Dienstag, 31. Januar 2017

589 Dr. Strauch

oder wenn ein nicht-dualer Mensch lebenstüchtig und schlau sein will
oder mein stiller Verrat.


Das ist keine Geschichte über einen Arzt. Ich erzähle aus meinem Leben.
Wie alt ich war, weiß ich nicht mehr genau; ich schätze, so um die Fünfzehn. In der Schule hatte ich gerade eine schwere Krise. Meine masochistische Art zu lernen hat mir folgerichtig viele Mißerfolge beschert. In Latein zum Beispiel schrieb ich einen Fünfer nach dem anderen. Ich war beim Lernen zu verbissen, zu sehr von Angst gelähmt; ich konnte nicht spielerisch, frei, interessiert und unbefangen an den Stoff herangehen. Ich lernte viel, jedoch wirklich so, wie um mir zu beweisen, daß ich ein Versager bin – aufwendig, aber wörtlich sinn-los.

Also bekam ich in Latein Nachhilfe. In unserer Siedlung wohnten auch viele Professoren der höheren Lehranstalt für Landwirtschaft Raumberg, an der viele Söhne aus dem bäuerlichen Milieu im Internat wohnten, eine entsprechend auf Landwirtschaft ausgerichtete Ausbildung erhielten und mir Matura abschließen konnten. Dort unterrichtete auch Dr. Strauch. Bei ihm bekam ich Lateinnachhilfe. Er war – wie ich in unseren Gesprächen herausfand – ein reformorientierter Mensch; er erzählte von seiner Auffassung, die Gymnasien von den alten Bildungsvorstellungen und Bildungsinhalten zu entrümpeln und im Deutschunterricht die Sprachnormen mehr der wirklich gesprochenen Alltagssprache anzunähern. Er lobte die damaligen Reformversuche zur Chancengleichheit des Unterrichtsministers (vielleicht war ich doch schon älter!).
Ich war als leidenschaftlicher Musikboxhörer schon mit solchen Ideen bekannt, aber nur aus der Ferne, in meiner alltäglichen Wirklichkeit war ich von ganz anderen Werthaltungen und Lebensmodellen umgeben. So hatte das Gymnasium, das ich besuchte – und das in meinen ersten Jahren dort noch als Privatschule geführt wurde – noch Züge aus dem 19. Jahrhundert. Das war dann zur Zeit meiner Geschichte schon alles im Umbruch (wir wurden in der Oberstufe nicht mehr wie noch der Jahrgang vor uns gesiezt), aber es wehte noch dieser Wind und wir mußten uns zum Teil noch mit sehr strengen, beschimpfenden, manchmal handgreiflich werdenden Lehrern herumschlagen. In dieser Situation war ich als braver, gehorsamer Schüler tief im alten autoritären System verankert, aber gleichzeitig von diesen neuen Ideen – ich betone wieder: Musicbox! - fasziniert. Meine Haltung war ganz ambivalent, hin und her gerissen zwischen „das kann man nicht machen!“ und „whow!“, zwischen Loyalität zu und „Verrat“ an den Autoritäten.
Dieser Dr. Strauch war also für mich der erste leibhaftige Vertreter dieser neuen Richtung in so einer Position. Man, oder frau darf sich keine Illusionen machen – der wird schon auch ein Patriarch gewesen sein; so kam einmal seine Frau zu uns und bat meine Mutter, ihr heute unsere Tageszeitung zu überlassen, weil sie vergessen hatte, sie für ihren Mann zu besorgen, und weil ihr Mann deswegen dann sehr ungehalten werden würde. Meine Mutter konnte auch nicht nein sagen und so gab sie ihr die Zeitung; mir war das nicht recht, denn auch ich hatte mir angewöhnt, nach der Schule in der Zeitung zu blättern.

Ich ging also zu Dr. Strauch in die Lateinnachhilfe. Eine kleine Episode sei noch eingefügt, bevor ich zur eigentlichen Geschichte komme. Einmal, als ich zu Dr. Strauch ins Nachbarhaus gehe, hatte er an seinem Arbeitsort in Raumberg, ein paar Kilometer von uns entfernt, irgendetwas vergessen und er bat mich – um nicht zu sagen, er schaffte es mir an – mit dem Rad schnell hinzufahren und es zu holen. Gehorsam wie ich war trat ich die kurze Reise an – meine Mutter bekam das vom Fenster aus mit, fragte mich dann nachher aus und wurde über mich ungehalten, weil ich mich vom Lernen ablenken ließ und nicht auf die Einhaltung der Nachhilfestunde bestanden hatte. Das warf sie mir dann vor – ich aber radelte brav die steile Straße nach Raumberg hinauf und brachte das Gewünschte meinem Nachhilfelehrer. Beim Radfahren war ich ins Schwitzen geraten, aber dann, beim Lateinlernen und Übersetzen, gleich viel besser als sonst, weil ich viel lockerer und beweglicher und erfrischter war. Eigentlich hätte ich da kapieren können, daß mir mein dumpfes Lernen und Brüten nicht gut tut – ich glaube, ich hatte es sogar kapiert – aber meine angewöhnte Selbstverhinderung war stärker und ich hatte mein Verhalten nicht geändert.

Jedenfalls, einmal, vor einer Schularbeit, gibt mit Dr. Strauch einen Text zu übersetzen und mir fällt auf, daß mir viele Vokabel bekannt vorkommen, denn genau die sind wir in der Schule am Vormittag im Lateinunterricht im Hinblick auf die anstehende Schularbeit durchgegangen.

Nun ist zu sagen, daß unser Lateinprofessor – auch einer der alten Schule, wenn ich heute auch sagen würde, er hat diese Rolle eher wie ein Komödiant gespielt, was nichts daran ändert, daß er für uns streng, autoritär war, beschimpfend und wir seinen Urteile ausgeliefert waren – daß dieser Professor nie Stellen zur Schularbeit gegeben hat, die in unseren Textausgaben vorkamen, sodaß es auch keine Schmiererübersetzungen davon gab.
Nur dieses eine Mal hielt er sich nicht an sein Prinzip und wirklich, mein Nachhilfelehrer hatte zufällig die Schularbeitsstelle erwischt. Ich holte das Schulübungsheft aus der Tasche, wir verglichen die Vokabel und damit war die Sache klar.
Dr. Strauch bläute mir ein, das ja nicht meinen KlassenkollegInnen zu verraten; das würde meinen Vorteil vernichten und es könnte Verdacht aufkommen und die Schularbeit wiederholt werden.

Ich muß sagen, daß mir als passiv-autoritärer Charakter (Ich nehme Bezeichnungen nicht immer so ganz ernst) und frommer Schüler das Schwindeln sowieso immer unangenehm war – und zwar sowohl als einer, dem mit Schwindeln geholfen wird, als auch wenn ich selber anderen mit Schwindeln helfen sollte. Manchmal, bei mündlichen Prüfungen (aber nicht immer) überhörte ich bewußt helfende Einflüsterungen, und umgekehrt, wenn ich helfen sollte, war es mir immer unangenehm, und ich hätte lieber „das tut man nicht!“ gesagt, aber da ich nicht nein sagen konnte, tat ich doch manchmal mit – also habe ich mich irgendwie unsauber durchmanövriert. Ich hätte mich eindeutig in einem Umfeld mit klarer Moral wohler gefühlt, wo soetwas – wie in anderen Kulturen – auch bei den Schülern verpönt ist; die österreichische Haltung – offiziell ist es verboten, unter der Hand wird es geduldet, wenn nicht erwartet – hat mich immer sehr verwirrt. Und mir ist es lieber, wenn jeder individuell für seine Sachen einstehen muß, als wenn man in so eine undurchsichtige Kollektivität gezogen wird.

Ja und hier an dieser Stelle steige ich auf den Vorschlag meines Nachhilfelehrers bewußt und in eigener Verantwortung ein und halte den Mund.

Am Tag der Schularbeit kommt ein Klassenkollege aufgeregt in die Klasse und verkündet: „ich habe die Schularbeitsstelle gefunden!“ Große Aufregung. Den Schmierer hat er auch mitgehabt. Große Hektik. Ich hielt mich abseits, sagte nichts.
Damit es nicht zu auffällig wird, vereinbarte die Klasse, daß manche ein paar Fehler einbauen, alles wurde klug ausgetüftelt. Es war genug Zeit bis zur Schularbeitsstunde.
Wie gesagt, ich hielt mich abseits.

Dann kam die Schularbeit. Ich schrieb ruhig und souverän meinen vertrauten Text hin. Aber natürlich blieb die große Unsicherheit – wird die ganze Sache auffliegen?

Am Nachmittag redete ich mit meinem Nachhilfelehrer und erzählte alles. Er meinte, ich hätte schnell eine andere Textstelle nehmen und behaupten sollen, ich hätte die richtige gefunden, um die Klasse zu verwirren und ihr die Zeit fürs Auswendiglernen der Übersetzung zu rauben. Zu einer solchen Intrige wäre ich – im Gegensatz zu manch anderen, wie sich Jahre später herausstellte – nicht fähig gewesen; Ich rede nicht von Moral, aber da wäre ich nicht schlagfertig und einfallsreich genug, nicht abgebrüht genug gewesen. Stiller Verrat, Mundhalten – das geht.

Die Schularbeit wurde nicht wiederholt. Manche hatten sich zu viele Fehler eingebaut; es gab Fünfer; das Ergebnis war nicht besonders auffällig.
Ich hatte auch einen unabsichtlichen Fehler – da hatte Dr. Strauch schlecht übersetzt – und ich bekam trotzdem die Note Eins. Mein Fünferbann war gebrochen und die nächsten Schularbeiten schrieb ich Dreier.

Ich ahnte, daß mein Lateinprofessor gemerkt hatte, daß ich die Stelle kannte und Jahre später, bei einem Klassentreffen, hat er es mir bestätigt, wie auch, daß ihm die ganze Tragikomödie nicht entgangen war. Ich habe damals die Geschichte meines stillen Verrates offen vor allen Klassenkollegen erzählt.

Gute 10, 12 Jahre später. Ich laufe als autodidaktisch malender und zeichnender Künstler herum und weiß nicht recht, wie ich mich in der Szene behaupten und durchsetzen soll, glaube aber unbedingt, daß ich etwas für meine Karriere unternehmen müßte. Aber was? Wo hingehen? An wen mich wenden?

