Donnerstag, 29. Februar 2024

3579 Ein wenig schwindlich

 



Wieder in der orange-gelben Welt wird mir gleich ein wenig schwindlich. Jetzt nach dem Training erst recht. Ich sitze um die Ecke, direkt vor dem Herrenklo und warte auf das Ausdauertraining. Ich habe unaufgefordert das offene Gangfenster geschlossen, denn kalte Zugluft auf mein verschwitztes Kreuz: nein! In der Ausdauerkammer haben sie es lustig; ich höre ihr Gekicher und Gelächter. Dieses Klo-Mann-Zeichen direkt vor mir irritiert mich; das geht mir alles zu nah (jetzt übertreibt er wieder und will auf sensibel machen – der innere Kritiker) (halt die Goschen! – das innere Kind). Um den Feuerlöscher in der Ecke befindet sich ein Sonnenlichtfleck. Ich habe den Verdacht, in der Ausdauerkammer kichern die über mich und meinen Knoblauchkonsum, obwohl ich noch gar nicht drinnen war, und mir fällt schon eine weit her geholte Kausalitätskette ein (weit her geholte Kausalketten – das kann er - der innere Kritiker). Die Wand ist einfach zu knapp vor mir, ich bekomme leichte Platzangst (er hat überhaupt keinen Grund, sich zu beklagen – der innere Seher). Durch die Tür der Ausdauerkammer dringt jetzt auch hysterisches Radiogeschwätz; das wird ein besonders hartes Ausdauertraining werden. Meine Nervösität steigt schon. Mit meinem überschlagenem rechten Bein sperre ich fast den Gang ab, aber werde diese wenigstens ein wenig Schutz und Entspannung versprechende Körperhaltung nicht aufgeben; ich werde nicht starr dasitzen. Nur wenn wer vorbei will, reagiere ich ausweichend. Jetzt reicht mir die Warterei! Dieses ständige Weibergetratsche und Gekicher aus der Ausdauerkammer! Haben die nichts zu tun? Ich versuche, mich nicht aufzuregen.


(29.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 28. Februar 2024

3578 Ich wundere mich

 



9:44 a.m. Ich hocke nach dem Aufwachen schon länger im Bett und habe gelesen. Meine Stimmung ist großartig: feierlich und hingebungsvoll betrachte ich mein Zimmer, zumindest bilde ich mir das ein. Wie viel so eine Stimmung wert ist, merkt man erst, wenn sie gestört wird; und da scheint jetzt die Gefahr nicht allzu groß zu sein. Ich betrachte mit Freuden meine Bilder an der Wand überm Bücherregal – das befindet sich einfach an der gegenüber liegenden Wand – während durch mein rechts Bein ein interessantes Kribbeln läuft. Diese Bilder habe ich schon so oft angeschaut und in unzähligen Varianten beschrieben, dass sie mein Blick schon ausgelaugt haben müßte, aber ich finde sie immer noch auf ihre Art erfrischend. Das muß jetzt nichts über die Qualität der Bilder aussagen, denn man kann ja auch den Anblick eines Farbfleckens an einer Wand oder eines Sprungs in einer Mauer erfrischend finden. Naja, und im Falle der Bilder wie auch des vollgestopften Bücherregals wird auch Besitzerstolz eine Rolle spielen. Ich seufze tief. Mehrmals. Dann schlafe ich vor lauter inneren Frieden fast wieder ein. Ich nehme das Rettenschoess-Bild ins Visier und erfreue mich an der farblichen … Unordnung – nennen wir es so. Die „Unordnung“, die sich naturwüchsig gibt. Ich lasse ein paar Erinnerungen, ein paar Gedanken zu, die mich sehr in Frage stellen; oder besser gesagt: mein Selbstbild. Aber das haut mich nicht um. Nun bleibt mein umherschweifender Blick am Mali-Lošinj-Bild an einer Stelle in der Hafenpromenade hängen, wo die schlampig hingeworfenen Pinselstriche eine besonders chaotische Situation geschaffen haben, die mir gerade wie ein sich aus dem Asphalt lösender Fisch erscheint, der sich aufrichtet und sein Maul weit aufreißt. Ob nach Luft schnappend oder im Versuch nach Beute zu greifen, weiß ich nicht. Jetzt, wo ich nach der Niederschrift wieder auf das Bild schaue, kann ich diese soeben gesehene Gestalt nicht mehr finden; nur mehr so ungefähr rekonstruieren, aber ohne die Deutlichkeit, Klarheit und Stringenz von vorhin. Wo ich mich nun wundere, wie ich in dem hingepinselten Chaos so eine präzise Gestalt sehen konnte.


(28.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 26. Februar 2024

3577 Frühstück im Hotel

 



Ich mag das Frühstück im Hotel (nur so, ohne Reise und eingeladen), jetzt, wo ich so dasitze und schon gegessen habe. Beim Hergehen vorher war ich – unglaublich! - voller Nervösität und Angst, unglaublich, nur wegen ein bißchen Routine unterbrechen. Schön langsam aber reicht es mir doch; ich will dann aufbrechen und nach Hause gehen. Ich blicke herum, Eindrücke über Eindrücke, die sich träge in meinem Bewußtsein stapeln und dann irgendwohin absinken. Ich weiß wieder genau: ich bin gar nichts. Das macht aber nichts; ich bin froh, kaum wo involviert zu sein; für alles andere ist es zu spät. Ich akzeptiere das. Ich nehme mein rechtes überschlagenes Bein vom linken und schlage das linke über das rechte. Meine Nase beginnt aus unerklärlichen Gründen zu rinnen. Viele junge, stolze Eltern sind hier. Ich sage jetzt meiner Frau, dass ich nach Hause gehen will, aus dem Hotel hinaus und dann auch ein Stück des Weges zu Fuß. Die Vereinbarung, noch eine Ausstellung zu besuchen, hatte ich bereits vergessen.


(25.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 23. Februar 2024

3576 Der als Kanal denunzierte Donauarm

 



11:30 a.m. Ich blicke hinaus auf die Donau, obwohl ich auf diesen als Kanal denunzierten Donauarm von hier aus nicht hinuntersehen kann, aber Richtung und Nähe stimmen. Der Wind bewegt den überhängenden Teil der Markise und so entsteht ein Eindruck von Bewegung und Fließen. Und der, dass das Universum mich freundlich grüßt und winkt. Gut, das Wasser der Donau fließt nach links Richtung Meer, in das diese sich aufgeben muß, und meine Lebenszeit ebenso Richtung Mündung. In einem Uferbaum treffen sich ein paar junge Krähen, schauen herum und hüpfen im Geäst. Ich habe es schon öfters gesagt: die Graphik kahler Äste gegen den Himmel ist so spannend und wunderschön. Viele Passanten gehen vorbei und einige wirken mit ihren gesenkten Köpfen in ihre Sorgen versunken. Vor allem an diesem einen kahlen Baum bei der Brücke und seiner berückenden Schönheit kann ich mich nicht satt sehen. Jetzt steht ein Mann mit fester, männlicher Selbstverständlichkeit vor der Glasfront und wiegt besonnen ein wenig seine Hüften, um Wirbelsäule und Kreuz zu entspannen. Hier herinnen zischen, röhren, surren und winseln die Kaffeemaschine, das Backrohr und wahrscheinlich noch andere Geräte. Einige der jungen Krähen stolzieren jetzt im Wiesenstreifen und auf den Gehwegen und suchen Futter. Dabei genieren sie sich nicht und – wie schon gesagt – verlieren nicht ihren Stolz. Auch eine Möwe segelt im besonders aerodynamischen Flug ihrer Art vorbei. Das Geschäft füllt sich; es ist heiß hier und es duftet nach frischem Brot und anderen Backwaren.

Später. Ja, hier ist gar nicht so schlecht arbeiten: es ist mir gelungen, einige Texte zu überarbeiten und zu korrigieren, und ich fasse diese Lokalität als gelegentlichen Arbeitsplatz ins Auge. Ich blicke wieder aus dem Fenster und beobachte den Autoverkehr am gegenüber liegenden Ufer, denn am hiesigen flitzen die Autos zu schnell vorbei (fliehen – Intensivform: flitzen; wovor fliehen die?). Ich achte wieder auf die Passanten, die an der Glasfront vorbeigehen und denke mir: ich sollte nicht so streng sein und nicht so hart urteilen (das tue ich nämlich, auch wenn ich es nicht herschreibe).


