Freitag, 18. März 2016

321 Der Riss

Trauer und Schmerz ziehen sich wie ein Riss von oben nach unten durch meinen Seelenkörper und reißen ihn fast entzwei. Ich bin in der Vergangenheit und empfinde erst jetzt, was ich damals gefühlt habe. Auch der Energiekörper ist verletzlich. Das ist nicht die einzige Wunde, aber die, die in den letzten Jahren immer wieder aufbricht. Ich heile sie jetzt aus. Ich drehe den Kopf nach rechts und atme ein. Ich drehe den Kopf nach links und atme aus. Links. Rechts. Links. Rechts ...
Langsam und stetig schließt sich die Wunde. Hoffe ich. Ehrlich gesagt, ich merke nichts. Müde gebe ich auf. Der Schlaf wird mir eine Erlösung sein.


Der Schlaf hat mich vom Schmerz erlöst, ein fröhlich singendes Wesen hat mich aufgeweckt. Eine schnurrende Katze gesellt sich zu mir; ich lege ihr meine linke Hand auf. Ich mache den Fehler (?), auf mein Leben zurück zu blicken und die Trauer schleicht wieder herein und baut in mir ihr Schmerzgehäuse. Ach, sei's drum! Kümmere dich nicht darum! Der Augenblick ist jetzt.
Jetzt spüre ich das, was ich mir damals zu spüren nicht erlaubt habe. „Ich will Ihnen die Malerei nicht nehmen.“ Dabei war sie schon zerschlagen. Auf den Boden geschleudert. Außerdem folgt dann das „aber“. Das scheint unwiderruflich.

Mein linker Arm bekommt einen Krampf vom Halten des Notizbuches, ich fühle das Ziehen bis zum Herzen. Wir unzulängliche Menschen müssen uns genug sein, wenn wir den Ausgang nicht finden. Den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Und hat der Herr in Kaliningrad  die richtige Unmündigkeit gemeint? Und den richtigen Ausgang erwischt? Ich glaube es nicht. Das wird auch ein Angebertext.
Ich merke, in den letzten Monaten gebe ich viele Hoffnungen auf; ich hoffe, es sind die falschen.

Meine Handlungen gehen schon längst an mir selber vorbei. Du sollst nicht lügen. Doch, so ist es. Sie laufen einfach ab und ich kann dazu nichts tun.
Du robbst jetzt auf den Großen Abgrund zu. Ist dir das bewußt? Ja, ja.
Alle Verfahren eingestellt.













©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 17. März 2016

320 Ein fröhlicher Tag

Ein freier Tag. Ganz entspannt. Lesen am Morgen. Das Leselicht hin und her drehen. Wie es mir gefällt. Die Katze tretelt mir auf den linken Fuß. Das Surren klingt fröhlicher. Im Frühtau zu Berge … Und die Morgenfrühe, das ist … . Gibt’s zu, daß es dafür zu spät ist, immerhin achtuhrdreißig. Durchatmen. Ein inneres Lachen ohne Grund. Abgrundtief. Die Waschmaschine läuft schon im Kreis. Die Erde in den Blumenkisterln ist noch feucht genug. Durchatmen. Ich bin der geborene Pensionist. Ohne Verpflichtungen würde ich am meisten entdecken. Eine fürstliche Pension auf Lebenszeit, wegen Verdienste um irgendwas. Im Kapitalismus kann ich mich nie behaupten. Verkappter Monarchist. Bitte, schreib her, daß das nicht dein Ernst ist! Sonst verlierst du viele Leser. Es ist ein fröhlicher Tag. So viele Leser habe ich auch wieder nicht, daß ich viele verlieren kann. Umso schlimmer, wenn du welche verlierst. Es kann nichts verloren gehen, was einem wirklich „gehört“. Obwohl: bei Lesern würde es gut passen von „ge-hören“ zu reden, denn beim Lesen horchen sie mit dem inneren Ohr. Vielleicht kommen ja sie auch zu Lesungen. Also die Anführungszeichen sind nicht nötig. Nötig ist nur eine Pension, aber nicht wegen eingezahlter Beiträge, sondern wegen Verdienste. Sag, geht’s dir heute zu gut? Du wirst üppig! Das ist doch völlig egal, mein Schiff ist gar nicht unsinkbar. Manchmal ahne ich schon den Eisberg. Oder bilde es mir ein. Welches Bild habe ich mir hereingeholt? Ach, heute erlaube ich mir alles; selbst Urteilssprüche und den Pensionsanspruch.

Wie mir die selbstbehauptungsgestylten und durchsetzungsgeilen Künstler auf die Nerven gehen! Und nicht nur die Künstler. Ja, ja, natürlich spricht da der Neid. Aber heute ist mir das alles egal. Heute spreche ich alle Sprachen. Zungenreden sozusagen. Möglicherweise von einer Zunge, die im Schreck verschluckt wurde.

Idioten ist nichts verboten. Die Piloten kriegen Schläge auf die Pfoten. Das wäre noch das Schönere, daß Piloten mehr erlaubt ist als eigenen Menschen. Die Technik darf nicht über die anderen siegen. Idiotische Hymnen sind eigene Lieder. Singe ich wirklich eigene Lieder oder stierl ich nur in meinem Kopf im Bilder- und Notenarchiv der Müllhalde des Menschengeschlechts herum? Selbst diese Frage kann mich heute nicht aus der Bahn werfen. Es ist verboten, Gegenstände aus dem Fenster zu werfen. Das steht auf jedem Zugfenster. Oder war das früher? Ach ja – heute kann man keine Zugfenster mehr öffnen. Auch ein Grund, warum die Technik nicht siegen hätte dürfen. Entmündigung und Enthändigung: ich darf mit meinen eigenen, idiotischen Händen das Fenster nicht öffnen. Dieser rationalistische Geist ist unglaublich totalitär. Und was ist mit der Waschmaschine? (Wahrscheinlich hat sie das Im-Kreis-Laufen von der Formel eins gelernt.)

Ich muß schon zugeben, ich bin kein echter Idiot. Das macht mich jetzt ein wenig traurig. Gottseidank nur so viel, daß ich es noch genießen kann. Aber über „privat, ungelehrt, laienhaft“, unautorisiert könnte ich es schon noch hinbekommen. Ein unautorisierter Autor. Außerdem muß es ja auch Gehilfen geben und Leute, die im Weggeworfenen herumklauben. Klauben heißt nichts wissen. Aber da finden wir doch manchmal etwas schönes.








