Mittwoch, 14. Februar 2024

3563 Die Schneise im Wald

 



9:15 a.m. Es gibt ein elektrisches Surren im Zimmer, das neu ist und von dem ich nicht weiß, von welchem Gerät es kommen könnte; es sind alle ausgeschaltet. Mein Ohrengesumm ist höher und schärfer. Und dieses beginnt sich über alles auszudehnen und jenes mehr und mehr zu übertönen. Nun kommt noch das dumpfe Geheule der Klimaanlage im Lichtschacht dazu, verklingt wieder und taucht phasenweise neuerlich auf. Der Klangteppich, der mich einhüllt, ist so stark und dominant und übt einen gewissen Druck auf meinen Leib aus, dass mir für einen Moment ein wenig bange wird (wenn man sich solchem Sirenengesang unkontrolliert hingibt, kann er einen entführen und es einem die Seele vertragen, dass sie nicht mehr zurück findet – der innere Korrektor). Ich lasse aber nicht zu, dass diese Bangigkeit, noch dieser Sog überhand nehmen. Dann schiebe ich meine Leselampe etwas zur Seite, damit ich auf meine Bilder oben an der Wand gegenüber schauen kann, um meine auf diese Welt gerichteten Augen stärker ins Spiel zu bringen. Mali Lošinj und Rettenschoess kommen mir heute ganz herrlich vor, gelungene Bilder, die zwei so unterschiedliche Landschaften darstellen, jede auf ihre Art beeindruckend und von erstaunlicher Bewegtheit, Wildheit und Dynamik (ich glaube, mein Blick geht jedenfalls zuerst immer und meistens überhaupt nach links). Mit voller Absicht blicke ich nun auf das Photo der Riesneralm und mein Veli-Lošinj-Bild, die rechts von den anderen zwei hängen: sie sind ruhiger, stiller, nicht wild, ihre unauffällige Dynamik kommt im Photo von der Wintersonne, die durch winterliche Nebeldecke zwischen den Bäume verhalten in die Schneise im Wald scheint, und in Veli Lošinj von der weißen, auf den ersten Blick ganz ruhigen, friedlichen Helligkeit, die die Stadt aus dem Hintergrund kommend aufzulösen scheint. („scheint“ – „scheint“ – ich liebe stilistische Stolpersteine, vor allem, wenn sie auf Ungereimtheiten in der Sprache aufmerksam machen.) Ich lasse meine Augen etwas absinken und sie landen wie so oft bei der frankophonen Schweizerin. Ich delektiere mich aus der Ferne an ihrer von mir projizierten Üppigkeit dort im Halbdunkel und außerhalb meines scharfsichtigen Bereichs. Ich lege meinen Blick ein Regal tiefer zur Karte vom wunderschönen Rückenakt von Manguin (Henri Manguin, Rückenakt unter Bäumen, Villa Dermière (Studie),1905), wo ich aus dieser Entfernung nur verschwommene Farbflecken sehen kann und mir den nackten weiblichen Körper als Form hineindenken muß. Bin ich damit alltagstauglich in der Alltagswelt angekommen? Ist mein Blick genügend auf die Alltagswelt fixiert? Vielleicht. Aber ich gebe mir noch etwas Zeit und werde noch ein wenig im Bett lesen.


(14.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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