(23.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3575 Zurücknehmen

 



8:22 a.m. Ich liebe diese Stille in der Wohnung: nur die Küchenuhr tickt und vorhin hat noch ein Wasserhahn getropft. Ich sitze im Wohnzimmer und warte auf den Installateur. Den Blick von dieser Bank aus auf die Holzstiege und durch die Küche ins Badezimmer liebe ich. Liebevoll betrachte ich die Räume, die nackten Wände, die braunen, abgebeizten alten Türrahmen aus Holz … und natürlich auch die Schatten. Ein Schauder läuft mir über den Rücken, dann drehe ich mich nach links nach meinem Tod um, sehe aber bloß den Schatten meines Kopfes an der weißen Wand hinter mir. Ich habe die Räumlichkeit hier noch nie so intensiv erlebt, als wären neue Gehirnschaltungen aktiviert; fast wie in einem Traum. Eigenartig: ich bekomme jetzt Sehnsucht danach, in diesen Räumen zu leben, obwohl ich hier seit 25 Jahren wohne und jetzt mitten drin sitze. Ah! Vielleicht richtet sich die Sehnsucht auf das Leben, nicht auf die Räume! Darauf also, dass ich die Räume mit Leben und psychophysischer Anwesenheit fülle. Oder ist das alles zu weit hergeholt? Ich lasse wieder meinen Blick wandern und versuche, meinen inneren Monolog wenn schon nicht abzustellen, dann wenigstens zu beruhigen, herunterzufahren, zurückzunehmen.


(23.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3574 Probesitzen

 



14:07. Probesitzen im Katscheli; am „richtigen“ Platz. Ja. Ja, ja, fühlt sich nicht schlecht an. Die Kaffeemaschine zischt zustimmend. Ein Regentag, das verspricht die schönste gepflegte Melancholie. Irrtümlich habe ich statt einen Cappuccino wie früher eine Melange bestellt, dafür jedoch koffeinfrei. Ich habe Texte mitgebracht, die ich hier bei meiner Lesung vorzutragen erwäge, um sie direkt am Ort des zukünftigen Geschehens (hoffentlich!) zu überarbeiten, aber ich traue mich noch nicht so recht, die Mappe aufzuschlagen und die Zettel herauszuholen. Aber bald! Bald werde ich mit der Arbeit beginnen. Ein bißchen warte ich noch, bis sich die diversen Energien aneinander gewöhnt haben: die, die da sind, und die, die ich mitgebracht habe. Okay!

Ja, ich bin mit der Überarbeitung gut vorangekommen. Außerdem spielen sie hier jetzt Chicha – Musik, die ich mag. Schaut alles in allem gut aus für meine Lesung; hoffentlich werden die Götter nicht neidisch!


(22.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 22. Februar 2024

3573 Zuversichtliches Gesicht

 



9:31 a.m. Die Staubflanken tanzen im Lichtkegel der Leselampe, die Klimaanlage im Lichtschacht röhrt, meine Ohren surren und meine Augen suchen vom Bett aus im Zimmer Inspiration – ein ganz normaler Morgen. Und meine Seele sucht ein welttaugliches Gleichgewicht. Die Angst – heute nicht sehr stark – sitzt mir nicht im Nacken, sondern wie immer mitten im Leib. Im Geist versuche ich nun, meinen Tag vorzubereiten und die Rückenübungen, Frühstücken, Leseübungen, Tensegrity, Abholen der Visitenkarten, Walken, Texte sortieren, überarbeiten und andere Schreibarbeit in eine praktikable Reihenfolge zu bringen. Womit fange ich heute an? Und am Abend spielt noch Sturm Graz!

Mein Bücherregal bewegt sich noch, also will ich es sanft angehen. Und jetzt: im Lachen, Quietschen, Reden der Tageskinder, das nun von unten zu mir herauf dringt, zeigt mir die Welt ihr freundliches, zuversichtliches Gesicht: ich werde gleich aufstehen.


(22.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3572 Moderat aufgewühltes Meer

 



0:37 a.m. Mein Bewußtsein schwankt in meinem Inneren wie ein moderat aufgewühltes Meer. In meinem linken Ohr geht die schrille Post ab. Ich höre mindestens drei Leute gleichzeitig laut vorlesen (da war ich schon ein wenig hinüber geraten). Irgendjemand Unsichtbarer schreit jetzt in mein linkes Ohr; einen Laut so ähnlich wie „joi!“ oder „hoi!“. Jedenfalls sehr laut, dass ich davon aufschrecke und die Augen aufreiße. Ich sollte mich einfach schlafen legen. Der weiße Vorhang – wo hängt der eigentlich? - geht von unsichtbarer Hand gezogen zu. Nein! Jetzt nur mehr schlafen!


(22.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 21. Februar 2024

3571 Abprallen

 



8:15 a.m. Der Vesuvstein im Bücherregal schaut im Halbdunkel aus wie ein – wörtlich! - schwarzes Loch, wie ein Nichts in der Bücherwand mit einem einzigen, winzigen Glitzern an einer Stelle an seinem Rand. Das Glitzern ist allerdings sehr schön und wird schöner, wenn ich länger hinschaue. Dann allerdings fangen meine Augen unwillkürlich zu schielen an und das Funkeln wird verschoben und verzerrt und verschwindet fast. Ich weiß nicht, warum ich in letzter Zeit wieder mit so viel Angst im Bauch aufwache; aber diesbezüglich spielt es sich in letzter Zeit heftig ab. Das graue, bedeckte Morgenlicht strahlt mir über die Hauswand durchs Fenster trotzdem Zuversicht in meine Kemenate herein. Ich will diese Zuversicht mit meinen Augen aufsaugen, aber je länger ich auf diese Hauswand draußen im Lichtschacht starre, desto fragwürdiger wird diese Zuversicht und mein Blick beginnt an dieser Mauer abzuprallen. Ich merke, dass ich nicht die Wand, sondern das Licht, das sie abstrahlt, anschauen muß; ein wenig kann ich also an der Einstellung der Augen arbeiten.


(21.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3570 Das Licht streut

 



0:22 a.m. Ich gähne aus meiner kleinen Lichtoase in die Nacht hinaus, die mich umgibt und sehne mich nach den erhabenen Seiten der Existenz. Allerdings nicht allzu sehr, denn ich bin müde und die Sehnsucht ist nur ein unkonzentriertes, schwächelndes Gefühl, das mir nichts herbeiholen kann. Das Licht der Leselampe streut an meinen Wimpern oder Augenbrauen, so genau weiß ich das nicht. Mir kommt in dieser Stille die Erkenntnis, dass ich kein alter Mann sein kann, denn ich habe noch fast alle Träume, Hoffnungen und Illusionen. Hoffentlich wissen das auch mein Körper und die Nornen, beziehungsweise die Moiren, die Parzen, die Zorya, die, die den Lebensfaden durchschneiden!


(21.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 20. Februar 2024

3569 Ich schaue lange hin

 



7:12 a.m. Umherirren auf Bahnhöfen, ohne recht zu wissen, wo ich hin soll, wann Züge gehen, wo die richtigen Züge sind und wo die richtigen Bahnsteige, irgendwo habe ich noch Gepäck, das ich nicht mehr finde oder an das ich mich kaum erinnere; muß ich nicht nach Hause um etwas zu holen? Wo ist mein Zuhause? Bin ich hier in der richtigen Stadt oder in einer fremden? Jedenfalls schaut sie fremd aus. Zu meinen Eltern soll meine Reise gehen? Wieso? Stimmt das überhaupt? Wo sind meine Kinder? Sind sie noch klein oder schon erwachsen? Wo ist meine Frau? Bin ich überhaupt verheiratet? Was macht Universitätsprofessor Sauer im Zug am Bahnsteig gegenüber? Ich winke ihm und er winkt unschlüssig, verhalten und halbherzig zurück. Hat er mich überhaupt erkannt? Sein Zug fährt in die andere Richtung, vermutlich in den Süden nach Italien („gen Italien“ schreib ich jetzt nicht hin – zum inneren Spötter). Muß ich nicht doch noch ein Stück zu Fuß wandern, irgendwo in die westlichen Berge? Wieso? Und wohin eigentlich? Und dann immer mit dieser irren Angst aufwachen aus solchen Träumen, wie ich diese schon in hunderten Varianten geträumt habe. Die Orientierungslosigkeit mit ihrer Angst in diesen ständig wiederkehrenden Träumen kenne ich so gut, mit kommt vor: aus meinem wirklichen Leben. So habe ich die Welt oft erlebt: fremd, unverständlich, abgewandt und ich finde mich darin nicht zurecht. Ich zittere noch am ganzen Körper. Der halb verdeckte Baum, eine Zeichnung meiner älteren Tochter, die sie mir geschenkt hat, leuchtet hinter den anderen Blättern und Karten auf der Pinnwand am Fußende meines Bettes hervor und tröstet. Die Blätter so hell, so zart, so leuchtend; der Stamm so mächtig, fest und stark. Lange schaue ich hin.


