Dienstag, 28. Februar 2023

3108 Rettung nach Rettenschoess

 

10:14 a.m.  Silesius. Na! Ich möchte Assoziationen scheffeln, vorhin war alles noch so dicht, aber jetzt kommt nichts. Im Schlaf schreiben können: das wär’s! Mit den …??… zu verschwinden; geschafft! (??) Jetzt hat sich Frau Katz auf mein Schlüsselgebein gesetzt; sicherlich der Schlüssel zum Erfolg. Ich mag das Rouleaux noch nicht hoch ziehen; ich will in der Dämmerung verbleiben, wiewohl das Licht an den Seitenspalten im Fenster und über das Vorzimmerfenster und die offene Zimmertüre hereindrängt. Halte ich mich selber gefangen? Oder bin ich ein verwundetes Tier, das sich in eine Höhle zurückgezogen hat und sich auf freier Wildbahn nicht gefährden will? Irgendetwas war noch mit Pfiffen und der Mäusekönigin (oder -prinzessin, oder -künstlerin) bei Kafka. Ich drehe die Leselampe an und bekomme Angst: das Licht ist ein gelinder Schock, wie es sich da vor meiner Leibesmitte sammelt und ballt. Dieses Häuflein Licht macht etwas mit meinem Körper. Mir ist echt bange. Essen soll Leib und Seele zusammenhalten. Da muß ich wohl aufstehen. Tränen steigen innen auf und ich wundere mich. Die Rollo hochzuziehen, das werde ich schaffen. Geschafft!

Könnt schon sein, dass die relative Helligkeit jetzt etwas Ungutes verscheucht. Das neue, natürliche, indirekte Licht rieselt auf mich ein. Aber warum presse ich meine Kiefer zusammen? Fast schon wie Zähneknirschen. Diese ganze Zusammenreißerei habe ich bis oben satt! Ich möchte losheulen wie ein kleines, im Stich gelassenes Kind. Aber heute nicht. Irgendsoein innerer Bewohner sagt: „Njet!“ Nun kann ich auf Mali Lošinj sehen und den Blick oben halten. Auch da ballt sich was zusammen und hat sich schon immer zusammengeballt. Mir wird fast schlecht. Mein unzentrierter Blick stachelt  - eigenartigerweise – das Bild erst recht auf. Ich fürchte, dass ich dem, was sich da in meinem Innneren herandrängt und mich von innen würgt, nicht standhalten werde. Ein Zucken und Vibrieren der Lippen kündigt sich an, aber kommt dann nicht. Meine linke Hand halte ich total verkrampft. Ich seufze. Ich schließe meine Augen, nachdem mein Blickfeld sich zu bewegen beginnt wie eine aufgeschüttelte Decke in Zeitlupe. Das ist wieder vorbei. Die rechte untere Ecke von Mali Lošinj weigert sich zornig, sich ins Gesamtbild zu fügen und geht auf mich los. Der Himmel darüber dräut. Ich rette mich nach Rettenschoess; das Grün dort wirkt weniger bedrohlich. Natürlich sind auch dort fragwürdige Kräfte am Werk. Ich gehe wieder nach Mali Lošinj zurück. Ich will standhalten. Ich seufze. Es wird dunkler im Zimmer, vermutlich eine dickere Wolke. Jetzt Veli Lošinj. Das Bild hängt etwas abseits. Auch es verändert sich ständig. Mein Umgang mit den Bildern wird jetzt etwas spielerischer. Die Gefahr scheint gebannt. Welche Gefahr? Wohin wäre die Fahrt gegangen?

 

(28.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3107 Schläfe

 

2:34 a.m.  Meine Holzmöwe, das Kinderspielzeug, das ich mir links nur wenig über meinem Kopf gehängt habe, schaukelt hin und her und die Schnur mit der Holzkugel, an der man ziehen kann um die Möwe „zum Fliegen“ zu bringen – will sagen: Flügel auf und ab – pendelt mit und streift gelegentlich meine linke Schläfe. Jetzt frage ich mich natürlich, was hat „Schläfe“ mit „schlafen“, dem ich mich bald hingeben werde, zu tun und weiß keine Antwort.

Ich konsultiere das handliche etymologische Wörterbuch von Mackensen und werde fündig: „weil man beim Schlaf darauf liegt“ (S 334). Die gesamte Wortverwandtschaft aufzuzählen und anzuführen bin ich um diese Zeit schon zu schlaff und zu schlapp.

Wie immer durchblicke ich mein Zimmer. Aber verweilen will ich mit meinem Blick nirgends. Ich möchte jetzt nichts ins Auge fassen. Also machen wir Schluß für heute; nur ein paar Katzenhaare versuche ich noch aus meinem Notizbuch zu wischen.

 

(28.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 27. Februar 2023

3106 Nix Genaues

 

2:20 a.m.  Meine Handschrift mag unerlebt sein. Mein Zimmer lächerlich. Mein Blick befangen. Meine Augen müde. Mein Herz aufgewühlt. Es ist dennoch mein Leben. Die Ohren surren. Die Trauer schleicht herum und unten sehe ich aus den Augenwinkeln immer eine Gestalt beim Klo sitzen, direkt daneben. Erst wenn ich genau hinschaue, stelle ich fest: es ist niemand physischer da. Eine Anwesenheit D 30 oder LM 500? Wasserlöcher wären ja die von anorganischen Lebewesen bevorzugten Aufenthaltsorte. Und nach dem Tod meiner Mutter habe ich sie auch an dieser Stelle gespürt (und an der neben dem Wohnzimmerofen, wo damals mein zurückgeerbtes Mali-Lošinj-Bild gehangen ist, unter dem sowohl mein Vater als auch meine Mutter gestorben sind). Diesmal ist es nicht meine tote Mutter, kommt mir vor. Nix Genaues weiß man nicht.

 

(27.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com


Sonntag, 26. Februar 2023

3105 Momentan

 

Momentan ekelt mich vor meinen Texten: ich will sie nicht lesen, nicht hören und die erst handgeschriebenen nicht eintippen. Neue will ich auch nicht schreiben. Auch interessant, oder? Ich bin sicher: heute noch oder morgen werde ich mich überwinden können und dem Ganzen in seiner Fragwürdigkeit in die Augen schauen. Übrigens: die orange Taschenlampe auf dunkelblauem Notizbuch macht sich nicht schlecht.

 

(26.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3104 Das dominante Gelb

 

Die schönen Blumen im Krug am Wohnzimmertisch. Nebenan rumpelt es. Kalt ist es wieder. Im Radio ist von Ersatzteilen die Rede. Meine Augen arbeiten noch ungeschickt und schaffen es nicht auf Anhieb, die Dinge richtig zusammenzusetzen. Den dreifaltigen Wohnzimmerbaum stiere ich an. Ganz müde bin ich noch. Die Augen fallen zu. Die innere Dunkelheit ist nicht völlig finster. Die Geräusche scheinen aus den falschen Richtungen zu kommen; auch die Ohren scheinen gegen den Strich zu arbeiten. Ein wenig schlafe ich ein, werde aber ständig wieder aufgescheucht. Die Blumen im Krug gefallen mir heute ganz besonders; das dominante Gelb spricht mich jetzt ganz besonders an.

 

(25.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3103 Bier im Espresso

 

Und nun im Espresso BG. Der monatelang nicht gesehene Kellner hat mich erkannt und meine übliche Bestellung noch gewußt. Aber heute trinke ich keine Cappuccino, sondern will essen. Das beste alkoholfreie Bier wird mir offeriert! Vom Chef persönlich aufgetrieben. Ich bin schon monatelang nicht mehr hier gewesen. Essen ist der Sex des Alters. Ach ja: Zeitungen! Standard, Kleine Zeitung, Wiener Zeitung (Amtsblatt). Nach essen, trinken, lesen werde ich unruhig. Jetzt geh ich.

 

(24.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3102 Etwas zach

 

Frühstück außer Haus. Das Café ist voll und alles läßt sich etwas zach an. Mein Gruß wird von niemandem erwidert (ist mir eh recht! Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mich gar nicht so angestrengt). Ich glaube – mit Verzögerung – dass meine Bestellung falsch verstanden wurde. Laut rufend habe ich das korrigiert; wußte nicht, dass ich mich hier und da so laut und bestimmt äußern kann. Ich glaube, der Chefin geht das auf die Nerven. Bin ich nicht esoterisch genug? Unter den feinen Menschen fühle ich mich immer als rustikaler, stinkender Tolpatsch ohne Manieren. Die Kellnerin – so kommt mir vor – habe ich mit meinem Charme herumgekriegt, sodass wir über das Mißverständnis lächeln. Vielleicht bin ich zu dialektal hier (umgekehrt: zu schnöselig, kann ich mich auch reinsteigern). Schön ist es hier schon. Und bunt und die Sonne macht sich jetzt an der südlichen Glasfassade bemerkbar. Vielleicht bin ich zuwenig lichtdurchflutet für dieses Lokal. Ich sehe gerade: andere tun sich auch schwer, hereinzukrabbeln, einen Platz zu finden und wählen; auch sie sind still und leicht zu übersehen. Ich könnte hier auch zu alt sein, fällt mir ein, eine senile Mumie. Eine Person hier herinnen schätze ich altersmäßig wie mich ein, aber sie wirkt sehr souverän; die kommt gar nicht auf die Idee, ihre Anwesenheit hier in Frage zu stellen. Egal ob ich die Stimmung hier richtig einschätze oder ob ich in reinen Projektionen unterwegs bin: allmählich beginne ich wie auf Nadeln zu sitzen. Zumindest lege ich mir einen nachdenklichen Blick zu.

 

(24.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3101 Stolz

 

8:38 a.m.  Fröhlich strahlen Mali Lošinj, Rettenschoess und Veli Lošinj von der Wand herunter und ich wundere mich, dass ich nach unmöglichen Wochen so einfach den Blick wieder so hoch heben konnte, ohne dass er mir abgerutscht ist. Dabei ist es lichtmäßig ein grauer Morgen. Wie schön, wie toll gemacht die Bilder sind! Ganz euphorisch könnt ich werden.

