Mittwoch, 30. März 2022

2640 Bettler

 

Es kommt schon vor, dass ich Bettlern und Bettlerinnen etwas gebe. Dazu habe ich meistens ein paar Münzen in der Sakko- oder Hosentasche bereit. Vorgestern waren mir die Münzen ausgegangen; und die Zeiten, wo ich mir extra für diesen Dienst Münzrollen zu kaufen leisten konnte, sind vorbei. Und ich habe mein Konto für dieses Monat schon längst überzogen und nur mehr 30 € eingesteckt.

Die Bettler selbst sind sehr verschiedene Menschen; zu manchen habe ich ein recht freundliches Verhältnis. Einer aber – er ist mir unsympathisch – schnallt es einfach nicht, dass er eh immer etwas bekommt, wenn ich etwas habe, und jammert herum, wenn ich ihm nichts gebe, und bettelt mich sowieso in verlogenem Tonfall an, was ich nicht mag. Mir ist diese unglaubwürdige Anbiederei im Kombination mit versuchter „Erpresserei“ sehr zuwider. Zum Teil will ich Geben und Sympathie trennen, zum Teil bin ich schon in so eine Art Beziehungsgeflecht geraten, sodaß mir auch schlechtes Gewissen hochgetriggert werden kann, wenn ich nichts gebe. Aber das ist nur mein Problem, dass ich mit mir und dem Universum ausmachen will und muß – beim anonymen Bezahlen der Steuern zB, mit denen ja auch jede Menge Arschlöcher finanziert und gefördert werden, habe ich viel weniger Entscheidungsspielraum und erfahre ich viel weniger über mich und meine Psychostrukturen als im Face-to-Face-Setting.

Vorgestern also gehe ich wieder an diesem Mann vorbei, zum wiederholten Male ohne ihm etwas zu geben, er jammert mich an, ich sage recht klar und selbstbewußt „Nein!“ und will weitergehen, als ein Windstoß mir meine Kappe, mit der ich meine Glatze vor Sonnenbrand schütze, vom Kopf weht und ich sie mit einer blitzschnellen Reaktion in der Luft auffange und wieder auf mein Haupt platziere. Gleichzeitig sage ich lachend zum Bettler (ich leite das Wort von „beten“ ab): „Ah! Der Wind schimpft mit mir, weil ich Ihnen nichts gegeben habe“ und gehe weiter. Ich glaube nicht, dass er als Rumäne das verstanden hat. Ich gehe aber nur drei Schritte, dann stocke ich und denke: „der Geist weht, wo er will“ und „Der Wind hat gesprochen! Hugh!“, drehe mich um, nehme einen Zehn-Euro-Schein aus meinem Geldbörsel und gebe den Schein dem Bettler. Und zwar so, wie es mir eine Gewaltfreie-Kommunikation-Trainerin gelehrt hat: den Schein nicht verlegen zusammengewutzelt, sondern offen, als ganzen, mit der darauf abgebildeten Brücke nach oben, um zwischen Geber und Nehmer eine echte Verbindung herzustellen.

 

(30.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2639 Augen und Tränen

 

„Schade, dass du diese Stille jetzt nicht genießen kannst“ denke ich mir, soeben im Bett aufgesetzt. Mein Blick bleibt bei der eigenartig abgehobenen blauen Fläche in Rettenschoess hängen, die wie eine riesige blaue Zunge von unten den Berg hinauf leckt. Die Bilder, das sind meine Sicherungen gegen die Leere. Folglich jucken mir auch die Augen und Tränen – leider keine von denen aus der Seele – trüben meinen Blick.

 

(30.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2638 Drüben etwas Unangenehmes

 

5:40. Irgendetwas heult leise, aber scharf wie eine auf einem monotonen Ton steckengebliebene Sirene. Ich kann nicht mit Sicherheit feststellen, ob draußen in der Welt oder drinnen in meinem Ohr (an die Möglichkeit eines Tests mit Ohrenzuhalten hatte ich in der Situation komplett vergessen). Jetzt fängt noch mein übliches im Moment recht starkes Surren zu pulsieren an. Mein Kopf beginnt ohne mein Zutun sich leicht zu schütteln, deswegen konzentrier ich mich auf die Stelle, wo er, mein Kopf, auf dem Polster aufliegt. Mein nur mehr teilweise waches Bewußtsein liegt auch auf, nämlich auf einem Almboden. Meine bisher unbekannte, zusätzliche Oma hält immer noch die Zügel fest in der Hand. Ich werde jetzt verhaftet und schrecke deswegen auf. Mein Hintern juckt und sticht auf seiner Auflagefläche. Meine linke Hand versucht, im Traum etwas wegzuschieben, bleibt aber hier am Notizbuch hängen. Drüben passiert etwas Unangenehmes.

 

(30.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 29. März 2022

2637 Etwas Kompaktes

 

6:32. Ich ahne die Rouleau-gestützte Dunkelheit, würde ich das Licht abdrehen. Mein Herz klopft ein wenig verzagt. Mein Kopf ist dabei, in ihm und um ihn herum die richtigen Druckverhältnisse herzustellen. Das versucht auch meine Lunge, was nicht auf Anhieb gelingt. Das Zwerchfell spielt nicht ganz mit. Unlust steigt bis in die Mundhöhle herauf. Eindeutig: es geht noch nicht.

Mittag. Aufgehockt lasse ich langsam Schlaf und Traum von mir abfallen. Nur in den ersten paar Sekunden hat das Aufsetzen gewirkt, schon drohe ich auch in dieser neuen Haltung wieder in Schlaf und Traum zu versinken. Von der Ferne höre ich eine Krähe rufen. Die Wirklichkeit offenbart sich uns ständig; es liegt an uns, ob wir zuhören wollen. Ich habe den Zugangscode dafür schon längst vergessen oder nie gekannt. Jedenfalls weiß ich nicht, was die Krähe, die Sonne, die Luft, das Universum spricht. Die Augen fallen zu, ich gaffe auf den dunklen Bildschirm. Zwischendurch verfalle ich in richtiges Nachdenken, dann übernimmt wieder die traumhaftere Assoziiererei die Führung. Nun wandert etwas Kompaktes aus meinem Oberschenkel und dann außen knapp am Körper zur rechten Wange, wo es sich unter der Haut wieder festsetzt. Ich habe das deutlich gespürt. Auch das Bücherregal mit seinen Gästen staunt mich darob an.

 

(29.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2636 Rabe

 

3:05. Vor dem gelben Hintergrund des heruntergelassenen Rouleaus kommt der schwarze Rabe aus Holz besonders gut. Beeindruckend, wie der da so bei meiner Buddharin – 30 Zentimeter rechts über ihr – ich korrigiere: 75 Zentimeter rechts und 40 Zentimeter über ihr - schwebt und dabei mutig sein Haupt erhebt. Mehr gibt es jetzt nicht zu berichten.

 

(28./29.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 28. März 2022

2635 Am Donaukanal

 

Ich sitz am Ufer und schaue dem fließenden Wasser zu. Krähen schreien, dass es hallt, Autos lärmen, dass es dröhnt und rauscht, Amseln pfeifen, dass es eine Freude und Frühling ist, U-Bahnzüge dröhnen, dass fast alles übertönt wird. Die Sonne steht mir direkt gegenüber, sodass ich nicht aufschauen kann. Ich habe einen sehr bequemen Uferstein zum Sitzen gefunden, mit Fußstütze im genau richtigen Abstand. Viele Bäume schlagen aus. Die Wiesenkräuter und Gräser treiben sowieso. Plätschern im Wasser. Die nackten Beine einer Joggerin am anderen Ufer. Der Donauarm fließt für mich immer erstaunlich schnell. Kleine Wasserwirbel überholen einander. Die Brücke links hat mächtige Träger. Wildentengeschrei. Am Baum rechts von mir leuchten ganz zarte Blüten und Blätter im Gegenlicht über den Wassern. Ich stecke eine kleine vertrocknete Pflanze, die auf einem Uferstein liegt, in einen Spalt, auf dass sie dort Erde und Feuchtigkeit finde. Sirene mit Dopplereffekt. Umdrehen? Nach Hause gehen?

