Mittwoch, 31. Mai 2023

3224 Ich sitze am Rande

 



Ich sitze am Rande, gefühlt aber mitten auf einer lebhaften Straßenkreuzung mit Baustelle, Straßenbahn und allem Drum und Dran. Ein zusammengesackter Mann – mindestens so gekrümmt wie ich – geht vorbei. Eine Frau mit Sonnenkappe steht ratlos herum und geht dann langsam ab. Gegenüber der gut besuchte Schanigarten eines Gasthauses. Mittagszeit. Ein furchtbar aufgeregt mit belegt kratzigem Stimmchen laut kläffendes Miniaturhündlein. Mann mit „Mongolenfrisur“ – will sagen: Kopf geschoren bis auf ein Büschel Schwanzerl oben. Polizei fährt vorbei. Der Baustellenlärm hämmert mir an die Schläfen. Eine junge Frau macht ganz konzentriert ein Selfie. Es ist Sommer. Viele unbeschriebene Leute durchqueren mein Gesichtsfeld, ohne zu wissen, dass es mir gehört. In weiterem Abstand, die Gasse hinunter, geht ein Mann bei der Mathematik die Treppen hinunter. Ein wenig verweile ich noch, dann werde ich die Gasse hinaufgehen und den Berg ersteigen - zu meiner Freude. Auch falls ich Weibern auf den Hintern gaffe: ich glaube nicht, dass Sexualität das menschliche Zentralmotiv ist. Ich wechsle den Standort.

Am Weg bin ich vor Aufregung (warum?) an meinen Lieblingsauslagen einfach vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken. Aber nun sitz ich im Park und schaue auf einen Springbrunnen. Wenn der nicht ordentlich und hoch springt, hat er auch etwas … hm … Lächerliches. Aber das Plätschern tut der Seele gut. Die Form des Springbrunnens ist auch unglaublich fad. Da wäre viel mehr drinnen: interessantere Wasserverläufe – so dauert es viel zu lange, Jahrhunderte, bis das Wasser die spießbürgerliche Küchenform des Springbrunnenaufbaus zurechtgewaschen hat und der Anblick ansehnlicher geworden ist. Trotzdem kommt mir vor, hier bei den Universitätsinstituten ist das Wissen breiter gestreut, der Blickwinkel größer. Kommt mir von außen vor. Ein hellgrünes Blatt stolpert windgetrieben auf mich zu und bleibt dann an einem gelben Blatt hängen. Ein wahrlich dicker Mann in Anzug mit Ellbogenleder wälzt sich durch den Wiesenpfad und telephoniert dabei. Ich fange auch schon mit dem Handygaffen an! Vielleicht sollte ich herumgehen. Zwischen Romanistik und Anglistik, Hof 8, halte ich mich auf. Ich soll weitergehen (sagt wer?). Ein bißchen nervig das Gymnasistinnendeutsch von der Nebenbank, aber sonst…




(30.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3223 Bis in die Fingerspitzen

 



Sommerliches Aufwachen. Ich bin noch verwirrt vom skandinavischen Traum (Puh! Ist dort alles teuer!). Ich warte ab, bis sich alles geklärt hat. Mein Körperinneres zittert, beziehungsweise ich zittere von innen heraus, bis in die Fingerspitzen.




(30.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3222 Meine Seele stirbt ab

 



Meine Seele stirbt ab, verwandelt sich in etwas wie ein schwarzes Loch. Außen verstumme ich weitgehend. Passt gut, dass ich in der Ausstellung von Yoshitomo Nara sitze, in dem dunklen Raum mit dem Häuschen. Ich bin kein und war nie ein Freund von Comics, aber das hier entspricht meinem Zustand, wenn ich auch nicht wirklich weiß wie und warum. Ich bekomme wieder Lust zu zeichnen und zu malen, aber ich weiß, ich werde es nicht schaffen. Ich komme nicht mehr über die bajuwarisch-döbranitische Barriere; ich werde das nie mehr unbefangen angehen können. Ein größerer Raum hat auch etwas. Ich glaube, ich implodiere. Die Musik hier passt auch. Teilweise. Ich versinke in den inneren Abgrund. Oder meine Seele. Außen bin ich nur mehr zum Schein. Verzeihung, dass ich das anbringe: ich habe auch einmal probiert, von einem Comic ausgehend ein Bild zu malen, war jedoch damit nicht zufrieden – denn es ist mir nicht gelungen, das Comichafte im Malerischen aufzulösen. Bei einer Ausstellung in einem Café dann habe ich dieses Bild spaßeshalber über die Zeitschriftenablage, wo auch viele Comichefte lagen, gehängt.

Der ungeheuerliche Alb auf meiner Brust, der mich so niedergedrückt hatte, hat sich, nach mehr als 24 Stunden wieder aufgelöst; nur ein Hauch davon ist noch da und ich hoffe, er schwillt nicht mehr an. Trotzdem haftet mir noch etwas Abgestorbenes an.




(29.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 26. Mai 2023

3221 Ordentliches Frühstück

 



10:52 a.m. Noch ist nicht Pfingsten, aber schon sehe ich kleine leuchtende Energiefäden über den Büchern der obersten Reihe im Regal. Eh ganz kurz nur! Freilich ganz kurz. Sie sind schlanker und länglicher als die auf den Pfingstbildern dargestellten Feuerzungen und blaßer und bläulicher, nicht gelb-rot. Sie wirken viel weniger stark geladen. Und auf Büchern! Ich würde auch nicht behaupten, dass alle meine Bücher in der obersten Reihe inspiriert sind (die Inspirierteren stehen eher in der linken Abteilung zweite Reihe von oben zwischen ganz harmlosen). Dafür leuchtet heute auch Mali Lošinj; nicht über, sondern aus dem von mir gemalten Bild heraus.

So! Jetzt bin ich aufs Klo gegangen und habe dann spontan die Pflanzen am Fensterbankerl umgestellt, wie es mir Sonnen-Schatten-mäßig besser vorkommt, habe das Fensterbankerl teilweise geputzt, ebenso mein Waschbecken und den Spiegel darüber. Jetzt steht mir ein ordentliches Frühstück mit Ersatzkaffee, Kräutertee, Gemüse, Obst und Knoblauch auf den Brotrindenstücken zu!




(26.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3220 Arzttermin 2

 



In der Sonne sitze ich. Bin zu früh für den Arzttermin. Scheiß Angst. Nicht vor den Untersuchungen und dem Medizinischen, sondern vor der Psychodynamik und meiner Unterwerfung. Unser Zentralgestirn brennt heiß auf meine unbekleideten Arme. Das ist angenehm. Trotz Überpünktlichkeit gehe ich jetzt los. Ich halte es hier nicht mehr aus.




(25.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 25. Mai 2023

3219 Arzttermin

 



10:27 a.m. „… ist schon vom Schlaf erwacht …“. Ja, so ist es. Durch das Läuten des Festnetztelephons. Aus Träumen herausgerissen. Sagen wir: es ist schon Zeit! Hunger? Wenn ich so nachdenke: Ja, Frühstück wär’ nicht schlecht. Bin ich schon alltagstauglich? Nein, noch nicht ganz. Na! Dann los: aufstehen! strecken! Badezimmer! Gesicht kalt waschen! Auf! Auf! … Aber der Text ist doch viel zu kurz! Ja, das stimmt. Was machen wir jetzt? Ach was! Egal! Aufstehen! Vielleicht sind deine Leser:innen eh froh. Außerdem hast in knapp drei Stunden Arzttermin.




(25.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3218 Sankt-Ulrich-Krieger

 



7:03 a.m. Mein Herz klopft ganz weich den noch irritierenden Traum weg. Mein düdelndes Smartphone schreckt mich aus meiner nachdenklichen Versunkenheit auf. Zwölf Grad soll es draußen haben. In meinem Lichtkegel ist einiges schief: mein Kopf, mein Notizbuch, mein Pilotstift … Was ist eigentlich mein Unterschied zu meiner Katze? Ich korrigiere am vorigen Text, den ich bis jetzt nur hier im Notizbuch stehen habe, herum. Ich verliere mich im Hin-und-Her. Begleitet vom Rauschen der Lüftung im Lichtschacht und in meinen Ohren fallen mir wieder die Äuglein zu. Dafür taucht mein gestriger Ostfrieslandkrimi auf. Ich versuche, das Hauptgeschehen zu rekonstruieren, aber mein müder Geist will nicht so recht. Ich peitsche den armen Esel nicht. Ich sitze leicht gekrümmt im Bett und wache von Schritten auf der Stiege auf. Spanien ist nicht Griechenland, wieder eine Verwechslung. Ich rufe meiner Frau, die jetzt die Treppe hinuntergeht, „Hallo!“ zu, aber sie hört mich nicht. So erfolgreich schauen die Sankt-Ulrich-Krieger auch nicht aus.