Dr. Strauch! Dr. Strauch ist inzwischen zum Berater eines Regierungsmitgliedes aufgestiegen und ist auch in einem Ressort tätig gewesen, das mit Kunst zu tun hatte. Noch In Irdning war mir das Gerücht zu Ohren gekommen, daß er selber schreibe und Lesungen abhalte, und zwar in der Disko Whomwhom.

Nun wurde es zur fixen Idee. Ich wende mich an Dr. Strauch, er werde mir weiterhelfen können. Die Idee war gar nicht so abwegig, wie sie klingt, denn Jahre später habe ich mitbekommen, daß Dr. Strauch sehr gute Kontakte zu einem wichtigen New Yorker Galeristen hatte, aber trotzdem, in meiner Lebenssituation damals, mit meiner Aura, war sie ziemlich absurd. Eine fixe Idee, die mehr mit passiv-autoritären Erlöserphantasien zu tun hatte, als mit geschicktem, strategisch durchdachtem Marketing oder Karrierearbeit. So konzentrierte sich meine fixe Idee nur darauf, Dr. Strauch zu begegnen, dann wäre schon alles geritzt und ich hatte mir daher nichts zurechtgelegt, wie ich dann agieren könnte.

Aber wie die Begegnung herbeiführen? Tief in meinem magischen Weltbild verankert meinte ich, die Begegnung nur magisch herbeiführen zu können, so, daß es wie eine zufällige Begegnung ausschaut.

Gut. Ich schaue im Telefonbuch nach, wo Dr. Strauch wohnt. (Internet gab es noch nicht.) Ich fahre mit der Straßenbahn hin, finde das Haus, umkreise zu Fuß das Haus mehrmals und fahre wieder zurück. Die Idee war, daß ich durch das Umkreisen des Hauses eine Energiespur hinterlasse, die Dr. Strauch irgendwann zwangsläufig überschreiten muß und daß dabei meine Energie mit seiner in Kontakt kommen und sie eine Verbindung herstellen und so vielleicht eine zufällige Begegnung herbeiführen.

Ich glaube mich zu erinnern, daß ich noch ein zweitesmal hingefahren bin und das Haus unauffällig umkreist habe, mit einer Tasche unter dem Arm, um wie irgendein Vertreter zu wirken, der da irgendetwas zu erledigen hat. Gleichzeitig hatte ich das ständige Mantra laufen, „Wenn ich Dr. Strauch begegne, dann ...“

An einem faden Sonntag bin ich mit meiner damaligen Lebensgefährtin auf der Mariahilferstraße spazieren gegangen; das Ganze war mehr ein Versuch, irgendwelchen unerträglichen Beziehungsfrustrationen zu entkommen, wo wir sonst nichts mehr gefunden hatten, mit dem wir uns davon ablenken konnten.
Wir schlendern so dahin, dann sehe ich – da vorne – Dr. Strauch mit seiner Familie! Ich erstarre und bekomme den Tunnelblick – dort ist meine Erlösung!

Ich bitte meine Freundin, da stehen zu bleiben und gehe auf Dr. Strauch zu und spreche ihn an. Wirklich – mit Tunnelblick; am Rande meines Gesichtsfeldes wurde alles grau.
Die Tatsache, daß er sich nicht an mich erinnerte oder erinnern wollte, kann mich nicht abhalten. Ich erinnere ihn an seine Irdninger Zeit, daß wir Nachbarn waren und ich bei ihm Lateinnachhilfe hatte. Es war ihm sichtlich unangenehm, er war ausweichend, er muß die ganze Wucht meiner irren Erwartungen gespürt haben, dieses ganze Fixiert-Sein auf ihn, denn er ist immer ausgewichen und hat versucht, sich so zu stellen, daß er etwas seitlich von mir war, aber ich habe mich immer zu ihm hingedreht. (Vielleicht hat er auch ein Attentat befürchtet, ein anders, als ich im Sinn hatte.) Er wollte sich nicht erinnern, seine Frau hat sich zu erinnern begonnen, aber sie habe ich – strategisch sehr dumm – nicht weiter beachtet. (Dabei hatte ich ihr von unserem Kinderzimmerfenster aus, wenn sie sich über den Kinderwagen gebeugt hat, immer in ihren Ausschnitt gegafft! Ihr Hauseingang war gleich gegenüber.)
Nur die Sache mit der Lateinnachhilfe hat ihn ein „Das habe ich mich damals getraut, Lateinnachhilfe zu geben?“ entlockt.
Ein paar Worte noch, daß ich jetzt Künstler sei, und da mit meiner Freundin dort gerade zufällig spazieren ginge.
Sonst ist mir nichts mehr eingefallen. Er hat nicht gesagt: „Ah, Künstler! Interessant! Was machen Sie? Zeigen Sie mir einmal ihre Arbeiten!“
Hat er nicht, und damit war ich am Ende mit meinem Latein.

Wie immer bei solchen Geschichten mußte ich später darüber lachen, wie absurd es wird, wenn ein nicht-dualer Mensch wie ich bei den dualen, lebensschlauen Spielchen mitspielen will. Es funktioniert einfach nicht, obwohl mein magischer Einsatz schon toll war; auch vom Ergebnis der Herbeiführung der Begegnung her.







(31.1.2017)











©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

588 Ich wache auf

Ich wache auf und horche in mich hinein. Nichts. Ich wundere mich und fange an zu spekulieren, was mit mir los ist. Seit Tagen nichts. Habe ich meine Gefühle verloren? Schwer vorstellbar.
Ich warte und lausche.

Auf einmal macht es „klick“ und ich merke, es ist die gute alte Angst. Sie war die ganze Zeit da und jetzt spüre ich sie wieder. Fast bin ich erleichtert. Die alte Bekannte und Vertraute. Mein ganzes Leben kenne ich sie schon und, ich bin mir sicher, schon vor meiner Geburt.

Liebe alte Freundin! Schön, daß du da bist. Wie geht es dir? Was gibt es Neues? Was erzählst du mir heute? Daß das Leben tödlich ist?

Nein im Ernst: was ist deine Botschaft an mich? Was willst du mir, Peter Rumpf, sagen?
Hm?

Bitte sprich mit mir! Ich will ja nur verstehen.

Ich denke an den Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Und an den Grimming, den Berg, der dort die Landschaft beherrscht; wie ich immer zu ihm hingeschaut habe, beiläufig, oder bewußt, sozusagen Antwort suchend, oder Halt, in den vielen, vielen Momenten der Angst, der Demütigung, der Verzweiflung, der Scham. Der Berg hat schon alles gesehen, die ganze Geschichte dieser kargen Landschaft und ihres harten Menschenschlages – wie lange eigentlich sind sie schon so hart?

Nein, das sagt nicht viel darüber, wieso die Angst immer zu mir kommt. Nur, daß sie überall ist.
Ich verwirre und verirre mich in Spekulationen.

Also liebe Angst, du bist jetzt bei mir, in mir, ich spüre dich: was willst du mir sagen? Was ist deine Botschaft?

Ich weiß schon, die Botschaft der Engel lautet: Fürchte dich nicht!
Aber was ist deine Botschaft?

Du sollst hier nicht so leben? Sagst du mir das? Und wie geht das? Bist nicht du es, die mich daran hindert? Also: was ist deine Botschaft?

Hast du keine? Hast du nichts zu sagen? Das will ich nicht glauben.

Die Menschheit ist grausam? Ist das dein Satz?
Das Leben ist grausam? Das?

Und was mach ich damit?





(31.1.2017)








©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com


Montag, 30. Januar 2017

587 Nichts löst etwas aus

Nichts löst etwas aus. Meine Seele scheint im Frieden mit sich und der Welt zu sein. „Scheint“ - ich bin nicht mißtrauisch, ich wundere mich nur und bleibe vorsichtig.
Die Welt scheint auf eine Katastrophe zu zu steuern, aber freilich kann ich mich irren. Was ich denke scheint für mich momentan nicht relevant zu sein.
Worauf ich zugehe, weiß ich, auf die Begegnung mit dem Tod. Oder besser gesagt, auf die, wo er mich berühren wird.
Fast macht mich jetzt meine Gefaßtheit mißtrauisch, aber – wie schon gesagt – nichts löst etwas aus.




(30.1.2017)









©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 27. Januar 2017

586 Jucken

Meine Ohren jucken. Jetzt jucken meine Augen. Deshalb blinzle ich. Jetzt aber juckt mein drittes Auge an der Stirn. Und jetzt juckt mein Zeigefingerknöchel meiner rechten Hand.
Das Jucken löst sich etwas auf, wie Verdünnsaft in einem Glas Wasser und verteilt sich, schwächer, über die ganze Haut.
Jetzt gibt’s wieder ein konzentriertes Jucken an der Nase, bei den Nasenlöchern, sehr heftig. Jetzt wieder mehr an Stirn und Nasenwurzel, das sich über das ganze Gesicht verbreitet und richtig unangenehm wird. Um meinen Mund. Ich wische und kratze über die juckenden Stellen. Kurze Erleichterung, aber es ist noch nicht vorbei.
An der rechten mittleren Zehe und an der Schädeldecke, eher leicht. Um die Augen herum. Ein leichter Hauch von Jucken hängt sich an mein Gemächt (Ha! Vielleicht habe ich ein Wort gerettet!). Nacken, nur kurz. Stirn. Rechtes Auge – da bildet sich ein kleiner Juckwirbel, der sich dreht und ein wenig hin und her wandert.
Fast alles an der Körpervorderseite. Ganz, ganz leicht rund um die Knie. Zucken an der Stirn. Die Schläfen. Jetzt knapp oberhalb des rechten Ellbogens – alles nur mehr leicht.
Zum erstenmal an der Brust – zuerst rechts unter der Brustwarze, dann dehnt es sich über die ganze Brust aus und wird stärker.
Zwischen Oberlippe und Nase, wandert außen an den Nasenflügeln entlang nach oben.
Mich wundert, daß der Hintern nicht vorkommt, vielleicht liegt er dafür zu fest auf und es ist deswegen keine Berührungsempfindlichkeit möglich.
Jetzt am rechten Oberarm, ah, das erstemal der Rücken, rechtes Schulterblatt.
Wieder stärker im Gesicht – rechte Wange zur Nase hin.
Ich wische überall herum. Schädeldecke und rechte Hüfte außen (ganz leicht) gleichzeitig.
Linke Hand, dort, wo man den Puls ertasten kann.
Rechte Schläfe, geht runter zum Ohr und rauf zur Schädeldecke.
Rechter und linker Handrücken.
Die Haut am rechten Jochbein. Die Nase wieder sehr stark. Kopfhaut (ich kratze).
Zwischen dem ersten und zweiten Fingerknöchel meiner linken Hand. Wieder der Nacken, wird langsam stärker, breitet sich aus, kurze Ausläufer bis zum Kinn.
Jetzt ganz leicht an den Beinen – dort ist das Jucken mehr Vibrieren und nicht unangenehm.
Das linke Auge wieder. Es bleibt dort, wirbelt langsam herum, so als wäre der Juckreiz nur ein Luftwirbel vorm Auge, der es nur leicht streift.
Ja, ja überhaupt: manchmal erscheint mir das Jucken als etwas, das von außen die Haut berührt.
Brust.
An den Fußsohlen ist kein Jucken, sondern eher ein ganz leichtes Brennen.
Ich wische wieder herum. Ich kratze mich am ganzen Kopf.
Nasenflügel.
Kurz habe ich durch das Jucken hindurch den Puls gespürt.
Meine ganze Oberfläche, aber stärker an der Vorderseite, scheint jetzt gereizt,schwach, aber mit wechselnden Flecken intensiveren Juckens, die auf diesem vibrierenden Ozean hin und her wandern, oder verschwinden und an anderer Stelle wieder auftauchen.
Rechte Schulter – wie gesagt, so als wäre das Jucken knapp außerhalb des Körpers, einen halben Millimeter jenseits seiner Grenze.