©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Mittwoch, 16. März 2016

319 Endlosschleife

Die übliche Lebensangst am Morgen, gepaart mit der der Existenz. Das gehört schon zu meiner Folklore. Trachtenverein zu Erhaltung des Unbrauchbartums. Die Angst schneidet in meinem Inneren herum wie ein wahnsinniger Kettensägenfetischist. Ich fühle mich alleingelassen und fremd in der Welt. Mensch! Kannst du nicht einmal etwas anderes anziehen? Trachte doch einmal nach Kleiderwechsel. Oder fehlt dir dafür die Anziehungskraft? Irgendetwas in mir bleibt sowieso unbeeindruckt. Dem gefällt sogar das Fremdkörperpickerl am Brückengeländer, genau an der Stelle, wo ich immer die Donau grüße, obwohl meine Vorhaben und Pläne zu scheitern drohen. Aus Angst. Angstvoll. Angstgetrieben. Angstbremser. Ängstlich lasse ich alles fallen und ergebe mich dem Schicksal – oder was ich dafür halte. Beratungsresistent. Verkaufe meine Seele auf Raten. Oder noch absurder: ich habe meine Seele verschleudert und muß jetzt auf Raten den Verkaufspreis abzahlen.
Wie gesagt, ein Teil von mir bleibt unbeeindruckt, kann aber nicht lachen. Das ist alles sehr kompliziert. Kompliziert ist unzentriert. Ach, das weißt du ja schon, daß in deiner Mitte nichts ist. Dafür ist das Drumherum gar nicht so schlecht. „Wie war das mit deinen Schwestern?“ fragt mich Herr Hühnchen, ein Hüne von Gestalt. Das Absurde hat heute keinen Humor. Schade. Dann wird das ein müder Tag. Und ein müder Text. Komm, gib Pfeffer rein! Au weh! Nur nichts verraten. So komme ich nicht weiter. Na und? Dann bleibe ich eben da. Die Spargelfelder an der Autobahn fallen mir ein. Haare und Zähne fallen mir aus. Ätsch! Hilft nix! Die Suppe bleibt müde und lind. Das Salz ist schal geworden. Ich bin schal. Mein Lebensfluß ist ausgetrocknet, der Schreibfluß fade.
Der Dings schaut auch schon ziemlich alt aus. Schönen Gruß an Frau und Herrn Holle. Holland hätte dann eine ganz andere Bedeutung.

Jetzt fällt's mir wieder ein, warum ich keine Mitte habe: ich bin eine fade Nummer, die sich verausgabt hat. Auch egal. Allmählich verliere ich wirklich die Kontrolle und falle in den Dämmerzustand knapp vorm Schlaf zurück. Der Wecker zeigt mir eine ziemlich falsche Zeit. Was macht der Wächter meiner Kraft? Ich bin der Erste heute und der letzte. „Da kommt Freude auf!“ - ist sicher ein Nazispruch; kommt aus dem Krieg freudloser Männer und fader Nummern. Behaupte ich einmal. Wie sagt Mozart? „Aus einem traurigen Arsch kommt kein lustiger Furz.“

Endlosschleife. Schalte wer das Gerät aus!

Sobald ich die Augen schließe, liege ich immer noch im Bett. Aber das Leben spielt sich voll ab. Meine Kinder sind da und kommen und gehen. Fremde Leute treten ein in die dunkle Stube – Freunde – Feinde – nicht ganz klar. Zwei Leib Brot liegen am Boden und wuseln plötzlich mit einer kleinen Portion Hund herum. Meine Frau kommt nackt herein und zu mir ans Bett. Aber dann sind wir gleich wieder gestört durch irgendetwas, die Zimmertür steht offen. Jetzt merke ich, wir sind wieder im Haus am Fluß und wie immer einen Tag vor der Abreise. Irgendwelche schweigenden Verhandlungen mit dem Vermieter finden statt. Ich ergattere einen ganzen Stapel Startnummern, die sehr begehrt sind, weil sie Startnummern für den Kauf von EM-Tickets in Frankreich sind. Dann überreiße ich – die sind gefälscht. Aber ich denke mir einen genialen Trick aus! Ich gebe auf allen Ticketkaufberechtigungsscheinen, die in den Startnummern stecken – sie haben so kleine Taschen wie Schürzen – meine Kontonummer an und die Leute werden die gesalzenen Eintrittspreise auf mein Konto einzahlen! Endlich werde ich reich! Schon versuchen die Leute, mir die Startnummern aus der Hand zu reißen - ich bin von fanatischen und zu allem entschlossenen Männern umringt –  ich halte die Startnummern noch fest, zum Schein, als wolle ich sie nicht hergeben und die Tickets dann am Schwarzmarkt verkaufen. Damit der Trick funktioniert. Das gibt ein wildes Gezerre. Ich bin mächtig stolz auf meine Cleverness.












©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 15. März 2016

318 Danke, mein Kind

Die Blätter der geschenkten Platane leuchten in überaus vornehmer und zarter, zärtlicher Zurückhaltung; das fällt mir nach Jahren zum erstenmal auf! Jetzt verstehe ich einiges!
Die anderen angetackerten Sachen dort kann ich nicht lesen, weder mit, noch ohne Brille. Das ist jedoch egal, denn die habe ich selber geschrieben oder selber abgeschrieben.
Aber die Zeichnung der Platane da ist ein Geschenk meines Kindes.












©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

317 Die Arbeit ruft

Mir fehlen die Worte. Und wenn sie kommen, verschwinden sie wieder, sinken wieder zurück in das Chaos, aus dem sie gekommen sind. Ich liege da wie in einer Pieta ohne Maria, aber ich lebe noch und habe keine sichtbaren Wunden. Und von einer kommenden Auferstehung ist weit und breit nichts zu spüren.
Meine Base Andrea fällt mir ein, nachdem ich es verworfen habe, vom baldigen Liegen in der Grabkammer zu phantasieren. (Grabkammer! Wer würde meinem Leichnam soetwas zur Verfügung stellen! Und warum auch!)

Komm, bleib irgendwie da! Irgendwie; es muß nicht elegant sein.

Ich bin noch ganz benommen vom Schlaf und den befremdenden Begegnungen beim Träumen. Die Wirklichkeit um mich ist noch nicht ganz ausgehärtet; vor Ratlosigkeit laß ich mein Haupt zur Seite fallen.
Ratlosigkeit – ich meine, mein Rationalsystem ist noch nicht ganz hochgefahren; die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, die Ratsversammlung des Common Sense.

Wo stamme ich eigentlich her? Was sind die Vorgaben meiner Vorfahren? Wer waren sie? Wie lebten und wie starben sie? Was hat sie angetrieben? Oder ließen sie sich treiben? Welches Feuer geben sie im Stafettenlauf weiter? Und habe ich es in die Lacke fallen lassen, im Regen, weil mir die niedergebrannte Fackel in der Hand zu heiß geworden ist?

Komm, bleib da! Irgendwie, es muß nicht elegant sein.

Die elegische Musik der Regentropfen, sehnsuchterzeugend und in den Rhythmen hochkonzentriert, von den drei Klavierspielerinnen des Schicksals mit dramatischen Pausen durchsetzt, spannungsgeladen und voll von Intensität.
Jetzt wird die Melodie des Regens leichter, schneller. Wie komme ich jetzt auf den Mädchenschänder Goethe? Hat das mit mir oder meinen Vorfahren zu tun? War es das, was meine Vorfahren antrieb? Waren alle meine Urmütter missbrauchte Frauen?

Komm, bleib da. Ich spüre noch …  versunken.

Komm, bleib da, die Arbeit ruft! (wie ruft sie denn? Hi?)











©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


316 Kindheitsträume

Ich bin in einer Buwog-Siedlung aufgewachsen. In dem Haus Nummer 88 gab es sechs Parteien. Die Bewohner stammten in der Reihenfolge der Wohnungen von links unten nach rechts oben aus folgenden Bundesländern: Kärnten – Kärnten – Steiermark – Tirol/Vorarlberg – Steiermark – und -  ich glaube – Wien; bei Letzterem bin ich mir eben nicht mehr ganz sicher. Das ist für diese Geschichte auch ganz unerheblich. Das sind nur ein paar Verlegenheitspirouetten, weil mir das Thema unangenehm ist.

In diesen Gebäuden, in den Fünfzigerjahren gebaut, gab es natürlich auch Keller. Betonierter Fußboden, Tageslicht kam durch kleine Kellerfenster, trocken, modern, nichts muffiges. Die einzelnen Parteien hatten ihre eigenen Abteile, die durch vertikale Lattenverschläge abgetrennt waren. Man konnte also hindurchsehen.

