifer, sind sehr einfach gestrickt).

Ich habe seit elf Uhr schon mindestens dreimal meine verkrampfte linke Hand zu lockern versucht, aber immer wieder fällt sie mir in eine von unbewußten Kräften gesteuerte Verkrampfung. Das ist die Hand, an der ich mir vor vielen, vielen (ich rechne nach: vor 46 Jahren) Jahren an der Kreissäge den halben linken Daumen abgeschnitten habe. Kann sich das immer noch auswirken? Ich habe es doch damals tapfer und schnell akzeptiert.

Lieschen fällt mir ein; Lieschen, Lieschen und immer wieder Lies-chen und die gesellschaftlichen Platzanweiser von damals und von heute und das tut mir weh. Nimm und lies! Steh und geh! Na geeeh! Wer wird denn gleich so nachtragend sein! Auf zum Frühstück.

 

(3.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 2. März 2023

3114 Indoor

 

14:25.  Ein bißchen aufdringlich komme ich mir schon vor, weil ich mich zu den Tagis ins Wohnzimmer gesetzt habe. Die Kinder schauen mich Schreibenden verwundert an und reden mit Daniela über ihre Eltern, dass sie arbeiten und wann sie kommen. Dann kreisen sie mit ihren Indoordreiradlern (die eigentlich vier Räder haben; auch vorne beim Lenker zwei) in Wohnzimmer und Spielzimmer. Draußen scheint die Sonne vielversprechend. Die Kinder spielen gefährlich; will sagen: sie spielen, dass sie gefährliche Manöver mit ihren Rollern fahren und produzieren absichtliche „Unfälle“; will sagen: sie stürzen meist kontrolliert und absichtlich um. Erstaunlich wie sie miteinander auch bei diesen Manövern kooperieren.

Jetzt habe ich mich in die Küche in Küchenpersonalbereitschaft gesetzt, weil ich im professionell genutzten Wohnzimmer ja auch Anwesenheits- und Laienhaftigkeitsscheu hatte und im Pariastress schon wie auf Nadeln gesessen bin. Ja, so ist es besser: wenn an der Tür geläutet wird, springe ich auf und betätige den schlecht funktionierenden Türöffner – ein kleiner Rest meines angeborenen Petrusamtes, das ich mir hier als Wohnungsöffner für die Tageskindereltern und anderen Abholern einfach angemaßt habe – schließlich will ich auch ein wenig von Glanz und Glorie abkriegen, wenn auch nur als Neben-der-Sonne-Sitzer (ich hätte schon die Begabung und auch das Wissen, den Suchenden dabei zu helfen, durch die Himmelstür zu kommen; zumindest, ihnen ein paar Tipps dafür zu geben; oder zumindest zu helfen, ein paar Falschannahmen über das Himmelreich zu erkennen und aufzugeben). Der Geschirrspüler – die erste Tranche – ist eingeräumt und wird schon gespült. Ich hoffe, es geht sich geschirrmäßig mit nur einer zweiten aus.

Nun komme ich mir undankbar und ungerecht vor und mein Schreibfluß, mein Assoziationsfluß stocken, während mir der Rest vom Frühstückskaffee - ich trinke meine Kaffees immer schluckweise über Stunden verteilt – nicht mehr schmeckt.

 

(2.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3113 Lichtblick

 