(20.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3568 Siebenersystem

 



22:55. In letzter Zeit kommt mir vor, dass meine innere Form, die ich mir durchaus formlos und liquid vorstelle, die aber meine äußere Form von innen ausfüllt, von Zeit zu Zeit einfach absackt. Also sie schrumpelt zusammen, löst sich innen von der äußeren Form, vor allem im Kopfbereich. Der Kopf fühlt sich dann leer und dumpf und unterversorgt an, benebelt vielleicht auch, und es entsteht der Eindruck, als würde mein Bewußtsein trübe werden und gleich in sich zusammenfallen. Das tritt aber erst seit dem physiotherapeutischen Rückentraining auf. Noch mache ich mir nicht allzu große Sorgen; es sind dies ja nur kurze Momente (abgesehen davon, dass ich eine große Scheu habe, wegen solcher Kleinigkeiten einen Arzt zu konsultieren). Meinen Siebziger will ich aber schon noch erreichen – so viel vom numerischen Zehnersystem habe ich durchaus intus – obwohl man das auch über das hier vermutlich relevantere Siebenersystem hinrechnen könnte.


(19./20.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 16. Februar 2024

3567 Eine ziegenbockartige Teufelsfratze

 



9:32 a.m. Und wieder die Angst am Morgen. Schon im Schlaf hat sie mich angefallen und im Aufwachen im verdunkelten Zimmer gequält. Mit einem festen Knoten im Bauch habe ich mich im Bett hin- und hergedreht, einmal das linke, dann das rechte Bein angezogen, aber der Angstknäuel wollte sich nicht auflösen. Ein – zugegeben – verlangsamtes Zittern läuft durch den inzwischen aufgesetzten Körper. Ich habe die Rollo (für Puristen und Sprachlehrer: das Rouleau) bereits hochgezogen und beruhige mich allmählich (wozu auch solche Anmerkungen wie oben in Klammern sehr dienlich sind, weil sie mich aus der Fixierung und Unmittelbarkeit herausholen, und die Lust an Schreiben und Formulieren die Oberhand gewinnt). Noch zittert es in meinem Innersten, so in etwa in einem Schlauch vom Mund bis zu seinem Widerpart mit Schwerpunkt in der Leibesmitte (der Tod sitzt im Gedärm – heißt es). Ein kleines, von mir gemaltes Bild, das schon jahrelang in einem Wechselrahmen im Bücherregal lehnt und dabei drei Bände Anna Katharina Emmerich und zwei Kräuterbücher verdeckt und in abstrahierender Schlampigkeitsmalweise ein sich umschlingendes Paar zeigt und das ich aber noch nie vom Bett aus länger betrachtet habe, zeigt für einen Moment eine ziegenbockartige Teufelsfratze. Und dieser Kippeffekt läßt sich wiederholen und bewirkt, dass dann auf meiner Notizbuchseite hellere, weiße Flecken herumzutanzen beginnen. Ganz links oben in der linken Ecke der Oberlichte des Zimmerfensters kann ich den ersten Sonnenlichtflecken auf der rechten Hauswand im Lichtschacht sehen und ich denke, es wäre Zeit aufzustehen und in den Augarten walken zu gehen. In meine Gehirn hängt noch eine gewisse nebelartige, aber schwere Dumpfheit.


(16.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3566 Lesung?

 



14:50. Ich vermute, was ich höre ist georgisch, aber sicher weiß ich es nicht (Falsch! Es war Armenisch. Der spätere Korrektor). Meine Ohren – einerseits zu Schwerhörigkeit neigend – sind andererseits empfindlich gegen lautes Reden und Geräusche. Das ist hier im Café – das will ich klarstellen – ganz normal und berechtigt und ich nehme eine solche Geräuschkulisse gerne als Schreibhintergrund, aber die eine hervorstechende, laute Stimme des einen da übt einen ständigen, physisch spürbaren Druck vor allem auf mein linkes Ohr aus. Ah! Ich zupfe das Strichcodepickerl vom Pilotstift, und weil jenes durch den jahrelangen Gebrauch schon ziemlich vernudelt ist, ist das mühsam und das Pickerl geht nur in einzelnen Kleinteilen herunter. Ich lenke meinen Blick wieder ins Notizbuch - kurz war ich von einer Eintretenden und ihrem … ach! Lassen wir das lieber – abgelenkt. Mein Pilotstift fängt gerade jetzt zu schwächeln an, obwohl er genug Saft hat; womöglich wollte er sein Pickerl behalten. Soll ich hier eine Lesung abhalten? Es wäre möglich. Ich überlege und schwanke. Zu viel Aufwand für einen müden alten Mann? Ich bin ja schon beim Gedanken daran viel zu aufgeregt. Würde ich genug Leute zusammenbringen? Früher hätte ich das – zu recht! - nicht bezweifelt, aber heute? Nach so langer Zeit im Abseits? Stehen das meine letzen Nerven noch durch? Das aufwendige Textzusammensuchen! („zusammensuchen“ ist das richtige Wort, denn ich weiß ja, wo die Texte sind, aber nicht welche ich zusammenstellen kann. Ich lasse mir von keinem Lektor oder Stilisten das „zusammen“ vom „suchen“ wegstreichen!) Langsam beginnt sich meine Seele mit dem Gedanken an eine öffentliche Lesung anzufreunden; ja, sie beginnt, euphorisch zu werden. Vielleicht ist das auch nicht so gut. Vielleicht kann ich die Euphorie jedoch als Brandbeschleuniger einsetzen, damit ich doch einen Termin ausmache und nicht mehr so leicht zurück kann. Wir nehmen Samstag, den 9.3.2024, 16 Uhr ins Auge.


(15.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 15. Februar 2024

3565 Überhaupt aufstehen

 



8:12 a.m. Ich schreibe ohne Leselampe. Es ist finster im Zimmer, die Rollo ist herunten, nur an der rechten Seite streut etwas Licht herein und bildet beim Fenster eine Säule. Mein Notizbuch beleuchte ich mit dem Handy. Aus meinen Augen fließen Tränen, aber das muß mit der Morgenzeit zu tun haben, nicht mit meinem seelischen Zustand – der ist noch viel zu benommen von Schlaf und Traum um trauern zu können. Nur schemenhaft kann ich die Gegenstände im Raum erkennen, aber das Kabel der Hängelampe am Plafond wirft zwei Schatten (die linke Lichtsäule am Fenster kann ich aus meiner Perspektive hinter der Mauerkante der Fensternische nicht sehen). Ich habe mir viel Inspiration vom Gaffen im Dunkeln erwartet, aber anscheinend klappt das nicht. Das fremdartige Licht vom Handy, ohne dem ich nicht schreiben könnte, macht mich nervös. Soll ich die Rollo hochziehen oder einfach die Leselampe neben dem Bett aufdrehen? Ich entscheide mich für Letzteres. Ich warte noch etwas ab, dann entscheide ich mich, überhaupt aufzustehen.