Nein. Komm ins Offene Freund. Jetzt sitze ich auf einer Bank weiter oben am Uferhang, goutiere den weiteren Ausblick. Die Donau fließt hier genauso schnell. Viele Passanten und rasante RadfahrerInnen. Die momentan unbekleideten, weißen Oberschenkel und Knie einer am Wiesenhang schlafenden Frau. Ich bin nicht der Einzige, der hingeschaut hat. Es bewegt sich. Die Frau liegt nicht allein – ich habe von hier nach dort eine sehr steile Blickachse, sodass ich nur das obere Viertel des Geschehens über der Hügelkante sehen kann.

Schon sehr viel Unruhe rundherum, aber die Uferbäume stehen aufrecht und stumm in ihrem aufgeleuchteten Grün. Die erste Vorhut des Schattens hat schon beinah den gesamten Flußarm überquert. Viele Hunde. Ich werde unruhig: zu dicht, zu nah. Der Hauptweg geht nur einen halben bis einen Meter an mir vorbei. Ich werde gehen. Eine Joggerin atmet tief und hörbar seufzend aus. Viele Sprachen, auch aus der Steiermark und Oberösterreich bis Salzburg. Die Menschenmenge ist mir nicht mehr geheuer. Ist es die öffentliche Sonnen- und Lebensgier, die mich so verunsichert?

 

(28.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2634 Häutung?

 

Gegen 3 a.m. schaue ich meine schönen Bilder an, aber dann jucken meine Augen so heftig, dass ich die Brille runternnehmen muß und die Augen reiben. Dann schiebe ich die Leselampe hoch, damit ich auch die zwei Visionäre sehe – ja, die arbeiten mit ihren Augen wieder so tüchtig in allen Farben, wie vier Sendestationen auf Hochtouren; keine Ahnung, auf welcher Frequenz und Wellenlänge. Mein nächtliches Surren pulsiert und steigert sich von Zeit zu Zeit zu eruptiven Ausbrüchen; was da für Lava, Magma oder Plasma freigesetzt wird – auch das weiß ich nicht. Ich betrachte die Photos meines verehrten, längst schon zerstörten Lieblingsgraffito an der Wand – den Tanz von Leben, Tod und Erlösung an der Mauer der Franzensbrücke – und bin von den tief in sich versunkenen Gesichtern tief berührt. Ich bin noch nicht wirklich müde und ungewöhnlich unruhig, als würde eine Häutung anstehen. Ich versuche Geist, Herz und Muskel zu beruhigen. Die Nerven nicht zu vergessen. Das Gesicht der Munch-Madonna finde ich gar nicht mehr so doof. Worum es geht, weiß ich auch nicht.

 

(27./28.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 27. März 2022

2633 Sonntagabend

 

In meinem kleinen vollgehängten und vollgestellten Zimmer habe ich die Karte von Paris neben dem Bücherstapel am Boden neben dem Bett auch auf dem Boden liegen, weil ich Duras' Schmerz lese. Während ich darüber nachdenke, wie ich das beschreiben, was ich darüber sagen könnte, zupfe ich immer wieder an einem Hautstückchen, das auf der linken Seite des Zeigefingers der rechten Hand neben dem Fingernagel herausragt und stört. Ich beschließe, zu dem erschütternden Bericht der Madame Marguerite Duras gar nichts zu sagen. Ich bin dafür weder berufen, noch würdig, noch lauter genug. Mit dem rechten Daumennagel kletzle ich an diesem lästigen Hautstückchen herum. Dann stehe ich auf, steige vorsichtig über die ausgebreitete Karte von Paris, vorsichtig, um sie nicht zu zerreißen, gehe ins Bad und will dieses elende Hautfetzchen abschneiden. Die Nagelschere schneidet zu schlecht; die Nagelzwicke erwischt es nicht, die Nagelzange ist etwas zu grob, das Licht im Bad ist so schlecht, oder sind es meine Augen? Schließlich gelingt es.

Unten unterrichtet meine tüchtige Frau Yoga; so kann ich nicht hinunter um mir einen Kaffee zu machen.

Ah! Jetzt singen sie „Ohm ...“ - jetzt sind sie bald fertig.

 

(27.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 26. März 2022

2632 Zoom

 

Alles dreht sich und mir schwindelt, aber die Straße in Veli Lošinj hat jetzt einen komplett anderen Ausdruck und Spin: sie liegt tiefer und läd ein, nach vorne in den Hintergrund zu fahren. Keine weiße Lava mehr, die die Stadt aus dem Hintergrund auffrisst. Der Raum ist nach vorne in den Hintergrund offen und einladend. Die flache Ebene geht ganz weit. Es ist so, als wäre mein „Gemälde“ (Anführungszeichen des kleinen Formates wegen) erst jetzt, nach 34 Jahren, fertig geworden. Oder sein eingebauter Selbstauflösungsmechanismus hat seine Arbeit eingestellt. Ganz in der Ferne kann ich sogar Landschaft erkennen. Darüber und wegen dem Schwindel muß ich nun schlafen.

 

Vorsichtig richte ich mich nach dem Schlaf im Bett auf und warte ab, ob wieder ein Schwindelanfall auftritt. Es scheint alles noch labil zu sein, aber es dreht sich nichts mehr. Mein Magen knurrt. So lange ist das Frühstück noch nicht her. Ich überprüfe das Veli-Lošinj-Bild: ja, immer noch öffnet es sich, spätestens nach einer Sekunde. Es ist nicht nur die Straße, die sich verändert hat, auch die Mauern oder Hecken (was weiß ich noch, was ich damals gemalt habe!) erstrahlen regelrecht in neuer Klarheit. Und der linke Baum – er könnte eine Linde sein - hat an glaubwürdigem Volumen gewonnen, die Pappel in der Mitte an Wirklichkeitsgehalt. Wir haben hier eine an ihrem Rand leicht beängstigende Nachmittagsstille. Mein Puls scheint ganz normal. Fieber habe ich keines. Lagerschwindel? Das wurde schon einmal diagnostiziert. Was ist das eigentlich? Ich lasse Angst und Panik nicht näher kommen. Mein Pluspunkt ist die neue Liebe zum Veli-Lošinj-Bild (tausendmal geschaut, jetzt hat es Zoom gemacht). Ich glaube, ich kann wieder aufstehen.

 

(26.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 25. März 2022

2631 Besser ich stehe auf

 

Die unbelegten Fächer des drahtigen CD-Turms shattern meinen Blick auf Kokoschkas London. In Rettenschoess könnte es einen Waldbrand geben, oder ist es Nebel, der da herumzieht? Wie hier schon tausendmal geschildert: Veli Lošinj verglüht vom Hintergrund her in weißem Licht. In Mali Lošinj kräuseln sich Meer, Wolkenhimmel und die Hafenstraße, in meinem Kopf Erinnerungen, Tagesentwürfe und Sätze. Nur die Riesneralm ist stabil und – wie ich schon einmal beschrieben habe: ihre Wintersonne hat ein Loch in die Zimmerwand geglüht. Um da zur anderen Welt hindurch zukommen, müßte man Seher oder Träumer sein. Bellevue ist heute eine gute Idee. Besser ich stehe auf zum Frühstück.

 

(25.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2630 Getrennte Wege

 

7:44 ist nicht so schlecht. Oder will Frau Katz doch hinunter, auf dass ich sie füttere? Meine diesseits noch ungeübten Augen können sich nicht über die Farbe meiner Schrift im Klaren sein, weil die Mine mit anderer Farbe, als es die Farbe der Pilotstifthülle ankündigt, gefüllt sein kann. Im Kopfinneren fällt mir das Kopfinnere hinunter. Innenwelt und Außenwelt gehen getrennte Wege.

 

(25.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2629 Der Baum

 

2:28. Ich bin munter wie nur was. Heute blicke ich auf den lichten türkisgrünen Baum; betrachte die hellen Blätter und seinen schönen, kräftigen Stamm. Er hängt zwischen dem Wandlungspriester, dem Spaghettibild meiner Frau, dem Ghisetti-Bild und nicht allzu weit von der Munch-Madonna. Das Bücherregal da vorne hinten an der Wand kann sich wellen. Aber ich bleibe beim Baum. Lange habe ich ihn nicht sonderlich beachtet. Was will mir der Baum sagen? „Deine beiden Töchter lieben dich; das sollst du nie vergessen!“ Mein Solarplex wurlt. Wollen die Emanationen wieder raus? Allmählich werde ich doch müde. Ich trage dem Rechnung, indem ich mich im Bett flachlege.

