Dienstag, 31. August 2021

2403 Albertinatrip

 

Der Manguin'sche Rückenakt: wie gern würde ich diesen schönen Weiberarsch liebkosen und die Brüste … ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter, als mir bewußt wird – 1905 gemalt – die Knochen dieser Dame modern schon längst irgendwo herum. In der Ewigkeit muß es um etwas anderes gehen.

In Vuillards blauem Zimmer, in dem auch viel Grau ist, herrscht schon eine gewisse Trauer und Verhaltenheit. Es schaut so aus, als würde das Leben in gelb und rot durch einen Spalt hereingeronnen sein und sich am Fußboden fließend ausbreiten. Aber als friedliches oder als gewalttätiges?

Meine traditionelle Rast vor den Werefkins. Heute ist hier in der Albertina Almauftrieb; Massen sind unterwegs. ZB eine Frau in Hellblau mit hellblauem Fallschirm; ihre Schuhe sind rosa (also: sie hat den unteren Teil ihrer hellblauen Steppdecken-Daunen-Jacke hinten unter deren oberen Teil geschoben – vermutlich zu Lüftungszwecken – was ein Paket am Rücken ergibt, dick wie ein Fallschirmchen). Ach die Werefkin! Heute fällt mir zu ihren Bildern nichts Neues ein, aber ich liebe sie. Geheimnisvoll. Die vielen herumgehenden Besucher irritieren mich, aber ich mache ihnen keine Vorwürfe.

Alles kann ich gar nicht herschreiben, was ich sehe. Jetzt aber: Jawlenskys Oberstdorfer Berg im Abend oder Morgenlicht (ich tippe auf Abend). Gefällt mir gut. Gefällt mir sehr gut! Der grüne und der blaue Waldhang. So einfach gemalt und eindrucksvoll. Dahinter die bunteren, beleuchteten  Berge – felsig, wie ich glaub.

Noldes Mondnacht, seine bunten Blumen aus dem Herbstgarten. Der idiotischer Alttiroler vom Egger aus Lienz. Wäre der ein Steirer und jünger, wäre er ein lustiger Holzhackerbua; als Tiroler aber und ideologisch anders (eigentlich das Selbe nur von der anderen Seite her aufgezäumt) aufgerüstet, muß es ein echchchter, grantiger, wilder, bedeutungsschwerer Bauer sein, der kaum redet, weil … mir seind halt die wildn Holzhackermanda, s'ischt Zeit!

Erholung bei meinen liebsten Kokoschkas. Was für eine Intensität und Leichtigkeit! Mehr schwafle ich heute nicht. Auf zum depperten Kardinal,

den ich als verwahrtackelter, mißlungener Ernesto Cardenal II – mit offenen, langen Haaren und Basken-Pullmanmütze mit allerdings femininen Button – immer noch in den Schatten stelle. Was fällt mir zu diesem mitrabemützten Kardinal ein? „Zipfl eini, Zipfl aussi, oba heit geht’s guat, oba heit geht’s guat, oba heit geht’s guat!“ Ich selbst (ich schriebe so gerne „selber“!) bin in feminininerer Ausstrahlung unterwegs. Dabei ist der Kardinal ein stoffumwickeltes Bübchen. Ich bin trotz … damit man/frau das versteht: ich sitze direkt vorm Spiegel und als eine Frau, um nicht zu stören, vorsichtig und schnell vor mir, der ich mein seitenverkehrtes Abbild betrachte, meine Blicklinie querend vorbeihuscht, sage ich zu ihr: „Sie können ruhig unbefangen vorbei gehen; dort gegenüber sitzt eh kein Kunstwerk.“ Ernesto Cardenal … fehlt noch, dass ich – als Kopierer fragwürdig – Psalmen dichte. Auf! Gemma Klee-Schaun!

Ach, der Arbeiter von Marie-Louise von Motesiczky! Mein mir freundliches Realitätsprinzip! Es ist so blöd, aber ich liebe ihn. Nicht einmal die barbusige Dame mit Schallplatten links vom Durchgang kann mich ablenken. Ist der Arbeiter ein freundlicher Großvater? Oder Vorfahr? Physisch dürften keine seiner Gene auf mich gekommen sein, denn ich schaue ganz anders aus. Er hat etwas Edles in seiner dünnen, freundlichen Gestalt.

Giacomettis gesockeltes Frauenquartett sind eindeutig Fünfzigerjahre-Italienerinnen (eindeutig! Bursche, du hast keine Ahnung; sie könnten auch Schweizerinnen oder was-weiß-ich sein.!) Auch ihre Schatten beweisen es (beweisen! Freundchen! Ich lach dich aus!). Und seine Landschaft! (1952). Ich brauch gar nicht hinschauen, liebe ich sie schon. Es stimmt schon, was der Beipack-Zettel-Text sagt: diese schöne Landschaft (Schweiz!) ist vom Krieg (abstrakt!) gezeichnet.

Und jetzt beim Scheibl: Kage – R II (1994/95) mag ich. Das Leuchten kommt in meine Zwischenräume und verführt mich zu einem kleinen, kurzen Trip. Und 1994-1996 auch. Auch wegen dem Leuchten. Ebenso B.O.W.1. - dessen Licht vor allem blau und violett ist.

 

(31.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2402 Die Schnurrelieder

 

Tagwache sechs Uhr. Ich weiß nicht, wie uns (pluralis majestatis) andere hochmütige Völker nennen, aber Hummusstinker und Kichererbsenriecher wäre zwei Optionen. Schöne Stimmung eigentlich in der grauen Luft. Die Katze, die zum ersten Mal in ihrem Leben mich nicht nur nicht aufgeweckt, sondern – und das ist das Einmalige – mich gar nicht hinunter in die Küche begleitet hat, schnurrt „Fahrradpumpe, Fahrradpumpe ...“. Jetzt hat sie auf „Fahrradhelm, Fahrradhelm...“ gewechselt. Oh! Das geht schnell: „Tatütata, Tatütata ...“. Nun scheint ein Liebeslied dran zu sein: „Du – ich, du – ich, du – ich ...“. „Nimm und lies! Nimm und lies! ...“ - ah! Frau Katz kennt auch christliche Gesänge. „Was soll denn das, was soll denn das ...“. „Na! Unmöglich! Na! Unmöglich! ...“ geht jetzt bruchlos über in: „unmöglich, unmöglich ...“. Sonst sind die Liederwechsel oft von Hustern, Niesern, Räusperungen und ähnlichen Lauten begleitet. Beim nächsten Lied erkenn ich den Text nicht. Aber nun: „Genug jetzt! Genug jetzt! ...“.

 

(31.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2401 Playlist

 

Vor Müdigkeit moussiert die Luft im meiner Asservatenkammer und zieht durchsichtige Schlieren und Fäden. Einzelne Korpuskel tauchen auch auf und verschwinden wieder wie Sternschnuppen. Am Lošinj-Bild geht die Hafenstraße heute besonders rasant in die Kurve. Die Luft ist die ganze Woche rein geblieben – keine Selbstbezichtigungen mehr. Im Bad gluckst der Abfluß. Das tut er gern, der Abfluß. Meine Unterhose oben auf dem Kleiderstapel schaut etwas dérangiert drein, um nicht zu sagen: töpelhaft. Meine Steinbuddharin auf der kleinen Konsole sitzt die ganze Zeit still, brav und aufrecht. Weihrauchen könnt ich auch wieder einmal. Einfach so aus Dankbarkeit und Freude (offiziell; inoffiziell könnt auch Vollzugswichtigtuerei dabei sein). (Das ist keine Selbstbezichtigung, weil ich darüber lache.) (obwohl: die döbranitischen Begriffe können für mich schnell gefährlich werden.)

Ein unsichtbares Geistwesen ist gerade durchs Zimmer geflogen. Ich sollte das linke Magnetbildchen mit dem rechten Magnetbildchen platzmäßig tauschen lassen. Vielleicht komme ich noch hoch und mache es; morgen werde ich es vergessen haben. Der Totenschädel von Dürer ist fürn Hugo – hätte ich mir denken können. Auf meiner Playlist stehen jetzt Katzenstreicheln, Abendgebet und Schlafen.

 

(30./31.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Montag, 30. August 2021

2400 Längere Geschichte mit Pölstern

 

Heute bin ich mitten im Morgenjournal aufgewacht und wie ich die Stiegen hinunter bin und die Küche durchschritten habe, um im Bad der Katze ihr Frühstück zu servieren, habe ich Peter Filzmaier reden gehört. Innegehalten habe ich jedoch nicht, denn gestern ist es sehr spät geworden, weil ich den gestrigen Text (2399 Photos) zwar schon im Bett geschrieben habe, aber in einem Anfall von Euphorie und Arbeitseifer im Gegensatz zu seinem, des Textes abendliederlichen Ausklanges doch nochmals aufgestanden bin und ihn, den Text, in den Computer getippselt, auf und in die Schublade gelegt, dreifach gespeichert und einmal ausgedruckt, sowie auf Facebook einen Verweis auf eben diesen Text gepostet habe. Kurz gesagt: dass ich noch zu wenig geschlafen habe und müde bin, was mich allerdings nicht davon abgehalten hat, unten in der Küche meiner zur Vorbereitung ihres Arbeitstages als Tagesmutter werkenden Frau – Essen für die Kinder kochen, Spielzeug bereit legen, die Klettergeräte aufbauen, die einzelnen Bereiche  - Essensbereich, Wickelbereich, Schlafbereich etc - räumlich trennen etc – ein Kurzkabarett vorzuspielen, um sie zu erheitern und ihr zu einem guten, fröhlichen Start in den neuen, oft anstrengenden Arbeitstag und auch in die neue Arbeitswoche in der besonders fordernden Eingewöhnungsphase der neuen Tageskinder zu verhelfen (die Arbeit meiner Frau ist wertvoller als die dieser ganzen Kaste von … ich nenne niemand mit Namen; ich will ja nicht geklagt werden). (Ich meinte ein kurzes Kabarett, nicht eines über Kurz.) Wie gesagt: ich bin noch nicht ausgeschlafen und im Gegensatz zum gestrigen Abendliedtext nicht aufgeweckt worden, auch von der Katze nicht, sondern von selbst erwacht (ich würde so gern „von selber“ schreiben!), aber jetzt, in ein paar Augenblicken werde ich die Pölster, die ich mir in den Rücken gestopft habe, umschlichten und mich wieder zur Ruhe betten. Amen.