(15.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3564 Nur so

 



1:40 a.m. Ich bin in gehobener Stimmung. Das bin ich immer, wenn ich Carlos Castaneda gelesen habe („Erhebet die Herzen!“ - aus der katholischen Liturgie). Irgendwas rückt da in meiner Seele zurecht. Ich will diese Stimmung ein wenig halten. Zumindest nicht verscheuchen. Ich meine, diese Stimmung wird vermutlich nicht recht tief gehen, denn sie ist nicht stabil und nicht nachhaltig und ich habe so mein Leben nicht geändert. Trotzdem will ich sie ein wenig halten. In dieser Stimmung hasse ich niemanden, auch mich selbst nicht. Ich empfinde etwas wie Ehrfurcht allem gegenüber und vermeine, mein Schicksal akzeptieren zu können. Wie gesagt, ich sollte nicht allzuviel auf diese flüchtige Stimmung geben, aber dieser Zustand des Seelenfriedens tut mir gut. Nicht, weil ich mir einbilde, alles wäre gut – nein, auch meine Sehnsucht bleibt riesengroß, aber ich hasse und verachte mich nicht, auch wenn ich gescheitert bin, mein Leben in Ordnung zu bringen. Ich fühle mich nicht verurteilt. Friedlich (aber freilich auch von außen unbehelligt) blicke ich in meinem Zimmer herum, nur so, ohne Zweck und Absicht.


(15.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 14. Februar 2024

3563 Die Schneise im Wald

 



9:15 a.m. Es gibt ein elektrisches Surren im Zimmer, das neu ist und von dem ich nicht weiß, von welchem Gerät es kommen könnte; es sind alle ausgeschaltet. Mein Ohrengesumm ist höher und schärfer. Und dieses beginnt sich über alles auszudehnen und jenes mehr und mehr zu übertönen. Nun kommt noch das dumpfe Geheule der Klimaanlage im Lichtschacht dazu, verklingt wieder und taucht phasenweise neuerlich auf. Der Klangteppich, der mich einhüllt, ist so stark und dominant und übt einen gewissen Druck auf meinen Leib aus, dass mir für einen Moment ein wenig bange wird (wenn man sich solchem Sirenengesang unkontrolliert hingibt, kann er einen entführen und es einem die Seele vertragen, dass sie nicht mehr zurück findet – der innere Korrektor). Ich lasse aber nicht zu, dass diese Bangigkeit, noch dieser Sog überhand nehmen. Dann schiebe ich meine Leselampe etwas zur Seite, damit ich auf meine Bilder oben an der Wand gegenüber schauen kann, um meine auf diese Welt gerichteten Augen stärker ins Spiel zu bringen. Mali Lošinj und Rettenschoess kommen mir heute ganz herrlich vor, gelungene Bilder, die zwei so unterschiedliche Landschaften darstellen, jede auf ihre Art beeindruckend und von erstaunlicher Bewegtheit, Wildheit und Dynamik (ich glaube, mein Blick geht jedenfalls zuerst immer und meistens überhaupt nach links). Mit voller Absicht blicke ich nun auf das Photo der Riesneralm und mein Veli-Lošinj-Bild, die rechts von den anderen zwei hängen: sie sind ruhiger, stiller, nicht wild, ihre unauffällige Dynamik kommt im Photo von der Wintersonne, die durch winterliche Nebeldecke zwischen den Bäume verhalten in die Schneise im Wald scheint, und in Veli Lošinj von der weißen, auf den ersten Blick ganz ruhigen, friedlichen Helligkeit, die die Stadt aus dem Hintergrund kommend aufzulösen scheint. („scheint“ – „scheint“ – ich liebe stilistische Stolpersteine, vor allem, wenn sie auf Ungereimtheiten in der Sprache aufmerksam machen.) Ich lasse meine Augen etwas absinken und sie landen wie so oft bei der frankophonen Schweizerin. Ich delektiere mich aus der Ferne an ihrer von mir projizierten Üppigkeit dort im Halbdunkel und außerhalb meines scharfsichtigen Bereichs. Ich lege meinen Blick ein Regal tiefer zur Karte vom wunderschönen Rückenakt von Manguin (Henri Manguin, Rückenakt unter Bäumen, Villa Dermière (Studie),1905), wo ich aus dieser Entfernung nur verschwommene Farbflecken sehen kann und mir den nackten weiblichen Körper als Form hineindenken muß. Bin ich damit alltagstauglich in der Alltagswelt angekommen? Ist mein Blick genügend auf die Alltagswelt fixiert? Vielleicht. Aber ich gebe mir noch etwas Zeit und werde noch ein wenig im Bett lesen.


(14.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3562 πάντα ῥεῖ

 



1:02 a.m. Müde bin ich und gähnend reiße ich das Maul auf. Immer wieder. Meine Augen machen schon ihre Tricks, wie Gegenstände im dunkleren Teil des Zimmers falsch zusammensetzen und Bewegungen im Bücherregal vorzutäuschen (vielleicht ist es umgekehrt: die übliche Bewegungslosigkeit im Bücherregal ist nur vorgetäuscht: πάντα ῥεῖ). Man könnte sagen, dass das heute ein verplemperter Tag war, aber ich erlaube mir jetzt solche bequeme Verurteilungen nicht, sie werden dem Ganzen nie gerecht. Schon wieder fängt ein über stehenden Büchern quer gelegter kleiner Bücherstapel zu ruckeln und zu zuckeln an. Vorhin sind auch heftige Zacken blinkend durch mein Gesichtsfeld gelaufen. Seelische Erschöpfung will sich hinter meinen Augen sammeln. Aber auch das lasse ich nicht zu. Meine Seele ist stark und kann das aushalten. Ich schaue auf mein relativ neues Kritzelbild. Es gefällt mir immer mehr. Mit dem Fingernagel meines rechten Zeigefingers kratze ich an meinen Zähnen herum, weil ich den Eindruck habe, ich hätte die Zähne schlampig geputzt; aber das habe ich nicht. Ich spreize die Zehen, als könnte mich das noch ein wenig wach halten. Ein an einem Regalbrett aufgehängtes Karteiblatt macht sich selbständig und schwebt ein paar Zentimeter näher (darauf steht: „ich bin bereits der Kraft anheimgegeben, die mein Schicksal regiert …usw.“). Es ist Zeit zu schlafen.


(14.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 13. Februar 2024

3561 Comeonbaby!

 



8:34 a.m. Ich suche Namen und Begriffe, aber mein Geist verweigert sich. Oder mein Gehirn. Doch: Alain, Alanen – warum ich die gesucht habe, habe ich schon wieder vergessen. Jetzt stehen sie also da, schwarz auf weiß, und ich weiß mit ihnen nichts anzufangen. Comeonbaby! Das Leben geht weiter! Ja, ja, mein Betthockerleben. Eine optische Täuschung im dunklen Zimmer: Oberkörper und Kleid der Jessica von Katz (2007) sind nun ein Vogel, der auf meinem Bücherregal sitzt. Also habe ich jetzt einen Vogel, aber doch bloß einen vorgetäuschten. Die frankophone Schweizerin gleich daneben hält mir aus der finsteren Ferne ihren weißen, abgewinkelten rechten Arm her (in Wirklichkeit über ihren Busen). Jetzt schaue ich auf das dritte Regal von oben und irgendwie ist meine Wahrnehmung - wie schon in den letzten Tagen – anders. Sie setzt Gegenstände irgendwie anders zusammen; es geht dabei nur um Nuancen. Ich muß mich genauer ausdrücken: bei dem jetzt meine ich nicht, dass mein wahrnehmendes Bewußtsein – wie beim Jessica-Vogel – die Sinneseindrücke zu einer anderen Gestalt zusammensetzt – das mit verschiedenen Pflanzensamen gefüllte Gurkenglas an oben im Regal zum Beispiel bleibt ein Glas – sondern dass der Vorgang der vertrauten Zusammensetzung der Gegenstände in diesem Fall zu einem irgendwie deutlicheren oder anders nuanciertem Glas führt, als wäre es mit einer zusätzlichen, durchsichtigen Schicht überzogen, die die erzeugte Gestalt einerseits festigt, aber auch fremder macht, wie von einer kosmischen Substanz umhüllt. Dieser Effekt stellt sich nur für ein paar Sekunden ein, wenn ich meinen Blick frisch auf den Gegenstand werfe, danach ebnet sich alles wieder ins Übliche ein. Mein Geist verläßt dieses Thema und landet mit seiner Aufmerksamkeit bei der minimalen, ganz leichten, fast unmerklichen Vibration um meinen Mund. „Aha!“ denkt er sich „irgendein oraler Komplex!“ Aber da verweilt er nicht lange und landet bei den Namen Bangladesch, Pakistan und – verdammt! Mein Gehirn weigert sich schon wieder! - bei George Harrison. Jetzt will ich die Namen aller vier Beatles aufzählen und mein Hirn braucht tatsächlich ein paar Sekunden, bis mir Paul McCartney einfällt. Nur der Lennon war gleich da. Beim Ringo gibt es auch Verzögerungen (Interessanterweise ist jetzt auch der Tony Sheridian da, wenngleich ich den Namen sicherheitshalber der Schreibweise wegen nachgeschaut habe – der Tipper). Für die heißeste Zeit der Beatles war ich damals noch etwas zu jung. Ich meine die frühen Sechzigerjahre, wo sie wirklich etwas aufgebrochen haben – das war damals noch nicht bis an mein Ohr gedrungen. Ich bin erst bei Yellow Submarine eingestiegen und habe die Lieder davor wehmütig nachgeholt – soweit sie im Radio gespielt wurden. Der nackte rechte Arm der frankophonen Schweizerin erscheint mir wieder so üppig und fett; aber das ist er überhaupt nicht, wie auch die Frau selbst viel schlanker ist, als sie mir aus der verdunkelten Entfernung scheint.