Die ersten Jahre, nachdem wir in diese Wohnung gezogen waren, hatten wir noch keinen Kühlschrank, und so waren im Keller Lebensmittel eingelagert; Eier in einer Salzlacke in großen Gläsern, Gemüse, vor allem Kartoffel, Sauerkraut im Faß, verschlossen mit einem von einem ordentlichen Stein beschwerten Holzdeckel, Rexgläser mit verschiedenen eingekochten Lebensmittel, Marmeladengläser und so weiter. Da es keine Zentralheizung gab, waren auch Holz und Kohlen im Keller gelagert und einen Hackstock mit Hacke gab es auch. Und Werkzeug.

Immer wieder wurde uns Kindern angeschafft, dieses und jenes für die Eltern aus dem Keller zu holen. Ich hatte im Keller immer Angst. Vor allem beim Kohlenholen im Winter, denn da war es schon früh finster und das elektrische Licht im Keller aus diesen befremdlichen Lampen war mir auch nicht geheuer, es warf so eigenartige Schatten und es gab nur einen einzigen Schalter am Eingang. Die Kohlenschaufel machte auf dem Betonboden ein lautes, schrilles, unangenehmes Geräusch; genauso die Kohlenstücke, wenn sie in den metallenen Kohlenkübel krachten. Dieser Lärm hallte von den betonierten Wänden zurück und ich hatte Angst, daß ich irgendwelche Schritte von irgendwelchen feindseligen Kräften, Menschen, Wesen dabei überhöre. Die Stille danach war oft noch schrecklicher. Um die Ecke, ist da was? Dreht mir wer das Licht ab, dann finde ich nicht mehr hinaus. Und in den verwinkelten Gängen, wer weiß!? Lauert da wer? Manchmal konnte ich meine Panik kaum im Zaum halten; aber Angst galt bei meinen Eltern nicht als Ausrede, schon gar nicht bei mir, als dem Ältesten und dem Sohn.

Ich hatte als Kind viele Albträume, aus denen ich öfters schreiend aufwachte. Es gab verschiedene Horrorszenarien, manche wiederholten sich ständig. Zum Beispiel Züge, die aus den Geleisen sprangen und mich verfolgten, meistens, wenn ich mit meinem Vater am Bahnhof stand. Oft brachte ich mich in Sicherheit, indem ich eine große Stiege hinauflief, in der Annahme, da können Lokomotiven nicht nach. Oben war ich dann erleichtert, fühlte mich gerettet und konnte durchatmen. Die Lokomotive war inzwischen unten an der Stiege angelangt und ich wurde schon unsicher. Und tatsächlich, sie nahm schon die erste Stufe, dann die zweite … Mein Vater stand daneben und half mir nicht. Ich konnte vor Angst nichts sagen. Er wirkte abwesend und erstarrt, sagte nichts, tat nichts, schaute nicht her, sein Blick ging irgendwo hin, als wolle er meine Not nicht sehen, oder als könne er sie nicht sehen, weil sein Blick von etwas anderem gefangen war.

Oder vom Wassermann in einem größeren Bach, der auch durch eine Höhle floß. Der Wassermann – vom Aussehen eines gewöhnlichen Mannes – zog die Leute, die die Uferstraße entlanggingen, im Bereich der Höhle ins Wasser, an dieser Stelle kaum knietief. Das geschah ganz ruhig, ohne Geschrei, die Leute zappelten bloß lautlos. Ich schwamm draußen vor der Höhle im Fluß, wo er breit und tief war, fast wie ein See, und als der Wassermann sich mir näherte, habe ich mich, um mich zu retten, ihm unterworfen und angeboten, ihm bei seiner Arbeit zu helfen. Während er in der Höhle die Leute in das Wasser zog, habe ich deren Koffer, die sie für den Kampf mit dem Wassermann abgestellt hatten, genommen und in den Bach gestellt oder geworfen. Eigenartigerweise trugen alle, oder fast alle Leute, die diese Uferstraße benutzten, Koffer mit sich. Aber auch die Schwimmer im tiefen Bereich vor der Höhle zog der Wassermann hinunter. Ich selber war ein guter Schwimmer und wunderte mich, wie unsicher und schlecht manche Leute schwammen. An und für sich fühlte ich mich im Wasser wohl.
Als eine meiner Schwestern im Fluß schwamm, wurde es brenzlig. Ich hatte vorm Wassermann horrende Angst, wenn ich mich auch als sein Gehilfe halbwegs sicher fühlte, aber man kann ja nie wissen. Ich gab mich jetzt locker und selbstverständlich – obwohl ich vor Angst schlotterte – und sagte betont lässig zum Wassermann: „Das ist meine Schwester, können wir die nicht verschonen? Weißt eh...!“ Er gab stumm sein Okay und meine Schwester wurde nicht in die Tiefe gezogen.

Einige Albträume spielten auch im oben beschriebenen Keller. So kann ich mich erinnern – ich muß etwa acht, neun gewesen sein, denn ich war schon Ministrant, aber noch in der Volksschule – daß ich von einer Überschwemmung, vielleicht von einer Sintflut im Keller träumte. Die Personen, die außer mir noch im Keller waren, wohnten nicht im Haus, sie kamen aus den umliegenden Dörfern, zum Teil waren sie Arbeitskolleginnen und Kollegen meines Vaters; ich betrachtete sie irgendwie als katholisch und der Kirche auf ländliche Weise nahestehend. Die Bilder in der Kirche, in der ich ministrierte, und die ich in den ruhigeren Phasen des Ministrantendienstes immer wieder gedankenverloren betrachtete, müssen diesen Traum beeinflußt haben, denn die Menschen, die da im Wasser, das bis zur halben Raumhöhe reichte, standen und schwammen, waren genauso halbnackt wie einige Gestalten auf den barocken Bildern, und ihre Leiber von einem im Vergleich zur wirklichen Hautfarbe sehr hellen, aber trotzdem düsteren Weiß, und Körperhaltung und Glieder verdreht.
Auch hier war mir bewußt, ein guter Schwimmer zu sein, sodaß mir das halbhohe Wasser keine Angst machte, obwohl es ein Albtraum war, denn es schien so, als würde das Wasser langsam steigen und hinaus konnten wir nicht. Dennoch betrachtete ich die leidenden, halbnackten Menschen da im Wasser aus einer gewissen inneren Distanz. Ich fragte mich, warum leiden die so? Noch kann man ja schwimmen! Ihr Leiden schien mir eher freiwillig zu sein, auch bei den Gefesselten unter ihnen hatte ich das Gefühl, sie haben sich da selber und zu leicht hineinmanövriert, so, als wollten sie leiden oder glaubten, es zu müssen. Ich selber war noch nicht so drauf, ich schaute mir die Szene nicht ohne Lust an, vor allem eine jüngere, bäuerliche Frau, die mit ihren Händen am Rücken irgendwie an die Wand gefesselt war, und der im Wasser das Gewand am Leib klebte und ihre weiblichen Formen, vor allem ihre prallen Brüste sehr deutlich durchschimmern ließ, und der dann durch das  Auf und Ab der Wellen das Kleid immer mehr herunterrutschte und ihren Busen freigab; von ihr konnte ich den Blick kaum abwenden. Andere konnten nicht schwimmen und versuchten in Panik, von den Wellen nicht umgestoßen zu werden. Ich sah mich bei diesem Wasserstand noch nicht in Gefahr zu ertrinken.