(25.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3217 Bei Gelegenheit

 



Nun sitze ich in einem Café an einer verkehrsströmungstechnisch gesehen eigentlich L-förmigen Kreuzung (will sagen: die Hauptverkehrsader biegt in der Kreuzung ab und die jeweiligen Verlängerungen sind zu Nebenstraßen herabgestuft; zumindest eine davon) und will irgendetwas schreiben (meinen Missionarismus zu bestimmten Themen, wo ich sofort loslegen könnte, halte ich hintan und versteckt), aber vom vielen Zeitungslesen schwirrt mir der Kopf und hat mich eine leichte seelische Übelkeit befallen. Das kenne ich schon lange, sehr lange, und ich führe das nicht auf die schlechten Nachrichten zurück, sondern auf die irrelevanten. Das meiste interessiert mich nicht. Aber auch an dem, was mich interessiert, bin ich bald überfressen. Das könnte damit zu tun haben, wie darüber geschrieben wird. Man könnte es auch so sagen – reden wir mißverständlich in abendländischer Sprache – was soll ein geborener Mystiker („geboren“ im juristischen Sinn) im Kaffeehaus? (Sei nicht so bigott! – der Innere Kritiker). Nun hebe ich meinen Kopf und schaue auf die mächtige Neunzehntes-Jahrhundert-Säule im L-förmigen Raum, an der Innenseite des Knicks, aber noch mit einem kleineren Nischenraum dahinter, und lasse mich fast betören, aber ich wette: sie ist innen hohl und nicht tragend und aufgefüllt mit Bauabfällen. Oder? Ich bin weder Statiker noch Architekt. Das Publikum hier ist interessant zum Anschauen, wie man es sich in einem alten Kaffeehaus vorstellt. Ich gestehe es mir ungern ein, aber auch hier passe ich nicht herein (siehe oben). Ich werde das noch ein paarmal als alternativen Schreibort ausprobieren, denn der Ort ist schon ein wenig aus der Zeit gefallen und das will ich … irgendwie … ich weiß nicht … dem will ich meine Referenz erweisen. Ich betrachte zwei weißhaarige, weißbärtige ältere Herren, beide sehr korrekt gekleidet, wie sie an zwei verschiedenen Tischen und jeder für sich, ohne Kontakt zueinander, essen und wie von einer versteckten Regie angeleitet synchron das Essen – wirklich immer zu den gleichen Zeitpunkten und im gleichen Rhythmus – ihr Essen in den Mund heben. Ein jüngeres Paar kommt herein – was heißt „jung“ – jünger als ich; ganz jung sind sie auch nicht mehr – und setzt sich hinter der Säule hin. Der L-förmige Raum – je länger ich mich umschaue, desto stärker fällt mir das auf – hat schon was in seiner außerordentlichen Antiquiertheit (ich würde ihn nicht verändern). Spielen wir, ich wäre auf Reisen. Zwei laut miteinander – ich denke: griechisch – sprechende alten Männer helfen mir dabei. Es ist schon so – fast traue ich es mir nicht hinschreiben, weil ich nicht nostalgisieren will – dass dem Ambiente hier noch Flair des vorvorigen Jahrhunderts anhaftet. Nicht zur Gänze vertrieben. Ich mein’, zu Not tun’s die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts auch. Ich gehöre nicht hierher, aber hoffe, bei Bedarf ein wenig Unterschlupf zu finden.

„Bei Gelegenheit tät’ ich gern zahlen, bitte!“ Und das dauert!




(24.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 24. Mai 2023

3216 Goiserer Viergesang?

 



10:30 a.m. Auf meiner Bettdecke erscheint ein ganz kleines Bild von Karl Marx, als ich unentschlossen im Bett sitze und überlege, ob ich aufstehen soll, rasieren und duschen, oder doch gleich frühstücken, oder gar etwas schreiben, oder noch ein wenig den Morgen still genießen. Ich versuche, durch Konzentration und In-mich-Gehen herauszufinden, was dieser kleine Marx hier bedeuten soll, aber ein fleißiger Arbeiter mit Bohrmaschine auf der Baustelle im Nachbarhof läßt mit seiner lärmenden Arbeit meine innere Recherche nicht zu. Meine Augen brennen und tränen und mein Schreibschwung ist schon wieder vorbei. Das ist das Manko bei der Gagschreiberei, wenn einem kein neuer einfällt. Jetzt juckt meine Nase als würde es mich bald zerreißen, was aber nach tapferem Hochziehen des Rotzes doch nicht passiert. Meine Möwe überm Bett schaukelt aufgeregt, nachdem ich den Pilotstift austauschen mußte, weil ihm der Saft ausgegangen ist. Tränen rinnen über meine Wangen, aber schade, dass da die Seele nicht mitspielt und das Weinen nur physikalisch chemisch physiologisch ist. Der schwarze Rabe hängt ganz still und scheint im Aufflug hängen geblieben zu sein. Ich überlege, ob ich mich nach einer CD des Goiserer Viergesangs umschauen soll (Atahualpa Yupanqui hat mich darauf gebracht). Ich komme zu keiner Entscheidung, denn ich muß dringend aufs Klo und nachher leg ich mich nicht mehr hin.




(24.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3215 Unscheinbare Reisen

 



23:56 Ich muß wieder öfter hinausgehen. Ich kann doch nicht zum eintausendneunhunderteinundfünfzigsten Mal mein Zimmer und meinen Zustand darin beschreiben! Ich brauche neuen Input. Ich brauche neue Wahrnehmungen. Ich brauche neue visuelle Erfahrungen. Heute bin ich verdammt früh zu Bett gegangen; ich bin müde. Seele und Leib ermüden so schnell. Ich genieße das Rauschen, das durch das offene Fenster im Vorzimmer hereinkommt. Im Inneren höre ich Passagen eines Liedes von Atahualpa Yupanqui und lege sie über die anderen Geräusche, die sich dem Rhythmus und der schönen Melodie ein wenig anpassen. Kleine Reisen – das wär’s! - (stelle ich mir vor). Unscheinbare Reisen, keine Abenteuerreisen, keine Krisenreisen, stille Reisen, melancholische Reisen, Kaffeehausreisen - wenn man so will, Reisen, wo der Reisende nicht besonders auffällt, einsame Reisen. Ein bißchen Meer darf's auch sein.  Beim Träumen von meinen kleinen, mitteleuropäischen Reisen bleibe ich jetzt hängen. Ich fahre natürlich mit dem Zug. Langsam drifte ich zurück in mein Zimmer, in meine aufmerksame Stille.




(23.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 23. Mai 2023

3214 Ich habe es überprüft

 



8:27 a.m. Sowohl mein schwarzer Rabe, der beim Fenster hängt, als auch die weiße Möwe, die über meinem Bett aufgehängt ist, schaukeln hin und her. Ersteren habe ich beim Hochziehen der Rollo in Bewegung gesetzt, zweitere beim Aufsetzen im Bett. So weit so gewöhnlich. Das alles da ist Realität, ich habe es überprüft. Leicht angegriffene Realität, um genau zu sein, weil mir wieder die Augen zufallen und schon Traumelemente ganz am Rande auftauchen. Mein Wahrnehmen ist jedoch noch ganz frisch und unschuldig, als wäre ich neu in der Welt. Stimmt ja auch; ich bin doch erst aufgewacht. Wieder das Gefühl, als hätte ich keine Gedanken. Das kann nicht sein, aber vielleicht verwechsle ich Gedanken mit Urteilen. Von meinem Nacken geht ein leichter Schwindel aus.

Ich muß sagen, das alles hier, dieser Zustand ist sehr schön so, sehr angenehm, entspricht gut meiner seelischen Verfassung; ich kann es gut genießen. Jetzt ist ein leichter Schmerz in den Fingern der rechten Hand aufgekommen, der auf die ganze Hand und dann bis zum Unterarm ausstrahlt. Als wären meine Schreibmuskeln überanstrengt, was ich nicht glaube. Ich lockere gleich beide Hände um etwaige Verkrampfungen hintan zu halten.

Auch das, was ich da beschreibe, ist Leben, ist Überlebenskampf. Ich weiß schon, man stellt sich darunter etwas ganz anderes vor: ein hochgerüsteter Krieger, der souverän und selbstbewußt durch die Arena marschiert. Oder wenigstens ein schlauer Überlebenskämpfer, der unauffällig, geschickt und verstohlen durchs Geschehen schleicht. Aber das da ist auch Leben, nimmt wahr, trifft seine Entscheidungen, wird sich seiner bewußt … Ich sag ja nicht, dass ich den Lebenskampf mit dem Tod gewinne.

Es ist so still hier, obwohl ich im Vorzimmer das Fenster offen habe. Der Verkehrslärm ist weit weg hinter einigen Häuserzeilen und tönt mehr wie fernes Waldesrauschen. Ab und zu ein Taubengurren aus großem Abstand. Dann fällt irgendwo eine Tür ins Schloss, aber jedes dieser Geräusche zerstört den fernen, leisen Klangteppich nicht. Also Stille. Ich empfinde es als wohltuende Stille, die mein Herz beruhigt und meine Seele erquickt.




(23.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 22. Mai 2023

3213 Basel fällt

 



8:03 a.m. Unten wird Geburtstag gefeiert und Happy Birthday gesungen. Hier heroben hängt ein müder Mann im Bett (Huch! Ich habe mich selbst als „Mann“ beschrieben! Das darf ich als Nichtiniziierter nicht! Ein Tabubruch! Und nur wegen der passenderen lautlichen Gestalt des Textes!). Uhrzeitmäßig bin ich eineinhalb, zwei Stunden falsch gelegen. Ich dachte, es wäre schon so gegen zehn. Eine innere Stimme spricht, aber ich weiß nicht: sagte sie „Baselfeld“ oder „Basel fällt“ oder „Basel fehlt“. Und wer ist jetzt vor meinem inneren Auge erschienen? Eine Ex-Therapeutin? Die verstorbene? Was wollte sie mir ausrichten? Ich glaub, es ist besser, ich schlaf noch ein bißchen.