Ich werde dem jetzt ein Ende machen, indem ich aufstehe. Damit meine Haut wieder in einen alltäglichen Level an taktiler Sensibilität zurückfindet.




(27.1.2017)











©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

585 Kälte

Ich lasse die Kälte herein. Weil sie halbwegs frische Luft mitbringt. Eine dunkle Gestalt steht draußen im Finstern vorm Fenster; am Kopf hat sie einen kleinen Lichtpunkt. Sie ist jedoch bloß eine Spiegelung am Glas der Fensterscheibe.

Nachdem ich das Fenster geschlossen habe, verrinnt die Kälte im Zimmer; etwas anderes beginnt den Raum zu dominieren.
Was es ist, kann ich nicht sagen. Etwas, das ich nicht begreife. Angst ist es nicht, aber ein bißchen davon schwingt mit. Erregung ist es nicht, aber ein bißchen davon schwingt mit. Staunen ist es nicht, aber ein bißchen davon schwingt mit. Die Stille ist es nicht, aber ein bißchen davon schwingt mit. Das Ding an sich ist es nicht, aber ein bißchen davon schwingt mit.
Vielleicht kann man es wirklich am ehesten als Schwingungen bezeichnen. Das trifft es am besten. Eine unsichtbare, unhörbare Vibration. Oder Vibrationen, Mehrzahl. Mit allen meinen Sinnen versuche ich es zu erfassen; ich horche, fühle, schaue und weiß schon, daß es nur mit etwas anderem gespürt werden kann.
Innen oder außen? Beides.
Körperlich oder geistig? Hm. Irgendwie auch beides. Und dann doch keines davon.
Jedenfalls ist es spannend.




(26./27.1.2017)











©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 24. Januar 2017

584 Die Imka-Bühne

Ich höre gerade, ich kann auf der Imka-Bühne auftreten und aus meinen Texten lesen. Ah, gut! Imka-Bühne? Heißt das jetzt Imker-Bühne oder Inka-Bühne? Ist das bei einem Honig produzierenden Verein oder in Peru? (Würde auch schön passen, wegen PEter RUmpf; Verzeihung, so kindisch bin ich.)
Hej! Antwortet mir! Wo sind wir überhaupt? Ach so, im Traumland.
Aufgewacht! … Naja, so halbwegs.


Was macht man heutzutage, wenn man etwas recherchieren will? Genau, man googelt: „IMKA ist die Abkürzung für Interministerieller Koordinationsausschuß für die Informationstechnik in der Bundesverwaltung.“ Das schreibt Wikipedia ohne Angabe, auf welchen Staat sich das bezieht. Naja, ist ja nicht schwer, darauf zu kommen. Wer geht selbstverständlich davon aus, daß die deutschsprachige Wikipedia sich nur auf Deutschland bezieht? Eben.
Ah! In den Links taucht dann „öffentliche Verwaltung (Deutschland)“ auf.

IMKA: „Institut für Mediation, Konfliktmanagement und Ausbildung.“ „Sie haben Interesse an einer Ausbildung im Bereich Mediation? In Hamburg bietet ...“

Die Frage ist jetzt, haben die Bühnen? Und muß ich mich bewerben oder melden die sich von selber bei mir? Und bei wem jetzt?

Liebe gleichheitsvernachlässigte Leserinnen, liebe man-bevorzugte Leser! Ich brauche eure Hilfe. Was sagt ihr? An wen soll ich mich wegen der Lesung wenden? Ich bitte um zahlreiche Antworten an die unten angeführte Emailadresse. Ich brauche eure Hilfe, um meinen Traum da oben zu verwirklichen. Ich danke im Voraus und verbleibe mit freundlichen Grüßen.





(24.1.2017)













©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

583 Nackt

Fünfmal habe ich schon angesetzt, einen Satz zu formulieren, der irgendwas hergibt, in Gedanken natürlich nur, aber keiner hat genügt. Der erste hat ungefähr gelautet „Ich stehe nackt in der Kälte“, aber den habe ich verworfen, weil „Kälte“ bei zwar nachtabgesenkter, aber dennoch Zimmertemperatur allen Obdachlosen und in Zelten Hausenden gegenüber eine Frechheit wäre und weil „ich stehe nackt“ genauso eine Übertreibung ist, wenn ich bloß nach Ablegen der Tageskleider und vor Anlegen des Nachthemdes (geh' bitte! hör mit dem archaisierenden Blödsinn auf – es handelt sich um einen ganz gewöhnlichen, handelsüblichen Pyjama!) für ein, zwei Sekunden nackt dagestanden bin. Da hatte ich doch früher schon andere Temperaturen erlebt, 12 Grad, bis runter auf 8 Grad in meiner Einsiedlerwohnung damals, und dabei meinen Luxuskörper über ein Lavoir gewaschen.
Nein, also das lassen wir lieber; den Satz nehme ich nicht.

Obwohl mich jetzt das Thema Nacktheit nicht loslässt. Fällt dir dazu kein Satz ein? Meinetwegen einen mit besserer Temperatur? „Wenn es heiß ist bin ich gerne nackt.“ … Ich weiß nicht. Über FKK ist – glaube ich – nicht allzuviel zu schreiben und etwas Erotisches, Faunisches – das traue ich mir gar nicht zu. Nein, das kann ich nicht. Um so etwas zu schreiben bin ich viel zu verkrampft (und sprachverliebt). Außerdem heutzutage als Mann – da kann man nur ins Fettnäpfchen treten.
Das lassen wir auch.

Obwohl: erotische Phantasien kenne ich schon. Das sei ehrlicherweise zugegeben. Aber niedergeschrieben würden die sehr spießig ausschauen. Nein, nein, nur das nicht!

Obwohl, es fiele mir schon eine ein – mein Gott! ich muß lachen – aber dafür würde ich mich sehr genieren. Nein, das geht gar nicht! Unmöglich!

Vielleicht habe ich einmal einen erotischen Traum und den könnte ich dann erzählen – dann wäre ich nicht „schuld“, weil er mir ja zugefallen ist. Die Entfremdung und Unlogik der Traumwelt würde ihn und seinen Inhalt meinem Tagesbewußtsein und dem heiklen „ich“ gegenüber auf Distanz halten. Trotz Freud kann man ja immer noch sagen „Naja, ein Traum halt“.
Ja, so könnte es gehen.

Okay! Dann drehe ich jetzt das Licht ab und lasse mich einschlafen. (1:25)

(7:03 Nichts!)







(23./24.1.2017)












©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 23. Januar 2017

582 Meine Lieben

Meine Lieben, einen schönen Tag wünsche ich euch! Wenn ich von der Temperatur hier bei laufender Heizung ausgehe, dann muß es draußen ziemlich kalt sein.
Heute streiche ich außergewöhnlich viele Sätze und Wörter durch (wen es interessiert: „Es ist richtig kalt hier, D“ „trotz“ „Ich wünsche euch einen guten Morgen“ „Mein morgendlicher Schreibeifer“ „so“ „an“ „verfalle“ „ s“ „ich zu bewußt-los“ und einen Punkt), deshalb wächst der Text nur langsam.
Ich gleite überhaupt wieder in den Schlaf und so hocke ich mit angezogenen Füßen im Bett, das aufgeschlagene Notizbuch und den Kugelschreiber fest in den Händen haltend und kleine Traumszenen tun sich vor mir auf. Aber die sind zu flüchtig und mein Bewußtsein zu schwach um sie aufzuschreiben.






(23.1.2017)










©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

581 Geistreise

Ich trete jetzt meine Geistreise an. Mit einem kurzen Blick habe ich mein Zimmer inspiziert
     1.)   ob alles in Ordnung ist
     2.)   um es mir für die Zieleingabe bei der Rückreise einzuprägen, damit ich wieder zurückfinde.

Der Start scheint sich zu verzögern. Ich jedoch warte geduldig. Ich kenne das schon, früher oder später geht es dann doch los.
Ich habe die richtige Reisemüdigkeit, weiter unten im Gefühlsstapel bemerke ich Neugier, aber auch Aufregung.

Kann es sein, daß ich noch etwas erledigen muß? Möglich, ich werde nachschauen gehen.

…....

Ja, es war noch etwas zu erledigen. (Anmerkung des Autors: Der Ich-Erzähler leistet sich da wieder ein Understatement, daß man ihm links und rechts eine schmieren möchte! Ich habe Verständnis dafür, daß er nicht alles erzählen will, aber die Angelegenheit so herunterzuspielen, nur damit er irgendwie überlegen und cool dasteht – nein, das geht nicht!)