Die Euphorie ist auf Dauer anstrengend, ich werde wieder müde und die Augen fallen zu. Ich nicke ein und hole neue Kraft für den vielversprechenden Tag. Ich registriere noch, wie bunt meine Bücherwand das Morgengrau belebt und bin so stolz auf meine Welt.

 

(24.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3100 Position

 

1:53 a.m.  Sechs und neun, Merkur und Mars. Okay. Die Frau vom Katz schaut mich immer noch feindselig an, aber mir ist es wurscht. Für die Blicke der anderen Bilder ist es zu dunkel im Zimmer.  Oder ist es gar nicht feindselig? Ist sie besorgt? Hat sie Angst? Außerdem scheint ihr rechtes Auge nicht dasselbe auszudrücken wie das linke und umgekehrt. Ich schreibe so schlecht: lasse Buchstaben aus, schreibe die falschen, füge irgendwelche hinzu, die nicht passen. Die Lampe quietscht, als ich versuche, den Lichtkegel auf die Wand zu richten; aber sie hält die Position nicht. Was mich betrifft will ich meine Position halten. Eine andere habe ich nicht.

 

(24.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 23. Februar 2023

3099 Zuerst das Fressen

 

12:39.  Madame ist eigentlich ein, zwei, wenn nicht drei Nummern zu groß für mich, als dass sie sich mit mir abgibt, aber ich entwickle im Traum eine unglaubliche Überredungs-, Bearbeitungs- und Manipulationskunst, dass es mir gelingt, sie mir gewogen zu machen. Ich täusche Weltgewandtheit und ein Selbstbewußtsein so gekonnt vor, dass ich selber nur so staune. Schaut gut aus, dass ich bei ihr lande!

Aufgewacht bin ich immer noch verwirrt und irritiert und weiß das Ganze nicht einzuordnen. Also probieren wir’s:

Ich habe gestern bis heute nach drei, fast bis vier Uhr morgens gelesen (obwohl das Buch Ulrich Bechers „kurz nach 4“ heißt) und bin dann relativ schnell eingeschlafen (obwohl die Geschichte auch Schlaflosigkeit behandelt). Knapp vor acht hat mich die Katze geweckt und ich bin in die Küche hinunter, habe den vertrockneten und unansehnlichen Rest Katzenfutter entsorgt, das Schüsserl ausgewaschen, eine kleine Portion frisches Futter reingegeben, die tägliche Tablette gegen ihren Tumor drauf. Die Katze ist mir jedoch gar nicht hinunter in die Küche gefolgt, also ging es ihr gar nicht ums Fressen (um die Moral vermutlich auch nicht, oder?). Sie hat vor meinem Bett auf mich gewartet, also ging es ihr ums Schmusen. Ich habe sie, nachdem ich zu Bett und sie heraufgehüpft ist, ausdauernd gestreichelt und bin dabei immer wieder eingepennt, während sie geschnurrt hat. Als sie genug hatte, ist sie gegangen und hat mein Zimmer verlassen. Um zirka 9:30 hat sie mich – wie immer, wenn sie die Tageskinder kommen hört – neuerlich geweckt, wollte zu mir und ausführlich gestreichelt werden, bis sie wieder genug hatte. Da habe ich mich wieder zum Schlaf gebettet und weitergeschlafen, gegen Ende zu einige Träume absolviert; der letzte und einzige, der mir in Erinnerung geblieben ist, war der eingangs geschilderte.

Wer ist die Madame im Traum? (Die Katze übrigens nenne ich nur ironisch und neckend „Madame La Chatte“ oder „Madame Mi-Tsi“; sie ist von mir abhängig und zu einem Leben nach menschlichen Vorgaben verdammt; ich neige dazu, sie von oben herab zu verwöhnen.) Aber wer ist die Madame aus dem Traum und wofür steht sie? Für die Welt? Die Gesellschaft? Das Universum (das in Wahrheit weiblich ist)?

So nebenbei döse ich noch vor mich hin: weil die Tageskinder jetzt mittagsschlafen, kann ich mir keinen Kaffee zum Frühstück machen, da zu laut, also bleibe ich im Bett und werde wieder lesen.

 

(23.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. Februar 2023

3098 Schattenwerfer

 

15:43.  Im Augarten. So ein warmer Tag! Nur Sakko über Hemd. Die Sonne links; ich dachte, das wäre für einen (umgezwungenen) Rechtsschreiber passend. Aber die nieder stehende Sonne macht auf der rechten Notizbuchseite, wo ich zu schreiben beginne, Schatten: vom Bug der linken Notizbuchseiten, links vom Spalt in der Mitte des Buches; so tief steht die Sonne. Ich schaue herum, ob auch Zwerge lange Schatten werfen, aber ich sehe keine. Die linke Sonne blendet mich ein wenig, aber das stört mich nicht. Viele Menschen suchen die Sonne (und ihre Schatten?). Gerede, Geschrei, Kinderweinen, Kinderjubel, Räuspern, die typischen knirschenden Geräusche fahrender Geräte auf Schotter. Vor mir, leicht links und einigermaßen anständig entfernt: der runde Flakturm. Never again. Alle Passanten haben Licht- und Schattenseiten; recht scharf und optisch deutlich getrennt. Ein Mönchlein – na gut, er ist größer als ich – spaziert in Begleitung und Gespräch. Ich kann mir nicht helfen: ich bekomme Sehnsucht nach dem Nagual. Sie reden Spanisch, glaube ich. Die Sonne erreicht schon die Spitzen der Bäume der linken Allee. Der mönchische Anfall ist vorbei: ich gaffe wieder den Weibern auf den Arsch (oder gehört das eh dazu?). Mein Geschreibsel ist schon zu dreiviertel im Schatten der linken Notizbuchblätter, obwohl ich in der Sonne sitze. Viele Frisbees (was sind das für Bienen?) fliegen und tanzen herum. Die kurzgeschnittenen Wiesen sind geradeschon angegrünt. Dafür bietet der Schotter ein atemberaubendes Licht- und Schattenspiel, eines in weiß grün blau. Und braun. Und rot (Ziegelbruch?). Ich hebe den Blick wieder in die Horizontale. Die Kirchturmuhr von St. Leopold (auch so ein fragwürdiger Heiliger) schlägt vier Uhr. Ich bin dem Turmuhrschlagen und dem Glockengeläut freundlich gesonnen. Erst jetzt höre ich die Vögel zwitschern, bis jetzt habe ich es nicht beachtet. Die Rinden der kahlen, beschnittenen Bäume schimmern teilweise rötlich überzogen. Die Graphik der kahlen Äste gefällt mir sehr. Einzelne Glasscherben glitzern aus dem Schotter. Und auch die Stücklein von Zweigen, abgestorbene Grashalme können schön glitzern. Sowie die Baumrinden. Mir kommt ständig vor, dass da jemand links von mir sitzt oder steht – ich blicke unwillkürlich hin, aber da ist niemand. Die ganze Szenerie (Verzeihung! Die Welt und das Leben sind mehr als Szenerie!) wird um ein paar Lux dunkler; das Glitzern wird schwächer. Die Sonne senkt sich schon in den horizontalen Dunst. Eine schwarze Krähe geht und hüpft herum und sucht Futter – nehme ich an. Für stolzieren bewegt sie sich fast ein wenig zu aufgeregt. Die Wiese leert sich jetzt von den Menschen. Das wenige, das jetzt noch glitzert glitzert stark. Mehr als die Hälfte der Wiese liegt schon im Abendschatten. Die sonnenbeleuchteten Stellen zeigen sich sehr hellgrün. Auch ich werde aufbrechen. Wieder drehe ich plötzlich und unvermittelt den Kopf nach links. Was immer meine Aufmerksamkeit anzupft: es befindet sich links neben mir, nicht links hinter mir.

Ich bin auf dem Weg heim. Die hingebreiteten Flächen beginnen ein wenig traurig zu wirken.

Spatzen, die unter dem Spalt zwischen der Mauer und dem sie bedeckenden Holzdach nisten, machen ein unglaublich lautes, aufgeregtes Geschrei; viel lauter als das der Kinder.

Viele verschiedene Sprachen sind zu hören – das ist so schön an einer Stadt. Oberösterreichisch war auch dabei. Der runde Flakturm ist jetzt in zwei Wiesen Entfernung genau vor mir. Ich gehe wieder weiter.

 

(22.02.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3097 Hinterhof

 

7:58 a.m.  Meine Ohrensurrerei erweist sich heute als sehr lebendig und von variantenreicher Monotonie. Zuerst sticht es in der rechten Ferse, und als das vorbei ist im Herzbereich. Dann verändert sich das Phänomen zu einem ziehenden Druck in der Gegend zwischen Oberlippe und Nase. Unten beginnt der Alltag. Ich schlafe in meiner Hockposition ein. Jetzt aber will ich mich flachlegen.

12:05.

13:04.  Ich muß etwas schreiben! Ich kann die Stelle nicht auch noch leer lassen, wie ich es schon bei 12:05 getan habe. Ich probier’s im Atelier beim großen, hellen Fenster: draußen ein grauer Glanz, also wolkiges Sonnenlicht; die Essigbäume in grauer Rinde, der Weidenbaum wirkt fast schwarz, wie er seine Zweige vorm grauweißen Himmel streckt. Er merkt es, dass ich ihn anschaue und darüber schreibe, denn jetzt bewegt er grüßend seine Zweige (ich sehe nur den jüngeren Teil seiner Krone, den der über das Nachbarhaus ragt). Auch hier und nun surren die Ohren und mein Herz wirkt ein wenig bedrückt. Jetzt kommt direkteres Sonnenlicht durch und die Äste und Zweige der Essigbäume ziehen glänzende Streifen und Muster auf. Die Häusermauern leuchten in zart und schön und zärtlich schwächelndem Sonnenlicht und zeigen die bläulich grauen Schatten der kahlen Äste der Essigbäume, an denen mir erst jetzt auch ein rötlicher Farbton auffällt. Die Wolken verdecken wieder die Sonne zur Gänze, keine richtigen Schatten mehr, kein Glänzen, das sich von selbst aufdrängt. Jedoch auch so eine verhalten schöne, im Geheimen und erst auf den zweiten oder dritten Blick sehr intensive – der Blick muß bereit sein, sich noch mehr zu öffnen – zarte Farblandschaft in unserem Hinterhof.