(22.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3212 Fünfeinhalb handgeschriebene Zeilen

 



0:00 a.m. Noch spüre ich die angenehmen Nachwirkungen der Sonne auf der Haut. Mein Tacker im Kastl vorne rechts ist auch schon in Sommerlaune und strahlt mich an, dass es mich fast stört. Ich müßte nur die Leselampe ein wenig verschieben, dann blendete mich die Lichtreflexion nicht mehr, aber das mache ich nicht – immerhin hat mir diese Lichtreflexion des Tackers fünfeinhalb handgeschriebene Zeilen beschert.

Ich könnte einen leichten, ganz leichten Sonnenstich haben. Jetzt gerät die Welt für einen Augenblick ins Rutschen; nichts Gefährliches, nur die Optik ist in Bewegung geraten. Ich habe den Eindruck, ich hätte keine Gedanken, aber das kann nicht sein. Ich gähne sozusagen in dreimaligem Aufwiehern. Ich bin müde. Gute Nacht.




(22.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3211 Schwimmbadgeschrei

 



Die Krähen schreien und schreien und hören nicht auf. Vielleicht aus Empörung, weil sie das Gänsehäufel an diesem ersten frühsommerlichen Tag nicht mehr für sich allein haben. Der Wind zupft sanft an den Gräsern und Blättern und läßt das Laub der Pappeln im Sonnenlicht glänzen und blinken. Im Wasser sind einige Boote unterwegs, aber noch wenige Schwimmer. Meine Frau zieht ihre Liegedecke in die Sonne und legt sich wieder drauf. „Kein Mensch ist illegal“ will ich herschreiben, aber warum eigentlich? Eine junge Pappel hat ihre Blätter noch nicht lange ausgetrieben, sie sind noch ganz klein. Der Wind fährt mir über die Haut. Was ist das jetzt hier? Das ist schon Wirklichkeit. Die Krähen schreien und hören nicht auf. Ich habe ja viel zu viel Sonnencreme Lichtschutzfaktor 30 auf der Haut, um poetisch sein zu können, also laß es! Also schreib ich prosaisch: auch das Wasser dort hat was! Dieser alte Donauarm ist wahrnehmungsempirisch nicht ohne. Dieses Krähengeschrei ist nun weiter weg, aber bewirkt trotzdem einiges an Infragestellung des Badeszenarios (als käme es aus einer anderen Wirklichkeitsschicht).

Die Krähen scheinen sich beruhigt zu haben; man hört nur mehr vereinzelte Rufe. Der Wind bläst und bläst und läßt die Bäume rauschen. Und das übliche, seit der Kindheit vertraute Schwimmbadgeschrei; man merkt jedoch den noch spärlichen Besuch. Meine Frau zieht die Liegedecke in die Sonne; den Schatten macht der ständige Wind etwas kühl. Im Nordosten ballen sich weiße, harmlose Wolken. Die Krähenrufe kommen wieder näher. Es herrscht eine große Selbstverständlichkeit hier und dennoch eine Komponente Fremdartigkeit. Die mag aus mir kommen. Die Welt ist schön, aber gilt sie auch mir? Der Wind wird stärker. Ein Hund bellt vom anderen Ufer. Ein paar Schwäne im Wasser. Der Wind geht auf eine leichte Brise herunter und man hört so den fernen Autoverkehr. Die Paddler machen wirklich schöne Bewegungen. Jetzt muß natürlich ein Boot mit Superboxen auf voller Lautstärke daherkommen. Ich bin da in einem Theaterstück; alle sind auf der Bühne. Wind und Wetter spielen auch mit. Alles ist auf der Bühne. Und so weiter.




(21.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3210 Haltestelle 49

 



Ich sitze an der Haltestelle 49 Westbahnstraße/Neubaugasse am ersten warmen Tag seit langem und warte, bis meine Frau beim Friseur fertig ist. Abholen oder Kochen war die Alternative, vor die sie mich gestellt hat, und nachdem sie die vom Donnerstag übrig gebliebene Hirse, die ich fürs Mittagsessen weiterverbraten wollte und mir bereits verschiedene Beilagen dazu ausgedacht hatte, schon fürs Frühstücksmüsli verbraucht hat, ist mir – nicht de iure, aber de facto – nur mehr das Abholen übrig geblieben. Das heißt, wir werden jetzt essen gehen. Soll sie ruhig brennen! Was kümmert’s mich. Also sitze ich auf der Bank in meiner geliebten alten Heimat siebenter Bezirk, schaue hin und schaue her, Straßenbahnen, viele RadfahrerInnen, FüßgängerInnen, vergleichsweise wenig Autos. Es ist hier einiges los, wenn ich auch nicht genau weiß, was. Ich checke die Uhrzeit und nütze das auch gleich für einen Realitycheck. Ja, Realität; kein Traum. Ich gehe jetzt nachschauen, ob mein Weib schon fertig ist. Sie ist fertig und ist die paar Schritte auf den Weg hierher. Finita La Commedia.

Und das Essen im neuen Café Nil war großartig.




(20.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 19. Mai 2023

3209 Realitycheck

 



9:37 a.m. Realtitycheck. Ja, es ist die Alltagswelt, aber empfinden tu ich alles ganz strange. Ich komme gerade aus ganz anderen Welten, anscheinend war ich dort tief verstrickt in Geschehnisse, die mir schon nicht mehr zugänglich sind. Mein übliches Ohrensausen schreit und kreischt noch ganz aufgeregt und mein Leib kann sich nicht beruhigen. Ich bin schon hier, eindeutig, auch wenn es in dieser Welt noch ein wenig moussiert. Ich lockere meine verkrampfte linke Hand – hatte ich dort drüben Angst? Oder erst bei der Rückkehr? Mein schwächelndes Bewußtsein weiß das nicht. Ich seufze und das bringt ein paar Milligramm Erleichterung und ein paar Millimeter größeren Spielraum. Nocheinmal ziehe ich die Luft, aber jetzt ganz tief ein. Ich bewege wiederum meine linke Hand um sie zu lockern. Ein tiefer Atemzug again. Ich gewinne ein wenig mehr Kontrolle. Ach! Mit jedem tiefen Seufzer komme ich bessere aus der Traumverhangenheit heraus. Eine kleine Traumerinnerung blitzt auf: es ist wieder einmal um meine Traumwohnungen gegangen, wo ich nie weiß, ob sie mir noch gehören. Mehr taucht jetzt nicht auf. Die erinnerten Bilder sind zu undeutlich. Anscheinend habe ich drüben Wohnungen und Probleme, sie in meinem Besitz zu halten. Die Wohnungen führen ein Eigenleben und sind stärker als ich. Ich bin recht dankbar, dass ich hier in meiner Kemenate sein kann und die Sonne durchkommt und jetzt das Zimmer heller macht. Nochmals Realitycheck. Ja, es ist die normale Alltagswelt, sie ist stabil, ich kann alles lesen, nichts verschwimmt, die Tagis kommen die Stiegen herauf und die Katze bei der Tür herein und springt auf mein Bett.




(19.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 18. Mai 2023

3208 Frühstücksbreichen

 



Schlank, flink und scheu wie ein Rehlein schlüpft und hüpft sie aus dem Bett, meine Frau, und geht in die Küche um uns das Feiertagsfrühstück zu bereiten und dann ins Bett zu servieren. Eine solche Verwöhnung steht mir gar nicht zu, aber mei! was kann man machen?! So um zehn dürfte es sein und ich habe lang und gut geschlafen und bin voller Optimismus. Wenn ich Christ und Papst wäre, würde ich Christi Himmelfahrt zum höchsten Feiertag machen, denn was soll das Ganze, wenn er nicht den Weg, lebendig aus dieser Welt abzuziehen, gefunden hätte? Idioten und Wichtigtuer, die uns Pseudolösungen anbieten wollen, und dann keinen Weg in die Unendlichkeit finden, gibt es hier auf Erden genug. Aber gut, ich soll mich nicht einmischen. Wozu auch? Auf mich hört eh keiner (was habe ich gerade von Idioten und Wichtigtuern gesagt?). Die Kaffeemühle heult und jault ungeniert drauflos, dass es zum Steinerweichen ist, und ich vergnüge mich an Formulierungen und Wortspielen und genieße das warme Bett. Als Vorspeise wird – na, vom wem? - Wassermelone ins Bett serviert. Ich nehme gleich ein Stück und kaue es andächtig und vorsichtig, auf dass ich mich nicht am köstlichen Wasser, das bei jedem Biss in unglaublicher Menge hervorquillt und den Mundraum kapazitätsmäßig fast überfordert, verschlucke, wenn es in die ausgetrocknete Kehle rinnt. Die Melone ist eine Spur zu unreif (wie wir alle), aber dennoch ein Genuß. Jetzt muß ich beim Schlucken besonders aufpassen, denn ich bin von der Andacht in die Gier gerutscht und kaue und schlucke zu hastig. Ich verordne mir Bedacht, Disziplin und Selbstbeherrschung und kaue wieder langsamer und besonnener (obwohl heute der Himmel bedeckt ist). (Geht’s noch!?! - der Innere Hobbyetymologe.) Ich höre das Schütteln der Dinkel- oder Hafermilchpackerl (für die deutschen Leserinnen: -tüten) aus der Küche und auch sonstige Verrichtungsbegleitgeräusche und jetzt warte ich schon in Vorfreude auf das köstliche Frühstücksbreichen und die üblicherweise daran anschließende Lesung meiner Texte.




