Montag, 9. Dezember 2013

80 Das Dogma der Unfehlbarkeit


Jetzt habe ich wieder einmal schmerzlich miterleben dürfen, wie jungen Mädchen von einem „kritischen“ Intellektuellen ihre religiösen Gefühle sehr verletzt wurden. Re-ligare – zurückbinden an das, wo wir herkommen, nämlich an die Unendlichkeit. Oder castanedrisch ausgedrückt: Verbindung zum Unendlichen, Bindeglied zur Absicht.
Ein „kritischer“, aufgeklärter junger Mann zieht in Anwesenheit der zwei ihn bewundernden jungen Mädchen über die katholische Kirche her – das ist wirklich keine große Kunst, erstens liefert die Kirche genügend Stoff und zweitens traut sich das heute jeder Windlbrunzer – während das eine junge Mädchen – sie hat gerade mit dem Firmunterricht begonnen – ihr Verhältnis zu all dem erst herausfinden will. Das halten diese Typen nicht aus, sie können die anderen nicht in Ruhe lassen und haben einen Missionseifer und -zwang, der in Respektlosigkeit und Kaltblütigkeit den katholischen weit in den Schatten stellt.
Kritisch immer gegen die anderen, nie gegen sich selbst! Die päpstliche Unfehlbarkeitsanmaßung ist wenigstens beschränkt und begrenzt auf ganz bestimmte Lehräußerungen in ganz bestimmten Situationen; diese Intellektuellen aber sitzen permanent auf dem Thron der Unfehlbarkeit und maßen sich an, von dort ständig alles be- und verurteilen zu können, zu verdammen und zu zerstören. Diese Unfehlbarkeit macht nie Pause; diese kritischen Aufgeklärten brauchen nie verständnisvoll sein und kommen nie auf die Idee, daß ihr Horizont äußerst beschränkt sein könnte; nicht eine Sekunde der Gedanke, daß sie von anderen außerhalb ihrer intellektuellen Glaubensgemeinschaft auch nur irgendetwas lernen könnten. Als er merkt, daß das Mädchen weint – es ist eingeschüchtert und traut sich fast nicht mehr sagen, daß es für sie jetzt Zeit ist, in den Firmunterricht zu gehen - entschuldigt er sich sinngemäß (nicht wörtlich) mit „manchmal vergesse ich, wie jung ihr seid“ - aber gerade da kommt wieder der intellektuelle Hochmut zum Vorschein, denn übersetzt heißt das: „Ach! Ihr seid ja noch ein bißchen jung und dumm, aber wenn ihr größer seid, werdet ihr auch so denken wie wir, denn wir haben die einzig wahre Religion.“ Wieder kein Gedanke, daß er auch unrecht haben könnte – er hat sich nur taktisch ein bißchen ungeschickt verhalten. Weit und breit keine geistige Redlichkeit. Diese Ideologie beansprucht für sich, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben – auch wenn sie das Gegenteil behauptet – im Vergleich dazu ist der katholische Wahrheitsanspruch viel vorsichtiger, umsichtiger formuliert; er anerkennt auch Wahrheit in anderen Religionen und Philosophien. Und dort, wo er das Ankommen des Absoluten im Irdischen behauptet, ist er sich viel mehr bewußt, wie ungeheuerlich und gewagt diese Behauptung ist. Man vergleiche dazu Folgendes: Wenn eine Kirche geweiht wird, wo ja gesagt wird, daß Gott dann dort anwesend ist, und somit, daß das Absolute hier an diesem Ort, in dieser Zeit anwesend ist, so liest sie immer einen Text vor, in dem Gott dem alttestamentarischen Tempelbauer sagt (sinngemäß, nicht wörtlich): „Was glaubst du eigentlich, du Würschtl!, daß du mir eine Wohnung bauen kannst? Ich bin überall und wo ich will!“ Also in dem Moment, wo das Ankommen des Absoluten an einem konkreten irdischen Punkt (oder in einer konkreten Aussage) behauptet wird, wird gleich der Text vorgelesen, der dies radikal in Frage stellt. Gleich als Warnung. Zu solcher Subtilität scheint mir die rationalistische Glaubensgemeinschaft nicht fähig.
Da hat Wolfgang Döbereiner wirklich recht: das Intellektuelle ist die steckengebliebene Aggression, man tut neutral und sachlich, dahinter verbirgt sich Destruktivität und Hass.
[Anmerkung zu Döbereiner: Mit ihm habe ich eigentlich gebrochen. Ich war vor langer Zeit bei ihm in der Beratung und nach diesem Crash, der sich ganz still vollzogen hat, brauchte ich zwanzig Jahre, um allmählich wieder selber denken und fühlen zu können und dem zu vertrauen, was ich liebe. Für mich ist Döbereiner ein aufgeblasener Egomane voll Hass. Aber!: wo er recht hat, hat er recht; was „Intellekt“ im Gegensatz zu „Geist“ bedeutet, das habe ich von ihm gelernt, und einiges mehr, und daß ich Texte schreibe, das geht auch auf ihn zurück.]
Und dann so Argumente, daß sich wegen dem Papst Aids verbreitet: den promiskuitiven Herumvögler möchte ich sehen, der sich wegen dem Papst keine Kondome verwenden traut!
Überhaupt diese aufgeklärte Anmaßung, daß alle Menschen, Kulturen und Völker vor uns und neben uns zurückgebliebene Idioten sind, stinkt schon zum Himmel, weil da die eigene erbärmliche Existenz zum einzig wahren Maßstab für alles gemacht wird. Wie sagt Don Juan Matus zu Carlos Castaneda? „Der moderne Mensch habe das Reich des Unbekannten und Geheimnisvollen verlassen und sich im Reich des Funktionalen häuslich eingerichtet. Er habe der Welt der dunklen Ahnungen und der jubelnden Freude den Rücken gekehrt und sich der Welt der Langeweile zugewandt.“ (C.Castaneda, Das Feuer von innen; Seite 149). Darum müssen sie sich auch ständig mit irgendwelchen Medien ablenken, damit ihnen ihre innere Leere und Langeweile nicht bewußt wird.
Wir sind umgeben von Unendlichkeit und Wundern. Es ist eine Kastration des Geistes, die diesen Intellekt hervorbringt, der sich dann nur in seiner Selbstbespiegelung suhlen kann (siehe C. Castaneda). Darum kann er auch nichts aushalten, was über ihn hinausweist – er muß es zerstören (bei Döbereiner nachzulesen).
Es ist schmerzlich anzuschauen, wie in der Seele eines jungen Mädchens, das empfindsam und rücksichtsvoll ist – es würde nicht so leicht etwas äußern, das jemanden verletzen könnte – wie in einer solche Seele, die sich gerade ganz empfänglich und rein und vorsichtig der Welt draußen zu öffnen beginnt, wie da so ein intellektueller Unfehlbarkeitsterrorist herzlos herumtrampelt! Das Mädchen hat dann viel geweint. Liberté, Egalité, Brutalité – (ich glaube, dies stammt von Grillparzer).
Und diese Bombardement geht ja weiter: in der Schule, in den Medien und und und.
Soweit es mich betrifft: ich bin ja selber vor 40 Jahren in dieser Intellektuellen-Suppe geschwommen, wie man ja auch an diesem Text und anderen Texten hier und ihren Suppenflecken leicht erkennen kann; also wenn mir das jetzt um die Ohren geknallt wird, geschieht's mir schon recht. (Aber nicht den Mädchen!)

