Donnerstag, 31. August 2023

3374 Jetzt pfeift der Wind

 



Ich sitze wieder neben der Schneiderpuppe, mit dem linken Oberarm an ihre Hüfte gelehnt, und schaue zum Atelierfenster in den Hof hinaus. Der Wind ist böig und zeitweise heftig und die Zweige und Äste der Hofbäume tanzen in unglaublich schöner und freier Choreographie. Manchmal sind es einzelne Ästchen und Zweiglein, die sich sanft bewegen, manchmal kleine Grüppchen, irgendwie doch aufeinander bezogen in ihren eigenständigen Bewegungen, manchmal aber neigen, beugen, drehen und heben sich alle in feierlicher Elegance und pathetischer Pracht, begleitet vom Rauschen des erstarkten Windes und vom Klappern und Schlagen irgendwelcher Türen oder Fenster. Ich spüre den Wind auf meiner Stirn; er kommt bis zu mir an die hintere Wand her. Jetzt pfeift der Wind tief und rau, während die Äste und Zweige der Essigbäume und des Weidenbaumes erregt herumtänzeln. Dann wird alles wieder ruhiger. Die ganze Baumgruppe dreht nun ihre Kronen nach links, und zusätzlich fährt ein einzelner Windstoß von rechts oben nach links unten durch, wie ein Windstrahl nur auf einem schmalen, deutlich erkennbaren Streifen. Dann drehen sie die großen und kleinen Bewegungen gemeinsam zurück und halten inne, bevor wieder einzelne Blätter und Zweige zu tänzeln beginnen. Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau. Es ist frisch. Es geht auf Mittag zu. Wieder läuft ein Windstoß durchs Geäst, dreht die einen so, die andern anders, gleichzeitig, wie abgesprochen. So ein spannender Tanz! So ein schöner Tanz, der mich traurig macht. Oder besser gesagt: schwermütig. Tanzen – das wär’s! Und der Himmel ist von so sanftem Blau!

(31.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3373 Die Lichtpunkte

 



1:36 a.m. Jetzt verstehe ich es endlich: die Lichtpunkte an den Bücherrücken und Karten im Regal, und an dem einen oder anderen Ding hier im Raum, vom Licht meiner Leselampe, die gerade eine Schreiblampe wird, ausgelöst, bilden Sternbilder! Sternbilder einer anderen Welt offensichtlich, Sternbilder, die ich zwar nicht kenne, nicht weiß, wie sie heißen, und nicht, was oder wen sie darstellen, auch nicht, was sie bedeuten, aber es beruhigt, dass es sie gibt.

(31.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 30. August 2023

3372 „Qualität und Wucht“

 



9:36 a.m. Ich wache in die schönste Stille auf und bleibe noch ein wenig ruhig liegen. Dann schaukle ich am Rücken ausgestreckt ein wenig auf der Wirbelsäule als Drehachse sanft hin und her, eine Übung, die helfen soll, die Kreuzschmerzen zu lindern. Die Stille – mitten in der Stadt – ist so köstlich und ich genieße sie so sehr. Mein erster unscharfer Blick auf meine bildbetackerte Wand der schubladenbefreiten Kommode sieht fast nur Linien, keine Gestalten. Ich atme tief und erleichtert durch. In dieser Position habe ich keine Schmerzen. Das Leben ist schön. Ich übe das, was man im Volksmund „Narrenkastl schauen“ nennt mit der jungen Frau von Katz im Zentrum und in einem Moment und mit einem Ruck sinkt mein Blick einen Zentimeter unter die Oberflächen der Realität. Dort sind die Flächen und Strukturen welliger und überhaupt sehr anfällig für kosmische Wellenbewegungen. Mein Smartphone düdelt und ich schaue nach und habe eine Botschaft erhalten. Ich öffne sie und bin sehr erfreut: eine berufene Würdigung meiner alten Texte hier in der Schublade („Qualität und Wucht“). Das ist einmal ein guter Tagesbeginn! Mein Geist ist jetzt ganz aufgeregt, meine Augen füllen sich mit Tränen, aber mein innerer „Großinquisitor“ (naja, meine mißtrauische Ratio) bremst meine Euphorie schnell ein, in dem sie die beglückende Aussage „embedet“. Es tut mir trotzdem gut und ich kann die Sache bewertungsmäßig offen lassen. Jetzt schaut mich die junge Frau vom Katz regelrecht aufmunternd und herausfordernd an, aber nur für einen kleinen Augenblick, dann empfinde ich ihren Blick wieder wie immer: verächtlich und arrogant. Ich entkrampfe meine linke Hand und seufze nochmals tief und erleichtert (aber stockend wie beim Weinen). Ich beschließe aufzustehen und zu frühstücken.

(30.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 29. August 2023

3371 Typisch bei Selbstmitleid

 



Ich bin frustriert, grantig, enttäuscht. Wenn ich genau sagen müßte worüber, würde ich herumstottern und herumreden, ohne auf den Punkt zu kommen. Mißmutig ziehe ich den Trolley hinter mir her zum Supermarkt, setze mich davor auf eine Bank und warte auf meine Frau.

Nach dem Einkauf ziehe ich den halb gefüllten Einkaufstrolley alleine zurück Richtung Wohnung. Mein Kreuz schmerzt schon den ganzen Tag. Ich fühle mich so hoffnungslos. Diese idiotische Stimmung ist ganz plötzlich gekommen. Gerade hatte ich noch dem Hannes Priesch fröhlich wegen Tizen Három gepostet. Nichts neues so ein plötzlicher Stimmungswandel, aber doch unerwartet. Als ich das Einkaufszeug mühsam im Trolley die Stiegen hinauf in den zweiten Stock ziehe (unsere Stiege hat keinen Lift), wünsche ich mir den Tod. Ich habe noch genug Disziplin, mich auf die Betrachtung der Stufen, die an meinem starren Blick vorbei nach unten gleiten, zu konzentrieren, auf dass ich mich an die Wirklichkeit, nicht an meine eingebildeten Probleme und unwürdigen Phantasien halte. In der Wohnung dann gebe ich noch brav den Tiefkühlfisch in das Tiefkühlfach des Kühlschranks, alles andere lasse ich in der Küche stehen. Ich will nur mehr im Bett liegen und lesen. Was soll ich draußen in der Welt, die ich nicht verstehe und mit der ich nicht zurechtkomme? Ich seufze tief, auch um diese kindischen, peinlichen und unverschämten Gedanken abzuschütteln. Die Handyrechnung muß ich noch bezahlen (dabei habe ich das vage Gefühl, beim Tarifwechsel über den Tisch gezogen worden zu sein). Ich habe das Kuvert noch nicht geöffnet. Ich mag nicht mehr.

Inzwischen habe ich das Kuvert geöffnet und es war nicht die Handyrechnung, sondern etwas ganz anderes und harmloses. Ganz typisch bei Selbstmitleid!

(29.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3370 Ich schreibe

 



9:35 a.m. Selbst vorm Aufwachen spürte ich mein Kreuz schmerzen bis in den Traum hinein. Aufgewacht bin ich mit ausgetrockneter Kehle. Die unmittelbar zurechtgemachten Sätze (ποιέω – machen, schichten …) hat es mir am Klo und beim Wassertrinken weggeschwemmt. Ich suche sie vergeblich. Ich stocke, weil ich diese ersten Sätze, frisch aus dem Schlaf – deswegen vielleicht sozusagen weissagend - und gleich nach dem Aufwachen mühsam in Gedanken formuliert, nicht aufgeben will. Die Mühe ist vergeblich; sie sind weg. Frustriert schaue ich mich im Zimmer um. Nichts besonderes fällt mir auf (ach verdammt! Jetzt geht es wieder los: schreibe ich „besonderes“ klein, wie ich es früher immer getan habe, oder werde ich mich dann beim Eintippen von der beschissenen Autokorrektur einschüchtern lassen, wie es in letzter Zeit der Fall war? Früher war ich mir in meinem Sprachgefühl sicher, dass die Kleinschreibung von „besonderes“ richtig und angemessen ist, weil das Subjekt des Satzes „Nichts“ ist, das dann spezifiziert wird als „besonderes“, aber inzwischen bin ich mir in meinem Empfinden unsicher geworden, in meinem Grammatikwissen bin ich es sowieso. Wenn ich mir den Satz vorsage, ist mein Sprachempfinden – also das, was mehr von innen kommt als von der offiziellen Rechtschreibung – inzwischen kontaminiert und verwirrt … Oh Gott! Ich höre wieder Motorsägen! Werden in unserem Hof wieder Bäume beschnitten? Ich bin höchst alarmiert (darf man das sagen, wenn man keine Waffen hat?). Dabei bin ich auch gegenüber dieser Logik der Motorsägen machtlos. Diese Scheiß Motorsäge hat mir den Text abgeschnitten).

(Dahinter stecken wohl der Schmerz über die seelischen Beschneidungen meiner Kindheit, die mir mein in mir angelegtes Potential zurückgestutzt haben, bevor es sich richtig entfalten konnte und die Angst, die ich damals erlebt haben mußte.)

Jetzt, später, nach meinem Frühstück und einer längeren Lektüre stelle ich wieder fest: ich kann dem Gelesenen nicht wirklich folgen. Ich verschlinge den Text, versetze meine Geist in Erregung, aber wenn ich das Buch weglege, merke ich: es ist fast nichts im Bewußtsein verblieben. Ich verstehe das geschilderte Geschehen nicht, wie ein kleines Kind die Welt der Erwachsenen nicht versteht und bloß so ungefähr mittut. Ich hänge als ein Fremdkörper und als fremde Seele in dieser euren Welt.

(29.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3369 Ich lese

 



2:18 a.m. Ich lese. Doch ich lese schlecht. Nicht nur schlampig – das auch – meine Augen rasen gierig über die Schrift um den Inhalt zu verschlingen, während mein Geist nicht nachkommt. Der stolpert, taumelt, überspringt; nimmt nicht alles, was da steht, auf. Und später erinnert er sich nicht, auch nicht an das, was er vorhin aufgenommen hat. Ich bringe die Figuren, Namen, Orte, Szenen, alles durcheinander, habe mehr als die Hälfte vergessen, was vor der Stelle, wo ich gerade lese, geschehen war, was dort gesagt oder getan worden war. Aber mein Unverständnis geht noch tiefer: ich verstehe nichts, weil ich das Leben nicht verstehe. Ich verstehe nicht das Leben hier und ich verstehe nicht diese Welt. Als wäre ich von Aliens eingeschleust, ohne von denen gründlich und ausreichend auf diesen Planeten und seine Logik vorbereitet worden zu sein. Ich lese wie ein unbegabter Achtjähriger einen Roman für Erwachsene liest; den Geist völlig angespannt ob der Überforderung und sinnlos überkonzentriert, den Sinn nicht erfassend, sich völlig verkrampft (und dennoch schlampig) an das Wenige klammernd, das ich glaube verstanden zu haben. Ja, fast mit so etwas wie Angst, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können und gleichzeitig völlig ohne Hilfe zurechtkommen zu müssen. Und Angst macht dumm. Das hat die Gehirnforschung inzwischen ausreichend bewiesen.

(29.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 28. August 2023

3368 Nordwest

 



9:50 a.m. Auf den ersten Blick hätte ich fast angenommen, dass die Katz’sche junge Frau verschmitzt lächelt. Die Lüftung im Lichtschacht heult mir den alltäglichen Montag (hihihi) ein. Die Munch’sche Freundin … ich weiß nicht recht. Bin schon im Schweiß erwacht, obwohl es ein wirklich kühler Morgen ist. Ich versuche mich zu sortieren und zu orientieren. Ich blicke 313° Nordwest. In meinen Ohren singt es lautstark. Alles ist in Schwebe. Irgendwann im Laufe der nächsten Stunde wird mich die Pflicht herausgerufen und unter die Dusche geschickt haben. Noch spüre ich die Wellen, die durchs Universum gehen.

(28.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 27. August 2023

3367 Der Glasperlenlampenschirm

 



Ich sitze neben der Schneiderpuppe an der hinteren Wand des Ateliers und blicke bei 223° Südwest zum Fenster hinaus. Ich sehe an der Decke den lichteinschränkenden Glasperlenlampenschirm, die Bettwäsche auf den Wäscheleinen unter dem Plafond, den fast leeren Wäscheständer beim offenen Fenster, meinen Kniesessel am Computerplatz (wo ich immer meine Texte eintippe), die Topfpflanzen hauptsächlich am Fensterbrett, die Dächer und oberen Etagen der Nachbarhäuser und die Bäume im Hof, die mit dem Wind tanzen. Auch der beiseite geschobene weiße Vorhang bewegt sich und so tut auch die Bettwäsche auf den Leinen. Auf meinem T-Shirt, das ich soeben wegen der starken Zugluft angezogen habe – und dafür mußte ich vom Sessel aufstehen und zum Kleiderkasten gehen – trägt die blaue Aufschrift „Ich bin der Richtige“ über Rosa, der Lieblingsfarbe meiner Frau. Aber interessanter ist der Wind, immer wieder der Wind. Schwer, ihn so oft zu beschreiben wie er es verdient; die Beschreibungen klängen immer ähnlich oder gleich, aber was man zu sehen bekommt, ist doch immer neu und überraschend. Und sehr spannend.

Ich werde jetzt die längst trockene und vom Wind verzerrte und zusammen geschobene Wäsche – ein Stück war sogar abgeworfen - abnehmen, denn ich höre von unten, dass die Waschmaschine zu Ende geschleudert hat. Gleich werde ich den nassen Nachschub holen und aufhängen.