 

(22.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 21. Februar 2023

3096 Nachmittagsgewicht

 

13:55.   Was tät ich ohne Moleküle? Was tät ich ohne all die Stühle, wo ich dazwischen sitz? Das ist ein Witz! Ich bin im Bett. Ich steh nicht mehr vom Leben auf. Ich schau zum steilen Raben rauf, bevor ich in die Küche flitz und dann im Essen wühle.

 

(21.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3095 Hurra!

 

3:58 a.m.  Hurra! Der Druck aufs Herz ist wieder da! Und außerdem kann ich nicht schlafen: um 8 Uhr habe ich einen Behandlungstermin im Zahnambulatorium und habe noch keine Sekunde geschlafen. Warum kann ich nicht schlafen? Mir fallen vier mögliche Gründe ein:

Erstens: ich habe zu spät Kaffee getrunken. Ich habe aber auch schon oft erlebt, dass ich nach einem Kaffee besonders gut geschlafen habe; aber gut – soll sein.

Zweitens: Wir sind heute in der Therapie auf ein aufwühlendes Kapitel gekommen, das noch jetzt mich, meinen Geist und mein Gemüt beschäftigt.

Drittens: ich war zu faul vorm Liegengehen das Zimmer ordentlich zu lüften. Und wenn man vom Atelier hereinkommt, riecht man das auch.

Viertens: mein passiv-autoritärer Charakter; will sagen: ich bin hochgradig nervös wegen des Zahnarzttermins. Und dass das nicht falsch verstanden wird: es geht nicht um die Angst vor der Zahnbehandlung – ich bin schon als Volksschüler allein zum Dentisten gegangen – sondern um die Angst, den Wecker zu überhören und so den Termin zu versäumen und damit eine Pflichtverletzung zu begehen. Dabei habe ich früher nie einen Wecker gebraucht: ich mußte mir nur vorm Einschlafen den Befehl geben, um die und die Zeit aufzuwachen und ich wurde um die Zeit wach. Ohne Probleme. Und egal, ich welchem Zustand ich zu Bett gegangen bin – es hat auch bei Alkoholisierung funktioniert – und egal wieviel Schlafenszeit ich vorgesehen hatte. Diese Sicherheit, diese Gelassenheit und dieses Selbstvertrauen habe ich inzwischen verloren und ich nervle auf das Weckerläuten – das ich hasse – zu, inklusive mehrmaliges (fast kein) Wasserlassengehenmüssen.

So schaut’s aus, liebe Leute! Und was mache ich jetzt? Der Wecker ist auf 6:30 gestellt – ich gehe ungern ohne Frühstück außer Haus – und jetzt ist es 4:14. Gleich wach bleiben? Lesen zum Beispiel? Doch nochmals zu schlafen versuchen und wenn es nicht klappt, dann sich halt im Dunklen einfach ausrasten? Was rät ihr mir?

Soll ich jetzt noch lüften? Nein, das mache ich nicht! Dazu müßte ich den halben Schreibtisch umräumen, um das Fenster öffnen zu können und ich müßte mich dabei kreuzschmerzfördernd ganz weit nach vorne beugen, um die äußeren Fensterflügel überhaupt zu derglengen. So kann ich den Drehgriff gerade noch drehen, aber nicht zum Aufziehen des Fensterflügels benutzen, weil der Griff – uraltes Fenster! - abgebrochen ist. Also muß ich mit den Fingerspitzen den unteren Rand des Fensterflügels ertasten und – weil das Ganze etwas klemmt – leicht anheben, um das Fenster öffnen zu können. Dieses Anheben muß aber sacht, kontrolliert und diszipliniert, in höchster Konzentration und mit viel Fingerspitzengefühl (wörtlich!) vollzogen werden, damit ich den Fensterflügel bei diesem Manöver nicht aus den Angeln hebe und mir das Trumm gar noch aus den Fingern rutscht und in den Lichtschacht donnert. Dieser Vorgang verlangt – wie gesagt – meine ganze Konzentration und ist sehr anstrengend; dafür bin ich schon zu müde.

4:35.  Jetzt habe ich das Fenster doch geöffnet. Vielleicht kann ich die knapp zwei Stunden bis zum Aufstehen wenigstens ein wenig dösen. Beim Schließen des Fensters der ganze umständliche Prozess retour, und dann wachgelegen, dann ständig von Albträumen (Wecker nicht gehört, Handy vorm anspringen der Weckfunktion unter Wasser geraten und kaputt – so in der Art) aufgeschreckt.

 

(21.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 20. Februar 2023

3094 Mein Hauptsatz

 

„Ich bin ein Versager“ – mein Hauptsatz von frühester Kindheit an. Warum werde ich ihn nicht los? Wahrscheinlich ist es einfacher, die Schuld mitsamt Verurteilung auf sich zu nehmen, als die Verantwortung. Ein Schuldiger braucht nichts mehr tun: er wird von der Gesellschaft, Gott, Familie, dem Universum oder wem oder was auch immer bestraft; am besten hingerichtet. Es muß es nur mehr erdulden. Einer, der die Verantwortung übernimmt, wird handeln müssen, wollen, sollen … und sich die Freiheit nehmen, es zu dürfen.

 

(20.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3093 Aper

 

13:36.  Bei stark windigem, warmen, frühlingshaftem Wetter sitze ich in Hof neun und die Sonne hinter ihrem Grauschleier blendet mich nicht, während der Wind mir ständig das Notizbuch zuschlagen will. Eine Frau geht hüstelnd vorbei und gafft mir kurz und neugierig ins aufgeschlagene Notizbuch (also doch zu recht ein Gegenstand der Beschreibung!). Ich habe noch ein paar Minuten in dieser unattraktiven Jahreszeit und bis zu meinem Termin, also warte ich hier und so schlecht gefallen mir heute die kahlen Bäume, die apere gelb, braun und angegrünte Wiese, der semsterfreie, leere Hof, der aufmunternde, herumzupfende Wind gar nicht. Nur wenige Passanten. Ein Allround-Schauder läuft mir über den Rücken und durch den Körper; ein kurzer Blick in die ein wenig durchkommende Sonne, die jetzt superleichte, superseichte Schatten wirft. Gelächter von irgendwo da hinten; Vogelgezwitscher; Kleinhundegekläff; leise Schritte am Asphalt; lautere Schritte am Asphalt; das Rauschen eines rasenden E-Scooters am Asphalt; das sinnenfreundlichere eines Fahrrades; eine vielleicht verwirrte Frau grüßt mich, ich reagiere aber nicht; noch sechs Minuten, dann muß ich los. Draußen rauscht ein Auto in leichtem Doppler (ich meine den Effekt) vorbei. Kinderrufe in einer fremden Sprache – sagen wir: slawisch. Der Wind will mir die Seiten aus dem Notizbuch reißen. Es ist ein unbarmherziger, unbestechlicher Kritiker meiner Schreiberei.

 

(20.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3092 Kriechen

 

2:00 a.m.  Ich bin nervös, doch habe ich genügend Zeit. Der Wecker läutet erst um elf, doch kann ich schon um zehne glücklich sein. Oder munter, aufstehn, essen, Bücher retournieren. Doch fürcht ich mich ich werde dann auf allen Vieren … kriechen.

 

11:00 a.m.  Während mir die Katze auf der Brust sitzt, beschäftige ich mich mir skurrilen italienischen Büchern. Skurril, weil ich nicht Italienisch kann und die Bücher nur bei geschlossenen Augen existieren. Ich habe eine wichtige Aufgabe zu erledigen, einen Auftrag, der aber das Weckergeklingel nicht überlebt hat. Ich muß aufstehen, in die Dusche etcetera, denn ich habe einen Termin: in dieser Welt und außerdem will ich die Bücher in die Bücherei zurückbringen.

 

(20.2.2023)

 

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3091 Der Druck ist weg

 

Der Druck ums Herz ist weg. Tatsächlich weg. Vier, fünf Tage lang hat er gedauert. Kommt er wieder, wenn ich das Notizbuch halte? Meine linke Hand will sich schon wieder verkrampfen. Meine rechte Hand weiß nichts zu schreiben.

(18.2.2023)

 

Vielleicht ist dieser Druck ums Herz bloß aus einer Verkrampfung gekommen, die wegen meiner Buchhaltung – im wörtlichen Sinne! - entstanden ist. Weil ich nämlich beim Lesen und Schreiben im Bett in einer, der bevorzugten Variante der körperlichen Lesepositionen das Buch in der linken Hand halte? Und ich habe in den letzten Tagen viel gelesen. Ganz sicher bin ich mir jedoch nicht, denn es könnte auch mit meinem Drogenkonsum (Kaffee!) zu tun haben.

(19.2.2023)

 

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 17. Februar 2023

3090 Ich lege das Schreibzeug weg

8:31 a.m.  Der Druck am Herzen geht nicht weg. Weil ich sie so zentral angetackert habe und sie so klar, deutlich und dominant konturiert ist, schaue ich wieder die Neue Gesichtin an; diesmal jedoch will ich mich in nichts hineinziehen lassen; diesmal will ich standhalten. Nicht hineinziehen lassen heißt auch: nichts interpretieren. Ich huste wieder zu viel. Ansonsten versuche ich mit diesem Morgen zurechtzukommen, mit dem Morgen, der mich verwirrt vorgefunden hat. Ich muß ein paarmal heftig niesen. Was meinen Geist betrifft so geht nichts weiter: ich bringe keine Ordnung rein. Besser ich lege das Schreibzeug weg.