Als ich die Pölster umgeschlichtet habe und den kleinen, auf den ich mein Haupt zu legen pflege, hinlegen wollte, konnte ich in der Morgendämmerung bei abgedrehter Lampe und ohne Brille nicht erkennen, wie er richtig hingelegt gehört – denn mein Polster ist in einem mexikanischen Überzug gehüllt, der mit – ich vermute – magischen Hasen in Hellbraun bestickt ist, womit es beim Hinlegen des Polsters ein richtig oder verkehrt gibt, auch ein falsch, würde ich ihn überhaupt mit dem Bild nach unten hinlegen – wie ich also den Polster hin und her drehe, und nicht sehen kann, wo oben und unten ist und mich doch blind „aus dem Bauch heraus“ für eine Position entscheide, ruft mir eine Krähe ganz in der Nähe, vom Dache des Hauses nämlich die universumarische Bestätigung der Richtigkeit der Polsterposition zum offenen Fenster herein (was sich beim Aufwachen später als richtig herausstellt). Als ich mich dann endlich wieder zur Ruhe gebettet habe, kann ich nicht schlafen. Mein Geist spielt eine Gerichtsszene durch, in der ich souverän und aufrecht bestehe, was gar nicht heißen muß, dass ich den Prozeß gewonnen habe, aber meine Selbstachtung. Das ist mir alles gar nicht unangenehm und ich wälze mich auch nicht in schlafloser Panik im Bett herum, sondern raste einfach so und betrachte meinen inneren Film. Nach einiger Zeit richte ich mich einfach wieder auf und die Pölster wieder her in den Rücken und beginne mit der Niederschrift. Doch dann werde ich trotz Hunger sogleich wieder müde und ich baue die Pölster wieder ab und versuche den Schlaf.

 

(30.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2399 Photos

 

Das pseudaltägyptische Tonamulett an seiner langen Schnur pendelt mir – vom Kranarm meiner Leselampe, die ich hergedreht habe, angestoßen – den nächsten Lottosechser aus. Meine offenen langen Haare – die wöchentlich notwendige Entflechtung meiner Zöpfchen – hängen mir vereinzelt ins Gesicht und kitzeln mich an der Nase. Übrigens ist beim Löffeln nicht vorgesehen, der Partnerin den Busen zu kneten, weil einem da der Hüftknochen der Dame im Weg ist: greift man links an diesem vorbei, gerät man mit seiner Hand zu hoch, also über den Busen; langt man rechts am Hüftknochen vorbei, kommt man zu tief. Nein, der Liebe Gott hat das nicht vorgesehen! Wahrscheinlich hat er gemeint, die Brüste sind nur für Babys. Hat der eine Ahnung! Aber wie auch immer! Ich habe mir in meinem Leben angewöhnt, mich nach der Decke zu strecken. Kontrollblick auf meine Bilder. Alles ruhig. Nichts bewegt sich. Meine Schweizerin hält ihren rechten Arm vor ihren Busen und hält ihr Unterleiberl fest, auf dass ihre Brüste verhüllt bleiben. Und hinter dem Photo von meiner wundertätigen Frau, wie sie Parmesan auf die Spaghetti mit roter Sauce reibt und mich ein wenig bös anschaut, das ich am Kastl, das gleich hinterm Fußende meines Bettes steht, angetackert habe, habe ich heimlich ein gestohlenes Photo von ihr aus Vor-meiner-Zeit versteckt, das sie oben ohne an einem griechischen Strand zeigt. Ich krabble auf allen Vieren über mein Bett zu dem Bild, hole das versteckte hervor und schaue es an. Ja, nicht schlecht! Ich stecke es wieder zurück hinter das Spaghettibild, krieche Richtung Kopfende des Bettes und schlüpf' unter die Deck'. Morgen früh, wenn Gott will, werd' ich wieder geweckt; morgen früh, wenn Gott will, werd' ich wiehieder geweckt.

 

(29./30.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 28. August 2021

2398 Ich: Macho

 

Vor der nackten, weißen Wand die trinitarischen Wohnzimmerbäume. Die schauen zum Fenster hinaus in den Hof zu ihren nur wenig freieren Geschwistern. Neun Uhr! Zeit für das Wochenendfrühstück im Bett. Die Nachrichten laufen schon in der Küche. Ich hocke und warte. „Wem gehören unsere Kinder“, fragt gleich rechts neben mir Jesper Juul (+) rhetorisch. Die Antwort wußte er schon. „Zum Wetter“ „Kühl und unbeständig“. Das Frühstück wird mit Kerzenlicht serviert und ich sage: „Dankeschön, liebes Eheweib! Danke, 'mein betthäsgen'! " (Namen des Dichters aus dem Barock vergessen; in einem Brief an seine Frau) (Also doch Matthias Claudius! Ich hab's eh gewußt, aber mich nicht mehr wissen getraut, weil ich's gestern im Internet nicht gefunden hab. Aber heute doch! 29.8.)

 

(28.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2397 Meine Schweizerin

 

Die Red Hot Chili Peppers singen und spielen. Ich gaffe auf meine Schweizerin. Ich ermutige die Katze, zu mir aufs Bett herauf zu springen. Die Schwarze auf dem Bild wird ganz durchscheinend und transparent. Die RHCP haben ihr Konzert beendet, und ich, ich singe zwei ungarische Lieder – freilich ohne Text. Dann stockt mein Gesang. Ein paar Anläufe noch, dann lass ich es.

Die Katze röchelt mehr als dass sie schnurrt. Mein Weihwasser ist inzwischen grün-versifft. Beruhigt euch! Es hat einfach wie Wasser reagiert, dass jahrelang in einer weißen Glasflasche bei Tages- und Nachtlicht „brach“ gelegen ist.

Oh ho! Die zwei Visionäre glurren mich an, dass es eine Freude ist! Der eine sendet Energie, der andere empfängt. Die Schwarze im Bild ist noch transparenter geworden. Das hätte ich nicht erwartet (der Urteile vor einer Überprüfung sind viele). Die Kufstein-Rettenschoesser-Landschaft senkt sich auf mich zu und wird zu einem 3-D-Bild; aber etwas kulissenhaftes eignet ihm nun an. Über den Lošinj-Hafen fliege ich hinweg, niedrig und langsam, ganz langsam, damit ich alles anschauen kann.

Oh! Meine Schweizerin ist inzwischen recht fest geworden - um nicht drall zu sagen. Wie viele Jahre war ich jetzt bei den saligen Frauen? Mir ist es vorgekommen wie höchstens drei Stunden. Also die Schweizerin muß inzwischen sich öfters mindestens zu zweit herumgewälzt, ein paar Kinder geboren und gesäugt und einen Hof übernommen haben. Keine arme Frau mehr, sondern die Domina in ihrer Wirtschaft. Wie hat sie das geschafft? Verheiratet war sie ja schon vorher, oder? Naja, sie und ihr Mann werden in der Früh aufgestanden sein, fleißig gearbeitet, Kuchen statt Brot gegessen und das so ersparte Geld in Aktien und Immobilien investieret haben, wie es die türkisen Schnösel empfehleten. Die Schwarze im anderen Bild wird noch transparenter! Das wird mir jetzt schon ein wenig unheimlich. Ich fliege lieber nochmals über Mali Lošinj. Ich entdecke, dass das Meer gar nicht flach ist, sondern ein kraterförmiges Loch hat. Vielleicht ist dafür dann die Erde nicht rund, sondern flach! Schaue doch lieber zur Schweizerin: ihr gigantischer, aufgesetzter Hut dreht sich wie ein Propeller. Aber das Meer! Das Meer ist im Hintergrund aufgestaut! Ich sehe die Staumauer vom Meer aus.

 

(27.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 27. August 2021

2396 Der Lichtnebel staut sich

 

Das Veliki-Lošinj-Bild (Losini grande) hängt so rein in der Ecke unter dem Plafond, ein sakrales Leuchten geht heute von ihm aus. Die Baustellengeräusche haben sich normalisiert und sind jetzt profan. Mein Herz klopft nicht, sondern pocht in einem weichen Modus. Die Bücher, Kunstkarten und Gegenstände am Bücherregal stehen aufrecht und selbstbewußt auf ihren Plätzen. Die Wintersonne meiner Tochter leuchtet mit immenser Kraft durch Nebel, Wald und Wand. Der neue Rettenschoesser See ist noch da, wenn auch vielleicht etwas kleiner. In Mali-Lošinj (Losini piccolo) gleißen die Häuser am Hafen wie immer, nur ein wenig stärker. Vorm Fenster im Lichtschacht staut sich gedämpfter Lichtnebel. Ein wunderbarer Morgen um zwölf Uhr vier und hungrig bin ich auch schon.

 

(27.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2395 Der waidwunde Drachen

Meine Lungen füllen sich mit kalter Luft und ich huste. Die Baustelle im Nachbarhof sendet eigenartige Geräusche aus, fast wie Röcheln eines gigantischen, metallenen, waidwunden Drachens. Ich hocke in meinem Kokon und vibriere vor Erwartung. Tränen des Wasweißichwas steigen hinter meine Augen. Madame Mi-Tsi auf meinem Schreibtisch richtet sich auf, streckt sich, dreht sich einmal um sich, setzt sich wieder hin und beginnt sich zu putzen. Das Atmen tut gut! Mein Notizbuch, auf meinen angezogenen Schenkeln abgelegt, sinkt langsam und zärtlich in meinen Energiekörper ein. Die Augen fallen mir zu und ich sehe die Ziffer 3. Ist das die erste Zahl des Lottogewinns am Sonntag? Mehr Ziffern erscheinen mir aber nicht. Machst du mir die Liebe und sendest mir die weiteren Ziffern? Nein!?! Macht er/sie/es/wir/ihr/sie nicht! Die Zahlen werden mir nicht offenbart! Ich glaub, es ist besser, ich schlafe wieder ein.

 

(27.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2394 Ich bin der Richtige

 

Ich habe heute wieder das T-Shirt mit dem von mir formulierten Aufdruck „Ich bin der Richtige“ in die Welt hinaus getragen, der durch das viele Waschen schon dünn geworden ist; aber mir ist es wichtig, dass ich diese Aussage immer wieder und immer wieder mir und der Welt einrede. Und ich bin auf Umwegen in die Therapie gegangen, weil ich unbedingt meinen befreundeten Bäumen – der großen und der „kleinen“ Platane, der versehrten Birke und den vier wirklich kleineren die Reihe hinunter bis zum 007 von Shivas Tanz erzählen wollte.

Jetzt bin ich wieder zu Hause, hocke im Bett und sehe im Kufstein-Bild zum ersten Mal den See und im Lošinj-Bild zum ersten Mal den Atompilz. Das ist für heute alles.

 

(26./27.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Donnerstag, 26. August 2021

2393 Meine asymptomatische Asservatenkammer

 

Die kalte Morgenluft strömt beim weit offenen Fenster herein, direkt auf mich zu, geht in Nase und Lunge und … oh! Liebe Madame Suisse francophone! Das schaut ja interessant aus! Werden Sie jetzt lebendig? Werden Sie gleich wieder zu tanzen beginnen? Ihre kleine Gestalt scheint vor Energie zu bersten. Oder machen das meine neuen Augen? „Tatüü Tataa“ kommt beim weit offenen Fenster herein; ich rechne nicht damit, dass alles so bleibt. Ich schaue wieder zum Bildchen der Madame Suisse francophone – zufällig oder was lehnt es im Mittelpunkt meines Gesichtsfeldes von hier im Bett aus bei genau dieser Kopfhaltung. Die Augen beginnen zu jucken und zu tränen und fallen mir zu. Ich jedoch will sie noch ein wenig offen halten und viel viel Welt hereinlassen. Ich bin glücklich in meiner asymptomatischen Asservatenkammer.