Ich beginne die Vorbereitungen nocheinmal von vorne. Ich schaue mich im Zimmer um. Mein Blick ist jetzt heller und nimmt mehr auf. Meine Erinnerung wird besser sein. Das Surren ist schon annähernd auf Betriebstemperatur, das heißt, die transzendentalen Maschinen sind schon im Warmlaufen. Ich warte geduldig. Ich habe keine Eile und genügend Zeit. Ja, ich genieße die Wartezeit und ihre laute Stille. Das Surren geht schon fast in Dröhnen über. Ich lasse meinen Blick wieder und wieder über die Zimmerwände gleiten. Ein verborgener Gehalt scheint sich in den Bildern, die meine Sinne aufnehmen, bemerkbar machen zu wollen. Ich bleibe aber ganz unaufgeregt, denn ich weiß, sobald ich drüben bin, kann ich den verborgenen Sinn sehen.

Das Weckerticken verwandelt sich beinah in ein sprechendes Geräusch, betonte – unbetonte Laute, lauter – leiser, höher – tiefer, schneller – langsamer, ruhig und erregt, näher, ferner.

Die zwei Visionäre glurren mich mit ihrem drüben-Blick an; sie schauen schon mit den anderen Augen. Wartet, bald komme ich nach.





(22./23.1.2017)











©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 20. Januar 2017

580 „Das ist eigentlich alles“

Ausgeschlafen! Endlich ausgeschlafen. Vom langen Liegen spüre ich wieder einmal mein Kreuz. Aber egal - ausgeschlafen.

Das ist eigentlich alles.

(Ganz ohne Nachtrag geht es nicht, denn – ehrlich wie ich bin – muß ich gestehen, daß ich das „Das ist eigentlich alles“ vom russischen Schriftsteller Daniil Charms, den ich sehr, sehr, sehr verehre, gestohlen habe. Ja, leider!)




(20.1.2017)










©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com


579 Kukuruz

Kukuruz. Was für ein schönes Wort! Es klingt wirklich nach Südosten und Steppe. Naja Steppe! Zumindest nach pannonischer Tiefebene. Sommerheiß und staubig und voller galoppierender Pferdeherden. Obwohl es eher wie „gugaruz“ ausgesprochen wird.

„Mais“ ist auch sehr, sehr schön. Klingt aber nordwestlicher. Dort befindet sich nämlich in meiner fragwürdigen inneren Geographie Amerika. Wiewohl die Maisanbaugebiete in Wirklichkeit – so vermute ich wenigstens – viel südlicher liegen. Man braucht sich ja nur vergegenwärtigen, daß New York auf der gleichen Höhe wie Neapel liegt. Von Mexiko ganz zu schweigen.
„Mais“ klingt überhaupt ganz anders. Ehrfurchtsvoller, tragischer und weniger lustig. Ernster. Weniger lustig kann ja auch gut und schön sein – zumindest dem Klang nach.

„Woaz“ kollidiert für mich immer mit "Weizen" und ich kann das Wort schwer auf diese Feldfrucht aus Amerika anwenden. Ich weiß schon, Woazbraten etcetera. Aber trotzdem. Ich hätte in den Woazgegenden eher den Kukuruz vermutet. „Weizen“ ist für mich für den normalen Weizen reserviert und „Woaz“ kommt mir immer so vor, als würden die Steierer zu eigensinnig sein, ein aus der Fremde kommendes Wort wie Kukuruz oder Mais zu verwenden, so als hätte ihnen die Feldfrucht Zea Mays immer schon gehört – wie die Steirer ja auch so tun, als hätten sie das Kernöl erfunden und den Kürbisanbau. Aber gut, warum sollen sie sich auch an meine Vorstellungen halten.

Während ich versuche, ein lästiges, abstehendes Hautstückchen vom Rand des Fingernagelbettes zu entfernen, nur mit den Zähnen, Spucke und den Fingernägeln der anderen Hand, denke ich nach, ob ich noch einen anderen Namen für Zea mays kenne. Nein, mir fällt nichts ein.

Jetzt habe ich das harte Hautstückchen abgetrennt. Die Stelle verfärbt sich ein bißchen rot vom klein wenig Blut, das nun am linken Rand des Nagelbettes meines Zeigefingers der rechten Hand hervorsickert.
Das zweite Hautstückchen vom rechten Ringfinger habe ich geschafft einfach abzubeißen.

Was macht man, wenn man heutzutage etwas recherchieren will? Man schaut auf Wikipedia nach. Dort finde ich noch die Namen „Welschkorn“, „Türkischer Weizen“ - davon wohl auch „Woaz“ kommt - und in Tirol „der Türk“ oder „der Türken“. Letzteres hatte ich schon gekannt, aber glatt vergessen. Da muß ich an meine Zirler Ausstellung denken, ewig lange her.
„Türgge“ oder „Törgge“ gibt es laut Wikipedia noch in der Schweiz. Aber genug davon!

Nur noch, daß der Mais – wenn ich mich jetzt nicht irre in anthroposophischen Kreisen – der Melancholie zugeordnet wird. Aber wie gesagt, ich kann mich irren. (Recherchieren? Ich war heute schon lange genug vorm Computer!) (Ja, ja, es stimmt schon; neuer Tag, neue Recherchierlust.)

Das ist das Ende eines guten Tages. Die Arbeit im Meinungsbefragungsstudio ist mir heute gut gelungen; ich habe viele Interviews gemacht. Das hat große Erleichterung bewirkt und infolgedessen hat sich in mir eine regelrechte Heiterkeit ausgebreitet, sodaß ich um 20:30 fröhlich wie Hans im Glück nach Hause gegangen bin und meine Kinder umarmt und meine Frau zur Begrüßung geküsst habe. Ich!




(19./20.1.2017)











 ©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 19. Januar 2017

578 Halbfünf

Es ist schon halbfünf und mein Platz in der Welt kommt mir jetzt noch kleiner vor und meine Rolle mickrig. Die eineinhalb Stunden, die ich wach und unruhig gelegen bin, fangen an, mich zu zermürben. Irgendetwas in mir ist aufgeregt und hochgefahren und geht nicht mehr runter. Ein innerer Alarmzustand, wo die Sirenen auf einer Frequenz heulen, die ich nicht hören kann. So weiß ich auch nicht, was los ist. Das Surren ist ein wenig intensiver und moduliert stärker – das ist das einzige, das ich als ein wenig ungewöhnlich wahrnehme. Ich bin müde, aber kann nicht schlafen.


Sieben. Von der weitgehend schlaflosen Nacht gerädert und erschöpft. Keine Ruhe. Mein Herz klopft. Was ist los? Zum Teufel, was ist los? Beim Blick aus dem Fenster stehen die abnehmende Halbmöndin und der Jupiter beieinander; sie strahlen so schön auf dem noch blauen, aber bereits morgenhellen Himmel. Für alle anderen Sterne ist es schon zu hell. Ich bin müde, so müde; vielleicht kann ich noch ein wenig schlafen.






(19.1.2017)















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

577 Island?

Es ist drei Uhr nachts. Ein Traum hat mich aufgescheucht. In Island waren wir. Etwas Schreckliches könnte passiert sein. Jetzt sitze ich im Bett und zittere. Als ich vom Klo zurückkomme, rieche ich die Ausdünstung meiner Angst in der kleinen Kammer. Ich lüfte. Frische Luft könnte gut tun. Ich ziehe die hereinströmende minusgrädige Luft durch die Nase ein.

Was jetzt? Im Zimmer fängt es überall zu knacken an, weil sich die Dinge in der Kälte zusammenziehen. Ich werde das Fenster wieder schließen.

Ich gehe nochmals hinaus ins Atelier um nach den Sternen zu schauen. Ganz klar ist der Nachthimmel nicht, aber Kastor und Pollux, Prokyon und Regulus kann ich sehen. Ich mußte schon auf der Sternenkarte nachprüfen, wer wer ist. Bei den Zwillingen bin ich richtig gelegen mit meiner Vermutung.

Meine Seelentrübheit lichtet sich allmählich; die Orientierung am Himmel zu finden hat mich beruhigt, auch wenn wir nicht wissen, wohin wir segeln. Wir wissen ja nichteinmal, woher wir gesegelt gekommen sind. In dieser Nacht möglicherweise aus Island, aber aus welchem aus den vielen Islands im unermeßlichen Universum? Und aus einem echten oder einem geträumten? War es überhaupt Island oder haben sich das nur meine verstörte Seele und mein verwirrter Geist zu ihrer eigenen Beruhigung und Rettung ausgedacht?

Klein sind wir gegenüber der Unendlichkeit. Sehr klein.






(19.1.2017)














©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

576 Ich drehe meinen Kopf

Ich drehe meinen Kopf auf dem Polster hin und her, langsam, vorsichtig, als wäre ich plötzlich aus einem anderen Universum hier hereingeplatzt und müßte erst das fremde Terrain sondieren. Ganz klein und zusammengeduckt bin ich. Aber ich beruhige mich schon, denn ich seufze tief und gewinne damit etwas Raum. Mein Blick wird ein wenig offener und weniger verstohlen. Meine Reise heute muß anstrengend gewesen sein, denn ich bin sehr müde. Ich blicke nun auf meine Haut und sehe, sie hat verschiedene Merkmale abbekommen: Altersflecken, fünf Quadratmillimeter Ausschlag und ein paar Dellen und Schrunden. Weniger dramatisch als bei einem alten dicken fetten Walroß. Mir fallen die Augen zu und der Text hält mich nicht wach. Na, dann Gute Nacht!




(18./19.1.2017)













©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 18. Januar 2017

575 n oder m? Oder: was sagen die Grammatiker?