Die Szenerie hat sich verändert: der Wäscheständer ist voller und bunter vor allem wegen meiner drei beschrifteten T-Shirts, die da jetzt blaugrün, gelb und schwarz hängen („Ich bin nicht repräsentativ“ „Ich habe meinen Kopf ganz woanders“ „Gar nichts!“) und von den Wäscheleinen unter dem Plafond baumeln meine lange Rumrutschhose, mein blauer Hoodie (der hellgrüne wurde mir mal im Zug nahe Salzburg via Rucksack gestohlen), eines meiner karierten Hemden und das schöne dunkelblaue Kleid mit den weißen Tupfen meiner zur Zeit in der neuen Donau badenden Frau im Wind. Außerdem steht jetzt die hölzerne Stehleiter im Raum, schon bereit auch für die nächste Wäsche, die bereits in der Waschmaschine rotiert. Oh! Jetzt wiegen sich die großen Bäume im Hof geradezu majestätisch im Wind, verneigen sich ehrfurchtsvoll und richten sich wieder stolz und selbstbewußt auf (und sind doch schon so oft rücksichtslos beschnitten worden). Ein Flugzeug rauscht fast nicht mehr vernehmbar ganz aus einer wolkenverhangenen Ferne und wird dann nach seinem akustischen Verschwinden (schadstoffmäßig wird es noch lange nicht verschwunden sein) vom besseren Rauschen des Windes abgelöst. Einen Mann höre ich kurz am geöffneten Müllcontainer im Hof husten; dann geht die Eingangstür, die jetzt als Ausgang dient.

(27.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3366 Hereingewölbt

 



9:12 a.m. Der Wind wölbt den leichten, schönen und selbst bedruckten Vorhang ins Wohnzimmer herein. Wie eine feierliche Stellungsnahme von außen. Ich frage mich jetzt gerade – erst jetzt ab diesem Satz – ob ich ein Schwätzer bin. Ich beantworte die Frage nicht öffentlich, aber ich habe einen scheußlichen Geschmack im Mund. Ich betrachte immer noch den elegischen Vorhang; meine heftigen Kreuzschmerzen verhindern, dass ich auf dieses kleine Kunstwerk auch noch stolz bin; dafür habe ich im Moment keine Kapazitäten. Die Schönheit, die stille, weiche Unruhe und die Sanftheit des Spiels des Windes anzunehmen und zu würdigen – das geht noch. In der Leibesmitte will sich nun auch Angst ausbreiten, aber sie bleibt klein. Es ist wirklich schön, wie die vertikalen Wellen durch den geblähten Vorhang laufen und an seinem Rand in die Luft schnalzen und sich gegen den dreifaltigen Wohnzimmerbaum schleudern; wenn der Vorhang stark genug hereingewölbt ist, kann ich das an seiner Rückseite sehen.

26.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 25. August 2023

3365 Schwimmen ohne Kinder ist fad

 



Im Gänsehäufel. Auf dem Weg hierher in der U-Bahn habe ich andächtiges Sitzen geübt. Dann ging es per Bus (da hatte ich auf die Andacht schon vergessen) durch diese unglaublich scheußlichen Stadtrandgegenden und hier, im Schatten, ist es gar nicht so unangenehm heiß (es ist knapp vor Mittag). Ich bin nicht nur wegen einem letzten Sommergefühl und einem kleinen Sonnenbrand (und damit wegen des unzutreffenden Gefühles, auf der Höhe des Lebens und der Abenteuerlust zu sein) da, sondern um meine Idee zu verwirklichen, die Nackten hier im Nudistenbereich realistisch, ungeschminkt, rücksichtslos und detailreich zu beschreiben. Aber jetzt, wo ich da bin, merke ich: es geht nicht. Nein, es geht nicht. Allein schon das dann notwendige und absichtsvolle Hinschauen geht nicht. Ich kann es nicht. Es ist nicht so lustig wie als Idee. Es ist überhaupt nicht lustig.

Die Sesseln, die hier zur allgemeinen Verwendung herumstehen, sind alle schon besetzt und mit Handtüchern reserviert. Darauf sitzen sehe ich im Moment niemanden. Auch in Österreich wird hemmungslos reserviert. Da haben Leute Liegen mit eingebauten Schattenspendern, verstellbar in x verschiedenen Positionen, und Sonnenschirme, Liegedecken, weiß der Teufel, was alles: und trotzdem muß ein Handtuch einsam über den Stuhl hängen. An dieser Selbstverständlichkeitsgier werden wir noch alle zu Grunde gehen.

Also nicht die Nackten beschreiben. Ich werde somit wieder die Pappeln und Weiden betrachten müssen, den Wind, wenn er denn käme, die Bläue des Himmels … Ah! Der leichte Wind ist schon da und ist sehr angenehm. Danke, Sir, dass Sie meinen Appell gehört haben. Und eine Kirchenglocke läutet 12 Uhr Mittag – fälschlich! Denn wegen der Sommerzeit ist es erst 11 Uhr und noch nicht der höchste Sonnenstand des Tages. An den zu erinnern und ihn zu würdigen ging es doch ursprünglich beim Mittagsläuten. Nicht: ah! Es ist zwölf, jetzt habe ich Mittagspause, muß mein Kind abholen oder was auch immer. Nein, sondern: der Höhepunkt des Tages, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang wie ein kleines Leben, ist erreicht. Von nun an geht’s bergab und ich habe mich Richtung Lebensende zu orientieren. (Sommerzeit als Versuch, sich einen längeren Lebensabend herauszuschummeln?) Übrigens: die genaue und detailreiche Beschreibung der Nackten wäre überaus anstrengend. Viel zu anstrengend! Das würde mein schriftstellerisches Können, meine Kompetenz und meinen literarischen Eifer maßlos überfordern. Nein Danke!

Ich habe meine Sitzrichtung geändert: vorhin schaute ich ins Landesinnere, jetzt Richtung Wasser. 98° Ost. Da bewegt sich mehr – zu Lande und im Wasser. Die eleganten, elegischen Stehpaddler zum Beispiel. Und am Lande führt direkt ein asphaltierter Weg vorbei, den viele, auch Ankommende benutzen. Jetzt zum Beispiel geht ein relativ junger Mann vorbei, reckt seinen runden, blanken, - im Gegensatz zu seinem restlichen braungebrannten Körper - weißen Hintern (wir sind im FKK) raus, und sein Pimperl – leicht stehend – hüpft im Gehen aufgeregt hin und her wie ein verrückt und manisch gewordenes Pendel. Das war halt g’rad auffällig. Ein weiterer Mann mit Kappe – nahtlos braun – stolziert ebenfalls mit stolz präsentiertem Rundarsch vorbei. Wie schaut das eigentlich bei mir kreuzlädiertem Menschen aus? Ich will es nicht wissen. Jetzt walkt ein massives Weib vorbei, während am anderen Ufer die Müllabfuhr lautstark und mit Gelblicht arbeitet. Manche flach auf ihren Decken Liegenden wirken recht hingeplatscht. Schwäne steigen auch herum. Die Aufbauten auf den Boote sind oft sehr grotesk – jetzt schwimmt gerade ein „Riesenkinderwagen“ vorbei, und das recht flott. Es gibt auch Boote mit komischer, möglicherweise sogar echter Palme an Bord, ein Boot mit zwei großen Fahnen – aus dieser Entfernung kann ich es nicht klar erkennen – vielleicht Rapid-Fiorentina? Die Farben passen; Boote, die wie abgesprengte Cockpits eines Kampfjets aussehen, die hier gelandet sind und im Wasser treiben (gut! Ich gebe zu: ich habe keine Ahnung, wie so ein Cockpit aussieht). Und es gibt auch Boote, die „normal“ aussehen (das wollen wir hier doch, ja? Ja? Ja?). Eine Frau, die in der Nachbarschaft liegt, räuspert sich ständig hart und rau. Ich lege mich seitlich flach und aus dieser seitlichen Perspektive fällt mir erst so richtig (sic!) auf, wie unglaublich hoch die Pappeln in den Himmel ragen. Dann drehe ich mich auf den Rücken, aber der Schmerz und die Verkrampfung – sie laufen ausgehend vom Kreuz über den Rücken, letztere sogar bin in den Kiefer – sind so stark, dass ich den Versuch, am Rücken zu liegen und die Pappel entlang hoch in den Himmel zu gaffen, abbreche, mich mühsam aufrichte und beschließe, im Nudistenbeisl Ćevapčići zu essen.

Genau genommen haben die Ćevapčići – zur Zeit des echten Sonnenhöchststandes eingenommen - grauslich geschmecket, aber das war zu erwarten. Ich wollte ein jugoslawisches Meerurlaubsgefühl hervorrufen. Manche, auch alte Menschen bewegen sich toll.

Jetzt bin ich schon gut zwei Stunden hier und mir ist fad. Schwimmen ohne Kinder ist langweilig.

Die Sonne brennt her. Die Krähen baden. Die Kinder schreien ihr Sommergeschrei (Wasser und Kasperl). Man kann auch so sagen: ich bin mit der Inquisition aufgewachsen. Der Satz passt zwar nicht her, aber er ist in meinem Bewußtsein aufgestiegen, und das wird auch in diesen Zusammenhängen einen Grund haben.

Und nun: Eiskaffee im Nudistenbeisl. Da kein schattiger Randplatz - einen solchen bevorzuge ich immer – frei war, sitze ich gangseitig bei der Schlange, die sich – Selbstbedienung – anstellt. Momentan 18 Leute, Tendenz zunehmend. Verlegen sitze ich da. Viel zu nah! Da ist mir das Beobachten und Schreiben peinlich. Das Tablett habe ich in meiner Nervösität völlig angepatzt und den Eiskaffee mehr verschlungen als genossen; was nicht heißt, dass er mir nicht geschmeckt hat. „Es dauert viel zu lang“, sagt ein Kind. 19 Leute, oder 20 in der Warteschlange (manche können sich einfach nicht eineindeutig anstellen!) (Sei kein Richter! - der innere Inquisitor). Dafür wandert jetzt ein Lichtpunkt durch mein Gesichtsfeld (das ich doch redlich und brav bestelle, oder?). Langsam kann ich mich auf diesem Platz entspannen (Suchtmittel Kaffee?). Zu spät für den eisgefüllten Magen. Egal, der hält das aus. 19 Leute in der Schlange. Ich richte mich im Sitzen etwas auf und schaue – gut in meinem Handtuch eingewickelt – frech herum. 22 Leute in der Schlange. Ich habe die Warterei hinter mir; da war die Schlange nur halb so lang und mit einem Spontan-Begleit-Schmähführer mittendrin (manchmal mag ich den Wina Šme). Die Stimmung rutscht Richtung Abend. Schwaden von Zigarettenrauch. 19 Leute in der Schlange, die trotzdem länger erscheint als vorhin. Schein und Sein. Ich huste rauch. 21 Leute in der Schlange. Manche in der Schlange meditieren regelrecht und blicken still und stumm und sinnierend zu Boden. Eine Oma erklärt ihrem Enkel, wie eine Warteschlange funktioniert. 17 Leute in der Schlange. 16 Leute in der Schlange (ich zähle auch Kinder voll. Gerade ihnen fällt das Warten schwer). 16 Leute. 15 Leute. Einige in der Schlange beschäftigen sich mit ihrem Smartphone, eine liest sogar ein Buch. Der Enkel weint, er hält die Warterei nicht mehr aus.

Es gibt auch Vikingerboote auf der alten Donau. Der Schatten des Baumes, an den gelehnt ich sitze wie der „Viator“ von Josef Fink, das wohl ein Lebensbild aus meiner Kindheit ist, der Schatten also wächst sozusagen aus meiner Leibesmitte, wenn er nicht gerade die energetische Verlängerung meines bei moderat gespreizten Beinen herabhängenden Schwanzes spielt, und reicht weit bis in die Donau. So gesehen gehen mir einige Passanten auf dem asphaltierten Weg auf respective über den Zeiger. Die alte Frau läuft so rasch, resch und aufrecht dahin; sie hat sicher keine Kreuzschmerzen. Die Hitze ist erträglich hier: zweitens kommt jetzt Häuptling Abendwind und erstens bin ich lange Zeit bis zum Hals im Wasser gestanden. Es ist eindeutig mein sommerlicher Abschied. Es geht auf sechs Uhr zu. Es ist Abend geworden. Viele Leute verlassen die Badestätte. Die Stimmung gefällt mir nun sehr gut. Ich scheue es, schon in Bus und U-Bahn zu steigen. Der Wind vibriert die Pappeln und blättert in meinem Notizbuch arglos herum. Gut, wenn er mir den Text verbessern kann … Ich hebe und senke meine Zehen um den Genuß des schönen Abends zu erhöhen. Ich bin aufgestanden, weil mir vom Sitzen der Hintern weh getan hat. Die eingeklappten Sonnenschirme im Nudistenbeisl sehen aus wie 16 riesige Morcheln. Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneieiget. Die Zeit des Übergangs, für alle, besonders Süchtige und Verrückte (nicht abwertend! Bei manchen ist eben der Montagepunkt verschoben) schwierig. Der Abendwind hüllt einen so angenehm und lau ein. Oder ist das eine Frau? Eine Zauberin? Kommen tut sie aus dem Süden. Nackt im Wind. Das Licht wird immer gelber und ruft Erinnerungen an eine andere Wirklichkeit auf. Erinnerungen aus Jahrtausenden, vermute ich. Die allgemeine Abendstimmung und die vielen Abwandernden üben einen gewaltigen Sog auf mich aus. Noch halte ich stand. Ein Mann zupft sein Pimperl zurecht (alles ganz normal. Diese Schamhaare!). Die Sonne tut so, als wäre sie schon untergegangen, dabei hängt sie noch in den hohen Pappeln des Westens herum und spielt mit ihren grau-weißen Wolkenschleiern.