 

(17.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3089 In meinen Ketten

 

0:46 a.m.  Hände und Füße sind kalt. In der Brust schmerzt es. Ich rutsche in eine Ärzte-Hass-Trance und zucke für Sekunden weg, verliere Wahrnehmung und Gegenwart, verliere mich in geschaute Kampfszenen und gerate in große Aufregung. Wie gesagt: für ein paar Sekunden. Dann war der Anfall vorbei und ich beruhige mich langsam wieder. Es bleiben aber Leere, seelische Erschöpfung und Enttäuschung zurück: der Kampf war ja nur gegen unwirkliche Windmühlen; er hat ja nicht einmal stattgefunden; alles ist wie vorher; nichts hat sich verändert. Nur ein schaler Nachgeschmack bleibt zurück, und der Geruch der Vergeblichkeit; die Trauer darüber, dass ich meine Ketten nicht abgeschüttelt habe. Und die Scham darüber, in meinen Ketten von der Freiheit nur zu träumen und zu phantasieren.

 

(17.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. Februar 2023

3088 Im Aufwind

 

10:48 a.m.  Die zarten Spinnweben am Fenster, die mit ihren transparenten Gestalten eine so schöne Graphik machen, tanzen sogar in bemerkenswerter Choreographie im Aufwind über dem Heizkörper. Mein Herz tut weh. Egal, welche Position ich einnehme: es arbeitet unter Druck. Und ich spüre: langsam wäre es Zeit für ein Frühstück. Ich spiele (spiele!) mit dem Gedanken zu sterben. Aber ohne Ernst. Es löst nichts aus. Zum Arzt mag ich trotzdem nicht. Mein Surren surrt im Alarmmodus, aber ich greife nicht mehr zu den Waffen.

Nach dem Aufstehen habe ich – für den Fall, dass das wirklich mein letzter Tag auf Erden ist – noch alle Pflanzen ordentlich und kräftig gegossen, damit das wenigstens erledigt ist. Sonst bliebe doch eh schon so viel offen!

 

(16.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3087 Härte

 

1:05 a.m.  Berauscht, besoffen und verkatert von den vielen verschlungenen – in mich hinein verschlungenen Geschichten stiere ich mit erkältungsnahen, nassen Glupschaugen in das dustere Zimmer. In meiner Brust sticht es. Ich muß gähnen und denke gerade noch rechtzeitig, jetzt den Kopf ja nicht zu verdrehen. Ich spüre die schlanken Knochen in der rechten, federführenden Hand. Meine wangenwärmende Katze röchelt und brummt und schluckt – sie bekommt schon schwer Luft. Mali Lošinj – heute ein lächerliches Bild. Irgendwie so hingeschustert. Und morgen? Wer weiß. Aber die schlechten Beurteilungen halten länger als die guten. Das Neue Gesicht starrt mich feindselig an: was ich da mache? Typen wie du gehören nicht hierher. Für dich habe ich mich nicht schön gemacht. Ich zertrete dich wie eine Laus. Woher kommt sie? Mich will sie nicht in ihrem Blickfeld. Die Haut meiner Hände beginnt aufzuspringen. Ich bleibe liegen. Wie lächerlich klein und schmal mein kleiner Finger ist: ich starre ihn an und jetzt kommt er mir schön und groß und fein vor. Ein bißchen alt halt. Die Frau vom Neuen Gesicht wird lebendig. Sie ist die Herrscherin über alle Bilder. Ich schaue ihr lange in die Augen; ich möchte bis zum Schmerz kommen. In meiner Brust sticht das Herz. Jetzt! Jetzt! Jetzt blicken die Augen sanfter, zaghaft. Nun wieder die Härte. Ich drehe ab.

 

(16.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 15. Februar 2023

3086 Rettenschoess

 

8:01 a.m.  Die Heizung springt an und ich betrachte meine drei Werke über dem Bücherregal in dieser Morgendämmerung. Ein paar Mal gleitet mein Blick zum Neuen Gesicht ab, das einfach im Helleren hängt. Durch den Lichtkegel der Leselampe schweben noch Staubteilchen vom Auf- und Zuschlagen der Bettdecke (ob sie auch jenseits des Lichtkegels schweben, kann ich empirisch nicht feststellen, da ich dort nicht gut genug sehen kann). Es ist meine Rettenschoesser Landschaft, worin ich meinen Blick festmachen und dann verlieren kann. Das Bild ist noch nicht tot; es bewegt sich noch und verändert sich unter meinem Blick, wenn ich hinstarre. Die Augen und was sie tun ist wirklich das Geheimnis. Meine sind noch schlafverklebt. Die schwarze Krähe mit dem gelben Papageienschnabel setzt mit nach oben aufgerichtetem Kopf zu einem Höhenflug an. In Rettenschoess herrscht eine ungewöhnliche Klarheit. Ich streife ganz kurz den Blick des Neuen Gesichts und kehre zu Rettenschoess zurück. Das ist nicht mehr Rettenschoess in Tirol, das ist eine magische Landschaft. Meine Augen sind jetzt geschlossen. Rettenschoess ist nur der Vorwand für eine fremde, schöne, ungereimte, unbenannte Landschaft mit bizarren Bergen und hinreißend leuchtenden Felswänden. Unwillkürlich rutscht mein Blick zu unserer Lieben Frau vom Neuen Gesicht herab. Kann es doch Angst sein, was mich da aus den Augen anblickt?

Ich habe noch nicht genug. Es wird weitergehen.

 

(15.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3085 Valentin

 

1:50 a.m.  Den Valentin überstanden ohne ermordete Pflanzen – kein Leben für den Moloch geopfert. Ich habe mir beim Drehen des Kopfes zum Nachtkastl bei gleichzeitigem Gähnen einen stechenden Schmerz im Hals zugefügt (ich kenn das schon, dennoch passiert es mir immer wieder). Und ich frage mich, ob ich dieses Gesicht nicht doch kenne: dieser harte Blick, die roten – nehm ich an – Lippen, das Halstuch, der aufgestellte Kragen, die schlichte, aber damenhafte und schöne Frisur. Und dann sind da noch meine mehreren Aussetzer: ich lasse Buchstaben, Silben, ganze Wörter aus, verschreibe mich ständig. Das ist mir nicht mehr ganz geheuer. Als braver Junge nehme ich mir – in letzter Zeit schon zum hundertsten Male – vor, mich medizinisch durchchecken zu lassen, habe aber keine rechte Lust. Auch keine linke. Die Vorstellung, zum Arzt zu gehen, ist mir regelrecht widerwärtig: ich bin dort nicht auf menschlicher Augenhöhe und gehe unter und lasse dann alles mit mir machen. Mich holen Vergangenheit und Gegenwart ein (ich schreibe auch falsche Wörter hin: „heim“ statt „ein“. Vermutlich von „heimsuchen“ – das wäre ja sinnvoll). (Sind alle Fehler sinnvoll?) Zurück zum Neuen Gesicht: eindeutig: die Frau verachtet mich, hasst mich geradezu. Sie und ihre Gesellschaftsschicht wollen mit mir nichts zu tun haben. Höchstens wollen sie mir Anweisungen geben. Übrigens kündigt sich in meiner Nase ein Schnupfen an. Als Rettung vor dem Neuen Gesicht drehe ich die Leselampe nach oben, um meine Bilder dort an der Wand („Wang“ statt „Wand“ geschrieben) über dem Regal zu betrachten. Ich erhoffe mir davon innere Stärkung – aber die Lampe kann die Position nicht halten und senkt ihr Leuchten wieder nach unten. Was mach ich jetzt? Zunächst („zunächt“ statt „zunächst“) gehe ich aufs Klo, dann trinke ich Wasser. So werde ich es machen. Dann vielleicht schlafen. Die Lampe möge ruhig zu Boden scheinen – ich werde sie abdrehen.

 

(15.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 14. Februar 2023

3084 Mittags im Kaffeehaus

 

Und nun im Kaffeehaus. High Noon. Da ist dann so ein Kaffeehaus eher ein Restaurant. Ich schaffe es kaum – mein passiv-autoritärer Charakter! - trotz Mittagszeit nur einen Cappuccino zu konsumieren und Zeitungen zu lesen. Und mitten im Wirbel, im – unterstellten - Konsumationsdruck, bei auf Sitzplätze wartenden Gästen, die beim Eingang stehen, zu schreiben. Aber ich mache es. Zu Hause werde ich mich drei Stunden lang – mindestens! - von dieser psychischen Strapaze erholen müssen. Aber ich muß! Ich muß! Ich muß! Ich will! Ich will! Ich will meine Robustheit trainieren! Alles was recht ist. Sonst müßte ich ins Kloster gehen (in welches? Ach nein, die wolle ja auch keine gescheiterten Existenzen. Obwohl sie jede Menge davon haben). Ich dreh das schief abgestellte Kaffeetablett gerade, will sagen: Kanten Tablett-Tisch parallel. Laut ist es hier. Hauptsächlich hauptsächlich touristisches Geschnatter. Ein kleines Mädchen einer benachbart sitzenden Familie schaut mich an und mir beim Schreiben zu. Ich überlege, ihr den rosa Pilotstift zu schenken; aber ich mache es nicht, weil es ein Übergriff sein könnte (will sagen: ich habe mich nicht getraut. Obwohl ich weiß, dass mein Geschenk arglos gewesen wäre). Heute habe ich aber schon ein wenig kommuniziert: einer alten Dame im Zahnambulatorium habe ich eine neue FFP2-Maske geschenkt, weil bei ihrer eine Schlaufe abgerissen ist. Mit der Zahnärztin und ihrer Assistentin habe ich über einen grünen Punkt an der Decke, der mir während des An-die-Decke-Starrens bei der Behandlung aufgefallen ist, von dem jedoch niemand weiß, weshalb und wofür er da ist, gescherzt und ihnen allen einen schönen Tag gewünscht. Diese Familie am Nebentisch, die mit dem Mädchen, das mich beobachtet hat – die Familie ist inzwischen gegangen – könnte auch jüdisch gewesen sein. Wenn das zutrifft, dann wäre mein Geschenk an das Mädchen niemals arglos gewesen. Als Sohn eine SS-Mannes und einer Mutter aus einer absolut naziverseuchten Familie mit Kriegverbrecher als Bruder hätte das niemals, niemals arglos sein können. Es hätte etwas zutiefst obszön Aufdringliches und schwerst Belastetes gehabt. Gut, dass ich nichts getan habe. Das böse Erbe sitzt mir und vielen meiner Generation im Leben. Wirkliche Unbefangenheit kann es nicht geben, persönliche Schuld hin oder her („Gott straft die Sünden der Väter bis in die dritte und vierte Generation.“ 4Moses(Numeri) 14,18. - eine kluge, empirische Beobachtung! Oder glaubt jemand im Ernst, die können Millionen umbringen, dann kommen sie nach Hause, vögeln ihre Frauen, zeugen ihren Nachwuchs und nichts von ihren beschädigten, verdorbenen, verwüsteten und bösen Energien geht auf die Kinder über?!).