(18.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 17. Mai 2023

3207 Das Mousepad

 



11:44 a.m. Nachdem ich heute Nacht wegen des angekündigten Besuch des Rauchfangkehrers und des vereinbarten Arzttermins schlecht und viel zu wenig geschlafen habe, habe ich mich – nach Erledigung all dieser Angelegenheiten und einem ordentlichen Frühstück – Nüchternheit war für die Blutabnahme verlangt – wieder ins Bett gelegt und im Pirandello gelesen. Aber jetzt bin ich müde. Schlafen? Jetzt? Ist das nicht unanständig? Was könnte ich tun? Museum? Keine Lust. Wie gesagt: ich bin müde. Internet? War ich heute schon und war mir fad… Kompromiss: ich hocke im Bett und schreibe ein paar Zeilen. Jetzt düdelt mein Smartphone (Handy klingt schon gar zu antiquiert und schirch) und ich verstehe immer noch nicht, was es mir mitteilen will. Aber nun werde ich das Notizbuch gleich weglegen, die Leselampe abdrehen und in dem schönen, düsteren Zimmer aufrecht im Bett sitzend das Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand anstarren, akustisch begleitet vom Geschrei der Tageskinder, dem verhaltenen Baulärm vom Nachbarhof und meiner ewigen Ohrensurrerei, die mir immer in den Phasen anbrechender Stille auffällt. Vielleicht schlafe ich wirklich ein; es beginnen schon die unwillkürlichen Zuckungen. Schon sehe ich bei geschlossenen Augen eine kleine, großartige Graphik vor mir, überlege noch, ob von mir, gezeichnet oder gedruckt und was ich damit anfangen soll – und weil ich schon schlafe, brauche ich zum Überlegen recht lange – als sie wieder verschwindet indem sie an Ort und Stelle blasser und blasser wird und sich dann auflöst. Dann ist stille Dunkelheit, nur von mildem Baustellenlärm begleitet – die Tageskinder schlafen jetzt auch und auf meine Surrerei zu achten, habe ich vergessen. Als nächstes erscheint so ein kleines Mousepad aus weichem Plastik vor meinem inneren Auge, das ich schnell und geschickt ergreife, in den Mund stecke und zu zerkauen beginne. Dann ist es wieder bewußtlose Dunkelheit. Jetzt habe ich die Augen offen; warm ist mir, ich fühle mich frischer, aber sehr gemütlich im Bett. Und der Rest des Tages ist auch schon geritzt: jetzt weiß ich es: ein bis zwei Geschirrspüler, zwei Waschmaschinen, Texte tippen und auf die Schublade stellen mit allem Pi-Pa-Po, Essen nicht vergessen, am Abend Krimiglotzen mit meiner Frau, Internet, Musik, vielleicht den Roman über den Nichtsnutz Mattia Pascal weiterlesen … so ungefähr werde ich den Tag runterbiegen. Vielleicht ein- oder zweimal aus dem Fenster schauen. Wenn es hochkommt: dreimal.




(17.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3206 Regen

 



0:34 a.m. Es regnet. Es regnet so richtig. Es regnet wirklich schön und ausdauernd. Ich höre das Geprassel und Getropfe jetzt in der Nacht besonders gut. Ich fühle, wie die Böden und Wiesen das ersehnte Wasser aufnehmen, ich liebe den Duft kühler nasser Luft und würde gerne – dann aber tagsüber – irgendwo draußen abgelegen im Grünen, aber trocken und regengeschützt in einer Hütte zum Beispiel oder auf einer überdachten Veranda sitzen und dem Regen zuschauen, wie er stärker und schwächer wird, wo ich die Lacken anschauen kann, ihre kleinen Wellen, die von den Regentropfen ausgelöst werden, den Rinnsalen, die sich bilden; wenn ein kleiner Bach in der Nähe wäre – noch besser und überhaupt eine Landschaft, in der ich die vorbeiziehenden Regenwolken betrachten kann und wie Wolkenfetzen und Nebelschwaden die Hänge rauf und runter schweben. Aber ich will nicht undankbar sein: auch hier habe ich es ganz still im Regensound, mein Brustkorb weitet sich, ich richte mich auf und atme durch, nehme die feuchte Luft dankbar auf. Ein wenig lenke ich meine Aufmerksamkeit auf das Surren in den Ohren, das damit gleich lauter, voller, intensiver und dominanter zu werden scheint. Wirklich: Regen kann so schön sein und einem Innen und Außen inniger werden lassen.




(17.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 16. Mai 2023

3205 Der Einkaufszettel

 



Zunächst möchte ich festhalten, dass ich heute beim Frühstück brav und tapfer (hahaha! – der Innere Hobbyetymologe) die letzten Erdnüsse vom Nikolaussackerl anno Domini 2022 erst aufgebrochen und dann gegessen habe.

Und zweitens bin ich verärgert, richtig grantig. Ich ärgere mich sosehr! Und das kam so: ich will für meine Frau am Vormittag, bevor der heute angekündigte Regen kommt, einkaufen gehen, aber nirgends ist der Einkaufszettel zu finden. Dazu muß und will ich festhalten, liebe Haus- und Ehefrauen: es geht dabei hauptsächlich um Einkäufe für den Bedarf meiner Frau als Tagesmutter für die Tageskinder und was sie sonst noch kochen will: dafür brauche ihren Einkaufszettel. Was ich selber brauche und was allgemein im Haushalt gebraucht wird, weiß ich selber. Dazu brauche ich nicht die Angaben meiner Frau. Ich bin ja kein Trottel! Es ist sehr schwer und mir eigentlich verboten, mindestens aber sehr verpönt, meine Frau bei ihrer herausfordernden und anstrengenden Arbeit als Tagesmutter mit ihrem (der Arbeit) Anspruch an Konzentration, physische und psychische Präsenz und empathische Aufmerksamkeit für ihre fünf Tageskinder zu stören, aber trotzdem frage ich: „Wo hast du den Einkaufszettel hingelegt?“ „Bei der Brotlade“ ist die kurze Antwort. Wenn er dort läge, wäre die Sache hiemit auch schon erledigt. Aber ich suche einmal, ich suche zweimal, ich suche dreimal, viermal, fünfmal, ich gehe in mein Zimmer hinauf, lenke mich ab, gehe wieder runter in die Küche, suche wieder … und finde den verdammten Zettel nicht. Ich suche überall sonst, wo er abgelegt sein könnte, durchwühle die Küche, drehe alle Zettel und sonstiges auf den Ablageflächen um – kein Einkaufszettel zu finden. Ich wage es nicht, meine Frau nochmals mit meiner Frage zu stören, denn erstens scheint sie selbst nicht zu wissen, wo sie den Zettel abgelegt hat, und dass sie ihn sucht, das geht wirklich nicht – ich meine das wirklich so: sie kann die Tageskinder nicht so lange allein lassen (1-3 Jahre alt) – und zweitens reagiert sie auf solche Anfragen sehr abweisend, aggressiv und – wie ich es empfinde – sehr arrogant (schließlich bin ich ja dabei in der Rolle des Trottels, der nichts findet). Immerhin kommt es öfters vor, dass ich etwas nicht sehe, das ich suche, obwohl es da ist. Das ist nämlich ein uralter und bewährter Trigger für meine diesbezüglichen Kindheitstraumata und wenn die Traumatrance aktiviert ist, ist man wirklich blöde und sieht nichts, weil das Gehirn nicht normal funktionieren kann, sondern auf Alarmmodus gestellt ist. Dabei ärgere ich mich schon, dass ich nichts finde und hasse es, so bloßgestellt zu sein, weil ich den beschissenen Zettel nicht finde. (Zur Erhellung des traumatischen Hintergrunds, nicht zur Bemitleidung oder zur Verachtung, aber zum besseren Verstehen: Mein Vater hat mir einmal in aller Öffentlichkeit, als ich etwas, was zu holen er mich beauftragt hatte, wieder wie so oft nicht finden konnte – und damals war ich deswegen in Panik, denn ich hatte große Angst vor meinem Vater und seiner Gewalttätigkeit, bin mindestens zehnmal in Keller und Küche gerannt, habe alles abgesucht – aber er kam mir schon wutentbrannt entgegen und hat mir draußen vorm Haus mit absolutem Hass im Gesicht eine Faustschlag versetzt, dass ich Kind mehrere Meter durch die Luft geflogen und den Hang hinuntergerollt bin. Das hat sogar die Nachbarin auf den Plan gerufen – und damals war man bei Gewalt gegen Kinder nicht „zimperlich“ – das war sozusagen ein Höhepunkt, ansonsten wurde ich „nur“ beschimpft, was für ein Trottel ich bin, mit demselben hasserfüllten Gesichtsausdruck. Übrigens: das gesuchte Werkzeug war wirklich nicht dort, wo er es mich hat suchen lassen.)