Wie ich da so nackt auf dem Stuhl sitze (es sind einige frei geworden), vom Wind umspült, in Abstand zu den Menschen hier, komme ich mir wie ein unbekannter König vor. Ein König ohne Land vielleicht; das Land erkennt ihn nicht; und umgekehrt: auch der König vergißt, dass er ein König ist. Macht nichts. König bleibt König. Ich lasse mir diesen Abend nicht verderben. Das andere Ufer leuchtet vergeblich im späten, warmen, gelben Sonnenlicht, bald werden es die Schatten erreicht haben. Die Krähen suchen schon ihre Schlafbäume auf. Viele Boote am Wasser glitzern jetzt in der schrägen Sonne. Ich habe den Kräutertee, den ich mitgebracht habe, umgegossen und den verbleibenden Rest ausgetrunken. Ihr seht, ich arbeite schon am Aufbruch, obwohl ich dem Sog noch standhalten will. Es gibt hier viele Leute, die wegen des näher kommenden Badeschlusses überhaupt nicht nervös sind; ich gehöre nicht dazu. Die Angst, bestraft oder übersehen und hier absichtlich oder unabsichtlich eingesperrt zu werden, sitzt sehr tief. Die Krähen beginnen ihr Abendpalaver (bei weitem noch nicht alle sind eingetroffen). Sie haben etwas zu sagen und ich will ihren möglichen Protest gegen die Anwesenheit von Menschen in ihrem Schlafareal nicht von vornherein überhören, sondern grundsätzlich ernst nehmen, auch wenn ich heute darauf nicht eingehe. Fast halte ich es nicht mehr aus, obwohl noch 35 Minuten bis zum Aufruf, die Badeanstalt zu verlassen, bleiben. Jetzt, wo sich viele Frauen anziehen, merke ich erst, wie schön sie sind. Die Boote fahren schon mit Positionslichtern. Am schönsten gleiten die Stehpaddler dahin. Die Pappeln sind so unglaublich hoch, ganz oben an ihren Kronen haben sie noch Licht. Ich lege die Liegedecke zusammen und will es ganz sorgfältig und korrekt machen, aber das gelingt nicht; in meiner Nervösität fällt mir der richtige Faltvorgang nicht ein und ich kann die Decke nicht zusammenzippen. Ach was! Ich geh jetzt! Nein! Noch nicht! Genießen kann ich das nicht mehr. Gut, dann gehe ich doch.

(24.5.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3364 Es ist schon wieder heiß

 



1:03 a.m. Es ist schon wieder heiß. Ich habe geduscht und schwitze wieder. Träge und fast schwer surrt und singt es in meinen Ohren. Ich entkrampfe meine linke Hand. Fugat mocavium. Der ausgefranste Kragen der Katz’schen jungen Frau schaut unmöglich aus (die Haare werden das nicht sein). Meine Arme und Hände sind schweißnaß, die Tröpfchen glitzern als kleine Lichtpunkte. Ich rücke ein wenig tiefer in die Pölster. Meine Wahrnehmung ist so trübe, wahrscheinlich ist Wasserdunst zwischen den Augen und der Lesebrille und letztere beschlagen. Ich putze die Brille und tatsächlich verspüre ich einen ganz leichten, minimal kühlen Luftzug über meine Augen streichen. Rücken und Beine sind ebenfalls schon nass. Ich gebe für heute auf und plötzlich kommt es mir im Zimmer finsterer vor. Nein, ich lasse das bleiben, ich untersuche das nicht. Das ausgestreckte Hinlegen wird wieder sehr schmerzhaft sein.

(24.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3363 Spittelau

 



17:49 U4-Station Spittelau. Ich schaue ziemlich genau nach Norden. Ich nehme den Ausgang Heiligenstädter Straße/Dänenstraße. Ich habe auf den Umgebungsplan geschaut und bin recht zuversichtlich. Ich will nämlich für meine liebe Frau den Weg von der U-Bahnstation zum sogenannten Donaukanal finden, weil sie – als erfahrene Stömerin in diesem Gewässer – geäußert hat, sie wolle neuerdings von der Spittelau aus ihr Strömen starten, aber kenne sich bei dieser unübersichtlichen Station Spittelau mit ihren vielen Ab- und Umgängen nicht aus. Und ich als ritterlicher Chevalier (Tautologie? Liebe ich!) und Ehemann will den Weg für sie auskundschaften und sie damit überraschen. Ich freu mich schon! Ich fahre die Rolltreppe rauf, wende mich nach rechts. Und kenne mich schon nicht mehr aus. Ich drehe mich nochmals nach rechts und gehe auf den Joschi-Holaubek-Platz (nach dem Krieg Polizeipräsident, fragwürdig? Gutruf! Ich kann es nicht beurteilen. „i bins, dei präsident“) hinaus. Jetzt wird es ernst: vor mir die beschissene Hundertwasser-Müllverbrennungsanlage (Müll, das passt so gut zu ihm!) und anscheinend geht es da auch über einen Steg zur kleinen Donau, oder doch nicht? Beschildert ist gar nichts beziehungsweise unklar mit irgendwelchen Nummern von Fahrradrouten. Geht es hier jetzt zum Donaukanal oder bloß zur Straße runter weit weg vom Gewässer? Ich muß es ausprobieren. In der Ferne erkenne ich ein blaues U-Bahn-Zeichen. Ich bin verwirrt, schon eine andere U6-Station? Die Brücke über die vielen Geleise ist mit quadratischen, üppigen Anpflanzungen in quadratischen Betonkisten bedeckt; in Abständen von mehreren Metern wurden sie aufgestellt. Sogar Sonnenblumen hat jemand - vermutlich privat – in einer eingepflanzt. Dicht an diesem unerträglichen Hundertwasserkitsch vorbei. Ah! Nicht U6 sondern der andere Ausgang der U4 ist es, wo ich jetzt gelandet bin. Hätte ich den andern Ausgang nehmen sollen? Ich habe den Umgebungsplan anders in Erinnerung. Ich bin verwirrt. Und jetzt doch eine Straße. Ah! Links geht es zum von der Stadt Wien verschandelten Zaha-Hadid-Haus. Das müßte beim Donaukanal sein! Mein Gott! Der Hundertwasser ist so kindisch-kitschig! Seine Toreinfahrt ist eine Ausgeburt beschränkter, allerspießigster Geschmacklosigkeit! Einfach grässlich! In einer Kurve geht’s weiter. Oh nein! Ich bin falsch. Hier käme ich auf die andere, landeinwärts gelegenen Seite der vielbefahrenen Durchzugsstraße auf der anderen, der Donau abgewandten Seite des Zaha-Hadid-Baus und einen Übergang sehe ich nur weit in der Ferne. Also kein Durchkommen zur kleinen Donau. Also den ganzen Weg zurück zum geplatzten Polizeipräsidenten. Dort sehe ich eine andere Brücke, die schaut jetzt besser aus. Aber nach ein paar Metern verzweigt sie sich in zwei Äste. Welcher ist der richtige? Ich will den rechten nehmen, aber als ich eine junge Frau, die gerade auf diesem aus meiner angepeilten Richtung daherkommt, frage, ob es hier zum Donaukanal geht, will oder kann sie mir nicht antworten. Also wähle ich nun den linken Ast. Ein unglaublich hässlicher Ort! Zwar haben wir etwas Abstand zum Hundertwasserdreck gewonnen, aber diese Landschaft aus sich kreuzenden Straßen, Abfahrten, Auffahrten, Parkgaragen, Bahngeleisen (auch die müssen wieder irgendetwas überbrücken), Stiegenabgängen, unerklärlichen Funktionsbauten, Stromkasteln (vielleicht, so genau weiß ich das nicht), auch da immer wieder dazwischen Baustellen mit ihren schief herumstehenden Absperrungsgittern mit Hundescheiße in irgendwelchen Ecken neben anderem anscheinend organischem Material, Dreck, Mist – grauenhaft! Zum Kotzen! (womit wir wieder beim anderen organischen Material wären). Aber er führt zum Donaukanal. Kann ich diesen Weg meiner Frau antun? Ich kann. Ich werde ihre Aufmerksamkeit ablenken.

(23./25.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 23. August 2023

3362 Ich liebe meinen Körper

 



11:19 a.m. An diesem Tag bin ich jetzt ein zweites Mal aufgewacht und genieße es, einfach dazuliegen und mich nicht zu bewegen. Nur ab und zu verändere ich etwas an der Körperstellung. Ich schwitze nicht, denn es ist nicht heiß. Mein Kreuz schmerzt nicht, denn ich habe mich noch nicht aufgerichtet. Am Rücken liegend strecke ich mich sanft, lege meine Hände in den Nacken, überschlage die ausgestreckten Beine an den Knöcheln. Unten toben fröhlich die Tageskinder und hüpfen lautstark auf dem schräg gestellten Rutschbrett. Ich selbst genieße die Bewegungslosigkeit. Jetzt lege ich die Arme wieder an die Seiten meines Körpers, lege die gekreuzten Beine parallel, drehe mich ein wenig nach links und drücke meinen Rücken vorsichtig in die Wölbungen der schlampig zusammengeschobenen Bettdecke. Wieder verharre ich unbewegt und still, auch in dieser Position. Was für ein Genuß! Ich liebe meinen Körper! Ich nehme mir heute Zeit, so viel Zeit, als ich will, allein schon für Aufwachen und Aufstehen.

Zum Schreiben muß ich mich aufsetzen; auch das geht in flotter, fließender Bewegung; nur kurz schmerzt mein lädiertes Kreuz auf. Erst jetzt beginne ich, im Zimmer herumzuschauen. Ja, ich darf wieder diese räumliche Intensität erleben. Die Tageskinder im unteren Stockwerk der Wohnung hüpfen und hüpfen und hüpfen johlend und vor Vergnügen schreiend. Ich muß lächeln über diesen fröhlichen Eifer. Ich weide meine Augen. Ich mag auch diese meine Hockposition im Bett; die Fußsohlen drücken deutlich gegen Leintuch und Matratze. Tatsächlich: im Moment sind die Fußsohlen die Hotspots der Empfindungen. Ich fühle mich wie in einem durchsichtigen Sack in die Realität reingehängt. Meine Augen verlieren sich liebevoll an den Gegenständen, Bildern und Kunstkarten im Zimmer, ohne sie gierig zu verschlingen oder ein Einzelnes zu bevorzugen. Warum fällt mir jetzt der Bachmannpreis und seine inquisitionär inszenierte Wettleserei ein? Ach ja! Weil ich mir überlegt habe, ob Augen, die sich an etwas verlieren, dieses gleichzeitig überhaupt verschlingen können und dabei die Vision hatte, wie eine Jurorin beim Bachmannpreis mir diesen gerade bedachten Satz verachtungsvoll um die Ohren haut (das mit der JurorIN ist ein wenig unfair, aber so war die Vision). Auch gut, mein Intellekt und mein innerer Wärter sind wach und arbeiten wieder auf Hochtouren – Zeit zum Aufstehen, Duschen und Frühstücken.

(23.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3361 Was heißt endgültig!

 



1:46 a.m. Und ich lege das Notizbuch wieder hin.

8:35 a.m. Es ist dunkler als üblich als ich aufwache. Wirklich: bewölkt. Es donnert schon. Und eine unvollständige Benetzung mit Regentropfen kann man am Asphalt unten auf der Straße sehen. Der Wind, der durch die offenen Fenster kommt, reißt an der Wäsche herum, die im Atelier aufgehängt ist. Ich beeile mich, sie abzunehmen, trocken ist sie schon längst.

Aber die Benetzung am Asphalt unten trocknet soeben wieder auf. Es donnert auch nicht mehr. Die Gewitterwolken ziehen ab. Die Sonne bleibt noch hinter Wolken, aber das Licht blendet schon. Es riecht nach Regen, aber die wenigen Spritzer dürften es schon gewesen sein. Schade. Eine echte Abkühlung wäre angenehm gewesen. Die Leute auf der Straße gehen bereits ohne Regenschirm; nicht einmal zugeklappt tragen sie welche mit. Der Wind hat völlig aufgehört; kein Lüftchen regt sich mehr. War das wirklich schon alles, oder ist das die Ruhe vor dem echten Sturm? Im Westen gibt es noch dunkle Wolken. Im Osten ist es hell, nur weiße Wolkenschleier verdecken die Sonne. Ganz verstohlen und heimlich beginnen die drei Bäume unten am kleinen Platz wieder mit einem sanften Tanz. Ich höre Kinderlachen - wie ich glaube - von der Straße, sehe jedoch keine. Ich achte auf die Schallwellen um herauszubekommen, ob das Kinderlachen nicht aus einem Haus gegenüber gekommen ist, aber ich komme zu keinem Ergebnis. Im Optischen verwechsle ich anscheinend die Bewegungen der Schlieren in meinen Augen mit minimalen Bewegungen, die ich hinter den Fensterscheiben wahrzunehmen glaube. Autos fallen mir erst jetzt auf. Ein Flugzeug dröhnt über uns allen. Fast hätte ich geschrieben, dass sich ein Mann mit weißem Hut mit schwarzem Band auf eine der Bänke unten gesetzt hat und eine Zigarette raucht, aber ich habe keine Lust, mit Mühe irgendwelche Passanten zu beschreiben. Zu recht, wie sich herausstellt, denn der Mann steht gleich wieder auf und raucht im Gehen weiter. Wenn man eine radfahrende Frau (auf der Straße) mit einem radfahrenden kleinen Kind (am Gehsteig) sieht, spürt man gleich die Brutalität der Autostadt und der für Autos zurechtgemachten Welt: allein schon von der Aufteilung des öffentlichen Raumes her und die extreme Anspannung, die sich daraus ergibt („hoffentlich fährt das Kind nicht auf die Straße!“ „Hoffentlich kommt kein wahnsinniger Raser daher!“)

Ganz andere Themen schieben sich jetzt dazwischen. Das drohende Gewitter ist endgültig (was heißt endgültig! Für jetzt einmal!) abgezogen, ohne sich entladen zu haben.

Das Stehen am Fenster hat mich so angestrengt; ich habe mich hingesetzt. Jetzt kann ich nicht mehr auf die Straße blicken, sondern auf den Himmel. Lang schaue ich auf diesen Himmel und die oberen Stockwerke der Häuser gegenüber. Nun sind es wieder unendlich ferne Empfindungen, die aus meinem furchtbaren Archiv auftauchen und sich in meiner Leibesmitte festsetzen. Wie immer sind sie angstbesetzt. Mehr weiß ich jedoch auch nicht.