9:57 a.m.  Ich sehe vom Bett aus durchs Fenster im Lichthof an der nordwestlichen Hauswand einen gegitterten Sonnenlichtfleck. Dieser animiert mich, mich aus meinen Tagesanbruchsphantasien zu lösen, deren Hauptthemen sex and crime sind: Sex noch aus einem Traum, wenn daselbst auch vergeblich und unerfüllt (respektive: unentleert), und Crime: mein Lieblingssujet: ich als unschuldig Verfolgter zu Unrecht im Gefängnis mit angehängter Größenwahnrettung (also was jetzt!?! Wird der Größenwahn gerettet oder läuft die Rettung in größenwahnsinnigem Modus ab?). Wie auch immer: ich grüße ehrfürchtig und dankbar dero Sonnen Lichtfleck, der immer weiter in den Oberlichtausschnitt rückt und damit größer wird: ein kleines, nicht ganz exaktes Rechteck mit vier vertikalen Schattenstreifen (die Form Trapez zu nennen wäre assoziationstechnisch und vorstellungsaufrufend irreführend). Mein Ablagenturm auf meinem Schreibtisch gibt sich heute lustig; wie mit einer verwuschelten Frisur. Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit bleibt jedoch der oberlichtige Sonnengruß (die Sonne grüßt mich!). Mir fällt ein, meine linke Hand entspannter zu halten. Vermutlich eine Schleifmaschine in der Umgegend übertönt tapfer und konsequent mein Ohrensurren. Bin gespannt, wie lange sie mithalten kann. Schon erstorben. Ich bin sicher, dass der Lichtfleck, der langsam in der Oberlichte nach rechts wandert, nicht direkt von der Sonne kommt, sondern über ein Dachbodenfenster gespiegelt wird. Die – vermutete – Schleiferei hebt in größerer Entfernung von Neuem an. Jetzt bemerke ich, dass ich die Zähne zusammenbeiße. So entspannt, wie es aussieht, ist es nicht, wie ich da im Bett – an sich recht gemütlich und warm – hocke. Der Lichtfleck hat den rechten Fensterrand erreicht und wird bald aus meinem Gesichtsfeld wandern. Eine undeutliche Erschütterung beginnt sich bemerkbar zu machen und verflüchtigt sich wieder. Der Lichtfleck ist von hier aus nur mehr zu zwei Drittel zu sehen und wird immer deformierter (wenn man die Rechtecksform als die normative nimmt). Ich korrigiere wieder meine linke Handhaltung um die Verkrampfung zu lösen, von der ich annehme, dass sie aufs Herz geht. Nur mehr ein ganz schmaler Streifen aus meiner Perspektive. Nur mehr ein schwacher Lichtschimmer, von dem ich mich zusehends (wörtlich!) frage, ob ich ihn mir nur mehr einbilde. Weg! Das Signal zum Aufbruch. Ich spiele mich noch eine wenig mit Kopfdrehen: wenn ich den Kopf ganz nach links fallen lasse, erhasche ich noch einen schwachen Lichtblick.

 

(2.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3112 Tiefgründigkeit

 

2:52 a.m.  Alle paar Minuten reißt sich mein Maul auf und gähnt. Gähnender Abgrund der Tiefgründigkeit. Kein Grund übermütig zu werden. Über Mut läßt sich trefflich streiten. Im Strettweger Streitwagen durch die Sankt Steiermark. Somit sind wir ans Ende der Assoziiererei gekommen, denn mit Steuermark will ich nicht weitermachen. Merkts enk des endli! Das Steuer gerade noch herumgerissen!

 

(2.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. März 2023

3111 Katscheli

 

Im Katscheli schaukelt sich mein Kaffeerausch hoch. Heute vermeide ich die Tageskinderabholzeit zu Hause, weil ich – jetzt! jetzt! - so traurig bin und ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ein Lied aus den Boxen hier im Lokal – ich vermute: Bonnie Prince Billy – läßt mir die Tränen innen aufsteigen, aber ich lasse sie nicht hinaus. Dabei fände ich Weinen in der Öffentlichkeit urcool! Ich merke: ich werde beim Herumschauen beobachtet – ich bin nicht der einzige Schauer hier. Vielleicht sehnt sich der andere Schauer auch nach der mystischen hinter der alltäglichen Wirklichkeit. Die Zeitungslektüre vorhin war hier optimal: Standard und Falter habe ich für meine Verhältnisse ausführlich, ungestört und ohne schlechtes Anwesenheitsgewissen gelesen. Zu Hause warten zwei Waschmaschinen Wäsche und zwei Geschirrspüler Geschirr – meine Aufgabe. Okay! Gehn wir heim. Am Rückweg einzukaufen nicht vergessen. Meine Frau braucht gemahlenen Zimt und ich das eine und das andere.