 

(26.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

Mittwoch, 25. August 2021

2392 Die Luft ist rein

 

Sisyphos, mein Freund, ich sitze vor dir in der Albertina modern und ich blicke zu dir, wie auch du zu mir blickst. Wir beide Befreite erkennen einander. Ich habe gestern ein wenig dem Shiva beim Tanzen zugeschaut! Stell dir vor! Ich bin so erleichtert: die Luft um mich ist jetzt so rein – dieses ganze Gekeife und dieses Nazisperrfeuer und die hinterlegten Minen – weg. Keine Stimmen mehr, die mich als Versager, Unnötiger, Loamlocherl beschimpfen – und ich meine nicht nur die Stimmen meiner Eltern, sondern auch die der gewalttätigen Lehrer, der ohrfeigenden Ärzte, all die Runtermacher und Verurteiler und Bloßsteller bis hin zum bajuwarischen Affenarsch – alle weg. Keine Stimmen mehr, die mich zur Sau machen und mir zu verstehen geben, dass ich nur Dreck bin. Mein innerer Dialog ist bereinigt. Ich kann lachen und mich freuen, gütig und aggressiv sein – wie ich mich entscheide.

Die Farben auf deinem Gesicht, deinem Leib, deinem Stein: wie schön sie sind. Ich gehe lachend, auch in die Irre, und freue mich. Die Luft ist rein. Ich kann meine innere Stimme empfinden. Die Luft ist rein. Endlich kann ich aus der Deckung. Niemand schießt mehr auf mich. Das wollte ich dir erzählen, Freund Sisyphos.

 

(25.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2391 Das Buch mit den sieben Siegeln

 

Das Buch mit den sieben Siegeln. Oratorium von Franz Schmidt.

Bei Oratorien, also meistens der Vertonung von Bibelstellen, hat jeder Komponist, jede Komponistin die große Schwierigkeit, einen völlig unpoetischen, erzähltechnisch konfusen und in Erklärungen abschweifenden, in schlechtem Griechisch geschriebenen, holprigen, redundanten, geradezu hingeschissenen Text zu vertonen. Das gilt auch für die Johannes-Apokalypse. Glaubt mir, mit hingeschissenen Texten kenn ich mich bestens aus: Denk- Kontroll- Korrektur- und sonstige Faulheit, Ergriffen-Sein von der eigenen Vision und der eigenen Wichtigkeit (trotz Demutsgetue – lasst euch nicht täuschen!) – das „Verbrechen der Zufallsseher“ (C.Castaneda). Ja, das trifft auch und gerade auf die Johannesapokalypse zu. „Meine“ Seher würden solche Visionen als sich verbindlich gebende Vision und Botschaft aus dem Stillen Wissen ablehnen und zurückweisen, weil offensichtlich ist, wie der Zufallsseher keine Ahnung von den Voraussetzungen und der Natur seiner Vision, keine Kontrolle über seine Projektionen hat und sich als „Auserwählter“ im Eigendünkel sonnender Idiot sich völlig überschätzt. Das schließt nicht aus, dass aus solchen Visionen schöne, berührende, staunen machende Bilder entstehen können, freilich zweifelhafter Aussagekraft, aber dennoch interessanter Wirkungsgeschichte. Dennoch: als Faustregel gilt: je üppiger, undurchschaubarer, geheimnisvoller, unverständlicher desto verdorbener die Vision. Ich mein, das berühmte „mene mene tekel unpharsin“ ist doch eine klare Offenbarung dagegen: „gewogen und zu leicht gefunden!“ That's it! Punkt! Aus! Amen!

Also der Komponist oder die Komponistin steht (oder  sitzt) vor einer in sich unlösbaren, von vornherein zum Scheitern verurteilten Aufgabe; er oder sie kann nur versuchen, möglichst tapfer und schön unterzugehen. Und das ist Franz Schmidt in seinem Oratorium wunderbar geglückt. Die Spannung kann bei so einem Text schwer durchgehalten werden, bei all dem umständlichen Gerede muß die Spannung immer wieder abreißen, aber Franz Schmidt ertrinkt nicht gleich, er kann die abgerissenen Fäden immer wieder auffangen und neu verknüpfen und uns so zum grandiosen finalen Halleluja hinführen. Ein Halleluja, das wie ein Ausbruch und Aufschrei an Lebensfreude und - ich würde sagen – Wut auf den unmöglichen Text und – wohl dem Komponisten unbewußt – Wut auf die Kastration den Lebens durch die Mutter Kirche – zu einem kosmischen Tanz wird, in dem das Leben – sozusagen mit roma-magyarischer Musikunterstützung – in den Geigen gegen seine Verkümmerung aufjault und in immer und immer wieder neuen Anlauf zur schieren Lebensfreude nimmt. Und ich bleibe dabei: mit zunehmen Zorn des Chores auf den Text und die Vorschriften der Heiligen Katholischen Kirche, der musikalisch herrlich im rhythmisierten Singen der Chores seinen wunderbaren Ausdruck findet. Bevor er dann doch klein beigeben und die Kirche triumphieren lassen muß.

Ja und dann muß der arme Komponist nach diesem grandiosen Höhepunkt und Abschluß noch die eigentlich unverschämten, gottlosen Selbstbezeugungen als von Gott legitimierter Seher des Johannes vertonen. Weil das halt noch in der (nur teil-)Heiligen Schrift so dasteht: ich der Johannes bin es, der das gesehen hat und bezeugt, dass das von Gott kommt und ihr müßt mir das glauben – der typische, hysterische Irrtum der Zufallsseher. Der arme Komponist. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen: er hätte das einfach wegstreichen können.

 

(25.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2390 Shiva tanzt (Teil 2)

 

Und dann begann der Tanz Shivas. Ich hatte das Schreibzeug weggelegt. Ich nahm mir vor nur zu genießen. Aber es war anstrengend, denn ich wollte mir beweisen, dass ich die Kontrolle nicht komplett verliere (das war mir anscheinend so wichtig, um mich sicher zu fühlen; und gut so). So habe ich das Katzenkisterl ausgeräumt, sogar die Toilettenschüssel mit der Bürste gereinigt, den Laptop heruntergefahren und abgedreht – alles während Shiva tanzt – mein Tagesgewand aus und den Pyjama angezogen, alles schön hingelegt, die Zwischenräume zwischen den Zähnen mit Zahnseide gereinigt, mir die Zähne geputzt, sorgfältig darauf geachtet, dass ich mir nicht unabsichtlich das Wasser zu heiß aufdrehe – alles während Shiva tanzt – sogar den herausgezogenen Stecker meines Kopfhörers habe ich wieder an den CD-Player angeschlossen, brav das Licht abgedreht – das alles, während Shiva tanzt,    Shiva tanzt …  Shiva tanzt …

Und jetzt? Am nächsten Morgen? Jetzt atme ich tief und erleichtert auf. Ich blicke auf die vier obersten Bilder an der Wand und will, dass sie mir ihre Aura zeigen. Aber schon ist es mir völlig egal, ob ich dort ein kleines Wunder sehe oder nicht, denn das Wunder geschieht dort auf jeden Fall. Die drei Bilder oben treten mir heute besonders klar und rein und entschieden entgegen; brauchen keine Aufpfefferung von außen: sie sind aus ihrem Inneren klar, stark und schön (das vierte Bild ist es als liebevolle Photographie meiner Tochter soundso). Madame Mi-Tsi kommt zu mir - ich unterbreche meine Notizen.

Ich bin ausgeschlafen und munter. Ich amüsiere mich darüber, dass das Tixo-Roller-Dings genau vor dem Kärtchen mit dem Bild des Rückenakts vom Manguin steht und es vor meinem Blick verbirgt. Dabei gefällt mir dieser Weiberarsch so! (Ich habe Identität und Kontinuität nicht gänzlich verloren.)

Apropos: auch die Bücher und die Karten und all das Zeugs hier im meiner Kemenate stehen in würdigem, innerweltlich leuchtendem, schwerkraftresidentem Glanz: vornehm, selbstbewußt, in edler Zurückhaltung.

Die Luft ist rein! Die Luft ist so rein!

 

(25.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2389 Shiva tanzt (Teil 1)

 

Das Glitzern auf der Weihwasserflasche, die ich gerade in der Hand gehalten habe. Und auf dem Glas, in dem ich Pflanzensamen für meinen klandestinen Garten am Flußufer aufbewahre und die ich heute ausstreuen gegangen bin. Und an meiner Brille fürs Laptop, die auf dem Schreibtisch dort liegt und schwächer ist als meine normale Lesebrille. Auch der eine oder andere Buchrücken glitzert ein wenig. Ein festes, fettes, aber schwächeres Glitzern sitzt auf meiner Klammermaschine vulgo Tacker. Viel Glanz kommt von meinen Photos des von mir bewunderten und geliebten Graffitos unter der Franzensbrücke, das in dieser endlichen Realität schon zerstört ist, aber sicherlich in der Zeitlosigkeit weiterlebt. Meine Augen gleiten im vertrauten Zimmer über die vertrauten Wände und harren der Ereignisse.

Mein Magen knurrt melodiös. Ich stehe jetzt vom Bett auf und gehe ins Musikzimmer, um aus dem Fenster zu schauen; vielleicht gibt es etwas zu sehen.

Auch der Weihbrunn glitzert, wie ich jetzt feststelle. Ich habe die Kopfhörerstöpsel aus dem CD-Player herausgezogen und höre die Musik laut und wieder auf dem Bett liegend (Roscoe Mitchell „Bells For The South Side“). Die Spannungen um meinen Schädel, die ich soeben erst bemerkt habe, beginnen sich zu lösen. Dem Glitzern entsprechen die Glockenschläge in der Musik. Jetzt fällt mir erst das Glitzern am Weihrauchgefäß auf. Meine Ohren werden heißer. Das ist für lange Zeit das Einzige zu berichten.

Allmählich bekommen die einzelnen Gegenstände in meiner Umgebung Intensität und nehmen Fahrt auf. Die Tenorsaxophone trauern gemeinsam. Die Perkussion ist ganz, ganz zart. Trotzdem passt der Katze die Musik nicht. Das Schlagzeug schlägt ein bisschen kompakter zu. Die Überhänge der gestapelten CDs über meinen alten Kassettenberg.

