Mittwoch, 26. Juli 2017

737 Verhandlung

Lassen Sie mich unsere Verhandlung – wenn man das überhaupt so nennen will – mit einer Feststellung beginnen: ich bin inzwischen der alleinige Besitzer all ihrer Schuldscheine und all dessen, was Sie schon am Markt an Ressourcen verkauft haben, um Ihre enormen Schulden zu tilgen.

Das ist die Ausgangslage. Die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit ist Ihnen ja auch ins Gesicht geschrieben. Aber ich mache Ihnen ein Angebot, das Sie freuen wird: alle Ihre Schulden werden einfach gestrichen; ich verzichte für immer darauf, sie einzutreiben. Ihre Schulden existieren nicht mehr. Und ich gebe Ihnen all Ihre Besitztümer und Ressourcen zurück – sie kommen wieder zur Gänze in Ihren Besitz. Irgendeine Gegenleistung wird nicht verlangt oder erwartet. Wir wissen ja auch, daß es bei dieser Schuldentwicklung nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Sie können mit den wiedererlangten Besitztümern machen, was Sie wollen. Wenn Sie mich fragen, würde ich Ihnen raten, sie nicht mehr zu verkaufen, sondern sie besonnen und in Eigenverantwortung zu nutzen und zu verwalten. Aber wie schon gesagt, was immer sie damit tun, ich mische mich nicht ein. Ich habe keine Ansprüche mehr an Sie. Ich wünsche Ihnen alles Gute!








(25.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

736 Gelber

Meine Wahrnehmung ändert sich. Es muß etwas mit dem Licht sein. Die Ausleuchtung in meiner Kammer ist anders. Gelber. Alles ist gelber. Ich schaue herum und will nichts mehr verstehen. Ich bin schon zu müde geworden.
Es ist gelber, aber auch schwärzer. Das gelbe Licht hat einen Stich ins Schwarze.

Ich denke das gern, daß ich zu müde bin. Das ist geradezu mein Lieblingsgedanke: ich bin zu müde und gehe in Pension. In den Ruhestand. In den Weltruhestand. Alles ist gelaufen, mehr ist nicht mehr zu tun. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“.

Was es doch für eine Fröhlichkeit in der Welt gibt! Das ist mir noch aufgefallen; beim Lesen.







(24./25.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

735 Eine große Müdigkeit

Leichtes Kopfweh, leichte Irritation – ich denke, der Hitze und dem ausufernden Kaffeekonsum geschuldet – und eine große Müdigkeit.







(23./24.7.2017)









 ©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

734 Das Abenteuer

Das Abenteuer, den linken Zeigefinger, der sich im Halbschlaf in den Papierseiten meines Notizbuches verfangen hat, zu befreien - und zwar mit einem kraftvollen, plötzlichen Ruck - löst einen richtigen körperlichen Schock aus, sodaß ich aufgewacht bin. Und jetzt beginne ich wieder, in den Dämmerzustand, in dem ich auf Inspiration und Einfälle warte (Einfälle: von wem eigentlich? Wer fällt ein? „Inspiration“ scheint klar), hinabzusinken. Schon sind die Gedanken und Sätze wieder zerfallen und die Traumwelt ergreift mehr und mehr Besitz von meinem Bewußtsein. Die Katze mit ihren Aufforderungen, sie zu streicheln, holt mich an die Oberfläche zurück. Nichts für ungut, liebe Katze, aber du hältst mich davon ab, einen tiefen Text zu schreiben! ... Nun streichel ich dich sogar ganz unaufgefordert, einfach aus einer textresignativen Haltung heraus, weil mir sowieso nichts einfällt.
Im Flüsterton frage ich die mir hinter ihrem Schreibtisch gegenüber sitzende junge Beamtin; aber was, das ist mir entfallen.
„Nein, lieber Peter“, sagt eine andere Frau, „du bist nicht im falschen Film. Das sind deine Bilder, mit denen du dich auseinandersetzen mußt.“ Den zweiten Satz habe ich möglicherweise erfunden; sicher bin ich mir nicht. Vielleicht habe ich ihn doch herübergerettet.
Erstaunt und verwirrt starre ich auf die Bücherwand gegenüber, bevor ich die Augen wieder schließe.
Jetzt bin ich einer wichtigen Sache auf der Spur - es geht um Erziehung - wo ich bloß eine Rolle gespielt habe und nicht ich selber war. (Wer, zum Teufel!, ist „ich selber“?)

Es läutet an der Tür, aber das gilt nicht mir. Verdammt, warum tust du so herum und gehst nicht einfach an die Tür und betätigst den Türöffner? Zuerst bist du noch ruhig dagesessen – soweit ich es mitbekommen habe – und jetzt, wo es läutet, fängst du mit Herumräumen an. Was soll diese Verzögerungstaktik! Aber das geht mich nichts an. Naja, mein passiv autoritärer Charakter hält es nicht aus, daß jemand beim Läuten nicht sofort aufspringt und zur Tür rennt. Dabei ist sich eh alles gut ausgegangen. Flucht vom eigenen Unbehagen in Fremdbeschuldigungen.

Ich möchte wieder in den Halbschlaf versinken, aber es geht nicht mehr, durch meinen Ärger bin ich endgültig in der Alltagswelt verfangen.

Und jetzt, nach einer halben Stunde, bin ich bereits von der Inquisition bedroht. Gott (!) sei Dank!, ich bin wieder eingeschlafen.










(21.7.2017)










©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

733 Die Ruhe nach dem Sturm

Die Ruhe nach dem Sturm. Lange fällt mir nichts ein, ohne daß deswegen mein innerer Monolog abgestellt ist. Ich habe den Verdacht, er läuft auch weiter, wenn ich keine Gedanken habe, respektive mir keine auffallen, respektive ich sie nicht erwische.







(20./21.7.2017)














©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

732 Die Reisetasche

Verzweifelt versuche ich die Reisetasche zu nehmen und hochzuheben, aber ich kann den Willen nicht und nicht aufbringen, die beiden Henkel zu ergreifen und das Gepäckstück zu tragen. Ich weiß auch nicht, wozu ich die Tasche brauche und was in ihr drinnen ist, und für welche Reise sie gut sein soll. Bis mir allmählich dämmert, daß ich in einem Traum bin und dies eine geträumte Reisetasche ist. Die Erkenntnis erleichtert mich ein wenig und ich bin mir nicht mehr so böse, daß ich nichts schaffe und mir nichts gelingt.

Es surrt und summt in meinen Ohren – immer ein Anzeichen dafür, daß mein Bewußtsein die Ebenen gewechselt hat. Aber wo ist meine Reisetasche für meine Reise hier? Hier in dieser Welt?







(17./18.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

731 Alles schaut anders aus

Alles schaut anders aus und ist doch meine vertraute Kammer. Ja, ein paar kleine Veränderungen in letzter Zeit: eine neue Regalfläche für Bücher geschaffen um die Bücherstapel neben meinem Bett abzubauen; die Jalousie wieder aktiviert zusätzlich zum Rouleau – was weiß ich, aus welchem Grund ich das gemacht habe. Das war's jedoch schon. Alles schaut anders aus – gar nicht so schlecht übrigens – aber wegen mir. In meiner Seele ist nur mehr Asche. Alles abgebrannt, was meinem Blick einen kurzen existentialistischen Bedeutungsrausch verleiht. Diese Feststellung lockt ein kleines Lächeln auf die Innenseite meines Gesichts. Innen! Nicht außen! Mein milder Abschiedsblick, den ich nicht ernst nehmen kann.
Oder ist es mein Gehirn, das immer mehr die Lust verliert?
Ich gehe herum wie ein müde gewordener Archäologe, aber da ist nichts mehr. Entweder ist die Grabungsstätte ausgeplündert oder ich grabe am falschen Ort. Oder das war alles, mehr gibt es nicht.







(17.7.2017)










©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

730 Wo sind die Kinder?

Wieder im Haus am Fluß oder am Meer. Hunderte Male waren wir schon im Traum-Urlaub hier. Wieder der Abreisetag. Wieder ist an diesem Tag alles so verändert, daß ich mich nicht mehr zurechtfinde. Wo ist eigentlich unser Zimmer? Können wir noch rein? Wo ist das Klo? Gehört der Pullover, der da herumliegt, uns? Meine Frau ist mir keine große Hilfe; sie tut so, als wüßte sie alles, aber gibt mir keine deutlichen Antworten. Hat sie unter ihrem kurzen Kleid überhaupt eine Unterhose an? Und wo sind die Kinder? Meine Frau redet mit einem Mann. Ist das der Chef hier oder der neue Mieter unseres Zimmers? Der Raum hallt so stark, daß ich von dem, was sie reden, nichts verstehe. Ich frage nach, aber auch meine Frau redet undeutlich; sie spricht bei ihrer Antwort in eine andere Richtung, nicht zu mir her, ich verstehe sie nicht. Müssen wir nicht schon längst zum Bus? Wo sind die Kinder? Wie spät ist es? Halb eins. Aber stimmt das? Draußen ist es dunkel, es muß viel später sein, die Uhren gehen anscheinend falsch. Ich sage das meiner Frau, aber sie ist mir keine große Hilfe; sie antwortet nicht. Aber jetzt ist es dämmrig. Wo sind die Kinder? Sind sie mit dem Rad vorausgefahren? Fahren wir jetzt los? Wo ist die Bushaltestelle? Ist das mit den Kindern abgesprochen? Wissen sie, daß wir jetzt abfahren? Fahren wir jetzt überhaupt ab?