Jetzt wird es hier etwas ruhiger und es gibt schon freie Plätze, aber ich bin reif für den Nachhauseweg. Ungeduldig suche ich den Blickkontakt mit dem Kellner, der mich – entgegen all meine Befürchtungen – völlig in Ruhe meinen Kaffee trinken, die Zeitungen lesen und mein Notizbuch beschreiben lassen hat. Er aber schaut jetzt nie her, ich kann seine Aufmerksamkeit nicht und nicht einfangen, trotz meiner Rufe - “Sir!“ - und ständiges Hinschauen. Ah, jetzt! Jetzt hat es geklappt – ich habe mit meiner Geldbörse gewachelt; von der Weiten ging es besser. Mein Trinkgeld, natürlich völlig übertrieben. Die Schuld zu leben. Nur mühsam bin ich auf dem engen Raum in meinen Hoodie und in die Winterjacke hineingekommen, ohne dabei etwas von den Tischen zu fegen.

 

(14.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3083 Im Zahnambulatorium

 

10:57 a.m.  Im Zahnambulatorium. Kann ich in der Nervosität des Wartens auf den Aufruf ins Behandlungszimmer schreiben? Ich glaube nicht. Der Stress ist zu groß, keine Muse ist möglich. Und dieser nervige, ständig in den Augenwinkeln zuckende und blinkende Infoscreenbildschirm an der Wand zeigt immer noch das Wetter vom 15.10.2020. Willkommen in der Welt der kranken Gesundheitskasse (ich bin schon froh, dass es die gibt). Fragebogen habe ich ausgefüllt. Jetzt kommt das nervösere Warten. FFP2-Maske abnehmen, schneuzen, aufsetzen, aufstehen, gibt es wo einen Papierkorb? Ja, da hinten, neben dem Regenschirmkübel. Neues Taschentuch einstecken, die Lesebrille so platzieren, dass sie von meinem Atem nicht anläuft. Bei diesen verfluchten Gesundheitsinfoscreenwerbungen schauen die Patienten immer so gesund, schön und zu jung aus. Niemand leidet. Höchstens ein paar Röntgenbilder. Gut. Die Nervosität steigt. Ich gebe die Schreiberei auf. Der Vogel flieht aus dem Käfig (Infoscreen). Und daneben ein eingerahmtes Plakat, das verkündet, dass die Polizei keine Toleranz für Gewalt und aggressives Verhalten hat. Da müßte sie bei sich selbst anfangen. Mein Termin rückt näher und die Nervosität steigt. Obwohl ich sicherlich noch länger warten muß – anscheinend ist noch eine Patienten vor mir – stelle ich jetzt das Schreiben ein. Ich stecke aber Notizbuch und Kugelschreiber noch nicht in die Tasche: ich will üben, es auszuhalten, wenn ich erst beim namentlichen Aufruf das Zeug in die Tasche stecke und so nicht sofort aufspringen kann. Ich halte das kaum aus: meine autoritäre Dressur ist immer noch wirksam. Mein Termin ist schon zwei Minuten überschritten und nichts tut sich. Die sehr alte Frau, die wohl vor mir drankommt, hat ihre Wartezeit mit Smartphonegucken überbrückt. Sie wirkt dabei sehr gekonnt und sehr souverän. Souveräner und lebenstüchtiger als ich wirke und als ich bin. Da ich jetzt herumschaue, nervt mich das Wartezimmer-TV noch mehr, da ich es nicht vermeiden kann, dass mein herumschweifender Blick immer wieder kurz eingefangen wird – von dem Bildschirm, der die Befreiung des Vogels aus dem Käfig propagieren will! Wie dekadent!

 

(14.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3082 Das neue Gesicht

 

8:29 a.m.  Das neue Gesicht schaut mich an und ich kann meinen Blick nicht abwenden. Ich niese ein paar Mal recht stark und um meinem Herzen baut sich Druck auf, der bis in den linken Arm ausstrahlt. Dieses Gesicht ist nicht aus meiner Vergangenheit. Dieses Gesicht ist nicht aus meiner Welt. Ich habe ein solches nicht abgespeichert. Es ist neu und es irritiert mich. Neu wie Amerika es einmal war für seine europäischen Flüchtlinge. Die anderen Kunstkarten daneben verblassen und lösen sich auf ins Unbestimmte und Verschwommene – so stark und klar ist dieses neue Gesicht. Wie wird sich dieser Blick auf mich auswirken? Ich stelle mich ja sozusagen in einen fremden Blick, der nicht mir gilt, denn ich bin es ja nicht, den diese Frau anschaut. Ich meine die Frau, die für dieses Bild (A. Katz) Modell gestanden ist. Mich meint sie nicht und doch schaut sie mich jetzt als Bild an, als meinte sie mich. Ist da ein wenig Verachtung im Blick? Verachtung für mich als unberufenen In-den-Blick-Steller? Schließlich wirkt sie mondän, modisch, modern. Sie wirkt auch unbelastet, hat ihr Leben im Griff; es schlagen keine offenen Enden herum. Sie wirkt so. Im Gesicht zeichnen sich keine Verwüstungen ab. Der Druck auf meinem Herzen steigt. Bald wird der Wecker läuten. Ich stelle schon jetzt den Alarm ab. Ich greife nicht mehr zu den Waffen!

 

(14.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 13. Februar 2023

3081 Albertina Alex Katz

 

Ich sitze vor der Katz’schen Strandbar. Früher bin ich an seinen Bildern vorbeigegangen. Meine Frau hat mich dann bewogen, noch einmal hinzuschauen. Auch das hier ein Bild, das ich früher nicht beachtet habe. Es ist das Licht, das mir bei diesen Bildern auf den zweiten Blick als erstes aufgefallen ist. Die Menschen sitzen im Licht, manche sind geblendet, aber – so scheint es – sie suchen es auch. An seinen Porträts – diese reduzierten Abbilder – so scheint es – wohl geordneter Menschen - ist mir in den Augen diese unglaubliche Schwermut aufgefallen. Oder gar Verzweiflung. Nicht an der Oberfläche, sondern tief in den Augen, tief im Blick. Und da hat es mich umgehauen. Oder einfach Trauer; viel Trauer in den Augen – scheint es mir. Oder eine große Ratlosigkeit. Ich könnte heulen vor diesen unglücklichen Glücklichen (und ich weiß auch, warum sie unglücklich sind). (Obwohl sie auf den ersten Blick wirken, als hätten sie es geschafft: wohlhabend, ihr Leben in guten Bahnen …) Manche wollen ihre Trauer hinter einem betont kühlen, arroganten Blick verbergen. Vergeblich. Die Malweise ist so diszipliniert, das nichts vom Künstler Draufgelegtes den Blick des Betrachters in die Tiefen der Augen stört. Ja, manche Gestalten suchen das Licht, lassen sich von der Sonne bescheinen, aber der Blick bleibt voller Trauer. Das Trio habe ich schon früher einmal beschrieben: bei ihnen ist mir das alles zum ersten Mal aufgefallen, nach dem Hinweis meiner Frau, das Bild genauer zu betrachten. Auch die schönen Lippen der meist schönen Frauen wirken meistens enttäuscht; nur die ganz links läßt ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen spielen. Das sind alles Bilder von Blicken! Hauptsächlich von Blicken. Es geht um die Augen. In manchen Augen sehe ich noch den Schock. Einige wenige lächeln und halten ihre Lippen nicht verschlossen. Es gibt Bilder, mit denen ich nichts anzufangen weiß. Aber auch ein paar alte Landschaften (vor meiner Geburt), die mich sehr ansprechen. Und die Zeichnungen nicht vergessen! Die U-Bahn-Skizzen zum Beispiel; auch sehr alt, die Männer tragen noch Hüte. Auch da zeichnen (!) sich schon die Blicke ab. Auch der Schatten auf einer weißen Holzwand kann so, so … deutlich sein - ohne alle Aufdringlichkeit. Und ebenso die späteren Zeichnungen: Blicke. Und wieder ein Bild – Gemälde – das mich so berührt: welch eine Trauer! Mir kommt vor, in manchen Bildern finden ganz kleine Verschiebungen statt. Mehr kann ich zu dem noch nicht sagen; ich werde dem auf der Spur bleiben.

Bei den Neunzehntes-Jahrhundert-Sphinxen heraußen denke ich mir: ich scheiß auf diese ganze tonnenschwere Tradition, diese ganzen besserwisserischen Stimmen; nichts wird angeschaut, nur ins Schema eingeordnet. Dieses ewig Niederziehende, Verurteilende. Ja, ich weiß, so ganz stimmt das auch nicht. Abgesehen davon, dass, wenn ich auch darauf scheiße, dieses ganze lastende Erbe trotzdem da ist.

 

(13.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3080 Modus vivendi

 

7:59 a.m.  Im Traum die große Angst, und jetzt die Irritation, Verwirrung. Die Angst sitzt noch in den Knochen. Die Heizung springt an, wie ich höre. Ob die Angst wirklich in den Knochen sitzt? Vielleicht erst später. Jetzt würde ich sie in der Leibesmitte verorten. Die Bedrängnis ist noch stark. In den Heizkörpern beginnt es zu knacken und zu rumoren. Geklopfe auch auf der Baustelle im nächsten Hof. Soviel Fremdheit halte ich kaum aus. Die Flucht in den Schlaf ist mir wegen der Albträume verwehrt. Ich muß es jetzt nur aushalten.

8:34 a.m.  Die Katze, die gekommen ist, hat meinen inneren Knoten etwas gelockert. Seufzend atme ich durch. Langsam beruhige ich mich und finde einen Modus vivendi. Es wird bessere Modi geben, angesehenere, erfolgreichere, ausgeglichenere, effizientere.