(23.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3360 Marille Pfirsich Sanddorn

 



Verdammt! Ich lese im Bett und dabei fällt mir ständig das Buch aus der Hand, weil ich im Rhythmus der Sätze ständig einschlafe. Dabei ist es erst Nachmittag und diese verdammte rote Leuchtschrift auf diesem einen verdammten Wörterbuch im Regal, das ich schon längst extra ganz rechts an der mittleren Regalwand abgestellt habe, auf dass jenes von diesem einigermaßen verdeckt werde, leuchtet immer noch viel zu penetrant aus den dunklen Tiefen des Bücherregals hervor. Wie soll das weitergehen? Nebenbei gesagt: ich habe heute schon einen kurzen Mittagsschlaf gehalten. Eigentlich bin ich noch satt vom Mittagessen. Naja. Ich gehe trotzdem mal runter in die Küche; ich muß ja nichts essen.

Ich habe doch gegessen; alles verrate ich nicht, aber diese Mischung aus Bio-Joghurt (3,6%), Kefir und Sommerjoghurt Marille, Pfirsich, Sanddorn war köstlich. Meine Frau habe ich unten gestört mit meinem blöden Gerede und meinen blöden Fragen. Also bin ich wieder herauf in meine Kemenate, meinen Schutzraum, zu meinem Notizbuch. Genau genommen komme ich mir sehr oft blöd vor, wenn ich mit meiner Frau rede, aber nicht wegen ihr, sondern wegen mir. Mein Gerede riecht und schmeckt für mich oft nach Unterwerfung und lästiger Anbiederung.

Der Übergang vom Tag in den Abend und zur Nacht ist für Süchtige aller Art immer schwer. Da passiert es leicht, dass sie ihren Halt verlieren. Oder den Faden.

(23.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 22. August 2023

3359 Allzeit offene Fenster

 



Seit Tagen ist es hier heiß. Sehr heiß. Abends vor allem haben wir die Fenster offen oder wenigstens gekippt und so machen es auch die Nachbarn, soweit ich das von hier aus sehen kann. Man hört dann alle möglichen Geräusche und Gesprächsfetzen und besonders in meiner lichtschacht- und abseitigen Kemenate weiß ich dann nie, woher diese Geräusche und Laute wirklich kommen und manchmal passiert es, dass ich Geräusche aus Nachbarwohnungen für solche aus der unteren Etage unserer Wohnung halte (Zum Beispiel glaube ich, meine Frau ist nach Hause gekommen und rumort in der Küche, aber wenn ich dann hinunter gehe, ist die Küche finster und niemand da) oder umgekehrt: ich halte die akustische Präsenz meiner lieben Frau für Geräusche aus einer Nachbarwohnung neben oder unter uns im Lichtschacht und gehe sie nicht begrüßen.

Gestern Abend so um acht Uhr höre ich bekannte Geräusche aus einer der Wohnungen – ich weiß nicht aus welcher – und zuerst schwanke ich noch, ob die Frau, deren Stimme ich höre, kalt duscht und ihren kalten Schauer laut ausdrückt, oder ob sie doch gerade lustvoll vögelt (die Männer hört man ja fast nie) (und ich bin vorsichtig! Ich kenne meine Phantasie und was sie sich schnell zusammenbastelt!). Dann ist es klar, dass die da hoch und fröhlich zu Gange sind; spätestens als ich ein Geräusch höre, das als rhythmisches Quietschen eines Bettes gedeutet werden kann. „Schön!“ denke ich mir „die sind gut unterwegs!“ Ich glaubte schon, jetzt sind sie fertig, aber dann geht es munter weiter. „Was?!“ denke ich mir „so lange hält der durch!?“ Dazu muß ich sagen, dass ich mich immer ganz heimlich für einen Meister der kunstvollen Verzögerung des Samenergusses gehalten habe. Ich gestehe: nachdem ich zunächst vor lauter Aufregung ständig von ejaculatio praecox bedroht war, habe ich mir das Einbremsen jahrelang antrainiert. Aber das jetzt stellt mein geliebtes Selbstbild in Frage! „Verdammt! Die vögeln schon recht lange!“ Gut, man weiß ja nicht, was da genau abgeht; er oder auch sie oder eine andere sie könnten ja handwerklich vor- oder überhaupt gearbeitet haben. Und selbst das rhythmische Quietschen des Bettes, das - geben wir es zu: schon eine recht deutliche Ansage – könnte theoretisch – zumindest theoretisch – auch irgendwie händisch hervorgerufen sein. Aber nein! Du rettest den Freund nicht mehr, so rette dein … ja wie rette ich mein Selbstbild? Meinen heimlichen Größenwahn (der eigentlich kein Größen-, sondern ein Längen- … nein, auch mißverständlich! … ein Ausdauerwahn ist)? Gar nicht, die vögeln immer noch. Gut, die sind ja noch jung. Ich seh (eigentlich: ich hör) schon, ich muß mich beim Sex wieder mehr zusammenreißen!

Jetzt endlich sind sie fertig. Zumindest höre ich nichts mehr. Darüber, wie umgekehrt … nein! Lassen wir das!

(21./22.82023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3358 Abbruch

 



8:31 a.m. Ich wache auf in einer unglaublich heftigen Angst, was mich wundert, denn ich komme aus einem vielversprechenden erotischen Traum. Diese Angst erinnert mich an die in meiner Grazer Studentenzeit. Wenn ich damals - sehr oft mit einem Kater - aufwachte und mir klar wurde, dass ich dabei bin, mein Studium und mögliche Berufsaussichten zu verspielen und dass ich überhaupt nicht weiß, was ich mit meinem Leben anfangen kann. Der verkrümmende Angstknoten in der Leibesmitte lockert sich heute allerdings schon nach ein paar tieferen Atemzügen. Ich lenke jetzt meine Aufmerksamkeit wieder in das Grauen hinein, absichtlich, um es nicht bloß wegzuschieben, sondern um es zu verstehen und anzunehmen. Gleich ist die Angst wieder sehr heftig. Mein Geist jedoch versucht sich abzulenken, indem er sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigt. Ich kann die Konzentration nicht halten und lande bei Überlegungen, wie ich die heutige Fischsuppe in der Hitze rechtzeitig in den Kühlschrank bringe, wenn ich vielleicht doch schwimmen gefahren bin. Ich entkrampfe meine linke Hand und das gelingt nur unzureichend. Wo ist die Angst? Soeben wollte ich herschreiben, sie hat sich weitgehend aufgelöst, aber plötzlich ist sie wieder voll da, wenn auch mehr körperlich als psychisch. Die Angst macht den Eindruck, als würde sie in meinem Inneren am Boden hocken, mit angezogenen Knien. Meine wieder und wieder verkrampfte linke Hand greift gegen ihre Fahrtrichtung innen durch die Axel auf mein Herz zu. Zufällig sehe ich, das sich das Mali-Lošinj-Bild verändert hatte – eine deutliche Kante lief mitten durch das Bild – und als ich hinschaue schwindelt es sich schnell in den Normalzustand zurück. Ich schüttle meinen ganzen linken Arm um ihn endlich aufzulockern und die Verkrampfung hintan zu halten. Überhaupt hat sich mein Text in eine Situation manövriert, wo ich ihn nur abbrechen kann.

(22.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3357 Kein Gentleman

 



Ich habe im weitläufigen Gelände des Campus Altes AKH ein schattiges, halbwegs kühleres Plätzchen gesucht und auf den Steinstufen eines geschlossenen und anscheinend verlassenen Hauseinganges gefunden und sitze nun da an diesem viel zu heißen Tag. Die Linden und Kastanien kühlen die heiße Luft etwas herab. Ich schaue 22° Nordost, es ist 13:38 und hat mindestens 34° Lufttemperatur im Schatten. Die Wiese ist schon spätsommerlich anverdorrt. Gott-oder-wem-oder-was-auch-immer sei Dank ist sie nicht zu Tode gemäht. Die Hecke rechts scheint teilweise in trockener Mitleidenschaft gezogen und auch die Bäume sind ein wenig dürr und von Miniermotten befallen. Ich schwitze. Eine junge Frau erzählt en passant einer zweiten jungen Frau, dass sie der so-und-so als kein Gentleman nicht einmal eingeladen hat, nur das Geld überwiesen (was immer das heißt. Ohne Kontext kein Verständnis). Ich bleibe lieber beim ganz leichten Wind, eher ein Hauch, aber man nimmt, was man Richtung Kühlung bekommt. Ein Willi wird von seinem Vater (eine Annahme) gerufen, der Bruder (auch eine Annahme) ruft: „dann kriegst du kein Eis!“. Jetzt schimpft und spottet der Willi und rennt doch den anderen nach. Hitze ist Ausnahmezustand. Ich werde jetzt aber gehen. Ein wenig atme ich noch die innerstädtische Ruhe ein.

(21.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 21. August 2023

3356 Bunte Affen

 



8:25 a.m. Wau! Die Katz’sche junge Frau hat mir zugezwinkert! Ich wache auf, richte mich im Bett auf und sehe: die arrogante Dame zwinkert mir zu! Wer hätte das gedacht?

Jetzt allerdings hat sie wieder ihren gewöhnlichen, hochmütigen Blick. Dafür fliegt ein Hubschrauber lärmend über uns und unsere Stille hinweg. Ich neige mein Haupt nach rechts und gaffe auf das säbelzahntigerähnliche Raubtier (Kokoschka) und dann auf die Nackte im Bett gleich daneben (Johann Baptist Reiter), wobei mein Blick sich gleich im großartig gemalten Bettzeug verliert. Im Nachbarhof klopfen und hämmern sie und mir ist schon heiß und ich schwitze. Jetzt klopfen und hämmern sie irgendwo im Haus, und das mit zunehmender Beschleunigung. Ich selbst bin noch etwas schwach, werde aber gleich aufstehen. Nun bleibt mein Blick an den zwei Visionären hängen (Alois Neuhold) und deren laserintensiver Blick dringt in meine Seele und mir wird etwas mulmig. Ein kleiner Schock, der mit unangenehmer Erinnerung und unangenehmer Erkenntnis zu tun hat, die plötzlich aufgetaucht sind. Die zwei Visionäre erscheinen mir jetzt fast wie bunte Affen. Ich taste den Schock, der in meiner Leibesmitte sitzt, innerlich ab; ich will spüren, was da los ist. Ein Ton wie eine Schiffssirene heult über der Stadt. Mein Gott! Mir dreht es fast den Magen um! Die zwei Visionäre schauen wieder seriöser aus. Ich lenke mich ab, indem ich meinen Blick über die vollcollagierte Kastlwand schicke. Dann schicke ich ihn verlegen, verhalten und mit schlechtem Gewissen auf die frankophone Schweizerin hinten am Regal und sehe ein prächtiges, festes und rundes Weib, was sie letzteres gar nicht ist; mein Geschau muß sie deutlich aufgefettet haben. Der kleine Schock sitzt immer noch in der Leibesmitte, schon etwas gedämpft; bald werde ich alltagstauglich sein (so weit das bei mir überhaupt geht). Meine Augen rasten sich bei der Karte mit dem tödlichen Gehölz (Alois Mosbacher) aus, die zurückhaltenden Farben und organischen Formen beruhigen meine Seele. Dafür kommt mir jetzt die Katz’sche junge Frau etwas fett vor. Im Nachbarhof klopfen und hämmern sie wieder.

(21.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3355 Imre

 



1:25 a.m. Imre! Ich habe dich in ein anderes Land gesetzt, aber das bringt nichts. Du bist so ein Tölpel, dass das nicht geht. Ich kann dir wirklich nicht helfen.

Mein Zimmer gibt auch nichts mehr her. Ich blicke gar nicht umher, sondern nur auf den Lampenschirm der Leselampe. Jetzt versuche ich bei offenen Augen gar nicht zu schauen. Ein paar Erinnerungen tauchen als Kunstkarten vage und verschwommen am Rande des Blickfeldes auf – Jessica, die Schweizerin und andere – aber ich lasse sie nicht herein; ich glaube nicht, dass sie wirklich existieren. Das Zimmer gibt es nicht. Und innen finde ich nichts und fühle nichts. Ich schließe die Augen. Ja, das ist ein Ausweg.

(21.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 20. August 2023

3354 Am Fenster

 



23:48. Ich stehe im dunklen Musikzimmer am Fenster und schaue in die Nacht hinaus. In den zwei Häusern direkt gegenüber sind drei Fenster erleuchtet und vier Dachfenster ganz schwach. Kein Hauch regt sich, die drei Bäume unten am kleinen Platz stehen und wachsen unbewegt. Von irgendwo kommt Livemusik her. Niemand sitzt auf den zwei Bänken unter den Bäumen. Es ist sehr heiß hier; ich öffne das bloß gekippte Fenster. Ein Motorrad will einparken, fährt aber dann weiter. Nur wenig kühlere Luft kommt herein. Und ein mittelgroßer Käfer. Eine Art, die man oft sieht, deren Name ich aber nicht kenne. Sterne sind keine zu sehen, nur der eine, von dem ich annehme, dass er Sir Jupiter ist; es muß sich also ein Dunstschleier über den nächtlichen Himmel gezogen haben. Ich schreibe im Stehen auf dem Fensterbrett und das tut meinem Kreuz nicht gut. Ich höre verschiedene Stimmen, sehe nur vereinzelt Menschen unten herumgehen. Ein Mann ist still und unauffällig vorbeigegangen, und jetzt kommen zwei Frauen in lebhaftem Dialog. Sie sehen mich – ich habe eine kleine Lampe aufs Fensterbrett gestellt, sonst könnte ich nicht schreiben – verstummen und schauen skeptisch herauf. Ein Auto parkt an der E-Tankstelle. Im Dachgeschoss wird es heller. Dann wieder dunkler. Es kommen hier relativ selten Autos vorbei. Es ist eine sehr ruhige Gasse. Kein Vergleich zu Seggauberg. Das Fensterbrett ist schon ein wenig verstaubt. Eine weibliche Gestalt huscht still vorbei. Jemand steht unter den Bäumen, aber ich kann die Gestalt durch das Blattwerk hindurch nicht klar sehen. Oder ist das doch etwas anderes. Es bewegt sich überhaupt nicht. Nein, da ist niemand. Ich habe mich getäuscht und mein Blick hat die Dinge willkürlich zusammengesetzt. Ein Fahrradfahrer sperrt sein Rad an einen der Bäume und geht dann weg. Im Dachgeschoss leuchtet nur mehr eines der schrägen Dachfenster. Nun geht ein Fenster gleich gegenüber auf und ich vermute einen Mann in der Dunkelheit, denn eine vage Gestalt zeichnet sich ab. Unten wandern drei stille Menschen bedächtig vorbei. Mir wird das Stehen zu anstrengen und ich bin müde und völlig verschwitzt.