(17.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

729 Ich komme nicht zu Wort

Ich komme nicht zu Wort. Okay. Ich verstecke mich zusehends hinter Belanglosigkeiten und spare das Eigentliche aus. Hier oder dort verstumme ich. Es wäre auch nicht einfach, zu reden, denn in meiner Seele ist/hockt/wirkt/arbeitet/drückt, ja brennt ein Schmerz, den ich kaum noch aushalte. Und der mir den Atem nimmt. Uralt ist er. Vielleicht Jahrtausende alt. Eine unendlich lange Kette an Schmerzgenerationen. Und in mir erwacht dieses Erbe und schlägt jetzt die Augen auf. Vielleicht agiert es dann nicht mehr blind, weil es sehen lernt. Vielleicht.
Trotzdem: ich bin mit allem hintennach; verspätet, gelähmt vom Schock. Viel zu lange die Augen nicht aufbekommen. Es ist wohl zu spät.







(15./16.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

728 Hobbylos

Es gibt hier nichts mehr, wo ich meine Flaschenpost auswerfen kann. Wenn ich meine ausgedruckten Texte schlampig auf meinem Schreibtisch staple, werden sie nicht auf Reisen geschickt. Niemand von draußen liest sie. Es ist wie aufgeben, nicht einen Brief, sondern die Hoffnung. Vielleicht muß es so sein – aus irgendwelchen hinterhältigen Ratschlüssen von irgendwelchen Göttern, Engeln, Geistern, Dämonen, Djinns, oder doch bloß der Gespenster meines Aufwachsens, daß sie mir nicht erlauben, hinauszukommen. Oder ich soll durch Herausforderungen angestachelt werden. Ohje! Das funktioniert bei mir nicht.

Das hindert mich nicht daran, heute ein üppiges Mahl zuzubereiten (mißlungen!). Aber umgekehrt ändert das auch nichts daran, daß ich so ganz hobbylos herumsitze. Das Maximum an Aktivität: aus dem Fenster schauen. Alles andere ist mehr oder weniger Pflichtübung. Und Fußballschauen.
Ich verliere zunehmend den Lebensfaden. Vielleicht verliere ich bloß den Geduldsfaden. Ich war nahe daran, einen San-Pedro-Kult zu veranstalten. Ich hebe es mir doch für Situationen auf, wo ich wirklich mit dem Rücken zur Wand stehe.






(13.7.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

727 Ich bin ein willensschwaches Arschloch

Ich bin ein willensschwaches Arschloch und steige als Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein zum Wunderbaum hinauf. Alles noch in Sichtweite der Hütten. Wie damals als Sechszehnjähriger, der alleine auf eine Berghütte gehen wollte, aber dann trotz Markierung den Weg nicht fand, vermutlich aus Panik, und sich dann auf der Leistenalm in die Wiese setzte, alles in Sichtweite des Elternhauses, des Heimatortes und am Abend wieder zurückkehrte, voller Scham, sich mit viel Gerede herausredend, was jedoch für alle durchschaubar war, die verzweifelt aufrecht zu erhalten versuchte Fassade - vielleicht gar nicht wegen mir, sondern wegen der Eltern – ich selber wußte ja schon, daß ich nichts wert bin – möglicherweise war das doch ein Versuch, irgendetwas zustande zu bringen – jedenfalls die Fassade aufrecht zu erhalten mißlang.

Nur daß ich jetzt gar nichts mehr suche, nur ein kleines, kindisches Abseits, um ein wenig Ruhe zu haben, zum Lesen, Schreiben, meine eigenen Gedanken – oder wo immer die herkommen – wieder zu finden, in meine Träumen und Phantasien zu schwelgen, reichlich spät, jetzt, am Lebensabend, viel zu spät, aber egal, es ist ein herrlicher Sommernachmittag, heiß, wenn die Sonne runterbrennt, angenehm, wenn sich eine der schönen, weißen Wolken vorschiebt, still, bis auf das Rauschen des nahen Baches, das Gesumme der Insekten, das Säuseln des leichten Windes, alles Geräusche, die noch dem Bereich der Stille angehören – sozusagen – oder zumindest dem der Ruhe, sogar das ferne Flugzeugdröhnen wirkt beinahe naturgegeben.
Direkt vor mir nur der steile Wiesenabhang, links von mir der dichte, steile Wald. Das Vogelgezwitscher habe ich noch nicht erwähnt.
Ich schaue von oben zu den Almhütten hinab, herausgehoben, wie ich mich wohler fühle, aber es ist jederzeit möglich, daß ich in die sichere – mehr oder weniger, echt oder bloß vorgetäuscht – Gemeinschaft und unter das Hüttendach zurückkehre; nicht mehr als zehn Minuten würde ich dafür brauchen.

Die Brise geht in Wellen über die Gräser, auch ein paar Blumem schaukeln mit, auch einzelne Baumwipfel wiegen sich, nur einzelne. Die weißen Wolken ziehen und ziehen flott dahin, als hätten sie ein Ziel, dem sie unausweichlich zustreben. Angeblich arbeiten die Lebewesen ihr ganzes Leben daran, zu sterben; ihre in ihren Körpern, ihre Gestalt eingeschlossene Energie will wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen ist. Besser ist es, mit Erfahrung angereichert zurückzukommen.

Ich bin nicht direkt beim Wunderbaum, zehn, zwölf Meter höher oben am Hang, am Waldrand, im Schatten, den die Sonne sticht hier heroben auf 1400 Meter sehr kräftig. Fernes Lachen und Rufen der Kinder dringt undeutlich bis herauf. Ich verstehe nichts und mir fällt ein, daß die meisten der Kinder schon Teenager sind.

Wo sind die Bergfräulein, oder die Saligen, um mich für eines oder hundert Jahre zu entführen? Ach, ich bin dafür schon viel zu alt; solche Geschichten passieren nur jungen Menschen. Mich kommt höchstens noch der Teufel holen. Außerdem: ein Teil von mir, möglicherweise der größere, ist sowieso nie hier auf Erden angekommen oder ganz schnell wieder in andere Dimensionen geflohen, und das, was man „ich“ nennt, blieb hier nur scheinanwesend.

Jetzt wird es etwas unbequem hier zu sitzen (soviel Weltkontakt ist da), der Hang ist steil, ich muß mich gut abstützen, um nicht in den nächsten Kuhfladen abzurutschen und bald wird die Sonne meinen Schattenplatz erreichen. Ich schaue mich nach einem besseren Sitzplatz um.

Jetzt bin ich im Heidelbeerbereich, von einer dichten Fichte gut gegen das stechende Sonnenlicht abgeschirmt, wieder sehr steil. Gut versteckt luge ich durch die Äste hindurch auf die Alm hinab. Kurz bin ich zum Wunderbaum hin, auch dort kein gemütlicher Sitzplatz zu finden, alles zu steil. Der Wunderbaum ist nicht der Wunderbaum meiner Kindheit, sondern der meiner Kinder. Anscheinend nasche ich da noch mit.

Wegen dem Kacken wieder in die Zi-Vi-Li-Sa-Ti-On zurückgekehrt sitze ich nun vor der Hüttentür, während sich der Himmel immer mehr mit Wolken überziehen läßt.







(6./12.7.2017)













©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

726 Lärchkaralm

Was habe ich vor zwölf Jahren für ein Glück gehabt? Ich kann mich nicht erinnern. Zweitausendfünf. Keine Ahnung.

Mein geliebter Blick über die Alm löst keine Bilder, keine Gedanken, keine Worte aus. Das muß kein schlechtes Zeichen sein. Aber trotzdem gehe ich jetzt hinaus, um nachzuschauen, ob ich nicht doch etwas sehe.


Es dämmert bereits. In der Hütte ist es schon ziemlich dunkel. Wolken, Nebelschwaden und feiner Nieselregen ziehen über die Berge und den Almboden hin. Vom Dach tropft es. Die Luft ist frisch, würzig und feucht. Die Kuh steht vorm wohlbekannten Tor und wartet, bis es aufgemacht wird. Sie will in den Stall. Andere Kühe brüllen und rufen von der Ferne. Weil die Glockenkuh recht flott den Forstweg weiter hinauf und nach hinten Richtung Talschluß rennt, entfernt sich das Läuten immer mehr und wird leiser. Ein Auto höre ich durch Wasserlacken fahren. Vögel singen. Ich erkenne sie am Ruf nicht. Der Kuh, die vorm Tor gestanden ist, ist die Warterei zu blöd geworden und kommt in meine Nähe und schaut mich kurz ganz neugierig an. Dann trottet sie weiter und stellt sich unter eine astdichte Fichte.

Ich sitze im Trockenen, aber die Nässe rundherum hat etwas fruchtbarkeitsverheißendes. Plötzlich riecht es nach Kerzenparaffin; ich wundere mich, wo das herkommt. Ein leichter Wind kommt auf, mir wird kalt, ich gehe in die Hütte zurück. Meine Seele kommt mir ausgelaugt vor, aber vielleicht sind es bloß meine Gedanken, die sich erschöpft haben.