Ungefähr im gleichen Alter – ich war ziemlich sicher noch in der Volksschule – gehe ich im Traum wieder in den Keller. Im Traum ist es ein heller Tag, auch im Keller ist es licht und gleich im Eingangsbereich sehe ich: in unserem Kellerabteil sitzt meine Mutter splitternackt auf dem Holzstock, mit dem Rücken zu mir, die Beine gespreizt und alle Buben und Burschen der Siedlung stellen sich bei ihr an und sie holt sich einen nach dem andern her und vögelt mit ihnen allen. Zuerst erstarre ich vor Entsetzen, fassungslos starre ich hin, wie sie einen nach dem andern in die Arme nimmt und sie ihr Werk vollbringen. Dann erfasst mich eine gigantische Welle von Eifersucht; mir stocken die Tränen in den Augen, aber immer noch stehe ich da wie eine Salzsäule und starre hin. Einer nach dem anderen kommt dran. Als alle durch sind, dreht sie ihren Kopf  zu mir um und sagt: „Na, dann kommst halt auch her!“ Schon stehe ich vor ihr und stecke mein kleines Pimperl in ihre Vagina. Aber ihre Vagina ist riesig und mein Pimperl ist klein und hängt verloren und schlaff da drinnen herum. Und ich bin immer noch geschockt und denke, das ist nichts, ich bin nichts, nein, ich kann das gar nicht, ich bin viel zu klein.


Ich frage mich langsam, ob meine Schreiberei nicht schon etwas zwanghaftes bekommt. Als ich heute (13.3.) auf diesen Traum gestoßen bin – vergessen habe ich ihn nie – habe ich den Gedanken, ihn aufzuschreiben, sofort zurückgewiesen: das will ich nicht öffentlich erzählen. Dann habe ich mir gedacht, ich schreibe ihn nur für mich auf, eventuell fürs Rekapitulieren. Ein Teil von mir war gleich alarmiert, weil ich noch jeden Text, den ich nur für mich und zur eigenen Klärung schreiben wollte, dann doch veröffentlicht habe. Ich kann dann nicht mehr aufhören. Zuerst schreibe ich es ins Notizbuch, dann in den Computer, und dann stelle ich es auf und in meine Schublade; das läuft schon ziemlich automatisch ab.
Aber das jetzt ist mir zu unangenehm, zu peinlich. Und es geht mir viel zu weit. Das ist zu exhibitionistisch, alles muß ich nicht preisgeben. Ich glaube, das darf ich einfach nicht. Und doch … ein anderer Teil will es unbedingt loswerden. Was kümmern mich spießbürgerliche Normen und Lebenslügen? Vielleicht trägt dieser Text dazu bei, daß wir mehr über uns und unsere psychischen Mechanismen und ihre Genese verstehen? Außerdem, bis jetzt hat mir das Erzählen meiner unangenehmen und peinlichen Erlebnisse, genau der, derer ich mich schäme, immer große Erleichterung verschafft.


Aber wichtig sind auch folgende Ergänzungen:
Über Fritz Perls, dem Mitbegründer der Gestalttherapie habe ich gehört, daß er sagt, daß alles, was im Traum vorkommt, Teile oder Teilaspekte der eigenen Seele sind. Auf Albträume bezogen: „Die Person oder das Tier, die den Traum beherrschen, sind immer unerwünschte Teile des eigenen Selbst.“ Das ist sicher ein wichtiger und sinnvoller Ansatz, Träume zu verstehen. Aber nicht der einzige.

Oder C.G. Jung und der Archetyp der großen Mutter, wie er in vielen, wenn nicht allen Kulturen auftritt.  Zu ihr reisen bei vielen Völkern die Schamanen. Jung beschreibt aber auch die neurotischen Folgen, wenn das Kind den im kollektiven Unbewußten beheimateten Archetyp auf seine Mutter projiziert und ihn nicht von ihr ablösen kann.

Bei Carlos Castaneda erklären die Zauberer, daß wir in unseren normalen Träumen regen Besuch von Boten anorganischer Lebewesen haben, Lebewesen mit Energie und Bewußtheit, die im Universum existieren, in vom Alltagsbewußtsein ausgeblendeten Dimensionen dieser und anderer Welten. Unser Alltagsbewußtsein - im Schlaf zurückgeschraubt - versucht dennoch, diese fremden Energien, die nicht zu unserer Alltagswelt gehören und mit der wir im Traum interagieren, in vertraute Gegenstände oder Gestalten zu kleiden, was mehr oder weniger gut gelingt. Diejenigen Scouts der anorganischen Lebewesen mit der aus Sicht des Menschen fremdartigsten Energie tarnen sich jedoch gerne als nahestehende Personen, oft als Eltern, am häufigsten als Mutter des Träumenden. Das Schuldgefühl kommt dann aus dem Kontakt mit dieser fremden Energie, der für das Alltagsbewußtsein mit schwerem Tabu belegt ist.

Und die freudianischen Deutungen des Traumes? Ödipus und so? Hat das nichts zu besagen? Doch. Denn wenn unser Bewußtsein in den Träumen versucht, die fremden Energien als etwas vertrautes zu verkleiden, so greift es auf die Gestalten, Konstellationen, Rollen und Dramaturgie unseres Seelenlebens zurück und sagt damit etwas über unsere Lebenssituation, unser Lebensdrama, den Stand in der Welt und in der Familie, wie sie der Träumende erlebt, und über den Stand der seelischen Entwicklung etcetera aus. Und weil es für das normale Bewußtsein beim Kontakt mit fremder Energie um etwas sehr schuldbeladenes geht, muß es bei der Verkleidung des Fremden auf sehr schuldbeladene Elemente der seelischen Dramaturgie des Träumenden zurückgreifen.

Anfügen möchte ich noch, daß ich nicht glaube, daß der ödipale Konflikt, so wie ihn der Vulgärfreudianismus kennt (ich habe jetzt nämlich nicht in Freuds Schriften nachgelesen), der natürliche Zustand ist; ich glaube nicht, daß die Sexualisierung der Beziehung Eltern – Kinder (und von Erwachsenen zu Kindern überhaupt) „naturgegeben“ ist, sondern eine Verdrehung darstellt, die von einem Erwachsenen ausgeht, der in seiner Reifung schwer gestört ist.


(Fertiggestellt am 15/16.5.2016)











©Peter Alois Rumpf    März - Mai 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 11. März 2016

315 Wundertäterfragment 12

Der Wundertäter wacht auf. Er sieht: ich liege mit meiner Frau im Ehebett. Es herrscht Morgengrauen und das Schlafzimmer ist klein. Sehr klein. Ebenerdig. Das große Fenster geht auf einen kleinen Platz hinaus. Sehr kleiner Platz. Das Bett steht direkt am Fenster. Das Fenster ist so nieder, daß der Wundertäter im Bett liegend die vorbeigehenden Personen ab Körpermitte aufwärts sieht. Der Wundertäter und seine Frau liegen mit den Füßen zum Fenster im Bett. Das Fenster steht offen. Die frische Morgenluft strömt herein. Alles verspricht ein schöner Frühsommertag zu werden. Der kleine Platz vorm Fenster ist von grauen, modern wirkenden Häusern gesäumt. Erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Gebäude: Quader und Würfel. Schlicht, schnörkellos, wohlproportioniert, funktionell, unaufgeregt. An der linken Seite des Platzes – vom Schlafzimmerfenster aus gesehen – bildet das höchste Gebäude ab dem ersten Stock eine große Auskragung, sodaß rund ein Viertel des Platzes überdacht ist. Ein winziges, kioskartiges, aber ungenutztes Gebäude stützt diese Auskragung zur Platzmitte hin ab.

