Donnerstag, 29. Juni 2023

3264 Rundgang

 



Wie ich den ersten großen Platz im Augarten betrete, erschrecken mich fast die Bäume, die die große Wiese so üppig und in solch intensivem Grün umstehen; wie Wächter oder Soldaten einer anderen Dimension, ihre Details im grellen Sonnenlicht so scharf gezeichnet, dass es meine Wahrnehmung beinah überfordert. Auch da, wo ich jetzt gegen Norden hin sitze, kommen mir die Bäume noch fremd vor und die Hausfassaden unglaubwürdig überzeichnet. Ich höre viele Stimmen, hauptsächlich spielende Kinder, die mir diese Fremdheit mit ihrem Tun so nebenbei bearbeitend ein wenig auflösen. Aber jenseits des Kippunktes sind sie noch nicht – jederzeit könnte sich ihre Akustik auf die andere Seite schlagen. Ich suche einen anderen Ort.

Ich suche einen anderen, schattigeren, vielleicht auch ruhigeren Ort und im Gehen produzieren meine lichtüberforderten Augen lauter rosa Flecken auf den Schotterwegen. Nun sitze ich auf der Bank mit dem kleineren Flakturm im Rücken, angenehm schattig und deutlich kühler in der Hitze. Die Bäume, die gegenüber aufragen und die Häuserfassade fast zur Gänze verdecken, stehen – ich weiß nicht, was ich da in letzter Zeit habe – ein wenig bedrohlich da und scheinen nach mir greifen zu wollen. Dieser Eindruck mag wohl am gekrümmten Schnitt dieser Alleebäume liegen. Ein Kind schreit im Gehen ständig „Augartenschwimmbad! Augartenschwimmbad!“. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, aber die Lichtverhältnisse mit ihren Schatten werden nicht weniger strange. Und wie in letzter Zeit so oft, kommen mir manche der Bäume so unglaublich hoch vor. Verkleinere ich mich? Schrumpfe ich? Zieht sich meine Seele zusammen? Wird die Wirklichkeit größer? Eine Krähe ruft zweimal und scheint es zu bestätigen. Nun düdelt das Smartphone über das Familienessen am Samstag. Das wird etwas mir Realität zu tun haben, meine ich. Mein Gaumen brennt vor Trockenheit. Ich habe kein Wasser mit. Ich erwarte von mir, dass ich das aushalte. Das Sonnenlicht kommt wieder und ich gaffe wieder die Bäume hinauf. Die Pappeln lassen ihre Blätter zittern und so versuchen es auch die Kastanienbäume. Ich blicke die Allee entlang und schon fühle ich mich in einem fremden Land. Das gefällt mir durchaus: ich bin neugierig und spiele gerne mit diesen Eindrücken und ihrem wechselhaften Kommen und Gehen. Nocheinmal den Blick die Bäume hinauf, dann ändere ich wieder meinen Standort.

Und nun bei dieser erzählerischen Kreuzskulptur, in etwa Richtung Nord-Nord-West. Fröhliches Geschrei der Kinder im Schwimmbad. Die asphaltierte Fläche vor mir im Sonnenglunst (habe ich hiemit ein Wort erfunden? Ich meinte es zu kennen) gleißt und blendet meine Augen. Licht und Schatten sind hier stark herausgearbeitet. Ich denke an Marie-Liuse von Motesiczkys „Kröpfelsteig in Hinterbrühl“. Genau so einen Sommertag stellt dieses Bild dar. Genau so ist es. Es ist Mittagszeit, Siesta. Die Fassade des Prachthauses, das über den Weg zwischen den Bäumen hervorkommt, leuchtet scharf in ihrem übertriebenen Prunk. Die Augartenmauer jedoch ist schön. Ihr Ziegelrot, stellenweise weiß übertüncht, aber nie deckend. Die Schatten auf ihr! Ich weiß es auch nicht, warum mich solche alten Mauern ziemlich berühren. Irgendwelche Ablagerungen meiner Ahnen in meiner Seele? Was hätten die zu bedeuten? Ich suche einen schattigeren, vielleicht ruhigeren Platz.

Die Wolken im Osten bewegen sich, aber trotzdem wirken sie kompakt wie auf einem Gemälde eines italienischen Futuristen zum Beispiel. Das sind schon alles Aspekte der Wirklichkeit.

Und immer wieder bin ich beeindruckt von den Bäumen, auch auf meiner neuen Sitzbank am kreisrunden Platz. Die Bäume, sie sind in Wirklichkeit so mächtig. Bald könnten sie ihre bewegungseinschränkende Zurückhaltung aufgeben. Der aufkommende, leichte Wind bewegt sie schon ein wenig zur Probe und ermuntert sie. Zwei Zitronenfalter sehe ich in der Luft herumzappeln, aber erstaunlich schnell sind sie vorbeigeflogen und verschwunden. Dann kommt noch ein Weißling. Dann noch einer. Auch ich werde nach einem anderen Platz suchen.

Und nun in einem kleinen Hain, unter einem mächtigen Ahorn; Wiese und kleinere Bäume vor mir, größere wieder weiter weg. Ich höre das Geklacker der Bocciakugeln des Boulespielers dort drüben vor meiner Hecke. Und von einer Baustelle die Rutsche für den Schutt. Die Wiese hat schon oder noch braune Flecken. Ein Flugzeug dröhnt über mir (es ist nicht der Himmelvater auf seinem Thron). Hmm, ein sanfter Wind bewegt den Schatten meiner langen Haare auf meinem T-Shirt, die des Laubes an den Bäumen und was es sonst noch Mobiles gibt. Hier – scheint mir – kann ich verweilen. Ein kleiner Hund jagt einen Ball und schnüffelt dann bemüht unauffällig und so nebenbei in meiner Nähe herum. Es gibt wohl sehr viel hier zu erforschen. Da gebe ich ihm recht. Alle paar Minuten oder öfter donnert Schutt die Baustellenrutsche hinunter. Eine Krähe im Ahornbaum ruft. Auch von der anderen Seite kommt nun Baustellenlärm.

Das Verweilen geht schon zu Ende. Wieso? Unruhe? Bewegungsdrang? Hunger? Durst? Pflichtbewußtsein (Küchenarbeit)? Eindrucksüberlastung kann es heute und hier nicht sein.

Am Weg nach Hause – in den aufgeheizten Häuserschluchten ist es gleich viel heißer – bleibt mir der unangenehme und ekelhafte Geruch des Männerparfums eines jungen Radfahrers, an dem ich nur kurz vorbei gegangen bin, mindestens zehn Meter lang in der Nase hängen.

Und jetzt sitze ich auf der Bank vorm Haus und warte bis die Tageskinder-Abhol-Rushhour vorbei ist. Gleichzeitig beobachte und kontrolliere ich ein wenig unseren Hauseingang und seine Umgebung. Ein Mann photographiert mehrmals ein Fahrrad, das inmitten einer ganzen Reihe im Fahrradständer steht. Die Mütter mit ihren Kindern verlassen nun das Haus. Auf ihre Bitte hin mache ich noch eine Gruppenphoto von ihnen.




(29.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3263 Gedankenkraft

 



8:23 a.m. Draußen klingt es nach Bäumeumsägen; ich glaube nicht in unserem Hof. Ich bin jedoch zu gelähmt um aufzustehen und nachzuschauen. Mein Körper ist noch ein wenig fluidal. Auch mein Geist will sich nicht konzentrieren und saust herum von Ukrainekrieg bis in die Lobau zum Donau-Oder-Kanal und weiter zu Giselher und Anneliese. Es ist kein Weiterkommen; ich blättere besser um auf eine neue Seite. Ein Pfeifton wie von einem überdimensionalen Zahnarztbohrer, schriller als mein Ohrensurren, das jedoch gleich das Kommando übernimmt und sich in Wellen durchsetzt. Verdammt! Schon wieder drängt es mich, den Satz „Kein Mensch ist illegal“ herzuschreiben. Warum zum Teufel! Was für ein Mangel an Poesie! Was für eine schriftstellerische Einfallslosigkeit! Was will sich da kristallisieren? Was will so sichtbar werden? Mein Mangel an dichterischem Ehrgeiz, Arbeits- und Gestaltungswillen, Handwerk, Können und Talent? Mag ich mir mein Leben gar nicht mehr zurechtschreiben? Dennoch setze ich nachträglich noch extra den vergessenen Punkt über dem i in „mir“. Das muß vorerst genügen.

9:11 a.m. Mein Finger kratzt an meiner Nase und es ist unglaublich, wie groß und voluminös die beiden sind. Den schwarzen Raben am Fenster habe ich nur durch meine Willens- und Gedankenkraft in seinem Schaukeln Einhalt geboten. Er ist nicht ausgeschaukelt, sondern von einem Moment zum andern – nur durch meine Willenskraft – hing er still. (Was? Das Schaukeln soll in meiner verschlafenen Wahrnehmung gelegen sein? Das sei fern! Die erste Variante klingt doch viel interessanter!) Mein Magen knurrt. Eine Klospülung im Lichtschacht singt ihr kurzes Wasserlied. Da könnte man fast meinen, frühstücken wäre sinnlos. Aber sei’s drum! Ich werde es gleich ausprobieren.




(29.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3262 Schluß für heute

 



2:10 a.m. Wer schreibet zu solch spater Stund, als ich? Wer haltet die Nachwach, auf dass keine bösen Geister und stinkendes Teufelszeug die schlummernden Schäflein erschrecket? Wiederum der Selbige. Lasset jetzo – Gott sei’s gedanket!- die Hallodri und den Firlefanz, wir bitten untertänigst darum! Okay! Es sei euch gewähret! Kleine Fliegen oder Mücken schwirren um die Leselampe, die mein kleines Zimmer - erhellt wäre zu viel gesagt: sie erhellt gerade mal das Notizbuch auf meinen Oberschenkeln und die beingestützte Bettdecke. Das übrige Zimmer verbleibet in fahler Düsternis (er kann’s nicht lassen!). (Man sollte in der Nacht keine Literatur aus dem 19. Jahrhundert lesen, schon gar nicht, wenn darin auch noch das 18. Jahrhundert imitiert wird.) Ich bin sehr müde. Die nächtliche Luft ist ziemlich kühl (oder unziemlich kühl? Schließlich ist Sommer!) (Kommen wir da bald einmal in g’scheites Fahrwasser, als in Wortspielen mehr schlecht als recht herumzublödeln?!) (Nein, geht nicht mehr.) Dann machen wir Schluß für heute.