(2./12.7.2017)













©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

725 Meine korrupte Seele

Meine korrupte Seele geht jeden Tag mindestens dreitausendvierhunderteinundzwanzig faule Kompromisse ein, wo sie gegen ihr Empfinden nachgibt, „Na gut! Von mir aus!“, um des lieben Friedens willen verstummt, oder den Streit aufgibt, bevor alles ausgesprochen ist, oft um andere nicht oder nicht noch mehr zu verletzen. Selber geht sie dabei drauf, wird immer häßlicher und ekelhafter. Und verliert völlig die Orientierung. Sie weiß nicht mehr, was sie ist, was sie will, wo sie ist und weiß einfach nicht weiter, obwohl sie noch spürt: da stimmt etwas nicht, ich bin noch nicht durchgekommen. Und dann flüchtet sie aus der unerträglichen Situation in die Phantasie; bringt sich dort in Sicherheit und – wie sie hofft – ins Reine.

So etwas geht natürlich nicht. Man kann nicht auf eine korrumpierte Wirklichkeit ein reines Geistesleben aufbauen. Die unerledigten Konflikte schießen quer, man liegt unter permanentem Maschinengewehrfeuer und die Phantasiewelt wird gewalttätig, sehr gewalttätig und verzerrt die inneren Bilder und mein Gesicht.

Dabei will ich doch nur, daß der Krieg endlich aus ist.







(28.6.2017)













©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

724 Meine Begleitmusik

Meine Begleitmusik ist eine Klimaanlage im Lichtschacht, das Ticken des Weckers, das Surren in meinen Ohren und mein inneres Geheule. Mein inneres Geheule – bei weitem nicht so schön wie das mondsüchtige Heulen der Wölfe – besteht zu je einem Drittel aus dem Schmerz über mein nicht-gelebtes Leben, aus Selbstmitleid und aus Sich-Gehen-Lassen.
Ich dürfte manche Themen gar nicht anschneiden; nicht einmal hinschauen dürfte ich, nicht einmal in Gedanken. Aber mein Scheitern schaut mich aus jeder Ecke an, egal ob Zimmerecke, Straßenecke, oder die Eckdaten …

Ich halte schon noch durch; ich kann jedoch den trüben Schleier, der mich einhüllt, nicht zerreißen. Was für eine Enttäuschung! Was für eine Niederlage!



Was für eine Sehnsucht, alles hinzuschmeißen! Was für eine Korruption, bloß irgendwie weiterzumachen!







(27./28.6.2017)














©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

723 Morgenstille

Ich habe gut und lange geschlafen und bin in eine stille Morgenphase aufgewacht. Der reine Frieden um mich herum. Nur die Katze kann es nicht lassen, wenn sie mich antatzelt, um mich aufzufordern, sie zu streicheln, ihre Krallen nicht ganz eingezogen zu halten.
Sie schmiegt sich an mich und schnurrt und legt sich schließlich hin.

Der Wind hat anscheinend schon während der Nacht aufgehört und nur mehr ganz leichte Brisen bewegen das Rollo sanft und lautlos.

Jetzt dringt durch den Lichtschacht irgendein Arbeitslärm herauf. Der kann jedoch nicht mehr stören; der friedliche Morgen ist schon in meine Seele aufgenommen und deponiert.

Mit einem kurzen Ausruf fordert mich die Katze auf, den Kugelschreiber wegzulegen und sie wieder zu streicheln.








(26.6.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

722 Der mit Zeitungspapier umwickelte Holzklotz

Der Wind bearbeitet das Rollo und läßt den eingeklemmten Fensterflügel leise klacken. Leise, weil ihm das Dictionary und der mit Zeitungspapier umwickelte Holzklotz den Bewegungsspielraum fast zur Gänze blockieren. Der Wind heult auch. Nicht wegen mir und meinem verpfuschten Leben. Das ist denen da draußen, dort wo der Wind herkommt, völlig egal. Ich sollte mir angewöhnen, auch so zu denken wie die. Ein kräftiger Windstoß, der bis zu mir her durchdringt und mich aufscheucht, gibt mir ganz recht. Ein Flugzeug versucht es mir noch genauer und wortreicher zu erklären, aber ich verstehe sein Gebrumme nicht.

Jetzt bewegt der Wind wieder ganz sanft das Rollo und fächert mir kühle, postgewittrige Luft zu. Wirklich sehr nett von dem, der da weht, wo er will. Ich sollte mich nicht beklagen.


Ich träume vom Aufwachen, Auferstehen und der Himmelfahrt.








(25./26.6.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

721 Der Zeckenbiß

Vor einer Woche bin ich mit Fieber darniedergelegen und heute schlage ich mich immer noch mit Husten, Schnupfen und manchmal leichten Nackenschmerzen herum. (Nichts Schlimmes, nur ein wenig lästig.) Aber deswegen ist mir eine Episode eingefallen, die sich in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre abgespielt hat.

Ich versuchte damals, mein abgebrochenes Theologiestudium zu Ende zu bringen – Auslöser dafür war der Astrologe Wolfgang Döbereiner – meine Zeichnerei und Malerei hatte ich aufgegeben – der gleiche Auslöser wie oben. Ich war vorher nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Paris – für diese Zeit ein noch staatlich finanzierter Künstler – zurückgekehrt und war dann bald aus allen sozialen Netzen gefallen. Ich hatte keinen Job in einem ordentlichen Anstellungsverhältnis, deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Ich hielt mich mit Taglöhnerjobs ohne Versicherung über Wasser. Gerade noch. Ich hatte mir eine kleine heruntergekommene Wohnung – die ich früher mit meiner damaligen Freundin als Lager und Abstellkammer unseres Ateliers genutzt hatte – das Atelier hatten wir inzwischen schon längst aufgegeben, aber das Lager, weil es so billig war, war mir noch geblieben - ich lagerte dort noch Material für Bilder, Skulpturen, Papierstapel, Werkzeuge und meine Bildwerke – diese schäbige Wohnung also – übrigens die einzige Wohnung meines Lebens, wo der Mietvertrag auf meinen Namen lief – hatte ich mir so gut es ging zum Wohnen hergerichtet. Direkt nach meiner Rückkehr aus Paris hatte ich mehrere Monate in der Druckerei eines guten Menschen gratis wohnen dürfen. Das war kein Druckereibetrieb, sondern die Druckwerkstätte eines Künstlers, der sie aber in dieser Zeit aus Rücksicht mir gegenüber nur selten benutzte, trotzdem auf Dauer ein unhaltbarer Zustand.

Meine Abstellkammer, die ich mir herzurichten versuchte, hatte höchstens sechszehn Quadratmeter, lag im nicht unterkellerten Teil des Erdgeschosses und bestand aus einem Küchenraum (würde ich Küche schreiben, würden falsche Assoziationen entstehen), der mit einer einfachen Holzwand mit Glastür, Fenster und Oberlichte aufs Stiegenhaus ging und wo man trotz verhängte Fenster praktisch in der Auslage saß, zumindest in der akkustischen. Der zweite Raum war kleiner, ein schmaler Schlurf mit einem Fenster zur Straße, direkt zum Gehsteig, sodaß ich auch da das Fenster verhängen mußte. Dieser Raum war vor dem Krieg das Geschäftslokal eines Fetzentandlers und in der frühen Nachkriegszeit hatte man die einzige Öffnung dieses Raumes, nämlich die Tür, zu eben diesem einen Fenster vermauert. Vermutlich mit sehr einfachen Mitteln und nicht sehr sorgfältig und professionell, denn von dieser Außenwand her drang Feuchtigkeit ein und hatte den direkt auf der Erde aufliegenden Bretterboden bis zirka ein Drittel fast komplett aufgelöst. Wir hatten dann – in der Abstellkammerzeit – einfach eine Preßspanplatte darübergenagelt.

Damit es keine Mißverständnisse gibt: ich war sehr froh, daß ich diese Wohnung hatte, denn sonst wäre ich obdachlos gewesen und ich habe sie halt mit äußerst bescheidenen Mitteln hergerichtet. Alte Bretter für Regale, neues Holz habe ich mir für das Hochbett gekauft, zwei alte Spanplattenschreibtische hatte ich von einem Freund geschenkt bekommen; einen stellte ich in die Küche als Eßtisch und „Anrichte“ und als Ablage für das Geschirrtrocknungsgestell, den anderen in die Kammer als wirklichen Schreibtisch. In einer Ecke der „Küche“ baute ich mir aus alten Brettern ganz primitiv so eine Art Ablage für den Kocher. In vielen Schachteln bewahrte ich meine Kleidung auf, auch die Dokumente, Werkzeuge und so weiter. Einen alten Kasten, den junge Leute aus einer anderen Wohnung des Hauses teilweise schon zerschlagen hatten, weil sie ihn wegwerfen wollten, konnte ich gerade noch abfangen und irgendwie zusammennageln und in die Kammer stellen. Vorher sind dort alle meine Bilder gestanden. Aber die hatte ich alle zerrissen und zerschnitten und weggeworfen, auch die Zeichnungen, die nicht viel Platz beanspruchten, aber eben nicht, weil ich mir in den äußerst beengten Verhältnissen Platz verschaffen wollte, sondern weil ich meine Arbeiten inzwischen für Dreck hielt – dies geht übrigens auch auf den Astrologen Wolfgang Döbereiner  zurück. Aber gut, jetzt war halt Platz für einen Kasten.