(19./20.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3353 Ein Hund bellt zur Bestätigung

 



Die kleinen Autos rasen den Abhang der Rückenlehne hinunter und jetzt! einmal! landet eines in der Schaufel des Spielzeugtraktors. Spielzeugautos natürlich, während der Traktor einer ist, in den sich ein Kind setzten und fahren kann. Ich schaue auf die braune Wunde der großen Thuje. Der kleine Nußbaum daneben will sich auch bemerkbar machen und streckt sich schief hinter der Thuje hervor und lugt über den Zaun herüber. Der Blick auf den gegenüber liegenden Hang und den ferneren Weingarten ist inzwischen verbaut. Gerade schreien sich alle Leute hier etwas zu, aber ein Blick geht noch unter die Baumkronen durch in den übernächsten Garten. Ein sanfter Wind streicht in das ausdifferenzierte Grün der Bäume und unter den sommerblauen Himmel hin. Ist der eine da ein Essigbaum? Ich weiß es nicht. Gar eine Esche? Von hier aus kann ich das nicht erkennen und so gut kenne ich Bäume nicht. Das Braun der Thujenwunde wird im Sonnenlicht fast schön und golden und ein sonnenbeschienenes Spinnennetz im Baum bewegt sich in der Brise so gekonnt, dass es ausschaut, als würde es von seiner Mitte heraus Licht aussendend pulsieren. Die Kartenrunde spielt Biberbande. Ich sitze übrigens auf der Hollywoodschaukel überdacht und sowieso im Schatten. Auf der Thuje ist der Schatten schon hoch oben. Hinter dem Balkon des neuerrichteten Nachbarhauses schaut ein Stück weiße Wolke hervor, die einzige, die ich am Himmel ausnehmen kann. Irgendjemand hat einen ungehörten Furz gelassen und sofort erschrecke ich und glaube, ich war es und habe es nur gedankenverloren nicht bemerkt. Ich muß es mir erst vorsagen, dass das unter den gegebenen Umständen nicht sein kann; ich war gar nicht so abwesend. Mehrmals muß ich mir das vorsagen, bis ich es mir einigermaßen glaube. Dabei war ich es wirklich nicht. Ein Hund irgendwo bellt zur Bestätigung. Der Scheitel der Wolke, der vorhin noch hinter dem Balkon hervorgelugt hat, ist wieder hinabgesunken. Keine Wolke am Himmel. Der Spaten und der Handstierler (recte Hand-Grubber; ich habe im Internet nachgeschaut) lehnen elegisch an der Hauswand nicht allzuweit vom aufrecht stehenden Wasseranschluß. Langsam denke ich ans Nachhausefahren. Die heruntergelassenen Jalousien der Superfenster am Neubau glitzern im Sonnenlicht viel zu übertrieben herüber (ich gebe zu: ich habe nicht viel Freundlichkeiten über für diesen Bau). Die Schatten der Fensterbalken hier zeichnen sich so schön ab in den wenigen Sonnenflecken an der Wand.

(19.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 18. August 2023

3352 Mah!

 



9:13 a.m. Gerade wollte ich den wichtigen Traum aufschreiben, dann: zack! Weg ist er. Dafür schaut mich die frankophone Schweizerin (Felix Vallotton) wieder einmal an. Ich hoffe immer noch, dass sie ihren Widerstand aufgibt, die Arme aufmacht, ihr Leibchen runterrutschen läßt und mir ihre Brüste zeigt, aber ihr leidenschaftlich flehender Blick sagt, dass sie entkleidungsmäßig nicht weitergehen will. Die Buchrückenschriften beim Tauler und beim Thomas von Aquin gleich daneben im Bücherregal schwellen ob der schwülen, angespannten Situation gleich an und leuchten herüber. Der Vesuvstein darunter krümmt sich verlegen zusammen und duckt sich so gut es geht; er will soetwas gar nicht mitbekommen. Jessica (Alex Katz) links daneben bleibt locker, upperklassig, trocken und unberührt. Die Nackte darunter (Henri Manguin) – mah! So ein schöner Hintern! Den kann ich zwar jetzt von hier aus nicht sehen, aber ich erinnere mich! - versteckt sich in ihren Farbflecken. Ich schaue wieder zur Frankophonen Schweizerin, ihr komischer Hut, den ihr der Maler aufgesetzt hat, glänzt verhalten und rotiert wie eine verdunkelte Zwerggalaxie. Ich will von den Nackten und Halbnackten weg und schaue auf Veli Lošinj. Das Bild hat im Vergleich zu gestern nachgelassen, aber diese transparente Stange da ungefähr in der Mitte, die hat immer noch etwas. Mein Blick geht auch zu Mali Lošinj und Rettenschoess und dann noch zur Riesneralm, und die ersten zwei sind von betörend intensiver Dynamik, die beinah die Zimmerwand und die Grenzen der materiellen Welt entstarrt und an ihnen fließende, kreisende Wirbel hervorruft, die durchlässig werden und sich öffnen können, während die Sonne auf der Riesneralm still und winterlich dieses Loch in den Nebel und ins Universum glüht.

Die Tageskinder sind gekommen und ich habe ein wenig Hemmungen, hinunter zu gehen und mir ein Frühstück zu machen, besonders jetzt in der Eingewöhnungsphase der neuen Kinder, wo ich mit meinem Auftreten so schnell Irritation und Unruhe bringe.

(18.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3351 Anmaßung

 



1:47 a.m. Die besoffenen Geschichten, die ich gerade gelesen habe, wirbeln mir im Kopf (fehlt dir was? Der innere Provokateur). Meine Hände glänzen noch vom Schmerzgel, das ich mir heute gekauft und soeben in den Rücken geschmiert habe. Man soll sich nachher die Hände waschen, heißt es am Zettel, aber ich bin zu müde. Morgen ist auch noch Zeit. Oder vielleicht muß ich soundso noch aufs Klo. Ich taste meine Bilder an den Wänden ab, indem ich sie anschaue, aber heute gleiten sie an meiner Zentralaufmerksamkeit vorbei. Mein Blick bleibt an den gekrümmten Füßen hängen (ich meine tatsächlich ein Bild von Füßen und nicht von Beinen), die unter einer übertackernden Zeichnung hervorlugen. Im Großen und Ganzen war’s das schon. Die Füße scheinen sich vehement zu sträuben, auf Päivis Bü zu landen, dem sie gefährlich nahe kommen.

Am Rückweg vom Klo habe ich einen Abstecher ins Musikzimmer gemacht, dort das Fenster geöffnet und auf den östlichen Sternenhimmel geschaut. Aber Sternbilder konnte ich nicht erkennen, die dünnen Wolkenschleier und die Lichtverschmutzung haben mir die klare Sicht genommen. Aber das ist egal. Es ist doch sowieso eine Anmaßung, dem unendlichen, unauflösbaren Chaos da draußen eine Ordnung beibringen und willkürlich zusammengestellten Sternen Gestalten und Namen aufdrängen zu wollen. Aber erfrischend war der Anblick schon. So erfrischend, dass ich jetzt schlafen kann.

(18.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 17. August 2023

3350 Begleitung zum Jüngsten Gericht

 



Im geliebten Espresso Burggasse sitze ich ganz entspannt und relativ unaufgeregt. Die Musik passt schon. Ich sitze nicht im Freien – wie es sich für einen ordentlichen Leser und Schreiber gehört - denn die Sprache ist doch auch ein Gehäuse mit Wänden, Dach, Türen und Fenstern – dafür schaue ich durch die große Glasfront die, die draußen im kleinen Straßengarten sitzen, an. Was-weiß-ich-was fällt mir nicht auf. Die eine intensiv kommunizierende Runde da könnte prominent sein. Aber ich mit dieser Gesichtserkennungsschwäche und dem extrem schleißigen Gedächtnis kann mir nie sicher sein. Eine Frau am Gehsteig lacht gekünstelt und übertrieben. Ein Mann mit blauer Kappe und traurig bis verbissen verschlossenem Mund geht ab. In der Runde redet eigentlich nur einer, die anderen hören und stimmen zu. Ein wenig ernsthaft besserwisserisch schaut der links gestylte Guru schon drein. Trotzdem fühle ich mich in der alternativ angehauchten oder Bobo-Szene wohler als bei den „Normalen“. Bei den „Normalen“ fürchte ich immer, dass die mich lynchen oder in Kazetts und Gulags stecken werden, wenn sie merken, wie ich ticke und von oben die Erlaubnis bekommen. Ich bin auch für die Freigabe von Cannabis in praktikabler Form. Aber auch aller transzendierenden Drogen. Also nicht bei Kokain, das hier bei uns nur dem Kapitalismus und seinem Egokult zuarbeitet (Dort, wo die Kokapflanze wächst, braucht sich niemand von außen einmischen). Mohn ist auch eine Blume. Eine Frau, die draußen im Terrassengarten sitzt, hat ihre Beine überschlagen, dass man in Wirklichkeit eh nichts Besonderes sieht, aber meiner dummen, hartnäckigen und unbelehrbaren Phantasie reicht es für – für was eigentlich? Dass sie sich ein wenig aufblustert? Gott-oder-wer-oder-was-auch-immer sei Dank sind diese Phantasieeinbildungen nur Seifenblasen, die an meinem Sinnhorizont vorbeidriften und nichts (oder fast nichts) mehr bewirken. Zerplatzt ruhig! Ich komme ohne euch aus. Manchmal kann mein Geist schon aus meiner eingeübten dummen Beschränktheit hinausgreifen. Oder? Manchmal! Die Musik jetzt hat einen so schönen, herzergreifenden Rhythmus, den nur eine Posaune so schön überspielt. Und nocheinmal ein Stück von dieser Band (zwei Posaunen?). Wenn das die Posaunen des Jüngsten Tages sind: nur zu! Nur zu! Mit euch und mit diesem eleganten Reggae-Rhythmus lasse ich mich gerne zum Jüngsten Gericht begleiten!

(17.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3349 Ich gaffe lange in das Bild

 



8:50 a.m. Eine Gelse hat mich gestochen. Im Traum bin ich in eine Riesenwohngemeinschaft gezogen und erst um 16h aufgestanden. Die Augen noch voller Schlafsand schau ich die Modigliani-Nackte an und die schaut so rein und unschuldig zurück in ihrer Körperlichkeit. Ihre Proportionen sind so reich und sauber. Ich selber stinke, ich muß heute dringend duschen. Die junge Katz-Frau blickt kalt und hart wie das Jüngste Gericht. Keine Sorge, das ist nur eine meiner typischen Morgenorientierungsphasen. Ach, mein Gedächtnis! Es ist so zerfallen, weiß nichts mehr, erinnert sich nichts mehr, nur einzelne Bruchstücke ohne Kontext. Meine linke Hand zuckt während sie das Notizbuch hält. Mein Blick geht immer wieder zur Modigliani-Frau zurück; meine Prägung für den Tag. Man wird ja täglich neu geboren, oder? Ein Prince-Song – eh der berühmte, best bekannteste – geistert akustisch durch mein inneres Gehör. Oh! Zufällig landet mein Blick auf Veli Lošinj und heute ist meine Seele von diesem Bild ergriffen und begeistert wie noch nie. Was für ein schönes Bild! (Und ich habe es gemalt!) Diesen aufrecht stehenden, schlanken, fast transparenten, zarten Masten (oder was das ist) in der Mitte des Bildes sehe ich wie zum ersten Mal. Und zum ersten Mal merke ich, dass er das Bild zusammenhält und in seiner Unscheinbarkeit und losgelösten Zufälligkeit die wichtigste Gestalt darin ist (Verdad! Ich bin kein Freudianer!). Von diesem Ding geht irgendetwas wie eine Aufforderung, wie eine Mahnung aus, ich glaube, irgendetwas nicht zu vergessen. Jetzt geht das Ding etwas zusammen, aber erholt sich wieder. Ich gaffe lange, lange in das Bild.