(13.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3560 Mein Bild hat mir gefallen

 



Es scheinen Tage der veränderten Blicke zu sein, denn wiederum schaue ich auf ein Bild, das schon jahrelang in meinem Zimmer hängt, und plötzlich wirkt es anders. Gut, es ist 16:50, das Licht geht schon in Richtung Dämmerung, die Zeit Richtung Abend, ich liege etwas anders im Bett, den Kopf weiter unten, sodass meine Perspektive verändert ist, aber trotzdem: ich habe das Bild ganz anders gesehen. Zum Schreiben habe ich mich aufgesetzt und die Leselampe aufgedreht: jetzt ist alles wieder fast wie immer. Wahr ist, dass ich gestern einen Schlag abbekommen habe, dass mein ganzes geistig-seelisches Universum gewackelt hat, und mich sogar körperlich leichter Schwindel und Übelkeit heimgesucht haben. Jetzt muß ich die Trümmer meines Sinnhorizontes wieder zusammensuchen und ihn neu aufbauen. Bemerkenswert ist, dass der Schlag von jemandem ausgegangen ist, der schon fast zehn Jahre tot ist; wie wenn der Streich aus dem Jenseits geführt worden wäre; dabei habe ich nur ein paar alte, über zwanzig Jahre alte Briefe gelesen. Wieder gelesen genaugenommen, die dann in meiner Hand sozusagen explodiert sind. Briefbomben sozusagen. Dabei sind sie schon beim ersten Lesen damals hochgegangen. Sozusagen ein hinterhältiger Anschlag. Aber eben nur sozusagen. Bald werde ich die ganze Chose ad acta gelegt haben. Das schaff ich schon!

Ach ja: mein Bild hat mir in der neuen Wahrnehmung durchaus gefallen.


(12.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 10. Februar 2024

3559 Monstera, Ficus, Avocado

 



Vor mir der heute unverstellte dreifaltige Wohnzimmerbaum in seiner ganzen Pracht. Gerade habe ich ihn gegossen. Jetzt träume ich von Reichtum und von einem Landgut mit zum Atelier umgebauten Stadel oder Stall mit allem Pipapo. Die Lächerlichkeit dieser Wunschvorstellung holt mir tatsächlich ein Lächeln ins Gesicht. Aber wenn ich diesen enormen Reichtum und dieses schön gelegene Gut hätte, würde ich unseren Wohnzimmerbäumen ein großes, hohes Glashaus bauen (lassen), damit sie sich in wirklicher Erde, aber trotzdem frostgeschützt nach allen Richtungen frei entfalten können: Monstera, Ficus benjamina, Avocado. Und mit einem Glasdach, dass sich öffnen läßt, damit sie den Regen erleben können. Und mit verschiebbaren Glasseitenwänden, damit sie auch den Wind spüren. Wie gesagt: ich rede von ordentlichem Reichtum (darunter will er es nicht geben – der innere Spötter). Yachten und Reisen nach Dubai interessieren mich nicht. Jetzt esse ich Blutorangenstückchen, die mir meine liebe Frau in einem Glasschälchen mit Löffel (!) ins Bett gebracht hat. Irgendwie habe ich mit dem Zerbeißen und Schlucken wegen des vielen Saftes Schwierigkeiten, aber nicht aus Krankheitsgründen, sondern weil ich ungeschickt bin. Aber nach ein wenig Übung geht es. Das Schüsselchen ist jetzt leer. Den Restsaft, der sich darin gesammelt hatte, habe ich ausgetrunken. Ja, von den Blutorangen steigt mir jetzt eine gesunde Röte ins Gesicht; ich merke das von innen. Mir tut nämlich unser trinitarischer Wohnzimmerbaum (wer von den drei Bäumchen Vater, wer Sohn und wer Geist ist, weiß er nicht – der innere Spötter) ein wenig leid, wie sich die dreifaltigen ineinander Verschlungenen zum Fenster beugen, höher geht’s nicht mehr, am Fensterglas ist auch Schluß – das ist kein richtiges Leben für einen Baum! Frühstück kommt jetzt. Danke liebe Frau. Ich lege das Schreibzeug weg.


(10.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 9. Februar 2024

3558 Das auch noch

 



9:03 a.m. Ich blicke ganz ruhig und locker in meine dämmrige Bedeutungslosigkeit; will sagen: die Rollo ist noch herunten und die Gesellschaft braucht nichts von mir. Ich schreibe ja eigentlich ins Nichts hinein. Aber hier und jetzt macht es mir nichts aus. Schließlich habe ich mein Zimmerchen mit mehr oder weniger ernst gemeinten Bedeutungen zum Beispiel via Kunstkarten aufgetakelt. Oder mit eigenen Bildern oder mit Zeichnungen und Objekten – und die bedeuten mir wirklich etwas – meiner Kinder. Es gibt bei mir fast nie ein Aufwachen mit der vibrierenden Erregung dessen, der etwas Wichtiges vorhat und etwas an und in der Welt gestalten wird, eines, der sich freut mit und in der Welt zu arbeiten und in Kontakt zu kommen (das „labora“ in „ora et labora“; vgl. auch Freud: die beiden Eckpfeiler des Glücks: Liebe und Arbeit). Meine Herausforderung ist es nun, das Fehlen einer gesellschaftlichen Resonanz auszuhalten und daran nicht irre zu werden, dass meine Beiträge für die Welt niemanden interessieren und nicht nachgefragt werden („fast niemand interessiert“ wäre richtiger; aber der Autor meint, nur „niemand“ klänge inhaltsschwerer, absoluter, tragischer und interessanter – der innere Korrektor). Also wache ich nicht auf und freue mich auf das, was ich vorhabe. Ich bin gar nicht so leicht und einfach in der Lage, etwas vorzuhaben, weil es überhaupt keine Resonanz gibt (siehe oben – der innere Korrektor). Ich rufe in die Menschenwelt hinein und es gibt keine Antwort. Es findet kein Austausch statt. Ich schreibe nur Flaschenpost, die wahrscheinlich nie ankommt. Ach, wie gern würde ich mein Wissen, meine Erkenntnisse – so bescheiden sie auch sein mögen – meine Träume, meine Lieben (Musik zum Beispiel), meine Ideen, meine Vermutungen, meine Forschungsergebnisse, meine Spekulationen, meine Überlegungen (und Unterlegungen – der innere Spötter), meine Visionen, meine Hoffnungen mit anderen teilen! (Gottseidank hat er nicht geschrieben: „.. und die Welt hat ihn nicht erkannt!“ - der innere Spötter.) Damit muß ich leben, und damit werde ich sterben müssen, was noch schwerer ist, wenn man beim Abschied auf kein Werk, kein Ergebnis zurückblicken kann. Ich blicke auf meinen Pilotstift und drehe ihn in meiner Hand und zupfe das Strichcodepickerl diesmal nicht herunter. Es ist ja auch völlig egal. Also blicke ich bloß stumm im Zimmerchen herum. Dafür rede ich auch mit Gegenständen und entschuldige mich etwa beim Holzraben, der am Fenster hängt, weil ich ihn beim Öffnen der Fensterflügel weghalten muß und dabei oft an ihn stoße oder ihn an die Fensterscheibe, oder bei der Badezimmerlampe, weil ich nach dem Verlassen des Badezimmers das Licht abgedreht, jedoch etwas vergessen habe und wieder ins Bad gehen und das Licht aufdrehen muß und so mit dieser ständigen Auf- und Abdreherei die Lampe ihrem Exit näher bringe, oder beim Pilotstift vorhin, weil ich das Pickerl nicht entfernt habe – wobei ich gleichzeitig unsicher bin, ob der Pilotstift sein Pickerl liebe drauf oder weg haben möchte. Das auch noch!