In dieser Wohnung gab es kein Wasser – das mußte ich mir von der Bassena am Gang holen. Deswegen gab es auch kein Bad und keine Toilette in der Wohnung, überhaupt keinen Wasserabfluß; ich mußte das Abwasser wieder im Kübel in den Hof tragen und in den Gulli leeren. Nebenbei gesagt, das Wasser rein und raus zu tragen, das hat mir durchaus gefallen; man geht dann mir diesem lebensspendenden Element viel ehrfürchtiger um. Waschen mußte ich mich über dem Lavoir; die Wäsche mußte ich in einen nicht allzu nahen, heruntergekommenen und von Drogensüchtigen fast „bewohnten“ Waschsalon schleppen. Die Stromleitungen waren so alt und schwach, daß ich keine elektrische Kochplatte anschließen konnte. So kochte ich auf einem alten, primitiven Campinggaskocher – nur mit einer Flamme. Sehr fragil das Ganze – sodaß ich sehr aufpassen mußte, daß Topf oder Pfanne nicht herunterrutschten, wenn ich durch die Küche ging oder einen Sessel verrückte und deswegen der Bretterboden vibrierte.
Einen Kühlschrank hätte das Stromsystem auch nicht verkraftet, wie die meisten üblichen elektrischen Geräte nicht.

Ich hatte mir, weil sonst kein Ofen in der Wohnung vorhanden war, einen Herd – mit Holz zu befeuern – gekauft, auf dem ich im Winter kochen konnte, wenn, ja wenn ich mir das Einheizen leisten konnte. Das ging durchschnittlich so ein, zweimal die Woche; ich hatte tagelang nur zwölf Grad in der Wohnung, und wenn es draußen sehr kalt war, konnte die Temperatur auf acht Grad absinken. Das war aber schon sehr schwer auszuhalten, weil man sich dann auch im Bett, mehrfach zugedeckt, nicht mehr erwärmt.

Einmal habe ich mich an die Caritas gewandt, die mir dann einmalig – es wurde erklärt, daß dies nur einmal im Jahr möglich sei – einen Sack Holz geschenkt und angeliefert hat. Das Holz – sowohl das gekaufte wie das geschenkte – ließ ich mir in die Küche leeren, wo ich es dann an der Wand aufschichtete. Durchaus romantisch, aber sehr staubig; aber das war in dieser Wohnung auch schon egal, denn unter der oben erwähnten Preßspanplatte in der Kammer staubte ja auch der nackte Erdboden hervor.

Meine sozialen Kontakte hatte ich sehr reduziert, Freundschaften aufgegeben oder vernachlässigt - auch das eine Auswirkung der Begegnung mit dem Astrologen Wolfgang Döbereiner – sodaß ich sehr zurückgezogen lebte. Wenn es nicht ein paar Freunde gegeben hätte, die trotz meiner Widerstände und meinem döbranitischen Dogmatismus den Kontakt nicht abgebrochen haben, wer weiß, wo ich gelandet wäre.

Ich erinnere mich nicht mehr in welchem Jahr genau das war, aber ich weiß noch, daß es im Herbst war, da wurde ich krank und hatte ungewöhnlich hohes Fieber, über die Vierzig-Grad-Marke. Normalerweise neige ich nicht zu hohem Fieber, im Gegenteil, ich fange bei 38.5 schon zu phantasieren an. Deswegen machte ich mir große Sorgen, denn im Sommer vorher hatte mich eine Zecke gebissen. Und ich hatte jetzt auch die befürchteten Nackenschmerzen. Aber ich konnte nicht zum Arzt gehen, denn ich war nicht krankenversichert. Und ich hatte ja überhaupt kein Geld, um eine Arztrechnung zu bezahlen. Ich hatte auch Angst, daß meine Eltern oder Geschwister wegen meiner Zahlungsunfähigkeit in einem Regreßverfahren drangekommen wären und für mich die offene Arztrechnung begleichen hätten müssen. Also ging ich nicht zum Arzt.

Ich befürchtete natürlich, daß es eine Gehirnhautentzündung ist und ich hatte Angst, große Angst. Ich sehe mich noch vorsichtig vom Hochbett die Leiter hinuntersteigen, kaum in der Lage, mich aufrecht zu halten, mich zum Klo draußen am Gang schleppen, oder in den Supermarkt, um mir Tee oder etwas zum Essen zu kaufen (Kühlschrank gab's nicht!). Ich sehe mich noch eingerollt im Bett liegen, wie ein krankes Tier, zunächst noch vom starken Fieber der Realität enthoben, aber als es mir etwas besser ging, von der Angst voll gepackt. Was soll ich tun? Was kann ich tun? „Ja“, dachte ich, „es kann sein, daß ich Gehirnhautentzündung habe, es kann sein, daß ich daran sterbe, oder daß Gehirnschäden zurückbleiben. Ich kann nichts machen!“ Ich bin gelegen und habe gezittert vor Angst.

Wenn ich verzweifelt war, habe ich immer in den Büchern von Castaneda gelesen und immer bin ich damit aus meiner Verzweiflung oder Angst oder was auch immer herausgekommen. Diese Lektüre hat mich immer „zurechtgerückt“, meinen Blick geweitet und meine Perspektive verändert. Es ist eine Kraft davon ausgegangen, die mich innerlich aufgerichtet hat, sodaß ich bereit war, mich meinem Schicksal zu stellen. Vielleicht hat dieses Gefühl nicht lange angehalten, aber es war da und hat seine Spuren hinterlassen. Aber jetzt hatte ich diese Bücher nicht mehr, denn ich hatte sie in einem Anfall von Selbstverleugnung - „tapfer gegen das eigene Empfinden“ - verbrannt – auch dafür war der unmittelbare, direkte Auslöser der Astrologe Wolfgang Döbereiner, der sie als das Böse schlechthin dargestellt hat (wie der auch der Urheber des obigen Zitates ist).

Mir aber war nichts anderes übriggeblieben, als meine Lage, in die ich mich durch meine Entscheidungen – auch durch die, auf den Döbereiner zu hören – gebracht habe, mit all ihren möglichen Konsequenzen zu akzeptieren und ich war froh, daß ich noch den halben Castaneda auswendig konnte: „ich bin bereits der Kraft anheimgegeben, die mein Schicksal regiert; ich klammere mich an nichts, daher will ich nichts verteidigen ...“









(21./22.6.2017)
















©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

720 Kann sein, ich bin jetzt zu fromm

Die Magie hat mich wieder gepackt. Nein, nein, nicht die erlebte, nur die gelesene! Erstaunlich, wie sich trotzdem in mir gleich alles ordnet und zurechtrückt, wenn ich Castaneda lese. Alles Verzweifelte fällt von mir ab und macht einer gefaßten, stillen Nüchternheit Platz. Ich kann mich akzeptieren und ich kann die Welt akzeptieren. Obwohl ich meine Unzulänglichkeit nie so klar sehe, als in solchen Augenblicken und weiß, daß meine Chancen zur Zeit nicht gut stehen, halte ich mich aus. Ich werfe mir nichts vor, und auch sonst niemandem. Höchstens wundere ich mich, was in einem Leben so alles passieren kann; auch wenn es bloß ein gewöhnliches ist. Nein, ich bin nüchtern und fühle mich illusionslos, aber mein Herz brennt. Mein Herz brennt für etwas, das ich  -  so schaut es aus – nie erreichen werde. Ich halte das gut aus und verneige mich vor denen, die den „Salto ins Unvorstellbare“ geschafft haben. „Es ist, wie es ist.“

Kann sein, ich bin jetzt zu fromm. Aber das macht nichts. Ich werde über mich lachen, wenn ich das merke.






(19./20.6.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

719 Ich wechsle die Farben

Ich ziehe den roten Faden heraus und lege ihn auf die Bettdecke. Das ist nicht viel und auch überhaupt kein bedeutsamer Vorgang.
Ich wechsle die Farben. Auch das nebensächlich; was bedeutet es schon, wenn der türkise Kugelschreiber leer wird und ich den schwarzen nehme, der noch schreibt?
Dabei ist mein Herz randvoll mit wichtigen Gedanken, Einsichten, Bildern, aber ich kann sie nicht beschreiben.

Nicht können? Vielleicht nicht wollen? Unangenehm? Ja, aber trotzdem: ich finde keinen schreiberischen Zugang.

Ich warte.
Lange warte ich, bis mir die momentane Schreibblockade egal ist.

Durch einen kurzen Anfall von Angst hindurch wird es jetzt still. Ganz, ganz still.









(19.6.2017)










©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

718 Vom Fieber seelisch angeschwollen

Ich ziehe den Rotz die Nase hinauf und ignoriere meine tränenden, fiebrigen Augen; ich bin von dieser Fieberentfremdung eingehüllt. Die Glieder schmerzen ein wenig, alles fühlt sich lästig an, Ungeduld und ein schwächelnder, ungerichteter, schwammiger Zorn machen mich unleidlich. Das Kreuz, dieses alte, hinnige Kreuz trägt auch sein Scherflein bei. Die Nase brennt, ich huste, der Hals schmerzt, vor allem beim Reden und Schlucken.

Das Surren, das mich so gut wie immer begleitet, ist durch das Fieber ein, zwei Stufen intensiver. Meine Gedanken umkreisen wie aus Gewohnheit mein verfahrenes Leben, aber es ist mir wurscht, scheißegal, das Fieber macht mich gleichgültig und verantwortungsbefreit. Sollen sie kreisen wie und wo sie wollen.
Ich kann jetzt die lawinenartigen Ansprüche der Alltagswelt zurückstellen, ich gebe alle Bemühungen auf, ich habe „Ferien vom ich“. Auch das Schreibzeug lege ich jetzt weg.