(29.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 28. Juni 2023

3261 Die Assoziationskette

 



8:51 a.m.  Aus anstrengender, weil ganz unübersichtlicher Geheimdienstarbeit aufgewacht, genieße ich den stillen, kühlen Sommermorgen und gieße die Pflanzen. Dann lege ich mich wieder ins Bett. Der Rabe am Fenster schaukelt noch vom Hochziehen der Jalousie, die Möwe bei meinem Kopf vom Aufsetzen der Lesebrille. Ansonsten ist keine Bewegung im Raum. Außer der meiner schreibend beschäftigten Hände und die kurze der umgeblätterten Notizbuchseite. Ich atme erleichtert die angenehm kühle Morgenluft ein (also bewegt sich auch mein Bauch und ein wenig mein Brustkorb). Die Augen fallen mir zu und der Ohrensound wird allumfassend und körperlich; wie eine einhüllende, substanzhafte Wolke mit Eigenleben. Mein Körper wird zu einem Universum, in dem ich sitze, die verschiedenen Regionen melden sich mit Empfindungen wie Jucken, Druck, Ziehen, Verkrampfung (die linke Hand), Anspannung und Ähnliches. Und allmählich empfinde ich es auch, wie Wellen durch diese Welt, die mein Körper ist, laufen und wie diese unkörperliche, bioenergetische Zuckungen auslösen. Ich öffne die Augen und betrachte meine linke Hand, vor allem aber die nicht ganz sauberen Fingernägeln. Es geht also schon Richtung Alltagswelt und Alltag. Die ersten Sachen, die ich im Internet recherchieren könnte, fallen mir ein. Die wirken wie aus dem Zusammenhang gerissen, aber gottseidank weiß ich noch die Assoziationskette: Fingernägel schmutzig – schneiden – wachsen lassen – lackieren – Männerbild – das erste Grazer Frauenfest (1977?) - Ilse: „der ist harmlos!“ - Gruppe Revolutionärer Marxisten - Ihr Chef Alf K. - wobei ich eben nicht sicher bin, ob der Name stimmt, denn mein Namensgedächtnis läßt immer mehr nach und ich verwechsle ständig die Namen. Aber das könnte ich recherchieren versuchen. Kurz meldete sich das Herz mittels eines leichten Druckgefühls; aber nein, ich bin schon zu real, zu verstrickt in der Alltagswelt, als dass ich dem jetzt noch nachgehen könnte. Ich bleibe noch im Bett um zu lesen.

Und was ich lese, stellt sich als einer der besten Geschichten heraus, die mir untergekommen sind: Wolfdietrich Schnurre, „Steppenkopp“.




(28.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 27. Juni 2023

3260 Ja, das werde ich machen

 



9:01 a.m. Die kleine Erzählung habe ich soeben ausgelesen und weggelegt. Der Traum, der so intensiv war und den ich aufschreiben wollte, ist mir sofort nach dem Aufwachen, noch bevor ich Brille, Schreibzeug und Traumbuch ergreifen konnte, entglitten. Nun genieße ich den sommerlichen Morgen, noch immer im Bett hockend und lasse zu, dass sich der alte, vertraute, aber nie wirklich verstandene Schmerz einnistet. Anscheinend brauche ich ihn für mein seelisches Gleichgewicht.

Bald werde ich aufstehen, mir mein Frühstück bereiten und dann mein äußeres Tagewerk beginnen. Das Erste wird sein, das Antiquariat Klabund aufzusuchen, dem ich gestern, an seinem Schließtag aus einer Schachtel mit Büchern, die vor der Eingangstür abgestellte war, sieben Reclams „gestohlen“ habe – schon unter Hinterlegung von 10 Euro und einer Notiz mit Unterschrift – und das ich heute nötigenfalls bereinigen will. Das kam nämlich so: als mich mein Weg zur Therapie an dem Antiquariat vorbei führte, gewahrte ich vor der Tür diese Bücherschachtel. Zuerst dachte ich: „Hat er denn heute an seinem Schließtag offen?“ Dann: „Ah! Er hat seine 1-Euro-Schachtel heraußen abgestellt lassen, damit man auch am Schließtag einkaufen kann!“ So nehme die sieben Reclams heraus und lege den 10-Euroschein in eine der Schachtel beigelegte Karte. Da wird mir klar, dass jemand mit dieser Schachtel dem Antiquariat alte Bücher zukommen lassen wollte und das Geschäft geschlossen vorfand. Ich denke mir nichts dabei und dachte (hahaha! Wegen dem Widerspruch im Satz): „Naja, ich kürze den Verkaufs-und Einkaufsprozess jetzt einfach ab.“ Aber heute werde ich hingehen und alles klären: ob meine Zahlung angemessen ist, ob die zehn Euro die Nacht vor der Eingangstür überhaupt überlebt haben und was sonst noch sein kann. Ja, das werde ich machen.




(27.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 26. Juni 2023

3259 Lebenswerk

 



Die Donau – als ihr Nebenarm, der ungerechtfertigterweise als Kanal herabgestuft wird – fließt sehr schnell und viele Fußgänger überqueren die Brücke. Hier ist die Margit-Czernetz-Promenade, eine revolutionäre Sozialistin, die 1938 nach London geflüchtet ist. Das Wasser zeigt sich grau-grün und milchig-trüb. Keine schlechte Farbe. Das fließende Wasser zieht meinen Blick an und will sogar meine Seele mitnehmen. Im Sonnenlicht ist die Farbe des Wasser wirklich recht schön. Die grüne Donau. Ein Touristenboot kämpft sich flußaufwärts und erzeugt Wellen, die ans Ufer bei meinem clandestinen Garten schwappen. Einige von mir eingebrachte Pflanzen scheinen überlebt zu haben. Da ich meistens verschiedene Wiesenblumen aussähe, kann ich das nie so genau sagen. Es ist sehr heiß und ich bin auf dem Weg in die Psychotherapie, nachdem ich mir vorhin in der Apotheke Tausendgüldenkraut besorgt habe.

Im Hof 9 des Alten AKH. Die Anwesenheit der vielen Studierenden, die sich hier am Campus aufhalten, finde ich immer erfrischend und optimistisch – ich fühle mich ermuntert von der Liebe zum Wissen, die den Genius loci, Geist und Atmosphäre hier – trotz allem – beflügelt. Die alten Leute, die hier herumgehen, sind tendenziell schrullig bis komisch. Ein Mann (Professor?), der ganz, ganz langsam mit seiner Aktentasche an mir vorbei gegangen ist, hat mich lange und eindringlich angeschaut (Sein letzter Weg in die endgültige Pensionierung? Nimmt er Abschied und will er sich noch einmal den Ort hier, wo er sein Lebenswerk vollbracht hat, einprägen und alles, was sich hier befindet, anschauen? Ich weiß es freilich nicht. Vielleicht hat ihm bloß die Hitze zugesetzt und sein Kreislauf schwächelt. Oder sein Herz, und es ist für ihn eine viel heftigere, endgültige Abschiedstour. Ich weiß es nicht.) Ich breche nun auf zur Therapie und meinem fehlenden Lebenswerk.




(26.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3258 Gleichnisse

 



7:59 a.m. Im Traum bin ich wieder einmal und diesmal in Paris herumgeirrt: den einen Platz, wo ich übernachtet hatte, habe ich verlassen und den anderen, wo mein Hotel stand, zu dem ich hin wollte, habe ich nicht erreicht. Aber zurück finde ich auch nicht mehr. Dabei ist die Landschaft sehr offen und der Blick geht weit. Ich konnte das Hotel sehen. Ein gutes Bild für mein Leben.

10:08 a.m. So! Inzwischen war ich in Rom und habe mich dort in den Ausgrabungen, die sich über unzählige Häuserblöcke hinziehen, eigentlich in den Gebäuden und Kellern, verirrt. Dabei wollte ich nur kurz reinschauen und gleich wieder raus. Auch ein zutreffendes Gleichnis.




(26.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 25. Juni 2023

3257 Für mich

 



Die Erdäpfel kochen und sind noch nicht durch. Was ist, wenn Prigoschin in Absprache mit Putin Belarus übernimmt und von dieser Seite her die Ukraine überfällt? Die absurdesten Gedanken kommen mir beim Einschlafen oder kurz nach dem Aufwachen. Es ist Mittag und ich koche heute wieder für mich und meine Frau. „Für mich“ steht an erster Stelle, weil ich den Salat mehr nach meiner Art zubereiten werde, österreichischer, öliger, gequetschter und mit Knoblauch, und die Tomaten extra und mit Zwiebel. Außerdem will ich – auch nicht abgesprochen – meine Frau ist schwimmen – in die Hauptspeise die Restln der letzten zwei Tage einspeisen. Ich sollte jetzt schauen, ob die Erdäpfel durch sind.




(25.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3256 Ihr Job

 



Andächtig hocke ich vor dem aufgeschlagenen Notizbuch und warte ehrfürchtig auf die Eingebung. Aber die kommt nicht. Dabei schüttle ich meinen inneren Kopf über den absurden Einfall, den vorigen Eintrag mit gelben Pilotstift geschrieben zu haben, weil ich die Schrift zuerst nicht gesehen und beinah überschrieben hätte; vom Lesenkönnen ganz zu schweigen. Schön ist das gelbe Schriftbild schon. Aber das sind alles Nebenschauplätze. Was sagt uns das? Das sagt uns, dass der Hauptwiderspruch der zwischen Arbeit und Kapital ist. Oder doch der zwischen Tonal und Nagual? Ich bin gierig auf die neuesten Nachrichten, aber beherrsche mich und warte auf das Frühstück, das meine liebe Frau – wie es so Brauch ist - bald servieren wird. Die Melonenstücke habe ich schon – durstig wie ich war – verschlungen. Last euch nicht täuschen: der wichtigste Schauplatz für einen selber ist der, wo der Tanz mit dem Tod stattfindet. Und der findet immer und überall statt. Ich entkrampfe die linke Hand. Endlich fällt es mir öfter ein, auf die Verkrampfung zu achten. Der dreifaltige Wohnzimmerbaum senkt sich nach einem Ruck langsam ab, ohne jedoch seine Position zu verändern. Er schaut jetzt wieder besser aus. Ich weiß nie, ob ich zu wenig oder zu viel gieße. Eine Fliege kommt lautlos in die Schlafkoje und fliegt wieder hinaus. Gut, das ist ihr Job. Aber jetzt kommt das Frühstück.