 

(24./25.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 24. März 2022

2628 Die ersten warmen Tage

 

Das klösterliche sonnige Nachmittagslicht vergilbt die Wohnungswände an ausgewählten Stellen. „Die ersten warmen Tage. Sind noch kein Sieg. Die ersten warmen Tage. Die haben Nächte noch. Die sind so kalt und dunkel. Da sterben noch und noch …“ (Wolf Biermann). Die Zimmerpflanzen könnte ich auch gießen. Nun warte ich die Kaffeemaschine, indem ich sie entkalke. Außerdem warte ich auf die Lieferung des neuen Staubsaugers, den meine Liebe Frau bestellt hat. Die erste Phase der Entkalkung läuft. In der Küche ist es etwas zu kühl. Der Geschirrspüler – von mir vor zwanzig Minuten in Betrieb gesetzt – wird – so Gott will – noch zwei Stunden und 26 Minuten arbeiten. Zumindest behauptet er das, der Geschirrspüler (innen: unter anderem: drei Schöpfer) (ich bin mir nicht zu blöde für allerbilligste Scherze). Die Kaffeemaschin burrt, spuckt und blinkt. Dann paust sie wieder (ich pause, du paust er/sie/es paust, wir pausen, ihr paust, sie pausen) (√ abgehakt. Verbum in neuem Sinn eingeführt.) (Nein, doch nicht! Ich nehme das zurück; das ist mir doch zu blöd:) Dann pausiert sie wieder. Jetzt piepst sie. Ich muß wieder hingehen und tun. Der Staubsauger ist gekommen. Ein Paket für einen Nachbarn ist gekommen. Kaffeemaschine: zweite Phase. Der Geschirrspüler spritzt und dreht und schleift minimal music. Kreuzweh. Die Kaffeemaschine brummt und spuckt. Jetzt piepst sie wieder. Letzte Phase. Meine Frau kommt vom Einkauf, die Türe klescht, der Trolly ist schwer und meine Frau stöhnt. Die Kaffeemaschine spritzt und spuckt, blinkt und hält inne. Alles wieder von vorn. Ich zähle nicht, wie oft sich der Vorgang wiederholt. Endlich ist die Kaffeemaschine fertig.

Endlich lehne ich wieder in meinem Zimmer am Bett.

 

(24.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2627 Schilderungen

 

Jetzt sitze ich zur Mittagszeit im Volksgarten in der Sonne, den Theseustempel im Rücken, die Baustelle Parlament vor mir, mitten unter den beschnittenen Bäumen, Hecken, Büschen, Wiesen und bei den beschrifteten Rosen (zB.: „Liebste Mama, du bist unser Angel“) und komme mir wie ein sonniger Depp vor. Es geht mir eh nicht schlecht, ich weiß nur nicht, was ich schildern könnte. Die Sessel: grün gestrichen. Der Asphalt: gräulich-bläulich (bläulich nur dem Anschein nach). Frau: in Braun. Sprinkleranlage: teilweise spritzend. Junge Frau: sommerlich. Alter Mann: beige. Rathausuhren: vier vor eins. Wamperter: mit Rucksack. Gartenmanipulanten: in Grün (das hässlichste Grün, das es gibt – warum kommt genau dieses schiache Grün immer im Gartenkontext?) Jungmänner: drei; cool. Teilweise sonnenbebrillt. Amslerich: schwarz. Glockenschlag: von hinten, dezent. Baustellenkran: blau. Schreiberling: im fröhlichem Grant (Überlegenheitsgefühl aus Distanz). Europafahne: flattert im Wind. Passierende Jeans: zerrissen. Gartenmanipulantin: dick, dafür zu kleiner Bü. Gießfontäne: vom Winde verweht. Asphalt dort: nass. Scheibtruhe: grün. Krähe: „krah, krah, krah, krah“. Gesamteindruck: irre Normalität. Fast nicht zu packen. Haare: ins Gesicht geweht. RadfahrerInnen: zögerlich. Taube: tieffliegend. Flugzeug: Propeller. Bienen: vereinzelt. Gezwitscher: spatzig. Schreiberei: ermüdend und fad. Ortswechsel.

 

(24.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2626 In der Stille der Nacht

 

In der Stille der Nacht (2:29 a.m.) höre ich das Surren meines elektromagnetischen Feldes (ich liebe kruse Theorien und krause Vermutungen). Ich lausche und horche, aber seufze und schaue auch, was mich jedesmal vom Hören ablenkt. Dazwischen fahren die Gedanken umher. Ich werfe meine imaginäre Angel aus, als Köder benütze ich die Schreibkunst, als Legitimation meine fragwürdige Lebensweise (oder umgekehrt). Ich spüre mein Herz im linken Ohr pulsieren und sich anstrengen. Im Rücken ein Ziehen und Ansätze zu Wellen des Schauderns, die jedoch nicht bis an die sichtbare Oberfläche kommen. Gute Nacht.

 

(23./24.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 23. März 2022

2625 Im Garten Au

 

Im Augartengewusel, das die Sonne beschickt und bespielt. Ohne und mit „Donnerwetter! Blitz!“, das die Kinder spielen. Zwei Mädchen schütten kübelweise Wasser in ein Erdloch. Das ist das Leben. Ich sitze in zirka 44 Zentimeter Abstand zur Erde auf einer Bank. Ein kleines Mädchen steigt am Rande des kleinen Abhangs zur Rasenfläche von ihrem Laufrad und dieses fährt alleine hinunter. Buben mit zu Schwertern verwandelten Stöcken - „D a s  i s t  m e i n  S c h w e r t, das für euch kämpfen wird zur ...“ - tragen irgendeinen Kampf mit mir unsichtbaren Gegnern aus. Die Sonne wird bald die ersten kahlen knospenbestückten Baumkronen erreichen. Einige Kinder spielen Ball. Zwei zerren an einem Laufrad.

Die Schatten der Bäume greifen schon über den Rasen. Ein Plastikküberl glanzt in der Sonne wie ein Edelstein. Es ist wohl der verloren gegangene Glanz, den wir in den Dingen suchen. Die dünnen Schatten und die tiefstehende Sonne beginnen mit der Erzeugung von Abendstimmung. Das Licht wird dünner, flacher, seichter. Das kleine Mädchen fischt immer wieder nach dem versteckten Smartphone der Mutter und findet es meistens. Das ist ein richtiger Lagerplatz hier mit ruhenden und bewegenden „Elementen“ (erstere vor allem Erwachsene, letztere vor allem Kinder). Das Spielfeld wird schleichend und immer mehr von den dünnen Schatten überzogen. Ich werde bald zusammenpacken und nach Hause gehen. Ein wenig genieße ich noch den Blick auf die Konturen im Gegenlichtglanz und die Veränderungen der Schatten.

 

(23.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2624 Mein Blick

 

Mein Blick schleppt sich müde und zäh durch das sumpfige Wahrnehmungsfeld. Allmählich trennen sich ich Wahrnehmer und Wahrnehmungsgegenstände, die Welt wird stabiler und fester und mein Blick gleitet getrennt und unvermischt leichter und unbeschwerter umher. Mein rechtes Ohr juckt heftig und ich gönne ihm eine Pilotstiftmassage. Mein linkes Ohrläppchen juckt und ich reibe es mit dem linken Zeigefinger hinten beim Flinserlverschluß. Bei der Munch-Madonna stört mich zunehmend der immer deutlicher werdende Gegensatz zwischen dem ins Doofe gehenden Gesicht und dem ins Magisch-Realistische gehenden Brüsten, die ein Eigenleben zu haben scheinen. Die Brüste leben stärker als die Madonna. Der Munch mit Stilltrauma? (oder ich?) Mein Wandlungspriester - so fest ist die Wirklichkeit auch wieder nicht – hat seinen schiefen Kopf nun mit dem Gesicht nach hinten zum Himmel gekehrt und müßte  jetzt eigentlich mit Genickbruch tot umfallen. Außerdem wirkt er karikaturenhaft. Der Auferstandene geistert gespensterartig beim Felsen … umher kann ich nicht sagen, weil er sich nicht bewegt. Im Übrigen kann der Auferstandene für all das nichts, schließlich war ich es, der ihn so gemalt hat. Die Rabenkrähe streckt ihren – interessanterweise – gelben Schnabel stolz und zuversichtlich im festgehaltenen Aufflug gen Himmel. Ich denke, sie hat vor, „losgelöst und mit Leichtigkeit am Adler vorbeizuschnellen“.