8:53 a.m.  Frei bin ich noch lange nicht. Jetzt brennt es ordentlich in der Brust; geht aber schnell wieder vorbei. Aufzustehen kann ich mich nicht entschließen und will ich auch nicht. Ich will mich innerlich aufwärmen, bevor ich hinausgehe. Meinen linken Arm mit dem Notizbuch halte ich auch noch immer verkrampft, ich versuche ihn zu lockern. Deshalb lege ich jetzt das Notizbuch weg und zieh die Decke über Arme und Schultern.

 

(13.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3079 Einschlaf

 

1:17 a.m.  Ich lebe fast nur mehr in gelesenen Geschichten, geschauten Krimis und Facebooktalks. Im realen Leben ist mir Ereignislosigkeit recht. Aber lassen wir diese unsaubere, halbwahren Pseudanalysen. Was sagt meine „Ikonostase“ dazu? Die zwei Ikonenjesi schauen – der eine noch blässer als der andere – eher betroppetzt drein, wenn auch von hier aus gesehen nicht unbedingt unfreundlich; der Weinfassjesus jedoch, der lächelt sogar (soll ich wieder mit dem Saufen anheben?). Die Dame darunter zeigt ihre festen, nackten Beine, das Chaos wird willkommen geheißen (ob dieser Kraus’sche Satz die Hitlerei überlebt hätte?). Ich lächle über eine Zeichnung meiner jüngeren Tochter, wo sie verkündet, dass sie im Meer einen Fisch berührt hat.

Genug! Ich lasse es für heute gut sein und gebe mich dann gleich den Einschlafgrübeleien, den Einschlafphantasien und den Einschlafkörperhaltungen mit ihren jeweiligen Empfindungen hin.

 

(13.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

 

 

3078 Kochendes Gemüse

 

Der Geruch von kochendem Gemüse in der Nase, der ist mir jetzt gleich nach dem Aufwachen unangenehm. Meine Träume hatten ständig mit der Polizei zu tun. Ich (!) sitze aufrecht und rage ratlos, planlos in den neuen Tag hinein. Innerlich beginne ich schon wieder umzukippen. Die grünen Blätter vom dreifaltigen Wohnzimmerbaum (das mit der Trinität ist natürlich geschwindelt: es sind drei selbständige, individuelle Bäumchen, die völlig miteinander verwachsen sind: ein Avocado, eine Monstera und eine Birkenfeige). Mein innerliches Zusammenfallen läßt meine Augenlider schwer werden. Ein Druck in der Brust und in der Herzgegend – ich halte ja wieder einmal die linke Hand verkrampft. Die Katze kommt brummend die Treppen herunter. Ich mache ihr das Frühstück und warte auf meines. Kurzes Geplänkel in der Küche. Ich stopfe mir einen zweiten Polster in den Rücken. In einem stillen Moment tickt der Wecker. Das Frühstücksbreichen schmeckt köstlich – neue Zubereitung mit Slowcooker (nicht mein Job). Jetzt nach den Photos kommt die Schublade. Alles noch im großen Bett.

 

(11.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 10. Februar 2023

3077 Hauptbücherei

 

Die Bäume im Grete-Rehor-Park starren ganz toll und kahl in den kalten, sonnigen Wintertag. Und die Hansi Niese schaut deppert und Mitleid erheischend verlogen schiefköpfig auf die Haltestelle. Wir nähern uns meiner früheren Heimat, die mein Herz immer noch höher schlagen läßt - sie könnte es heute nicht mehr sein: Welten gehen unter und man wird immer älter. Die scharfe S-Kurve der Straßenbahn. Wir verlassen „mein“ Gebiet. Ihr seht: auf dem Weg zur Hauptbücherei.

Jetzt sitze ich am Großen Fenster Richtung Norden: Gürtel, Nußdorf, Kahlenberg, Leopoldsberg. Alles in strahlendem Sonnenlicht; am Horizont ein paar Hochnebelschlieren. Eine Bücherei interne Aussichtsplattform sozusagen. Ich überlege, aus der zweiten Sitzreihe in die erste vorzurücken, aber ein dicker Mann schlendert massig und präsent gelassen auf den einzigen freien Platz zu und ist schneller als meine Entscheidung. Trotz Gürtelverkehr empfinde ich es heute hier nicht so unruhig; die Stille im Glaskasten funktioniert viertelwegs („halbwegs“ wäre übertrieben). Stadt hat schon was! Besonders die alten, organischen Dächer. Die neuen sind … Tauben fliegen um die Dächer und sitzen am Dach der Stadtbahnstation. So geht Jugendstil gerade noch. Die gleißende Helle des reflektierenden Lichts an den Hausfassaden, dort, wo es auftrifft: auch eine Offenbarung, eine magische Er-schein-ung. Raumschiff Bücherei. Wir fliegen durch die Unendlichkeit (nicht durch Raum und Zeit – die gibt es nicht). Die durchschimmernde Unendlichkeit ist sehr befremdend. Was sie fremd macht ist jedoch die profane Wirklichkeit. Die vielen hin und her fahrenden Autos verstärken diesen Effekt, denn sie wirken nicht wie von einzelnen Selbsts, einzelnen autonomen Personen gelenkt, sondern wie von anonymen Kräften herumgejagte  - sagen wir: Moleküle. Kleinstteilchen jedenfalls. Ein riesiger Schwarm Tauben bestätigt mir das: fliegt extra auf und kehrt wieder zum grünen Blechdach zurück. Es ist schon der weite Ausblick hier, der mich zieht. „Ich suche das Weite.“ Trotzdem werde ich jetzt die zwei Bücher, die ich ausborgen will, verbuchen (Bücher verbuchen! Ts! Ts! Ts!) und dann nach Hause fahren. Ich habe Sehnsucht nach meinem düsteren Versteck, nach meiner Lichtschachtkemenate.

 

(10.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3076 Weiterschlafen

 

8:26 a.m.  „… sind schon vom Schlaf erwacht“, aber soweit es mich betrifft noch gar nicht arbeitsfähig. Und außerdem von Madame Mi-Tsi geweckt, aber nicht Fressen wollte sie – wie ich irrtümlich annahm – sondern Wärme und Zärtlichkeit. Jetzt ist sie wieder vom Bett gesprungen und hat mein Zimmer verlassen. Ich werde noch weiterschlafen – mir fällt ja nicht einmal ein, aus welchem Lied die erste Zeile hier stammt. Dennoch sammle ich ein paar Ideen, was ich mit diesem Tag anfangen könnte und wäge sie ab. Bücherei wäre dabei. Eine Reise nach Vorarlberg geht sich nicht aus. Bücherei genügt schon als Tagesaufgabe und Tageshöhepunkt. Und außerdem hat sie um diese Zeit noch gar nicht geöffnet. Also weiterschlafen.

 

(10.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3075 Aufzählung

 

1:59 a.m.  Vor mir das hellerleuchtete, aufgeschlagene Notizbuch, die hellerleuchtete Bettdecke über meinen angezogenen Beinen, dahinter die vergilbte Düsternis und nochmals dahinter ein paar kleinere, lichtreflektierende Flächen: drei leere ehemalige Aluteelichter, das aufgedrehte Photo, eine Kante meines CD-Players, einige Buchrücken, der Verschluß meines Tackers - das wär’s im Großen und Ganzen – ach ja: noch ein Teelicht im offenen Weihrauchverbrenner (ich weiß nicht, wie diese Weihrauchanlage heißt), das das Leselampenlicht reflektiert, zwei Flecken auf den zwei Walkingstecken dort und die silbern glänzende Oberfläche der Halterung des gläsernen Weihwasserbehälters meines vertrockneten Weichbrunns. Soweit die Lichtreflexionen. Nach dieser spontanen Aufzählung ist mein Blick in mein Zimmer deutlich klarer. Oder ist es die heraufgehupfte und jetzt schnurrende Katze, die diesen gelblichen Nebel aus meinem Gesichtsfeld absorbiert?

Ich bin im Frieden mit der Welt, so, zu dieser Stunde, an diesem Ort, mit diesem Ich. Die Katze wärmt mit ihrem pelzigen Hinterteil meine rechte Wange und mein halbes Kinn. Die Hände bleiben kalt. Dabei bin ich heute in gut zwei Stunden von der Stadtgrenze vor Großenzersdorf zum Naufahrtweg gewandert und das nicht direttissima, sondern auf Umwegen durch unwegsames Gelände. Willsagen: ich habe mich heute viel bewegt. Ich streichle mit beiden Händen die Katze und versuche jene dabei aufzuwärmen. Madame La Chatte geht und verläßt grummelnd mein Zimmer. Ich blicke noch ein wenig aber ziellos herum, dann drehe ich das Licht ab.

 

(10.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 9. Februar 2023

3074 Flucht

 

1:43 a.m.  Heute habe ich von einer Flucht in einem kleinen Boot gelesen (Siegfried Lenz); von einer Flucht über das Meer sozusagen. Wenn ich die Geschichte überhaupt richtig verstanden habe, vermute ich WWII. Von der Küste weg mit Schweden als Ziel. Den Kutter, der sie nach Schweden bringen sollte, haben sie verpasst. Dann der Sturm. Dann werden sie an die Küste gespült. Aber es ist die falsche. Die Flucht war mißglückt. Nur einer, der Professor, wollte lieber ertrinken, als am Ufer den Männer mit den Maschinenpistolen sozusagen „in die Arme laufen“ (welch ein falsches Bild hier - diese meine Formulierung! Die wollten sie sicher nicht umarmen).

Von meiner Bettdecke – so fällt es mir erst heute auf – strahlt etwas leicht bläuliches Weiß in die gelbvertrübte Düsternis. Dieser unglaubliche Lärm in der Stille, als würde man in einer dröhnenden Maschinenhalle stehen (oder im Maschinenraum eines Hochseedampfers)! Wieder sind meine Hände kalt. Wieder krümmt sich das Photo, wieder erscheint der schmale Lichtstreifen. Es laufen – so kommt mir vor – irgendwelche Dunkelheitswellen durch mein Gesichtsfeld, während mich mein Surren davonzuzerren droht; wenn ich nicht auf der Hut bin, nimmt es mich gefangen und nimmt mich mit. Wohin? Ins offene Meer? In die Maschinengewehrsalven?

