Donnerstag, 1. Februar 2024

3548 Jausnen bei Gloggnitz

 



In einem Zug nach Graz. Ich blicke immer wieder – so es die depperten Lärmschutzwände erlauben – hinaus ins flache Land mit den Kirchtürmen, Fabrikschloten und Windrädern. Die kahlen Äste der Bäume wollten gern im Drüberfahren den Himmel kratzen, aber langen nicht bis hinauf. Spätwinteröde Felder und Wiesen liegen ausgestreckt am Bahndamm. Dann die unvermeidlichen Betriebs- und Fabrikanlagen (ich mein, ich brauch ja auch zum Beispiel Pilotstifte und ordentlich gebundene Notizbücher). Siedlungen, die eher einem Krebsgeschwür gleichen als organischen Zellen. Quadratische Teiche. Zwischendurch bewundere ich meine Frau an meiner rechten Seite für ihren Appetit. Am Himmel wölben sich hellgraue Wolken in einzelnen bauschigen Clustern unter einer einheitlichen, helleren Wolkenschicht zur Landschaft herab. Lärmschutzwände ohne Ende und sonder Zahl. Wiener Neustadt. Jetzt kommen dann die mariatheresianischen Föhrenwälder. Wir halten direkt neben einem Restaurant, einem Zugrestaurant am Gleis daneben. Mir fällt auch hier in Wiener Neustadt auf, dass ich beim Schreiben immer öfter Silben auslasse und Wörter nicht zu Ende schreibe. Diese Alterserscheinung (?) fällt mir in letzter Zeit immer wieder auf, wie gesagt: auch in Wiener Neustadt (der Kontrast! Es heißt ja nicht Wiener Altstadt). „reitsport“ steht auf einer Hauswand (klein geschrieben). „Ventus“ steht auf einem Zug. Next stop wird per Durchsage angekündigt: Semmering. Langsam bekomme ich Hunger; aber ich will bis Gloggnitz durchhalten, dann werde ich jausnen (ich will ja zum Schriftsteller Peter Hodina nicht frech sein, aber auch ich bin ein Jausner). Statt Herrgottimstoa wieder nur Industriebauten. Jetzt ziehen die Föhrenwälder vorbei, der reine Stangenwald, obwohl der Zug ganz geradeaus dahinbraust. Ein Holzstapel. Mehrere Holzstapel. Viele Holzstapel (das konnte ich vorher nicht wissen). Industria (quadrandae orationis industria; aber ich bin sine industria) (laßt euch nicht täuschen: er hat das alles erst googeln müssen – der innere Verräter).

Schneebedeckte Berge auch im Osten; geht das schon auf den Wechsel zu? Unzählige Zementsilos. Wir nähern uns Gloggnitz. Wir sind Gloggnitz schon nahe. Misch- und Fichtenwälder. Die Gloggnitz’schen Hügel sind bereits erkennbar. Ein stehender Zug verstellt mir die Sicht auf den auch auf Facebook vielgerühmten Gloggnitzer Bahnhof. Schade. Die komische Kirche. Ja, ja, das ist schon Gloggnitz! Jetzt kommt das Schloss Gloggnitz. Ich gebe an dieser Stelle wie immer meiner strickenden Frau rechts von mir einen sanft beabsichtigten, aber zuggerüttelten Stoß. Also gut. Jausenzeit.

Während ich jausne sage ich zu meiner Frau: „Ah! Du hast zu jedem Speck-Käse-Brot ein Stück Paprika dazugegeben. Sehr gut! Sehr gute Brote hast du gemacht!“ Dann: “Ja, da schau her, ein Äpfelchen. Sind die nicht recht sauer?“ „Ja, geht eh!“ Mir fällt unangenehm auf, dass das typische Altes-Ehepaar-Gespräche sind, die ich da führe. Na gut, wir sind ja auch ein altes Ehepaar. Später, nachdem ich den Apfel verspeist habe, wird mein dialogischer Monolog für meine Frau deutlich gehobener, geistreicher, kultureller, literarischer - wie ihr gleich merken werdet: ich verputze nämlich die Äpfel immer mitsamt den Apfelputzen, nur die Stengel bleiben über. Ich nehme den übriggebliebenen Stengel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, halte ihn meiner strickenden Frau vors Gesicht und sage: „Der Knausgård hätte auch den Stengel gegessen!“

Ich blicke wiedereinmal aus dem Fenster – normalerweise mache ich im Zug nichts anderes – aber die Tunnels (ich betone auf der zweiten Silbe) hindern mich zeitweise, die wolkenverhangenen Felsen und Berggipfel zu betrachten, die ich so gern anschaue. Stop Semmering. Der große Tunnel (el-betont). Jetzt kommen wir in der verschneiten Steiermark heraus. Auf Mürzzuschlag zu reißt die Schneedecke immer öfter auf. Hinter den Waldbergen winken die Windräder her und wie in einem gut inszenierten Theaterstück taucht hinter einer Kuppe einer dieser großen Strommasten auf und setzt sich so eindrucksvoll in Szene. Jetzt wird die Landschaft im Tal herunten immer aperer – das Verhältnis Schnee – braune Wiesen hat sich umgedreht. Mürzzuschlag. Kann man hier leben? („man“ – weil eigentlich: ich). Die Zugbremsen - oder wer oder was – jaulen verhalten und elegisch. In Bahnhofnähe gibt es noch Schneehaufen. Wir fahren weiter mit der Mürz hinunter – sozusagen. Vereinzelte Sternchen tanzen mir vor den Augen. Ohne dass ich einen Step mache, fahren wir ahead an der Voest-Alpine vorbei. Ein großer Steinbruch klafft die bewaldete Bergflanke auf. Interessanterweise scheinen die Schneedecken wieder Terrain gewonnen zu haben. Jetzt gewinnen wieder die aperen Flächen. Das gesamte Mürztal wird – da seine ganze Länge nach mit Windrädern gesäumt – im Propellereffekt bald abheben und wohin? in den Himmel? fliegen. Ich jedoch muß aufs Klo.

Ab Bruck an der Mur blicke ich wieder aus dem Fenster und die Aper-Class hat endgültig gewonnen; nur ganz vereinzelte, unter Gebüsch versteckte Schneeflecken im Murtal. Nächster Halt: Graz Hauptbahnhof wird angesagt. Mitten im Murtal auf halber Strecke zwischen Bruck und Graz hüpfte eine Krähe über die schon leicht grüne Wiese und hackte dann darin herum.



(1.2.2024)


©Peter Alois Rumpf Februar 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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