Ich lese in einem veralteten Lesebuch für die Unterstufe und Gefühle und Erinnerungen meiner Kindheit strömen in mich hinein oder aus mir heraus. Das Heute und das Vorvorvorgestrige vermischen sich; durch das Fieber verstärkt, denn allein schon das Kranksein führt mich in meine Kindheit zurück. Eine immense Wehmut überschwemmt mich, ein Schmerz, der nichts mit einer Sehnsucht nach der Kindheit zu tun hat; oder doch, aber nicht, weil die Kindheit so schön gewesen wäre, sondern weil mir damals – wie ich noch glaubte – mein Leben offen stand.
Zwar hatte ich schon bemerkt, an wie vielen Stellen mein junges Leben gefesselt war, ich glaubte jedoch naiv, daß die Zeit die Wunden heilen werde. Ich glaubte damals noch, ich könne meinen Platz in der Welt und in der Gesellschaft finden und ein „normales“ Leben führen, wenn dieser Glaube auch schon an manchen Stellen brüchig wurde und mich die Angst vor der Zukunft von Zeit zu Zeit packte. Werde ich, der ich zu nichts zu gebrauchen war, einen Beruf finden? Eine Frau? Kinder haben und ihnen ein fester Vater sein können? Werde ich Geld verdienen und Autofahren können? Das ist eigentlich alles unvorstellbar, aber ich werde größer werden und erwachsen und das alles wird schon irgendwie kommen.









(12./13./19.6.2017)












©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

717 Wieder die große Angst

Wieder die große Angst. Meine Seele gelähmt, mein Körper agiert bestenfalls wie ein verrosteter Roboter aus dem vorigen Jahrhundert oder wie ein taumelnder Frankenstein. Die horrende Angst kommt aus einem Traum – möglicherweise etwas mit Kreissägen – sie ist aber trotzdem meine Angst in dieser Welt. Mein Herz krampft sich zusammen, meinem Geist ist übel vor der Erkenntnis, daß ich es nicht geschafft habe, für mein Leben hier die Verantwortung zu übernehmen. Sprechen kann ich nicht, und wenn ich mich dennoch zu ein paar Worten zwinge, klingt meine Stimme mir fremd und unbekannt.

Diese Angst reißt alles in mir auf und ich bin überschwemmt von, von … ich weiß es nicht. Ich kann es nicht mehr erfassen, ich bin kopflos vor Angst.
Ich zittere noch innen. Ein würgendes Gefühl im Hals (würge ich rauf oder würge ich runter?).

Meine innere Stimme spricht undeutlich, verworren, Blödsinn. Ich höre „abgehakt, abgehakt!“ - ohne jeden verständlichen Zusammenhang.
Jedes unerwartete Geräusch läßt eine kleine Schockwelle durch mich hindurch laufen.
„Wir dürfen keine Badewannen, sondern nur mehr eine Sitzbadewanne haben“, sagt meine innere Stimme. Der soziale Abstieg droht und ich kann meine Familie nicht schützen und retten.
Ein lachender Buddha kommt, hüpft an mir vorbei, das war es dann schon.
Feste Schritte auf der Stiege reißen mich wieder heraus, aus was auch immer.

Es geht mir ganz nahe, wenn der Rosegger-Bub von der Erzählung seiner Mutter über den heiligen Martin inspiriert, sein Sonntagsjopperl mit seinem Taschenfeitl geteilt hat, um die Hälfte einem vermeintlichen Bettler zu geben. Und wie sein Vater ihn deswegen dann doch nicht schlägt, als ihm seine Frau die Geschichte dazu erzählt hat. Ein Nachschlag zu meiner Lektüre gestern vorm Einschlafen.








(12.6.2017)














©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

716 Keine Schutzschilder

Als in der Arbeit fünf Angerufene hintereinander sehr unfreundlich bis aggressiv reagiert haben, ist mir fast schlecht geworden. Ich habe gezittert und mich aufgeregt und war gegen die Angriffe wehrlos. Ich kann mir das Ganze noch so sehr im Kopf zurechtlegen und mir die Gründe klar machen – in der konkreten Situation bin ich wehrlos. Und ich meine damit nicht, daß ich  „zurückschlagen“ sollte oder den Disput gewinnen, sondern lediglich, daß ich seelisch heil und unbeschädigt aus der Situation herauskomme. Es geht nur darum, daß ich mich vor der Aggression schützen können will und eben nicht wie gelähmt bin, sondern gegen die Attacke ein Schutzschild aufzustellen in der Lage. Ich habe nämlich keine Schutzschilder. Ich lebe mein ganzes Leben schon wie in einem besetzten Land. Darum auch immer dieses ekelhafte Gefühl der eigenen Korruptheit, wenn ich bei einem Spaziergang  zum Beispiel unbehelligt bleibe oder irgendwo – vielleicht gar als Gast - mein Mittagessen verzehre. Und wenn ich einmal „gut drauf“ bin, denke und fühle ich selber: das ist manisch, größenwahnsinnig; ich beanspruche viel zu viel Raum und Zeit, und Aufmerksamkeit, Ressourcen, ich rede zu viel (schreibe zu viel)  … - die Götter werden eifersüchtig und aggressiv werden und mich vernichten. (Ja, ja, mit dem Intellekt durchschaue ich das schon und kann es analysieren; nur: meine Seele ist noch immer gefangen.) Ich habe selber nicht das Gefühl, daß ich berechtigt bin, für meinen Lebensunterhalt Leute anzurufen, meine Arbeit zu machen et cetera.

Jetzt, wo ich das aufschreibe, geht zuerst eine Welle von Verzweiflung über mich, dann eine Welle von Wut. (Zuerst der Selbstmord, dann das Massaker – wobei ich mich bei ersterer Phantasie als Angreifer, bei der zweiten jedoch nur als mich verteidigend empfinde. Auch interessant!)

Ich müßte mich nur schützen können, nur schützen. Daß etwas in mir ist, das es nicht zuläßt, daß mich die Aggressoren definieren. Aber so etwas habe ich nicht in mir! In mir gibt es kein Selbstwertgefühl. Ich kann und konnte auch meinen Kindern nicht – glaubwürdig – gegenübertreten als Vater, der ihnen die Welt erklärt, weil ich die Welt nie verstanden und mich in ihr nie zurecht gefunden habe. Wenn ich …


Wenn ich zu einem Buch greife, aus dem Bereich der Psychologie oder über Therapien, Kindererziehung, Partnerschaft oder was auch immer, dann schreiben die über Menschen, die in einer höheren Liga spielen als ich und die daher ihre Therapien zum Beispiel von einem viel höheren Niveau aus starten. Ich finde mich darin nur in Teilaspekten wieder, nicht in meiner existentiellen Grundverfaßtheit. Das gilt auch für die Literatur. Viel stärker erkenne ich mich in Biographien über Nazitäter wieder, wie etwa Franz Stangl was ihre „Psychologie“ betrifft, obwohl die natürlich auch „erfolgreicher“ waren als ich (Das ist der Punkt, wo ich froh bin, in meinem Leben nicht erfolgreich gewesen zu sein). Das Grundproblem ist aber das gleiche: den innersten Seelenkern nicht kennen, das eigene wahre Lebenspotential nicht entfalten, von sich selber nichts wissen, die eigenen Bedürfnisse nicht kennen, außenorientiert sein, abhängig, unselbständig ... weiß der Teufel, was noch.

Ich kenne jedoch keine positiven Beispiele von solchen deformierten Menschen, wie sie sich ihrer Wahrheit, ihren Beschädigungen, ihren Lebensanforderungen stellen und wachsen, reifen und ausheilen können. Die Heilungsprozesse, die ich aus der Literatur kenne, setzen auf einem höheren Level an, und die Lebensgeschichten von Leuten meiner Liga erzählen von und enden alle in Katastrophen.

Kennt jemand eine gelungene Heilungsgeschichte, die zu mir passen könnte?

Selektive Wahrnehmung?

Die Rekapitulation – ich habe sie nicht geschafft.










(8./9./10./12.6.2017)















©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

715 Unzählige Satzanfänge

Unzählige Satzanfänge und Einstiegssätze verwerfe ich bewußt oder verpasse sie schlaftrunken; im Dösen nicht in der Lage, sie zu ergreifen und aufzuschreiben. Um halbvier in der Früh durch irgendetwas aus dem Schlaf hochgeschreckt – ich glaube, es war ein innerer Vorgang – liege ich seitdem in diesem grenzenauflösenden Zustand zwischen Wachen und Dösen.

Ausgeschlafen bin ich nicht. Ich fürchte mich ein wenig davor, wie sehr ich am Nachmittag in der Arbeit müde sein werde. Aber das ist noch weit weg. Jetzt ist es achtuhrvierundvierzig. Höchste Zeit, meine händisch geschriebenen Texte in den Computer zu klopfen. Und dann meine Übungen zu machen: Magische Bewegungen, Entscheidungszentrum, Rekapitulation, Träumen, Innere Stille.






(8.6.2017)













©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

714 Das ist eine Beschwörung

Ich werde heute luzide träumen. Das ist eine Beschwörung. Ich beiße die Zähne zusammen. Niemand soll sehen, wie ich kämpfe, um alles offen zu halten (ha, ha, ha, ha!).