Für diese Zeit in der Morgendämmerung sind eigentlich viele Leute auf dem Platz. Eine Gruppe Jugendlicher, Burschen und Mädchen, die miteinander scherzen und plaudern. Ruhig. Freundlich. Friedlich. Und einige Männer. Der Wundertäter nimmt sie – noch immer vom Bett aus – in Augenschein. Diese Männer wirken eigenartig in Richtung Unauffälligkeit verkleidet. Aber sehr ungeschickt. Der Wundertäter merkt gleich, die haben die Jugendlichen im Visier. Kripo? Die Jugendlichen sind eine Gruppe netter, befreundeter Schüler. So um die sechzehn, siebzehn. Der Wundertäter erkennt, die verkleidete Polizei unterstellt ihnen Drogendelikte. Der Wundertäter beobachtet jetzt aufmerksam einen Polizisten. Der steht halb verdeckt hinter dem geschlossenen Kiosk. Scheint der Einsatzleiter zu sein. Der beobachtet mit verächtlichem Gesicht die jungen Leute. Er hat rötlich gefärbte Haare, der Ansatz weiß, eine Visage wie Donald Trump und steckt in einer idiotischen Verkleidung. Das Sakko ist braun kariert, viel zu klein, seine Ärmel viel zu kurz, um den Bauch viel zu eng. Hemd und Hose in völlig unpassenden Farben – welche habe ich vergessen – die Hose vielleicht dunkel. Kopf, Hände und Bauch des Einsatzleiters quellen geradezu aus seiner Kleidung hervor. Auffälliger kann man nicht unauffällig sein wollen. Nichts passt zusammen, alles entweder zu groß oder zu klein. Der Wundertäter versteht, der Mann hat nichts verstanden.

Der Gesichtsausdruck des Verkleideten sagt: Wir erwischen euch schon noch! Seine Wut hält er gerade noch zurück. Seine dumme Bösartigkeit kann die Unschuld der Jugendlichen nicht wahrnehmen. Sein Hass muss an das Böse im Menschen glauben. Wenn es nicht anders geht, werde ich ihnen eine Falle stellen, denkt sich der Polizist, sie müssen schuldig sein, so, wie sie unschuldig tun. Das kann nur hinterfotzige Tarnung sein. Ich werde ihnen Drogen unterschieben, wenn wir nichts finden. Mich legen sie nicht rein! Da! Burschen und Mädchen gemischt, sie reden harmlos und lachen untereinander, tun so harmlos und friedlich, keine anzüglichen Bemerkungen, keine zweideutigen Anspielungen – das ist nicht normal! Das gibt es nicht! Die spielen mir was vor! Mich legen die nicht rein!

Seine Wut über diese hinterhältige Tarnung verzerrt ihm sein Gesicht. An einer deutenden Geste mit dem Kopf und einem schnellen Wink mit der linken Hand erkennt der Wundertäter, jetzt geht es los. Soeben hat der Einsatzleiter seine Leute losgeschickt. Da rutscht der Wundertäter im Bett so weit nach vor, daß seine Beine aus dem Fenster ragen. Mit einem Zangengriff der Beine versucht er einen vorbeieilenden Büttel zu schnappen und festzuhalten. Der erstaunte Polizist entwindet sich schnell. Aber die Tarnung ist aufgeflogen. Anscheinend sollte der Zugriff unbedingt verdeckt ablaufen, denn die Aktion ist jetzt abgeblasen. Die verkleideten Polizisten ziehen sich schnell zurück. Auch der Wundertäter bleibt unbehelligt.

Und die Jugendlichen? Was ist mit den Jugendlichen? Die sind einfach weitergegangen. Haben vermutlich gar nichts bemerkt. Nicht, was die Kripo gegen sie im Schilde geführt hat. Nicht, daß der Wundertäter mit seiner Beinarbeit den Einsatz gestoppt hat.















©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Donnerstag, 10. März 2016

314 Der richtige Schalter

Kurz vor Mitternacht

Das ist kein Surren mehr in meinen Ohren, das ist schon Dröhnen; mein ganzer Kopf umgeben von Druck und einer Haube aus innerem Lärm. Die Headsetarbeit schädigt mein Gehör. Mein Blick verschwimmt vor Ausgelaugtheit und von den Brillengläsern. Um meine Fingerkuppen sehe ich kurz einen blauen Hof, rund wie die Saugnäpfe eines Geckos; ich frage mich, wo die wohl anhaften, außer an den Seiten des Notizbuchs?


Morgen

Im Schlaf durch die absurdesten Träume gejagt habe ich im Aufwachen den richtigen Schalter erwischt, die Schwermut ist abgefallen und fröhlich bin ich zu den Blumenkisten ans Fenster gegangen und habe mich gefreut, die wachsenden Pflänzchen zu sehen. Das ist heute nicht so schwer, denn es beginnt ein schöner, sonniger Tag.

Eine leichte Besorgnis schleicht sich wegen der Arbeit, meinem Job, heran, aber ich wappne mich nüchtern und kraftvoll gegen die möglichen einundzwanzig Tonnen Ablehnung und Feindseligkeit. Ja, ich halte es aus.

Ich halte das aus. Ich halte das aus. Ich halte das aus.

Und ich will, ich muß glauben, daß mein innerer Lebensbaum noch wachsen und blühen kann.












©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


Mittwoch, 9. März 2016

313 Der schwarze Mittwoch

Unten schreit und weint jemand. Jemand, der klein ist. Ich jedoch denke an mein Vorhaben, eine Lesung abzuhalten, und bekomme Angst. Sie ist plötzlich wie ein winziger Punkt in der Gegend des Nabels da, vielleicht etwas darunter, und dehnt sich rasch aus. Jetzt erstreckt sie sich nicht nur über mein Vorhaben, sondern auch auf meinen Job. Schließlich habe ich gestern kein einziges Interview geschafft. Meine unerlöste Seele will auch schreien und brüllen, die ganze Enttäuschung hinaus, weinen, dieses Nein! Nein! Nein! - das habe ich nicht verdient! Ich habe es nicht verdient, als ein Telefonkrimineller angesprochen zu werden, ich hatte diese verächtlich hingespuckte, hingekotzte Döbereinerberatung nicht verdient, ich hatte es nicht verdient, zum letzten Dreck gemacht worden zu sein. Meine Seele ist auch ein kleines Kind, aber sie kann nicht schreien; sie ist stumm; starr vor Angst und Entsetzen. Und sie fühlt sich schuldig. Schuldig dafür, zu leben, obwohl sie eigentlich weg gehört. So schaut es in meinem Inneren aus. Aber was jetzt? Was mach ich damit? Jetzt einmal versuche ich, den Schmerz zuzulassen, ihn zu spüren und auszuhalten. Er sitzt dort, wo auch die Angst begonnen hat sich auszudehnen. Die Angst ist jetzt mehr in der Gegend des Herzens. Ein verzagtes Herz habe ich jetzt. Ich möchte mein Leben aber nicht nur irgendwie aushalten, ich möchte es leben. Möchten, nicht wollen. Zum Wollen fehlt mir das Selbstwertgefühl. (Meine ständigen Schreibfehler und Verwechslungen gehen mir auch schon auf die Nerven - „wir“ schreibe ich statt „mir“, „fehl“ statt „fehlt“ … als ginge meinem Gehirn allmählich die Kraft aus, sich auf diese feindliche, fremde Welt zu konzentrieren, als zöge es sich zurück, ziehe es sich zusammen, versulze, wolle nicht mehr, streike müde, rolle sich ein.) (Ich vergesse auch  immer mehr; Namen sowieso, aber auch Abgesprochenes. Und Sachen, die ich mir vornehme. Gestern habe ich vergessen, die Bäume zu grüßen, die ich im Vorbeigehen zu grüßen mir angewöhnt habe, da bin ich noch die hundert Meter zurückgegangen. Heute war ich schon zu weit, als es mir eingefallen ist.) Zum tausendsten Mal fühle ich in mich hinein, aber gewinne kein Terrain. Gut. Kein Ort, wo sich meine Seele ungefährdet ausruhen kann. Also auf der Flucht. Wenn ich in menschenleeres Gebiet komme, könnte aus der Flucht eine Wanderung werden. ... In Wirklichkeit traue ich mich doch gar nicht raus. In mir ein unzentriertes Karussell aus Angst, Schock, Entsetzen … Trotz allem: ich verstumme. Auch meine Gefühle sind verstummt, ich spüre nichts mehr. Höchstens etwas dumpfes. An meinem T-Shirt sehe ich einen weißen Streifen, den ich nicht verstehe. Ich warte darauf, daß noch irgendetwas kommt, aber es kommt nichts mehr. Ich glaube, das nennt man Agonie. Seelenagonie. Meine Seele im Todeskampf, hat eigentlich schon verloren. Ach, muß das schön sein, sich einfach hinlegen und auflösen. Niemand tut irgendjemandem irgendetwas an. Vielleicht gibt’s wirklich tote Seelen. Vielleicht auch nicht. Komm, hör jetzt auf. Es heißt, man solle keine Häuser betreten, wo man nicht wertgeschätzt wird. Staubabschütteln, umdrehen, gehen. So, jetzt hörst du aber wirklich und sofort auf mit diesem elenden Geschreibsel! Schluß! Aus! Und dieser Lärm, immer dieser Lärm, ich sehne mich so nach Stille. Wieder habe ich mich aufscheuchen lassen.