 

(23.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2623 Normal

 

Heute Nacht arbeiten alle meine Bilder ganz normal: der Busen der Munch-Madonna und der der Modiglianerin tun ihre Arbeit, wie die Augen der zwei Visionäre, die Arme der frankophonen Schweizerin und die des zappelnden Auferstandenen und der schiefe Kopf des Priesters. Die Lošinjs hängen mit Rettenschoess und Riesneralm im Dunkleren. Der fremdgewordene Lehrer lehrt an der abgeschnittenen Tafel. Und das Surren: ich lasse es sich ausdehnen. Die tiefseufzenden Atemzüge. Von drüben redet mein Vater zu meinem Traumbewußtsein, aber ich habe nicht gut genug aufgepasst und nichts herübergerettet. Mir fallen die Augen zu.

 

(22./23.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2622 „The Balance of Life“

 

Der Rabenvogel schwankt - in seinem Auffliegen fast erstarrt – nur leise hin und her, den gelben (warum gelben?) Schnabel zum Himmel gerichtet. Das Sonnenlicht fleckt und flackt sich noch nicht bis in mein Zimmer. Was wird es sein? Eins? Halb eins? Zwischen halber und dreiviertel. Die Tageskinderstille tritt ein, von einem Moment zum anderen. Ich bin immer erstaunt. Sogar der Heizkörper hält in seinem Gluckern inne. Das ist der Moment, wo auch am hellichten Tag das Surren die Herrschaft übernimmt, wo eine kleine Welle von Intensität über mich netzt und wo die Wahrnehmung wesentlich wird („wesentlich“ steht hier nicht bedeutungsgeil, sondern wörtlich). (Fuck you, Goethe!) (Verdammt, der Satz „Mensch werde wesentlich“ ist gar nicht von Goethe, sondern vom lieben Angelus Silesius! Ich hau's trotzdem dem ungeliebten Goethe um die Ohren! So ungerecht kann ich sein.)

Ein tiefer, tiefer Seufzer, der meinen tief gestapelten Schmerz berührt. Noch einer, und der Eisenring um meine Brust erweicht. Der erste Sonnenfleck an der Hauswand im Lichtschacht. Das Surren vereinigt sich mit meiner momentanen inneren Melodei. Vermutlich der Verkehrshubschrauber dröhnt in mittlerer Entfernung in die Stille (Warum heißt es Ent-fernung, wenn er gar nicht näher kommt?). Der dritte Seufzer ist ein wenig flacher. Hunderte meiner Texte sind ungelesen (sogar die Heizung gluckst wieder). Wenn sie nach meinem Tod nicht verloren gehen, werden sie verhunzt werden. Besser sie bleiben auf der Müllhalde des Menschengeschlechts liegen; zur homöopathisch dosierten Abstrahlung auf der Weltgeschehen. Ganz ohne Sinn und Bedeutung geht’s halt nicht. Da da da dada daaaa da …. ich bleibe mit „meiner“ Melodie unvollendet, finde den Abstieg zu ihrem Ende nicht in meinem Gedächtnis. Wozu gibt es all diese Geräte? Ich stehe also auf, geh zu meinem Schreibtisch, drehe das Laptop auf, gehe auf Youtube und spiele alt-J KEXP ab. Der Poet nutzt die … Intarsien, Inquisiten, Asservaten …  verdammt! Wie heißt das? ... die Requisiten, die ihm auf der Bühne von Raum und Zeit geboten werden. „The Balance of Life“ (Zitat).

Die zwei Visionäre bleiben friedlich, die Munch-Madonna ist weder verführerisch noch abstoßend, der Auferstandene ist halt auferstanden, die frankophone Schweizerin hält halt ihr Leiberl, der Priester versucht halt unsere Realität in den wesentlicheren Zustand zurück zu verwandeln.

Bei Musikberieselung kann ich nicht schreiben. Ich lege das Schreibzeug weg und horche zu.

 

(22.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 18. März 2022

2621 Nachschicht

 

Was mach ich jetzt mit meiner neuen VulnerRabiliMöwiliRaveilyMobilität? Möbeln? Vor? Träumen? Vor? Verkatzeln? Verkratzeln? Verschätzen? „Schwindsuchtverdächtig“ ist sehr nobel ausgedrückt: dieses todgeweihte Gesicht kann vom Busen nicht länger überspielt werden! Nobelpreis-verdächtig! Ich habe diese Nacht vom Heiligsten getrunken – und hab beim Scheißen trotzdem fest gestunken. Oh! Oh! Oh! In Mali Lošinj haben sich fünf bis sechs kleine, lokale Spezialoperationen eingeschlichen! Und werken fuhr. Fatal, fatal, aber nicht für mich. Noch nicht. Nocksicht und Nachschicht. Mein Gott! Wie schön ist mein kleines Leben. Klebewand, Klebeband, Klebverstand. Wir hanteln und mündeln uns dem Kern der Sache immer näher. Kernspaltung oder Kernfusion? Wie wär's Ihnen lieber? Jenseits von Gaunern und Schieber. Oh mein liebes ungewölbtes G'wölk! Endlich! Eine kalte Farbe fährt dazwischen: bitte keinen Kitsch auftischen. Kitz-Lorraine im Gegensatz zu Kitz-Bühl. Das liegt hinter Brühl. Z'vü G'füh. Im Gegensatz zu Xeis uns Speiseeis. Mein Delirium nähert sich dem Klimachterium. Ja, mach nur, Doris Kli! Der Pen versagt, du nie! Is was? Pasta wos net? Nein, Pasta war es nicht. Ist zu nett. Oder fett. Matière grasse. Der Festgehalt der vergangenen Nacht war groß. Echt krass! Ne, ne, ne: so erwischt ihr mich nicht! Will immer: mehr Licht (mer liecht so schlecht), Merlin. Berlin. Mayr-Beerlin. Böhmen und Vermeeren. Hoch fliegen – nieder landen. Jetzt im März! (Friedrich! Mir graut vor dir!) Kraut-vor-Tier. St. Martin Tür. St. Martin üppig. Meine Landkarte entfaltet sich glänzend (keine Therapiestunden schwänzend (!)). Langsam könntest du müde werden! Verdienst-Möglichkeiten? Null! Null Euro, aber dafür ein paar Verdienstkreuze. Ich habe mir wirklich viel Kreuzweh erdient. Diene Daumen nächsten: wie? Dicht selbst! „Wo bleibt die Schönheit? Pustekuchen mit der Schönheit!“ (warwara krassa). Man serviere den Spritzmusikverein.! Bald kommt der Alt-J-Test. Ob's heint ah so einfoaht wia gestan? Vergiss deine Schwestern! Verpiss dich vor gestern. Vor-Gestein und Urwerk Arrange. Ment. Mariandl, i trog di ins pfandl! Bitte! Nicht so rusti-kahl! (bin halt schon alt-achtundsechzieger, in echt nicht hintennach. Anhündlen. Pro-Mist-Kuh-ität eh. Schluß! Aus! Alt-J-Test now! Das elegisch-obszöne Kaffee-Maschinen-Geh-Räusch! Marginalisiert. Vaginalisiert. Test! Test! Test!

Wie Romano Guardini so richtig über Dostjewskis Christus in Spanien schreibt: es ist nur ein Rausch! Der Auferstandene rauscht durch und dann, nach den Eskapaden, ist die Welt genau so gottverloren wie vorher und die Jubler bleiben als Mörder zurück.

Das ist bei mir nicht so: Ich weiß das richtig einzuordnen und weiß, dass ich nicht erlöst bin. Aber ich habe noch und wieder den Geschmack des Paradieses auf den Lippen und die eigene Erinnerung an die Zeit, da das Wünschen noch geholfen hat.

