Samstag, 27. Januar 2024

3542 Das Heulen

 



9:16 a.m. Wieder bin ich in Angst aufgewacht, aber diesmal bin ich ihr nicht nachgegangen, sondern bin aufgestanden und habe etwas in der Küche erledigt. Sie ist immer noch da und rumort im Gedärm und schreckt mein Herz. Wenn sie mir etwas mitteilen will, soll sie es gleich sagen, lange werde ich nicht herumforschen. Der Wind umheult das Haus und rüttelt an allem, was er finden kann. Die Muskel in meinem Mund vibrieren leicht; ich verzichte auf alle oral-psychologischen Spekulationen. Nur zur Erklärung: ich habe mich zum Schreiben wieder hingelegt und zur seelischen Konsolidierung. Eine Erinnerung aus meiner Kindheit taucht auf: wie ich das erste Mal Hochkultur begegnet bin: eine Schallplatte mit den Reden Sokrates; nicht bei uns zu Hause. Ich empfinde jetzt große Dankbarkeit für die Frau, die Mutter eines Freundes, die die Platte - ich erinnere mich nicht mehr wieso und wie es zustande gekommen ist, dass ich dabei war – vor uns abgespielt hat. Ich erinnere mich nur, dass ich fasziniert war und mich angesprochen gefühlt habe, auch wenn ich nichts verstanden habe.

Gut, die Erinnerung klingt aus und läßt eine traurige Sehnsucht nach meinen Hoffnungen der späten Kindheit zurück, als ich noch das Leben und vielleicht auch Möglichkeiten vor mir hatte und viele Erwartungen und Illusionen und nicht wie jetzt auf ein – tja, doch: gescheitertes Leben zurückblicken muß. Und nach vorne gibt es nicht mehr viel. Ich schließe diese Diskussion jetzt bewußt ab.

Der Wind heult immer noch von Zeit zu Zeit auf und meine Muskeln um den Mund sind immer noch leicht vibrationsaktiv. Es hilft nichts: mir fällt mein Lebenslauf auf den Kopf, das Gebäude stürzt ein, es helfen keine existentialistischen Sprüche, keine religiösen Versprechungen, keine esoterischen Verwischungen, keine Witze, keine psychologischen Erklärungen, kein Facebook, weder Fußball- noch Handballspiele im Fernsehen, keine Krimis, weder Mahjong Festung noch Solitaire, kein cooles Getue, auch kein besonnenes Getue, keine Überschlagsscherze, keine guten Vorsätze, keine sonstigen Verrichtungen und Ablenkungs- oder Abgeklärtheitsversuche: es tut weh.

Der Wind könnte das Heulen ruhig mir überlassen, aber ich selbst lasse es nicht zu. Vermutlich fürchte ich, es wäre dann aus.


(27.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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