Mein Handy winselt piepsend nach Strom. Ich bin noch im Schlaf und reagiere nicht gleich. Ich war bis nach ein Uhr auf und bin noch überhaupt nicht ausgeschlafen. Außerdem habe ich einen verdächtigen Geruch in der Nase und ich vermute, die Katzen haben etwas angestellt. Und nein, ich will das noch nicht!
Nach einigem regelmäßig wiederkehrenden (n oder m? - nach einigem, regelmäßig wiederkehrendem/oder doch so, wie ich geschrieben habe, wenn ohne Beistrich? Hm? Was sagen die Grammatiker?) Handygepiepse richte ich mich etwas mühsam auf, drehe das Leselicht an und nehme das Handy in die Hand (wie es sich dem Namen nach auch gehört) und will den Akkustand kontrollieren. Das Handy ist tot. Aha, denke ich, der Akku ist ganz leer, aber dann fällt mir ein, daß ich es ja jeden Abend abschalte. Kann es auch als ausgeschaltetes piepsen?
Mein ganzer Denkapparat funktioniert – schlaftrunken wie ich bin – nur ansatzweise, jedenfalls drehe ich das Gerät auf und stelle fest: der Akku ist beinahe voll. Gedankenverloren rolle ich das bereits hergerichtete Ladekabel wieder auf und lege es in das Körbchen, wo ich alle diese Kabel aufbewahre. Aha, denke ich etwas verwirrt, da hat mich die Traumaufmerksamkeit genarrt.

Ich gehe vor mein Zimmer und stelle fest, auch meine Befürchtungen wegen der Katzen waren falsch. Geruchshalluzinationen sind wirklich eigenartig und ungewohnt!
Ich gehe weiter ins Atelier und öffne den Vorhang beim großen Fenster. Der strahlend blaue Himmel läßt gleich eine kleine Welle von Optimismus über mich kommen, die aufgehende Sonne wirft einen circa zwei Quadratmeter großen Lichtfleck auf die nach Südosten schauende Hausmauer, in dem die kahlen Äste der Bäume ein schönes Schattenspiel inszenieren, ein ganz ruhiges, das ohne Bewegung auskommt.

Auch der abnehmende Halbmond steht mir direkt gegenüber am Himmel; ich begrüße ihn mit einer leichten Verbeugung und gehe in mein Zimmer zurück. Ich begebe mich wieder an meinen selbstverständlichsten Aufenthaltsort, das Bett, und richte die Pölster als Rückenlehne her, um angenehm hocken und schreiben zu können.
Das ist die Kurzfassung des Berichts über meinen Morgen am Achtzehnten Ersten Zweitausendsiebzehn.

Die längere Fassung müßte noch einen Klobesuch schildern – ich verzichte! Und daß ich vorher schon, um 6:35 nach unten gegangen bin, weil ich befürchtet habe, meine großen Kinder haben ihren Wecker überhört; aber dem war nicht so; sie waren schon im Aufstehen. Genau mit solchen Befürchtungen habe ich sie morgens immer genervt, weswegen ich um diese Zeit eher zurückgezogen bleibe und abwarte.
Und daß ich gleich nach dem Aufstehen ein Glas Wasser getrunken habe.
Alles andere ist mir schon längst wieder entfallen.

Ich genieße noch ein wenig den unentschiedenen und wahrnehmungsverschwommenen Zustand, dann gehe ich es an.

Der Lichtfleck mit den verzweigten Schatten reicht inzwischen fast schon die ganze Hauswand hinunter. Und der Himmel hat sich mit Nebelfetzen etwas eingetrübt.

(Natürlich hätte m gehört! Im Moment bin ich mir ganz sicher. Ich halte es kaum aus, das unkorrigiert zu lassen. Dann hätte ich wieder alles umschreiben müssen. Ach! Außerdem: wer weiß!)

(I Herz mistakes/I Herz mistakes/I Herz mistakes)




(18.1.2017)













©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com


Dienstag, 17. Januar 2017

574 Der alte Volksschuldirektor

Der alte Volksschuldirektor! Uns Kindern hat er prophezeit, daß wir das Jahr 2000 erleben werden, aber er selbst nicht mehr. Ich weiß nicht, wann er gestorben ist.
Ich weiß, daß mir das damals unvorstellbar war, 46 Jahre alt zu werden, oder besser gesagt, ich konnte mir nichts darunter vorstellen, 46 Jahre alt zu sein. Es war mir nicht möglich, irgendein Bild davon zu haben. Ich weiß nicht, wie es den anderen in der Klasse gegangen ist, ob der Ewald zum Beispiel ein Bild hatte, etwa: ich werde den Hof meines Vaters übernommen haben, der regierende Bauer sein, verheiratet mit einer geliebten und liebenden Frau, viele Kinder, viel Arbeit, viel Stolz. Wenn es so war, dann hat es sich – soweit ich sehe – erfüllt.

Was mich betrifft, ich glaube, ich habe geahnt, daß mein Leben bestenfalls am Rande des Scheiterns entlangschlittern wird. Obwohl, gerade im Jahr 2000 hat es nicht schlecht ausgeschaut. Mein erstes Kind war schon geboren, mein zweites wird in diesem Jahr gezeugt, die späte junge Ehe hat eine ungewohnte, ungewöhnliche, manchmal schwindelerregende Dynamik in mein Leben gebracht, ich war über meine Frau wieder krankenversichert und lebte wieder mit Fließwasser, Bad, Heizung, war wieder am normalen Leben angeschlossen, ich habe trotz Döbereiner wieder gezeichnet und gemalt und Ausstellungen gehabt und verkauft. Ich hatte durch die Stiefkinder – oder wie Jesper Juul sagt: Bonuskinder - sozusagen von einem Tag auf den anderen eine große Familie. Sehr herausfordernd damals, ich war oft überfordert und bin viel geschwommen und mußte mich erst zurecht finden, aber wir haben es mit sehr viel Improvisation hingekriegt. Also kein schlechtes Jahr.

Ja, der alte Volksschuldirektor! Er wollte nicht, daß ich aufs Gymnasium gehe, denn konservativ wie er war, waren Gymnasien nur für seine Kinder und die Kinder Seinesgleichen reserviert. Der Zeichenunterricht der jungen, damals „modernen“ Lehrerin Frau Bina hat ihm auch nicht gepasst. Wir haben in der dritten einen offenen Streit der beiden miterlebt über die Art des Zeichenunterrichts; sie hat tapfer ihren auf Förderung der Kreativität angelegten Unterricht verteidigt, während er darauf bestanden hat, daß wir die Köpfe der Erwachsenen im genauen Abzeichnen im Verhältnis zur Körpergröße kleiner zeichnen müssen als die im Verhältnis zur kindlichen Körpergröße größeren der Kinder. Er hat ihr dann für einige Zeit den Zeichenunterricht weggenommen und selber unterrichtet, und tatsächlich, wir mußten „Kinder stellen sich bei der Impfung an“ zeichnen, mit den Kindern, dem Arzt, den manchmal begleitenden Müttern. Ja, der alte Volkschuldirektor hat uns oft beschimpft und uns oft als Trotteln bezeichnet, und auch unsere gezeichneten Köpfe haben ihm nicht gefallen und überhaupt war sein Unterricht schlecht; wir haben bei ihm nicht viel gelernt, weil er sich gedacht hat, daß das für uns Landtrotteln sowieso unnötig ist. Einmal war der Landesschulinspektor da und hat uns geprüft und wir waren nicht gut; vermutlich hat den Volksschuldirektor jemand angezeigt, denn er hat betont, daß er geprüft werde. Wir wußten nicht, daß Leoben der Hauptbahnknotenpunkt der Steiermark ist, und nicht Selzthal, wie wir lokalpatriotisch glaubten, nur einer – ich habe seinen Namen vergessen – von ganz oben am Bleiberg, ganz weiter Schulweg, der hat es gewußt. Vom Direktor hat er es nicht gelernt. Der Bub hat dann ein Plus eingetragen bekommen, was bei ihm sonst eher nicht so üblich war. Das nur nebenbei, weil das wieder so typisch ist, das ganze vorhandene Potential in den Schülern nicht wahrzunehmen. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich das diesem Schüler auch nicht zugetraut hatte, denn ich habe mich schon für einen besseren Schüler gehalten (das ist halt auch so ein Kapitel!) – im Gegensatz zur Auffassung des Direktors.
Der Streit zwischen dem Direktor und unserer Lehrerin hat mich damals sehr beschäftigt, es war für mich unvorstellbar, daß die vor uns streiten. Es ist übrigens diese Lehrerin, die Frau Bina, gewesen, die meiner Mutter – nachdem ihr der Volksschuldirektor die Gymnasiumspläne für mich ausgeredet hat – gesagt hat, „der Peter gehört unbedingt aufs Gymnasium!“ Danke, Frau Bina.

Der alte Volksschuldirektor. Bei den Sonntagsspaziergängen konnte man ihn manchmal einen Kilometer vor seiner Frau hergehen sehen, richtig davonlaufen, sodaß sie nicht schritthalten konnte. Dann wußten alle, es hat wieder eine kleine Ehekrise gegeben.
Die Frau Volksschuldirektor – sie selber hat keinen Beruf ausgeübt – war das, was man damals am Land eine furchtbare Tratschen genannt hat. Nichts war vor ihr sicher; alles hat sie mitbekommen und weitergetragen.
Nur damals, als sich am Putterersee der deutsche Urlauber an mich herangemacht hat und sich einfach zu mir auf die Decke gelegt hat, da hat sie, in fünf Meter Abstand, nichts mitbekommen und ist meinen hilfesuchenden Blicken ausgewichen. Ich war dreizehn und konnte mich nicht wehren; das Ganze hat dann am Klo geendet, aber das habe ich schon alles erzählt („Mein ganz persönlicher Größenwahn“ Schublade Nummer 89)

Keine Ahnung, warum ich heute nach dem Aufwachen an den Volksschuldirektor denken mußte. Ich seufze tief; widersprüchliche Gefühle ziehen durch meine Seele; viel Wehmut ist dabei, nicht unbedingt eine Sehnsucht nach damals, aber eine nach einem anderen Damals vielleicht. Ein leichter Schmerz, daß es auch anders hätte sein können. Trauer ist auch dabei. Ja, eigenartig widersprüchliche Gefühle, denn irgendetwas Unverständliches zieht mich auch an.