 

(18.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2620 Ich fliege auf

 

Wunderbare Musik von Alt-J. In Veli-Lošinj habe ich bis jetzt übersehen, dass sich der Baum da links im Vordergrund gerade entzündet – und zwar auf mittlerer Höhe (Thomas! Schau uma!). Die Musik reißt mir das Herz auf. In den Wänden hinter den Büchern treten zwei schwarze Löcher auf. Sie haben richtige stumme Auftritte, ganz unhörbar. Der Raum hat eine helle und eine dunkle Seite – die aber nichts mit Arschitecture oder Lichtculture zu tun haben. Bei der Musik tanzen die Bücher für mich. Die Band steht mitten im Wald. Und spielt ganz psychedelisch – ein postmodernes Psychode-Link, ganz auf der Höhe der Zeit. Die Musik schafft es, zwischen die Töne zu greifen. Ein bißchen Übelkeit umspiralt mich. Die Musik stoppt und hebt von neuem an. Fast zu viel für meine arme Seele; jedenfalls fliegt da etwas so mit. Kann ich das Loch noch stopfen? Egal, rinnt's halt aus! Jetzt singe und summe ich sogar mit. So weit es geht. Der Schmutz, der Staub, die Flecken: alles blüht jetzt auf! Ich kann mich überall strecken, nichts davon geb ich auf. Sogar die leicht schwindsuchtverdächtigte Munch-Madonna – noch vor ihrem Verfall dreht sie ordentlich auf. Diese Schönheit muß ich wegbringen; sonst sterbe ich! Oh Bass! Du bist so traurig! Ja, Drummer, schlag's weg! Gelbe kleine rundliche Flecken schweben über meinem blauen – wie heißt das? Hoodie. Ich gebe vorerst das Schreiben auf.

Du streifst alles zart und behältst es. Aus der Ecke krault etwas auf mich zu. Schon ist es woanders. Ich greife zitternd ins Leere, aber das macht nichts: alles rundherum ist voll. Die unteren Teile der Musik bohren sich regelrecht herein: Enchanté! Ich versuch, der Katze die Musik zu erklären. Kann es sein, sie fürchtet sich? Ich glaub, ich bin recht fürchterlich. Da gluckert es schon wieder weg. Und jault sich aus dem anderen Winkel wieder herein. Die Wörter hängen nur am zartesten Geklimper fest, bis sie merken, dass es eine elektronische Falle ist, ist das Lied umvertönt. Ich komme mit den Tonschnellen nicht nach. Sickert langsam vom Boden herein. Auch wenn's nebenbei beklopfter geht. Ich finde mich in unbeschreiblichen Tonsträngen wieder. Heule ich? Oder sind das die Saiten? Oder das eiserne Stiegengeländer. Lange werde ich diese Präzision nicht mehr vortäuschen können, dann fliege ich auf. Ich zupf mir schon die fünfundzwanzigste Verwandlung zurecht. Oder zu Unrecht. Mit vollem Munde singt man nicht. Was werde da die Füchse sagen? Gute Nacht und zu wem? Wer tanzt mit wem? Was schabt sich dar? Zeitlupenpfeilschmerz. Tüpfelt über Zentralhyänenchorgesang der herrlichsten Schönheit. Schönheit. Schönheit. Endlich bin ich vergessen! Meine Hand ist ururalt. Greisenhaft. Ich sehe durch die Haut, die das ganze Gschiss nicht mehr halten kann. Aber es gibt Profis! Und Profiteure; die zwergerln sich irgendwo heran und zurecht. Oder zu Unrecht. A Cappella versinke ich in der Letten. Ich weiß, dass meine Rettungsseile unseriös sind. Mich schaudert's und schaudert's und schaudert's! Angenehm. Alles ist uneinholbar: geigen Sie alles nieder! Und krabbeln zu einem Rhythmus herauf, der gleich wieder brach liegt. Und sich zum Rinnsal gurgelt. Alle meine gemalten Bilder fließen in einer Prozession aus der Oberlichtenecke. Welches meiner Bilder blendet mich schon seit geraumer Zeit? Endlich! Endlich! Endlich! Die mit dem schönen Arsch! Vorbei! Nein, stimmt nicht. Da geigt einer auf – auf der untersten Schublade tief in den Bass. Schreib einfach um dein Leben! Aus dieser Schönheit kann es keinen Exit geben. Ich durchschaue eure Tarnungen und falle wieder drauf rein. Es gibt nichts, und trotzdem ist alles da.

 

(17./18.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 17. März 2022

2619 Guten Morgen

 

Der Wecker hat geläutet, aber ich stehe noch nicht auf. Ich bin müde. Ich stelle den Wecker auf eine Stunde weiter. Ich pflege einen großzügigen Umgang mit meiner Zeit. Sowohl so als auch so. Den pflegt übrigens auch die Katze. Mindestens eine Stunde sitzt sie schon auf meiner Brust. Ich döse bis zum zweiten Läuten.

 

(17.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2618 Gute Nacht

 

Um 3:17 a.m. die Munchsche Madonna unter dem Bett hervorzuholen und dann bei offenem Lichtschachtfenster an das Kastl zu tackern, ich weiß nicht, dazu gehört Fanatismus, Weltfremdheit und ein wengerl ein Schuss. Ich habe wirklich einen guten Platz gefunden; nicht ganz so zentral wie der gelehnte vorher, so, daß ich nicht ständig hingaffen muß. Möwe und Rabe wackeln und schaukeln. Jetzt hocke ich da, kann mich weder zum Weiterschreiben durchringen noch zum Schlafenlegen. So mach ich nichts und warte, bis die Entscheidung ausgereift ist. Inzwischen streichle ich die Katze und lasse meinen Magen knurren. Bildersucht und Lebensflucht reimen sich. Um „meinen“ klandestinen Garten am Flußufer sollte ich mich auch wieder kümmern und irgendwas aussähen. Ich bin nicht müde.

Eine halbe Stunde ist vergangen. Das Surren ist sehr polyphon. Morgen muß ich früh aufstehen: so um 11. Die zwei Visionäre empfangen nicht nur, sie senden auch. Ich erfinde das Wort „sendern“. Also die Visionäre sendern. Jetzt hab ich das Wort in die Welt geworfen; ob daraus etwas wird? Ein solches Tun benötigt auch Fanatismus und Weltfremdheit und einen Schuß Was-weiß-ich-was. Die Katze war kurz weg und hat mich zuerst angeredet, dann angeschaut und ist mir schließlich in einem Doppelsprung auf die Brust gehüpft. Aber sie läßt mich erstaunlicherweise schreiben. Das ist neu. Nur habe ich jetzt nichts mehr zu sagen. Gute Nacht.

 

(17.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 16. März 2022

2617 Lichtverhältnisse

 

Ach ja! Die Munchsche Madonna liegt noch – nur über die kleine magnetische frankophone Schweizerin gelehnt gewesen und dann vom Wind meiner textilen Bettmacherei abgehoben und daraufhin abgestürzt – unter dem Bett. Ich schaue mich um, wo ich die edle Nackte hintackern könnte, wenn ich sie mit Hilfe eines Walkingsteckens hervorgezogen haben werde. Draußen scheint es stark bewölkt zu sein; so düster ist es hier im Zimmer. Mein linkes Ohr singt und mein ganzer Kopf summt mit. In Quadrophonie, wenn ich mich nicht irre, hi, hi, hi.

Die typische, bedeutungsvolle seelische Zentralstille hat nun eingesetzt, die weichere Variante, die weder vom Surren, vom Schnaufen der Katze, noch von den Gesängen der Tageskinder gestört wird. Ich lache innerlich über meine Bildergalerie schiefköpfiger Weiber plus den schiefköpfigen Wandlungspriester am Fußendekastl; fast treuherzig schauen sie alle „in die Kamera“. Dieser schiefköpfige Zusammenhang ist mir noch nie so aufgefallen. Die zwei Visionäre hingegen glurren aufrecht und gerade her aus ihrem Bild; keine Kokettiererei mit dem Betrachter. Es ist hoher Mittag, aber die Lichtverhältnisse suggerieren Dämmerung. Soll ich heute wirklich schon um 12 Uhr aufstehen?