(25.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3255 Im Off

 



Es ist alles grün im Garten. Kein Wunder um diese Jahreszeit. Die Fichten, Tannen und Föhren ragen auf bis in schier unglaubliche Höhen. Das kommt mir so vor, wenn ich wie ein Winzling im Garten herumgehe und hinauf zu den Wipfeln schaue. Der Garten gehört nicht mir. Mir hat noch nie ein Garten gehört oder ein Stück Grund. Aber ich gehe gern in einem Garten herum und träume davon, dass er mir gehört und was ich da machen würde, welche Eingriffe und wo ich nicht eingreifen würde und dass ich mit der Sense mähen lernen würde. Wie gesagt: ich träume davon. Nun sitze ich wieder am Esstisch und sage etwas in die Runde am Kaffeetisch, aber mein Kommentar kommt nicht an. Kein Wunder, ich bin im Off und abseits. Ich hätte den Mund halten sollen, was war denn meine Bemerkung anderes als Wichtigtuerei. Ja, ja, si tacuisses … Ich blicke wieder zum Fenster hinaus und schaue ins üppige Grün, eine ganze Wand tut sich auf so in drei oder vier Meter Abstand. Und beim anderen Fenster sieht man beinah eine Landschaft. Ich bin fasziniert von der gelben Schrift des gelben Pilotstiftes auf dem so ganz grau wirkenden weißen Blatt; es wird dies beim Eintippen schwer zu lesen sein (stimmt! Der Tipper). Ich habe kein speziell schlechtes Gewissen wegen meines überflüssigen Einwurfs ins Gespräch vorhin. Jetzt würde ich auch gern eine Anmerkung ins nun laufende Gespräch werfen; und jetzt wieder, aber ich beherrsche mich und fixiere mich auf mein Notizbuch.




(25.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 23. Juni 2023

3254 Schon ist der Wind wieder da

 



Der noch ein wenig heftige Wind bewegt die Luft, die Wolken, die Bäume, die Gräser, die Blumen, den Geist und meine Kopfbedeckung. Ich sitze im Augarten in Wien unter den Linden. Ab - sagen wir - knapp zwei Meter Höhe ist mein Blick vom Laub der Bäume begrenzt. Irgendwo muß hier eine Veranstaltung sein, man hört Musikgedröhn und Lautsprecherstimmen. Scheiß Events (schon zur Mittagszeit). Der Wind ist angenehm warm. Er treibt abgeworfenes, abgerissenes, verlorenes Laub, Blüten, Früchte, Zweiglein über den Schotterboden. Mir schauen beim Schreiben ein paar Krähen zu. Sirenen, die nicht aufhören wollen, auch eine Taube ruckelt herum. Der Wind bläst mir die festgezurrte Kappe vom Kopf. Und ein Auto muß natürlich auch hier herinnen herumkurven. Viele Schulklassen wandern von den Sportplätzen ab. Mittagspause. Unterbrechung der Poesie (Poesie hat etwas mit Zurückhaltung und Verzicht zu tun, wie es mir angesichts einer vorbeigehenden Frau mit eindrucksvoller Backside auffällt). Ende der Unterbrechung. Zurück zum Wind. Zwar wechselt er manchmal lokal die Richtung, aber hauptsächlich kommt er von rechts. Das ist der Westen (womit ich nicht behaupten will, dass der Osten rot ist; schon gar nicht). Es sind nicht allzuviele Leute unterwegs und das Gezerre und Gezupfe des Windes nervt jetzt schon schön langsam. Oh! Er beruhigt sich! Dafür legen die Krähen akustisch zu. Ich habe mich kurz vom Smartphone ablenken lassen und schon ist der Wind wieder da.




(23.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3253 Was schreist du so?

 



1:20 a.m. Aus der kalten Badewanne entstiegen (ich eifere dem E. Jünger nach, hihihihi. Wie alt ist der geworden? 103? na, da gehen sich noch einige Texte aus. Da komme ich weit über 10.000!) habe ich mich ins Bett gelegt. Bei der Hitze haben alle die Fenster offen und ich höre die Nachbarn reden, ohne jedoch irgendwas zu verstehen (das Wort „Schublade“ vermeinte ich gehört zu haben und habe dann sofort spekuliert, sie lesen heimlich meine Schublade. Machen wir den Test!) Eine leichte Brise tut herum und immer raschelt und knackst etwas im Vorzimmer. Die Nachbarin lacht schreiend laut. Mir ist des wurscht. I tuas nit gaustern. Mia is ois ans. Ich rufe nicht die Polizei. Ich sage nichts. Ich hänge nur da und gaffe in mein Zimmer. Schlafen mag ich noch nicht, obwohl ich müde bin, also schreibe ich in mein Notizbuch. In meinen Ohren geht es heute auch intern wieder recht laut zu! Mehr als üblich. Entweder übermannt mich bald ein Einfall oder der Schlaf. Ein Insekt kommt auf Besuch und ich wette, es wäre ihm lieber, ich drehte das Licht ab. Meine Bettdecke bewegt sich mit meinen Atemzügen auch über den angezogenen Knien. Ich wundere mich über diese unerwartete Auswirkung meines Atmens. Junge Frau Nachbarin, was schreist du so? Wollt ihr nicht schlafen gehen? Warum hockt ihr um diese Zeit noch in eurer Küche herum? Na gut, dann geh halt ich schlafen.




(23.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 22. Juni 2023

3252 In der Hitze des Tages

 



Beim Teich im Schweizergarten, hinter dem Museum des 21. Jahrhunderts (wo mir 1989 versprochen wurde, im 21.Jahrhundert dabei zu sein (kleiner, aber nicht ganzer Scherz)). Und es wird in der Gegend gebaut und umgebaut. Die Presslufthämmer und hupende Autos dominieren das akustische Geschehen. Ein paar eifrige Krähen halten noch mit. Es dröhnt und vibriert alles in meine Gehörgänge und bis in den Energiekörper. Verkehrslärm plus, also mit Flugzeugen, mit vielen bunten Flugzeugen. Wenn ich jetzt heimfahre, komme ich sicher ungelegen. Bleima no an wengerl sitzn, bleima no a wengerl do … jetzt wird irgendwo Metall durchtrennt. Der ständige Lärm vernebelt mir den Teich; Ruhe kommt keine auf. Polizeisirenen. Ein heißer Tag. Am Himmel zeigt sich schon der Umschwung an. Die Luft ist drückend und schwül. Was die Krähen alles so zu palavern haben … Eine Nebelkrähe trinkt vor mir Wasser. Kinder mit der Mutter schreien. Ich geb’s zu: die Nervösität kommt aus der Atmosphäre. Soll ich in die Lucy-Bar gehen? Wäre eine Option. Ich warte noch. Ich kann mir nicht helfen, aber heute geht mir der Teich, der Park, das ganze Ambiente auf den Zeiger. Auch meine verehrten Krähen. Auch die Enten können mir gestohlen bleiben. Überall dieser Dreck (ach! Der Herr wird empfindlich!). Die Krähen haben sich mein Gemecker zu Herzen genommen und werden ziemlich ruhig und verziehen sich in entferntere Bereiche des Parks. Die Flugzeuge nicht, die dröhnen noch zum Steinerweichen. Jetzt rinnt mir auch noch die Nase. Das Gewitter, das kommen wird, wird eine Erlösung sein.

Irgendwie stehe ich mit der Lucy-Bar – ich möchte nicht sagen, auf Kriegsfuß – aber in Anspannung. Dabei gefällt sie mir so gut, vor allem die Lampenschirme. Die Musik, wenn auch Mainstream, kann ich heute annehmen. Und die Ingwerlimonade ist gut. Es ist kühl hier herinnen, vom Lärm draußen ist man gut abgeschirmt. Die anderen Ausstellungsbesucher sind auch nicht fitter als ich und haben Bäuche, wie ich sehe, während sie an der Kasse anstehen. Trotzdem komme ich nicht zur Ruhe. Ich will heim und mich in meiner Kemenate verkriechen. Mit Entsetzen registriere ich diese Besenreiser an meinem rechten Oberschenkel, weil ich die Lesebrille auf habe und die Beine überschlagen, um das Notizbuch daselbst auflegen zu können. Ich genieße die kalte Gingerlimonade (hier wird Englisch angeschrieben) und sogleich kontrolliere ich mein Hosentürl, denn an feineren Orten fühle ich mich sofort als primitiver „Bauer“ (wie halt die Klischees so sind. Übrigens: kennen sie das?: „Der Bauer ist keck, der schmeißt des Rotz weg. Der Städter ist fein, der steckt des Rotz ein!“ Ja, ich weiß schon, damit bin ich im vorvorigen Jahrhundert). Aber ich muß die Zeit abwarten, damit ich nicht schon wieder zur Tageskinderabholzeit heim ins überfüllte Vorzimmer komme und die Eltern-Kinder-Situationen störe. Wie gesagt, ich genieße die kühle Ingwerlimonade, aber meine Nervösität werde ich nicht los. Es war die Herfahrt in der S-Bahn schon eine Herausforderung. Viel zu viele Menschen. Übrigens: ich mag es nicht, wenn für Probleme der Menschheit, die ganz komplexe Ursachen haben, die tief ins Psychologische, Soziologische, Philosophische, Pathologische, Ethische, Religiöse, Spirituelle, Bewußtseinsökonomische reichen, nur technische Lösungen vorgeschlagen werden. Das ist furchtbar hilflos, frömmlerisch und dumb. Teuer kommt mir die die Lucy-Bar vor, aber ich verstehe nichts von Wirtschaft, Betriebsleitung und Preisgestaltung, nicht wahr? Jetzt geht mir die Mainstream-Musik allmählich auf die Nerven. Mit der Wasserlache unter dem Trinkglas und rundherum habe ich jetzt mit dem Notizbuch, das ich, als ich merke, dass es mit der rechten Spitze im Wasser liegt – und da bin ich heikel – weggeschoben habe, eine schöne, kurzlebige Wassergraphik gemacht. Das war wirklich ein wunderschöne, abwechslungsreiche, wahrlich interessante Linie, nun schon zum Großteil verdunstet. Ah! Ganz langsam komme ich jetzt hier an (mein Gott! Meine Seele ist vorsintfluchtlich langsam!) und kann mich ein wenig entspannen.

(Zur Auflösung des kleinen, aber nicht ganzen Scherzes: im Jahre 1988 oder 1989 hat in Wien eine Ausstellung, kuratiert von Jan Hoet, stattgefunden unter dem Titel „Museum des 21.Jahrhunderts“, wo ich auch mit – ich kann mich nicht erinnern – zwei oder drei oder auch nur einem Bild vertreten war. Das ist sozusagen der Scherz, dass ich so tue, als wäre das ein Versprechen gewesen, im wirklichen Museum des 21. Jahrhunderts dann im 21.Jahrhundert dabei zu sein. Jedoch „nicht ganz“ ein Scherz, weil ich bei besagter Ausstellung damals tatsächlich eingeladen und beteiligt war.)