(17.1.2017)















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

573 Der depperte Drucker

Der depperte Drucker funktioniert wieder nicht! Ich habe ihn gerade reparieren lassen, und jetzt geht er wieder nicht. Was ist das alles für ein Scheiß!
Ach! Wenn solche Sachen meine Gedanken beherrschen, kann ich nicht schreiben. Also ganz ruhig, ganz ruhig.
Daß mich so alltägliche Probleme so aufregen können! Weil ich mich auch so schnell überfordert fühle. Ich habe ja von der Welt und wie sie funktioniert keine Ahnung. Ich empfinde das als so anstrengend. In ein Geschäft gehen, erst recht reklamieren, ein Auftreten hinlegen, als kennte man sich aus, als könnte man sich das alles leisten, als ließe man sich nicht über den Tisch ziehen. Das ist alles falsch: ich kenne mich nicht aus, ich kann mir das alles nicht leisten, ich lasse mich über den Tisch ziehen. Diese falsche Fassade verbraucht schon achtundneunzig Prozent meiner Energie, da bleibt nichts mehr übrig dafür, ein ordentliches Geschäft abzuwickeln. Außerdem habe ich immer die Sorge, daß sie es merken. Merken sie es, daß ich völlig lebensuntüchtig bin? Und wenn ja, was dann? Legen sie mich dann nach Strich und Faden rein?
Alleine schon das Grüßen kostet mich so große Überwindung, denn mir steht es als Mann ohne … wie heißt der Begriff?  Jetzt läßt mich auch noch mein Gedächtnis im Stich! … als Mann ohne Initiation nicht zu, jemanden Initiierten anzusprechen. Oder wie ein Paria, ein Dalit; die stehen auch immer, wie mir erzählt wurde, vorm Geschäft oder Cafe herum und gehen nicht hinein. Es ist ihnen nicht erlaubt. Nicht geschäftsfähig.
Fast bin ich erleichtert, wenn das Geschäft geschlossen ist, dann muß ich nicht hinein.

Oder Baumärkte! Baumärkte sind für mich ein Horror. Erst recht, weil sie so Männer-dominierte Orte sind. Die merken's erst recht und dann habe ich keine Chance, mich bei den unwilligen Verkäufern durchzusetzen, so, daß sie mir eine Auskunft geben. Letztens wollte ich für meine Klammermaschine, also den Tacker (die ständige Unsicherheit über die richtigen Bezeichnungen gehört auch dazu), die passenden Klammern kaufen. Unmöglich! Ich habe mir Marke, Name, Nummer und die angegebenen Klammergrößen meines Tackers notiert und wollte, daß mir wer zeigt, wo die richtigen Klammern sind beziehungsweise ob die, die ich da in der Hand habe, zu meiner Maschine passen. Nein, unmöglich! Es waren wieder die falschen. Dabei stimmen die angegebenen Klammergrößen beim Tacker und der Packung überein. Ich habe mindestens fünf, sechs Großpackungen falscher Klammern zu Hause. In meiner Verzweiflung – denn ich mußte eine Skizze an die Wand tackern – habe ich einen neuen Tacker gekauft, wo ein Packerl Klammern in die Tackerverpackung integriert war. Aber nicht beim Baumarkt! Soviel Stolz habe ich schon. Nur, wenn diese Klammern verbraucht sein werden, wird es – darauf wette ich – wieder die gleichen Schwierigkeiten geben, auch wenn ich den Tacker und die leere Klammernschachtel mitnehme.
Als Mann sich in einer Männerdomäne beim typischen Männerwissen als unwissend zeigen – das kommt wahrlich nicht gut. Sie lassen einen dann auflaufen und zeigen's einem erst recht. Da hat man dann den Arsch offen (bitte wörtlich nehmen – denkt einmal nach, was das eigentlich heißt).

Oder Tankstellen! Auch so Orte, wo ich mich nur unauffällig, sozusagen inkognito, bewegen darf. (Eigentlich ein zutreffendes Bild für mein Leben – ich lebe inkognito; wie ich wirklich bin, was ich wirklich drauf habe, darf ich nicht zeigen.) Gottseidank habe ich weder Führerschein, noch Auto (Griechisch autos = selbst) – sie würden es sofort merken. Mir steht kein Auto zu. Soviel Platz darf ich nicht beanspruchen. Das würde sofort die zuständigen Götter gegen mich aufbringen (Siehe: „Mein ganz persönlicher Größenwahn“ hier in der Schublade Nummer 89).

Ich bin es schon so müde, ich bin es so müde. Ich mag nicht mehr.

Naja, hier im Bett, beim Schreiben, oder Lesen, oder Schlafen und Träumen, beim Herumsinnieren – das geht. Das ist der Ort, wo ich einigermaßen selbstverständlich bin.

Oder singen. Wo könnte ich selbstverständlich singen? Wo fühle ich mich selbstverständlich genug, daß ich unbefangen singen könnte?








(16./17.1.2017)
















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 16. Januar 2017

572 Idealistische Taxifahrt

Mein Name ist Josef Heckenhauer. Ich bin Taxifahrer. Ich habe einmal Philosophie und Soziologie studiert, aber das Studium abgebrochen, aus Enttäuschung und – was ich ungern zugebe – aus Angst davor, damit etwas anfangen zu müssen. Mehr noch, ich würde behaupten, dahinter steckt eine diffuse Angst vor Erfolg. Außerdem hat damals mein Glaube an die Revolution ordentliche Sprünge abbekommen. Nun gut, ich bin beim Taxifahren hängen geblieben. So richtig glücklich bin ich damit nicht, aber ich habe mich damit abgefunden, fremde Leute hin und her zu fahren und – auch das gebe ich ungern zu – das passt sogar ganz gut zu meinem etwas devoten Charakter; das Aufbegehren und Revoltieren war wohl zu aufgesetzt. Aber ein bißchen widerspenstige Attitüde habe ich mir erhalten, ich mache gerne mit, wenn gegen die da oben geschimpft wird und ihre Verdorbenheit und Korruptheit angeprangert wird. Das erlebe ich auch immer wieder mit Fahrgästen, und ich bin froh, wenn ich ein Übereinstimmungsthema habe, wenn schon geplaudert werden soll. Auch mit Arbeitskollegen. Natürlich merke ich auch, daß das oft sehr Rechte sind, die so reden, aber mir ist es recht, ihnen nicht widersprechen zu müssen, oder sollen – weil ich das ungern mache und ich vermeide, das Thema so zu vertiefen, daß die Gegensätze offenkundig werden. Ehrlich gesagt, ich habe ein wenig Angst vor denen.

Daß ich die Leute herumkutschiere, gibt mir aber schon ein bißchen Selbstwertgefühl. Das ich das kann, beruhigt mich. Ich bin ja ein guter und aufmerksamer Fahrer und achte sehr darauf, beschleunigen und abbremsen geschmeidig zu gestalten, nicht ruckartig, daß den Fahrgästen, vor allem Kindern und Betrunkenen schlecht wird. Nein, das mache ich nicht; auch nicht bei Kunden, die mir unsympathisch sind. Nein, das ist mir wichtig, daß ich gut fahre und auch niemand mit dem Geld oder der Fahrroute betrüge. Das kommt wahrscheinlich noch aus meiner katholischen Ministrantenzeit, die ich damals ganz ernst genommen habe. Vergeblich habe ich in meiner „revolutionären“ Phase versucht, dies abzuschütteln, aber jetzt bin ich froh darüber und akzeptiere diesen Charakterzug und will nicht mehr wie die „anderen“ sein. Es gibt mir ein Gefühl von Erhabenheit, auch einen unguten Kunden korrekt zu bedienstleisten, auch wenn er oder sie mir kein Trinkgeld gibt.

Neulich habe ich um drei Uhr früh zwei Studenten und eine Studentin gefahren. Offensichtlich waren sie „revolutionär“, denn sie haben von der Arbeiterklasse und vom Klassenkampf geredet. Daß es das heute noch gibt! Natürlich war es ein ziemlicher Blödsinn, was sie da geredet haben, abgehoben, weltfremd und gefährlich, wenn sie damit ernst machten und ihre Ideen eins zu eins auf die Wirklichkeit übertrügen. Aber ich habe gelächelt. Ich habe lächeln müssen, denn ich erinnere mich genau an so eine Situation in meiner Studentenzeit. Zu dritt im Taxi, leicht betrunken, und vor allem ich habe dauernd etwas von, von Revolution gefaselt und darüber, was die Arbeiterklasse machen müßte. Obwohl ich gespürt habe, daß das dem Taxifahrer gegenüber sehr … blöd, ja, arrogant ist. Bis mir die Feministin neben mir – sie stammte wirklich aus der Arbeiterklasse – zugezischelt hat „Sei still! Das macht man nicht!“ Das war damals. Damals haben auch Feministinnen noch „man“ gesagt.

Wie auch immer, ich mußte lächeln und niemand hat den einen eifrigen Revolutionär, der jetzt fast nur mehr alleine redete, gebremst. Der eifrige Revolutionär hat mein Lächeln als Zustimmung aufgefaßt und immer mehr in meine Richtung gesprochen. Nicht so ganz direkt, das hat er sich – glaube ich – nicht getraut, aber er hat immer wieder verstohlen zu mir hergeschaut, über den Spiegel oder von der Seite, wie ich reagiere.
Mein Gott! Was der für einen Blödsinn geredet hat, daß wir knapp vor einer Revolution stünden, daß man die Arbeiterklasse über die Rechten nur aufklären müsse und so weiter, aber ich mußte – in Erinnerung an meine eigene Dummheit – einfach lächeln. Richtig geantwortet habe ich nicht, nur so undefinierbare Laute abgegeben. Mir kommt vor, daß wurde allmählich auch dem Revolutionsredner etwas unheimlich, denn er ließ seinen Monolog langsam auslaufen. Vielleicht ist er aber auch bloß müde geworden; schließlich waren sie ja einigermaßen angeheitert.

Wir waren am Ziel und die Guten sind ausgestiegen. Ja, ich denke schon, daß man in seiner Jugend seinen Idealismus ganz groß ausdehnen muß, damit es zu einer guten Lebensentscheidung kommt und man oder frau nicht zu früh klein beigibt. Aber dann muß sich der Idealismus von der Wirklichkeit korrigieren lassen; nicht einfach nur anpassen, nein, das nicht, aber in Frage stellen lassen; er muß sich an der Wirklichkeit und im Leben bewähren.
Richtig gefährlich wird es, wenn versucht wird, das Leben und die Wirklichkeit an die Idealvorstellung anzupassen – egal unter welcher Flagge – wenn solche Leute Macht haben, dann gibt es Tote und Straflager, viele.