(17.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 16. August 2023

3348 Die erste Halbzeit

 



12:07. Ich warte herunten in der Küche auf den Paketboten; oben würde ich das Läuten überhören. Das Paket ist nicht für mich. Eigentlich wollte ich das Semifinale der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft schauen (um mein Laptop mit herunter zu nehmen, bin ich zu unflexibel). Die Tageskinder werden jetzt von meiner Frau, ihrer Tagesmutter, zum Mittagsschlaf gebracht, worauf sie sich schon freuen. Die Küchenuhr tickt, während der Kühlschrank röchelt. Meine Nase juckt extrem. Ich bohre in ihr, aber das hilft nichts. Nebenwirkung des Schmerzgels? Ich schaue dem Sekundenzeiger der Küchenuhr bei seiner Rundreise zu (die in Wahrheit kein Rundgang ist, denn keine der absolvierten Sekunden kommt wieder – und die Ziffern, die der Zeiger erneut passiert, sind schon von einer anderen Zeit). Ich brauch mehr Geld! Chef, ich brauch mehr Geld! Ein Klimaticket kaufen und genug Vermögen für ein paar Hotelreisen innerhalb Österreichs, würde mir schon genügen. Mein Traum: zum Beispiel in Kapfenberg oder Schruns-Tschagguns im Hotel die Sekundenzeiger betrachten. Naja, und essen gehen und so. Melancholie ist erst in langweiligen Cafés richtig schön (gibt es solche Kaffeehäuser überhaupt noch, wo man ungestört beim Kaffee sitzen und stundenlang (Übertreibung!) schreiben kann?). Also: ich warte auf den Paketzusteller; Australien-England spielen schon zwanzig Minuten. Der Sekundenzeiger hüpft immer noch über sein falsches Ziffernfeld (falsch, weil es optisch die Wiederkehr des unrettbar Vergangenen suggeriert). Es ist so still, dass mein Ohrensurren sogar den röchelnden Kühlschrank übertönt, vor allem dessen Surren, das erst jetzt bis in mein Bewußtsein dringt. „Kann denn Liebe Sünde sein?“ frag ich mich jetzt, so einfach aus dem Stand und aus dem Nichts heraus. Der Sekundenzeiger überholt den Minutenzeiger. Also für die Kunden hat sich mit der modernen Zustellerei nichts wirklich verbessert; die Vorteile werden von den Nachteilen aufgehoben. Der Sekundenzeiger passiert den Stundenzeiger. Das Röcheln des Kühlschranks wird jetzt von seinem Brummen begleitet. Ich schaue stumm am Küchentisch herum. Gläser, Kerzen, Kannen, mein Teeheferl. Eine halbe Stunde gespielt. Wenn ich Fußball schaue, will ich das ungestört und konzentriert tun können, nicht auf Abruf. Ich werde jetzt auf kalten Kaffee umsteigen. Getreide- und Lupinienkaffee wohlgemerkt; an echtem Kaffee ist nur drinnen, was ich an Rest aus der Kaffeemühle meiner Frau gekratzt habe. Das ist mein Trick beim aktuellen Kaffeeentzug (ja gut! Von mir aus drei „e“! Ewig kann ich den lästigen Rechtschreibkorrekturaufforderungen doch nicht standhalten; ich bin ein schwacher Mann; ich find’s trotzdem blöd und es schaut unecht aus; im Deutschen, nicht im Finnischen zum Beispiel). Jetzt komm endlich, du Packerlidiot! Die erste Halbzeit ist fast vorbei! (keine Sorge, ich werde eh freundlich sein und ein Trinkgeld geben!) Weil mich meine Nase noch immer juckt, gehe ich ins Badezimmer und schneide mir die Nasenhaare weg. Die Schere ist viel besser als die im oberen Bad. Liebe Frau, wenn die Tagis schlafen, mußt du nicht mit ihnen mitschlafen; du kannst herauskommen und mich ablösen. Ich will die Frauenfußballweltmeisterschaft schauen! Schließlich bin ich Feminist!

Halbzeit. Meine Frau kommt und ich kann rauf in meine Kemenate.

(16.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3347 Ich muß schlafen

 



1:21 a.m. Die Schnur mit der Holzkugel zum Ziehen der mobilen Holzmöwe bleibt an meinem Brillenbügel hängen und so rollt die Holzkugel über meine linke Wange. Sonst geschieht nicht viel. Durch die geöffneten Fenster im Vorzimmer und im Zimmer herinnen höre ich ganz ferne und verfremdet etwas vom Autoverkehr (vermutlich) und ein Flugzeug. Es ist immer noch heiß hier; der schwarze Rabe mit dem fälschlich gelben Schnabel schwankt nur in meiner Müdigkeit – wenn ich mich zusammenreiße ist er still. Zwei Stäubchen schweben durch den Lichtkegel der Leselampe. Katz’s junge Frau blickt im ersten Moment belustigt auf mich, bevor sie wieder arrogant dreinschaut. Ich suche mit meinen müden Augen hilfesuchend die Wände mit den Bildern ab. Vergeblich. Das war’s heute. Ich muß schlafen.

(16.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 15. August 2023

3346 Der Streifen Stoff

 



Der Streifen Stoff, der von der hochgezogenen Markise dort drüben am Balkon heraushängt, bewegt sich so schön und elegant in Wellen in der Nachmittagssonne; die sauberen Hausfassaden werfen das Licht so fröhlich und traurig zurück. Das Blau des Himmels verdeckt die unendliche Leere dahinter. Selbst die industriellen Stuckaturen an den Hauswänden der alten Häuser können jetzt den Schein von Bedeutung erwecken, wenn sie auch Massenware aus dem neunzehnten Jahrhundert sind (wenn nicht schon Kopien derselben). Der Markisenstoff winkt an seinem - von mir aus gesehen – linken Ende und dann hebt er sich über seine ganze, lange Breite. Nun läßt er wieder diese schönen Wellen durchlaufen, dass man meinen könnte, er wolle einen – aber wohin? - verlocken. Auch hier am Fenster bewegt der Wind den zur Seite geschobenen Vorhang und die lose herabhängende Zugschnur des Rollos. Der Plattenspieler stöhnt, stößt und ächzt unter der Brucknersymphonie, oder ist es die uralte Schallplatte, die schon durchgescheuert ist? Der brave Wind bewegt nun auch die Bäume auf den Balkonen drüben und selbst die Pflanzen hier im Musikzimmer. Drüben, am Dach ganz oben, starren die Fernsehantennen sprachlos und ungerührt nach Nordnordwest; wie eine übereifrige, sinnlose, sich selbst fremde Behauptung am völlig falschen, vergeblichen Ort.

(15.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3345 Maria!

 



Ich sitze in der wegen der hitzigen Sonne abgedunkelten Wohnung, durch die noch via gekippter Fensterflügel ein Wind weht und die Vorhänge bewegt und möchte wieder einmal und ganz deutlich bekräftigen: ich liebe Himmelfahrten. Und ich möchte bekennen: ich bin davon überzeugt – ich weiß, das heißt nicht viel – dass es immer wieder und bis heute Himmelfahrten gegeben hat und gibt; ja, dass in den alten Zeiten, als das Wünschen (die Absicht) noch geholfen hat, ganze Städte gemeinsam abgezischt sind, ohne ihre Leiber als Leichname zurückgelassen zu haben. Mit so einer Aussage lehne ich mich natürlich weit aus dem Fenster und stürze auch ab (ich kann nicht himmelfahren – ich habe das harte Training nicht geschafft), denn was kann ich denen, die mich deswegen für einen Idioten halten, entgegensetzen? Nichts! Gar nichts!

Das Rouleau im Musikzimmer klackert im Wind, der draußen gerade ein wenig heult, und der Vorhang im Atelier schiebt sich auch nicht lautlos auf dem Heizkörper rauf und runter. Mir ist es zu heiß, um schwimmen zu gehen, mein Kreuz ist lädiert, sodass ich das Hocken und Liegen am Boden scheue, und gestern wurde mir beim Herumgehen in der Hitze immer wieder schwindelig. (Nicht einmal die Idee, im Gänsehäufel die Nackerten detailreich zu beschreiben, konnte mich hinauslocken.) Auch die hier im Atelier auf den sechs Wäscheleinen unter dem Plafond hängende und schon längst trockene Wäsche schaukelt im Luftzug. Ich hätte jetzt Zeit, sie herunterzunehmen. Unverständliche Gespräche kommen aus dem Innenhof, dessen Bäume in meiner Abwesenheit gestutzt wurden, vor allem auf den Holunder hatten sie es abgesehen, wie schon seit Jahren, und haben ihm alle Zweige und Äste abgeschnitten; jedesmal bleibt nur der nackte Stumpf zurück. Ich versteh das nicht! Ich versteh das überhaupt nicht! Was haben sie gegen den Baum der Frau Holle?! Ich werde mir jetzt die Zähne putzen, dann etwas essen (oder umgekehrt), dann vielleicht die Wäsche abnehmen, dann lesen (Der schwarze Obelisk; ich brauch jetzt etwas flott geschriebenes), eventuell schreiben, oder so ähnlich. Am Abend wird es - vermutlich vergeblichen - Fußball geben, so Gott-oder-wer-oder-was-auch-immer will.

(15.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 14. August 2023

3344 In der ersten Reihe

 



13:00. Ich sitze in der ersten Reihe. Ich schaue ziemlich genau nach Westen (ich hätte Norden erwartet) und sehe den Kahlen- und den Leopoldsberg, die Stadtbahn recte U6, den Gürtel, einen Kran und den völlig wolkenlosen Himmel. Das Laub der Gürtelbäume schaut vielfach krank und verdorrt aus, der Autoverkehr kommt mir schwächer vor, der Lärm wird durch die großen Fensterscheiben gut abgedämpft. An der Kreuzung tief unten streicht sich eine Frau in rotem T-Shirt durch die Haare. Überhaupt das Geschehen dort unten schaut von hier heroben wie das eines mechanischen Spielzeugs aus. Hinter mir telephoniert ein Mann verärgert und ärgerlich laut hier in der Bibliothek. Die Konturen der Berge im - verdammt! - Westen zeichnen eine schöne Linie. Der Wind betätschelt die Alleebäume (und die brauchen das auch, wenn sie Windbestäuber sind; wenn auch nicht jetzt außerhalb der Saison). Und die Tauben fliegen auf und setzen sich wieder hin; vielleicht wird ihnen das Blechdach zu heiß. Es rauscht optisch – hören tu ich es hier hinterm Glas nicht – so toll die Baumreihen entlang. Ich gehe ins Freie.

13:50. Ich sitze im Hof 8 im Halbschatten (der Wind schiebt die Schatten ständig hin und her) und schaue auf den Springbrunnen. Heute kommt er mir überhaupt nicht mickrig vor, sondern richtig. Ich habe Durst und starre gierig auf das Wasser, das da reichlich sprudelt. Der Wind verweht den einen oder anderen Wasserstrahl. Der ganze Hof steht voller Linden. Ich gehe weiter. Um 14:00 beginnt meine Psychotherapie.

(14.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3343 Die Nahrungszufuhr

 



8:52 a.m. Holzrabe und Holzmöwe schaukeln. Mein Zimmer ist heute besonders räumlich; mein Blick geht besonders in die Tiefe, so, dass meine Seele sich aufregt und nervös wird, glaubt, sie sei an eine andere Dimension geraten. Mein Blick schiebt die Bücher im Regal weiter nach hinten und schaut so Wölbungen in die Alltagswelt. Nur langsam kehrt die vertraute Oberflächlichkeit zurück, aber kippt manchmal wieder weg. Der Rabe schaukelt immer noch, an der Möwe kann ich keine Bewegung erkennen. Nur wenn ich ganz lange mit einem Auge hinstarre, ahne ich ein minimalistisches Zucken (im Innersten sind die Schwingungen noch nicht ganz fertig). Der Rabe schaukelt sich noch immer seine Einsamkeit weicher. Momentan kommt es mir sehr verwegen vor, auf die Bücherwand da stolz zu sein, wenn nicht gar größenwahnsinnig. Mir wird schlecht. Meine Psyche kriegt sich nicht ein. Jetzt klappern mir die Zähne. Mein Geist versucht frömmelnd so zu tun, als wäre nichts Besonders (und alles in Gottes Ratschluß gütlich aufgehoben). Ich beruhige mich beim Anblick meiner frankophonen Schweizerin. Ihr herausleuchtender rechter Arm, mit dem sie ihren Busen vor meinem Blick schützt, dient mir als Rettungsanker um die Welt stabil zu halten. Jetzt versucht sie in tänzelnden Bewegungen hin und her meinem gierigen (? Stimmt das?) Blick auszuweichen, zumindest nicht fixiert zu werden. Ich entkrampfe meine linke Hand. Geradezu flehentlich schaut mich die frankophone Schweizerin an, sie doch endlich in Ruhe zu lassen. Große, langsame, magnetische Wellen beginnen mich wegzuschieben; ich verliere meinen lasergebündelten Blick. Mit Absicht schaue ich ganz woanders hin, in den Abgrund unter dem Seitenregal für die Tonträger, einfach um meinen Blick zu entschärfen. Doch am Lautsprecher des Radiogerätes dort warten die nackerten Weiber von Makart auf ihren Magnetbildchen. Ich aber halte meinen Blick weich und situationselastisch und lasse ihn weiterwandern. Ich seufze tief und erleichtert auf und hole wiederum tief Luft. Beim dritten Mal Luftholen geht es in entspanntes Gähnen über. Mein Zimmer ist wirklich eine abenteuerliche Landschaft. Jetzt gaffe ich auf die Farbkopien zweier eigener Bildchen und will im verheimlichten Farbenchaos Halt finden. Meine Seele scheint sich beruhigt zu haben. Auf zum Frühstück; die Nahrungszufuhr wird das System noch besser stabilisieren.

(14.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 13. August 2023

3342 Selber Sehen

 



Im Garten bläst der Wind die warme Luft um meine nackten Beine und in die Bäume. Die sonnenglänzende Birke reagiert am heftigsten, läßt ihre Blätter flirren und blinken, läßt ihre Zweige und Äste sich verbiegen und abtauchen und wieder hochspringen. Ein heiserer Hund jault kurz mit belegter Stimme auf und geht dann ins Bellen über – gerade noch hat er stimmlich die Kurve gekratzt. Aufgeregt läuft er hin und her und gibt Laut (so heißt das doch, oder?). Sehen kann ich ihn nicht. Ein schönes Rauschen in den Bäumen, schöner als der Lärm des Autoverkehrs unten im Graben. Die Kirchturmuhr schlägt viertel. Die Föhre ragt mächtig über uns auf. Eine ferne Kirchenglocke läutet. Die Sonne strahlt verkleinert durch das löchrige Geäst. Der Himmel in weißlichem Blau täuscht noch den reinen Sommer vor. Eine Wespe surrt verstärkt im Marillenmarmeladenglas. Eine Libelle besucht den Ahornbaum und irgendwo aus der Nachbarschaft tönt windverwehte Livemusik. Auch die Eibe unter dem Ahorn unter der Föhre schüttelt sich in der Brise. Die kleine Fichte daneben kommt noch schwerer auf. Der Holunder biegt sich vor lauter Beeren, auch er unter der Föhre. Ich möchte sehen können: leidet die Birke unter dem Efeu, der an ihr hochwächst oder haben sie sich befreundet? Ich möchte weder eine Laien- noch eine Expertenantwort, sondern es an ihren Energiekörpern und ihrem Energieaustausch selber sehen.

