Freitag, 25. August 2023

3365 Schwimmen ohne Kinder ist fad

 



Im Gänsehäufel. Auf dem Weg hierher in der U-Bahn habe ich andächtiges Sitzen geübt. Dann ging es per Bus (da hatte ich auf die Andacht schon vergessen) durch diese unglaublich scheußlichen Stadtrandgegenden und hier, im Schatten, ist es gar nicht so unangenehm heiß (es ist knapp vor Mittag). Ich bin nicht nur wegen einem letzten Sommergefühl und einem kleinen Sonnenbrand (und damit wegen des unzutreffenden Gefühles, auf der Höhe des Lebens und der Abenteuerlust zu sein) da, sondern um meine Idee zu verwirklichen, die Nackten hier im Nudistenbereich realistisch, ungeschminkt, rücksichtslos und detailreich zu beschreiben. Aber jetzt, wo ich da bin, merke ich: es geht nicht. Nein, es geht nicht. Allein schon das dann notwendige und absichtsvolle Hinschauen geht nicht. Ich kann es nicht. Es ist nicht so lustig wie als Idee. Es ist überhaupt nicht lustig.

Die Sesseln, die hier zur allgemeinen Verwendung herumstehen, sind alle schon besetzt und mit Handtüchern reserviert. Darauf sitzen sehe ich im Moment niemanden. Auch in Österreich wird hemmungslos reserviert. Da haben Leute Liegen mit eingebauten Schattenspendern, verstellbar in x verschiedenen Positionen, und Sonnenschirme, Liegedecken, weiß der Teufel, was alles: und trotzdem muß ein Handtuch einsam über den Stuhl hängen. An dieser Selbstverständlichkeitsgier werden wir noch alle zu Grunde gehen.

Also nicht die Nackten beschreiben. Ich werde somit wieder die Pappeln und Weiden betrachten müssen, den Wind, wenn er denn käme, die Bläue des Himmels … Ah! Der leichte Wind ist schon da und ist sehr angenehm. Danke, Sir, dass Sie meinen Appell gehört haben. Und eine Kirchenglocke läutet 12 Uhr Mittag – fälschlich! Denn wegen der Sommerzeit ist es erst 11 Uhr und noch nicht der höchste Sonnenstand des Tages. An den zu erinnern und ihn zu würdigen ging es doch ursprünglich beim Mittagsläuten. Nicht: ah! Es ist zwölf, jetzt habe ich Mittagspause, muß mein Kind abholen oder was auch immer. Nein, sondern: der Höhepunkt des Tages, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang wie ein kleines Leben, ist erreicht. Von nun an geht’s bergab und ich habe mich Richtung Lebensende zu orientieren. (Sommerzeit als Versuch, sich einen längeren Lebensabend herauszuschummeln?) Übrigens: die genaue und detailreiche Beschreibung der Nackten wäre überaus anstrengend. Viel zu anstrengend! Das würde mein schriftstellerisches Können, meine Kompetenz und meinen literarischen Eifer maßlos überfordern. Nein Danke!

Ich habe meine Sitzrichtung geändert: vorhin schaute ich ins Landesinnere, jetzt Richtung Wasser. 98° Ost. Da bewegt sich mehr – zu Lande und im Wasser. Die eleganten, elegischen Stehpaddler zum Beispiel. Und am Lande führt direkt ein asphaltierter Weg vorbei, den viele, auch Ankommende benutzen. Jetzt zum Beispiel geht ein relativ junger Mann vorbei, reckt seinen runden, blanken, - im Gegensatz zu seinem restlichen braungebrannten Körper - weißen Hintern (wir sind im FKK) raus, und sein Pimperl – leicht stehend – hüpft im Gehen aufgeregt hin und her wie ein verrückt und manisch gewordenes Pendel. Das war halt g’rad auffällig. Ein weiterer Mann mit Kappe – nahtlos braun – stolziert ebenfalls mit stolz präsentiertem Rundarsch vorbei. Wie schaut das eigentlich bei mir kreuzlädiertem Menschen aus? Ich will es nicht wissen. Jetzt walkt ein massives Weib vorbei, während am anderen Ufer die Müllabfuhr lautstark und mit Gelblicht arbeitet. Manche flach auf ihren Decken Liegenden wirken recht hingeplatscht. Schwäne steigen auch herum. Die Aufbauten auf den Boote sind oft sehr grotesk – jetzt schwimmt gerade ein „Riesenkinderwagen“ vorbei, und das recht flott. Es gibt auch Boote mit komischer, möglicherweise sogar echter Palme an Bord, ein Boot mit zwei großen Fahnen – aus dieser Entfernung kann ich es nicht klar erkennen – vielleicht Rapid-Fiorentina? Die Farben passen; Boote, die wie abgesprengte Cockpits eines Kampfjets aussehen, die hier gelandet sind und im Wasser treiben (gut! Ich gebe zu: ich habe keine Ahnung, wie so ein Cockpit aussieht). Und es gibt auch Boote, die „normal“ aussehen (das wollen wir hier doch, ja? Ja? Ja?). Eine Frau, die in der Nachbarschaft liegt, räuspert sich ständig hart und rau. Ich lege mich seitlich flach und aus dieser seitlichen Perspektive fällt mir erst so richtig (sic!) auf, wie unglaublich hoch die Pappeln in den Himmel ragen. Dann drehe ich mich auf den Rücken, aber der Schmerz und die Verkrampfung – sie laufen ausgehend vom Kreuz über den Rücken, letztere sogar bin in den Kiefer – sind so stark, dass ich den Versuch, am Rücken zu liegen und die Pappel entlang hoch in den Himmel zu gaffen, abbreche, mich mühsam aufrichte und beschließe, im Nudistenbeisl Ćevapčići zu essen.