Beginnt jetzt der Lichtertanz? Die Musik hüpft jetzt mehr, als sie tanzt. An der Nasenwurzel zwischen meinen Augen staut es sich. Was? Ton? Licht? Wie ein rustikaler Angeber schiebe ich mir zwar nicht die Sonnen- aber die Lesebrille auf die Stirn und sofort wird alles kleiner. Jaaaaahhh! Jetzt beginnt ein langsamer, schwerer Tanz voller Erdanziehungskraft und Auftrieb. Das dicke, fette Walross. Die Musik ist wunderschön. Eine lächelnde, vergebliche Trauer legt sich über alles. Ich blättere um. Die schlafende Katze behält die Oberhand, während ich abvibriere. „Wer läutet so spät durch Nacht und Wind?“ Der frankophonen Schweizerin (radio swiss romande) geht der Hut hoch. Ich fange zu dirigieren an, natürlich bloß hinterher. „Das Kommando sagt ...“ Das Wunder ist mit leichter Übelkeit unterlegt. „Ach ja! Was soll das! ...“ Die Bilder beginnen mit mir zu tanzen. Die Katze schnarcht die verklingende Musik weiter. Das größere Wunder ist eigentlich, wie die Schrift aus dem Stift rinnt. Meine Vesuvsteine beginnen zu glitzern. Herrliche Schauer durchschauen mich. Liebe arme frankophone Schweizer Frau! vergiß doch endlich den blöden Hut und laß – bitte! bitte! - deine letzten Hüllen fallen. Ich will schauen, nichts als schauen!

 

(24.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 24. August 2021

2388 Vorm Lift im Hochhaus in New York

 

Dunkelheit und Stille. Übelkeit. Die Angst kriecht in meinem Gedärm herum. Die Katze stört mich beim Schreiben. Schrei-ben, spei-ben. In mir herrscht seit einer Woche Alarm. Wovor will mich der warnen? Um meinen Kopf schwebt eine unsichtbare, aber fühlbare gallertige Substanz, beeinträchtigt meine Kopfbewegungen, mein Denken und Erinnern. Warte ich vorm Lift im Hochhaus in New York? Die Träume setzen sich in dieser Zeit so fest.

 

(23.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2387 Schnell und zielgerichtet

 

Auf der Wiese draußen sonnen sich zwei Gartenstühle aufrecht und stolz. Ich fürchte die Sonne, dass sie mir in den Kopf sticht. Irgendwo surrt – wie fast immer und überall – irgendein Gerät. Die vorbeifahrenden Autos. Eine Kastltür quiescht, Wasser wird auf und wieder abgedreht. Jemand summt leise Mantras. Einzelne Grashalme zittern. Hinter einer großen Fichte ballen und wölben sich Wolken. Eine Böe geht durch den Garten und läßt die Äste der Sträucher und Bäume sich wiegen; selbst die größten Bäume hier wanken feierlich und freundlich. Ruhe und Unruhe. Ich bin wie in Trance und wache nicht ganz auf – das ist schon seit einer Woche so. Ein weißer Schmetterling fliegt erstaunlich schnell und zielgerichtet durch die Apfelbäume.

 

(21.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 20. August 2021

2386 Die Übelkeit hört nicht auf

 

Vormittag. Die Übelkeit hört nicht auf. Angst ist auch da. Ich weiß nicht wovor. Das geht schon tagelang so. Wenn ich die Angst im Körper zu lokalisieren versuche: im Bauch. Wie ein Knoten hockt sie dort; ein Knoten, den ich nicht auflösen kann. Ich bin seit einer Woche irgendwie verschoben. Ein neuer Status, an den ich mich erst gewöhnen muß? Eine Krankheit? Eine Impfreaktion? Die politischen Entwicklungen? Etwas mit den Augen? Etwas mit den Ohren? Etwas mit dem Herzen? Etwas mit dem Hirn? Etwas mit der Bauchspeicheldrüse? Sonnenstich? Zipfflash? Nichts von dem? Ich fürchte mich vorm Schwindel beim Aufstehen und Herumgehen. Es genügt ja schon, dass ich den Kopf drehe. Um meinen Schädel surrt es sowieso wie verrückt und es gibt auch akustische Flashes: im monotonen Gesurre schlägt plötzlich der Zeiger wie ein Seismograph bei einem Erdstoß nach oben aus, aber akustisch: in Tonhöhe, Soundbreite und Intensität.

 

(20.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2385 wusch - flash

 

Kühl ist es in der Morgendämmerung und sehr still. Mali Lošinj ist ein abstraktes Bild geworden; es sind nur mehr Flächen erkennbar. Und immer ist mir leicht übel. Mein Zwerchfell vibriert und ein unbekannter oder vergessener, schwacher Schrecken sucht mich heim. Vielleicht gar nicht unbekannt, sondern aus den Tiefen der Kindheit. Vielleicht will ich den Schrecken nicht kennen. Vielleicht will ich mich nicht erinnern. Und immer diese Übelkeit; die ist sicher neu. Vor ein paar Tagen macht es wusch – flash und ein dunkler Balken fährt von unten durch mein Gesichtsfeld und seitdem ist mir fast ständig – in unterschiedlicher Intensität – schlecht. Ich werde versuchen, wieder einzuschlafen.

 

(20.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2384 Unterzuckert

 

Wo ist mein Toast? Ich bin hungrig und unterzuckert!

Ich fange nochmals an. Wenn man nichts ist, muß man eben aus sich etwas machen, oder? Oder? Obwohl ich inzwischen den Toast verzehrt habe – der Song jetzt im Lokal gefällt mir nicht: Ich hasse gewisse Rhythmen der Fünfzigerjahre und speziell den der Lamourhatscher, und deren Chöre. Das bei mir popularmusikalisch sowieso nicht so beliebte Italienisch hilft da auch nichts.

Ja das jetzt gefällt mir schon viel besser: englisch, punkische Gitarrenschläge, interessant einsetzender, eingesetzter und einsitzender Bass; differenziertes Schlagzeug; monotonoider Singsang, etwas gepresst, etwas emotionalistisch vorgetragen: in dieser Post-Kombination genialisch.

Und jetzt: Bass ist der Träger des Songs; Schlagzeug einfach und gut; Gesang: französisch. Es hilft nichts: die Pop-Rock-Musik ist die Rache der germanischen Völker an den Romanen für die Christianisierung. Die Romanen kriegen den Rock selten so ganz hin.

Ich schau mich nach den Gästinnen im Garten um – selbst sitze ich beim Schreiben und Lesen lieber in Räumen – weil ja auch die Sprache ein Raum ist; erst recht wenn der Wind einem alles verblättert und Wespen um einen herumsummen. Deshalb lieber innen. Fenster und Türen jedoch dürfen bei entsprechender Witterung gerne offen sein. Schreiben braucht einen gewissen (oder ungewissen) Abstand zum Leben.

Ja, das Stück gefällt mir! Französisch gesungen, mit afrikanischen Rhythmen und Saiten-Zupfereien: das passt zusammen! Die Singstimme: weiß.

Wieder Französisch; irgendwas am gare. Die zweite, weibliche Stimme spanisch? Okzidanisch? Latein wird’s nicht sein. Geht irgendwie. Beide Stimmen sprechen, aber es wird auch elektrisch geschweißt.

Aber jetzt geh ich heim. Die Heimreise ist bei diesen U-Bahnumbauten eh kompliziert genug.

 

(19.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 19. August 2021

2383 Mein liebes liebes Zimmer

 

Mein liebes, liebes Zimmer! Meine bunte, absurde, verrückte, lächerliche, freche Ikonostase, die ich im Aufwachen mehr noch aus dem Schlaf heraus glückselig betrachte und die mein Herz erfrischt.

Meine geliebte, angebende, chaotische, verstaubte, überladene, entstellte Bücherwand, auf die ich so stolz bin und die mich immer an mein ernsthaftes Lebensprogramm erinnert, mich gleichzeitig vor meiner Aufgeblasenheit warnt und mir meine Ungebildetheit und betrügerische, unechte Seriosität vorführt. Größenwahn und Kleinheitsfimmel.

Ach und die vielen Kunstkarten, überall platziert und angelehnt, ein wenig verraten sie meine wahren Interessen, wenn man die nackigen Weiber zählt.

Die vielen Zeichnungen und Basteleien meiner Töchter: die holen eine tiefe Trauer hervor, weil es offensichtlich ist und ich es nicht mehr verdrängen kann, wie unwürdig ich mich dieser reinen mir entgegengebrachten Liebe erwiesen und wie sehr ich meine Kinder im Regen stehen gelassen habe – völlig in mich selbst verkrümmt.

Meine eigenen Bilder, die ich sehr, dann gar nicht ernst nehmen kann, über die ich lache oder mich freue, und die ich öfters nutze – ich weiß nicht, ob in andere Dimensionen zu gaffen oder doch bloß eine groteske Selbstinszenierung und -erhöhung zu betreiben. (Aber verbrennen werde ich sie nicht mehr!)

Der Schreibtisch, der auf den ersten Blick nach ernsthafter, chaotischer Arbeit und ernsthaftem Forschen und Lesen, oder meinetwegen nach anstrengender Verwaltung aussehen mag, aber doch den stundenlangen Internetsüchtler verrät.

Die kultischen Gegenstände, Werkzeuge und Aufbauten: zwanghaftes und frömmelnde „Vollzugswichtigtuerei“ (c/o W.Döbereiner) oder zynische, spöttische Gotteslästerei.

Mein Zimmer! Das mir wirklich Zufluchtsort und schützende Höhle ist. Spätestens wenn ich sterbe muß ich ohne all dem auskommen, und nackt der Unendlichkeit gegenübertreten. Bis es so weit ist genieße ich diese Inszenierung hier.

 

(19.8.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2382 Fernweh

 

Mein Fernweh geht immer nur bis ein kleines Stück hinter den Horizont. Und ich möchte zu Fuß dorthin gehen. Zug geht auch. Das sage ich wieder in meinem Zimmer hockend. Wieder daheim.

 

(17.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 16. August 2021

2381 Mit fernwehendem Blick

 

Niedergelassen habe ich mich am Heiligen Frauenberg neben dem Marstempel unter einem Apfelbaum. Ein Mann ruft seine „Hallo Mutter!“ an. Er und sein Weib gehen kichernd weg und ich wechsle auf den verlassenen Sitzplatz. Ich betrachte den Sonnenstrahlentisch und den Schatten meiner schreibenden Hand. Der Eingang zur Mars-Tempel-Ruinen-Rekonstruktion ist mit zwei rostenden Eisenplatten begrenzt und markiert – die rechte, auf die ich blicken kann, ist in ihrem ausdifferenzierten Rostbraun so schön! So schön!

Die Kirchturmuhr schlägt halb. Freundlich flattert der steirische Panther. Mauersegler/Schwalben fliegen umher; unablässig krähen die Hähne: es muß hier viele Verleugner geben – vielleicht  Verleugner des slawischen Erbes.