Drei Tage später. Warum dieser Zorn? Ich hatte mir ja vorgenommen, keine Polemiken mehr zu schreiben, keine verächtlich-machende Vokabel zu benutzen, sondern nur mehr Texte aus der inneren Stille heraus zu schreiben, oder zumindest in einem Zustand, der dieser nahe kommt, wo es nicht mehr notwendig ist, umher- oder zurückschlagen? Hat sich meine in Kindheit und Jugend diesbezüglich traumatisierte Seele Luft verschaffen müssen und für sich endlich den Anspruch auf Zugang zum Unendlichen – das natürliche Erbe des Menschen - behaupten trauen? Mußte sie endlich einmal aussprechen, welchem meistens neutral, „vernünftig“ und rational daherkommenden Hass sie ausgesetzt war? Diese Sache hat mich ja so aufgeregt, daß ich eine ganze Nacht nicht schlafen konnte und auch am folgenden Tag, als ich mich erschöpft hinlegte, war an Schlafen nicht zu denken. Erst nachdem ich obigen Text geschrieben hatte, konnte ich mich entspannen. Beim Rekapitulieren bin ich in letzter Zeit immer wieder auf solche Szenen meiner Kindheit und Jugend gestoßen und die haben anscheinend meine Seele sehr aufgewühlt. Der junge Mann und das Mädchen haben sich inzwischen ausgesprochen und anscheinend tut es ihm wirklich leid, daß er sie verletzt hat. Ob er wirklich begriffen hat, was er getan hat? Wird er beginnen, seine Ideologie in Frage zu stellen? Muß ich mir sagen, daß ich mich in meiner Polemik auf das gleiche Niveau begeben habe? (vgl. Auch Text Nr.62 hier in der Schublade). Also genauso ideologisch-absolutistisch herumgewütet habe? (Und das nicht nur in diesem Text). Jedenfalls habe ich dabei mehr meine eigene Sache abgehandelt als die des Mädchen und jedenfalls habe ich noch viel zu rekapitulieren, um den ganzen Mist wegzubekommen.

©Peter Rumpf 2013 peter_rumpf_at@yahoo.de