Genau genommen haben die Ćevapčići – zur Zeit des echten Sonnenhöchststandes eingenommen - grauslich geschmecket, aber das war zu erwarten. Ich wollte ein jugoslawisches Meerurlaubsgefühl hervorrufen. Manche, auch alte Menschen bewegen sich toll.

Jetzt bin ich schon gut zwei Stunden hier und mir ist fad. Schwimmen ohne Kinder ist langweilig.

Die Sonne brennt her. Die Krähen baden. Die Kinder schreien ihr Sommergeschrei (Wasser und Kasperl). Man kann auch so sagen: ich bin mit der Inquisition aufgewachsen. Der Satz passt zwar nicht her, aber er ist in meinem Bewußtsein aufgestiegen, und das wird auch in diesen Zusammenhängen einen Grund haben.

Und nun: Eiskaffee im Nudistenbeisl. Da kein schattiger Randplatz - einen solchen bevorzuge ich immer – frei war, sitze ich gangseitig bei der Schlange, die sich – Selbstbedienung – anstellt. Momentan 18 Leute, Tendenz zunehmend. Verlegen sitze ich da. Viel zu nah! Da ist mir das Beobachten und Schreiben peinlich. Das Tablett habe ich in meiner Nervösität völlig angepatzt und den Eiskaffee mehr verschlungen als genossen; was nicht heißt, dass er mir nicht geschmeckt hat. „Es dauert viel zu lang“, sagt ein Kind. 19 Leute, oder 20 in der Warteschlange (manche können sich einfach nicht eineindeutig anstellen!) (Sei kein Richter! - der innere Inquisitor). Dafür wandert jetzt ein Lichtpunkt durch mein Gesichtsfeld (das ich doch redlich und brav bestelle, oder?). Langsam kann ich mich auf diesem Platz entspannen (Suchtmittel Kaffee?). Zu spät für den eisgefüllten Magen. Egal, der hält das aus. 19 Leute in der Schlange. Ich richte mich im Sitzen etwas auf und schaue – gut in meinem Handtuch eingewickelt – frech herum. 22 Leute in der Schlange. Ich habe die Warterei hinter mir; da war die Schlange nur halb so lang und mit einem Spontan-Begleit-Schmähführer mittendrin (manchmal mag ich den Wina Šme). Die Stimmung rutscht Richtung Abend. Schwaden von Zigarettenrauch. 19 Leute in der Schlange, die trotzdem länger erscheint als vorhin. Schein und Sein. Ich huste rauch. 21 Leute in der Schlange. Manche in der Schlange meditieren regelrecht und blicken still und stumm und sinnierend zu Boden. Eine Oma erklärt ihrem Enkel, wie eine Warteschlange funktioniert. 17 Leute in der Schlange. 16 Leute in der Schlange (ich zähle auch Kinder voll. Gerade ihnen fällt das Warten schwer). 16 Leute. 15 Leute. Einige in der Schlange beschäftigen sich mit ihrem Smartphone, eine liest sogar ein Buch. Der Enkel weint, er hält die Warterei nicht mehr aus.