 

(9.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 8. Februar 2023

3073 Küche

 

8:10 a.m.  Ich sitze in der Küche und warte auf den Handwerker. Hinter mir im Bad plätschert, gurgelt die Waschmaschine und dreht ihre Trommel. Die Küchenmesser hängen an der Wand. Beim Aufstehen heute war ich besonders konsequent bis hin zur eiskalten Abschlussdusche. Dafür fröstelt es mich jetzt. Am Küchentisch brennt noch die Morgenkerze. Das Radio habe ich abgedreht, das Deckenlicht brennt (in unserer Küche muß auch tagsüber das Licht aufgedreht werden). Es ist so schön hier: aufgeräumt, aber nicht zu sehr. Das Leben darf Spuren in der Küche hinterlassen. Es ist wunderschön hier in der Küche mit Fenster zum Lichtschacht. Eine Karaffe und eine hellgrünliche Flasche werfen wunderschöne transparente Schatten. Aber auch alle anderen, kompakteren Schatten sind nicht ohne. Natürlich bin ich nervös wegen dem Handwerker: ich kann in der Welt der Dualität nicht bestehen und weiß nicht, wann ich reingelegt werde. Jetzt surrt auch der Kühlschrank seine Melodie ab. In der Waschmaschine klopft der Waschmittel-Plastikbecher seinen eigenwilligen Rhythmus. Die Kerze am Tisch flackert. Ich drücke der Flamme das Wachs des überstehenden Kerzenrandes zu. Die Küchenuhr tickt und dem Ticken merkt man nicht an, dass die Uhr etwas vor geht. Das am Küchenbord gestapelte Geschirr hat etwas Rührendes. Erst recht die an der Seitenwand beim Waschbecken massiert hängenden Küchenwerkzeuge. Was rührt einen? Der Versuch, sich in Chaos und Tod zurechtzufinden und einigermaßen zu behaupten? Und dass dem ganzen Arrangement die letztendliche Vergeblichkeit anzusehen ist? Wer weiß. Der rote Sekundenzeiger der Küchenuhr ruckelt sich tickend im Kreis. Trotzdem glaube ich nicht an die Wiedergeburt. Die Waschmaschine hält inne bei ihrer Dreherei, dann geht es wieder weiter.

Vom Wohnzimmerfenster aus blicke ich in den Hof. Dort ist es taghell, die Sonne scheint, Schnee liegt noch auf den Dächern, die Bäume „stehen sprachlos und kalt“ und strecken sich so gut sie können ins rötliche gelbliche Licht. Ein Schauder läuft über meinen Rücken. Nichts rührt sich vor meinen Augen. „Wie ist die Welt so stille“. An manchen Stellen stürzt das gelbe Licht, das eigentlich weiß ist, herunter in das Geäst der Bäume und bringt es zum rötlichen aufleuchten und erscheinen.

Ich warte schon zwei Stunden auf den Handwerker und beginne nun, nervös auf und ab zu gehen. Im Wohnzimmer wirft das Sonnenlicht auf den Hauswänden im Hof sogar hier herinnen zarte Lichtflecken an die Wand hinterm schwarzen Ofen.

 

(8.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3072 Vorsingen

 

0:03 a.m.  Nachdem ich die Kurzgeschichte weggelegt hatte, dachte ich: ich bin ein schlichtes Gemüt. Die Kurzgeschichten, die Welt und das Leben sind zu kompliziert für mich; ich verstehe sie nicht. Dennoch lese ich gierig eine Kurzgeschichte nach der anderen. Oder Romane, die ich noch weniger verstehe. Und will die Welt lieben und leben. Aber ich verstehe nichts davon. Auch das Surren in meinen Ohren höre ich, aber verstehe es nicht. Verstehe nicht, was es mir sagen oder vorsingen will. Ich blicke gleichgültig und gütig durch die gelblichtdurchsetzte Düsternis auf mein Regal, weil es halt an der gegenüberliegenden Wand steht und sehe nichts, das ich verstehen könnte. Gut, einen Streifen Lichtreflexion in einem gekrümmten Photo. Na und? Schön, aber es sagt nichts, zeigt nichts. Der Holzrabe, der vor dem Fenster hängt, streckt auch nur stur seinen fälschlich gelben Schnabel ins Zimmer und schweigt. Kräht nicht. Krächzt nichts. Sagt nichts. Die Leselampe erzeugt einen gelben Nebel im ansonsten dunklen Zimmer. Ich werde unruhig und drehe den Kopf am Polster hin und her.

 

(8.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 7. Februar 2023

3071 Fensterplatz

 

Ich stelle mir das immer so schön vor: am Fenster sitzen und auf den kleinen, dreieckigen Platz mit den drei Bäumchen und den zwei bis drei Bänken hinunterschauen und beschreiben, was ich sehe. Aber dann ist es nie so: ich sitze schlecht und unbequem am Fenster und die Inspiration ist nicht so toll wie erwartet. Heute, an diesem strahlend schönen, kalten Wintermorgen bin ich beim sonnigen Schieben des Krippenwagens und dem anschließenden Katzen-Futter-Nachschub-Einkaufen-Fahren auf die Idee gekommen, diesmal nicht in meine lichtschachtfinstere Kemenate zurückzukehren, sondern an einem sonnenhelleren Platz zu verweilen – wenn mir schon kein Ausflug einfallen will: am Fenster zum Beispiel – obwohl ich schon weiß, dass die Erwartung nie aufgeht. Jetzt sitze ich wenigstens im helleren Musikzimmer – als solches momentan außer Betrieb – weil es zurzeit als Lagerraum genutzt wird. Die Katze klettert an mir herum und gibt keine Ruh. Nichts da mit wahrnehmerischer Versenkung und poetischer Trance.

Jetzt versuche ich es doch, am Fensterbrett zu sitzen und hinunter zu schauen. Nachdem ich das am Fensterbrett abgelegte Zeugs zur rechten Seite geschoben habe, wuchte ich sehr mühsam meinen mühselig und beladenen Körper, der gerade wieder zu verkäfern scheint, hoch; der Vorhang stört, das Fensterbrett ist etwas zu schmal … mein Blick auf den ansprechenden Platz unten (was spricht er denn?) ist vom Holz der Fensterrahmen – ich meine die dicken Rahmen der einzelnen Fensterflügel – verstellt, das sich direkt vor meinem Gesicht befindet, wenn ich hinunterschauen will. Ich muß den Kopf verdrehen um zu sehen.

Auf einer Bank unten ißt ein junger barhäuptiger Mann ein Gebäck. Der Straßenkehrer, der vorhin noch pausierend und rauchend herumgetranzt ist – also: auf und ab gegangen – hat sich irgendwohin verzogen; sein Wagerl steht vereinsamt an der Hauswand gegenüber. Zwei Frauen schreiten feierlich und prozessional mitten auf der Straße. Eine andere, rosabetonte geht am Gehsteig vulgo Trottoir in die andere Richtung (Nordost). Baulärm: anscheinend unvermeidlich. Autos fahren hier nicht viel: es ist ein ruhiger Platz, was den Autoverkehr betrifft. Noch eine Frau. Ich sehe elf abgestellte Autos, einige Motorräder und Roller, und einige Fahrräder (ihr wißt schon: veganes Reiten). Ein Mann, eine Frau auf unterschiedlichen Routen. Der junge Esser hat sich verzupft, ohne dass mir sein Abgang aufgefallen ist. Ein Auto rollt herein. Eine Frau mit Kinderwagen. Noch eine Frau. Ich höre Kindergeplapper von der Straße, ohne jedoch die Kinder zu sehen. Das ist kein Wunder, denn mein Blickfeld übersieht nicht die gesamte Straße, weshalb ich die Kinder leicht übersehen haben kann, wenn sie auf unserer Seite der Straße am Gehsteig gegangen sind. Ein Lastwagen rollt vorbei (mittlere Größe). Etwas Schnee in den Baumkreisen. Die Sonne erfaßt immer mehr von den Fassaden der gegenüber liegenden Häuser. Der Himmel ist strahlend blau mir sachter, leichter Dunstbeimischung. Zwei Autos, eines davon rot. Noch eine Frau in Rosa. Der Wagen des Straßenkehrers steht immer noch vereinsamt da (ich kenne den Job: ich habe meinen Zivildienst bei der MA 48 Straßenreinigung absolviert). Zwei Männer Richtung Nordost. Auf einigen Autodächern liegt noch Schnee. Allmählich spüre ich meine verkrampfte Sitzerei im Kreuz und mein verdrehtes Geschau im Knack (das ist der Nacken). Blauer Mann mit Hund. Die ersten geparkten Autos werden von der Sonne aufgestrahlt. Frau mit Hund. Der Hund schnüffelt dreist in den drei Baumkreisen herum, brunzt, scheißt (hier verboten!), die Frau sucht und findet in ihren Jackentaschen kein Sackerl fürs Gackerl und - wusch! - ist sie mit Hund verschwunden. In einem der drei kahlen Bäume hängen irgendwelche Fetzerln. Eine Frau geht am Handy lesend. Kastenwagen, grau. Frau in weißem Mantel. Ziemlich still und bewegungsarm der kleine dreieckige Platz – nur die Fetzerl im Baum bewegt der Wind – dann kommt ein Muldenlaster. Bis ich mit dem Satz fertig bin, ist er längst wieder weg und es hier ruhig. Ein Auto aus dem Bezirk Gänserndorf fährt vorbei. Eine flache, gehobene Limousine. Langsam tun mir Hintern und Nacken weh und nervt mich die Schreiberei. Ein Mann ganz in Schwarz. Ein Kastenwagen. Der Straßenkehrer macht immer noch Pause. Ein schwarzes Auto. Ein Kühlwagen. Ein blauer Radfahrer mit flotter blauer Kappe mit Schirm. Kastenwagen weiß. Mir reicht’s! Schwarzes Auto. In den Baumkreisen die gefrorenen Pissstellen der Hunde, an der dunkleren Färbung erkennbar. Die armen überpissten Bäume! Der Wagen des Straßenkehrers steht immer noch unverändert da. Der Himmel wird immer blauer. Rauch aus einem Rauchfang. Ein rotes Auto. Schmerzen beim Aufstehen von meinem Sitzplatz. Ich gehe zurück in meine Kemenate als alter Mann. (Beim Eintippen des Textes eine gute Stunde später steht der Wagen des Straßenkehrers immer noch unverändert da.)