(22.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3251 Wetterumschwung

 



8:42 a.m. Alles wartet schon auf den Wetterumschwung; auch in meinem Vorzimmer knackst – ich vermute – irgendein Holz. Der Wasserstrahl aus dem Wasserhahn im Bad rinnt und klingt schon anders. Doch die Träume gehen weiter. Jemand hat mir die Brücke über den Donaukanal verdreht: ich will hinüber in den zweiten Bezirk, wo ich wohne, ich komme jedoch auf der Seite des ersten Bezirks von der Brücke. Wieder ein ganz leises Geräusch zur Vorbereitung des Wetterumschwungs aus dem Vorzimmer. Nicht vergessen heute, die drei Postkästchenkästen mit Stiege 1 und Stiege 2 zu beschriften, damit die Post – weil beide Stiegen ihre Wohnungen von eins weg zählen - nicht im falschen Postkastl landet, wie mein Ticket fürs Red-Hot-Chili-Peppers-Konzert im Ernst-Happel-Stadion! Mein Bewußtsein hat hiemit seinen Alltagsmodus gestartet und die Träume weichen zurück. Ich stehe aber noch nicht auf. „Linke Hand entkrampfen!“ fällt mir ein. Auf der Nachbarhofbaustelle werden mit der Flex Eisentram geschnitten; jedenfalls hört es sich so an. Ich bin noch nicht ganz ausgeschlafen, gestern ist es später als 2 a.m. geworden. Linke Hand entkrampfen! Ich habe keine andere Wahl mehr als aufzustehen.

Tschack! Schalter umgelegt; ich bin wieder eingeschlafen. Erst die Ankunft der Tageskinder hat mich zurückgeholt. Ah! Meine Bilder an der Wand sind so frisch und glaubwürdig!




(22.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 21. Juni 2023

3250 Batliner

 



Ich bin in die Batliner-Sammlung gegangen und habe alle meine Lieblingsbilder - von denen, die gezeigt werden und soweit ich sie kenne – photographiert. Nun aber sitze ich vor meiner Nummer eins, Kokoschkas London, und lasse meinen Blick im Licht über der Themse hinten sich verlieren. Gott-oder-wem-auch-immer sei Dank, dass das Bild wieder da hängt! Ein unglaubliches Bild! Ein unglaubliches Meisterwerk! London schon verklärt und wird gleich in die Himmeln versetzt. Das himmlische Leuchten nähert sich schon aus den Tiefen des Hintergrunds die Themse entlang. Das Wasser leitet und trägt das Licht schon weiter in den Vordergrund bis zur Brücke. Ich bin immer hin und weg, wenn ich mir für dieses Bild nur ein wenig Zeit nehme. Der Tag und mein Leben sind gerettet, egal wie sie ausgehen.

Um mich vor solch einer Schönheit und einer solchen Dichte zu erholen – viel davon vertragen ja unsere paradiesvertriebenen und verquälten Seelen nicht – habe ich mich zum depperten Kardinal gesetzt und betrachte mich im Spiegel (ich mache auch ein Photo, was soll’s!). Eine wirklich fragwürdige, wamperte Gestalt sitzt da ganz zusammengekrümmt im Spiegel. Ich werde bald heimgehen, zu Geschirr und Waschmaschine, zu Einkauf und Internet – ich habe meine Verpflichtungen, und hier halte ich es vor Überforderung und Glück kaum noch aus. Ich war schon zu lange nicht mehr hier. Ich muß meine Sinne und meine Seele wieder langsam daran gewöhnen.




(21.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3249 Zweizunull

 



Im Gänsehäufel. Bis jetzt war es hier ruhig, aber genau in dem Moment, als ich das Notizbuch in die Hand nehme, legen die Krähen los; vor allem eine, gleich im Baum neben mir. Ihr Krähen, wollt ihr in meinem Text verewigt sein? Aber gern! Ich fühle mich geehrt! Ich muß euch nur darauf aufmerksam machen, dass ich nicht garantieren kann, dass meine Texte überleben. Spricht viel dafür, dass sie untergehen werden. Und falls sie doch überleben – wer weiß wie lange? Also wenn es euch trotzdem recht ist, nehme ich euch in meinem Text auf: Im sanften, warmen Wind, bei den zitterblättrigen Pappeln, singen die Krähen ihre eindringlichen Lieder und immer glaube ich, sie rufen uns etwas von drüben, von der anderen Welt, hart und mitleidslos zu.

Heute hat meine Sonnencreme Lichtschutzfaktor 20, das ist weniger als der Lichtschutzfaktor 30 letztens, der meine Poesie unmöglich gemacht hat, aber für die Poesie werden die 10 weniger nicht so einen Unterschied machen. Der Wind biegt die Bäume und rüttelt sie, majestätisch wiegen sich ihre weicheren Äste. Eine Weide sehe ich auch. Weidenbaum, oh Weidenbaum … jetzt weiß ich Titel und Text vom Lied nicht mehr – es wäre auch jahreszeitlich unpassend). („Schlafe wohl, du Weidenbaum“ von Günther Kretzschmar). Ich lege mein Schreibzeug weg und lasse den Wind über meine nackte Haut streifen.

Dann trinke ich von meinem mitgebrachten und gekühlten Kräutertee (Herz, Tausendgüldenkraut, Brennessel, Brami). Drei Schwäne und zwei Gänse machen die Wiese unsicher. Was heißt da „die Wiese“! Mich machen sie unsicher; diese großen Vögel sind mir nicht geheuer. In ihrem Schutz spazieren auch ein paar Enten mit. Jetzt bin ich mir sicher: es sind die Schnitzel, die im Nudistenbeisl geklopft werden. Sehr laut für die Distanz, aber was weiß ich schon von den Gesetzmäßigkeiten der akustischen Übertragungen bei Wind. Und man hört auch das Brett, auf dem die Fleischstücke zum Klopfen gelegt werden, unter den Hammerschlägen wackeln. Gut, ich versuche es jetzt mit sportlichem Schwimmen.

Nein, sportliches Schwimmen geht nicht. Mein kaputtes Kreuz und mein lädierter Nacken spielen nicht mit. In der kleinen Bucht bin ich im Wasser stehen geblieben; die Pappeln, die die Bucht einsäumen, ragen nicht nur auf, sondern rauschen und schwingen im Wind. Der Himmel übrigens ist die ganze Zeit leicht eingetrübt, nicht strahlend blau, sondern von einer leichten, dünnen Schicht von - was weiß ich – Dunst oder Saharastaub überzogen. Da die Luft heiß ist, ist das nicht unangenehm.

Und nochmals übrigens: ich sitze polstergestützt an einem Baum gelehnt, die Beine angezogen. Immer fällt mir dazu die Zeichnung von Josef Fink „Viator“ ein, das einen so dasitzenden und rastenden Mann zeigt. Diese Bild muß sich damals in meiner späten Kindheit tief in meiner Seele eingeprägt haben, denn obwohl ich es nur damals und im Original, aber seitdem nie wieder gesehen habe, fällt es mir immer wieder ein und findet Resonanz in meiner Seele, fast wie ein „privater“ Archetypus, und ich fühle mich auch glücklich so, wie da an den Baum gelehnt sitze, im Einklang mit meiner Bestimmung, ein Wanderer, ein Pilger, der seinen Weg suchend diesen schon geht, und nun innehält und rastet und um sich schaut.

Dann lege ich mich auf den Rücken, mit den leicht gespreizten Beinen zum Stamm dieser mächtigen Pappel. Ich blicke so den Stamm und seiner schrundigen Rinde hinauf ins Geäst und auf die windzittrigen Blätter und ihr Geblinke, bis in den Himmel mit seinen Flugzeugen. Da überkommt mich ein Empfinden, als wäre dies der Stammbaum meiner Nachkommen, der aus mir erwachsen ist, und ich staune und bin voller Ehrfurcht, wer da aller nach mir kommt und dass das alles viel größer ist als ich.

Ich glaube, der Viator will bald wieder auf seinen Weg nach Hause gehen. Der Viator wird noch einmal aus seiner Flasche trinken und dann noch einmal ins Wasser gehen und dann sich für den Aufbruch herrichten. So wird es der Viator machen! Hugh! Äh, Amen! Denn er denkt schon an das viele Geschirr, dass er rechtzeitig vorm Fußballspiel erledigen will, soll, muß, kann, darf. Übrigens (zum dritten): Österreich – Schweden: 2:0.







(20.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3248 Sportliches Schwimmen

 



9:24 a.m. Auch heute sitzt mir die Angst im Gedärm, aber das ist eine meiner leichteren Übungen. Ich habe schon Ideen, was ich mit dem Tag anfangen könnte; ich brauch nur noch ein wenig Zeit, um alles in mir und außerhalb meiner auszutarieren. Was ich in meinem Zimmer sehe – und das ist das Übliche: Bücher, Bilder vorallem - hat heute alles Substanz und Strahlkraft. Schaut gut aus! Was mich ein wenig zögern macht, ist die Wolkenbedeckung, die sich gegen die Wetterprognose (wollen wir vorsichtig sein: soweit ich sie verstanden habe) verstoßend angeschlichen hat, denn ich will schwimmen gehen. Ich werde mich aber nicht abhalten lassen. Vielleicht schaffe ich heute sportlicheres Schwimmen. Also auf geht’s! Ab ins Gänsehäufel.




(20.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3247 Beauty 2020

 



0:58 a.m. Heute ist keine Dunkelheit im Zimmer. Sicherlich, die Leselampe kann nicht den ganzen Raum erhellen, aber das, was hier dunkler ist, hat einfach weniger Licht. Die Dunkelheit hat keine Substanz, besser gesagt: kein Wesen. Das war vor ein paar Tagen anders. Ich habe mich soeben ins Bett gelegt, früher als sonst. Wann immer ich mich ins Bett lege, ich freue mich. Ich freue mich darauf, mich hinlegen zu können; ungestört, in Ruhe. Vorher zögere ich es oft hinaus (aus Versäumnisangst?), aber wenn ich mich zum Liegengehen entschlossen habe und von der Welt nichts mehr will oder erhoffe, dann bin ich unglaublich erleichtert. Die Welt da draußen ist eine Riesenanstrengung für mich; selbst, wenn alles gut gegangen ist.