Also so richtig in Panik bin ich heute wegen der Unfähigkeit, den Zettel zu finden, nicht, aber als Trottel komme ich mir schon vor. Und jetzt regnet es. Anscheinend hat meine Frau ihren Einkaufszettel auch nicht gefunden, denn als sich runterkomme, hat sie einen neuen geschrieben. Aber jetzt kann ich nicht einkaufen gehen (by the way: „gehen“ wörtlich; wir haben kein Auto), denn gleich ist die Tageskinderabholzeit und dann ist unserer Vorzimmer so schon verstopft und ich käme mit unserem großen, bis oben angefüllten und deshalb schweren Riesentrolley nicht durch. Keine Chance. Also heißt es warten, warten, warten. Wieder warten. Nur warten. (Was regst du dich so auf? - Du hast die Wartezeit eh zum Schreiben genützt! - der Innere Korrektor) (Halt die Klappe, Arschloch! - ich)




(16.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3204 „Hang the DJ!“

 



Ich sitze an einem fremden Ort, wo ich noch nie gesessen bin, an einer Bushaltestelle in der Sonne, weil ich vorzeitig – also vor dem Fahrziel – aus dem Bus ausgestiegen bin, weil er mir viel zu voll war und mich tendenziell Platzangst und Soziophobie anzuschleichen begonnen haben, und schaue mich jetzt um. Bezirk Favoriten, fast oben am „Gipfel“ des Wienerbergs (ich hatte mich auf Winnerberg vertippt), die Laxenburger Straße hat gerade begonnen, sich nach Süden abzusenken, es stinkt unglaublich von den Autoabgasen und unter den ersten fünf Platanen der Allee liegen große Felsbrocken, vermutlich als Behübschung oder um das wilde Parken zu verhindern. Ich war bei unserem Tierarzt Katzenmedizin besorgen und bin am Rückweg. Der nächste Bus kommt schon, vielleicht ist er nicht so voll. Er ist voll, ich warte doch lieber den übernächsten ab. Zurück zur Straße und zum Autoverkehr: Hängt Die Jenigen Stadtplaner aus dem vorigen Jahrhundert, die für die Opferung der Stadt an den Autoverkehr verantwortlich sind. „Hang the DJ!“ Ach! Wie weich, schön, romantisch, gerade noch nicht sentimental, jedoch so schön selbstmitleidig das der Morrissey singt! („Hang the DJ!“) Diese Romantik und das alles da sind nicht ungefährliche Kraft-Konstellationen, Motivationsmaschinen und Vektorenparallelogramme. Dabei habe ich wegen dem Selbstmitleid immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich The Smiths höre, aber phasenweise geht das bei mir voll rein und ich genieße diese Musik. „Hang the DJ!“ Jetzt sitze ich da und warte auf einen leereren Bus, die Sonne scheint her, und - ich wiederhole mich gern – die Autos stinken fürchterlich. Es ist die Bushaltestelle 66A an der Kreuzung Laxenburger Straße/ Sahulkastraße. Der nächste Bus kommt, ich steige schnell und hektisch ein, das Notizbuch noch nicht in meinem Täschchen verstaut. Auch der ist voll, aber jetzt bleibe ich. „Hang the DJ! Hang the DJ! HangtheDJ!HangtheDJ!HangtheDJ! HangtheDJHangtheDJHangtheDJ! HangtheDJ!HangtheDJ!HangtheDJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ!Hang the DJ!Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ!…“




(15.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 15. Mai 2023

3203 Kran-ich

 



6:56 a.m. Das Fenster im Vorzimmer habe ich aufgemacht, um den Geruch von Katzenpisse und Essig – mit dem ich nach dem Aufwischen über die betroffene Stelle gegangen bin – los zu werden, ein Schauder nach dem anderen läuft durch meinen unausgeschlafenen, noch nicht ganz alltäglichen Körper, beim Fenster kommt als fernes Rauschen neutralisiert der Lärm der Stadt herein. Ich kann in meiner Kemenate schon ohne künstliches Licht schreiben - also der herankommende Sommer macht ernst, obwohl heute ein bedeckter Tag zu sein scheint. Als hätte ich es verschrien wird es gleich etwas dunkler und ein Flugzeug rauscht unter dem Himmel. Am Bücherregal manifestiert sich – fast unsichtbar – eine weiße Macht und entzieht sich sogleich wieder der vagen Sichtbarkeit. Es schrillt ganz typisch in meinen Ohren, und jetzt kommt von unten das Heulen der Kaffeemühle dazu. Die Luftsäulen in meinen Ohren beginnen leicht zu pulsieren; ich lockere meine verkrampfte linke Hand. Meine Gedanken verwirbeln sich und verlieren sich in ihrer Aufgeregtheit. Jetzt greift der Baustellenlärm ein, denn ich höre den Kran. Kran-ich, Kran-ich. Kraniche habe ich auch schon ein paar Mal am Donaukanal gleich ein paar Häuser weiter gesehn.

Ein Verkrampfungsschmerz baut sich im rechten Fuß auf. Auch den versuche ich zu lockern. Ich werde bei offenem Fenster weiterschlafen.




(15.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3202 Ein schöner Nachmittag

 



Ich bin in einer wunderbaren Trance: von hinten donnert mir aufregend-beruhigende Klaviermusik live über den Schädel, am Tisch drüben finden Politdiskussionen statt, wo ich mich nur mit ganzer Kraft raushalten kann (die Jugend ist dran, den ganz Alten Paroli zu bieten), andere schauen auf ihre Smartphones und meditieren ihren Posteingang, und eine junge Red-Hot-Chili-Pepper-Fanin liegt auf der Couch und knackt mit den Fingern. Ich hänge im Fauteuil und meine Frau neben mir strickt den fünfhundertdreiundzwanzigsten Socken (ehrlich: wie beide sitzen auch auf einer Couch). Der Wind draußen schüttelt die Bäumelein und wiegt die Bäume, es regnet nicht, aber tendenzielle Regenwolken bedecken grau das blaue Tuch oben (ja, das mit den blauen Tuch für Himmel habe ich vor kurzem gelesen und wo wieder vergessen. Ich wollt es halt ausprobieren). Ein schöner Nachmittag nach einem wie immer tollen Essen.

Und das Grün der Bäume vor dem Grau des Himmels: das ist so schön! So schön!




(13.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 12. Mai 2023

3201 Ich freue mich

 



10:02 a.m. Ich freue mich aufs Sterben. Zumindest bin ich neugierig. Ich gehe nämlich davon aus, dass man dann sein ganzes Leben noch einmal anschauen kann, ohne Scheuklappen, sozusagen sub specie aeternitatis, anders gesagt: wie es der Energiekörper erlebt und wahrgenommen hat – und der vergißt nichts! - in all seinen Auswirkungen und Verästelungen, ob die einem bewußt geworden sind oder nicht, ob gut oder schlecht, mit allem Drum und Dran. Vielleicht ist das am Beginn der Reise unangenehm, weil alle Lebenslügen aufplatzen und man mit Erschrecken feststellen muß, welche Möglichkeiten und Angebote zu wachsen und sein Bewußtsein zu erweitern man aus wie immer kleinlichen Gründen ausgeschlagen hat, aber je weiter und tiefer man ins Geschehen kommt, desto besser versteht man auch wieso alles so gekommen ist, wie es gekommen ist und warum man so gehandelt hat, wie man gehandelt hat. Letztlich kommt man in einen Bereich „jenseits von gut und böse, jenseits von richtig und falsch“ (Dschalâl-ed-dîn Rumî), bevor Bruder Hain seine Arbeit wirklich beendet.

Hier in dieser Welt verstehe ich so wenig von meinem Leben und warum alles so ist, wie es ist und ich es nicht besser einrichten konnte. Ich finde mich nicht wirklich zurecht. Ich rechne mir in dieser Welt auch kaum noch Möglichkeiten zu echter Weiterentwicklung aus – sei es zu recht oder zu unrecht – eher bin ich damit beschäftigt, mich mit dem Erreichten (und Nichterreichten) als dem Ergebnis meiner Lebensentscheidungen abzufinden, was ich ehrlich und tapfer versuche (oder? Der Innere Kritiker).

Damit ich nicht mißverstanden werde: ich will nicht abhauen, ich will nicht jetzt sterben, ich suche nicht den Tod (wieso sollte ich? Der sucht mich und wird mich finden), ich freue mich nur, dann, wenn es soweit ist, auf meinen Lebensfilm, weil ich endlich verstehen will, wirklich verstehen will.

Allerdings: ganz sicher bin ich mir nicht, ob jeder den gesamten Film durchsteht oder ob es einen vor Schreck über die versunkene Wahrheit zerreißen kann (das ist, dass sich das Bewußtsein in seine einzelne Teile auflöst), bevor der Film zu Ende und man selber jenseits von gut und böse ist. Früher war ich mir sicher, dass jeder bis dahin durchkommt, jetzt habe ich Zweifel. Aber ich will glauben, dass ich es irgendwie bis zum Abspann schaffe und noch die – was weiß ich – pathetischen, erfurchtgebietenden, herzerweichenden Schlußpassagen der Filmmusik hören und genießen kann.




(12.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3200 Major Herker





1:45 a.m. Ein eigenartiger Tag mit eigenartigen Stimmungen. Mehr mag ich nicht mehr hinschreiben.

6:04 a.m. Ein bißchen wie ein Krankenzimmer wirkt heute meine Kemenate, vermutlich aus erinnerungstechnischen Gründen. Das heißt: als Kind habe ich nur im Krankheitsfall im Bett gelesen und ich frage mich: bin ich dabei auch so gehockt wie jetzt beim Schreiben? Die Augen brennen leicht und wollen geschlossen bleiben. Realitycheck im Halbschlaf: ich bin noch hier. In meiner Leibesmitte beim Nabel baut sich eine energetische Windhose auf. Wir haben es auch an den Wörtern gesehen: die Sprache wird rauer. Ein Krankheitsexorzismus will versucht werden, aber ich habe dafür weder Formeln und noch Kraftwörter. Außerdem bin ich nicht krank, physisch zumindest nicht. Vor meinem inneren Auge dehnt sich ziegelrote Lava aus – eine wahrlich vernünftige Farbe! Schon etwas abgekühlt. Major Herker fällt mir ein. Auch einer aus verblassten Vergangenheiten. An meiner Stirn, knapp bei der Nasenwurzel, beginnt so ein schwaches energetisches Geschehen, als würde sich ein Strahl bilden wollen, aber kommt damit nicht weit.

Ich wache auf, die Finger und Hände ineinander verkrampft; die Überschrift geistert herum. Aus jetzt.