 

(7.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3070 Die Skala

 

23:12  Die Katze schiebt im Hinausgehen mit ihrer Pfote die Tür weiter auf, worauf diese mit Knarren antwortet. Meine beim Lesen und Schreiben im Bett sozusagen „über Deck“ (ich lese gerade das „Feuerschiff“ von Siegfried Lenz) gehaltenen Hände sind im kalten Zimmer saukalt. Und zwischen den Zähnen steckt mir etwas, das ich seit Stunden nicht herausbekomme; auch mit Zahnseide nicht. Meine ohreninterne Begleitmusik surrt und zischt und ich höre auch ein pumpendes Geräusch vermutlich von außen dem Sound beigemischt – wenn es denn nicht mein Herz ist, das pumpt; aber das müßte dann wohl ausgewandert sein, wenn es von außen pumpt.

23:46  Es geht nun schon auf Mitternacht zu und meine Hände sind immer noch kalt. Gedankenlos starre ich durch die gelblichtverseuchte trübe Dunkelheit interesselos auf mein Regal, denn meine Gedanken sind im Kopf und sind sie nicht im Kopf, so sind es keine Gedanken. Ah! Jetzt ist es heller geworden! Obwohl mir mein Blick vortäuscht, es wäre dunkler geworden. Die Füße auf dem Leintuch rutschen davon. Mein Surren, auf das ich meine Aufmerksamkeit gelenkt habe, droht zu eskalieren. Auf einer Skala von 0 bis 10: wie religiös sind Sie? 0: überhaupt nicht. 10: sehr, gar sehr (einmal, bei einer Befragung wußte ich nicht, ob ich 0 oder 10 hinschreiben soll; schließlich habe ich mich für 10 entschieden, um die Superratiorealisten zu sekkieren). Die Holzmöwe, die über meinem Haupte schwebt, wackelt und schwingt mit den Flügeln. Männele! Es ist Zeit schlafen zu gehen!

 

(6.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 6. Februar 2023

3069 Was jetzt?

 

Eine seichte Übelkeit hockt mir im Gedärm (vermutlich), oder ist es das fragwürdige Herz, das seine Botschaften aussendet? Der Wasserkocher in der Küche rauscht, das Radio spielt. Ja, ja, es ist schon eine verschlampte Schrecknis, die mir in der Leibesmitte sitzt, im Zentrum der Welt. Das überlaute Zischen der Kaffeemaschine beim Produzieren von Schaum. Ein weiblicher Sologesang kommt durchlöchert bei mir an. Mein Surren in den Ohren, das ich oft ignoriere, ist jetzt extrem laut. Die Augen fallen mir zu. In der Nasenwurzel spannt sich etwas an. Mein Geist wandert in einer dicht verbauten Altstadt um die Ecke in ein schmales Gässchen. Der alte bekannte Riesenfisch taucht in meiner Nähe … was jetzt?

 

(4.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3068 Im Ernst

 

13:46  Das echte (?) Leben zieht als Nachhall des soeben Gelesenen schwermütig am Rande meines gelb-dunkelnden Bewußtseins vorbei, draußen tobt ein mittlerer Sturm und ich genieße den schweren Muot. Mir ist es recht so: das echte Leben wäre mir viel zu dicht. Oder? Ich liebe meine Resignation (die verschleiert, dass ich nie Inhaber von Insignien für welches Amt auch immer war – was für ein Trick! Er macht mich erheitern). Meinen Kopf halte ich schief, nach rechts geneigt, an den Polster gelehnt, auf dem Bett, mein Lieblings-Lese-Schreib-und-Schlaf-Platz, wie gesagt: diesmal den Kopf nach rechts gekippt. Von Rechts wegen ins Exil verbannt, nicht mit Schreib- aber mit Veröffentlichungsverbot belegt (wieder so ein Trick: täuscht vor, Veröffentlichungswürdiges geschaffen zu haben. Und wenn schon: das Veröffentlichungsverbot sitzt in mir). Der Sturm pfeift, rauscht und rüttelt am alten Fenster herum, bald – sobald die Tagis vom Mittagsschlaf erwacht sind – werde ich mir den zweiten Kaffee des Tages machen. Mein Gott (oder wer oder was auch immer)! Habe ich es schön! Wirklich! Ich meine das ernst! Bei mir kann man schon Zynismus vermuten, aber hier und jetzt nicht. Ich könnte bei meiner Lebensweise schon längst obdachlos sein und einige Kilometer weiter östlich schaut’s sowieso ganz anders aus. Nein, ich meine das diesmal ernst.

 

(3.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3067 Apfel

 

9:36 a.m.  Vom Augarten draußen komm ich herein, ich muß euch sagen: es tut nicht schnei’n. Aber regnen, tröpfeln, winden, wehn – ach! Es ist so schön mit den Tageskindern zu gehn – äh - zu fahren: so gegen Ende der Rückfahrt vom Augarten nach Hause zu uns stehen alle von ihren Sitzbänkchen auf, drehn sich nach außen (wenn sie sitzen, blicken sich die Kinder in zwei gegenüber befindlichen Reihen ins Gesicht) und beginnen in kindlichem, aber doch archaisch anmutendem Chor zu singen: mehrstimmig, wunderbar in monotoner Melodieführung lang anhaltende Tonreihen. Und vorher werden im sechssitzrigen Wagerl Apfelspalten gegessen. Weil die Fahrt selber als Erlebnis und – wörtlich! - Erfahrung zählt, ist nicht das möglichst schnelle Erreichen des Zieles das Wichtigste: also sagt ein Kind „Apfel“ wird angehalten, die Dose aus dem Rucksack geholt und das Kind kann sich die Apfelspalte herausnehmen. Im Winter kommt noch Handschuhe aus und Handschuhe an dazu, weil es kalt ist, aber zum Apfelessen die meist klobigen Fäustlinge ungeeignet sind.

Jetzt habe ich die typischen Winter-Kälte-Wangen – das tut so gut – und habe mich dennoch schon wieder ins Bett gelegt und gönne mir einen Lesevormittag, der mich vorallem ins Engadin entführt.

 

(3.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 1. Februar 2023

3066 Engadin

 

9:32 a.m.  Bin schon länger auf. Langsam gelingt mir das frühe Aufstehen; mit kalter Morgenabschlußdusche. Nach meiner Transportarbeit – die fünf Tageskinder meiner Frau – sie ist rekonvalenszent und muß sich schonen – im Wagerl vom Augarten zu uns nach Hause transportiert – bin ich voller Tatendrang und so habe mich aufs Bett gelegt um zu lesen (Ulrich Becher; Murmeljagd), den österreichischen Schulatlas – veraltete Ausgabe – auf den Oberschenkeln, aufgeschlagen Tirol.Vorarlberg, weil da der Engadin halbwegs brauchbar abgebildet ist, um die im Roman beschriebenen Orte, Berge, Fahrten und Wege nachschauen zu können. Ich versteh den H.C. Artmann, der angeblich Orte nur ihres Namens wegen aufgesucht hat (z.B. Schruns-Tschagguns); hier: Pontresina/Puntraschigna, Silvaplana, Sils, Majola, Samedan, St.Moritz/San Murrezan, Celerina/Schlarigna, Cassaccio … und wenn man die Namen der Berge dazunimmt: Piz Corvatsch, Piz Fora, Piz Bernina, Piz Zupò, Piz Julier, Piz Albris, Piz Languard … . Namen sind Schall und Rauch, heißt es, ich aber inhaliere sie und lasse mich berauschen.

 

(1.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

3065 Normalisieren

 

11:28 a.m.  Ich bin seit Stunden wach und habe auch schon gearbeitet. Aber jetzt bin ich so müde, dass an den Rändern meines Gesichts- und Bewußtseinsfeldes schon die Traumgestalten warten und lauern. Und kalt ist mir. Ich erwärme mich nicht. Ich brauche unglaublich viel Schlaf, um mein psychophysisches Gleichgewicht zu halten. Ich vermute, es geht um die Geborgenheit (unter der Decke), weil ich deren Fehlen immer weniger übertauchen kann. Auch jetzt beim Schreiben schlafe ich beinahe ein. Mein Blick taumelt langsam durch mein Zimmer. Die Katze sitzt auf mir und hat durchaus ihre Krallen ausgefahren. Ich hebe meine Augenbrauen und halte sie oben, damit mir die Augen nicht zufallen. Eine Pattstellung der Kräfte im Universum, die sich hier im Zimmer, dem Zentrum der Welt, zeigt. Hier werden Kometen entworfen, gebaut und losgeschickt. Ich bin da nur der Vektoreningenieur. Diese Tätigkeit mach ich so geheim, dass ich es selbst meistens nicht weiß und nicht merke. Deswegen wohl diese Müdigkeit.

14:25  Was ist los? Ich werde immer schwerer und mir wächst ein Panzer; der wächst von meinem hinnigen Kreuz aus über den Rücken und nach vorne. Im Moment stecke ich darin wie in einer Kleinkinderschaukel, der Panzer ist erst um die Leibesmitte einigermaßen fertig und wächst sich erst nach oben und unten aus. Ist er aus Chitin? Ich verkäfere! Ich will mich nicht an Kafka versündigen, aber ich komme kaum aus der Rückenlage und vom Bett hoch. Ich schüttle diese Anwandlung ab, aber ahne jedoch, dass sie wiederkommen wird. Ich will jetzt hinunter in die Küche, um mich unter den Tageskindern und bei Geschirrarbeit zu normalisieren.

 

(31.1.2023)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2023   peteraloisrumpf@gmail.com