Tensegrityübung Innere Stille.
Tensegrityübung Träumen. (Stecken geblieben, wußte plötzlich nicht weiter. Macht nichts, aber eigenartig ist es schon. Wahrscheinlich, weil ich die Westwoodfolge umgedreht habe und Verzweiflung einem aus dem Innersten vertreibt.)
Tensegityübung Rekapitulation. (Bin neben mir. Verliere dauernd den Faden. Innen sehr aufgewühlt- Sturm im Wasserglas?)
Tensegrityübung Eigene Entscheidung. (Ich übe wie unter Drogen. Verzweiflung als Droge? Wut und Hassattacken; Wut und Hassphantasien.)
Jetzt erst die Aufwärmübung und die zur Reinigung von physischem Körper und Energiekörper, weil ich die Innere Stille zuerst machen wollte. Alles läuft wie daneben ab. Ohne inneren Schwerpunkt. Klotz in Hals und Brust. Druck hinter den Augen. Ziehen im Gesicht. Trotzdem: Schreiben führt einfach weiter. Nur in der Zeit kann etwas aufhören.
Erdform kurz, Quellform und wieder Reinigungsübung. Flucht in unpersönliche Sprache. Und essen. Einfach essen. Ein kräftiges Frühstück high noon.










©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 7. März 2016

312 Dem Himmel wär ich auserkoren.

Dem Himmel wär ich auserkoren. Das ist ganz wichtig: Konjunktiv! Ich rede nur und hab nicht viel zu sagen. Vorallem: alles eitel; Haschen bloß nach Wind. (Der Wind, der über die Grashalme zieht.) Jetzt fühlt sich meine Seele wirklich leer, wie ausgelaugt, nicht frei. Hart umschlossen von kleinlich feiger Bitterkeit, in diesem höllischen System. Die Träume fallen von mir ab, wie welkes Laub im ersten Frost von Bäumen. Mein Wald steht schutzlos, stumm und kahl. Fängt so das Sterben an? Dann wird es schmerzhaft sein. Denn dann werd ich mich selbst, so kahl und nackt, kaum aushalten wollen, entkleidet von allem Schwindel. Die Lügenmärchen, die mich im Leben halten, sind vorbei und keines meiner Spielchen bleibt dann über. (Ich meine nicht die großen Geschichten, nicht die Erzählungen, die von denen sprechen, die über sich hinausgewachsen sind, ich mein die kleinen, persönlichen Geschichterln, die helfen sollen, das eigne Ichlein aufzublasen.)
(Ich renn zum fünftenmal aufs Klo.)
Tod eines Vor-Handlung-Ausreissenden. Was redest du denn da daher! (Schreib deinen Namen nur mit größtem Abstand drunter!)













































©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com


311 Zittern und Ziehen

Auf Bahnhöfen herumgeirrt, wieder dabei, den Anschluß zu verpassen. Die Haut juckt an der Innenseite der Oberschenkel und brennt, weil ich gekratzt habe. Eine kleine, unverstandene Wunde an der linken Hand.

Eine neue Seite aufgeschlagen, wo alles noch frei ist. Jedoch auch mein Inneres ist leer, oder mein Rationalsystem nicht artikulationsbereit.
Ein leichtes, kaum merkliches Zittern in meiner Körpermitte zieht sich herauf bis ans Herz und dehnt sich dann aus bis in die Hände. Eine Pattsituation zwischen Was-weiß-ich-welchen-Kräften.
Wegen eines lächerlichen Tellergeklappers in der Küche gehen leichte Schockwellen durch mich hindurch. Oder wer oder was immer das ist, das daliegt. Das Surren hält wieder den Raum zwischen den Ohren besetzt, und klingt wie ein akustisches Zittern.
Ein unbekannter Herr Pointner fällt mir ein, der skeptisch bleibt und alles auf den Punkt bringen will. Hier gibt es ganz wenige Entscheidungsträger.

Eine unsichtbare Säule aus Glanz legt sich auf mich als Frau, das innere Zittern verstärkend. Der Rote Zettel fällt mir ein und daß ich etwas mißverständliches, fragwürdiges geschrieben hatte. Was hat es nur mit diesem Zittern auf sich?! Ein Energieschub aus dem Weltall? Ein Ziehen umschließt meinen Mund und ein anderes zieht sich die Rückseite der Oberschenkel rauf und runter. Ah!, meine persönliche Geschichte will rekapituliert werden; doch dafür habe ich den Mut verloren, keine Kraft. Das ist sehr traurig, aber wahr.

Die Vibrationen von Katzenschnurren drängen abwechselnd links und rechts an mein zitterndes Wahrnehmungsfeld, weil die Katze ständig hin und her läuft. Der verlorene Fisch wird es mir heimzahlen. Irgendwer spielt Schachtelschach. Wie komm ich überhaupt da her? Angespritzt werden aus dem Weltall. (Es ist ein übler Trick, nur jeden fünften Satz aufzuschreiben, aber die Kraft reicht nicht für jeden einzelnen Satz.)

Der Wärter am anderen Ende des Tunnels ist schon per Funk verständigt, aber nicht von mir, von anderen Kräften, er soll mich an irgendwas hindern.

Ein leichter, konkret-abstrakter Schmerz (das heißt, er war deutlich spür-, jedoch nur undeutlich lokalisierbar) und eine Welle aus den Weltall ziehen und drücken mich zusammen. Ich muß wieder an des Blutgerinsel im Kopf der Hirnforscherin denken und an meinen häufigen stechenden Schmerz an der linken Schläfe vor einigen Jahren. Ich glaube, ich höre jetzt einfach auf und strecke meine Glieder. Ein goldenes, edelsteingeschmücktes Ding schwebt kurz vor meinem inneren Auge (mein Herz klopft plötzlich wie wild), es bewegt sich langsam von mir weg.

Jetzt fällt mir wie in einem Filmriss das Notizbuch aus der Hand.

Jetzt spüre ich vor allem mein Oberkiefer.









©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 4. März 2016

310 Ausrede

Mit bamstiger Pappn liege ich tagsüber im Bett. Nach dem Schlaf ist das Zimmer vage mit Lichtgittern gefüllt. Sie schweben wie ein Wollknäuel locker zusammengedrückt beim Fenster dort im Raum.