Die Ebene läßt meinen berührten, weichen, fernwehenden Blick in die Weite ausschweifen. Unbestritten: ich bin auf einem Heiligen Berg. Die Kustodin lenkt den Blick des alten Besuchers Richtung Graz, nicht Richtung Maribor und der Štajerska. Das Wasser des Trinkbrunnen plätschert, wird aber nicht getrunken. Feigenbaum und Zitronenstaude werden dem alten Mann vorgestellt. Und wieder krähte ein Hahn. Der tote Baum im Friedhof hinter der Mauer erinnert mich an ein Bild; zunächst komme ich nicht drauf, an welches, dann fällt es mir ein: es ist das Bild auf dem Winterwimmelbuch für Kinder. Die Turmuhr schlägt dreiviertel. Ich gehe wassertrinken. Nach dem Hinsetzen drehe ich mich in Richtung Slowenien. Ich blicke auf Wagna und Gralla. Bin ich froh, dass ich keine technische Ausbildung gewählt habe – diese Ausbildung kann völlig verderben – und hätte mich möglicherweise verdorben wie den Franz Fuchs.

Auch unter dem Apfelbaum steigt die Hitze. Das Gerede und Gegacker der ankommenden Touristen – heute sind es mehr – nervt mich und ich schalte auf arrogant. Natürlich zu unrecht und abermals kräht ein Hahn.

 

(14.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2380 Gazevorhang

 

Das Leben ist draußen und macht sich mit Autolärm und Kinderstimme durch die offene Türe bemerkbar, sodaß ich, der ich vor dem schwarzen, blinden Fernseher sitze und weder fern noch in das Wesen der Dinge und des Lebens sehe, in der vorübergehend zu meiner Einsiedlerhöhle umgemodelten Ferienwohnung akustisch am Leben mitlausche, während ich meinen Blick durch Gazevorhang, Glas und Fliegengitter auf die große Fichte drüben richte. Denn hier vom Bett aus kann ich weder durch die offene Tür schauen, noch durch das andere Fenster. Ich sehe bloß „life, smile, love“ an der Wand und grüble ganz am Rand, ob diese Zusammenstellung hinreichend, ausreichend oder notwendig ist. Jetzt ertönt plötzlich eigenartige Musik und unsichtbare Dinge werden verrückt. Wie gesagt: ich sehe nicht hin, ich höre nur.

Die Große Fichte ist durch die Muster des Gazevorhangs vershattert und löst sich durch den Faltenwurf und seine hellen und dunklen Streifen beinah in ihre Bestandteile auf. Ein leicht hysterischer Chor singt mit stoßender Akkordeonbegleitung „lalala“.

 

(14.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2379 Meine Wanderung links und rechts

 

Nachmittag. Meine Wanderung links vom Seggauberg zur Steinernen Wehr und rechts – oder jetzt links, weil ich mich ja umgedreht habe – am Seggauberg vorbei zurück nach Frauenberg in die Unterkunft. Ich starre nun durch das offene, fliegenbegitterte Fenster auf die Große Fichte drüben. Irgendetwas grieselt durch die Atmosphäre: ob in der vom grauen Himmel grauen Luft Korpuskel, Äthertröpfchen, Luftfeuchtigkeit oder allerkleinste Regentropfen, oder magische Vorläufer, die den Regentropfen die Luftwege präparieren … ein Telephonanruf reißt mich Göttinseidank und zum Glück aus den hirnrissigen Spekulationen.

Schon wieder brummt etwas elektrisch, begleitet den akustischen Autoverkehr und … ah! Wieder haben die Konturen am Horizont eine ein Zentimeter breite bläuliche Aura. Fliegen fliegen von innen ans Fliegengitter. Irgendetwas ist verkehrt in der Welt.

 

(13.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2378 Mariae-Himmelfahrt-Preparación

 

Am Frauenberg von Lipnica sitze ich unter einem Apfelbaum und blicke weit ins Leibnitzer Feld hinaus, weit bis in die Štajerska Slovenija. Um mich, unter mir, über und um mich herum tausende Jahre Kultgeschichte. Von keltischen Göttinnen über Isis Lactans bis zur himmelfahrenden Maria (die stillenden Mütter sind verschwunden? Alle auf Trip? Aber nein! Nicht doch! So ein Blödsinn!). Links von mir blüht ein großer Rosenstrauch, vor mir nachbetonierte Säulenstümpfe, den vermuteten Standort des Säulenvorbaus des Tempels des Mars Latobius kennzeichnend (finnisch als Torten identifiziert; familieninterner Scherz). (Apropos Muttergöttinnen und Mars: „Mond-Mars: die erregten Schleimhäute“ (W. Döbereiner).)

Dieser Platz da auf dem Plateau des Kultberges ist ein Wahnsinn, einfach ein Wahnsinn! Sicher ein Kraftort! Der steirische Panther auf der Museumsfahne windet sich und lacht mich aus ob meiner durch nichts begründeten Behauptung … - was weiß ich schon von Kraftplätzen? - und lacht und prustet und spuckt im Lachanfall Feuer. Rings um mich die typischen landesüblichen Geräusche tüchtiger Rasenmäher, Autofahrer, Mopedlenker – aber im Moment alle unten in der Ebene. Hier heroben nur das Klopfen eines Spechts und leiseres Schlagen von Metall auf Metall und ein paar menschliche unverständliche steirische Zurufe. Ein Hahn schreit, ich niese laut, die Turmuhr schlägt zehn. Ein Flugzeug, zweistrahlig, quert den unsichtbaren Himmelfahrtschannel – ein verdichteter Moment, für den ich zu dumm bin, um ihn zu verstehen oder zu nutzen. Eine Königskerze ragt dort drüben blühend hinter dem römischen Kräutergarten hervor, eine heisere Taube? gurrt kurz auf, irgendein flügelschlagendes Drama spielt sich in den Bäumen hinter mir ab; doch keine Taube? Ein aufgescheuchtes Käuzchen? Ich gehe hin und schaue den Abhang hinunter, sehe aber nur eine Frau unter der Steinmauer, die dieses wundertätige Areal einfriedet, jene mit Pferden bei der Apfelernte.

Trotz allem rundherum ist Stille hier; zustimmend summt eine Biene vorbei und flattert der Panther im Wind. Der Himmel ist von feierlichen Dunstschleiern und gewölbten, gebauschten Feiertagswolken wie auf einem Barockgemälde durchzogen. Denn für mich ist schon Feiertag: Ich feiere Mariae-Himmelfahrt-Preparación. In der Nähe wird irgendetwas ausgeladen; ein weiteres Motorflugzeug (einmotorig) röhrt über den Himmel und moduliert sein Geräusch in unglaublichen Varianten. Bin ich wirklich in einem heiligen Bezirk und kann Heilung erwarten? Motorräder und Autos jammern unten in der Ebene herum.

Redet das Käuzchen im Schlaf? Träumt es und will mir eine Botschaft der hiesigen Göttin überbringen? Ich stehe auf und gehe zum Steinmäuerchen und suche im Gebüsch und im kleinen Wäldchen nach dem Vogel, aber entdecke ihn nicht. Ich bekomme leichte Kopfschmerzen und bemerke erst jetzt, daß ich bei einem Hollerbusch stehe; ich ziehe den Hut und die Verkrampfung ist weg! Doch ein Kraftort! (oder sollte mich bloß der Hut gedrückt haben? Hm?) Hier darf mann sich mit der Frauen- und Göttinnenverehrung nicht blöd spielen! Vorm Baum der Frau Holle ist der Hut zu ziehen und aus! Ein weißer Schmetterling umkreist mich in weitem Bogen; erste Touristen treffen ein, das Tempelmuseum öffnet bald. Jetzt erst merke ich es: im Friedhof steht ein toter Baum. Seine kahlen Äste zeichnen ein schöne, graphische Struktur über die große Ebene von Flavia Solva und in den dunstigen Himmel. Die Kirchturmuhr schlägt halb.

 

(13.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2377 Wallfahrtskirche Frauenberg ob Lipnica

 

Zwei Tage vor Mariae Himmelfahrt sitze ich in der Wallfahrtskirche von Frauenberg bei Flavia Solva. In zwei Tagen also ist Kirchtag. Die Kräuter für die Kräuterweihe werden schon bereitet. Die Himmelfahrten sind mir ja - wie ihr alle meine Leserinnen wißt – die wichtigsten religiösen Feste. Fast wären die weiblichen Himmelfahrten unterschlagen worden – hier nicht. Zwar dominieren hier in der barocken Ausstattung die Männer zahlenmäßig, aber in der Kath Kirch haben sie gerade rechtzeitig vorm Totaldurchbruch des Rationalismus und vier Jahre vor meiner Geburt die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel als Dogma (1950) abgesichert. Links von mir hängt der allerfrömmste, glatte, geschleckt wirkende Aloysius – mein zweitplatzierter Namenspatron – mit jeder Menge dieser halbobszönen Puti. Dann vorne oben an der Decke die Apostel, die die Maria mit aufgebauschtem Gewand davonsegeln sehen (oh armes, rationalistisches Barock!). Beim anderen Deckenbild thront Maria – die sich nach der Lektüre des die Fresken erklärenden Textes in dem in der Kirche am Schriftentisch bereit liegenden Heftchen als König Salomon herausstellt – (verdammt! Ich seh schon schlecht! (Ausrede!)) - wie Kaiserin Maria Theresia, regiert die leere Himmelstreppe während links und rechts gehuldigt wird und um eine gute Stunde des Absterbens Amen gebettelt (in Wirklichkeit, sagt der Begleittext, besucht die weise, schöne Königin von Saba/Jemen den König Salomon!)

Direkt über mir hat Judith gerade dem Holofernes vermutlich beim Sex – wird natürlich nicht gezeigt - den Kopf abgeschlagen; ganz verdattert lehnt er noch im Bett und kennt sich nicht aus (ungefähr so, wie ich beim Schreiben im Bett lehne – vielleicht war er auch zu kopflastig). Ahja! Für christkatholische Verhältnisse schon recht viel Frauenpower hier herinnen! Elisabeth sehe ich; Anna, wenn mich nicht alles täuscht, immer wieder die Maria … möglicherweise auch bei ihrer Hochzeit mit Joseph, wo sie ganz rot wird (ich bin vorsichtiger geworden in meinen Deutungen).

Die Manderln hier oft mit den typisch seitlich geneigten Köpfen (nach W. Döbereiner, dem Bajuwarischen Affenarsch, ein Zeichen von Verlogenheit) …  Ach! Genug jetzt! Ich gehe zu den heidnischen Tempeln hier am Berg.

 

(13.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2376 Bearbeitung

 

 

Die Sonne geht hinter den Glasscheiben des Fensters als orangener Ball auf und ich bin damit den nächtlichen Mafiaverstrickungen entkommen. In ihrem Zentrum ist die Sonne weiß und ich neige meinen Kopf nach rechts, um nicht geblendet zu werden. Wobei ich nicht weiß, welche meiner gestrigen Wahrnehmungen ich nicht hätte sehen dürfen. Eine Krähe ruft, und wieder verstehe ich nicht, was sie mir ausrichten will.