Es gibt auch Vikingerboote auf der alten Donau. Der Schatten des Baumes, an den gelehnt ich sitze wie der „Viator“ von Josef Fink, das wohl ein Lebensbild aus meiner Kindheit ist, der Schatten also wächst sozusagen aus meiner Leibesmitte, wenn er nicht gerade die energetische Verlängerung meines bei moderat gespreizten Beinen herabhängenden Schwanzes spielt, und reicht weit bis in die Donau. So gesehen gehen mir einige Passanten auf dem asphaltierten Weg auf respective über den Zeiger. Die alte Frau läuft so rasch, resch und aufrecht dahin; sie hat sicher keine Kreuzschmerzen. Die Hitze ist erträglich hier: zweitens kommt jetzt Häuptling Abendwind und erstens bin ich lange Zeit bis zum Hals im Wasser gestanden. Es ist eindeutig mein sommerlicher Abschied. Es geht auf sechs Uhr zu. Es ist Abend geworden. Viele Leute verlassen die Badestätte. Die Stimmung gefällt mir nun sehr gut. Ich scheue es, schon in Bus und U-Bahn zu steigen. Der Wind vibriert die Pappeln und blättert in meinem Notizbuch arglos herum. Gut, wenn er mir den Text verbessern kann … Ich hebe und senke meine Zehen um den Genuß des schönen Abends zu erhöhen. Ich bin aufgestanden, weil mir vom Sitzen der Hintern weh getan hat. Die eingeklappten Sonnenschirme im Nudistenbeisl sehen aus wie 16 riesige Morcheln. Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneieiget. Die Zeit des Übergangs, für alle, besonders Süchtige und Verrückte (nicht abwertend! Bei manchen ist eben der Montagepunkt verschoben) schwierig. Der Abendwind hüllt einen so angenehm und lau ein. Oder ist das eine Frau? Eine Zauberin? Kommen tut sie aus dem Süden. Nackt im Wind. Das Licht wird immer gelber und ruft Erinnerungen an eine andere Wirklichkeit auf. Erinnerungen aus Jahrtausenden, vermute ich. Die allgemeine Abendstimmung und die vielen Abwandernden üben einen gewaltigen Sog auf mich aus. Noch halte ich stand. Ein Mann zupft sein Pimperl zurecht (alles ganz normal. Diese Schamhaare!). Die Sonne tut so, als wäre sie schon untergegangen, dabei hängt sie noch in den hohen Pappeln des Westens herum und spielt mit ihren grau-weißen Wolkenschleiern.

Wie ich da so nackt auf dem Stuhl sitze (es sind einige frei geworden), vom Wind umspült, in Abstand zu den Menschen hier, komme ich mir wie ein unbekannter König vor. Ein König ohne Land vielleicht; das Land erkennt ihn nicht; und umgekehrt: auch der König vergißt, dass er ein König ist. Macht nichts. König bleibt König. Ich lasse mir diesen Abend nicht verderben. Das andere Ufer leuchtet vergeblich im späten, warmen, gelben Sonnenlicht, bald werden es die Schatten erreicht haben. Die Krähen suchen schon ihre Schlafbäume auf. Viele Boote am Wasser glitzern jetzt in der schrägen Sonne. Ich habe den Kräutertee, den ich mitgebracht habe, umgegossen und den verbleibenden Rest ausgetrunken. Ihr seht, ich arbeite schon am Aufbruch, obwohl ich dem Sog noch standhalten will. Es gibt hier viele Leute, die wegen des näher kommenden Badeschlusses überhaupt nicht nervös sind; ich gehöre nicht dazu. Die Angst, bestraft oder übersehen und hier absichtlich oder unabsichtlich eingesperrt zu werden, sitzt sehr tief. Die Krähen beginnen ihr Abendpalaver (bei weitem noch nicht alle sind eingetroffen). Sie haben etwas zu sagen und ich will ihren möglichen Protest gegen die Anwesenheit von Menschen in ihrem Schlafareal nicht von vornherein überhören, sondern grundsätzlich ernst nehmen, auch wenn ich heute darauf nicht eingehe. Fast halte ich es nicht mehr aus, obwohl noch 35 Minuten bis zum Aufruf, die Badeanstalt zu verlassen, bleiben. Jetzt, wo sich viele Frauen anziehen, merke ich erst, wie schön sie sind. Die Boote fahren schon mit Positionslichtern. Am schönsten gleiten die Stehpaddler dahin. Die Pappeln sind so unglaublich hoch, ganz oben an ihren Kronen haben sie noch Licht. Ich lege die Liegedecke zusammen und will es ganz sorgfältig und korrekt machen, aber das gelingt nicht; in meiner Nervösität fällt mir der richtige Faltvorgang nicht ein und ich kann die Decke nicht zusammenzippen. Ach was! Ich geh jetzt! Nein! Noch nicht! Genießen kann ich das nicht mehr. Gut, dann gehe ich doch.

(24.5.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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