Leise klacken die Fensterflügel, wenn sie aufeinanderstoßen, weil einer vom Wind sanft ins Rouleau gedrückt von dessen Widerstand und Spannkraft wieder zurückgeschoben wird.
Ich sehe zum erstenmal die Welt; nur mein Geist ist schon alt und müde und erschöpft und nimmt es nicht mehr auf. (Glaube ich mir das, beziehungsweise meiner Wort- und Satzmanufaktur? Fifty – fifty.)

Stimmen flüstern mir unverständliches Zeug zu; die Müdigkeit läßt mich schon in die Traumwelt blicken. Ach ja! Ich werde heute luzide träumen!

Nachdem mir ein zweifelhafter(?) Typ eine Riesengitarre angeboten hat, die auch etwas mit Schnecken zu tun hat(?) und mich ein „klack!“ wieder aufgeschreckt hat: ich drehe das Licht ab und bereite mich zu richtigen Einschlafen.

Luzide träumen nicht vergessen!






(7./8.6.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

713 Der Morgen hat ein besonderes Flair

Der Morgen hat ein besonderes Flair. Wenn ich – aus dem Traum herausgesprungen – noch steif in den Gliedern wankend und unter Schmerzen den Wäschekorb vorsichtig und langsam die Stiegen hinuntertrage, kaum fähig zu gehen oder gar zu sprechen und deshalb undeutlich murmelnd meiner zur Schule aufbrechenden Tochter einen schönen Tag wünsche und meine liebe Frau auf eine falsch abgelegte Papierrolle, die ich als Distanzhalter für die ineinander verkeilten Fensterflügel bei zu Lüftungszwecken spaltbreit geöffnetem Fenster verwende, aufmerksam mache, belehrend und aggressiver als ich es vorhatte – schließlich muß ich mich ja zwingen zu reden und meine Ansage durch eine galertige Schicht an Traumsubstanz hindurchstoßen – ja, dann ist ein schöner Morgen und ich sauge die frische Luft und den Optimismus der frühen Stunde mitsamt dem Tüchtigkeitsbonus des Frühaufstehers genußvoll ein.

Nachdem ich die Wäsche sortiert und die vierziggrädige in die Waschmaschine gestopft habe, das flüssige Waschmittel im Becher beigegeben, einen Schuß Essig zur permanenten Entkalkung von Maschine und Wäsche – alles dank meiner Umsichtigkeit und Umtriebigkeit reichlich vorhanden – hinzugetan, den Wasch- und Temperaturmodus eingestellt und vorm Starten noch den „Mehr-Wasser“-Knopf gedrückt habe – schließlich habe ich die Maschine etwas überfüllt – bin ich nochmals hinaufgegangen und habe mich zum Schreiben wieder ins Bett gelegt.

Zum Schreiben, Durchatmen, Dösen; meine noch nicht ganz aufgeladenen Wachzustandsakkus noch ein wenig nachzuladen.

Allmählich beginnen sich meine Gedanken auf den Abgrund zuzubewegen und ich nehme den Schrecken, der auf meine Gefühle schon einen leichten Schatten wirft, von der Ferne wahr, ohne noch die gute Morgenstimmung komplett zu zersetzen. Noch ist mein Körper in seinem ruhegestützten Wohlgefühl stärker als meine Erinnerungen und Gedanken. Ich blicke starr, aber ohne zu starren – der Blick bleibt weich - auf mein Bücherregal vor mir, das mir immer fremder wird. Nicht schrecklich, sondern interessant. Zum Beispiel: was ich an Buntheit bisher nicht gesehen habe. Aber noch tiefer: dort ist noch etwas, dort ist noch viel mehr.
Eine Reihe glänzender Buchrücken verführt mich zum Gedanken, daß ich schon nahe am Sehen bin. Dabei ist doch alles ganz „natürlich“. Der Wunsch ist Väterchen des Gedankens. Ich muß ob meiner Kindlichkeit lächeln. Wenn ich dies absichtlich erzeuge, müßte es Kindischheit heißen. Trotzdem ist es mir jetzt egal. Kindisch oder kindlich, oder fifty-fifty, was soll's! (Die große Abrechnung wird schon kommen; da kannst du mit all dem Herumpitzeln.)

Irgendein Teil von mir nimmt jedoch mein vorsichtiges Hinaustasten ernst und wertet es nicht ab. Ich weiß nur nicht, ob das ein echter oder ein gefälschter ist.








(7.6.2017)








©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

712 „Am Abgrund“

In der Nacht draußen biegt der Wind die Bäume und heult hier um die Wände, Mauern, Ecken und Fenster herum.

Zögerlich und ängstlich schaue ich auf die Tatsache, daß mein innerster Wesenskern vielleicht noch nie in meinem Leben zu Entfaltung gekommen ist und mein Leben und meine Persönlichkeit noch nie bestimmt hat. (Ich sagte ja: zögerlich und ängstlich!) Daß ich diesen Wesenskern nie zur Entfaltung habe kommen lassen.           Ich wüßte gar nicht, was der bei mir ist. Daß es ihn bei jedem Menschen gibt, glaube ich. Bei mir selber bin ich skeptisch.

Ich bin wie ein „Blatt im Wind“. Ich muß das nüchtern feststellen. Nicht wie ein Baum; der kann gebogen werden oder brechen, aber er hat einen Standort.

Ich bin nichts. Gar nichts. Das „ich bin“ ist noch zu viel.

Meine Wahrnehmung fängt an, sich an manchen Stellen zu verflüssigen. Die Konturen verschwimmen; winzige, nur eine halbe Sekunde existierende Pfützen von Vibration entstehen und vergehen gleich wieder. Müdigkeit überrollt mich.

Wie von Ferne spüre ich, wie meine Seele, oder was das ist, oder was davon übrig geblieben ist, an einem übelkeiterregenden Abgrund steht, aber nur von Ferne.

Alles arbeitet schon wieder fleißig daran, diesen Abgrund zu vernebeln und mich behaglich abzulenken. Und es gelingt. Die Müdigkeit trägt auch dazu bei.
Immer öfter fallen mir die Wörter nicht ein, die ich hinschreiben will.






(Dieser Text ist nach der Lektüre von „Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker. Franz Stangl und die Morde von Treblinka“ von Gitta Sereny; Piper 1995, geschrieben.)










(6./7.6.2017)











©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

711 Ich suche mein autos

Was haben wir heute? Den 6. 6. 2017. Sonst nichts. Eine leere, verlorene Seele, korrumpiert bis zum Geht-nicht-mehr. Und verlogen: es gibt einen vollen Bauch, sichere Zimmer – nur die Dacharbeiten und die dadurch anscheinend unvermeidlichen Wasserflecken an der Decke sind die anscheinend einzige Irritation da draußen – die Familie, ein bescheidenes, aber doch Auskommen … - vielleicht auch ein unbescheidenes – je nachdem, welchen Maßstab man anlegt …

Ich suche mein „autos“ während mich die Vergangenheit einholt. Nicht nur die meine, sondern die  weiter mindestens bis zum Krieg.

Benutze ich das als Ausrede? Ja. Ich denke: ja. Oder kann man das doch nicht so sehen?

Aufgewühlt bin ich; auf jeden Fall. Aber was hat das schon zu besagen?
Ein Stein ist ins Wasser gefallen. (Ein Versuch, meine Verantwortung zu bagatellisieren?)








(6.6.2017)















©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

710 Schwindelgefühl

Der Wind wühlt in den Baumkronen vor mir und unter mir. Ich schaue von oben auf die Welt (3. Stock – wen's interessiert). Insekten und Mauersegler oder Schwalben fliegen mit oder kämpfen gegen den Luftstrom.
Der Wind läßt nach und die Äste ruckeln und zuckeln nur mehr wenig herum. Sie erwarten sicher wieder einen stärkeren Windstoß, der bestimmt noch kommt. Und schon wiegt er wieder die Bäume konzertiert und majestätisch hin und her.
Hält plötzlich inne. Ein sanftes Säuseln bleibt über, das zärtlich durch die Blätter streift. Für einen kurzen Moment schläft der Wind gänzlich ein, kein Hauch; dann erwacht er wieder, räkelt sich genußvoll durchs Geäst, liebkost die dargebotenen Zweige, dann kitzelt er sie ein wenig und fängt beim Weidenbaum wieder mit dem Wogen an und geht dann damit auf die ganze Baumgruppe über.

Das kleine Stück Verpackungsfolie am Fußboden, durchsichtig, hebe ich auf und werfe es in den grünen Mistsack. Der Wind treibt immer noch sein bewegendes Blätterspiel, Myriaden von Pappelflocken schweben durch die Luft und senken sich langsam nieder um vom nächsten Windstoß wieder durcheinandergewirbelt zu werden.

Schwindelgefühl streift mich. Das junge Summen und Singen im unteren Stockwerk trägt Zuversicht und Freundlichkeit herauf.

Die Wellen und Schwingungen der Erde gehen durch mich hindurch und bringen meinen Körper zum Schaukeln; so wie es der Wind bei den Ästen der Bäume vorzeigt. Das Licht reflektiert jetzt an den glänzenden Flächen des Raumes sehr stark.