(12.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3199 Beruhig dich!

 



Zwei Bobotussis (Verzeihung für den unkorrekten und wirklich unzulässigen und verwerflichen Ausdruck!) – ich versuche es anders: Zwei Vertreterinnen der Jeunesse dorée – unterstelle ich mal - nerven mich im wirklich alten, jetzt boboisierten Café bis an die Grenze meiner Leidensfähigkeit. Reden über das zu erwartende reiche Erbe, die drei Monate in Amerika und über ihre Jobs, ob sie sie überhaupt machen sollen. Es ist nicht unbedingt falsch, was sie da am Nebentisch reden, aber der Tonfall ist unerträglich! Der rauchgeschwärzte Plafond hilft mir, die Fassung nicht völlig zu verlieren; der Wind winkt mir mit Hilfe eines Bäumchens draußen vorm Fenster zu und flüstert: „beruhig dich! Beruhig dich! Du kennst nicht den Preis!“ Kurze Generalpause im aufdringlichen Geschnatter (Gottseidank höre ich nicht den Typen dort am anderen Ende des Raumes, was er seiner Begleiterin in angeberischer Gestikulation erzählt!). Ende der Generalpause. Jetzt halte ich es ein wenig besser aus. Schauspielschülerinnen? Tät’ passen. Die Schauspieler haben doch (fast alle) beim normalen Reden nichts zu sagen und sind immer im falschen Ton. Etwa nicht? Kennen Sie – nüchtern betrachtet – irgend ein Statement eines Schauspielers oder einer Schauspielerin, das Hand und Fuß hat? Ich nicht! Und kommen Sie mir jetzt ja nicht mit der Erika Pluhar! Never!

Rede (und schreibe) ich eigentlich auch so überflüssig? Auf meine Art halt? Meine dünne Haut ist wirklich dünn; alles diffundiert in mich ein. Ich habe keine Abwehr. Übrigens: ich befinde mich in altem Wohngebiet von mir. Glücklich – unglückliche Zeit? Die Frage stellt sich nicht. An den Park hier in der Nähe, wie der früher ausgesehen hat, kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Übrigens: ich warte wieder einmal auf einen Termin.

Gehöre ich hierher? Nein. Irgendwo anders? Nein. Ich bin nur Gast auf Erden. Manche Gesichter animieren mich, sie heimlich anzuschauen. Manchmal wird das bemerkt. Würde ich zur Rede gestellt werden, ich könnte es nicht erklären. Ich weiß selbst nicht wieso, irgendeine vage Erinnerung? Aus von früher? Vielleicht aus vor meiner Zeit?




(11.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3198 Die leeren Seiten





Ich bin zwischen Standard und Falter hin und her geschaukelt, aber schon habe ich beide auf den Zeitschriftenplatz auf dem Fensterbrett abgelegt und mich den leeren Seiten gewidmet. Meine Brillen stören mich beim Herumschauen, aber ohne sie kann ich nichts lesen und nichts schreiben. Die Musik hat orientalischen Touch. Die heiße Schokolade ist mir auch kalt geworden viel zu süß. Ich habe noch keine brauchbare Alternative zum Kaffee gefunden, aber alle körperlichen und seelischen Folgen meines Kaffeentzugs sprechen für die Kaffeeabstinenz. Jetzt nehme ich doch die Brillen ab und reibe meine juckenden, tränenden Augen. Ach ja! Und ich weine wieder bei manchen Songs von The Smiths (gestern Nacht). Das nur der Vollständigkeit halber („voll“ – „halb“ – der amüsierte Innere Sprachspieler).




(11.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3197 Die Uhrzeit

 



10:24 a.m. Ich glaube, es ist schon ein Zwang, die Uhrzeit hinzuschreiben. Ich werde mich aber davon nicht vom Schreiben abhalten lassen. Auch nicht von der Vorstellung, dass ich mein unbedeutendes Leben literarisiere, schließlich ist jedes Leben ein Leben auf Leben und Tod.

Der Uhustick, der im Regal steht, steht heute so aufrecht, aufrichtig und schön in seinem leuchtenden Gelb mit der schwarzen Schrift und der weißen Basis und dem weißen Schraubverschluß. Am Sonnenfleck an der Hauswand im Lichtschacht, den ich hier vom Bett aus sehen kann, erkenne ich, dass die Sonne ein wenig verschleiert ist. Übrigens: wenn mich der Geist inspirierte, würde ich auch anders schreiben, aber geschrieben werden muß! Sonst müßte ich mich gleich aufgeben, oder? Oder? Ich schreib ums Überleben (Jetzt übertreibt er wieder! Er schreibt ums Überleben seiner Aufgeblasenheit! Der Innere Kritiker).




(11.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 8. Mai 2023

3196 Das Recht auf Baustellenlärm

 



Das Recht auf Baustellenlärm muß ergänzt werden mit dem Recht auf Rasenmäherlärm. Eben sitze ich im Park und darf einer Symphonie diverser Rasenmäher lauschen. Handrasenmähern und kleinen Mähtraktoren. Keine Idylle ohne Rasenmäher! So lautet meine Forderung. Eine erhabene Symphonie ist das, von Wagnerischem Pathos – gut, ich sitze ja auch hinter der gschissenen Votivkirchn aus dem gschissenen 19. Jahrhundert – tranceig – will sagen: mit Traumata und Drogen kompatibel – den ganzen Verkehrslärm umfangend, dem dieser Rasenmäherlärm Sinn, Richtung, Haltung, Form und Gestalt gibt. Ein prophylaktisches Kunstwerk.

Plötzliches Innehalten. Nur der Rasentraktor hält seinen Ton – wenn auch stark heruntergefahren – aufrecht („aufrecht!“ Aber „… hält an“ kann ich ja nicht schreiben, wenn ich sagen will, er stoppt seinen Ton nicht, sondern führt ihn weiter aus). Dann setzt die polyphone Monotonsymphonie wieder ein. Ach ja! Vögel zwitschern auch und der Traktor wirbel Staub auf. Die Straßenbahnen dort drüben – eine nach der anderen – an und für sich als Lärmer auch nicht von schlechten Eltern – hört man hier gar nicht. Autos können sich hier überhaupt nicht gut durchsetzen – Tut mir leid, tüchtige Autofahrer. Das habe ich bisher ganz überhört: von rechts kommt klassischer Baustellenlärm: es tuscht und scheppert, quietscht und brummt. Wieder stoppt der kleine Rasentraktor. Nur ein paar Handrasenmäher und Motorsensen winseln noch in hohen Tönen weiter. Die Symphonie droht auseinanderzufallen. Dafür kann ich jetzt das Baustellenorchester besser hören. Es übernimmt zunehmend Melodieführung und Rhythmus. Oh! Es ist Zeit, den Ort zu wechseln. Auf in die Psychotherapie!




(8.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com




3195 Nur zwei Beispiele

 



9:40 a.m. Was mache ich mit dem angebrochenen Tag? Ich hocke im Bett und streichle die Katze. Und dann? Schreiben? Zuerst suche ich hier im Zimmer optische Täuschungen. Wie zum Beispiel die, wo ich aus dem Trinkglas, das dort am Schreibtisch steht, dem Zwischenraum zwischen dem Glas und seinem Henkel und aus dem Rot des dahinter im Bücherregal stehenden Buchrückens einen eigenen Gegenstand kreiere, eine Art Glasampulle für eine rote Flüssigkeit, die am Trinkglas klebt. Oder indem ich aus den dunklen Zwischenräumen, die entstehen, wenn über einer Reihe von Büchern, in deren Mitte ein kleineres steht, noch Bücher quergelegt sind, durch Anstarren vergrößert finstere Höhleneingänge mache, die in verborgene Welten führen könnten. Das nur als Beispiele.




(8.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3194 Mir soll es recht sein

 



7:11 a.m. Morgen ist Morgen. Die Entlüftung im Lichtschacht rauscht; unten werden die Räume für die Tageskinder hergerichtet. Für mich ist noch nicht Tagesbeginn, ich brauche noch Schlaf. „Shadows Collide with People“ (John Frusciante). Ich lockere meine linke Hand, die verkrampft das Notizbuch hält. Sie scheint sich jedoch dagegen zu wehren. Wieder startet die Entlüftung. Verzeihung, dass ich das Ende ihrer Tätigkeit vorhin nicht notiert habe. Jetzt geht ihr Rauschen zurück, läuft noch auf Sparflamme – sozusagen – und leise und vielleicht hat sie ihre Arbeit schon beendet. Nein, sie fährt wieder hoch und rauscht wieder laut und deutlich, wird wieder leiser, dreht wieder auf – ich versteh diese Anlage und ihre Logik da im Lichtschacht nicht – fährt wieder runter – und könnte jetzt aufgehört haben, aber so eindeutig höre ich das nicht, denn mein Surren in den Ohren übertönt nun sämtliche Geräusche. Ich weiß nicht einmal, zu welcher Wohnung das Gerät gehört. Mir kommt vor, als hörte ich es noch ganz leise weitertun, aber sicher bin ich mir nicht. Ich selber beginne wieder in den Schlaf zu versinken; mir soll es recht sein.




(8.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3193 Das war’s

 



1:40 a.m. Ein wenig durcheinander, fast verstört habe ich das Buch weggelegt. Nun kommt die Müdigkeit zum Vorschein. Ich gähne und atme. Ich versuche, mich in meinem Zimmer und den Bücherstapeln zurechtzufinden. Habe ich den Pavese da schon gelesen? Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Die Helligkeit der Leselampe erzeugt im Zimmer Dunkelheit. Wieder und wieder muß ich gähnen. Ich lege mich zum Schlafen. Das war’s.