Ein Motorengeräusch, von dem ich weder weiß, was es ist, noch ob es von innen oder außen kommt. Mein akustisches Universum hinkt meinem optischen heute nach und ist noch nicht ganz fertig gebaut. Das Sonnenlicht wird immer gelber und zentralweißer. Meine linke Hand verkrampft sich und das akustische Universum wird mir leicht unheimlich, während das optische idyllisch bleibt. Das monotone, mehrstimmige Brummen moduliert und variiert minimal Tonhöhen und … Schlußakkord. Der Kühlschrank erzittert. Mir fallen wieder die Augen zu, trotz Bearbeitung durch eine Fliege.

 

(13.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2375 Mein Kopf erscheint bei den Äpfeln

 

Mein Schatten kann in der Baumkrone gehen, wenn ich und die Autoscheinwerfer nur richtig stehn; mein Kopf erscheint bei den Äpfeln; nur kurz, dann ist das Auto weitergefahren und mein Schattenbild ist versunken, bis das nächste Auto aus der richtigen Richtung kommt und die richtige Kurve nimmt. Den Sternschnuppenschauer in den Perseiden finde ich nicht. Wolken treiben sich herum. Für mich kein Komet, der mir mein Ziel zeigt. Egal, ich will nicht ankommen, solange ich mit leeren Händen unterwegs bin, ohne Gold, ohne Weihrauch, ohne Myrrhe. Und Sternschnuppen zur Wunscherfüllung sehe ich auch nicht, dabei ist eine Bestellung beim Universum noch offen. Aber ich nehme alles hin, wie ich alles glaube.

 

(12.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2374 Luftgetrocknet

 

Ich bin im Freiluft-Ausstellungs-Raum des Städtischen Bades Leibnitz und ich sehe ein massig bewegtes, lautes Stillleben. Unbewegt: gelbe, rötliche, braune, grüne Flächen; bewegt: viele menschliche Figuren und ein paar Buggies und Kinderwägen. Ich studiere auch die menschlichen Gestalten und Anatomien – Muskel, Knochenbau, Proportionen, Hautfaltungen, Auswölbungen – damit ich endlich lerne, Menschen zu zeichnen. Ein luftgetrockneter Husten und meine Müdigkeit unterbrechen meine Betrachtungen, während eine Zwei-Millimeter-Ameise mich am rechten Bein kitzelt. Da ich mich weder anlehnen noch das Notizbuch irgendwo auflegen kann, ist meine Schreibhaltung sehr ungemütlich und mein Kreuz rebelliert schmerzhaft. Ich muß immer wieder unterbrechen, um die schmerzenden Glieder zu strecken. Eine Fliege attackiert meine jugendlich aussehende Frau, die da ausgestreckt auf dem Bauch in der Sonne liegt. Gelegen hat: die Fliege hat sie aufgescheucht und sie greift zum Smartphone. Ich schaue mich wieder im lauten, unruhigen Stillleben um: es gibt hier Ärsche, die zittern; Bäuche, die wabbeln; Füße, die stapfen; Männer, die wanken; Köpfe, die schütteln und solche, die ziemlich festsitzen; Brüste, die ruhen, hängen, stehen, und solche, die tanzen und hüpfen. Und Kinder, die kreischen und jauchzen.

 

(12.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2373 Ich Verräter

 

Aus dem Smartphone, das nicht mein ist, tönt ausschließlich Frauenmusik. Also Musik von Frauen zumindest gesungen, wenn nicht komponiert. Dazu das Summen der Fliegen, die sich immer wieder auf meine nackten Beine setzen. Die Gesänge des fast schon ins Idyllische verschobenen, unvermeidlichen Autoverkehrs. Die Fichte weiter drüben reckt ihre Äste über die Dächer der Häuser in den leeren Himmel und läßt für ein paar Sekunden eine Weiße, leicht bläulich unterlegte Aura aufleuchten. Zwei Fliegen sekkieren meinen rechten Oberschenkel. Im Fenster mit der Fichte wandern die Nachbilder schon vorher herum. Dazu immer diese sanfte, melancholische Musik. Ein Stuhl knarrt. Auras leuchten und rucken hin und her. Der leere Glasscheibenhimmel bekommt einen violetten Touch. Soll ich herschreiben, dass jetzt die erste männliche Stimme singt? Oder soll ich das der Einheit der Erzählung wegen unerwähnt lassen? Der Sänger singt sehr sanft, aber eine Fliege setzt sich auf meine Schreibhand -  was rät sie mir? Die Sängertatsache aus erzähltechnischen und mythologischen Gründen unters Bett fallen zu lassen? - ich schreibe nicht am Tisch, sondern wie zu Hause im Bett hockend – ich kann die Fliege nicht verstehen. Ich versteh's halt nicht! Ein Schluck Kaffee noch und ich gehe hinaus.

Hier im Freien ist der Himmel ganz blau und löst gleich einen Notruf aus, denn ein Rettungsauto rast mit Sirenen vorbei. Zu grell in der Sonne. Ich setze mich in den Schatten. Ich hocke nun im alten Stadel; durch die Spalten zwischen den Brettern kommt und streut das Licht herein, erzeugt eine Stimmung von gewisser Feierlichkeit. Ein Hahn kräht mindestens dreimal und kennzeichnet mich als Verräter. Die Heugabeln des Bauernaufstandes hängen - verstärkt um einen alten Schlitten und ein paar alte Schi - an der Wand. Auf dem Querpfosten steht eine madonnenmäßige Frau mit Kind, von einem schrägen Stützbalken am Haupt festgeklemmt: auch die Hilfsgötter müssen festgeklemmt werden, damit sie nicht herunterfallen. Pferde- und Ochsengeschirr, ein Wutzler, ein Tischtennistisch. Ein Traktor stoppt bevor er abbiegt. Alle sind schon bereit zum Aufbruch; ich noch nicht.

 

(12.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2372 Sulm

 

Ich schaue der braunen, sonnenbeschienenen Sulm zu, wie sie sich beim Steinernen Wehr staut und dann ins flachere Wasser abstürzt. Eine leichte Brise läßt dunklere und hellere Spiegelungen im Wasser zittern und flimmern. Ich siz uf einem steine und bin an einem Stein gelehnt; um mich vor allem Weiden. Ein paar Menschen am Ufer, Badende, das Rauschen des Wassers und Haut an Haut mit der Sonne. Der Himmel ist hauptsächlich blau, der Masten der Stromleitung unterteilt graphisch geschickt mein Gesichtsfeld. Mir wird schon etwas heiß, als mich ein Zitronenfalter umkreist. Bald werde ich mich im kalten Wasser abkühlen. Ein Vogel tschilpt; eine Böe blättert mein Notizbuch auf. Blühender Wasserhanf zwischen Schilf am anderen Ufer; ein paar gelbe Blätter treiben langsam im Fluß. Ein Hämmern vom Buffet drüben; viel Dickicht begrenzt den weiten Badeplatz. An der Unterseite der Blätter eines mir unbekannten Baumes tanzen die Lichtreflexionen aus dem Wasser. Ein weiteres gelbes Blatt fällt in die Sulm. Wir gehen essen und ich bin eingeladen. Ein eigenes Lehen für den eigenen Lebensunterhalt wär nicht schlecht.

 

(10./ü16.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2371 Ob Lipnica

 

Hier ist es still. Der Bildschirm ist und bleibt jetzt schwarz. Ich blicke nach vorne und damit auch auf die Kaffeemaschine, die Küchenkastl, den Kühlschrank – alles von der Seite. Mein Kopf ist vom Fön überhitzt und coolt langsam down. Es ist weit vor Mitternacht und ich bin müde. Wir sind nahe bei Lipnica. Ein Wecker tickt. Surren in meinem Ohr. Meine Haut noch feucht vom Duschen. Der Kühlschrank springt an. Ein Apfel-, ein Pfirsich-, ein Birnbaum im Garten. Der Kühlschrank röhrt verhalten, als würde etwas schleifen. Aber es schleift wohl nichts. Mehr habe ich nicht zu berichten.

 

(8. oder 9.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

2370 Höher als erwartet

 

Der Straßenverkehr rauscht, während die Wälder schweigen. Ein Hahn kräht. Die Wolken ziehen von Südwest nach Nordost (schätzometrisch). Ein ganz feiner Hauch streicht über die oberen Teile der großen Krone des großen Ahorns und über meine nackten Arme. Eine Glocke schlägt ein Viertel. In der Ferne hängen fünf Schafe im Steilhang, ein Lastwagen quält sich, für mich unsichtbar. Jetzt kommt die Brise von unten den Hang herauf, wie es scheint, und aus der anderen Richtung. Ein Auto nach dem anderen. Die Rebstockreihen im Weinberg drüben sind horizontal angeordnet; das ist wassertechnisch viel besser, weil der Regen nicht so schnell den Hang hinunter abrinnen kann. Und wieder und wieder kräht der Hahn. Es könnten auch zwei sein, die sich abwechseln. Langsam kommt die Abendkühle; die Sonne hinter den Wolken scheint am Untergehen zu sein. Die Straße vor mir markiert die Landschaft und den Anstieg. Eine Krähe ruft dreimal. Und nochmals dreimal von weiter weg. Die Kirchenglocke ruft zur Abendmesse und die Turmuhr schlägt sieben. Und noch ein Abendgeläute von hinten – wie mir scheint (ich kenne die Schallwellenkanäle und Echokammern hier nicht). Eine Sekunde kommt die Sonne durch die Wolken und steht höher als erwartet.

 

(8.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 6. August 2021

2369 Zwei Murakami

 

Kurz leuchtet an der Spitze der zwei Bücher, wo ich nicht mehr weiß und es von hier auch nicht lesen kann, welche das sind, die da auf den Knausgårds stehen, blaues Licht auf, dann ist es mit der Inspiration vorbei. Ich kippe wieder ins Gedöse und überlege träge und in Zeitlupe und gegen eine unglaubliche Denkzähigkeit, ob ich aufstehen und frühstücken soll. Ich will mitbekommen, was sich bei den Tagis unten abspielt, ob die Küche frei ist, ob jemand von den Eltern da ist, aber mein Auffassungs- und Sinneseindrucks-Verarbeitungs-Apparat ist zu schwerfällig. Der Magen knurrt schon und am Brustbein baut sich ein Druck auf. Ein Wirbel entsteht am Hinterkopf; der Bauch krampft sich ein wenig zusammen, da fällt mir ein: ich habe gestern meine zweite Mahlzeit vergessen. Seit dem Frühstück gestern gegen 1 p.m. nichts Richtiges mehr gegessen.