Die Augen beginnen mir zuzufallen. Trotzdem blicke ich herum und dabei fange ich den Blick der Katz’schen Beauty 2020 auf. Mir kommt der oft recht arrogant vor, aber heute bin ich mir da nicht mehr sicher: es könnten auch Schmerz und Trauer darin sein. Wochenlang habe ich mehrmals täglich meinen Blick auch über diese Kunstkarte gleiten lassen und ich habe nichts von diesem Bild aufgenommen, und jetzt läßt mich dieser Blick nicht los. Ich bin müde, ich will schlafen, aber der Blick hält mich noch fest. Das – von ihr aus gesehen – rechte Auge scheint härter zu sein für den manchmal arroganten Eindruck verantwortlich; ihr linkes ist weicher, aus ihm könnten die Trauer und die Sehnsucht kommen.




(20.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 19. Juni 2023

3246 Das Universum kennt mich nicht

 



8:16 a.m. Wieder einmal bin ich aus einem Angsttraum aufgewacht und mein Körper ist noch voll betroffen: die Muskel steif und wie gelähmt, die Seele wie in ein Kokon eingeschlossen, eingesperrt eigentlich, und voller Angst (ob Lebensangst oder Existenzangst ist schwer zu sagen; ich vermute eher letztere), verirrt und orientierungslos (doch eher die Lebensangst?), was für eine Angst! Allmählich atme ich mich frei. Was heißt „frei“! Frei bin ich noch lange nicht, muß erst sagen, wie … aber es lockert sich die Erstarrung ein wenig. Ich spüre es, die Angst sitzt tatsächlich in den Knochen. Ich bleibe still im Bett, bis ich mein Gleichgewicht annähernd wieder gefunden habe; so letz wie ich jetzt bin kann ich nicht in Alltag und Welt hinaus. Ja, atmen hilft. Die Zähne presse ich zusammen. Ich versuche, Kinn und Gebissmuskeln zu lockern. Die Sommergeräusche, die von draußen durchs offene Fenster hereinkommen, so vertraut sie sein mögen, jetzt sind sie mir so fremd und abweisend. Ich sage nicht, dass direkt eine Bedrohung von ihnen ausgeht, aber eine absolute Gleichgültigkeit. Ich kann hier verrecken, das ist denen da draußen völlig egal. Ich bin nicht Teil des Ganzen. Das Universum kennt mich nicht und weiß nicht meinen Namen. Aber wie komme ich dann hierher? Und wozu? Gut, ich verrecke nicht, ich kann atmen und atme tief. Immer wieder Atemzüge, Millimeter für Millimeter lockern sich Starre und Fesselung. Ich werde mir jetzt in einer gründlichen Dusche die Angst abwaschen; aber ich fürchte, dann die Angst nur an der Oberfläche abgewaschen zu haben, und doch für die Welt und ihren Anforderungen noch immer viel zu labil und verletzlich zu sein, so, dass ich mich wieder nicht behaupten kann und mir alles gefallen lasse. Bevor es losgeht noch ein paar tiefe Atemzüge. Eine Krähe ruft im Vorbeifliegen; das nehm ich – obwohl ich von solchen Sachen keine Ahnung habe – als Omen, den Tag zu starten. Und nun heult der Baukran im Nachbarhof auf, als würde er sagen: „tu weiter!“




(19.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3245 Sommer in Wien

 



Die Krähen schreien und schreien und hören nicht auf und hüpfen auch am Boden herum. Nebelkrähen und Saatkrähen und Mestizen. Temperatur Luft und Wasser stimmen. Nur eine leichte, laue Brise von Zeit zu Zeit. Ich merke, ich bin schon hungrig. Plötzlich merke ich das, obwohl ich annehme, dass die Info schon länger eingespeist (!) wurde. Also Essen auspacken. Aber ich sinniere noch über den hydraulischen Lift, von dem ich eben erst von Peter Wohlleben gehört habe; sinnigerweise unter den riesigen, alten Pappeln. Ich fange also schon an, mich gegen mein Prinzip – kein Internet außer zu Hause am Schreibtisch! – zu versündigen.

Das Essen: Couscous, Humus, Salat (Blatt, Gurke, Tomate), von meiner Frau gemacht. Und ein Rest von meinem gestrigen Essen (Erdäpfel, Strankalan, Karfiol, Broccoli in Brösel; schon ein wenig letschert). Kanelbullar (Zimt, aber keine Nüsse, dafür Tahin; Daniela made) als Nachspeise. Gleich fängt nebenan der Kasperl an – es wird gleich laut werden. Nachtrag zu gestern: 1:1 in Belgien.

Wie immer hier bei den Nackerten ist es ruhig, entspannt und nicht überfüllt. Nur die Krähen schreien unaufhörlich. Auch hier wird gehämmert respektive geklopft. Ich frage meine kluge Frau, was da geklopft werden könnte: Schnitzel im Nudistenbeisl? Klingt so, aber kommt mir auf die Entfernung zu laut vor. Sie weiß es auch nicht. Warum weiß sie das nicht? Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Das kann nur vorübergehend sein. Ich habe Durst. Ich werde gleich zur Wasserflasche greifen, sie öffnen und ein paar Schluck nehmen. So Gott will.

Ehrlich! Ich hatte vorgehabt, in der kleinen Bucht zwischen dem einen und dem anderen Ufer mindestens zehn Mal hin und her zu schwimmen (mehr Bewegung hatte die Ärztin gesagt). Aber dann bin ich auf halber Strecke zwischen Ufer West und Ufer Ost im Wasser stehen geblieben. Das Wasser geht bis zum Hals. Ich schaue aufs Ufer und auf die mächtigen Pappeln, die da im Halbkreis um die Bucht stehen und eindrucksvoll aufragen, fast ein wenig bedrohlich, sie wirken nicht nur lebendig, sondern machtvoll und beweglich, wie eine Truppe wehrhafter Krieger, als würden sie nur um mich (uns und euch: zum Beispiel die vorbeitreibenden Boote, oder die Menschenkinder, die hinter der Hecke schreien, oder die Nackten und die Roten, oder die in kesser Badekleidung, oder die Angezogenen und Abgestoßenen) zu narren ruhig stehenbleiben, denn eine Pappel habe ich gerade aus den Augenwinkel heraus erwischt, sich wellenförmig bewegt zu haben. Als sie gemerkt hat, dass ich hinschaue, ist sie sofort erstarrt und hat ganz harmlos getan. Fürchten tu ich mich vor ihnen nicht, nur dass das gesagt ist, aber unterschätzen will ich sie auch nicht. Heute ist meine linke Hand etwas lockerer.

„Kein Mensch ist illegal“ muß ich wieder, wie schon so oft, herschreiben. Das wird ein Zwang, aber betont werden muß es heutzutage wieder. Ich fürchte nur, ich sage das in erster Linie für mich zu mir.
Nehmen wir einmal an, die Bäume sind Krieger der Armee der Frau Erde, und wir sind die Aliens, oder deren fünfte Kolonne. Oder wenn schon von ihnen nicht auf Erden eingeschleust, dann weitgehend unbemerkt umprogrammiert. Werden die Pollen der Pflanzen nicht immer aggressiver? Sind wir es, die in dieser Welt tatsächlich illegal (geworden) sind? Zurück zu Sommer, Badespaß und Ferienstimmung: ein Wind kommt auf. Und das ist inmitten der Pappeln mit ihren zitternden Blättern ein schönes Schauspiel, obwohl es überhaupt kein Schauspiel ist, sondern Wirklichkeit und Leben.




(18.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 17. Juni 2023

3244 Womit fange ich an?

 



9:31 a.m. Womit fange ich heute an? Mit den schön seitlich von unten vom Fenster her beleuchteten CDs am CD-Turm, was denen so eine variantenreiche Buntheit verschafft? Weil sie rechts dunkler bleiben und links heller sind und dies die meistens sowieso schon bunten Covers farbtonmäßig noch stärker variiert? Will sagen: den jeweiligen Farbton scheinbar verändert? Oder soll ich wieder einmal mit den vielen hier herumhängenden und herumlehnenden Damen beginnen? Von Modiglianis Prostituierten bis zu den drei von den fünf Sinnen des – verdammt! - Makart? Oder von der Katz’schen Jessica und seiner Dings – fällt mir nicht ein! - bis zur Freundin vom Munch? Oder von der frankophonen Schweizerin vom tja! – der Name ist mir entfallen – bis Päivis Bü? Meine Frau sitzt hängend auch irgendwo in dem Trubel und macht Spaghetti mit roter Sauce. Und viele andere, die alle aufzuzählen ich zu faul bin. Oder soll ich wahrnehmungsmäßig und beschreibungstechnisch auf die vielen Bücher hier losgehen? Ihre Farben beschreiben oder ihre jeweiligen Inhalte, soweit die mir überhaupt noch zugänglich sind, erinnerungsmäßig? Oder soll ich – um meine Leserinnen nicht allzu sehr zu verwirren – in vertrauter Tradition akustisch beginnen? Mit dem Surren in meinen Ohren vel (das heißt und/oder) dem Rauschen des Gerätes im Lichtschacht, von dem ich nie weiß, ob es eine schlichte Lüftung ist oder eine klimaschädliche Klimaanlage (aus dem Fenster schauen hülfe nichts, da ich nicht weiß, wie die - sowohl das eine wie auch das andere Gerät – ausschauen)? Übrigens hat das jetzt gerade aufgehört. Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich das Gerät so verschreckt habe! (Gell! Schuldgefühle können auch größenwahnsinnig sein!)

Das Hohlspiegelphoto hüpft unter meinem Blick hin und her. In einem zusammengenudelten Papersackerl mit Samen von Wiesenblumen, das ich zur Aufbewahrung in ein Glas mit Deckel gepresst habe und das im Regal vor den Castaneda-Büchern steht, sehe ich ein altes, verknautschtes Gesicht. Eine Wolke, die sich vor die Sonne geschoben haben muß, verändert hier alles; sämtliche Farben werden erschreckend stumpf; meine Leselampe, die ich nun aufgedreht habe, ändert daran nicht viel. Ich höre Geräusche, als wäre jemand in der Wohnung. Das kann nicht sein, ich bin allein. Und die Katze ist auch schon tot. Ich verfalle in so eine Art Bewegungslosigkeitstrance. Keine Starre – ich bleibe weich – aber weder Geist, noch Seele, noch Leib bewegen sich. Weder angenehm noch unangenehm. Ich könnte lange so verbleiben. Die Lichtschachtlüftung und ein eine Sekunde vorher aufgedrehtes Radio gehen los. Im Nachbarhaus klopft es plötzlich an meine Wand. Jemand hämmert verbissen (unterstelle ich mal vom Rhythmus her), auch die Musik aus dem Radio wird jetzt hämmernder, übernimmt die Hammerstafette, weil der Hämmerer wieder aufgehört hat. Irgendwie prallt die Lebendigkeit suggerierende Geräuschkulisse (ja, so empfinde ich es: schlechte Kulisse in einem faden Theaterstück) an der Bewegungslosigkeit im Zimmer ab. Die Lüftung (oder was das ist) hört jetzt auf und die Musik wird wieder melodiöser. Kann denn Liebe Sünde sein? Kommt darauf an, was man unter Liebe und was man unter Sünde versteht. Mich betrifft’s weniger. Und wieder Stille. Alle Geräte schweigen und ich hatte gar nicht bemerkt, wann und dass sie aufgehört haben, als wäre mein Gehör als Informationssender abgeschaltet gewesen.




