2608 Fülle
Unten bei den Tagis beginnt die Phase „Gitter-Ziehen“, die
letzte unmittelbar vor dem Mittagsschlaf. Somit ist es zu spät für den
Morgenkaffee; erst in zwei Stunden darf die Kaffeemaschine wieder angeworfen
werden. Das macht nichts. Ich will sowieso noch nicht die warme Lacke der
seichten Träume verlassen, in der ich seit Stunden herumplantsche, genauer
gesagt: den ganzen Vormittag. Madame Mi-Tsi kommt her zu mir und will – schwer
atmend – gestreichelt werden. Vielleicht geht es ihr um die Massage, dass die
ihr Erleichterung bringt. Dann springt sie wieder auf meinen Schreibtisch
zurück. Und auf einmal entsteht hier in meinem Zimmer eine Pattsituation. Frag
mich nicht, zwischen welchen Kräften; ich weiß es nicht. Zwischen den üblichen
Kandidaten „Aufstehen“ und „Liegen-bleiben“ ist es nicht, denn die kämpfen gar
nicht, weil ich auf „Liegen-bleiben“ entschieden habe.
Wunderschön ist diese Stille, dieser Frieden, die nun eingetreten
sind. Alle Bilder und Dinge im Raum geben gleichzeitig ihre Photonen ab und
meine Augen genießen die Fülle, die ihre Netzhäute berührt. Oh, wie tief mich
mein Seufzer atmen läßt! Sofort spüre ich die Tränen hinter meinen Augen. Eine
ungeheure Liebe zur Welt erfasst mich, und ich hoffe, dass jene deren
Beschreibung durchdringt. Sanfte, leichte Wellen bringen auch meinen Körper ins
Schwingen. Mit einer glücklichen Ratlosigkeit blicke und horche ich umher. Die
Fessel um mein Herz lockert sich und löst so wieder einige angestaute,
ungewohnt tiefe Atemzüge aus.
(4.3.2022)
©Peter Alois Rumpf
März 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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