 

(16.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Montag, 14. März 2022

2616 Augarten

 

Rosa – mir graut – rosa. Mein rosa Pilotstift schreibt in Wirklichkeit blau. Ich sitze an der Augartenmauer (ein Wunder, dass ein Sonnenbänkchen gleich neben dem Sperling frei ist – mit meiner Frau habe ich halt Glück – obwohl gar keine Spatzen zu sehen sind), denn ich wollte als unverbesserlicher Nachtmensch und Stubenhocker heute seit langem wieder einmal in die Sonne. Zufällig startete auch meine liebe Frau zum selben Zeitpunkt aus den gleichen Gründen dorthin, was sie – im Gegensatz zu mir – sehr oft macht und so überlasse ich – wie es bei uns meist üblich ist – ihr das Kommando. Sie führt mich auf den breiten Weg zum Augartenporzellan, um erst durch die kleine Pforte in den Gartenbereich der Anlage zu treten. Ich mag diesen Bereich beim Porzellan nicht – ich bin wenn auf bloß als Besucher dort stark von der Schillerplatzarroganz beträufelt – im Gegensatz zu ihr, die auf der Angewandten studiert hat – und auf dem Weg zur – wie es in schwer verständlichem Familienjargon heißt: „Schihütte“ - das hat mit der windgeschützten Mauer dort im Sonnenschein zu tun, wo es auch im Winter - wie an einem sonnenstrahligen Schitag an der Südseite einer Schihütte - angenehm warm sein kann – als wir also zur Südwand der Augartenporzellan vulgo „Schihütte“ wandern, registriere ich bei den allerbeschnittesten Bäumchen, die links und rechts in exakten Reihen Spalier stehen, dass deren Spitzen zum Teil fehlen, zum Teil nach rechts, zum Teil nach links neigen und nur wenige aufrecht stehen.

Erst jetzt, nachdem ich meinen voluminösen Einleitungssatz notiert habe, habe ich die Zeit, auf die vielen Passanten und – und wie ich glaubhaft unterstelle: Sonnenanbeter und Peterinnen zu achten. Ein Läufer und eine Läuferin reklamieren sich auch schnell in den Text. Die vielen Kinder – laufend, spielend, radelnd, schotterschaufelnd – werden eh bekannt und vermutet sein. Jetzt bekämpfen gerade ein Bub und ein Mädchen mit ihren Sandschaufeln einen solchen Nadelbaumkegel, indem sie zuerst auf ihn mit ihren Plastikschaufel eindreschen und dann mit Schotter beschaufeln. Ich dreh mich nach rechts nach dem Bäumchen und schau es an – ich bin zwar ein schlechter Baumflüsterer und Bäumchenlauscher – ich höre kein Gras, höchstens die Gaspreise wachsen - aber ich denke, es erträgt diese kindliche Attacke gelassener als die ständige professionelle Schnitzel- und Stutzerei (die Barocke ist schon von kranker, entarteter Rationalität und dekadenter Psychotik).  Miteinander im typischen gym-nasialen Hochwienerisch sprechende Bobomütter gibt es auch en gros und en detail. Die Jogger sind mir außen und -innen zu schnell: bis ich die Musterung an der Rückseite der Laufdress beschrieben habe, sind die schon an der anderen Seite des Garten Au. Eine Läuferin steht da drüben am Rasenrand und so kann ich – meine Frau ist schon nach Haus zur Arbeit gegangen – festhalten, dass ihr Hintern wohlgeformt ist. Anima forma corporis. Dann, nachdem sie diese kleine Kurvenwelle in diesem Text hinterlassen hat, hustet sie kurz und läuft weiter. Ah! Die ganzen Hunde und Hündinnen nicht vergessen! Ob läufig oder nicht, an Leinen und Befehlssträngen – ob bettelnd oder streng. Aber trotzdem, du Zweiter Joseph, danke Ihnen, dass ich hier sitzen darf und die republikanische Bundeselli uns den Augarten nicht mehr sperrt.

 

(14.3.2020)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2615 Morgencurcumalatte

 

Es klopft dumpf an meiner Tür, aber ich mache nicht auf; ich schlafe noch und bin noch in meinem zerrissenen Pyjama. Ich setze mich auf und versuche mit meiner beklopften, schwachen, verschwindsüchtigen Wachheit etwas anzufangen. 11:15 zeigt das Handy. Der hölzerne Rabe beim Fenster schaukelt so schön und leicht in seinem Aufwind, die Möwe neben mir wie von meinem Kopf gestoßen. Die Katze kommt und beansprucht Köpfchen reibend den Platz des Notizbuches auf meinem Schoß. Ich muß deswegen lange pausieren und lasse die Gedanken vorbeifließen. Aber nun sehe ich: in Mali Lošinj liegt der Corpus des Gekreuzigten mit ausgestreckten Armen arm und solo auf der Hafenstraße und versinkt langsam im Asphalt, oder woraus diese Straße auch immer ist. Sein linker Arm ist schon versunken und macht nur mehr eine unscheinbare Bodenwelle. Irgendwo soll man sagen – habe ich vor kurzem gelesen – dass man erst tot ist, wenn alle Wellen, die man im Laufe seines Lebens geschlagen hat, verebbt sind und ausgeschwungen haben. Also nie.

Die Katze jetzt auf Schoß und Brust, ihr pelziges Hinterteil fast an meinem Kinn, Notizbuch und Pilotstift beiseite gelegt, meine Schreibhand unter ihrem Bauch döse ich und schlafe fast wieder ein. Ich versuche in taumelnder Konzentration die Empfindungen in meinem leicht entzündeten Hals zu formulieren und komme auf keinen grünen Zweig. Von Nacken aus, der nicht ganz bequem am Polster aufliegt und deshalb schon etwas verkrampft schmerzt, greift eine Kraft von hinten über den Kopf nach vorne auf meine Augen und arbeitet an deren Zufall. Frühstücken möchte ich, aber nicht aufstehen. Wer wird gewinnen? Ich oder ich? Ne! Keine Verstroyung jetzt!

14:12: wer träumt jetzt wen? Und vorm Aufstehen baue ich noch das Wort „Morgencurcumalatte“ zusammen.

 

(14.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 11. März 2022

2614 Gesellschaft

 

Ich hocke in meinem morgendlichen Stilleben. Stirn und Zwirn habe ich drüben gereimt. Die grässliche Mühlkommune fällt mir ein. Ich ahne deinen Atem, du Romanfigur! Chinas bad tables seit mindestens fünf Jahren. „Schupfen!“ - so die Message.

Stunden später, Nachmittag. Wieder erwacht. Der neue Rabenvogel macht sich gut (Holz, beim Fenster; zieht man, flügelt er; wie die Möwe neben meinem Kopf). Er schaukelt leise im Aufwind vom Heizkörper unter ihm. Solange wir uns das Heizen noch leisten können. Dieses neue Ding, der Rabenvogel, lenkt meine Fixierung sogar vom blassen Munch-Madonnen-Busen ab! Die Modigliani-Prostutuierte wirkt wärmer und blutvoller. Gut, die wird vermutlich auch nicht im Norwegisch-protestantischen Winter aufgewachsen sein. Vermutlich. In Rettenschoess zieht von rechts eine Regenfront herein: ich schätze, sehr ungewöhnlich für die Gegend, denn ich schaue nach Norden (wenn ich meine Malposition vor 22 Jahren richtig in Erinnerung habe und meine damalige Orientierung in der konkreten Geographie gestimmt hat). Die frankophone Schweizerin präsentiert sich in meinem verschwommenen Anblick wieder so feist (was sie überhaupt nicht ist) und unten stöhnt meine Frau vor Erschöpfung in der schon wieder abgebrochenen Verschnaufpause. Ich werde aufstehen und hinuntergehen, mir ein Frühstück bereiten und – so Gott will – meinem Weibe ein wenig Gesellschaft leisten.

 

(11.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2613 Kurzbericht

 

Die frankophone Schweizerin: heute feister. Die Munch-Madonna: heute ausgemergelter (Ausnahme: Busen). Der Wandlungspriester: heute schöner (gemalt). Der Auferstandene: heute zwergwüchsig. Die Katz'sche Jessica: heute comichafter (nur im Gesicht). Die Rustikalmadonna: eingepanzerter. Mali Lošinj: heute klarer. Rettenschoess: heute landschaftlicher. Veli Lošinj: heute strahlender. Die zwei Visionäre: heute affenartiger. Ich selbst: durcheinanderer. Päivis Bü: hölzener.

 

(10.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 9. März 2022

2612 NeinNeinNein

 

Nein! Nein! Nein! Zuerst habe ich zum ersten Mal in meinem Leben meine Hände desinfiziert und dann ist zum ersten Mal in meinem Leben diese Krätze oder Flechte oder was das ist auf meinem linken Handrücken aufgetaucht. So war das! Schon mindestens fünf Jahre her.