(9.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 8. Februar 2024

3557 Kein Dach

 



8:40 a.m. Ein monotones singendes Geräusch. Wie das Summen eines Kühlschranks in etwa, nur offener im Ton. Aber vom Kühlschrank kann es nicht kommen, den höre ich nicht von der Küche unten bis zu mir herauf bei geschlossener Zimmertür. Obwohl: mein linkes Ohr scheint vergrößert und weit hinaus zu horchen. Jetzt ist der Ton weg. Nur mein übliches Surren, das aber sehr vehement und laut. Gehst du nach Frankreich zurück? Mit wem rede ich da eigentlich? (Ich kann’s nicht lassen:) Mit Gott in Frankreich? Gut, nachdem mein innerer Spötter diesen ernsthaften Text sabotiert hat – was mach ich jetzt? Ich entkrampfe meine linke Hand (nur zur Erklärung: meine linke Hand hat keinen Krampf, sondern ich halte das Notizbuch so fest und verkrampft, was mir nicht gleich auffällt; erst wenn die Muskeln zu schmerzen beginnen wird mein Bewußtsein darauf aufmerksam). Ich registriere ein leichtes Flattern im Bauch. Vor meinem inneren Auge taucht ein Versteck auf, ein städtisches sozusagen, ein Gang führt wie in einem Labyrinth um mehrere Ecken und dann in einen ganz kleinen Raum. Soweit ich sehen kann: alles im Freien und oben offen; kein Dach.


(8.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3556 Der innere Jubel

 



0:52 a.m. Ich muß ja nicht schreiben, aber probieren will ich es doch. Ich habe es mir angewöhnt und es hilft mir, alles auszubalancieren. Ich kann es auch dazu benutzen, meine Aufmerksamkeit auf mein Empfinden zu lenken, meine Umgebung zu untersuchen und nach innen zu hören. Gleichzeitig kann es wie eine Leiter sein, die mich weitersteigen läßt, oder wie ein Weg, der mich weiterführt.

Wenn ich mich jetzt umschaue, sehe ich vor allem meine hellbeleuchtete Bettdecke, von meinen angezogenen Beinen zu einem Berg geformt, auf dessen mir zugewandtem Abhang das Notizbuch aufliegt. Die Wände, die Pinnwand bekommen auch noch ein wenig Licht ab, ebenso das Bücherregal am anderen Ende des Zimmers, ein paar Buchrücken glitzern sogar, aber alles bleibt schon etwas verschwommen und sehr undeutlich. In mir finde ich Trauer und Fröhlichkeit – nicht fifty-fifty, auch nicht 70:30 Prozent, sondern die Fröhlichkeit ist als Ganze von Trauer gewürzt und veredelt – beide erlauben es mir, mich mit allen zu freuen, die es wirklich geschafft haben, ich meine den Salto ins Unvorstellbare, und allen Glück zu wünschen. Mir ist der innere Jubel nicht fremd. Und jetzt freue ich mich aufs Schlafen.


(8.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 7. Februar 2024

3555 Ich schlucke

 



7:50 a.m. Ich schlucke, aber der leichte, juckende Druck im linken Ohr geht nicht weg. Im Lichtschacht heult die Klimaanlage oder was das ist und mein eigenes Surren ist heute sehr spitz und schrill und besonders linkslastig. In meinem Bauch gluckert es. Ich warte noch auf die Heizung, die bald anspringen sollte, dann schreibe ich über etwas anderes als die Geräuschkulisse. Ah! Jetzt startet die Heizung: im Heizkörper gurgelt es los. Ich versuche aus all den Geräuschen herauszuhören, ob alles okay ist, speziell mit der Heizung.

Jetzt wechsle ich das Thema. Teuerung? Dass Miete, Betriebskosten, speziell das Heizen, der gesamte Lebensunterhalt teurer und teurer wird? Ich bekenne, dass ich entschieden gegen die Teuerung bin. Mehr will ich dazu gar nicht sagen, denn das ist mir viel zu kompliziert. Nicht die Sache selbst, aber die Diskussion darüber. In der Sache selbst ist doch klar, dass ein Klassenkampf von oben gegen unten stattfindet und immer mehr Vermögen und Arbeitsertrag nach oben zu den Reichen verschoben wird. Trotzdem: das Thema mag ich nicht so.

Wie wäre es mit den Themen Auferstehung von den Toten und Himmelfahrt? Ja, da springe ich an und für sich gerne an, aber dazu habe ich schon genug geschrieben und in meinen Texten eingestreut. Wird anscheinend nicht gern gelesen. Mag ich jetzt auch nicht nochmals darauf eingehen.

Könnte es sein, dass ich nichts zu sagen habe? Bestenfalls nicht mehr?


8:49 a.m. Und? Jetzt? Immer noch nichts?


10:11 a.m. Ich stehe mitten im Zimmer und sehe alles anders; ein wenig nur, aber anders: das Fenster ist so weiß und die Wände auch, wo sie nicht verstellt oder behängt sind. Dieses Weiß beim Fenster, das auch von draußen hereinkommt, sehe ich hier zum ersten Mal. Auch die am Schreibtisch herumliegenden unbeschriebenen, unbedruckten Papierblätter: so erstaunlich weiß.


15:50. Ich sitze auf einer Bank im Freien und schaue exakt nach Osten (ziemlich exakt). Es ist warm und lau. Der Himmel ist bewölkt. Krähen rufen, Motorsägen heulen, eine Schaufel klopft auf Asphalt, wenn es nicht eine Kelle ist, von der der Mörtel abgeklopft wird – ich sehe das von hier nicht. Ein SUV (ich hasse schon die großgeschriebene Buchstabenkombination; erst recht die von allen erwartete Aussprache als einzelne englische Buchstaben: esjuwii) läßt den Motor laufen. Das Einbahnschild vor mir zeigt nach links. Der Supermarkt, wo ich bald einkaufen werde (sogottwill), ist zwanzig Meter vor mir, höchstens. Die Straße, gerade noch voller Passanten, leert sich und der Suv fährt weg. Es ist jetzt ruhig hier und Wind kommt auf. Jetzt fahren wieder einige Autos herein und machen viel Lärm. An einer Stelle habe ich einen guten Ausblick über den Augarten hinüber in den zwanzigsten Bezirk. Die Häuser in der Gassen stehen alle so erstaunlich brav da, eines nach dem andern, in einer geschlossenen Reihe, keines schert aus, keines ist ungehorsam. Beginnt es zu tröpfeln? Es wird auch gehämmert. Türen schlagen zu. Auch ferner Verkehrslärm. Wieder eine Windböe, diesmal heftiger, reißt an den Blättern meines Notizbuches und an den kahlen Ästen der zwei großen Bäume in der kleinen Grünfläche vor mir. Ein Kleinkind ruft etwas,ich verstehe es nicht. Seine Mutter hat es verstanden. Schuhe schleifen über den Asphalt. Ich verschreib mich schon wieder mehrmals.