(12.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3341 Das ist es nicht

 



Ich sitze auf der Jägerwiese ganz oben am Waldrand (Achtung! Scheiß- und Brunzareal!) im hohen Gras und schaue die schöne, betörende Leite hinunter. Und was höre ich? Ich würd sagen eine Motorsense. Die verfolgen mich. Oder hat sich Bruder Hein inzwischen motorisiert? (Langsam wie er ist, erst jetzt.) Brmmm! Brmmm! Brmmm! Ja, wer auch immer: der (da bin ich mir sicher) hat Lust am Gas rauf und runter Drehen. Herausgelockt hat mich das Spätsommerlicht, als ich zu Hause aus dem Atelierfenster geblickt habe. Vielleicht ist es auch ein anderes Motorgerät. Als Trost krähte ein Hahn. Ich tippe schon auf Motorsäge. Brmm! Brmm! Brmm! Brmm! Der Plan ist, mich hier ins tiefe Gras zu legen. Aber jetzt habe ich meine Zweifel über diesen Einfall vom Morgen. Ach, nun bin ich schon da; ich probiere es. Vielleicht ist es auch ein Rasenmäher.

Also, so toll, wie ich mir das vorgestellt habe, ist das In-der-Wiese-Liegen nicht. Selbst nach den erwartbaren heftigen Kreuzschmerzen beim Hinlegen und nachdem sich mein Körper mitsamt seinem Rücken an die Liegeposition gewöhnt hat, ist es nicht toll. Irgendwas passt mir nicht (und ich meine nicht den ständigen Restschmerz im Rücken). Ich schaue in den blauen Himmel und auf die Wipfel der Bäume hinter mir und betrachte dabei das Herumschwimmen der Schlieren meiner Augentrübungen auf der Netzhaut (oder sind die nicht auf der Netzhaut?). Ich habe mich wieder aufgesetzt und sehe durch die Lücken im Wald auf der anderen Seite der Lichtung in die Ferne (Korneuburg? Nein, vermutlich doch nicht). Ich werde jetzt aufstehen und den Hang hinuntergehen und eine freie Bank zum Sitzen suchen.

Auf dem Weg hinunter viele, viele Heuschrecken, die erschrocken weghüpfen. Ich höre ein Pferd. Ist es der Handymast, der so elektrisch surrt? Spielende Kinder. Das Gasthaus hat offen. Die Motorsense verstummt. Ich werde das Ganze inspizieren. Auf der Bank hinter mir eine unerträglich gelangweilte, arrogante Jung-Frauenstimme.

Ich starte meinen Rundgang. Das Pferd habe ich gesehen und ein Maultier, einen dichten Garten mit Rosen und Gartenzwergen, eine große Voltaikanlage am Stadeldach und eine leer schaukelnde Schaukel und hören tu ich eine elektrisch surrende Anlage – keine Ahnung was das ist; also surrt nicht der Handymasten. Zum Agnesbründl? Zum Agnesbründl!

Nun sitze ich beim stillen, einsamen Agnesbründl mitten im Wald. Der Wind spielt seine Licht- und Schattenspiele auf dem Holztisch und ich sehe auf dem Papier des Notizbuches die Schatten meiner Haare flattern. Ist es ein guter Ort hier? Ich weiß es nicht. Ganz wohl fühle ich mich hier nicht. Eine Amsel fliegt durch das Dickicht. Es rauscht im Wald. Der Himmel über der kleinen Lichtung ist sommerlich blau. Irgendetwas will mich weitertreiben. Ich höre einen Habicht rufen. Die Stille ist schon beruhigend. Jetzt kommen andere Besucher zur Quelle. Ein altes, gebildetes Paar (ich höre es an den Stimmen). Ich merke es erst jetzt: in den Ästen einer Holunderstaude hängen bunte Bändchen; anscheinend werden hier doch noch Wünsche deponiert. Der Holunder passt natürlich gut zum Marienbild über der Quelle. Mein Mißtrauen gegenüber diesem Ort nimmt deutlich ab. Jetzt bleibe ich sitzen. Ich suche im Rucksack nach irgendeinem Bändchen, um es in den Baum zu hängen, finde aber keines. Das Band an meinem Notizbuch will ich nicht abreißen.

Ich bin ins Gasthaus eingekehrt, weil das auch eine Methode ist, den Ort zu würdigen. Auf der Sonnenterrasse ein ansatzweise – aber wirklich nur im Ansatz – mondänes Leben. Jedenfalls schaut es für den so aus, der aus dem hohen Gras mit seinen Käfern und Heuschrecken und dem Jucken und mit verschwitztem Leiberl und aus dem einsamen, feuchten, dunklen Wald kommt. Ein wenig kommt mir mein Einkehrtag übertrieben und zu viel des Guten vor.

Auf dem Weg von der Jägerwiese hinunter, die Sonne im Rücken, sehe ich es an meinem Schatten: ich habe den Gang eines alten Mannes. Etwas Schwankendes zeigt sich in der Bewegung. Ich raste an der mehrfachen Wegkreuzung im Wald. Dort stehen drei Bänke, auf denen immer wenigstens ein oder zwei Personen sitzen. Ich finde eine freie Bank. Viele Wanderer und Spaziergänger kommen vorbei. Der leise Wind bringt die Zweige und Äste der Bäume und Sträucher am Waldessaum in freudige Aufregung. Ein richtiger Rastplatz (hoffentlich mit guter Energie). Ich frage mich plötzlich, ob wirklich alle Vorbeikommenden Menschen sind. Aufgefallen wäre mir nichts.

Ich bin wieder im Gras gelegen, auf der Bellevue, zu der ich gewandert bin, aber nur kurz, denn mein Kreuz spielt nicht mit. Über mir sind zwei Habichte gekreist; manchmal haben ihre Konturen das Sonnenlicht als goldenen Glanz abgestrahlt. Der Himmel im Osten zeigte sich schon im dunkleren Blau, aber die Bäume dort leuchteten in intensivem, reifen Gelb. Meine Kreuzschmerzen sind wieder stärker geworden, deshalb hatte ich mich wieder mühsam aus dem Gras erhoben und mich auf eine Bank gesetzt. Wien liegt vor mir ausgebreitet und hingestreckt. Noch einmal zum Freuddenkmal? Oder gleich nach Hause? Ich sehe den Schlot vom Flötzersteig.

Nun hocke ich an das Freuddenkmal gelehnt - wo Freud die Traumdeutung eingefallen ist und ich hoffe immer, etwas von dieser Energie des Ortes könnte auch auf mich überspringen. Mal schauen, was da auf mich kommt. Das Gras rundherum ist hoch und vertrocknet, die Grillen zirpen, der Wind fächelt sanft herum, es ist so sehr Sommer, aber schon der späte, dem bereits ganz im Innern der Abschied eingehaucht ist. Es ist heiß, das ist es nicht. Zu heiß fast hier in der prallen Sonne.

(11.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3340 Zum dritten Mal

 



7:50 a.m. Ich hocke in der rollogestützten Dämmerung und nur langsam bekomme ich die träge Schlafmaske mit diesem REM-Ausstellungstraum von meinem Gesicht. Am Weg zum Klo sehe ich, dass es ein schöner, sonniger, schon herbstlich angehauchter kühler Morgen ist, der sehr nach Ferienende und Abschied von den Sommerhoffnungen riecht. Auf der nahen Baustelle wird ganz schüchtern gehämmert und nun läuten die für mich immer noch tröstlichen Kirchenglocken. Mir ist auch im Bett kalt, aber ich werde das Fenster im Vorzimmer nicht schließen. In meinen Ohren rauscht es wie an einem Wasserfall mit Obertongesang. In meinem linken Ohr beginnt es zu pochen. Im Inneren taucht eine Szene auf, wie mein abgesackter Kopf mit einem stumpfen Laut gegen die Wand stößt. Ich entkrampfe jetzt zum dritten Mal meine linke Hand. Ich spiele mit dem Gedanken, in meinem Zimmer die Rollo hochzuziehen. Nun kratze ich mich hinter dem rechten Ohr. Und dann versuche ich, mir den Schlafsand aus den Augen zu wischen. Ein dreifach stockendes Einatmen und ein Jucken an der rechten Augenbraue. Zum dritten Mal muß ich gähnen. Mein Körper beginnt, seine Konturen weicher und fließender zu machen (das heißt: er übergibt an den Energiekörper). Ich will mir das geträumte Sakko ausziehen, aber da wache ich auf. Dann habe ich noch einen Friseurbesuch mit meiner Mutter geplant (was soll das!); davon bin ich dann richtig wach geworden.

(11.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3339 Zehn Prozent

 



0:59 a.m. Meiner lieben Frau hat geträumt, ich hätte ein Hörspiel geschrieben mit dem Titel „Zehn Prozent“. Später hat sie mir verraten, dass es dabei um Steigung geht. 10% Steigung, das könnte ich schaffen. Nur habe ich keine Ahnung, wie man ein Hörspiel schreibt; auch nicht, wie einen Roman zum Beispiel. Genau genommen habe ich überhaupt keine Ahnung, wie man irgendetwas schreibt. Drum schreibe ich immer drauflos. Und ich bin so müde, dass mir schon die Wahrnehmung zu verschwimmen beginnt. Für heute muß ich mein Hörspiel bleiben lassen.

(11.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 9. August 2023

3338 Ich wette

 



7:31 a.m. Auch hier, in meiner geliebten städtischen Stille, heulen die Motorsägen. Die Klimaanlage im Lichtschacht und irgendeine Radiomusik kommen dazu. Meine Ohren jaulen regelrecht auf. Jetzt scheint die Motorsäge etwas weiter weg zu sein. Dafür tauchen unverständliche Dialogfetzen Mann – Frau zwischen dem Lärm auf. Hämmern und ein gleichbleibender Heulton. In Mali Lošinj beginnt sich die Hafenpromenade aus dem Bild zu lösen. Ein Handy dudelt. Erholsames Glockengeläut von der Kirche.

Man muß aufstehen, dann kann man Teil des Lärms werden und man merkt es kaum. Nach den nicht eingetretenen Wahrheiten wird es etwas still. Ich wette: eine ferne Waschmaschine im Schleudergang. Irgendetwas verschwindet aus den Augenwinkeln.

(9.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3337 In meinem Bett

 



2:14 a.m. Wieder zu Hause und dann nach langem zum ersten Mal wieder in meinem Bett kommt mir vor, das Licht meiner Schreiblampe ist ganz, ganz schwach. Ich hocke wie in Düsternis, die junge Frau des Alex Katz schaut wieder arrogant und spöttisch auf mich herab. Aber ich seufze tief und freue mich aufs Schlafen. Ein wenig will ich noch um mich schauen, aber ich finde kein rechtes Auge für die vielen Karten und Bilder an den Wänden. Macht nichts. Ich blicke trotzdem im Zimmer herum und bleibe verwundert an der Bücherwand hängen und das nicht ganz ohne Stolz. Ich würde noch gerne zu einer Quintessenz finden. Und wirklich: die kleinen Bildchen erschließen sich mir neu, als könnten meine Augen nun besser sehen. Zuerst haben es mir die Nackten angetan, und dann auch die anderen. Heißt das, ich bin zu Hause in meinem Reich angekommen? Und auch in meiner Zeit, der Nacht?

(9.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3336 Radio

 



17:43 Heute gehen mich schon den ganzen Tag Bilder – um nicht zu sagen: Visionen meiner Kindheit an, denn sie wirken irgendwie verfremdet, so dass ich mir manchmal nicht sicher bin: habe ich sie als Kind wirklich gesehen oder als Kind bloß geträumt. Es sind keine Erlebnisse, sondern Wahrnehmungserinnerungen, wie zum Beispiel das Buwoghaus Irdning Nr. 88, in dem ich aufgewachsen bin, von der Wiese vorm Haus aus in einem spätsommerlichen Nachmittagslicht gesehen. Dieses Nachmittagslicht, das mich fast verrückt macht vor Sehnsucht und Schmerz, ist von solcher Intensität, als hätten sich darin alle Hoffnungen und Enttäuschungen meiner Kindheit gebündelt. Auf der kleinen Wanderung heute haben sich solche Bilder, oft von irgendetwas aus der Gegenwart aufgerufen, ständig an mich heran- und mich traurig gemacht (gegen die Trauer habe ich nichts – ich finde sie meist angemessen).

Und jetzt sitze ich zu Hause in meinem Zimmer und höre auf FM4 Sommerhits – ich drehe das Radion ganz, ganz selten auf. Es war ein spontaner Einfall und wieder gehen mich die Kindheitserinnerungen an. Es fällt mir schwer zu sagen, wodurch diese jetzt ausgelöst worden sind – vielleicht weil ich als Kind und Jugendlicher oft Radio gelauscht habe, gerade in den Sommerferien, und auch solche Hitsendungen. Sicherlich, es waren ganz andere Hits als die, die jetzt aus dem Radion kommen, aber vielleicht sind es die aufgedrehten Moderatoren, vielleicht die Sommerferienstimmung, die einem eine glückliche und erlebnisreiche Jugend suggerieren wollen inklusive des ersten Liebeskummers, und all meine damaligen Hoffnungen und Enttäuschungen, irgendwo in mir abgelagert, melden sich wieder und tun weh. Ach, meine Sehnsucht damals war so groß, mein Scheitern so niederschmetternd; ich wollte auch dabei sein, ins Leben kommen, war und bin es aber nicht.

Und warum steigt das jetzt aus der Vergangenheit herauf? Weil im Alter die Kindheitserinnerungen stärker aufleuchten und meine Seele überschwemmen?