Aber das habe ich denen beim Aussteigen nicht gesagt; ich habe ihnen im Stillen alles Gute gewünscht. Ich selber habe mir meinen Idealismus viel zu früh abstechen lassen, bevor er sich richtig entfalten konnte, lange vor meiner „revolutionären“ Zeit; ich würde sagen, diese Phase war selber schon ein Produkt meines zusammengeschlagenen Idealismus, der sich noch an irgendeine „schöne“ Idee anklammern wollte. Darum ist es auch zu keiner richtigen Lebensentscheidung gekommen. Nun gut, jetzt fahre ich halt Taxi, aber das will ich gut und integer machen, obwohl es immer schwerer wird, sich damit über Wasser zu halten.
Ich will aber daran glauben, daß auch heutzutage für junge Menschen eine gute Lebens- und Berufsentscheidung möglich ist, auch wenn die gesellschaftliche Lage recht hoffnungslos ausschaut.





(16.1.2017)















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 14. Januar 2017

571 Die Kochlöffel aus Holz

Wir haben ein paar Kochlöffel aus Holz. Da meine Frau als Tagesmutter arbeitet, gibt es auch welche aus Plastik. Denn es ist auch Tagesmüttern wie Kindergärten und Betrieben, die an solche Essen liefern, verboten, Holzkochlöffel zur Zubereitung von Speisen für die Kinder zu verwenden, weil sich in den Poren und Ritzen irgendwelche Bakterien, Keime oder-was-weiß-ich-was verstecken könnten.
Ich halte das für einen abgrundtiefen Blödsinn und vermute, daß das mehr mit Industrielobbying zu tun hat, als mit vernünftigen Überlegungen, noch dazu, wo kein Mensch weiß, wie sich der Plastikabrieb mit seinen zweifelhaften Stoffen und Materialien, den wir dann mit der Nahrung aufnehmen, langfristig auf unsere Gesundheit auswirkt. (Sagen wir halt einmal, wir wissen es nicht, obwohl es ja schon warnende Studien geben soll.)
Ich beherrsche mich gerade sehr tapfer, jetzt keine Schimpftirade loszulassen.

Aber meine Frau hält sich an das Gesetz, um ihre geliebte Arbeit als Tagesmutter und Piklerpädagogin nicht zu gefährden und ich würde es an ihrer Stelle auch tun. Das bei aller Achtung für die Bio-Händlerin aus Graz, die sich weigert, sich an dieses bescheuerte Gesetz zu halten, und Holzkochlöffel und Holzschneidebretter trotz Verbot weiterverwendet und dafür ins Gefängnis geht.

Also: wenn meine Frau für die Tageskinder kocht, verwendet sie Plastikkochlöffel; wenn ich gegen Mittag auftauche, um mir aus den Restln der letzten Tage ein Mischmasch für mein wärmehaltendes Menagereindl - ein Geschenk der Firma, das ich dann gefüllt mit Nahrung als Verpflegung in die Arbeit mitnehme – zusammen zu braten, zu schmorren oder zu kochen, dann verwende ich einen Holzkochlöffel. Es liegen also auf der Anrichte ein Plastikkochlöffel und mindestens ein Holzkochlöffel. Und fast jedesmal in dieser alltäglichen Situation beginnt dann dieser mein innerer Film:

Mein innerer Film schaut so aus: ich phantasiere, es taucht ein Kontrollor der zuständigen Stelle auf und kontrolliert unsere Küche. Er sieht die Holzkochlöffel und beanstandet sie. Ich erkläre ihm – wie es der Wahrheit entspricht – daß die Holzkochlöffel nur privat verwendet werden und für die Tageskinder ausschließlich ein Plastikkochlöffel. Er glaubt es nicht. Ich weise darauf hin, daß das eine Tageskinderstätte UND ein Privathaushalt ist und das wir das zu trennen wissen. Er beharrt darauf, die Holzkochlöffel zu entfernen. Ich erkläre ihm nocheinmal, daß das Gesetz hier nicht gebrochen wird, weil meine Frau für die Tageskinder mit dem Plastikkochlöffel kocht und es mir nur um mein Recht geht, als Privatperson die Kochlöffel zu verwenden, die ich will. Er glaubt es nicht und unterstellt, daß wir ihn anlügen. Sein Auftreten ist von oben herab und autoritär, mit dem blöden Gesetz im Rücken fühlt er sich berechtigt, auf inquisitorische Weise in unsere Privatsphäre einzugreifen, uns bevormundend zu belehren und mit dem Entzug der Tagesmutterlizenz zu drohen für den Fall, daß die Holzkochlöffel nicht verschwinden. Wir fangen zu streiten an.

Jetzt gibt es in meinem Film eine Abzweigung. Er spaltet sich in eine selbstaggressive und eine „normale“, fremdaggressive Variante.

Die selbstaggressive. Ich weigere mich, die Holzkochlöffel wegzugeben. In meiner Phantasie darf ich unlogisch sein und kann ausblenden, wie das für meine Frau wäre, wenn sie wegen mir ihre geliebte Arbeit verlöre. Ich lasse das einfach aus und reduziere diesen Konflikt auf einen zwischen mir und dem Büttel. In dieser meiner Phantasie bin ich unbeugsam und gehe für meine Überzeugung ins Gefängnis. Auch da ist mein Film nicht sehr detailliert sondern ungenau; erst in der Gemeinschaftszelle wird die Phantasie wieder üppiger. Ich werde dort – schon unter Anleitung der Obrigkeit – von den Mitgefangenen gequält. Zunächst werde ich nur verbal geschmäht, verspottet, dann tätlich angegriffen; es gibt Watschen, Schläge, Tritte und schließlich das, wovor ich die größte Angst habe, die Vergewaltigung (mich alten Knacker? Naja, nachdem es dabei nicht um Erotik geht, sondern um Machtdemonstration und Unterwerfung und Lust am Quälen, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen. Aber so gut kenne ich mich mit der Gefängniswelt auch nicht aus.)
Also ich leide, bin das Opfer und koste das Opfer-Sein bis zur Neige aus. Auch die Justizwachebeamten holen mich dann heraus und foltern mich und ich ende mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt, die Arme ausgebreitet wie – na, ihr wißt schon! - und den blutenden Kopf nach vorne geneigt. Ich glaube, das nennt man „Leidensmanie“ (W. Döbereiner).

Die andere Schlußvariante meines inneren Filmes. Ich gerate in einen furchtbaren Zorn, schreie den Kontrollbüttel an, werfe ihn handgreiflich aus der Wohnung; und als er wieder hereinkommt und mit allem möglichen droht, nehme ich den Baseballschläger und dresche auf ihn ein. Dabei schreie und schimpfe ich laut und mir, mir fallen spontan und ohne Unterbrechung passende „Bezeichnungen“ und Schimpfwörter ein; ich bin nicht auf den Mund gefallen und schließlich brülle ich ihn an, daß er ein Strichjunge der korrupt und verrückt gewordenen Obrigkeit ist, während ich ihn im Stiegenhaus draußen die Wirbelsäule zerschlagend die Stiege hinunter dresche. Ja! Jaaa!

Das ist mein innerer Film.

Gell, ganz schön viel Aggression und Hass in mir, nicht wahr? Wobei die Unterscheidung in selbstaggressiv und "fremd"aggressiv im Kern belanglos ist, denn es bedeutet beides, daß - wie ich vermute - große Mengen meiner Energie in Windmühlenkämpfe mit den Dämonen meiner Kindheit - auch wenn sie in aktualisierten Verkleidungen auftreten - gefangen sind und mir nicht für die Gegenwart zur Verfügung stehen.







(13./14.1.2017)

















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 13. Januar 2017

570 Karma-Police

Gut ausgeschlafen nach neun Stunden, die verwirrenden Träume schon verarbeitet und verdaut. Ich habe jetzt die Zimmertür offen und die kalte Luft aus dem Vorzimmer löst sofort einen Hustenreiz aus. Ich wundere mich über eine solche Empfindlichkeit. Ich will das nicht. Es stört mein Selbstbild, ich will robuster sein.
Na gut, ich bin es ja gewohnt, Idealvorstellungen aus meinem Selbstbild rausschlagen zu müssen. Lassen wir das. Soo interessant ist das auch wieder nicht.

Mein Gott, was seid ihr für Comicfiguren! Primitiv und geistlos, seelisch verfettet, feig, charakterlos, ohne Anstand; ihr müßt die Welt ruinieren, weil ihr zu feig seid, in euer Inneres zu schauen und dort aufzuräumen. Deshalb müßt ihr töten.
Ich sage das natürlich nicht zu euch, liebe Leserinnen und Leser, sondern zu den Figuren, gegen die ich in meinem inneren Film kämpfe. Sie führen mich schon zu meiner Hinrichtung und ich schleudere ihnen noch ihre Lächerlichkeit entgegen; ich lache sie aus. Ende der Vorstellung.

Ich weiß nicht, woher dieses Stück kommt, aber es taucht immer wieder auf. Wechselnde Bühnen, wechselnde Kostüme, aber immer das gleiche Stück.

Es gibt natürlich auch den Satz, daß man immer dort hintritt, wo man selber die Wunden hat. Damit ist eigentlich nicht mehr viel dazu zu sagen, oder?

Was bin ich schon. Ein alter Mann mit viel zu jugendlichen Träumen, die nie ins Leben gelassen wurden, und der mit dem Aufräumen gar nicht mehr nachkommt. Ein Kandidat für die Karma-Police. Gottseidank muß ich mich darum nicht selber kümmern!





(13.1.2017)












©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

569 Einzelhaft

Was würdest du in Einzelhaft machen? Ich würde singen, Tensegrity üben, rekapitulieren, schreiben - wenn es möglich ist, und träumen. Vielleicht auch beten. Einzelhaft wäre mir sowieso lieber. Natürlich behaupte ich das, während ich hier im Trockenen sitze, gemütlich in meinem Bett knotze. Die Wirklichkeit würde wohl ganz anders ausschauen.
Einzelhaft wäre mir trotzdem lieber als Gemeinschaftszelle; ich hätte vor den Männern dort große, große Angst.