(8.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 4. Mai 2023

3192 Hundert Jahre

 



Heute wäre mein Vater hundert Jahre alt geworden. Er geht mir nicht ab, wie ich es öfters auf ihre Väter oder Mütter bezogen zum Beispiel von Friends auf Facebook lese. Überhaupt nicht. Im Gegenteil: erst als meine Eltern (und Döbereiner) gestorben waren, konnte ich mit meinem Schreiben richtig beginnen und es zur Entfaltung bringen. Ich kann und will nicht leugnen, dass ich manchmal Menschen – trotz meiner immensen Skepsis gegenüber solchen Aussagen – ein wenig beneide, wenn sie ihr gutes und inniges Verhältnis zu ihren Eltern schildern und sagen, dass sie ihnen nach deren Tod abgehen und dass sie die Gespräche mit ihnen vermissen und ihre beiden gemeinsame selbstverständliche und bestärkende Anwesenheit. Ein solches Empfinden ist für mich völlig unvorstellbar. Ich glaube, ich habe mich bis zu seinem Tod vor meinem Vater gefürchtet. Zumindest habe ich mich so verhalten: geduckt, mich permanent zurücknehmend. Ein Gefühl, dass mir etwas zusteht, dass ich selbstverständlich bin, finde ich in mir nicht. Ich muß es immer erst aufwendig und kompliziert über Theorien, Menschenrechte und Sätze – wie zum Beispiel: niemand ist illegal – herstellen und bricht schnell wieder zusammen.

Nein, du fehlst mir nicht. Wo immer du bist: bleib dort! Kehrt niemals hierher zurück! Alle drei!




(4.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 3. Mai 2023

3191 Laaer Wald

 



So eine weitläufige Landschaft wie am Laaer Berg überwältigt mich immer: Wiesen, lockere Baumgruppen, erdige, schottrige, mäandernde Wege, die Wolken am weitgespannten Himmel über mir, jetzt ein anständiger Wind: es sind wohl die Hoffnungen und Illusionen meiner Jugend, die da aufgerufen werden. Der Wind kippt sogar meine abgestellten Rucksack, sodass er hin und her schaukelt. Und ich liebe diese Weite; der Ausblick ist unglaublich. Ich photographiere.

Und in den Böhmischen Prater gefallen. Normalerweise mag ich solche Orte mit dieser verzerrten und entarteten Ästhetik nicht; aber was ist schon normal. Bauernschmaus? (Urlaubsgeld!) Wenn ich die Hände auf den Wirtshaustisch lege, picken die Fingerkuppen an. Ich aber, mit meinem karierten Hemd, dem die Knopfleiste am Bauch aufplatzt, passe nach meinem aktuellen Empfinden schon noch da her; sogar trotz Zopferlfrisur. Die in dezenter Lautstärke gehaltene Musik aus den Boxen könnte aus meiner Jugendzeit sein – nicht unbedingt das, was ich damals bevorzugt habe, aber was ständig und überall zu hören war. Eine regelrechte Zeitreise in meine Gymnasialzeit. Aber ab zwanzig Euro Konsumation kann man hier mit Karte zahlen; das sind die neuen Zeiten – eingebremst. Ich bin vom alkoholfreien Gösserbier schon betrunken. Soll ich auch mein Kaffeefasten brechen? (obwohl das ein Mittagessen und kein Breakfast ist?) Wer weiß?! Die Mamas und die Papas haben heute noch Montag (gut, vorgestern war noch Feiertag). Übrigens singt doch wer anderer – kommt mir vor.

Topfenstrudel und Hauskaffee. Aber jetzt reicht’s. Wirklich: die Musik wie aus meiner Gymnasialzeit (das ist die nackte Zeit). Jetzt heißt es weitergehen. Ich zahle. Von innen betrachtet bin ich ein unsicherer Paria, der glücklich ist, wenn er nicht auffliegt und verjagt wird; von außen gesehen kann ich manchmal - wenn der Wind günstig steht - als ein souveräner, gütiger, kulanter, freundlicher Sir erscheinen; trotz komischer Kleidung, ein Botschafter einer anderen Welt; das scheint meine „priesterliche“ Begabung zu sein und die schräge Kleidung ist das Training dafür, dass ich trotz meiner Angst von hochmütig und arrogant bis wissend dreinschauen kann; und wenn ich dann freundlich rede, ist das die halbe Miete. Aber nur, wenn der Kontakt nicht zu lange stattfindet, denn sonst würden sie merken, dass man mich immer übervorteilen kann. Für ein paar Sekunden, als ich das Gasthaus verlasse, habe ich Bewegung und Körpersprache wie Aldous Harding bei ihren neueren Konzerten hinbekommen.

Jetzt weiß ich nicht mehr, wo genau ich bin, aber vor einem herrlichen Ausblick - ich schätze: nach Nordosten. Ich probiere, hier ein wenig ruhig zu werden. Es ist jedoch der Wind, der mich immer ein wenig aufwühlt. Das Getreidefeld vor mir kann ich nicht identifizieren, will sagen: ich kann nicht erkennen, was angebaut wird. Von heroben und aus dieser Entfernung haben der Arbeitsfleiß und die Tüchtigkeit der Stadt etwas Bewundernswertes, inklusive Hochbauten und Verkehrsadern; auch wenn ich damit nichts zu tun habe. Der Wolkenhimmel über mir, die selige Schwermut in mir: ich möchte nicht tauschen. Der Wind treibt mich weiter, nicht weil ich vor ihm flüchten will, sondern weil er mir zuflüstert „geh weiter!“.

Ich bin nun wieder innerhalb des Erholungsgebietes Laaer Wald und habe mich im dichten Wald und Buschwerk verirrt. Ich suche einen Ausgang und finde ihn nicht. Das Gelände ist eingezäunt und es gibt nur wenige offene Tore. Ich kämpfe mich durch Dornengebüsch und stolpere über die steilen Uferhänge des Blauen Teichs. Wege zeichnen sich deutlich ab und verschwinden wieder. Fast gerate ich in leichte Panik – wofür ich mich – mitten in der Zivilisation – schäme und stelle auch eine leichte Höhenangst fest. Unglaublich! Wie kann es das geben! Ich kämpfe mich - weil mir nichts anderes übrig bleibt – den mühsamen Weg zurück und finde endlich ein Tor nach Westen. Kann ich das als Abenteuer durchgehen lassen? Ernsthaft? Wohl nicht.




(3.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3190 Ich bin bereit

 



8:17 a.m. Nur langsam schäle ich mich aus dem strangen (strëinschen) Traumkostüm. Es ist ein schöner, guter Morgen: ich habe in großer Ruhe die Augen aufgeschlagen, einfach so. Niemand und nichts hat mich aus dem Schlaf gerissen, alles ist sanft von innen gekommen; die erste Begegnung mit dieser Welt da war nicht traumatisch – und drüben bei den Träumen war es sehr befremdlich, aber nicht albtraumhaft. Optisch beeindruckt mich momentan sehr das überladene Bücherregal; eine bunte, schöne, hohe Mauer, die mir Schutz bietet und mich mit Stolz erfüllt. Ob zu Recht sei dahingestellt. Draußen am Gang schlägt eine Tür zu. Ich verspüre eine sanfte Sehnsucht nach der Welt draußen, aber ich ruhe noch ein wenig, sammle meine Kraft und Leidenschaft und atme tief. Ich nicke noch ein wenig ein, dann bin ich bereit. Ganz gespannt auf die Abenteuer, die mich erwarten.




(3.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 2. Mai 2023

3189 Müll

 



„Meine liebe Frau“, sagte der Mann, „hast du mitbekommen, dass ich heute sowohl den Restmüll, den Plastik/Metallmüll, das Altpapier als auch den Biomüll auf meinem Weg in die Therapie entsorgt habe?! Ich habe alles auf meinem Weg in die Therapie mit hinunter und sogar einen Umweg in Kauf genommen! Rest- und Papiermüll habe ich im Hof in die richtigen Container geworfen – nicht ohne darauf geachtet zu haben, dass die Deckeln der jeweiligen Tonnen nicht laut beim Zufallen aufknallen – habe dann den Plastik/Metallmüll und den Biomüll in seinem kompostierbaren Beutel, der zum Transport in einem Papiersack steckt – um eventuelles Aussafteln aufzufangen – wenn der allerdings schon zu lange im Papiersack gelagert hat, weicht er denselben auf und bricht dann durch – also dann habe ich das alles in die jetzt leere Ikeatasche, die bei uns als Papierabfallbehälter dient, gegeben und bin damit die Malzgasse rauf bis zu den Containern in der Leopoldsgasse, habe zuerst den Biomüll aus dem Papiersack genommen und in die Biotonne fallen lassen, dann den Plastik/Metallmüll in den Sammelbehälter. Den leeren Papiersack vom Biomüll und die leere Ikeatasche, die bei uns als Altpapiersack verwendet wird, habe ich in den Rucksack gestopft, in den Rucksack, in dem sich unter anderem mein Notizbuch und die Stifte aufhalten, die nicht beschädigt oder bekleckert werden dürfen, und bin damit über die Leopoldsgasse in die Untere Augartenstraße gewandert und diese dann weit, weit, weit hinunter bis zu Donaukanal marschiert – alles zu Fuß! - Richtung Therapie – wie schon gesagt: die Müllaktion hat mir ja einen Umweg eingebrockt – bin dann beim Donaukanal rechts abgebogen bis zur Roßauerbrücke – hier habe ich eine kurze Unterbrechung eingelegt und bin hinunter zum Ufer gestiegen, um meinen klandestinen Garten zu begutachten – bin dann über die Brücke zum anderen Ufer – nicht ohne exakt in deren Mitte innegehalten und eine kurze, aber innige Andacht für die Donau, die Sonne, den Wind und die ganze Erde gehalten zu haben – was ich hier immer mache – dann bin ich nach rechts und dann links in die Berggasse eingebogen und hinauf gegangen – an Freud (und Leid) vorbei – über die Kreuzung Währingerstraße in die Schwarzspanierstraße, von dort in die Garnisongasse zum Antiquariat Klabund – wo ich einen Ein-Euro-Krimi erstanden habe – immer noch die leere Ikeatasche, die bei uns als Papierbehälter genutzt wird, und den leeren Papiersack im Rucksack, die ich dann in der Therapie therapeutisch und energetisch aufgeladen habe und – im Rucksack nach der Stunde diesmal via Straßen- und U-Bahn nach Hause getragen und die Ikeatasche, die bei uns als Papierbehälter dient, an ihrem Platz aufgehängt und den leeren Papiersack in die Truhe unter der Sitzbank im Vorzimmer, wo alle unsere Papier- und Plastiksackerln lagern, gesteckt habe. Was sagst jetzt!?!“

„Tüchtig!“, sagte die Frau.