 

(6.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2368 Eine Fliege

 

Eine Fliege betont die Stille am Vormittag, akustisch unhörbare Schallwellen gehen durch meine Welt. Ein leichtes Zittern von den Fußsohlen bis zur Brust, wo es stationär wird, sich verfestigt und mir eigenartigerweise ein Empfinden von Busen vermittelt. Die Katze putzt sich drüben auf meinem Schreibtisch. Da fällt es mir wieder ein: die Trauer: wieder hatte ich mir ein Hoffnungsszenario aufgebaut und riesig darauf gefreut. Möglicherweise habe ich die Energie vergeblich in diese Hoffnung investiert, aber noch ist es nicht endgültig entschieden – soviel ich weiß.

Ich döse, als ich im Stiegenhaus die fröhlichen Tageskinder höre. Gleich hellt sich die Stimmung auf. Aber wenn ich jetzt aufstehe und frühstücke, bin ich nur im Weg. Dann geht es für die Tagis ans Mittagessen und wieder würde ich in der Küche stören. Mir bleibt nichts anderes übrig, als noch zwei Stunden im Bett zu bleiben.

 

(6.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2367 UdvsVRR

 

Ein herbstlich kühler Morgen. Auf meiner Kopfhaut spielt es sich ab: Kribbeln deckt meinen Schädel ab wie ein Helm. Die Augen wollen mich in den unangenehmen Traum zurückziehen. Meine Augen sitzen in ihren Meditationshöhlen und ziehen und ziehen. Meine Kiefermuskel sind angespannt. Die Welt ist näher an der Welt der Schwarz-Weiß-Grau-Photographie denn an der Welt der Farben. Die Farben der Wirklichkeit sind sehr blass. Wie deren Töne. Auch in meinem rechten Ohr sitzt ein Ziehen und juckt. Das Stierlen mit dem Pilotschreiber verspricht Linderung, aber hält es nicht. Erst nach dem dritten Versuch ist die Mission erledigt. Schaut nach Zerfallstendenzen in der Union der vereinigten sozialistischen Volksrumpfrepubliken aus. Jetzt kribbelt es knapp über dem Nacken und die Ringmuskeln den Schädel spannen sich kurz an. Auf der Schädeldecke hat sich eine kleine Kontraktion gesetzt und bringt Vibration, und das Jucken im rechten Ohr zurück. Vom Kopf gehen die Wellen bis in die Körpermitte und meine schreibende Hand.

 

(6.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2366 Jessica

 

Bei meinem zweiten Erwachen ist der Tag immer noch grau, aber Jessica von Alex Katz in ihrem flachen, gelben Licht strahlt mich an. Jetzt ist sie das Zentrum meiner Bücherwand und das Zentrum meiner Welt.

 

(5.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2365 Stakkato

 

So ein schöner, grauer, verregneter, kühler, dunkler Morgen. Irgendein naher Presslufthammer erzeugt von Zeit zu Zeit dumpfe, unheimlich verhallte Stöße. Wie ein schwerfällig arbeitendes Maschinengewehr. Jetzt arbeitet die Maschine schneller. Die ganze Zeit spüre ich die Schläge in meiner Körpermitte, das Stakkato prallt nun bedrohlich auf meinen Bauch und hört nicht mehr auf. An Schlaf wird nicht mehr zu denken sein.

 

(5.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2364 Rot Rot Rot

 

Kann ich heute Nacht in meinem Zimmer den Regen hören? Nicht so gut. Die Grundfläche des Lichtschachts ist zu klein. Es sind eher vereinzelte Tropfen vom Dach und vereinzeltes Glucksen, aber das richtige Rauschen des Landregens dringt nicht bis zu mir. Nun hat der Regen aufgehört. Die Stille ist leer. Bis mein Surren die Vorherrschaft übernimmt.

Es ist die Farbe Rot, die Lebensfarbe, die mir von allen Wänden, Bildern, den Büchern ins Auge fällt. Auch von Kleidungsstücken, von Photos. Ich sehe ein physikalisches Universum, wo überall das Rot vorkommt und aus den anderen Farben herausleuchtet. Auch aus der Schachtel mit der Bohrmaschine. Auch von der Wäschkluppe, mit der ich das Kabel der Deckenlampe in ihrem zur Verkürzung geloopten Zustand festgemacht habe. Auch von meinem Lesezeichenbändchen meines Notizbuches ein starkes, lebendiges Rot, von den Heiligenbildchen und Basteleien meiner Kinder. Rot. Rot. Rot. Alles kleine lebensbejahende Anstöße.

Nun setzt der schöne Regen wieder ein. Ich werde das Licht abdrehen und lauschen.

 

(4./5.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 4. August 2021

2363 Beziehunganzeigendes Fürwort

 

Der stille Vormittag um neun Uhr. Es ist so still, dass sogar der Grimming von der Ecke beim Bücherregal herüberleuchtet – dort muß es so fünf Uhr früh sein.

Jetzt kommen schon die Tageskinder vom Augarten, also muß es mindestens halb zehn sein. Die Katze auf meinem Schreibtisch schaut aus dem Fenster; durchs Stiegenhaus hallt das fröhliche Geplapper unserer Gastkinder. („Unsere“ Tageskinder zu sagen steht mir eigentlich nicht zu, aber in diesem Fall ist das kein besitzanzeigendes, sondern ein beziehungsanzeigendes Fürwort – obwohl mir das eigentlich auch nicht zusteht.)

Ich schaue – weil es halt gerade „zufällig“ mir und meinem Bett gegenüber auf der gegenüberliegenden Wand steht – auf mein Bücherregal; nicht ohne Stolz, was mir eigentlich auch nicht zusteht, denn meine Bücherwand – im Moment empfinde ich es deutlich – ist auch bloß eine Inszenierung (in meiner Generation konnte man seinerzeit mit einem Buch unterm Arm die Frauen beeindrucken): ich habe fast alles vergessen, was ich an Büchern … weniger gelesen als unverdaut verschlungen habe. Ich bin kein echter Bücher- oder gar Erstausgabenliebhaber. Nein. Ich mache mir jedoch deswegen keine Vorwürfe; ich weiß, was ich Büchern zu verdanken habe, und diese Bücherwand-Inszenierung hier beschützt und stützt mich, respektive mein Ego, respektive meinen kleinen Sinnhorizont. Damit halte ich meine Welt aufrecht.

Einen Stock tiefer ist das Kinderleben in vollem Gange und ich werde mich noch ein wenig zum Schlaf ausstrecken.

 

(4.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 3. August 2021

2362 Albertinischer Rundgang

 

Ich beginne meinen Albertinarundgang im letzten Saal der Stadt-Land-Bild-Ausstellung, und weil die Bank in Blickrichtung zum Klee hin besetzt ist, blicke ich auf den „trefflichsten Kubin“ (Zitat Klee in der Anrede in einem Brief an Kubin). Im fröhlichen, bunten Saal die opiumistische Düsternis des Zwickledter Eremiten. Ich drehe mich – wie immer, wenn diesmal auch von der anderen Seite – zu Noldes Wintersonne und blicke auch – weil es daneben und schön ist – zu Corinths Walchensee im Winter (eines meiner ersten Gedichte als frischer Theologiestudent: „Gnostisches Gedicht: Korinth, Kerinth“). Nun kann ich schräge verdreht auf Klees bunte Landschaft zwischen Winter und Frühjahr blicken. Was für eine Erleichterung, Entfaltung und Erleuchtung: diese graue Zeit so gekonnt und glaubwürdig aufzuhellen und ihre versteckten Farben heraus zu finden! Ich gehe gleich zu Weilers Batliner hinauf und werde in meinem Winkerl stehen.

Ganz, ganz schräg von einer Seitenbank am Gang aus schaut Weilers Heribert Batliner als Ehrensenator der Universität Innschbruck wie eine alte, vorzeitliche Tante aus. Das ist der verfälschende side-up-Effekt. „Does anyone here have the experience, sad music make you feel happy? Me too!“ (John Frusciante) und „Every Light Will Burn In This Well“ (John Frusciante). Eine Schlankheitskönigin geht wiegend vorbei – sich ihrer vermeinten Grazie sicher.

Ich grüße Gaughins schattengesichtige Bretonin mit dem schönroten Leiberl und stehe jetzt in meinem Trotzwinkel und genieße es gegen alle gesellschaftliche Erlaubnis, den schönen (aber längst verwesten) Arsch des Manguinschen Rückenakts anzugaffen. Dann drehe ich mich noch zum blauen Zimmer von Vuillard mit der Frau im schwarzverzierten weißen – hmm? - Bademantel? Hausmantel? So was dieser Art. Ja, die zwei Bilder sind wahre Kunst! Ich weiß nicht, ob die zarte Frau ihren Kopf aus Koketterie, aus Scham, aus Verlegenheit nach Überrumpelung, aus trauriger Resignation, aus Melancholie nach dem Sexualakt, oder brav, weil es der Maler so angeordnet hat, oder was auch immer, warum die Frau ihren Kopf so nach links neigt und ein wenig hängen läßt.

Meine erste große Erholung bei der lieben, geliebten Werefkin – da kann ich auf der Bank sitzen. Das Tier streicht durch die Winternacht, die Männer verschwinden aus der Sturmnacht in die Bar. Ich weiß nicht, was diese Bilder in meiner Seele ansprechen, vielleicht den inneren existentialistischen Streuner (in Einsamkeit und Freiheit!)? Ich drehe mich nun zu Jawleskys bunten Oberstdorfer Berg; diesmal hat der Schi-Schanzen-Zirkus keine Chance. Große grüne stille Wälder an den Berghängen, an den Gipfeln und Kuppen Licht: schlicht, aber alles ist da; nichts fehlt.

Auf lässig und kuhl, die Hände in den Hosentaschen, stehe ich vor dem angedunkelten Dresden und ich spüre große Trauer. Das Bild ist aus dem Jahr, in dem mein Vater geboren wurde. Er und seine Banden haben so viel zerstört: das, was all die Erneuerer und Reformer auf allen Gebieten für die Gesellschaft erschlossen haben: für diese dumme Generation vergeblich! Sie haben alles zurückgemordet. London wirkt fröhlich und wie erlöst. Vielleicht hat Kokoschka 1926 in prophetischer, empfundener Vorschau geahnt, dass er, der „Entarteste der Entarteten“, dort Zuflucht finden wird. Ximena Sariňana singt ihre wunderschönen Lieder. Vor mir hängt Kokoschkas Ansicht von Vernes-les-Bains; ich schlage meinen Blick durch den dunklen grünen wulstigen Wald und entdecke erst allmählich die zarte Stadt dahinter. Und immer zieht mein Blick nach London hinüber. Und wieder zurück in das üppige Grün, das von irdischerem Leben zeugt.