(7.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 6. Februar 2024

3554 Kilimandscharo

 



13:54. Bei Werefkins Nachtschwärmer entdecke ich zum ersten Mal die kleine Stadt weit im Hintergrund. Die Kälte hat alles im Griff. „In Dresden, da geht ja die Elbe so still, und die Stadt fließt so träge vorbei …“. Der Himmel über Dresden: im Sturm? Mein Kopf: wie benebelt. Mein Geist: unkonzentriert. Ach London! (heute werfe ich nur kurze Blicke hin.) Die Rast beim depperten Kardinal, den ich nicht ausstehen kann – wird photographisch dokumentiert und aufs Eigendünkelalbum hochgeladen. Ich freue mich schon auf den Klee gleich jetzt, wenn ich weitergehe. Und bei Motesiczkys Arbeiter raste ich wieder. Meine Brillen passen nicht mehr; ich finde nicht die richtige Distanz für die Bildbetrachtung. Nacken- und Kopfweh, nicht schlimm, aber lästig. Schwindelgefühle (besonders bei Stiegen abwärts) – bitte wieso! Gibt’s denn das? Ich konzentriere mich auf den freundlichen Arbeiter, aber die windige Unruhe geht nicht weg (schade, dass der Kröpfelweg nicht ausgestellt wird). Ich untersuche den Schatten des Arbeiters und seines Sessels. Wieso ist es hinter ihm so hell? Ich liebe auch dieses Bild, obwohl ich es heute irgendwie anders sehe: abstrakter, mehr von oben, räumlicher, geometrischer, ich weiß nicht … (die junge Wächterin schaut auf ihre Fingernägel). Weiter! (als hätte ich es eilig!) Rast beim blauen Papierdrachen von Chagall; das einzige Bild hier von ihm, das ich wirklich mag. Soll ich weitergehen? Müde bin ich und doch ganz unruhig. Warum fällt mir jetzt der Kilimandscharo ein? Muß ich mir um meinen Geist Sorgen machen? (ich meine: mehr als sonst?) Ich probier’s weiterhin mit kokettieren mit der inneren Verwirrung. Rast (wer rastet der rostet) bei den bladen Sphinxen. Ich beende meine unglückliche Mission (für den Kopf mißlungen, die Seele hat’s vielleicht ernährt). Ah, ist mir öd! Und alles überdrüssig! Aber sicher nicht wegen der Albertina. In mir ist etwas aus den Fugen geraten. Das Wetter? Setzt mir das zu? Ich höre auch hier herinnen den Sturm heulen. Gerne würde ich mitheulen. Acedia. Ich gehe. Auf der Straße werde ich beinah auf die andere Seite geweht. Die Wolken sind eigenartig und die Sonne … ich weiß nicht … sie leuchtet so behindert, stumpf, lustlos, müde, ausgelaugt … Meine Nervösität wie vor einem Bombenangriff. Immerhin bin ich am Hinweg wegen Absperrungen anders als den gewohnten Weg gegangen: immerhin ein etwas anderer Input für mein Bewußtsein, immerhin. Die hellerleuchteten Tunnels der Opernpassage, voll von Menschen, auch eigenartig, nichts passt; trotzdem verneige ich mich kurz beim Stern vom Bela Bartok. Das Licht im Freien so trüb, erschlagen, gelangweilt. Vom Schacht der Station Stadtpark schaue ich hinauf und sehe die kahlen Bäume ihre Äste in dieses trübe Grau strecken. Ich denke an einen jahrealten Dialog mit meiner Frau und muß/darf/kann/soll lächeln.


(6.2.2023)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 5. Februar 2024

3553 Die Lücke

 



8:11 a.m.  Die nackte Angst: ohne Bilder, ohne Geschichten, ohne Farbe. Wo? In der Leibesmitte. Wieso? Keine Ahnung. Mein Geist spekuliert in verschiedene Richtungen, kommt jedoch zu keinem Ergebnis.

Eine Tür fällt ins Schloss und reißt mich aus meinem vergessenen Strom. Das innere Zittern ist noch nicht vorbei. Es geht um die Lücke unterm schwächelnden Schutzschild, stimmt’s? Der linke Arm schmerzt nicht mehr. Langsam gewinne ich die Oberhand. Bevor die Lücke nicht besser geschützt ist, stehe ich nicht auf.

Drüben drehe ich einen handbeschrifteten Zettel hin und her; ich weiß nicht, ob ich den Text schon registriert und veröffentlicht habe, und meine Traumaufmerksamkeit schafft es nicht, ihn zu lesen und zuzuordnen. Ist er aus dem Notizbuch gefallen? Wo gehört er hin? Ich schlage die Augen auf und versuche, mich in der und für die Alltagswelt zu festigen. Die Angst ist schwächer, aber sitzt noch im Gedärm.


(5.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 3. Februar 2024

3552 Was für ein herrlicher Tag!

 

Ich sitze auf einer Steinbank neben einem immergrünen Busch hinter dem ein steinener Buddhakopf im Gras sitzt, vielleicht auch ein Betonkopf – will sagen: aus Beton gegossen. Der Kopf ragt aus der Erde; der Rumpf scheint tief eingegraben zu sein, oder sein Kopf ist beim Meditieren davongerollt. Wie auch immer: über mir kreist vom Schlossberg her eine Drohne mit ihrem penetranten, weil übereifrigem und aufgeregtem Gesurre. Wie angenehm hören sich da die Rufe der Krähen oben am steilen Schlossbergfelsen an, aus dem diese kleinen Terrassen herausgehauen sind, wo wir in der späten Nachmittagssonne sitzen und die Aussicht über und den Blick auf die Dächer der Grazer Altstadt genießen! Ich bin hier nicht ganz frei von Schwindelgefühl. Die Glocken von Mariahilf beginnen ein schönes Musikspiel; ein wirklich schönes. Diese überraschende Darbietung berührt mich. Ich habe sowieso ein Faible für Glockengeläut, aber hier läuten sie Melodien und Lieder. Im Westen liegt schon der Lichtdunst des baldigen Sonnenuntergangs über der ausgebreiteten Stadt unter mir. Jetzt  erkenne ich sogar ein Lied: wir loben Gott im höchsten Thron; eines meiner liebsten Kirchenlieder; oh mein Gott wie schön! Auch die Kondensstreifen der Flugzeuge zieren sich aus. Der Autolärm hatte keine Chance gegen das Glockenspiel. Nur jetzt ein Tatü-tata, nachdem das Spiel der Glocken verklungen ist. „Verklungen“ ist genau das richtige Wort. Die Kanten der Dächer glitzern schon, selbst die ostseitigen Fenster der Hausfassaden spiegeln und werfen etwas Licht her. Was für ein herrlicher Tag!

(3.2.2024)

©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 2. Februar 2024

3551 Trinkschokolade

 

Trinkschokolade im Schwalbennest, das ich immer unter Spatzennest abgespeichert habe. Ich sitze unter zwei ein-Meter/ein-halben-Meter-Bildern von Backwaren. Durchs Fenster sehe ich eine russische Pelz-hochklapp-Mütze Uschanka Tschapka oder eine Imitation davon, und die linke Ecke vom Kunsthaus, das bald mit der englischen Leuchtschrift beginnen wird. Stockende Gespräche an einem anderen Tisch; irgendeine Anstrengung. Der Himmel ist nun zugezogen und dadurch wird es schon dämmrig und grau. Theaterwerbung-Infoscreen beim engen Stiegenaufgang herauf in den ersten Stock. Meine Sinne werden von sehr widersprüchlichen Eindrücken in Anspruch  genommen. Auf meinen Lippen noch der Geschmack der bitteren Trinkschokolade; leider schon ausgetrunken. Die  verschiedenen Lampen erzeugen ein verschieden gestimmtes Licht. Das Fremdheitsgefühl beginnt mich unruhig zu machen. Auch im Stiegenaufgang hängen drei große Bilder von Backvorgängen. Auf einer Tafel ist mit Kreide hausgemachter Orangenpunch angeschrieben. Mein alarmierter Geist spielt mit Orangen-Faustschlag, Orangenputsch, Orangenpansch, Orang-Wunsch herum. Fluchtimpulse kommen auf. Die Zeit des Übergangs vom Tag in die Nacht ist die schwere Zeit aller Süchtigen – egal ob es um Heroin, Alkohol, Kaffee, Sex, Zucker, Wetten oder Smartphone geht. Zur Beruhigung kletzle ich auch von diesem Pilotstift das Preispickerl in Strichcode ab. Kann ich denen trauen, die da die Stiege hinab gehen? Ich glaub es ist besser, ich lege das Schreibzeug weg.

(2.2.2024)

©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3550 Texte vorlesen

 

Blicke ich aus dem Hotelfenster, sehe ich auf den steil aufragenden, bewaldeten Schlossbergfelsen, auf dichtes, kahles Gestrüpp und erstaunlich viel wintergrünes Gebüsch; und wenn ich zum Fenster hingehe, kann ich rechts das Dach des Uhrturms sehen und links eine Ecke eines Gebäudes, von dem ich nicht sicher weiß, was es ist, aber vermute, die Bergstation der Schlossbergbahn. Mittagsrast. Ganz still ist es hier. Ein kleiner Vogel fliegt im Geäst hin und her. Die Uhr schlägt halb. Falsch! Die Uhr hat zwei geschlagen. Mehrere Vögel. Ich glaube Meisen. Ich  bin müde und mein Kopf droht nach vorne zu kippen. Hoffentlich rollt er nicht weg; ich bin so schwindelanfällig. Eine Leiter lehnt an einem der Bäume. Liebe Frau, wie wäre es mit Texte vorlesen?