Eine klassische Melodie geht mir im Kopf herum (Kopf? Ist es wirklich der Kopf?), aber ich weiß nicht, welche das ist. Ich tippe auf ein Motiv aus einer Mozart-Symphonie. Und schon zerfällt sie mir wieder und ich kann sie nicht halten.

Verdammt nochmal! Jetzt starr ich schon wieder den Busen der Munch-Madonna an – ich weiß nicht, was da so faszinierend sein soll oder falle ich hier im Bett in meine Babyzeit zurück? Egal! Hauptsache, in meiner Seele spielt sich etwas ab!

Jetzt stockt meine Schreiberei: dass mit der Regression hoch drei passt mir in Wirklichkeit gar nicht. So klein und bedürftig möchte ich dann doch nicht dastehen. Ich drehe meinen Kopf nach rechts und betrachte die dort an der Wand angetackerten Kunstkarten. Eine kleine, feine Sammlung ganz verschiedener Bilder. (Meine Schreibhand bekommt für ein paar Augenblicke eine hellblaue Aura.) Die volkstümliche Madonna steht deutlich von der Wand ab. Ich riskiere wieder einen Blick nach vorne: der Busenbann scheint vorerst gebrochen, aber länger darf ich nicht hinschauen, sonst beginnt das Spiel wieder von vorn. Frühstück jetzt!

 

(9.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2611 Spielfeld/Špilje

 

Dreidimensionale Formen schweben vor meinen zugefallenen Augen. Was mach ich mit dieser Studentin? Nun läuft eine orange Linie ganz unten in meinem dunklen Gesichtsfeld und wellt leise und leicht (wie LaLinea ohne Figurl). Ragtime – nicht gerade meine Zeit und Leidenschaft. Meine Schrift ist dunkles Rot, nicht lila-violett, wie sie vom Pilotstift her sein sollte. Aber wohin? Ich bin an der Grenze bei Spielfeld/Špilje-Šentilj. Mein Vater hat die Schrift so lange zurückgehalten, dass sie vertrocknet ist. Eine Frau ruft. „Hallo!“ und kommt auf allen Vieren in die moderne warme Wohnung herein. Was will sie? Es ist nicht devot, sondern animalisch. Wildtiere denken nicht dauernd an Sex. Ich rutsche vom Bett und will weggehen, da merke ich: nur ein Traum.

Nachdem mir der Pilotschreiber aus der Hand gefallen ist, nehme ich das als Omen: weiterschlafen!

 

(8.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 7. März 2022

2610 Alles verdorben

 

Uh! Kalt! 6 Uhr. Alles stürzt durch mich hindurch. Passen Sie auf im Kindergarten, was Sie sagen! Aber er! Sein Leben! Ach ihr Zwerge! Aschenputtel mitnehmen, das ist zu viel verlangt? Hm?!

Nun ist es hoher Tag (13h), seit einer halben Stunde liege ich wach und betrachte fromm mein Bücherregal, während ich die Katze streichle und massiere. Die Luft im Raum moussiert und einiges bewegt sich verstohlen: so ertappe ich meine frankophone Schweizerin, wie sie mit dem Vesuvstein tanzt. Und das gesamte Bücherregal ändert gekonnt Farbe und Oberfläche, fast so gut wie eine lebendige Krake. Aber das ist es nicht. Es ist wie alles ein Fenster in die Unendlichkeit. Liebe Leserin, lieber Leser (so es euch gibt), wenn Euch meine ewigen Beschreibungen meines Zimmer und meines Anblicks vom Bett aus schon langweilen und nerven: auch hier entscheidet sich täglich und in jedem Moment von Neuem der Kampf zwischen Leben und Tod. Auch hier spielt sich ein weltbewegendes Drama, ein Krimi, eine Komödie und eine Tragödie ab. Im linken Ohr dreht auf einmal das Surren so richtig auf; die Filmmusik zu was-weiß-ich-welchem Film und was weiß ich, wie der heißt. Einige meiner Langenscheidts rücken nun hin und her - keine Ahnung, was sich der Große Regisseur oder die Große Regisseurin dabei gedacht hat.

Ich blicke aufs Kastl am Fußende, das Kastl mit den nackten Weibern, der verwoatakelten Auferstehung, der falschen katholischen Wandlung und der lieben Platane und – ich bin verlegen, wie ich das hinschreibe – der Busen der Munchschen Madonna löst echten psychophysischen Schmerz aus. Dann doch lieber zurück zum Bücherregal, obwohl mich vorhin die frankophone Schweizerin ganz wild angeschaut hat. Jetzt ist ihr Blick flehentlich: ich halte sie in diesem Photo vom Gemälde gefangen. Oder mit meinen Gedanken. Aber noch will ich auf ihren Anblick nicht verzichten und die Kunstkarte verbrennen. Außerdem sollte sie mit ihrem Maler ein Wörtchen reden, bevor sie sich an mich wendet, oder? Jessica daneben scheint unbefangen zu sein und es ist ihr egal, dass ich ihr "Selfie" betrachte. Gut, sie ist bekleidet, aber sie ist auch eine moderne Frau, die sich im Funktionalen und Langweiligem einzurichten versucht. Und darunter: den schönen Weiberarsch der Dame im Garten: den bau ich mir mehr selber im Kopf und aus der Erinnerung zusammen, als dass ich ihn in echt sehen kann.

Frau Buddha an der linken Wand – der mit dem Hausaltar – meditiert das Weihrauchkesselchen. Und der Tod als kleiner Tiger. Naja, der Sensenmeister hockt doch links hinter mir – ich glaube, mit dem kleinen Tiger übertreibe ich.

Es ist unter dem Surrgedröhne plötzlich so still, dass mir leicht übel wird. Doch nicht so tapfer, der Herr, angesichts des Todes, wie er gern angibt? Mir ist tatsächlich ein wenig schlecht. Die festgemauerte Wahrnehmungsblase, in der ich sitze, beginnt zu schweben. Ein ganz, ganz fernes Geräusch fängt zu wummern an und verklingt wieder. Muß das sein, dass mir jetzt dieser bajuwarische Affenarsch in den Sinn kommt? Alles verdorben! Ich breche ab und gehe frühstücken.

 

(7.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2609 Der kleine Tiger

 

Der kleine Tiger hat so schwarze, runde Höhlenaugen, dass er mich an den Tod erinnert. Mich hat wieder einmal beim Musikhören ein so alter, starker Schmerz überkommen, dass ich gleich in den Schlaf flüchten möchte. Beklommenheit in der Brust, Ziehen vorne an den Wangen. Bei geschlossenen Augen streut das Licht so schön, bei offenen ist alles von dünnem, schwarzem Nebel durchzogen. Die Katze geht. Unter Musikklängen nähern wir uns der jenseitigen Sprachgrenze. Es geht nicht mehr. Mir fallen ständig die Augen zu.

 

(6./7.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 4. März 2022

2608 Fülle

 

Unten bei den Tagis beginnt die Phase „Gitter-Ziehen“, die letzte unmittelbar vor dem Mittagsschlaf. Somit ist es zu spät für den Morgenkaffee; erst in zwei Stunden darf die Kaffeemaschine wieder angeworfen werden. Das macht nichts. Ich will sowieso noch nicht die warme Lacke der seichten Träume verlassen, in der ich seit Stunden herumplantsche, genauer gesagt: den ganzen Vormittag. Madame Mi-Tsi kommt her zu mir und will – schwer atmend – gestreichelt werden. Vielleicht geht es ihr um die Massage, dass die ihr Erleichterung bringt. Dann springt sie wieder auf meinen Schreibtisch zurück. Und auf einmal entsteht hier in meinem Zimmer eine Pattsituation. Frag mich nicht, zwischen welchen Kräften; ich weiß es nicht. Zwischen den üblichen Kandidaten „Aufstehen“ und „Liegen-bleiben“ ist es nicht, denn die kämpfen gar nicht, weil ich auf „Liegen-bleiben“ entschieden habe.

Wunderschön ist diese Stille, dieser Frieden, die nun eingetreten sind. Alle Bilder und Dinge im Raum geben gleichzeitig ihre Photonen ab und meine Augen genießen die Fülle, die ihre Netzhäute berührt. Oh, wie tief mich mein Seufzer atmen läßt! Sofort spüre ich die Tränen hinter meinen Augen. Eine ungeheure Liebe zur Welt erfasst mich, und ich hoffe, dass jene deren Beschreibung durchdringt. Sanfte, leichte Wellen bringen auch meinen Körper ins Schwingen. Mit einer glücklichen Ratlosigkeit blicke und horche ich umher. Die Fessel um mein Herz lockert sich und löst so wieder einige angestaute, ungewohnt tiefe Atemzüge aus.