Meine traditionelle kapellarrische Rast vorm depperten Kardinal, dem Bübchen in Amtsüberforderung. Dahinter ganz passend der Klee'sche Clown. Nun sind alle weg und ich sitze allein im großen Spiegel. Aber nur kurz (vermutlich sind hier viele Narzissten und oder Müde unterwegs), dann gesellt sich ein Zweiter auf die Bank und betrachtet und photographiert sich in der Spiegelwand. Ja, auch ich finde mich großartig; schön anzuschauen: gebildet und intelligent und sogar weltgewandt wirkend - ich trage doch das ererbte Gewand vom erfolgreichen Bonusonkel Helmut – aufgepopt mit meinem beschrifteten T-Shirt und den Zöpfchen und die selbstbemalte Maske, dazu die seriös und ernsthaft aussehende Lesebrille. So kann ich leicht brillieren. Ein schöner, toller Mann sitzt mir im Spiegel gegenüber! Ein fescher Zapfen! Der hat alle Chancen: im Leben, zu Erfolg und Reichtum und bei den Frauen! Das rote Lesezeichenbändchen meines wertvollen Notizbuches liegt zufällig exakt auf der Bügelfalte meines rechten Hosenbeins, dessen fleischliches Bein ich über das linke geschlagen habe. Wenn das kein Omen ist! Ein Omen, dass mir alles vorhin Gesagte bestätigt! Wau! Die Götter (Innen) sind mir wohlgesonnen! Ich gehe weiter.

Aber die Bescheidenheit des freundlichen Arbeiters von Marie-Louise von Motesiczky, bei dem ich mich wieder gerne niedergelassen habe, ist auch nicht schlecht. Zum ersten Mal bemerke ich, dass er auch einen schönen Schatten hat. Seine großen Hände liegen auf seinen Knien – sein Handeln ist in Kontakt mit seiner Bestimmung.

Nun sitze ich mit dem Rücken zu meinem blauen Lieblingschagall und zum ersten Mal betrachte ich – sehr angetan! - die Komposition von Alexander Rodtschenko. Ich bin baff! Wie konnte ich das Bild bisher übersehen? Mein Blick gleitet rüber zu Aristarch Lentulows roten Brücke von Zarizyno, die mich heute auch beeindruckt. Eine neue Ecke! Und mit Sitzbank. (im MP3 schweißt John Frusciante elektrisch). Auf und der Goas nach! Entschuldigung für diesen Rustikalismus! Beim Aufstehen von der Bank habe ich mich nach links gedreht und die Ziege in Chagalls blauem Papierdrachenbild erblickt.

Giacomettis Amenophis steht breit da, aber sein schillender Schatten ist ganz schmal. Bei den vier Frauen auf Sockel wundert es mich nicht. Ich schaue von ihren Schatten zu den Figuren. Ich verweile kurz bei Anette und länger bei seiner Landschaft, die ich so liebe. Auch sie bloß – und das ist das Tolle – eine nervöse Skizze über die Unendlichkeit geworfen. Das ist das Wirkliche.

Meine letzte Rast bei den feisten, aber gar nicht so prallen Sphinxen. Ich nehme Anlauf zum vorbestimmten Gang durch den Shop und zur Heimreise in mein glückliches Zimmer.

 

(3.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com


2361 Madame Mi-Tsi

 

„Hallo!“ ruft jemand in Hörweite ins Universum hinaus und ich habe keine Ahnung, welche Folgen das für die Welt zeitigen wird. Meine drei, vier Bilder hängen klar und still – wie die Welt nach einem Regen – und klar und still steht auch die Bücherwand. Meine linke Hand, die ich zum Festhalten des Notizbuches auf eben dieses gelegt habe, hat für ein paar Sekunden eine bläuliche Aura. Alles wirkt so frisch und neu, dass mein Herz vor Vorfreude und Erwartung aufgeregt klopft. Ich bin glücklich wie ein Kind, das aus dem Schlaf erwacht ist und sich auf den neuen, frischen, unbelasteten, großartigen Tag freut.

Madame Mi-Tsi hüpft mir auf die Brust und ist somit meine erste Herausforderung des Tages - mit Lächeln angenommen, weil sie meinen Schreibstift ständig bearbeitet und somit meine Schreibschrift mitgestaltet. Dabei habe ich sowieso immer wieder Schwierigkeiten, meine eigene, unbearbeitete Schrift zu lesen.

Vom unteren Stockwerk kommen die fröhlichen Rufe und Gespräche unserer Tageskinder herauf, die Lebendigkeit selbst, die Fröhlichkeit ist ansteckend. Ich streichle den pelzigen Rücken von Madame Mi-Tsi, die zufrieden schnurrt, und staune, was für ein schönes Leben ich habe! Ich genieße und genieße dankbar dieses Glück und werde bald aufstehen, um mir ein Frühstück zu machen.

 

(3.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2360 Die Inspirationswolke

 

 

Mali Lošinj ist auf dem Bild so schön: eine Inspirationswolke – fast schwarz, fast durchsichtig – nähert sich dem Hafen. Kein Mensch ist zu sehen, nicht am Hafenkai, nicht in den Booten, nicht in oder vor den Häusern. Kommt die Wolke zu spät?

In Rettenschöss kriecht die Wolke als Bodennebel herein und ist weiß; auf einer ziemlich geraden Bahn kommt sie daher, ganz unauffällig.

In Veliki Lošinj kommt sie, die Wolke – wie ich nicht zum ersten Mal beschreibe – von hinten und unten ins Bild und beginnt, die ganze Stadt aufzulösen.

Im Photo von der Riesneralm nimmt sich die Inspirationswolke die Gestalt der weißen Wintersonne, die sich durch den trüben Morgennebel kämpft und in die Pistenschneise hereinwirkt.

 

(3.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

2359 Blutleere

 

Vermutlich eine gewisse Blutleere im Kopf und mir fällt nichts zu schreiben ein. Meine Seele ist zufrieden und liefert auch keine Inspiration. Ich könnte es damit bewenden lassen: sich ohne Esprit und Leben etwas rauszuquetschen ist doch sinnlos und Wichtigtuerei. Aber ich will in Schwung bleiben; ich will nicht, dass der Schreibfaden abreißt; ich will nicht verlieren, was ich gerne tu, was mich rettet und mir Halt und Freude gibt (so wie ich das Zeichnen und Malen verloren habe).

 

(2./3.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 2. August 2021

2358 Zu Besuch bei Sisyphos

 

Ich besuche Sisyphos – die Idioten, die die Trottelbilder im Raum angaffen und fotografieren, würden mich nerven, wenn ich es zuließe. Aber ich lasse es nicht zu! Ich blicke auf den Sisyphos und ignoriere alles rundherum. Mir ist fast zum Weinen (ich war vorher im Untergeschoß und bin durch Arakis Abschiede gegangen). Meine unzulässige, aggressive Vertrottelung der anderen Besucher (auch ich bin nur Gast auf Erden, und wandre …), vermindert meine Trauer und vertreibt das heraufsickernde Weinen. Ximena singt mein Andachtslied. Eine Frau mit großem und – wie ich vermute - schönem Arsch tanzt ständig durch mein Gesichtsfeld, sich immer wieder an ihren Freund anhängend. Nun ist es ein Vater mit zwei Buben. Aber das macht nichts! Ich habe Zeit. Da ich auf die Unendlichkeit warte, habe ich endlos Zeit (wollte ich als Ganzer in die Unendlichkeit eintreten und dabei mein subjektives Bewußtsein bewahren, hätte ich gar keine Zeit, sondern müßte mich gschleinen, hier auf Erden noch alles dafür nötige zu erledigen und alle offenen Enden abzuschließen. Aber wenn ich akzeptiere, dass mich die Unendlichkeit zerlegen wird, habe ich keine Eile und kann meine Augen weiden).

Zurück zu Sisyphos, dem vielleicht seine Erlösung aus dem ewigen Dilemma gelungen ist, weil er seinen Stein lieben gelernt hat. Das kann ich hier am Sisyphos/Stein sehen. Ein Mann mit Schuhen, die dreckig aussehen, aber es überhaupt nicht sind, vermeidet es, meine Blicklinie, Blickbahn, meinen Blickstrahl (verdammt! Gibt es kein Wort für die Linie vom Aug zum anvisierten Objekt!? Oder fällt es mir nur nicht ein?) zu durchkreuzen. Als er es dann macht, macht er es schnell – so tät ich auch an seiner Stelle. Aber jetzt bin ich der Platzhalter und Bestimmer.

Ich sitze ganz gekrümmt, wie der müdeste der müden Krieger. Bald werde ich heimfahren; das hier ist doch nur ein kleiner Abstecher auf meiner Fahrt zur Gesundheitskasse und zurück, um meinen Antrag auf Teilrückvergütung meiner Kosten für die Therapie wegen Angstpsychose und Depression einzureichen. Das hier ist nur als kleiner Besuch gedacht. Zur Zeit geht es mir aber gut und den Westlichen Sisyphos liebe ich – vor einigen Wochen: plötzlich hatte er sich mir erschlossen.

John Frusciante und Omar Rodriguez-Lopez spielen Gitarre. Ach die Löcher! Warum übersehe ich die immer im Sisyphos/Stein? Mein Rücken schmerzt von meiner Krümmung. Es ist besser, ich gehe bald. Ich lasse den Sisyphos/Stein nochmals aufleuchten, indem ich ihn anstarre. Ein Asteroid, ein Meteorid, groß genug, mich zu zermalmen.

Heute bin ich elegant angezogen: mit Sakko und langer, schöner Hose und Sommerschuhen. Den Weinbauernhut jedoch habe ich wegen meiner Zöpfchen genommen. Viele Leute queren meine Linien, manche entschieden, manche zögerlich, manche zuerst zögernd, dann entschieden, manche ohne auf meine Linien zu reagieren.

Sisyphos! Ach Sisyphos! Mein geliebter Schutzpatron! An den kurzbehosten Männern, die queren, kann ich mir bestätigen, dass ich schöne Beine habe. Komm, Sankt Sisyphos, hilf mir … ein paar Lichter gehen im Raum aus und heben damit meinen Favoriten deutlicher hervor, denn die auf ihn gerichteten Strahler bleiben hell. Oder war das nur eine optische Täuschung? Nein! Jedenfalls strahlt mein Sisyphos mehr denn je. Was hat er eigentlich verbrochen? Ich werde nachlesen. Adios! Tschüss! Adé! Χατρε!

 

(2.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 1. August 2021

2357 Seine Herrlichkeit der Regen

 

Oh diese wunderschönen beregneten alten Fensterscheiben, das wundervolle Rauschen des Regens im Ohr. Wie Lichtpunkte leuchten die Wassertropfen auf dem Glas, manchmal landet ein neuer drauf, und einer rinnt abwärts oder zwei gleichzeitig, während andere schnell stehen bleiben. In der Oberlichte sind weniger Regentropfen, aber die vom kleinen Vordach abfallen, ziehen lange, schnelle, überraschende Spuren. Was für eine Herrlichkeit ist der Regen! Was für ein Glück, vorm Schreibtisch vorm tropfenreichen glitzernden Fenster zu sitzen und in den Lichtschacht zu blicken. Wie schön ich es doch habe!

 

(1.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com