(17.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3243 Mich gelüstet nach Yoghurt

 



„Mich gelüstet nach Yoghurt“ sage ich halblaut vor mich hin, nachdem ich aufgestanden bin, da weder Mägde noch Knechte, noch Weib und Kinder da sind, mir dieses zuzubereiten und zu reichen; aufgestanden aus der Leseposition am Bett, um in die Küche zum Yoghurt zu gehen, nachdem ich – verwirrt und durcheinander von der Lektüre von Kleists Kohlhaas-Erzählung, deren umständliche, wenn auch zeitgemäße (damals) Sprache meiner gierig verschlingenden Lesart so gar nicht entgegenkommen will, weggelegt hatte. Alles verwechsle ich: Namen, Personen, Orte und viele, vor allem juridische Begriffe kenne ich nicht und von den sowohl gesellschaftlichen, als auch staatlichen Funktionen habe ich kaum eine, niemals zwei Ahnungen. Und diese Schachtelsätze, wo ich nie weiß, worauf sich das Relativpronomen bezieht, da von der Satzstellung her unklar, nein, da sind meine kühnsten und umständlichsten Schachtelsätze geradezu eine Labsal! Himmelherrgott, ich verstehe die Geschichte nicht, komme nicht mit, was es mit diesem Papierchen in der Kapsel um den Hals auf sich hat, nicht, wieso die einen so, die anderen so Stellung beziehen, nein, so eine Kaspelei, also denen fehlt eindeutig Logik, Logistik und Mathematik!

Also auf und runter in die Küche. Ich drehe in Zimmer, Vorzimmer und auf der Stiege die Lampen an, denn es ist dämmrig geworden und ich alter Mann will nicht stolpern. Das will ich nicht verhehlen, dass mir die Rache und Mordbrennerei des Kohlhaas, als er noch aufbegehrt hat, sehr gefallen hat. „Liefert den korrupten Junker aus!“ „Nein? Die Stadt niederbrennen!“ Fertig. Das Volk muß sich halt gut überlegen, wem es sich unterwirft. Ja, solches Wüten gegen erlittenes Unrecht haust auch in meiner Brust. Aber jetzt und vorerst will ich mich mit Yoghurt zufrieden geben. Unten in der Küche, als ich auf die Uhr schaue, stelle ich mit Erschrecken fest: ich habe mit meiner lesenden Raserei die Zeit im Bild verpasst. Aber jetzt soll mir erstmal das Yoghurt munden: eine Mischung aus Bio-Naturjoghurt 3,6 Prozent Fett mit Bio-Joghurt nach griechischer Art 10 Prozent Fett – ungefähr fifty-fifty.

Ach, meine Seele ist so unglaublich anachronistisch, oder? Aber auch das nicht richtig. Kennt sich weder dort noch da aus.




(16.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 16. Juni 2023

3242 So ein schönes Erwachen!

 



9:23 a.m. So ein schönes Erwachen! Bei offenen Fenstern, trotzdem ruhig; frische, laue Sommerluft; ungestört; aus einem interessanten Traum (den ich schon vergessen habe; wieder einmal von REM, das weiß ich noch. REM: die Wiener Künstlergruppe mit eigener Galerie, wo ich dabei war. Fast schon vierzig Jahre her. Ich träume oft davon, von Projekten, Vernissagen, sogar von Auftritten als Band und ich an der Gitarre!). Ich lieg also im Bett und atme erleichtert auf. Die Stadtgeräusche sind hier nicht aufdringlich, zu meinem eigenproduzierten Surren gesellt sich ein fremdproduziertes, irgendein Gerät, das über den Lichtschacht hereintönt, die beiden harmonieren, alles recht moderat, der Sound des fremdproduzierten in etwa wie der eines Kühlschranks. Linke Hand entkrampfen! Die klammert sich wieder am Notizbuch fest. Ich lockere sie. Ich bin ganz entspannt, aber die linke Hand macht nie länger mit. Ich begreife nicht ganz, wo das herkommt. Doch vom Unfall an der Kreissäge im Dezember 1977? Wegen dem halben Daumen? Ist meine linke Hand immer noch geschockt? Ich kann es kaum glauben. Ich verweile ein wenig bei dieser Szene damals. Und wirklich: es gehen kleine Schockwellen durch meinen Körper. Ich bin erstaunt. Ich dachte, ich hätte das damals gut verarbeitet. Der Luftzug, der anscheinend bis zum Regal an der hinteren Zimmerwand kommt – obwohl es das Fenster im Vorzimmer ist, das offen steht – bewegt dort ein angetackertes Photo, das sich schon immer wie ein Hohlspiegel gekrümmt hat, und bewegt so den glänzenden, gespiegelten Lichtstreifen, der in der Wölbung entstanden ist. Sonst rührt sich nichts. Meine linke Hand hält schon wieder ganz verkrampft, wie in Panik das Notizbuch fest. Ja, es muß so sein: ich habe mein ganzes Leben in Alarmmodus und Trance verbracht, mit all dem psychophysischen Verschleiß, den das bewirkt. Alles deutet darauf hin: das Chaos in meinen Erinnerungen, die alle als von Dunkelheit umrandete Bilder wie aus einem Tunnelblick erscheinen, ich weiß kaum, wann was war und was rundherum passiert ist, die jeweilige Umgebung ist ausgeblendet, was habe ich für ein Gewand angehabt? Wie war das Wetter? Was wurde vorher geredet? Fast nichts. Alle Erinnerungen sind von Dunkelheit kontaminiert.




(16.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3241 Ich bin wirklich schon sehr müde

 



1:23 a.m. Endlich traue ich mich an einen Abendtext heran. Richtiger gesagt: kann ich mich trotz Müdigkeit dazu überreden, Notizbuch und Schreibzeug in die Hand zu nehmen. Die Brille habe ich vom Lesen vorhin schon auf. Die schöne hellgrüne Farbe des Pilotstiftes (die Schrift wird dann wegen ihrer Blaßheit nur schwer zu lesen sein) schlägt sich unangenehm mit dem von der anderen, beschriebenen Blattseite durchschimmernden Rot des morgendlichen Eintrags. Hoffentlich schaffe ich es bis aufs nächste, hinten und vorne leere Blatt. Eine Dunkelheit ist im Zimmer, keine absolute, nein! Ich brauche doch das Leselicht, aber eine substantielle. Eine Dunkelheit, die mehr als Fehlen von Licht ist, eine Dunkelheit, die ein Wesen hat und etwas will. Ich würde schätzen so zweieinhalb, drei Meter vor mir hat sie ihr steuerndes Zentrum. Hatte sie, denn jetzt ist sie verzogen, weg. Wo sie sich vorher gewölbt hat, ist nichts mehr, nur Luft. Ich bewege meinen auf verschiedenes Gepölster lagernden Kopf ein wenig, vielleicht kann ein Wechsel der Perspektive diese schwarz gelb gemischte Dunkelheit wieder herbeiwinken. Manchmal deucht mich, noch ein wenig ausgeronnenes Fluidum dieser wesentlichen Dunkelheit wahrzunehmen, aber sicher bin ich mir nicht. Und wenn doch, sind es nur Schwaden, die im Raum schweben, aber Zentrum bilden sie keines mehr. Hurrah! Ich habe es auf das neue, rückseitig noch völlig unbeschriebene Blatt geschafft! Das ist doch gleich etwas ganz anderes! Das blaße Grün ist so viel schöner. Ein vermutlich mückenhaftes, aber wie eine Fliege klingendes Insekt summt laut an meinem rechten Ohr. Jetzt sitzt es offensichtlich, denn ich höre kein Summen mehr. Es läßt sich aber auch nicht mehr aufscheuchen, wie vorhin, wenn ich mit der Hand hinfuchtle. Jetzt sehe ich das Insekt: es ist ganz klein, fliegt, und ich höre nichts. Das wundert mich, vorhin war sein Flug ganz laut. Hatte es mir absichtlich etwas ins Ohr gesagt? Ich warte doch so sehnsüchtig auf Botschaften und Tipps aus dem Universum, und nie verstehe ich sie! Mein körpereigenes Surren tendiert schon zur Eskalation. Ich bin wirklich schon sehr müde.




(16.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 15. Juni 2023

3240 Nihil est in ...

 



9:09 a.m. Mein Ohrenrauschen führt ein Eigenleben, pulsiert, vibriert, stockt, variiert. Es ist stärker als die gewöhnlichen Geräusche der Umwelt und hüllt meinen Kopf geradezu geographisch ein, oder es gibt gar keinen Sound, der aus der Stadt kommt. Nur einzelne Geräusche wie Hämmern im Nachbarhaus kommen durch den surrenden Wall. Das Gehör muß sich erst auf die Alltagswelt einstellen. Ich habe den Verdacht, die Surrerei kommt von drüben. Je stärker die Alltagswelt wird, desto mehr geht das Surren zurück in den Hintergrund.

Ich schaue lauernd herum in meinem Zimmer, als braute sich irgendwas zusammen; vielleicht aber kommt das Ganze aus mir. Was sagt das Smartphone? Es gibt nur ein Signal von sich, aber nichts Interessantes.

Meine Bücherwand wird größer und mächtiger, so ganz aus dem Stand heraus dehnt es sich aus, möglicherweise jedoch habe ich mich verkleinert. Ich möchte mich an Kafka nicht versündigen, aber wenn das Bücherregal so aufpoppt, werde ich käferhafter.

Ich glaube, das „nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu“ ist falsch. „Die Sinne“ kommen erst hinten nach. Der Geist schwebt schon länger über den Wassern. Aber für „Intellekt“ könnte es stimmen, wenn man darunter die geistlose Variante versteht. Kommt natürlich auch darauf an, was man mit „Sinne“ meint. Wenn die fünf gemeint sind, die bekannt sind, dann stimmt meine Behauptung.

Ja, liebe Leserin, ich hätte auch lieber einen anderen Text geschrieben, einen lebhafteren.