(8.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 5. August 2023

3335 Der Tee hat lange genug gezogen

 



Seggauberg 5:02 a.m. Ich wache auf. Etwas ist anders. Mir fällt es verschlafen nicht sofort auf; dann: kein Autoverkehr. Kein einziges Auto. Ich gehe aufs Klo und höre durch das gekippte Fenster die Kirchturmuhr Frauenberg 5 Uhr schlagen. Sind die Straßen wegen Überschwemmung gesperrt? Die Stille ist köstlich, wahrlich köstlich. Meine Frau steht zum Yoga auf und putzt sich mit der elektrischen Zahnbürste die Zähne und bricht somit die Stille (auch ich verwende den elektrischen Strom für die Nachttischlampe zum Schreiben). Es regnet stark. Ich öffne die Wohnungstür und schaue hinaus. Ein Auto höre ich jetzt. Es schüttet richtig. Draußen versinkt alles in Regen und Nebel. Es ist wieder still bis auf die Regensymphonie, die jedoch die Stille stärkt. Meine Frau geht hinaus und geht in den trockenen Stadel, um dort ihr Yoga zu machen. Auch ich werde jetzt laut sein und mir einen Tee machen, denn ich habe Durst. Während das Wasser im elektrischen Wasserkocher zu brodeln beginnt, höre ich eine ferne Sirene. Vielleicht ist die Stille bloß uhrzeitbedingt oder des Samstages wegen, aber es dürfte schon Überschwemmungen geben (Richtig! Die Brücken über die Sulm sind alle überschwemmt, wie ich später feststellen konnte. Der Tipper). Als ich die Teebeutel mit dem kochenden Wasser übergießen und dabei an den Papierblättchen festhalten will, damit mir die nichts ins Teewasser rutschen, merke ich, wie steif und ungeschickt meine Finger sind, die die zwei Papierblättchen der zwei Teebeutel kaum halten können.

5:39 a.m. Draußen wird es schon heller; ich kann im Fenster die ausgeschnittene Kontur der Landschaft sehen und höre ein Auto und den Kühlschrank brummen. Dann ist das Auto weg und der Kühlschrank mit seiner Aktivitätsphase fertig und es ist wieder regenstill. Ich seufze tief und gaffe aufs grau erleuchtete Fenster. Dann steh ich vom Bett auf, denn der Tee sollte jetzt lange genug gezogen haben. Eine nahe Sirene geht an.

Ich habe nun das Licht abgedreht und hocke in der schönen, grauen Stille. Einzelne Autos fahren schon. Ich höre eine ferne Sirene. Jetzt ist es absolut still. Auch der Regen hat aufgehört und macht eine Pause. Irgendwo tropft es noch ein wenig und eine Taube gurrt.

(5.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3334 Orientierung

 



Frauenberg. Vor mir ein paar römische (?) Steinplatten im Gras, gleich dahinter die niedere Buchenhecke. Von der Ebene draußen steigen die Nebel auf, denn es hat aufgehört zu regnen und die Sonne schimmert durch die stellenweise dünner gewordene Wolkendecke. Ganz langsam und majestätisch lösen sich die Nebelschleier vom schweren, nassen Boden und heben ab. An vielen Stellen schaut das wie zarte aufsteigende Rauchfahnen aus. Die Turmuhr schlägt viertel. Ich suche die Orientierung zu finden, finde sie aber nicht. Am Smartphone bin ich so ein Idiot. Mich irritieren an der Aussichtsplattform die Linien, die nach Rom und Aquilea zeigen sollen – für mich zeigen die nach Nordwesten. Das wollte ich überprüfen, schaffe es aber nicht, eine Kompassapp herunterzuladen und zu benutzen. Fern im Osten (?) trifft das Licht eines Sonnenfensters, weil dort die Sonne durchgebrochen ist, einen Ort mit Kirche – tät ich sagen. Die Turmuhr schlägt halb. Hunde bellen. Die Nebel haben sich gehoben, aber hängen noch tief über der herrlichen Landschaft. Ein Einsatzwagen mit Sirene; es gibt noch Überschwemmungen. Meine Tochter ist heraufgekommen und hat mir beim Einstellen des Smartphones geholfen. Unglaublich! Die Richtungspfeile Rom und Aquilea stimmen! Wir spielen mit dem fünfjährigen Buben verstecken. Das gestern offene Grab ist heute zu.

Am Maibaum oben flattert eine kleine österreichische Fahne. Das ist wichtig, denn der Mai ist österreichisch. Ich halte so etwas für Missbrauch.

(4.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 4. August 2023

3333 Zrrr!

 



Seggau 6:35 a.m. Es regnet. Seit Stunden schüttet es die Landschaft voll. Was für ein schönes Geräusch! Aber jetzt heult eine Sirene dreimal auf. Durch den Netzvorhang sehe ich nur helles Grau und den kompletten Landschaftsausschnitt als einheitliche dunkle Fläche; nur einen herausragenden Baum kann ich als solchen erkennen. Mir ist ein wenig übel. Und ich bin angespannt. Anscheinend mache ich mir Sorgen. Neuerlich eine Sirene weiter weg. Ich vermute Überschwemmungen unten in der Ebene. Werden wir wegkommen? Ich horche wieder auf die Melodie des Regens um mich zu entspannen (den Autoverkehr kann ich zeitweise ausblenden).

7:05 a.m. Der Regen wird noch stärker. Jetzt hört man die Sirenen von Einsatzfahrzeugen. Wir leben schon in der Endzeit? Auch die Fliege verhält sich merkwürdig: sie rennt am Plafond herum, aber plötzlich – zrrr! - wird sie heller und ist - ohne dass ich sie davonfliegen gesehen habe – verschwunden.

(4.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3332 Unzulässige Mystifizierung

 



18:24 Ein nervöser Hund kläfft in einem Garten auf der anderen Seite der Straße. Unter dem großen Weingarten links am anderen Ufer der Sulm grasen Schafe. Jetzt, nach dem Regen, stehen die Bäume ziemlich still. Der Himmel ist von einer grauen Wolkendecke, meistens in Streifen gewellt, überzogen. Meine Einfallslosigkeit wird zum Problem. Ein gewisser Frust kann nicht geleugnet werden. Jetzt lehne ich mich auf der Gartenbank zurück. So ist es besser. Der Blick von oben auf die Straße hat etwas Überlegenes; die vielen Autos wirken wie eingedrückte Käfer, die auf Schienen laufen, wenn sie den gegenüber liegenden Hang herabkommen. Oder: als würde jemand elektrische Autobahn spielen; irgendwo sitzen sie und drücken die Knöpfe der Spielkonsole. Die zwei Fußgänger wirken auch wie Marionetten. Gott, bin ich müde! Ich fühle mich geistig zersetzt. Jetzt kommt eine Fußgängerin , die richtig lebendig und beherzt ausschreitet. Oder ist das doch ein Fußgänger? Die nächsten zwei: auch federndes Ausschreiten. Haben die Spieler an ihren Konsolen meinen Text mitgelesen und den Bewegungsablauf ihrer Marionetten korrigiert? Autos kommen jetzt auch keine. Jetzt kommen sie wieder. Bei denen hat sich nichts geändert. Die meisten Verkehrsteilnehmer schleichen in Bereichen herum, die ich kaum einsehen kann. Oft sehe ich nur Autodächer auf den Straßen links und rechts unter mir vorbeigleiten, oder Fußgängerköpfe. Gerade die Fußgänger sind mir rätselhaft: gehen auf den Straßen zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, wechseln die Straßenseite, winken ein Auto heran und lassen es dann weiterfahren. Oder gehen plötzlich auf der Straße und ich habe sie nicht kommen gesehen. Oder gehen auf der Straße und sind plötzlich verschwunden. Die Dämmerung beginnt schon und das viele Grün leuchtet stärker und im Dunklen heller hervor. Es ist hier kein Ortskern oder so, was machen da die Leute? Sie wirken hobbylos. (Stopp! Unzulässige Mystifizierung! Es gibt hier ein einsames Restaurant; das kann einiges erklären.) Eine Amsel ruft. Jetzt sind keine Fußgänger mehr unterwegs. Nur im Westen ballen sich die grauweißen Wolken. Die Schafe verlassen die Wiese unterm Weingarten. Manchmal sehe ich etwas sich bewegen, wo nichts ist. Ein Fußgänger. Der steht nur am Straßenrand. Okay, jetzt geht er zum einsamen Restaurant. Der Kirchturm schlägt sieben Uhr Sommerzeit. Wenn mich nicht alles täuscht ist das, was nun kommt, das Angelusläuten. Komm! Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.

(3.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 3. August 2023

3331 Ich werde nicht verhaftet

 



Vom Schatten des Stadels aus - in dem ich schreibtechnisch etwas unglücklich auf der Liege knotze – gaffe ich auf die Schule und Schloß Seggauberg – wenn die Gebäude da drüben überhaupt schon dazu gehören. Von Autoverkehr und den jammernd-jaulenden Motorsägen (deren permanent auf und abheulender Tonfall – wie bei Schnappatmung – zu den grässlichsten Geräuschen am Lande gehört) muß ich nicht mehr reden. Arbeit, Arbeit, arebeit – sie gehört zum Fluch der gefallenen Menschennatur. Ohne stilles Wissen ist alles viel komplizierter, umständlicher, mühsamer, unverstandener und quälender geworden. Aber eine angenehme Brise vertreibt die drückende Schwüle. Das Schlechtwetter wird noch kommen. Die große Platane winkt auch zu mir herüber. Ich grüße zurück indem ich meine Kappe lüfte, doch dann kommt mir vor, ich hätte irgendwo gelesen oder gehört, dass man das nur mit Hüten machen darf und ich grüße nochmals bei abgewinkeltem Arm mit der ausgestreckten rechten Hand am Kappenschirm – sozusagen militärisch. Passt auch nicht zu mir, aber egal, ich habe um mich auszudrücken eben kein angemessenes Repertoire an Formeln und Gesten. Ein Auto zischt vom Seggauberg in die Senke herunter, lärmtechnisch unglaublich aufwendig; schön langsam glaube ich wirklich, dass die Straße hier die meisten Autos nicht mag, so sehr jault sie auf.

Aus meiner Entfernung sind alle Typen, die zu den Autos gehen oder aus ihnen herauskriechen, zweifelhaft, einer in weißen Schuhen zum Beispiel überquert die Straße und ich sehe ganz deutlich: es sind die Schuhe, die gehen, es sind die Schuhe, die sich hochheben, nach vor schweben und wieder auf den Asphalt heruntersenken! Nicht der Typ! Der ist nur der Hampelmann der weißen Schuhbewegung. Befremdend, was sich da alles abspielt. Der Kipptransporter fährt die meiste Zeit rückwärts und sein Fahrer muß dabei ständig seinen Kopf nach hinten verdreht halten. Ob die Nackenbeschwerden davon von der Krankenkasse als Berufskrankheit anerkannt werden? Ich vermute nein; außer der Leidende schmiert die Beamtinnen wie vorgestern in Soko Donau. Akkurat kommt ein Polizeiauto erstaunlich sanft und leise den Berg herunter und fährt hier ohne Getue einfach vorbei. Gottseidank! Ich werde nicht verhaftet.

(3.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3330 Papa!

 



5:48 a.m. In den Ritzen der Jalousie sehe ich das gelb gewordene Morgenrot. Die akustischen Straßen“beleuchtung“ ist schon im vollem Gange; ein Flugzeug bestätigt offiziell den lärmenden Sound. In meiner linken Hand spüre ich eine krampfhafte Spannung, aber auch wie sie sich aufzulösen zu beginnen versucht. Im Körper sonst steckt noch ein grauenhafter traumhafter Schrecken, aber mehr weiß ich davon nicht zu erzählen. Die Fliegen sind schon da. Die eine untersucht diesmal die beschriebenen Notizbuchseiten und meine linke Hand. An mir rieche ich noch den gestrigen Rauch. Jetzt heult die Straße von einem langgezogenen gröberen Schmerz. Die Sonnenscheibe ist nun die Sprossen der nicht völlig zusammengeschobenen Jalousie heraufgeklettert und verleiht auch dem Zimmer etwas rötlich goldenen Glanz. Ich aber bin müde und will noch etwas schlafen.

6:51 a.m. Aber ich kann nicht mehr schlafen: die Schmerzen im Kreuz sind heute zu stark. Gottseidank (oder wie denkt ihr darüber?) ist die Schreib-Hock-Position die am wenigsten schmerzhafte. So hocke ich jetzt da und blicke auf das gleißende Licht, das sich durch die Ritzen der Jalousie zwängt. Ein Stückchen Haut, das vom Nagelbett des Ringfingers der rechten Hand absteht, nervt mich enorm, weil es beim Schreiben mit dem Pilotstift ständig unangenehm über das Papier kratzt. Aber es ist mir nach mehreren Versuchen doch gelungen, das Hautstückchen mit meinem löchrigen Gebiss abzubeißen und zu verschlucken (schaut nicht gut aus, dass mein Text vorm Weltgericht bestehen kann). Ich spüre eine Fliege auf meiner Schreibhand, die jedoch in Wirklichkeit auf meinem Notizbuch sitzt. Ist mein Notizbuch energetisch gesehen schon Teil von mir? Ach! Bin so müde. Ich schlafe im Sitzen ein.

6:55 a.m. Ich habe es ganz deutlich gehört! Eine Fliege hat „Papa“ zu mir gesagt! Sie hat den Sound ihrer Flügelbewegungen so moduliert, dass sie die zwei Silben Pa-Pa – ein wenig verschwommen zwar, aber deutlich herausgebracht hat. Ich weiß jetzt nicht, welche der drei Fliegen, die mich umkreisen, das war, aber das tut meiner Freude keinen Abbruch. „Papa!“ Ich kann nur spekulieren: sind die drei vom Herr der Fliegen zu mir übergelaufen? Und weil sie es so gewohnt sind, nennen sie mich als ihren neuen Herrn „Papa“? Oder ist das Geschehen noch viel komplexer und geheimnisvoller? Ich weiß ja nicht, was mein Traumkörper oder mein Energiekörper so auf ihren Reisen und mit den vielen möglichen Verwandlungen so treiben! „Papa!“ Ich seufze tief auf. Eine der Fliegen wird schon etwas frech und steigt mir in die Augen. Ach! Was soll’s! „Papa!“

(3.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com