Mittwoch, 24. Januar 2024

3535 Überpünktlichkeit

 



17:10. Ein neuer Rekord in Überpünktlichkeit. Beim Herfahren habe ich in der Straßenbahn gelesen, dass es einen Doppeljackpot gibt. Der würde für meine Pläne nicht reichen. (Jetzt habe ich meine rechte Hand ausgeschüttelt, weil ich so schlampig und fehlerhaft schreibe.) Also gut: wieder in der beige-gelben Welt. Die Sonne am stimmungshebend gedachten Photo an der Wand geht immer noch unter. Die Kniegruppe fängt jetzt an und geht in den „Turnsaal“. Ich gehöre zur Rückengruppe, die erst in 30 Minuten anfängt, auch im Raum 313. Geht sich das aus? Sicherheitshalber schaue ich auf meine Behandlungskarte. Ja, die Uhrzeit stimmt und als Location ist der Turnsaal eingetragen, der in der beige-gelben Welt als Bewegungstherapie-Gruppe, Nummer 313 angeschrieben ist. Die Putzfrau kommt. Diesmal grüße ich nicht und sie grüßt auch nicht. Bekanntlich kann ich nicht grüßen. Ich probiere im Geist das „Gegrüßet seist du Maria“ aufzusagen. Ja, geht noch. Wobei mir „Weiber“ und „Absterben“ besser gefällt als „Frauen“ und „Tod“. Ich meine: „Weib“!!! Woman, Wombman – also Wombgeist: das zusätzliche Energiezentrum der Frauen in der Gebärmutter. Zusätzlich zu allen anderen Energiezentren, die die Männer auch haben. Außerdem hat das Y-Chromosom - was weiß ich – dreißig, vierzig Gene und das X-Chromosom mehrere hundert. Mir kann keiner was vormachen. Und außerdem dürfte „grüßen“ ursprünglich „segnen“ bedeutet haben. Ohne dass sie es merkt segne ich die Putzfrau schnell und heimlich von hinten. Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich schon, dass das ein Übergriff sein könnte. Jetzt grüße ich sie doch, als sie ihren Wagen an mir vorbeischiebt. Aber segnen tu ich einfach mit Kreuzzeichen – da wiederum habe ich keinen Genierer: die Verbindungen vertikal stärken: körperlich: Kopf und Bauch, also Geist und Empfinden; in der Zeit: Vorfahren – ich – Nachkommen; im Universum: Himmel und Erde, oben und unten; horizontal: körperlich: die rechte und die linke Hälfte; mit den Zeitgenossen, der Gegenwart, der Natur, der Welt … Was will (wo)man mehr? Die Putzfrau verläßt das Stockwerk und wünscht mir einen schönen Tag; ich ihr auch.

Der zweite Rückenmensch trifft ein, der dritte. Ich schaue das Photo an der Wand aus der Nähe an: eigentlich kann ich nicht sagen, ob die Sonne auf- oder untergeht. Mein Eindruck ist Untergang (Hallo! Ich mein: ich bin bald siebzig!). Ich betrachte ein wenig den tief hängenden Feuerlöscher, dann die Kleiderhaken an dem Wandbrett aus unechtem Buchenholz (ich weiß ja nicht einmal, ob die Furnier echt ist). Die Lüftung zischelt fast elegisch vor sich hin. Der Mann nebenan hustet verschleimt. Soll ich mich vor Ansteckung fürchten? Das sei fern! Hoch über dem Feuerlöscher ist ein Feuerlöschersignet, damit man ihn auch im Gedränge finden kann, darunter eine graphische Darstellung, wie mit dem Gerät umzugehen ist. Über den Kleiderhaken ist auch eine Schrift angebracht, auf der steht, dass nicht gehaftet wird. Der Mann neben mir stößt auf und ich rieche es; vielleicht hat er Magenprobleme. Rückenprobleme hat er offensichtlich auch (es steht dir nicht zu, dich über andere lustig zu machen – der innere Korrektor!). Die Kniegruppe kommt heraus. Eigentlich ist es dreiviertel, aber deren Kurstrainer sperrt die Tür zu. Halte ich es noch aus weiterzuschreiben oder schmeiße ich die Nerven weg und das Notizbuch in den Rucksack? Eine gewisse Stille kehrt ein, ich höre im Flur um die Ecke eine Tür gehen, unser Trainer kommt, jeden Tag ein anderer.


(23.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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