Aber ich bleibe dabei: in der Nacht fühlt sich mein Geist freier und unbedrängt; und auch wenn ich dann nichts Besonderes mache, genießt er das.




(15.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 14. Juni 2023

3239 Honi soit qui mal y pense!

 



10:28 a.m. Die Küsserei im Traum war schön, aber – so vermute ich – nicht sehr erfolgreich. Zu hysterisch, zu kindisch. Noch dazu, wo wir zwei Männer waren, die die Frau so infantil und unprofessionell geküsst haben: ich von der – von ihr aus gesehen – linken Seite, der andere von der rechten. Macht nichts! Jetzt bin ich wieder hier in meinem Zimmer und nicht auf dieser traumhaften REM-Veranstaltung. Hier hänge ich so in den frühsommerlichen Morgen, habe vorher schon die Pflanzen gegossen und bin dann wieder zurück ins Bett, um mich für den Tag und seiner Plag fertig auszubacken. Noch schreie ich nicht "Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich: ich bin schon längst ausgebacken", sondern genieße noch die letzten Minuten unter der Decke. „Linke Hand entkrampfen!“ fällt mir ein (Honi soit qui mal y pense!) und lockere die linke Hand, die mein Notizbuch übereifrig zu fest hält. Man könnte schon vermuten, ich klammere mich ans Schreiben, das schon zum Rite de passages geworden ist, aber nicht vom Kind zum Erwachsenen, vom Außenseiter zum Mitglied (Honi soit qui mal y pense!), sondern vom Traum zur Realität und am Abend von der Realität in den Traum. Genügt das als Text? Es genügt. Hat er genug Sprengstoff? Er hat.




(14.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 13. Juni 2023

3238 Flucht

 



9:49 a.m. Ich bin schon froh, dass die Bücher heutzutage recht farbig sind und ich so in einem bunten Ambiente aufwache. Dazu kommen noch der CD-Turm und die vielen Kunstkarten, an die Wand getackert und an Buchrücken gelehnt. Ich weide meine Augen an dem Stilleben hier. Aber Idylle ist es trotzdem nicht, dafür ist es tendenziell zu staubig und gehen mir viele zu schreckliche Gedanken durch den Kopf. Unangenehme Gedanken über mein Leben, die mich in keinem guten Licht dastehen lassen. Was heißt „lassen“! Sie haben keine andere Wahl: so ist es eben, wenn Licht auf dunkle Seiten fällt: nicht das Licht ist „gut“ oder „schlecht“, sondern das Beleuchtete. Ich versuche gedanklich zurückzurudern, aber komme in kein ruhiges Gewässer. (Tja! Je weiter zurück Richtung Quelle, desto turbulenter meistens. Was bei der starken Strömung auch gar nicht geht.) Ich spekuliere schon mit der Flucht zu Aufstehen, „Realität“ und Frühstück. Da bin ich stolz auf mich, dass ich diese Flucht immer noch ohne Ö3-Wecker oder Ähnliches schaffe!




(13.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3237 Ausgeronnen

 



9:38 a.m. Ich habe von mir nie gedacht, dass ich irgendwo irgendwas gewinnen könnte. Aber das ist mir jetzt am verschlafenen Morgen auch egal. Ich kann jedoch regelrecht zuschauen, wie dieser Gedanke nun in mein System eintröpfelt und meine psychophysische Chemie verändert. Aber das System wehrt sich und will sich nicht aufregen und flutet alles mit Gleichgültigkeit und Schläfrigkeit. Siege oder Niederlagen bleiben mir im Moment noch völlig wurscht.

Ich werde im Roman lesen.

Zwischen und über den Augen nehme ich eine schwächelnde Verspanntheit wahr. Als wäre mein Gehirn ausgeronnen und leer.




(12.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3236 Fad

 



8:55 a.m. Mir ist schon fad im Bett. Ich bin schon herumgegangen und habe oben und unten die Pflanzen gegossen. Aber mir ist auch fad außerhalb des Bettes; also bin ich wieder ins Bett zurück und warte auf das Sonntagsfrühstück, das meine liebe Frau zubereitet und ins Bett servieren wird. Sie hat schon angekündigt, dass es länger dauern wird, weil sie ihren Slowcooker, den ich nie benutze, noch von den Resten des Frühstückbreichens reinigen und für das Familienessen heute befüllen will. Den aufwühlenden Traum, den ich aufschreiben hätte können, hab ich längst vergessen; nur das vage Bild einer wurlenden ovalen Fläche so knapp einen Meter vor mir in halber Höhe, also in etwa in der Gegend der Leibesmitte, ist noch nicht ganz verschwunden. In der Küche beginnt dass Wasser zu wallen und zu kochen. Jetzt wird Kaffee gemahlen. Überhaupt lausche ich den Geräuschen der Arbeit. Wo bleibt die Pointe? frage ich mich. Wieder vom dreifachen Wohnzimmerbaum zu schreiben, der sich am liebsten beim Fenster rausbeugen würde, habe ich auch keine Lust mehr. Die Wohnzimmercouch wird alt und bekommt Falten. Das Stilleben am Wohnzimmertisch schreit nach Ordnung, so durcheinander wie es ist. Naja, ganz so schlimm ist es auch wieder nicht; das kann man so oder so sehen. War das jetzt die Pointe? „Stilleben“ – „schreien“? Schwach, mein Sohn, sehr schwach! („mein Sohn“! So freundlich wurde in meinem Aufwachsen nie mit mir geredet). Du rettest den Text nicht mehr, so rette dein eigenes Leben. Oh! Ich entdecke zum ersten Mal eine wunderschöne Stelle im Geäst der drei ineinander verwachsenen Wohnzimmerpflanzen; eine Stelle, wo sich die Zweige und Luftwurzeln so arrangiert haben, dass sie wie strahlenförmig auseinander gehen. Überhaupt gefällt mit die Graphik all dieser pflanzlichen Linien. Die Wassermelone wird jetzt als Vorspeise serviert.




(11.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 10. Juni 2023

3235 Nur zu!

 



11:16 a.m. Das Aufwachen um diese späte Zeit ist mir vorgekommen wie in aller Herrgotts Früh. Ich muß tief und gut geschlafen haben. Jetzt heißt es wohl aufstehen. Ich hänge teilweise noch sehr an einem Traum fest, der mich unglaublich aufgewühlt hat, aber erzählerisch nichts hergibt. Ich werde durch die immer befremdlicheren Umstände vom fröhlichen Hausmitbesitzer zu einer Art Hausmeister für immer mehr Gäste? Mitbewohner? Wer sind die? Was weiß ich, was die sind! Jung sind sie und anspruchsvoll. Ich soll für deren Probleme Lösungen finden. Ich, der ich mich selbst nicht auskenne! Also wie?! Ich kenn mich doch wirklich nicht aus! Außerdem leben jetzt in meinem Zimmer zwei junge Männer und ich soll still sein und keine Musik hören, damit ich sie bei ihrer Schreibtischarbeit nicht störe. In meinem Zimmer! Und bei den Frauen unten ist eine Lampe ausgefallen und ich soll das hinbekommen, dabei kenne ich mich selbst kaum in der Elektrik aus. Und eine schräge Lampe, die ich nach langem Herumsuchen finde, hat kein Kabel. Ich steh nur überfordert und blöd da. Wo ist meine Frau? Die hat sich verzupft und mir den ganzen Schlamassel überlassen?

Ich muß mich da rausschälen und gehe am Besten gleich hinunter und bereite mir das Frühstück. Komm! Nur zu! Das Zittern wird sich dann gleich auflösen.




(10.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3234 Zu dumm

 



1:06 a.m. Im Badezimmer hatte ich noch einen genialen Einfall für einen ersten Satz, aber auf dem Weg zurück ins Zimmer muß er mir entglitten sein. Keine Ahnung, was das für ein Satz war!

Ein angenehmer Tag war heute: ich war ganz allein und mußte mein Gebiss, das mir oft etwas unangenehm ist, vor allem am Gaumen diese Plastikplatte vor allem beim Essen, nicht reingeben, denn ich habe die Wohnung nicht verlassen. Ja, ja! „Agiere wenn du allein bist so, als wärest du in Gesellschaft, und wenn du in Gesellschaft bist, als wärest du allein.“ Gefällt mir eh diese Ansage, aber ich mag nicht. Nein, ich mag nicht mehr. Ich will mich nicht mehr vervollkommnen. Ich will meine schöne Ruhe haben. Außerdem bin ich müde. Keine Spompanadeln mehr heute! Ein wengerl lesen noch; diesen Roman, der entweder schlecht geschrieben ist, oder schlecht übersetzt, oder für den ich schlichtweg zu dumm bin.




(9.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3233 Allergisches Obst?

 



Nachdem ich meinen Leib durch Wohnzimmer und Bad getragen habe, bin ich wieder ins Bett im Wohnzimmertabernakel (tabernaculum: Hütterl; hier Schlafkoje) zurückgekehrt und esse dort mein Frühstücksmüsli aus der blauen Schüssel. Im Hof gurrt eine Taube; sonst ist es völlig still. Das Stilleben am Wohnzimmertisch wirkt ganz zufällig. Der dreifaltige Wohnzimmerbaum neigt sich nach rechts. Die Taube, die jetzt ruft, klingt fast rau wie ein bellender Hund. Jetzt, nachdem ich das Müsli aufgegessen und die leere Schüssel abgestellt habe, tränen meine Augen und ein unangenehmer Niesreiz macht meine Nase rinnen. Allergisches Obst? Forget it!




(8./10.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 6. Juni 2023

3232 Die wahrgenommenen Dinge

 



9:42 a.m. Die wahrgenommenen Dinge (ich nehme an, sie sind halbwegs wahr) vibrieren und zittern noch, durchs offene Fenster kommen die Gespräche aus anderen Wohnungen laut, aber ganz undeutlich herein. Die Rufe der Tageskinder kündigen sich schon an und dann erschallen sie fröhlich im Stiegenhaus. Wirklich eine gute Zeit um aufzuwachen. Die Dinge sind nun schon etwas fester. In meinen Ohren schrillt und surrt es noch ganz traumverhangen. Jetzt ist die Vibration mehr in meinem Körper als in der Außenwelt. Es ist wirklich wunderschön, so im meinem geliebten Zimmer aufzuwachen, und so in den Tag zu starten.