(2.2.2024)

©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3549 Die Wanddekoration

 



„Schere, Stein, paar Bier“ steht auf einer Säule im Café Promenade geschrieben. Der Kräutertee ist köstlich und die Sonne scheint beim Fenster herein, dass ich schwitze, obwohl ich gegen meine Gewohnheit nur im Hemd dasitze (in der Öffentlichkeit lege ich mein Sakko ungern ab; ich will alle wichtigen Dinge am Leib tragen). Meine Recherche meiner Vergangenheit war erfolgreich: ich habe das Haus gefunden, wo ich vor gut 51 Jahren gewohnt habe. Da bin ich mir jetzt sicher. Ich kletzle wieder ein Preispickerl von einem Pilotstift und diesmal gelingt es in einem Abzug, auch wenn es jetzt im rechten Zeigefinger pickst. Die Wanddekoration von Ingeborg Strobl? Nein, sicher nicht, sagt meine Frau, zu dekorativ, keine Kunst, normales Design, Massenware. Ja, da wird sie recht haben, „zu geleckt“ sage ich schnell zustimmend; man („man“ weil: ich) will sich ja keine Blöße geben. In solchen edlen Cafés kann mir die Atmosphäre schnell zu dicht und zu beklemmend werden. Ich werde unruhig und nervös. Der Kräutertee ist jedoch wirklich köstlich.

(2.2.2024)

©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 1. Februar 2024

3548 Jausnen bei Gloggnitz

 



In einem Zug nach Graz. Ich blicke immer wieder – so es die depperten Lärmschutzwände erlauben – hinaus ins flache Land mit den Kirchtürmen, Fabrikschloten und Windrädern. Die kahlen Äste der Bäume wollten gern im Drüberfahren den Himmel kratzen, aber langen nicht bis hinauf. Spätwinteröde Felder und Wiesen liegen ausgestreckt am Bahndamm. Dann die unvermeidlichen Betriebs- und Fabrikanlagen (ich mein, ich brauch ja auch zum Beispiel Pilotstifte und ordentlich gebundene Notizbücher). Siedlungen, die eher einem Krebsgeschwür gleichen als organischen Zellen. Quadratische Teiche. Zwischendurch bewundere ich meine Frau an meiner rechten Seite für ihren Appetit. Am Himmel wölben sich hellgraue Wolken in einzelnen bauschigen Clustern unter einer einheitlichen, helleren Wolkenschicht zur Landschaft herab. Lärmschutzwände ohne Ende und sonder Zahl. Wiener Neustadt. Jetzt kommen dann die mariatheresianischen Föhrenwälder. Wir halten direkt neben einem Restaurant, einem Zugrestaurant am Gleis daneben. Mir fällt auch hier in Wiener Neustadt auf, dass ich beim Schreiben immer öfter Silben auslasse und Wörter nicht zu Ende schreibe. Diese Alterserscheinung (?) fällt mir in letzter Zeit immer wieder auf, wie gesagt: auch in Wiener Neustadt (der Kontrast! Es heißt ja nicht Wiener Altstadt). „reitsport“ steht auf einer Hauswand (klein geschrieben). „Ventus“ steht auf einem Zug. Next stop wird per Durchsage angekündigt: Semmering. Langsam bekomme ich Hunger; aber ich will bis Gloggnitz durchhalten, dann werde ich jausnen (ich will ja zum Schriftsteller Peter Hodina nicht frech sein, aber auch ich bin ein Jausner). Statt Herrgottimstoa wieder nur Industriebauten. Jetzt ziehen die Föhrenwälder vorbei, der reine Stangenwald, obwohl der Zug ganz geradeaus dahinbraust. Ein Holzstapel. Mehrere Holzstapel. Viele Holzstapel (das konnte ich vorher nicht wissen). Industria (quadrandae orationis industria; aber ich bin sine industria) (laßt euch nicht täuschen: er hat das alles erst googeln müssen – der innere Verräter).

Schneebedeckte Berge auch im Osten; geht das schon auf den Wechsel zu? Unzählige Zementsilos. Wir nähern uns Gloggnitz. Wir sind Gloggnitz schon nahe. Misch- und Fichtenwälder. Die Gloggnitz’schen Hügel sind bereits erkennbar. Ein stehender Zug verstellt mir die Sicht auf den auch auf Facebook vielgerühmten Gloggnitzer Bahnhof. Schade. Die komische Kirche. Ja, ja, das ist schon Gloggnitz! Jetzt kommt das Schloss Gloggnitz. Ich gebe an dieser Stelle wie immer meiner strickenden Frau rechts von mir einen sanft beabsichtigten, aber zuggerüttelten Stoß. Also gut. Jausenzeit.

Während ich jausne sage ich zu meiner Frau: „Ah! Du hast zu jedem Speck-Käse-Brot ein Stück Paprika dazugegeben. Sehr gut! Sehr gute Brote hast du gemacht!“ Dann: “Ja, da schau her, ein Äpfelchen. Sind die nicht recht sauer?“ „Ja, geht eh!“ Mir fällt unangenehm auf, dass das typische Altes-Ehepaar-Gespräche sind, die ich da führe. Na gut, wir sind ja auch ein altes Ehepaar. Später, nachdem ich den Apfel verspeist habe, wird mein dialogischer Monolog für meine Frau deutlich gehobener, geistreicher, kultureller, literarischer - wie ihr gleich merken werdet: ich verputze nämlich die Äpfel immer mitsamt den Apfelputzen, nur die Stengel bleiben über. Ich nehme den übriggebliebenen Stengel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, halte ihn meiner strickenden Frau vors Gesicht und sage: „Der Knausgård hätte auch den Stengel gegessen!“

Ich blicke wiedereinmal aus dem Fenster – normalerweise mache ich im Zug nichts anderes – aber die Tunnels (ich betone auf der zweiten Silbe) hindern mich zeitweise, die wolkenverhangenen Felsen und Berggipfel zu betrachten, die ich so gern anschaue. Stop Semmering. Der große Tunnel (el-betont). Jetzt kommen wir in der verschneiten Steiermark heraus. Auf Mürzzuschlag zu reißt die Schneedecke immer öfter auf. Hinter den Waldbergen winken die Windräder her und wie in einem gut inszenierten Theaterstück taucht hinter einer Kuppe einer dieser großen Strommasten auf und setzt sich so eindrucksvoll in Szene. Jetzt wird die Landschaft im Tal herunten immer aperer – das Verhältnis Schnee – braune Wiesen hat sich umgedreht. Mürzzuschlag. Kann man hier leben? („man“ – weil eigentlich: ich). Die Zugbremsen - oder wer oder was – jaulen verhalten und elegisch. In Bahnhofnähe gibt es noch Schneehaufen. Wir fahren weiter mit der Mürz hinunter – sozusagen. Vereinzelte Sternchen tanzen mir vor den Augen. Ohne dass ich einen Step mache, fahren wir ahead an der Voest-Alpine vorbei. Ein großer Steinbruch klafft die bewaldete Bergflanke auf. Interessanterweise scheinen die Schneedecken wieder Terrain gewonnen zu haben. Jetzt gewinnen wieder die aperen Flächen. Das gesamte Mürztal wird – da seine ganze Länge nach mit Windrädern gesäumt – im Propellereffekt bald abheben und wohin? in den Himmel? fliegen. Ich jedoch muß aufs Klo.

Ab Bruck an der Mur blicke ich wieder aus dem Fenster und die Aper-Class hat endgültig gewonnen; nur ganz vereinzelte, unter Gebüsch versteckte Schneeflecken im Murtal. Nächster Halt: Graz Hauptbahnhof wird angesagt. Mitten im Murtal auf halber Strecke zwischen Bruck und Graz hüpfte eine Krähe über die schon leicht grüne Wiese und hackte dann darin herum.



(1.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com