Wieder erfaßt mich ein Schwindel, eine leichte Übelkeit, nicht schlimm, gerade so, daß ich ein wenig ins Schwanken gerate und mich flau fühle.

Ich denke, daß ich das Wetter spüre, im Alter immer empfindlicher geworden.








(30./31.5/6.6.2017)













©Peter Alois Rumpf    Mai/Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

709 Die Katze kommt herein und maunzt

Die Katze kommt herein und maunzt mich an und ich vergesse in zwei Sekunden, was ich schreiben wollte. Ich weiß nur noch, daß ich an den Tod gedacht habe: was mir noch bleibt, ob ich noch irgendeine Lebensspannung aufrecht erhalten kann oder nur mehr auf Mitleid und Einsehen von  Freund Hein warte.

Eilig habe ich es trotzdem nicht. Ich kann schon noch zwanzig, fünfundzwanzig Jahre aus dem Fenster schauen und mir im Aufwachen oder vorm Einschlafen Notizen machen; die Frage ist, ob ich das tue, wenn die Schreiberei bloß für die Schreibtischlade ist. Ich meine jetzt die Stelle, wo ich meine Notizbücher und ausgedruckten Zettel deponiere.

Mit einem gewissen Wohlstand wäre mir das leichter. Ich sage immer: Schwermut ist schöner, wenn man jederzeit im Kaffeehaus sitzen und ein wenig reisen kann. Nichtstun. Von einem Garten rede ich gar nicht mehr. Und die Reisen würden über Europa nicht hinausgehen; ich brauche keine große Welt.

Ich kann es drehen und wenden, wie ich will, ich konstatiere, daß ich existentiell gescheitert bin. Es geht nur mehr darum, wie ich das halbwegs „würdig“ zu Ende tragen kann, ohne zu verzweifeln oder durchzudrehen, aber auch ohne allzuviel zu quasseln und Spompanadeln aufzuführen.
Ich meine, ich bin eh nicht streng mit mir, nur ein bißchen integer wäre schön.

Es muß ein seliger Zustand sein, nichts mehr zu wollen, kein Ziel mehr zu haben, nichts mehr zu erwarten - nach einem erfüllten Leben.

Ich merke erst jetzt, wie wichtig es mir in den letzten zwei Jahren war, fast täglich meine Texte ins Internet zu stellen; diese Möglichkeit fehlt mir jetzt, und das bringt mich mehr durcheinander, als ich es für möglich gehalten habe.

Wie auch immer, ein bescheidener Alterswohlstand wäre nicht schlecht. Meinetwegen ohne Reisen, nur mit einem kleinen Auskommen ohne darben zu müssen – das alles auf mitteleuropäisches Niveau berechnet.

Man wird wohl sich nach der Decke strecken müssen.








(30.5.2017)








©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

708 „Brannte nicht unser Herz ...“

(Flaute. Im Nichts hängengeblieben. Aber nicht im leeren Nichts, wo dann alles freigeräumt ist, sodaß das Eigentliche auftauchen kann. Nein, in einem beziehungslosen, dumpfen Nichts. Vollgeräumt, aber nichts hat Sinn und Bedeutung. Lustlosigkeit, auch die leidenschaftslos.)


Ich habe mich zum Schreiben bereit gemacht, aber es kommt nichts. Versiegt. Die Lust daran ist verloren gegangen. Meine Schublade (www.dieschublade.at) funktioniert seit drei Wochen nicht mehr – wahrscheinlich ist das der aktuelle Grund für die Lustlosigkeit. Ich habe immer gesagt: ich bin nicht der Typ, der für die Schreibtischlade schreibt; ich brauche meine Auftritte. Das scheint sich zu bestätigen, denn ohne die Möglichkeit, meine Texte wenigstens auf die Internetseite zu stellen, habe ich allmählich den Faden verloren.
Vielleicht brauch ich diese kleine, bescheidene Aufregung: kann ich das schreiben? Wird es jemand lesen? (die Chance besteht dann ja.) Wird es gehört und ankommen? Und so weiter. Bei manchen Texten, wo ich mich oder meine Mitmenschen sehr preisgegeben habe, war meine Aufregung, meine Angst sogar sehr groß: darf ich das erzählen? Wird man/frau über mich herfallen? Mich verachten? Anfeinden? Werde ich mich lächerlich machen? Wie ist das für meine Kinder? Und so weiter.

Ich empfinde mich als einen verstummten Menschen, der nirgends etwas zu sagen hat. Obwohl ich manchmal viel rede, geschwätzig bin, aber das zählt nicht, weil ich in solchen sozialen Gesprächen nur wenig von mir mitteilen kann. Das Schreiben und das Geschriebene im Internet zu veröffentlichen – ohne sich mit Verlagen, Lektoren und der eigenen Mutlosigkeit, dort hin zu gehen, herumschlagen zu müssen – war meine letzte Möglichkeit zu „reden“.

Ich habe das Gefühl, daß ich schon seit Jahrtausenden mit niemandem gesprochen habe, dessen Herz für die gleiche Sache brennt. (Vergleiche dazu Lk 24, 32. „Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?“ - abgesehen davon, daß bei mir eher andere Schriften im Vordergrund stehen.) (Exakt nachrechnen tue ich jetzt nicht; wieviele Jahre es wirklich waren und ob diese Durststrecke irgendwann für ein paar Sekunden unterbrochen wurde.) Vielleicht habe ich mich überhaupt noch nie wirklich mitteilen können. Meine Texte waren nichts anderes als vorsichtig formulierte Flaschenpost aus dieser Verstummtheit heraus.

Auch wenn nicht viele Flaschen angekommen sein mögen, aber ab und zu doch! Und wichtig auch: die Chance bleibt aufrecht. Aber nur solange die Texte im Internet verfügbar sind. Ich hatte mit schon öfters überlegt, wie ich das anstellen kann, daß diese Seite mit den Texten nach meinem Tod weiterbesteht. Man kann das (und soll es vielleicht sogar) natürlich auch den Göttern überlassen, daß sie das einfädeln, wenn sie meine Texte für wertvoll genug erachten (Auweh!). So streng sind sie möglicherweise gar nicht, wenn man bedenkt, was alles an Geschriebenem auf uns gekommen ist.

Was soll's. Ein schaler Nachgeschmack bleibt.






(28./29./30.5.2017)







©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

707 Unrund

(Frustrationstoleranz. Meine Stärke? Nicht meine Stärke? Unrund; ich fühle mich unrund. Nicht meine Stärke! Aber es geht dann mehr nach innen.)

U-Bahnstation Volkstheater, direkt vorm Luftballonherz. „Steigen Sie nicht mehr ein!“ Ein Riese geht vorbei. MQ. Wahnsinnig viele Leute. Ein U-Bahnzug nach dem anderen. Laut. Unruhe. Die Ansagen schreien, die Türen knallen, die Wände hallen. Herunten groß betonierte, dunkel gestrichene Wände, oben Mosaik. Der Riese ist mir fast zu nahe.
Ein feines Gesicht dort in der U-Bahn hinter dem Fensterglas.
Plötzlich Ruhe. Nur kurz. Dann schiebt ein Arbeiter einen quietschenden Handwagen durch das Geräusch der schlürfenden Schritte und des hallenden Gemurmels der Passanten. Der nächste Zug fährt mit seiner ganzen akustischen Gewalt ein. Und rauscht dann donnernd ab.

Ich gehe wieder nach Hause, denke ich, ich fühle mich heute hier nicht wohl, nirgends. Mein Zimmer! Mein Bett! Lesen!

Ich schaue nochmals hinauf zum Luftballon. Er pendelt im Luftzug der einfahrenden U-Bahn hin und her. Stop. Aussteigen. Einsteigen. Abfahrt. Ein schrilles Zischen, dann bleibt der abfahrende U-Bahnzug wieder stehen. Fährt weiter. Die in die Gegenrichtung kommt.

Ich blicke auf das schöne blaue Glasfries an der Stirnseite (Lehmden). Ich will hier schreiben, aber es geht nicht.
Zurück an den Start.
Aber alles schreibe ich nicht.
Komm! Geh endlich zurück! Das hier wird nichts mehr. Lesen – das ist doch keine schlechte Alternative!
Wie gesagt, alles schreibe ich nicht.
Aber es ist auch so, daß ich mit all dem, was ich sehe, heute nicht viel anfangen kann. Ich schreib nur mehr irgendwas.
Ich zisch ab.






(25./26./30.5.2017)












©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

706 Der Storch

Der Storch mit seinem spitzen Schnabel fliegt seinen rätselhaften Flug durch meine innere Gedankenwelt. Weit kommt er nicht, dann wird er wieder fallen gelassen und etwas anderes rückt vor mein inneres Auge.
Dann öffnen sich die äußeren Augen und andere, scheinbar festere Bilder tauchen auf. Eine Zeit lang geht es so hin und her, doch nun schreibe ich mich mehr und mehr in die stabilere Alltagswelt. Wie gesagt, ungefährdet ist auch sie nicht, nur besser unterstützt, weil Milliarden Menschen dieses Traumbild festhalten. Im Gegensatz zum rätselhaften Storch, den ich allein bloß für ein paar Sekunden derhalten habe.