(6.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3231 Schreibidee

 



1:30 a.m. Es ist angerichtet. Jetzt muß nur noch die Schreibidee kommen. Ich bin schon ganz aufgeregt vor Erwartung, was es denn sein werde. Heute habe ich Spinatpalatschinken gemacht und zwar so, wie sie meine Mutter gemacht hat: den passierten Spinat in den Teig gerührt. Aber jetzt bin ich müde. Eines kann ich noch berichten: als ich im dunklen Badezimmer den Lichtschalter betätigte, schien es mir, als blitze am Schalter selbst ein Licht auf, als würde der Schalter selbst aufleuchten und einen Lichtkranz auf die weiße Wand um ihn herum werfen. Aber da muß ich mich wohl getäuscht haben.




(5.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3230 Aufbruch

 



Was kann ich von dem Garten berichten, in dem ich sitze? Laut ist er, sehr laut. Die viel befahrene Straße daneben, wenn auch hohlwegartig abgesenkt, Flugzeugschneise oben drüber. In der Sonne ist es heiß, im Schatten recht kühl. Amseln, Krähen. Ein liebliches Lüftchen (in der Sonne warm, im Schatten kühl). Ich muß mit dem Bericht aufhören, meine Frau ruft. Vermutlich zum Aufbruch.




(3.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3229 Morgenbericht

 



7:07 a.m. Die Taube ruft unaufhörlich ihren traurigen Ruf nicht nur ins Universum hinaus, sondern nebenbei auch bei unserem offenen Fenster herein. Der Wind bläht den leichten, zarten, auch von mir künstlerisch gestalteten Vorhang. Ich huste ein wenig in der kühlen Morgenluft. Plätschert schon der kleine Springbrunnen im Innenhof? Es ist nicht ganz deutlich zu hören, woher das Geräusch kommt und was es ist. Der Wind bewegt auch das abstehende Ende (oder den Anfang) der Küchenrolle am Wohnzimmertisch. Meine Yogafrau schleicht nach ihrer Morgenpraxis heran und schließt einfach so das Fenster zum Hof. Mir soll es recht sein. Dafür höre ich die Geräusche von den gekippten straßenseitigen Fenstern deutlicher. Kein große Sache, der Autoverkehr hier in der Gasse überhaupt und vor allem um diese Zeit ist sehr gering. Gelblich rötliches Licht – ich weiß nicht über wie viele Spiegelungen geschickt – schimmert stellenweise an der weißen Wohnzimmerwand. Das war fürs Erste mein Morgenbericht.

Des Berichtes zweiter Teil: ich sitze im Bett und esse als Vorspeise Wassermelonenstücke aus der blauen Schüssel. Ich bin hellwach und überhaupt nicht verschlafen und warte auf das Frühstück, das meine Frau zubereitet und ins Bett servieren wird, so Gott will (Der? Der will das?). Die Melone schmeckt wunderbar. Um mich nicht anzupatzen hebe ich bei jedem Stück, das ich mit Hilfe einer Gabel zum Mund führe, auch die blaue Schüssel an meine Brust und halte sie unter mein Kinn, so ungefähr. Das war fürs Erste mein zweiter Morgenbericht.




(3.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 2. Juni 2023

3228 Unter die Deck’

 



4:58 a.m. Aus einem Albtraum aufgewacht, der noch in der Leibesmitte festsitzt. Höchste Alarmstufe, wenn ich auch nicht weiß welcher und weswegen. Von ferne höre ich Krähengeschrei und Taubenrufe. Das hört sich wie ein normaler Sommermorgen an. Aber meine Atmung geht angstvoll und verhalten (ich beschreibe nur; ich mache mir keine Sorgen). Ratlos (wie so oft) hocke ich im Bett und kann nicht schlafen. Das macht nichts, ich finde diese sommerliche Morgendämmerung interessant (ein besseres Wort ist mir nicht eingefallen). Mühsam manövriere ich durch die Verwirrung, aber es geht. Der Abstecher zum Döbereiner scheint unvermeidlich und tut weh. Der innere Alarm wird nochmals hochgefahren und Übelkeit überkommt mich. Mit tiefen Atemzügen versuche ich, die Kontrolle nicht gänzlich zu verlieren und wieder Oberhand zu gewinnen. Ich schließe die Augen, aber der Schlaf kommt nicht zurück. So hänge ich unfertig und unausgebacken da. Linke Hand entkrampfen! Ich stehe auf und gehe in der Wohnung herum, richte die verschobenen CDs auf dem CD-Turm wieder ein. Ich schaue aus den Fenstern. Ich kann schon den Glanz der roten Morgensonne oben an den Hausfassaden sehen. Ich gieße die Pflanzen. Dann grüße ich die Bäume sowohl hofseitig als auch straßenseitig. Ganz haben sich Druck und Übelkeit in der Leibesmitte noch nicht gelegt. Ich gehe zurück ins Bett und schlüpf’ unter die Deck’.




(2.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3227 Kinder, ich will schlafen

 



23:31 Ich rieche noch nach Alter Donau und Sonnencreme, denn ich habe mich nur ohne Seife gewaschen. Ich wollte diesen Sommer- und Ferienduft bis zum morgigen Tag retten. Der Duft der großen Hoffnung meiner Kindheit und Jugend, dass ich jetzt, wenigstens ganz bald, ins Leben finden möge. Und anscheinend ist es wirklich die Hoffnung, die zuletzt stirbt. Ich bin von der Sonne ganz erschöpft – das Schwimmen kann es nicht gewesen sein – und liege schon länger im Bett, habe gelesen … und es ist noch nicht einmal Mitternacht. Bald werde ich alles weglegen und schlafen. Ein Blick noch auf mein Mali-Lošinj-Bild (ich mache mir Sorgen, meine Leser:innen könnten bei der vorvorigen Geschichte angenommen haben, ich wäre tatsächlich in Mali Lošinj), es ist wirklich recht leer und voll von weißem gleißendem Sonnenlicht. Ein Hafen ohne Menschen. Niemand ist in den Booten, niemand schwimmt im Meer, niemand flaniert über die Uferpromenade. Ich bin müde. Kinder, ich will schlafen.




(1.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3226 Bei den Pappeln

 



Diese Pappeldinger (Ich habe nachgeschaut: das heißt Pappelwolle) schweben langsam durch die Luft und landen dann auf der Erde. Wie schon einmal angemerkt: Lichtschutzfaktor 30 erschlägt die Poesie; zumindest bei mir Un-dichter. Bleibt noch „Schriftsteller“, eventuell. (Zahlt die UNO unter irgendeinem Vorwand und über irgendeiner ihrer vielen Teilorganisationen auch Dichter? UN-Dichter? Wer was weiß bitte melden! Emailadresse unten). Sagen wir es so: bei den Nackerten im Gänsehäufel ist es heute ganz ruhig. Zwei Arbeiter in unterschiedlich blauen Latzhosen sind recht gemächlich mit den Mistkübeln beschäftigt. Ich gönne ihnen die Gemütlichkeit; richtig so! Der sanfte Wind geht ganz leicht. Und die Pappeln zittern so schön. Von ferne rauschen elegisch die Rasenmäher. Das Wasser ist herrlich zum Anschauen und zum Schwimmen. Die Krähen sind nicht weit. Eine ruft ganz nahe mit melancholisch heiserer Stimme. Eine Ameise zwickt mich in den Rücken. Eine bekleidete Frau trägt einen Sessel Richtung Westen. Ich sehe jetzt die Krähe im Baum. Jetzt spricht sie ganz leise einen rollenden Laut. Ein Flugzeug (das gehört anscheinend auch zum Sommer; jedenfalls bei mir ist es so abgespeichert). Ich bekomme viel zu früh Hunger. Oder ist mir bloß fad? Wir warten noch ab. Nach einigen lauten Rufen gibt die Krähe im Baum wieder einen leisen, diesmal pochenden Ton von sich. Ich habe mich jetzt auf den Rücken gelegt, den Kopf beim Pappelstamm und schaue ins Geäst und auf den blauen Himmel in den Lücken des Blätterdaches. Diesen Blick, der unglaublich weit bis zu den Baumspitzen braucht, werde ich im Bewußtsein behalten; das weiß ich schon jetzt.

Die Omar-Rodrieguez-Lopez-Group haut voll rein, während mir der Wind die nackte Haut mit leichter, lauwarmer Kühle streicht. Ein unidentifiziertes, krabbelndes Wesen läuft über das Notizbuch. Das Musikstück (Live Los Angeles (WIP) II 2010 rough cut 2) nähert sich langsam aber kräftig seinem dramatischen Höhepunkt und absoluten Verwandlungsmoment. Das ist meine Andachtsmusik! Da werde ich ganz andächtig! Ein Paukenschlag (sozusagen) und die musikalische Fülle heult als wahre Flut dicht, polyphon, überschäumend und glücklich los. Nun ein neues Stück, eine neue Stimmung. Jetzt singt Ximena Sariñana mit ihnen. And now mein vielgeliebter John Frusciante (neues Stück, neue Stimmung). Die Umgebung habe ich weitgehend aus den Augen verloren. Mit bewußter Absicht schaue ich mich wieder um (es gibt auch eine „unbewußte Absicht“ W.D.). Seifenblasen werden in den Wind geblasen; ich kann nicht herausfinden von wem. Eine kleine Meise setzt sich auf eine kleine Weide fünf Meter vor mir. Das Paradies ist verloren, das sieht man an den Nackten (und den Roten: Sonnenbrand!). Eine Krähe fliegt einen weiten Bogen und setzt sich ganz oben auf den kahlen Ast einer Pappel.




(1.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 1. Juni 2023

3225 Neuer Morgen

 



Die Uferstraße von Mali Lošinj ist ganz leer. Nur das Nichts wellt und wölbt sich ein wenig und furcht die Promenade auf. Das Smartphone düdelt. Das Vorzimmer ist ganz leer. Keine Madame Mi-Tsi hat mich heute aufgeweckt und mit der Aufforderung zur Fütterung aus dem Bett geholt. Auf dem Weg zum Klo muß ich nicht aufpassen, nicht in Katzenpisse oder Kötteln zu treten. Auf der Baustelle im Nachbarhof wird – so klingt es – mit Flammer gearbeitet (oder wie das Gerät heißt). Der CD-Turm im Zimmer ist bunter geworden. Vielleicht wird doch direkt im Lichtschacht oder im Haus gearbeitet, das Geräusch klingt mir doch zu nah für den Nachbarhof. Keine Katze springt ins Bett herauf, legt sich auf das Notizbuch und stört mich beim Schreiben und will gestreichelt werden und ich gebe das Schreibzeug weg und lasse mich darauf ein. Fast ratlos lehne ich in den Pölstern und sage halblaut vor mich hin: Mietzi, du gehst mir ab.




(1.6.2023)

©Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com