(2.5.2023)

©Peter Alois Rumpf Mai 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

3188 „Old Peel“

 



9:45 a.m. „Old Peel“ von Aldous Harding rhythmisiert mein Aufwachen von innen her. Mein Blick verliert sich in einem durch die weißen Ränder zweier Kunstkarten am Bücherregal betonten Spalt zwischen denselben. Ein schmaler, weißer Buchrücken leuchtet daraus hervor. Ich starre dorthin und ich werde immer aufgeregter und diese Stelle wird immer bedeutsamer und die Dunkelheit zwischen den drei weißen Streifen immer geheimnisvoller. Sesam öffne dich. Reality Check: nein, ich träume nicht; ich kann noch alles lesen. Die Katze kommt herein und die Geheimnisvolligkeit beginnt sich zu verlieren. Madame Mi-Tsi mein Realitätscoach. Was Frau Katz will, verstehe ich nicht eindeutig. Hat sie mir ins Vorzimmer so ein dunkelbraunes Geschenk gelegt und ich soll es jetzt aufklauben? Ich rieche nichts dergleichen. Also doch schmusen. Sie springt erst nach langem Zögern herauf. Nach ein paar Minuten geht sie wieder. Ich nehme mein Gaffen auf die Spalte wieder auf. Ist da ein Sprung in der Welt? Ein kleiner Riss? Welches Büchlein leuchtet da überhaupt aus dem Spalt hervor? „Nimm und lies!“ sagt mir eine innere Stimme; aber ich vermute, das ist nicht die Stimme meines inneren Sehers, sondern die meiner angelesenen Bildung und das Muttersöhnchen Augustinus mag ich einfach nicht. Das Realitätsprinzip wird stärker und meldet sich via Hungergefühl und dem Gedanken ans Frühstück. Eines mache ich noch: ich schaue, welches Büchlein im Spalt hervorleuchtet: Graciela Corvalán, „Der Weg der Tolteken“. Ich lag mit meiner Vermutung richtig. Ich werde es mir hervorholen und wieder einmal lesen.




(2.5.2023)

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3187 Scharf

 



1:13 a.m. Ein scharfes Licht ist im Zimmer und eine scharfe Dunkelheit. Mein Surren in den Ohren ist scharf und die Konturen von allem hier sind es auch. Manche Gegenstände neigen sich gefährlich zum Kippunkt, manche glatte Oberflächen senden das scharfe Licht zurück in meine Richtung. Die frankophone Schweizerin ist ergraut, auf der Haut. Die arrogante Frau vom Katz kann mich als das Bild an der Wand nicht mehr einschüchtern. Mein Surren ist mehrstimmig und strahlt auch nach außen ins Zimmer (ich kann mir nicht vorstellen, dass das niemand außer mir hört). Das Zimmer ist voll davon. Ich werde unruhig: soll ich denn nicht besser schlafen? Ja? Irgendetwas Unsichtbares - ich kann es nicht erkennen - ist ganz, ganz anwesend im Zimmer. Kein lebendiges Wesen, glaube ich, eher etwas wie Energie; gut oder schlecht – keine Ahnung.




(2.5.2023)

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Montag, 1. Mai 2023

3186 Auch interessant

 



Auch interessant: Gestern habe ich am Laptop das Cupfinale Rapid Wien gegen Sturm Graz geschaut. Ich war vorher schon so aufgeregt und fürchtete mich ernsthaft davor, dass Sturm verliert und ich dann unglücklich und irre grantig sein werde. Fast wäre ich mit meiner Frau ins Kino gegangen und hätte das Spiel sausen gelassen. Und als das Spiel begonnen hat, habe ich am ganzen Körper gezittert, richtig gezittert. Das hat mich erstaunt und amüsiert, denn im Grunde bin ich überhaupt kein Fußballfanatiker. Ich wundere mich, woher das kommt. Jetzt versteh ich auch, warum meine Mutter bei der Fernsehübertragung eines Fußballspiels einen Herzinfarkt bekommen hat (und nach dem Aufwachen im Krankenhaus als erstes gefragt hat, wie das Spiel ausgegangen ist). Trotzdem: für mich kommt mir diese Aufregung fremd vor. Ich dachte, das wäre meine kontrollierte Torheit. Aber anscheinend ist es unkontrollierte Torheit. „Tor! Tor! Tor!“ habe ich bei beiden Treffern von Sturm geschrien. Der eine Nachbar könnte eh ein Steirer sein.

Und jetzt schreibe ich mit grünem Stift auf weißem Papier, sitze im Augarten und blicke unter die Bäume durch weit über die grünen Wiesen; der Wind schaukelt die Bäume und spielt uns ein Schattenballett. Ein ganze Partie meist junger katholischer Nonnen wandert hinter der Baumreihe links vorbei; ich tippe auf einen der neueren Orden – die gehen auch heraus zum ersten Mai? Radfahrer, Fußgänger, Kinderwagen und Hunde erwarte ich hier als die üblichen Passanten.

Ich hebe den Kopf und gaffe den Bäumen ins Geäst, das tüchtig mit dem Wind tanzt. Die Knopfleiste meines bunten, roten Hemdes platzt zwischen den Knöpfen auf – dabei sagt meine Frau, ich wäre schlanker geworden. Aber gut, sie war gestern im Kino und hat sich „The Whale“ angeschaut. Gottseidank habe ich mir unter das Hemd ein oranges T-Shirt (mit der Aufschrift „Ich bin im Ausland“) angezogen, sodass die offenen Stellen schön aufleuchten. Alles ist relativ.

Am Heimweg habe ich gesehen: die Nonnen machen ein Picknick.




(1.5.2023)

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3185 Der erste Mai

 



Ich liege im Bett und döse vor mich hin. Dabei spiele ich vor meinem inneren Auge Mahjong. Der Vorteil dabei: ich kann jederzeit einen passenden Stein dazu denken; der Nachteil: es fällt mir schwer, mir die gesamte Konstellation der Steine zu merken, aber … egal ... siehe Vorteil.

Wie ich also daliege und immer wieder in traumartige Zustände kippe, ohne jedoch die reale Welt völlig zu verlieren, höre ich ferne, undeutliche Marschmusik. „Ah!“ denke ich, „die Sozialdemokratie ist herausgekommen zum ersten Mai und bläst sich den Marsch!“ Mit Marschmusik habe ich es nicht so, aber das Stück hier hat einen interessanten Rhythmus und eine interessante Struktur: es geht einige Sekunden oder Minuten flott dahin, dann kommt eine kurze Generalpause, dann geht es wieder weiter. „Interessant!“ denke ich mir, “eine aufgelockerte Variante! Die marschieren ein Stück, dann stoppen sie, dann nimmt die Musik einen neuen Anlauf und treibt die Herde wieder weiter.“ Vor meinem inneren Auge sehe ich die mittelgroße Schar zuerst marschieren, dann stehenbleiben und in die Luft hüpfen, dann wieder weitermarschieren. Das wirkt frischer, lustiger, weniger bierernst. Nicht ohne Sympathie und Wohlgefallen höre ich dieser fernen, undeutlichen musikalischen Performance zu und betrachte mit meinem inneren Auge die roten Horden hüpfend und lachend in beschwingtem Ton auf den Rathausplatz zustreben. Doch allmählich kommen mir Zweifel. Zwar kenne ich den Zeitplan der roten Liturgie nicht, aber es könnte für den Marsch zum Rathaus schon etwas spät sein. Angestrengt und konzentriert horche ich auf diese ungewöhnliche Marschmusik und langsam kommt mir der Verdacht, es handelt sich bei diesen Geräuschen um die der Waschmaschine der Nachbarn nebenan im oberen Stock. Auch da bin ich mir nicht sicher; eine Zeitlang switcht mein Bewußtsein zwischen Waschmaschine und Maiaufmarsch hin und her, ohne sich wirklich entscheiden zu können. Bis dann das Geräusch aufgehört hat. Entweder ist jetzt die Wäsche fertig oder die fröhliche Kompanie hat den Rathausplatz erreicht.

Ja und am 29.4. hatte ich mir noch als Überschrift „Das Recht auf Baustellenlärm“ notiert, ohne dass mir dazu eine Geschichte eingefallen ist.




(1.5.2023)

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