Wie geht es weiter? Frühstück. Das wird das Alltagstraumbild noch ein wenig fester machen und das gibt meinem Körper darin mehr Gewicht.
Ich freu mich schon, doch noch fehlt der entscheidungsstarke Willensakt, um meinen Körper aus dem Bett zu bringen. Nein, nein, es ist nicht Schwermut, die mich am Aufstehn hindert, sondern der Liege-, Schau- und Schreibgenuß. Dieser köstliche Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit, wo beide Welten sich noch überlagern. Ich lasse es ganz selbstverständlich zu, daß sich das Gewicht mehr und mehr zur Alltagswelt verschiebt, ganz langsam, damit der Ausstieg/Einstieg sanft ist.

Ich registriere, daß mein Körper hungrig ist; das gibt mit jetzt den Anstoß aufzustehen.

Nach dem Frühstück bin ich wieder eingeschlafen, beim Lesen, vom Strom der Erzählung flußabwärts getragen, hinabgeflossen in unterirdische Höhlen, in tiefere Bereiche des Bewußtseins, oder des Unbewußten. Mein Gott! Was für ein Luxus! Ich lebe wie Gott in … meinetwegen Frankreich, oder noch besser: in Norwegen, Schweden …

Was für ein herrliches Leben heute! Die Realität passiere ich en passant. Es tut sich so viel auf, mehr, als meine unentfaltete Seele fassen kann, darum schlafe ich ja immer wieder ein!

Die Buben unten spielen voller Inbrunst „Motorsäge“ und singen laut den Motorenlärm im Chor. Was für ein Leben! Danke!

(Ich frage nicht, was abgeschnitten wird. Vermutlich verschaffen sie sich ihren Platz.)








(23.5.2017)
















 ©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

705 Ich bin – so halbwegs kommt es hin – beim Lesen eingeschlafen

Ich bin – so halbwegs kommt es hin – beim Lesen eingeschlafen. Die Augen sind mir zugefallen, ich konnte gerade noch Buch und Brille weglegen. Doch jedesmal, wenn die Arbeiter am Dach, die selbiges erneuern, aber jetzt einmal das alte abbauen – die Dachziegel haben sie schon die letzten Tage entfernt – die Tram und Pfosten absägen, ihre Bohrmaschinen und Sägen starten, reißt es mich hoch in die wildeste Verwirrung, aus dem Schlaf, den man nicht den des Gerechten nennen kann.
Es ist ungewöhnlich, daß ich um diese vormittägliche Mittagszeit schlafe, ich schrecke auf, will meine Lesebrille herunternehmen um besser sehen zu können, aber die liegt schon bei der Leselampe. Angstvoll frage ich mich, ob ich die Zeit übersehen habe und schon zu spät zur Arbeit bin; im ersten Moment weiß ich gar nichts, Stück für Stück muß ich mir erst die Realität zusammensuchen. Nein, dort steht die Uhr, da kannst du die Zeit ablesen, es ist überraschend spät, ich muß länger geschlafen haben; das denke ich, obwohl ich nicht sagen kann, wann ich eingeschlafen bin; nicht einmal, wann ich das Buch in die Hand genommen habe.

Der Schlaf des Gerechten soll es meinetwegen nicht gewesen sein, aber ein Schlaf, der aus der tiefen Entspannung aus der Lektüre gekommen ist. Nicht, weil mir dabei langweilig geworden wäre, sondern weil meine Seele von der Erzählung und den Beschreibungen glücklich verlockt sich in tiefere Schichten begeben hat. Oder meine Aufmerksamkeit in tiefere Schichten meiner Seele, um sich dort träumend aufzulösen. Ein Heilschlaf, gewissermaßen. Schade, daß er mehrmals gestört wurde; von außen durch den Lärm der Arbeiter, deren Verrichtungen in unserer Idiotenwelt besser geschützt, fundamentaler begründet und mit selbstverständlicherer Notwendigkeit ausgestattet sind als irgendetwas anderes – früher zum Beispiel waren lärmende Arbeiten in der Nähe einer Kirche während des Gottesdienstes verboten; wenigstens etwas, wenigstens eine kleine Oase für die Begegnung von Himmel und Erde, für die Heilung der Seelen, für die Möglichkeit, das Andere zu ahnen. Mit solchem Luxus ist es heute vorbei. Meinetwegen zu recht, was die Kirchen betrifft, denn mir hat man einmal den Wunsch, in einer Kirche, vor dem Allerheiligsten sozusagen, übernachten und dort schlafen zu dürfen – ich dachte damals an den Schlaf des Prophetenschülers im Tempel – nicht erlaubt. So feig sind sie, und so wenig vertrauen sie auf die Macht ihres Gottes, daß sie ihn mit ihrer Bürokratie schützen zu müssen glauben. Auch sie haben sich der Logik des Materiellen unterworfen. (Naja, ganz fair ist diese Attacke – möglicherweise - nicht.)

Aber auch ich, denn von innen bohrte und sägte lärmend die Sorge, zu spät zur Arbeit zu kommen. Auch ich habe mich unterworfen. Was ist denn das Zu-spät-Kommen im Vergleich zur Heilung der Seele?! Nichts, gar nichts, und trotzdem gebe ich dem mehr Gewicht.







22./24.5.2017)











 ©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

704 Mit meiner Zeitrechnung stimmt etwas nicht

Innsbruck. Ich habe nicht das Recht zu überleben. Ich habe nicht das Recht in Hotels abzusteigen (von welchem Pferd übrigens? Ich habe ja nicht einmal den Führerschein), vom Personal höflich behandelt zu werden, in einer Restauration essen zu gehen … und alles andere auch nicht. Ich habe nicht das Recht dazu – ich habe es mir nicht verdient.

An und für sich brauche ich mir deswegen keine Sorgen machen, denn die Bestrafung für meine Hybris kommt sicher aus dem Leben heraus.

Draußen lärmt die Straßenreinigung. Sie ist genauso unbarmherzig wie ein Wald; und das ist gut so. Ich finde es direkt erleichternd, daß die Straßenreinigung unbarmherzig und gnadenlos ist. Eine Welt, wo es sich anders verhielte, wäre nicht zu ertragen.
Ich bin es, der das Leben bestiehlt. Irgendwann werden sie mich erwischen. Kleine Hinweise gibt es schon.
Mir steht es nicht zu, eine Aussage zu machen, oder ein für mein altes Handy unbrauchbares Ladegerät – wo ich beim Kauf mein Handy der Verkäuferin hergezeigt habe – gegen Rückerstattung des Geldes im Geschäft zurück zu geben. Nein, das alles steht mir nicht zu. Nicht die Verkäufer sind schuld, wenn sie mir ein falsches Ladegerät verkaufen, sondern ich, ich, ich, weil ich mir ein falsches Ladegerät andrehen habe lassen.

Es ist Mai, und es liegt noch Schnee auf den Bergen, die an ihren Spitzen von weißen und grauen Wolken eingehüllt sind, wie ich aus dem Hotelfenster sehen kann.

Mit meiner Zeitrechnung stimmt etwas nicht; ich schätze meine Stellung in der Welt ganz falsch ein. Und überhaupt: was ist real? Was ich sehe, kann eigentlich nicht sein! Auch daß ich Leute auf der Straße reden höre, kommt mir ganz unmöglich vor; dies muß eine akustische Täuschung sein. Alles steuert auf etwas Unfaßliches zu. Das da draußen erweckt einen falschen Eindruck von Vertrautheit; in Wirklichkeit ist es ganz, ganz fremd. Der falsche Film, was ich nicht gleich bemerkt habe. Aber jetzt ist zu spät. Dieser Film ist schon fast zu Ende; und der richtige, im anderen Saal, wo ich sitzen sollte, der auch. Auch alle Uhren, die ich gekauft habe, sind nach ein paar Wochen falsch gegangen.

„Und? Gesundheitlich?“  „Mit einen hinnigen Kreuz kann ich aufwarten.“ Der Kugelschreiber schreibt immer schwächer. Meine Kugelschreiber sind im verschwundenen Rucksack.

Ach, das Kreuz! Das passt doch eh so gut! Ein besseres, deutlicheres, zutreffenderes Symptom kann ich mir doch gar nicht ausdenken!

„Dann tritt ich dir ins Kreuz!“, zu Kreuze kriechen, „in diesem Zeichen wirst du siegen“/verlieren. „Es ist ein Kreuz mit dir!“ Segnen, das Kreuz über etwas oder jemanden machen. Kreuzfidel. Du kannst mich kreuzweis! Diachron – synchron. Kreuzstiche. Rosenkreuzer. Kreuzkümmel. Kreuzzeichen. Kreuzbrav.  ...fällt zum 371igsten Male unter dem Kreuz. Unter das Kreuz. Kreuzworträtsel.

Meine Augen sind schon müde; ich laufe an dem vorbei, was ich suche. Mein Geist ist schon müde, er merkt sich nicht, ob wir halb oder dreiviertel ausgemacht haben, ob fünf oder sechs. Lediglich in Ahnungen unterwegs; oft stimmen sie eh.

Ich bin ganz zufrieden. Alles hat genau die Dimensionen, die zu mir passen, die mir gehören, die mich umsorgen, die mir entsprechen.

Ich habe so einiges erzählt. Nur von Döbereiner nicht. Davon zu erzählen schaffe ich face to face nicht. Es ist beschämend, sich einem Menschen so ausgeliefert zu haben, und sie werden sehen, daß ich kein „ich“ habe, daß ich nichts bin. Nicht, daß ich nichts habe, daß ich nichts bin.

Das ist die größte Schande.











(20.5.2017)















 ©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com