 

(4.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 2. März 2022

2607 Espresso Burggasse

 

Im wunderschönen, herrlichen, fraulichen, freundlichen, lieben, wunderbaren, gutschmeckenden, gutklingenden Espresso Burggasse bin ich seit Monaten wieder zum ersten Mal. Ich habe Zeitung gelesen, habe mir ein köstliches Frühstück gegönnt (nachträglich alles Gute zum Geburtstag!), habe am Weg und hier herinnen photographiert (die Profis mögen mir verzeihen) und anschließend werde ich die Kräuter einkaufen gehen. Ich starre in ein Kerzenlicht. Kerzenlicht? Nein, es ist eine elektrische Lampe, die Kerzenlicht imitiert. Weil hier offensichtlich eine Ausstellung konzipiert und besprochen wird: ein kurzer, heftiger Anfall von Mal- und Zeichenlust. Große, große Trauer, großer, großer Schmerz, dass ich das nicht schaffen werde zu Stift und Farbe zu greifen. Und falls doch: dass ich über das Ergebnis enttäuscht sein werde. Aber gut. Ein bißchen bleibe ich noch, dann gehe ich wieder. Ach! So schön hier! Kaffeetasse leeren. Ich gehe.

 

(2.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2606 Morgenstund

 

„... schon vom Schlaf erwacht“ und fühle mich nach knapp oder gut – so genau weiß ich das nicht – fünf Stunden Schlaf recht frisch. Madame Mi-Tsi war die Weckerin, aber sie wollte gar kein Futter. Ich bin nahe daran, einfach aufzustehen und den Tag zu dieser ungewöhnlich frühen Stunde (8h) zu starten. Die Morgeneuphorie und den Tüchtigkeitsbonus halte ich mir deutlich vor Augen und sie üben eine starke Anziehung aus. Aber es gibt auch Gegenstimmen: halte ich dann bis zum vereinbarten Treffen am Nachmittag aus? (nicht seriös, denn Mittagsschlaf wäre sowieso erlaubt); es ist wohl eher die Affinität zu Bett, Depression und Lebensangst, die mich zögern lassen. So eine Vormittagstour mit Photographiererei wäre schon eine tolle Sache! Alle die Kräuter zu kaufen und im Espresso Burggarten auf einen Cappuccino einkehren. Wer wird gewinnen? Ich oder ich?

 

(2.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2605 In der Nacht

 

Die Brüste der Neuen Nackten: manchmal kommen sie mir aufgesetzt wie ein Büstenhalter vor, dann wieder, als wäre der Körper dahinter nur für sie, die Brüste, gebildet worden. Ich seufze und weiß nicht warum und wozu. Die Tage sind voller Lärm und Müdigkeit, die Nächte still und aufregend. Ich wundere mich über meine Wiederholungen und dass ich dem Munch so auf den Farbleim gehe. Der kleine, slawische Samstag ist noch ein paar Tage entfernt. Meine Luftwurzeln hängen überall in der Welt und den echten Forschungsinstituten herum und saugen kein Wasser, nur Luft an. Ich lächle über die Zeiten, da das Malen noch geholfen hat (hat es das? Und wußte ich wirklich nicht, warum ich seufzte?). Mein Beruf ist Unterwerfungsmanager, meine Berufung ist verhallt. Die Dunkelheit ist bergend, wie die Stille ohrenbetäubend ist. Es gesellen sich zum Surren auch andere Klangfragmente. Die sind ganz scheu, verstecken sich im Surren und hauen ganz schnell ab, wenn ihnen die Entdeckung droht. Der Gesellschaftsklang jetzt zum Beispiel ist maschinell. Aber ich lege mich jetzt flach.

Wenn ich hier allein in der Nacht bin, dann möchte ich mit niemandem tauschen.

 

(1./2.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 1. März 2022

2604 Akurat

 

Meine Augen flimmern sich am Bücherregal entlang, während der Schlaf von mir Aufgesetztem rieselt. Die Katze besucht mich diesen Morgen mindestens zum fünften Mal und will gestreichelt werden. Ihr Zärtlichkeitsbedürfnis hat sich verfünffacht; merkt sie's, dass es mit ihr zu Ende geht? Und was merke ich?

Ich merke, dass ich bald bereit sein werde aufzustehen und alle die Einkäufe und Erledigungen zu vollbringen – nach einem ordentlichen Frühstück, versteht sich. Ein bisschen verweile ich noch in der Aufwachsituation oder noch anhaltenden Unverantwortlichkeit – oder halten Sie sich wegen eines geilen Traumes für schuldig im Sinne der bürgerlichen Moral? (Schuldgefühle in Träumen kommen vom Kontakt daselbst mit anorganischen Lebewesen, die in normalen, nicht-luziden Träumen aus und eingehen, wie es ihnen passt. Das verstößt gegen den Glaubenssatz der Ratio, dass es diese Lebewesen nicht gibt. Wir sind hier schuldgefühlsmäßig auf der Metaebene.)

Ahja! Wenn ich bereits solche Anmerkungen schreiben kann, kann ich auch schon frühstücken. Und akurat meldet sich heftig der Hunger. Nur schnell auf, bevor die Tageskinder mittagschlafen, damit ich noch die laute Kaffeemaschine anwerfen kann.

 

(1.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2603 Noch

 

Die herbstlich bunte Milchstraße der Signora Ghisetti – jene heißt ganz anders – zieht mich in sich hinein; schon bin ich ein winziger mikrobischer Reisender durch unfaßbare Welten. Fast hätte ich „mikroskopischer“ oder „mikrophonischer“ geschrieben: dann würde die Geschichte mit meinen naturwissenschaftlich-weltretterisch-größenwahnsinnigen Phantasien weitergehen, oder mit meinen popmusikalisch-superstarlichen. „Alles ist möglich“ - so aber bleibe ich bei meinem Ausruf „Mehr Geld!“, den ich gerade noch herbeigeschwindelt habe. So früh am Morgen – das heißt um 5 Uhr herum – im Ernst – da denke ich nicht an Geld; das war auch wieder bloß eine assoziationstechnische Erfindung. Noch fühle ich mich in meinem Bett in meinem Zimmer sicher. So sicher, dass ich die übliche Welt draußen lassen und die Schlafoption wach halten kann. Noch gurgelt die anspringende Gasheizung in den Heizkörpern und klopft mein Herz in meinem Leib. Noch sausen und surren die Ohren, noch hat mein Pilotschreiber genug Tinte und mein Notizbuch genug geduldiges Papier.

 

(1.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

2602 En Miniature

 

Die neue Nackte von Munch verliert sich nach unten hin; löst sich tendenziell auf - da unten und an den Extremitäten. Was will ich damit sagen? Ist das eine notwendige vel hinreichende Aussage? Wem dient sie? Cui bono? Was will ich damit erreichen? Ein wenig Bedeutungszirkus vorm Einschlafen? Oder vorm Wachliegen? Ich versuche, durch Umkreisen einen Sinn herauszulocken. Oder wenigstens eine Pointe. „Witz komm heraus! Du bist umzingelt“ (Zis). Wieder ein glücklicher Rückfall. Regression – sagen wir auf den 15 Jährigen? Solche mühsamen Texte müßen auch sein, um irgendwann einen flotten hervorzukitzeln. Mein Geist findet keinen Punkt, von dem aus er die Welt aus den Angeln heben kann. Wenn ich verstumme, kommt sofort das Surren an die Macht. Eher hebelt mich die Welt aus. Mein kleines Wündlein am rechten Zeigefinger schaut wie ein rotes Auge im Strahlenkranz aus; ein Auge Gottes en miniature. Ich bin ja auch nur ein ganz kleiner Gott; klein und eingeschrumpelt wie ein mitteleuropäisches Pimperl in eiskaltem Wasser Sibiriens. Vielleicht habe ich damit einen halbwegs erträglichen Ausweg aus der textlichen Verstrickung geschafft. Vielleicht. Was sagt die Textilbranche dazu? „Österreich ist frei!“.

 

(28.2/1.3.2022)

©Peter Alois Rumpf  März 2022   peteraloisrumpf@gmail.com