Schlechtes Gewissen wegen Nichtstun umkreist mich; das Schreiben hat noch nicht genug ehrenhaftes Gewicht. Es bringt ja auch keine Kohle. Zahnschmerz als Ausrede ist auch vorbei. Ach, mein ausgeredetes Leben! Bald stehe ich auf und werde wenigstens essen.










©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

309 Geisterfahrer

Es gibt Tage, da komme ich mir vor, als wäre ich ein Geisterfahrer auf der Autobahn des Lebens; irgendwo falsch aufgefahren; nachtblind rase ich ... rast es mich dahin und kann froh sein, daß ich noch lebe. Ans Ziel komme ich nicht.
An die Gefährdung der anderen denke ich nicht.

Das war gestern. Heute ist ein neuer Tag.












©Peter Alois Rumpf    März 2016                 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 3. März 2016

308 Mein erster Rausch

In meiner Kindheit war ich eindeutig nicht der Sohn, den sich meine Eltern gewünscht hatten. Ich hätte frisch, frech, fröhlich, frei sein sollen, sportlich, war aber schwermütig, verschüchtert und gehemmt, traurig, ängstlich und unselbständig, unsportlich und noch dazu auf kindliche Weise religiös. Das spürt man als Kind, daß man seine Eltern enttäuscht und ich habe es auch oft im wörtlichen Sinne zu spüren bekommen.

Die Enttäuschung über mich gilt ausdrücklich für beide: für den Vater und für die Mutter. Wenn ich das richtig sehe, hat mein Vater diesbezüglich bald resigniert und mich als Versager einfach abgeschrieben gehabt und mich der Mutter überlassen – dabei sicherlich in sehr rustikalen Männlichkeitsvorstellungen verfangen – während meine Mutter immer wieder ihre Retterprojektionen an mir anzubringen versuchte, um dann über mein Versagen immer wieder enttäuscht zu sein. Auch sie hat schließlich resigniert und gesagt, „aus dem wird nie ein richtiger Mann“; ihre Männlichkeitsvorstellungen waren denen meines Vater ziemlich ähnlich – ihrer beiden Aufwachsen in der Nazizeit passt da auch gut dazu. Da jedoch frau mit solchen unmännlichen Typen oft gut reden kann, hat sie mich zu ihrem Vertrauten gemacht und mir ständig ihre Probleme, Sorgen und Seelenmüll anvertraut und oft erklärt: „Mit dem Peter kann ich so gut reden!“ - im Gegensatz zu ihrem angetrauten Mann, meinen Vater. Das waren natürlich meistens Monologe, die sich über mich ergossen haben und die ich brav erduldet habe.

Das ist freilich eine ungute Mischung und meine Position in diesem Familiengeflecht war eine eigenartige Mischung aus Prügelknabe und Haustyrann. Ich hatte herausgefunden, daß ich mich mit externen Autoritäten im Hintergrund (Schule, Kirche) in gewisser Weise meinen Eltern gegenüber unantastbar machen kann – diesen Autoritäten gegenüber waren meine Eltern trotz innerer Ablehnung wie im Fall der Kirche nach außen hin meist unterwürfig, in oft verbissener Wut. Zumindest eine Zeit lang unantastbar, bis sie diese Wut nicht mehr zurückhalten konnten und ich dann als Repräsentant dieser verhassten Autoritäten Schläge bezogen habe – nie, weil ich etwas schlimmes angestellt habe.
Anzumerken ist noch, daß auch die Unterwerfung unter die staatlichen Obrigkeiten wie die Schule von großer, meist verborgener Wut begleitet ist, denn diese Obrigkeiten hatten jahrhundertelang ihre Untertanen hochmütig und gewalttätig behandelt, ohne jeden Respekt, lediglich als Objekte obrigkeitlicher Maßnahmen ohne Selbstbestimmung, und – am Beispiel Schule – sich geweigert, das Potential dieser Kinder als Bereicherung wahrzunehmen, sondern in militärischem Geist auf sie eingedroschen. Das wurde dann oft in den Familien weiter gespielt. Da sind in den Seelen der Menschen viele Verletzungen zurückgeblieben, die von Generation zu Generation unerlöst weitergegeben wurden.

Mein Vater zum Beispiel hatte als Arbeiterkind „nur“ die Volksschule besucht, obwohl er für naturwissenschaftliche Fächer sehr begabt war. Seine Kenntnis der Pflanzenwelt hat manchen akademischen Biologen beeindruckt, wenn nicht beschämt, und in seinen jungen Jahren hat er an seiner Arbeitsstelle, als angelernte Hilfskraft für ein paar Doktoranden selbständig deren Untersuchungen zu Ende geführt; auf diesem Weg wurde sogar ein Insekt nach ihm benannt.


Diese lange Vorgeschichte soll dieses Spannungsfeld erklären, in dem ich aufgewachsen bin, als Gymnasiast einerseits Hoffnungsträger des sozialen Aufstiegs, aber gleichzeitig ein Verräter, der dabei ist, sich auf die Seite der arroganten, volksverachtenden Oberschicht zu schlagen. Erst recht als frommer Katholik. Da ist dann dieser Impuls meiner Eltern und in ihnen alle diese verachteten, schul- und militärverprügelten Generationen aus den niederen Ständen, die potentiellen Aufsteiger anzuhimmeln und gleichzeitig zu hassen, ja, gerade an ihnen die Wut über die da oben auszulassen, weil man sich bei den wirklichen Autoritäten nicht traut.

Gleichzeitig wurde ich von den Mitgliedern der „Oberschicht“ - und aus meiner Perspektive damals waren das schon Lehrer zum Beispiel – nicht, oder nur vereinzelt wahrgenommen, und auch die sagten mir: „du gehörst nicht zu uns. Manchmal dulden wir dich gnädig.“ Ausnahme war für mich in meinem Umfeld die katholische Kirche; sie hätte mich initiiert und unter ihre Fittiche genommen, mir dabei beim Aufstieg (oder beim Ausstieg aus meiner Herkunft) geholfen, wenn ich mich voll auf sie einlasse, wozu ich als Kind bereit war. Ich war ein braver und verlässlicher Ministrant, der den Glauben ernst genommen hat; und später, als Jugendlicher noch öfters Lektor im Gottesdienst. Viele Leute aus Irdning und Umgebung haben mich in diesen Rollen gesehen und gekannt; es war ja noch eine Zeit, wo das Kirchengehen – unabhängig von der inneren Einstellung, als Brauchtum etwa – zumindest zu den Festtagen üblich war.

Mein Haustyrannaspekt hat sich zum Beispiel gezeigt, als ich – weil der Direktor in der Volksschule verkündet hat, man solle auch im Winter bei zumindest ein wenig geöffnetem Fenster schlafen – das tatsächlich zu Hause durchsetzte. In unserem Kinderzimmer, das ich mit meinen Schwestern teilte, blieb auch im Winter in der Nacht das Fenster einen Spalt offen, gegen die Bedenken der Mutter, die noch gegen zu starke Zugluft eine Decke im unteren Drittel des Fensters vorgehängt hat. Das hatte ich mit dem Schuldirektor im Rücken bei meinen Eltern durchgesetzt - meine Schwestern hatten sowieso nichts zu reden – und wurde jahrelang beibehalten.