 

(1.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3110 Meine Eierlein

 

9:55 a.m.  Meine Eierlein sind etwas eingeklemmt, denn ich habe mich nach ungewöhnlicher und ungewöhnlich früher Laptopaktivität wieder ins Bett gelegt und gehockt und die Pyjamahose muß ich erst zurechtzupfen. Eigentlich bin ich voller Tatendrang, aber welche Taten? Staubsaugen zum Beispiel ist viel zu wenig heroisch und viel zu kompliziert. Weg damit! Allein schon der Gedanke daran verdirbt mir die Stimmung! Ausflug in eine der zwei Albertinas? In eines der drei Belvederes? Ins MAK? Ins Grüne (das noch nicht so wirklich grün ist)? In die Stadt um verschiedene anstehende Einkäufe zu erledigen? Kaffeehaus? Die sind meistens so enttäuschend: meine Erwartungen erfüllen sich nie an der Realität, an der gar nichts falsch sein muß. Mein Waschtag ist heute auch – aber erst ab Mittag, wenn die Tagis Mittag gegessen haben, weil ich die Mundabwischfetzerl dazu brauche, denn die müssen unbedingt heute gewaschen werden, sonst geht sich das mit frischen, sauberen Fetzerl bis zum Wochenende nicht aus. Zwei Geschirrspülermaschinen fallen sowieso täglich an.

Also gut: beginnen wir mit einem Frühstück. Nachher könnte ich die zwei Texte tippen und dann das neue Tokiokonzert der Red-Hot-Chili-Peppers anschauen, zum Beispiel, oder in Peter Hodinas „Spalier der Farne“ weiterlesen. Und nein! Die Katze beißt sich hier nicht in den Schwanz!

 

(1.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3109 Resumée? Naaa!

 

In einem Innenstadtkaffeehaus. Kaffee: nicht gerade eine Offenbarung. Mein üblicher Stress (darf ich überhaupt da sein?). Jetzt kommt auch schon langsam die Abendessenszeit (für die Kaffeehausgäste und ich nur bei Kaffee!). Dabei ist es eh relativ leer hier und jetzt. Die Kellner schauen sich ziemlich ähnlich. Draußen Dämmerung. Ich werde unruhig, ich will nach Hause. Ich zwinge mich noch zu bleiben. Ich betrachte und studiere einigermaßen professionell und sine ira et studio (also das schon) den Nacken einer Frau drei Häusl weiter; vier eigentlich und Sitznischen genau genommen. Ja und welche Profession das sein soll weiß ich auch nicht. Gibt es ein Resumée? Naaa! Meine Nervosität steigt. Bin schon zu lange hier. Das Zeitunglesen ist kein Vergnügen mehr; ich kann vor innerer Aufregung kaum etwas aufnehmen. Mein Sitznachbar eine Koje weiter steckt sein Handy an und lädt es auf Kaffeehauskosten auf (ich käme nie auf die Idee, so ein Ladekabel mitzuführen). Ich sollte gehen: den Kaffee austrinken, zahlen und hinaus. Mein Zimmer: das ist meine Klosterzelle (mit Familienanschluß und Wohngemeinschaft plus. Also alles was das Herz begehrt). Ich breche wirklich auf. An der Haltestelle muß ich neun Minuten auf die Straßenbahn warten. Ich schaue derweil auf die beleuchteten Fenster des Ringstraßenpalais hinauf. Ein vertraut befremdliches Gefühl weht mich an. Ich sehe nur die Plafonds der Büroräume, die superhell und modern ausgeleuchtet sind. Nur in einem Raum (oder zwei) scheint nur ein kleineres Licht zu leuchten, was den Neunzehnten-Jahrhundert-Charakter des Raumes betont, respektive zuläßt. Und das löst eine eigenartige Stimmung aus, als wäre ich in einen Traum geraten und befände mich in einer anderen Welt, die sich fast täuschend echt als unsere normale gibt.

Nun fahre ich zurück in mein Zimmer und zu meinen Wahrnehmungsstörungen am Bücherregal und an der Wand.

 

(28.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com