Warum ich das frage? Ich weiß nicht; es ist mir gerade so eingefallen. Gemeinschaftszelle gehört zu meinen absoluten Horrorvorstellungen. Ich würde gegen die Mitgefangenen nicht ankommen, ich würde mich nicht behaupten können, ich würde untergehen, ich könnte mich nicht wehren – wie ich es in meiner Kindheit nicht konnte. Ich würde mich nicht schützen können. Die reinste Hölle!


Ich habe heute gelesen, daß für eine Einsiedelei in Salzburg ein Einsiedler gesucht wird, gegen Kost und Logie. Die Vorstellung, Einsiedler zu sein, hat für mich etwas Anziehendes. Freilich, die Wirklichkeit würde anders ausschauen. Noch dazu, wo der in Salzburg wohl auch so eine Art Touristenattraktion abgeben soll, wie ich vermute. Nein, nichts für mich.

Wir haben keine gescheiten offiziellen und institutionalisierten Formen mehr fürs kontemplative Leben, aber vielleicht ist das auch eine Chance. Am ehesten kann ich mir noch clandestine Einsiedler vorstellen, solche, die unter den Menschen wohnen, aber ein kontemplatives Leben führen. Das ist ganz schwer, aber wenn das gelingt – das stelle ich mir ganz bereichernd und sinnvoll vor.

Ansatzweise hat es bei mir zwei Lebensphasen gegeben, wo es fast ein wenig in diese Richtung gegangen, aber dann eben doch nicht geglückt ist, wie gesagt, nur ansatzweise. Das waren trotzdem nicht die schlechtesten Lebensphasen.

Mir ist jetzt kalt und ich ziehe mir einen Pulli an.






(12.1.2017)














©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 12. Januar 2017

568 Das rote Bändchen

Zufrieden. Richtig zufrieden. Ich liege im Bett und schreibe. Das Tagewerk ist vollbracht. Ganz zufrieden – ehrlich gesagt – sollte ich nicht sein, aber ich bin es doch. Drücken wir es so aus: ein durchwachsener Tag – das ist schon was.
Warum ich schon wieder huste! Egal. Jetzt schaue ich auf. Alles ist so, wie es ist.
Das rote Bändchen an meinem Notizbuch, das man als Lesezeichen … pardon, hier müßte es Schreibzeichen heißen ... verwendet, fuchst mich, weil es ständig über das Papier rutscht, genau auf der Seite, die ich beschreibe. (Eine solche zu beschreiben, wäre vielleicht auch eine Idee! - „die leere Papierseite meines Notizbuches ist weiß; im Licht der Nachttischlampe ganz ein wenig gelblich, aber auch mit bläulichen und gräulichen Elementen.“ usw.) („... von einer schwer zu beschreibenden Struktur, ein bißchen wie eine Haut – nur glatter und viel weißer natürlich. Man muß länger draufschauen, bis man die Flecken und – nennen wir sie so – Poren sieht.“)
Ich habe das rote Bändchen zurückgeschlagen, ich meine, auf die Rückseite des Notizbuches gelegt; jetzt stört es mich nicht mehr (obwohl es schon wieder beginnt, nach vorne zu rutschen, indem es eine Art Schlinge bildet, die sich schon wieder über den oberen Rand des Notizbuches nach vorne wölbt).
Surren und Wecker – Entschuldigung, ich muß es herschreiben, weil es da ist. Aufhalten werde ich mich heute damit nicht.
(Und was das Papierblatt betrifft: "manche Stellen oder Flecken reflektieren das Licht stärker als andere. Manche sind zwar dünkler, glänzen jedoch mehr als benachbarte Flecken, die weißer, aber stumpfer wirken.")
("Die Muster, die Strukturen erinnern auch ein wenig an eine Landkarte, sagen wir zum Beispiel wie eine von den Gebieten Finnlands mit den vielen Seen. Ein wenig so. Eine Gletscherregion könnte auch hinkommen, wenn es viele kleine Gletscher sind." Naja, ich will mich mit den Vergleichen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Außerdem sind beide aufgeschlagenen Seiten schon vollgeschrieben, und ich habe kaum mehr freie Fläche, die ich betrachten kann. Was? Umblättern? Nein, ich mag nicht. Ich höre lieber auf für heute.)




(11./12.1.2017)














©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 11. Januar 2017

567 Ich muß raus!

Ich bin auch so ein Doppelgläubiger; mindestens. Das hilft mir jetzt jedoch überhaupt nicht gegen die Angst. Meine innere Substanz zittert, löst sich fast auf, oder ist schon fast aufgelöst. Ein würgendes Gefühl im Hals, das Herz klopft aufgeregt, die Ohren surren wie verrückt, meine Atmung muß gegen einen Druck anarbeiten. Jetzt geht es nur ums Aushalten. Die von Zeit zu Zeit unwillkürlich einsetzenden tieferen Atemzüge helfen; sie bringen Beruhigung, sozusagen Millimeter um Millimeter Festigkeit.
Aber trotzdem: innerlich schreit die nackte Angst, laut, schrill, unaufhörlich, panisch, stumm; so, daß ich mir kaum zu helfen weiß.
Nur ganz langsam kann ich mich etwas beruhigen. Es geht nicht ganz weg; mir ist immer noch fast schlecht vor Angst. Am Besten wäre, ich würde im Bett bleiben, bis ich mein Gleichgewicht gefunden habe. Aber das geht nicht; ich muß raus!








(11.1.2017)












©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

566 Momentan habe ich genug davon

Heute horche ich nicht in mich hinein. Momentan habe ich genug davon.

Mein Surren ist plötzlich umgeschlagen und hat komplett die Tonhöhe und den Klang geändert. Es ist tiefer geworden und hat mechanischer geklungen, wie die Rotationsgeräusche einer schnell drehenden Maschine, aber schmäler. Dann ist dieser Ton weggezogen und das alte, breite, vielstimmige Surren ist allmählich von unten her wieder ins Hörfeld gekommen. Die Umgebung pulsiert, optisch und akustisch. Das wird die Müdigkeit sein, ich wette.

Dann ein Husten, als hätte ich mich beim Wassertrinken verschluckt. Ich habe mich aber beim Wassertrinken nicht verschluckt.

Ich starre mit geschlossenen Augen in die Dunkelheit und irgendetwas rast beängstigend auf mich zu, aber es kommt nie an. Und es hört nicht auf.



(10./11.1.2017)












 ©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 10. Januar 2017

565 Versuch, eine dicke Haut vorzutäuschen

Im Traum genauso daneben wie in Wirklichkeit. Einfach nicht kapiert, worum es geht. Nicht alles verstanden. Die Anspielungen nicht verstanden. Daneben. Und mich nicht erinnert. Was soll ich beim Frühstück falsch gemacht haben? Ich weiß gar nichts mehr. Habe ich überhaupt gefrühstückt? Und was war da? Deswegen gleich unsicher und ertappt gefühlt. Und ein wenig trotzig. Wenn ihr mich nicht wollt, kann ich ja gehen. Versuch, eine dicke Haut vorzutäuschen.




(10.1.17)








 ©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

564 Ich sage: so schaut es für mich aus

Der Wecker tickt und ich halte mich an diesem Rhythmus wie an ein Geländer fest. Den Kopf nach links geneigt warte ich auf Erleuchtung. Ich drehe mich ganz nach links, um meinen Tod zu fragen. Aber ich spüre ihn nicht, ich höre ihn nicht. Keine Antwort. Ich weiß, er müßte sagen: „Noch habe ich dich nicht berührt!“(C.C.)  Aber das denke ich nur, ich spüre es nicht; ich brabbel bloß Gelesenes nach. Ich komme nicht an den Lebenskern. Ich finde ihn nicht. Kontakt schon längst, sehr früh verloren.

Ja! Jetzt ein tiefer, seufzender Atemzug; jetzt habe ich ein wenig gespürt. Trauer und Schmerz sind angeklungen. Wehmut. Gleich rattert wieder mein Gedankenapparat und ich verliere das Empfinden. Ich versuche, mich zurückzuholen und horche wieder auf das Weckerticken. Es wird immer lauter. Und größer. Und zwar das Ticken selber als auch die Abstände dazwischen. Es öffnet sich und füllt immer mehr Raum. Begleitet vom Surren in den Ohren, wie mir erst jetzt auffällt.

Meine Bilderwand ist mir ganz fremd; ich weiß im Moment nicht, warum ich das alles aufgehängt habe. Ich strenge mich an, mich zu erinnern, aber ich verliere den Faden. Ich erinnere mich nur, daß das alles für mich wichtig war. Jetzt spüre ich es nicht („sprachlos und kalt“ F.H.). Wieder schweife ich ab in Gedanken und Phantasien (Als Volksschulkind hatte ich mir das in zähem Kampf abgewöhnt.) Ich versuche mich vor irgendwelchen ausgedachten, aber der Wirklichkeit entnommenen Figuren zu erklären und zu verteidigen und ich werde angehört. Das Angehört-Werden ist Phantasie, das innere Tribunal Wirklichkeit. Wieder zurück zum Wecker.

Wie tapfer, klug und instinktiv richtig ich damals meinen zähen Kampf gegen das Tagträumen geführt habe! Geduldig, ohne Fanatismus, ohne Selbstvorwürfe, einfach mich jedesmal wieder herausgeholt, wenn ich bemerkt habe, daß ich abgeglitten bin. Es ist sinnlos, aber ich wünschte, ich hätte diesen Weg weitergehen können und wäre darin nicht so gestört worden. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das als Begabung erkannt und gefördert wird. Der Gedanke, was damals für ein Potential in mir steckte und sich nicht verwirklichen konnte, macht mich ganz irre. Ich kann das schwer ertragen. Nur melancholische Resignation federt den Schmerz etwas ab. Es stellt sich für mich so dar, daß ich den Kampf verloren habe; keine Aussicht darauf, das Steuer noch einmal herumzureißen. (Ich sage: so schaut es für mich aus. Ich sage nicht, daß das stimmt.) Lächelnd das eigene Scheitern akzeptieren. Ich staune ein wenig, daß ich das bisher überlebt habe. Ich drehe mich wieder nach links um, aber ich bin zu grob, zu unsensibel, zu verschlossen.

Wieder ein Seufzer, der mich ein wenig spüren läßt, daß in mir noch etwas lebt.





(9./10.1.17)









 ©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com