Mit vierzehn, fünfzehn hatte ich mich im Gymnasium über gemeinsames Lernen mit einem Mitschüler angefreundet, der aus einem echten Dorf stammte, gut in der dörflichen Welt verankert war, selbstbewußt, lebenserfahren, ein richtiger gesunder Lausbub (wie man damals gesagt hätte), genau so, wie sich meine Eltern ihren Sohn gewünscht hätten. Meine Eltern waren von ihm begeistert und ich, ich habe ihn bewundert, er wußte, wo es lang geht, während ich gehemmt und weltfremd war. Nur beim Musikgeschmack war ich – Musikbox! - anders unterwegs und bin auch dazu gestanden.
Viele, aber nicht alle seine Streiche habe ich gleich den Eltern erzählt, um mich ein wenig in seinem Licht zu sonnen, und wie gesagt, meine Eltern waren beide begeistert. Bei unseren Treffen am Samstag nach der Schule hat er mir auch ein paar „Sexheftl“ gezeigt - mehr so Witzblätter mit ein paar Fotos halbnackter Frauen, weit weg von dem, was heute so unter Pornographie kursiert – und hat sie mir geborgt, fast ein wenig aufgedrängt, denn obwohl ich die Photos gerne anschaute, habe ich die Texte und Karikaturen eher als ungut empfunden. Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr, jedenfalls hat sie mein Vater entdeckt und selber gerne gelesen, sodaß ich sie letztlich nur mehr für ihn mitnahm.

Ich selber konnte meinem Schulfreund bei weitem nicht das Wasser reichen, aber war glücklich, bei ihm im Dorf zu Besuch sein zu dürfen und trotz meiner vielen Defizite geduldet zu sein. Außerdem machte ich auch meine Eltern ein wenig glücklich und sie erhofften sich vom Franz, daß er mich  in Richtung Männlichkeit beeinflußt.

Mit ihm bin ich mit fünfzehn Jahren am ersten Mai auf dem Irdninger Kirtag ins Bierzelt gegangen. Ein Freund von ihm aus seinem Dorf war auch dabei, den ich nicht näher kannte, und so sind wir drei losgezogen, ich zumindest voller dubioser, dumpfer Erwartungen und voller Spannungen. Es war klar, daß wir trinken werden. Die zwei anderen wußten sich viel besser einzuschätzen als ich und so war ich schon in kürzester Zeit stockbetrunken. Ich habe auch nicht viel vertragen und bin herumgetorkelt und habe geschien: „ich brauch eine fickrige Frau!“

Das gilt auf einem Kirtag nicht als weiter schlimm, würde ich annehmen, aber bei mir, vorm Hintergrund meines sonst verschlossenen, schüchternen Wesens und meiner gelegentlichen Auftritte als Lektor in der Kirche hat es doch einiges Aufsehen erregt und wurde anscheinend Ortsgespräch. Zumindest ist mir nachher aufgefallen, daß sehr viele Leute davon wußten. Meine Eltern glaube ich nicht.

Als ich so betrunken war, daß ich nicht mehr stehen konnte, schnappten mich meine zwei Begleiter, nahmen mich in ihre Mitte und brachten mich nach Hause. Das war ein Weg von normalerweise höchsten fünf Minuten, den sie mich ständig stützen mußten und wo ich noch wie von Ferne registrierte, daß es leicht geschneit hat und auf der Wiese, die wir überquerten, eine sehr dünne, nasse Schneedecke lag. Ich konnte die Wohnungstür nicht aufsperren, sie halfen mir, und gleich stürzte ich mich ins Kinderschlafzimmer, stellte fest, daß das Fenster entgegen meiner Anordnung geschlossen war und begann laut zu schimpfen und zu krakeelen. Meine Eltern waren gleich wach, meine Schwestern sowieso, und mein Vater ging noch zu den beiden Freunden hinaus - Franz blieb stehen, der andere wollte reflexartig davonlaufen – und mein Vater bedankte sich bei ihnen, daß sie mich heimgebracht hatten.
Beide waren begeistert, was für klasse Eltern ich habe und Franz hat mir später gesagt, daß er nicht verstehen kann, wieso ich solche Probleme mit meinen Eltern habe.

Mein erster Rausch hat meinen Eltern sehr gefallen. Endlich, endlich benimmt sich ihr verklemmter Sohn wie ein richtiger Bursch. Oder zumindest entwickelt er sich ein wenig in die richtige Richtung. Der Franz tut ihm sichtlich gut. Von ihm kann er lernen, ein richtiger Mann zu werden.

Am nächsten Tag bin ich schwerst verkatert aufgewacht, voller Scham und Schuldgefühl, habe mein Versagen und meine Unzulänglichkeit stärker gespürt als sonst. Schließlich bin ich ja auch als „richtiger Bursch“ gescheitert, weil ich viel zu wenig Alkohol vertragen und viel zu schnell betrunken war. Mein Herumgeschrei nach einer „fickrigen Frau“ - möglicherweise habe ich auch „fickrige Oide“ gerufen, hat mich natürlich keinem Mädchen näher gebracht.

Aus Schuldgefühl habe ich dann das Geschirr abgewaschen – was bei uns nicht üblich war – weswegen meine Mutter gelacht hat und gemeint, das wäre nicht nötig. Trotz ihrer Begeisterung kamen auch Ermahnungen hinterher.

Eine Sache möchte ich noch klären: Es gibt das Schema, in unserem Unterbewußtsein sei das eigentliche Leben – nämlich die Triebe – und was da bei mir hervorgebrochen war, wäre dann das eigentliche Leben.
Das ist falsch. Sicher, es war schon das ungelebte Leben, das sich da gemeldet hat, aber das mit der „fickrigen Oiden“ ist etwas angelerntes, hat mehr mit den Erwartungen meiner Eltern, meines Umfeldes, meiner „Kultur“ zu tun und verstellt mein eigentliches Wesen mehr, als es es zum Vorschein bringt. Hätte ich wirklich eine „fickrige Oide“ gefunden, wäre ich heillos überfordert gewesen und garantiert vor Angst und Unsicherheit impotent. Nein, in meinem Innersten hat es, wenn schon, dann die Sehnsucht nach einer zarten Begegnung gegeben, die sich Zeit lassen kann und die allmählich wachsen darf, so, daß die Seele noch mitkommt, wo ich meine sensiblen Anteile leben lassen kann und nicht zuschütten muß.
Nein, das, was da hochgekommen ist, war zu neunzig Prozent Mist aus der Müllhalde des Menschengeschlechts, der die seichteren Bereiche des Unterbewußten – noch ganz nahe an den Ufern der Insel des Bewußtseins -  schon seit Generationen verseucht, während in den wirklichen Tiefen ganz, ganz andere Schätze verborgen sind und darauf harren, endlich gehoben zu werden und unser Leben und Dasein zu bereichern. Freud hat wirklich nicht sehr tief getaucht.










©Peter Alois Rumpf    März 2016                            peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 2. März 2016

307 Als Traumpolitiker

Als Traumpolitiker gescheitert, da viel zu patschert und naiv,
hab ich nicht die Welt gerettet, jedoch die Wahl verloren.
Im Halbschlaf Sätze ausprobiert, zwei, drei davon, die waren gut,
inzwischen sind sie längst verschwunden, zerfallen schon in ihre Teile,
ich hab vergessen, was ich schrieb.

Unten der Chor der Stiegensteiger, singt voll Inbrunst aiaiaiaiai,
und klopft dann im Vorraum mit den Füßen auf die Bänke.

„Meinen täglichen Text gibt uns heute; wer anklopft, dem wird aufgetan.“
Dabei habe ich mir heute für den Vormittag Schlaf und Erholung verordnet, lesen und vielleicht auch baden. Jetzt hänge ich lümmelnd herum und weiß (mit dem Text) nicht weiter.









©Peter Alois Rumpf  März 2016    peteraloisrumpf@gmail.com