Mittwoch, 21. November 2018

1173 Mein Bewußtseinskübel


Die Bilder durch die Lesebrille, die alles verschwommen macht, betrachtet: Wow! Die Bilder wirken so präzise! Und überraschend und glaubwürdig. Wie in erhöhter Mission.

In meinem linken Nasenloch gibt es eine flüssige Bewegung. Die elektrische Zahnbürste erschreckt mich. Die Müdigkeit der Mutter macht dem Kind die Rutsche in die Notenbank. Jetzt schon übersteigert. Ohne Brillen wirken die Bilder höflicher. Jetzt bin ich schon bei fünf Dankes. Meine Frau sagt, daß sie deppert ist, aber nicht zu mir. Die Frauen kommen – heißt es – alle in die UPA rüber. Hier wären mehr und mehr Platz wäre auch. Es läutet laut. Nachdem sich aber die Katze deswegen nicht bewegt, muß es in meinem Inneren geläutet haben. Jedenfalls bin ich hochgeschreckt.


Ich komme vor Mittag nicht mehr aus dem Bett. Damit verliere ich viel Arbeitszeit. Alle Vereinbarungen, die ich treffe, habe ich nach spätestens zehn Minuten vergessen. Als hätte mein Bewußtseinskübel keinen Boden und alles fällt durch und versinkt in einem Meer voller zerfallenen Erinnerungs- und Traumfetzen, die nichts mehr von ihrer Zusammengehörigkeit und nichts mehr von ihrem wann/wo/wer/wie wissen.

Ich werde nach einer Zeitung greifen, damit ich mich wieder ärgern kann.

Hat funktioniert – ich bin wieder kompakter.









(20.11.2018)












©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1172 Zotdertatterte


„Zotdertatterte“ ist das Wort, das ich als Trophäe von meiner Reise ins Traumland mitgebracht habe. Bedeuten tut es in etwa Menschen, die durch grobe und obszöne Beschimpfungen irritiert sind. Denn dort habe ich ordentlich losgelegt – so Bürokraten (männlich!) gegenüber.

Das war überhaupt eine erfolgreiche Traumnacht, denn im Traum vorher bin ich luzid geworden; das heißt, mir wurde im Laufe des Traumes bewußt, daß ich träume. Auch wenn ich dann damit nichts Rechtes anzufangen wußte – obwohl: so unlustig war es gar nicht (wenn es in einem seriösen Text erlaubt wäre, würde ich da jetzt ein Zwinkeremoji einfügen – so aber nur den Hinweis: Frauen! Grins! Zwinker! Blödgesicht!).

Das Ganze zurückspulen, besser machen und seriöser träumen? Wir werden sehen.

Der Schüssel will kommen, aber ich mache vor seiner Nase die Wohnungstür zu. Die Russen spielen auch irgendwie mit.
Mir gehört nur diese kleine Abteilung im großen Lager. Überall Stacheldraht.
Dann schlafe ich ein. Ich hab wieder Angst.








(19./21.11.2018)











©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1171 In Sievering


Ich finde, das Licht der Sonne geht von links nach rechts, obwohl ich keine Strahlen oder Wellen oder Korpuskel sehe, sondern bloß Lichtflecken. Gut, das ist banal, wenn man sieht, wo die Sonne steht und schließlich nimmt man auch die Schatten wahr. Finde ich.

Nach dieser die Leserin und den Leser vorbereitenden, einstimmenden und einleuchtenden Einleitung gehe ich über zu: man hört die Schnitzel brutzeln , das Geschirr ein wenig scheppern, Schritte, Wasser in Gläser rinnen, irgendein Ticken – von dem ich gar nicht sicher bin, ob es von einer Uhr kommt – ah! könnte auch das Tropfen eines Wasserhahnes sein. Ein zweites Ticken kommt dazu (ich nehme an, Zeitbomben ticken heutzutage nicht mehr). Die zwei Rhythmen werden zu einem mit unterschiedlichen Tonhöhen.

Hier in Sievering gibt es ein paar Spezialitäten: ein Athlet im Frauenkleid aus Papier; einen Corpus Christi ohne Kreuz an der Wand, aber ganzkörperverhüllt; ein – schon nicht mehr so speziell – vollbebildertes Klavier; ein Esel, der zwischen Fauteuil und Thür im Winkerl steht; eine Welt mit für sie zu kleinem Babyschwimmreifen um den Nordpol; ein Aquarium mit Kinderspielzeug, ein Weihnachtsmann, der den Kelch wie der Priester bei der Wandlung hochhebt (so schließt sich der Kreis), auch wenn der Kelch nur ein Kerzenhalter ist; jetzt eine neu eintretende redende und redende Gattin (meine). Darum muß ich jetzt aufhören. Ich sage gnaaadennnloooos die Wahrheit!









(17.11.2018)













©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1170 Ausklopfen


„Trooper … Gary Cooper“ Radio Swiss Jazz. Richtig: Paim. Nun: Baß und Klavier: langsam und elegisch und sanftes, zurückhaltendes Schlagzeug. Ausklopfen des gebrauchten Kaffeepulvers aus dem Filter. Ich habe den Ehrgeiz, das verdrehte rote Bandl meines Notizbuches „auszubügeln“, mit der Hand, so, daß es unverdreht und unverknittert am Tisch liegt. Gelingt nicht. Bei zirka fünfundsiebzig Prozent seiner Länge vom Buch weg dreht es sich immer um. Ich mag nicht mehr nach Hause gehen. Ich mag nicht mehr. Ich mag hier sitzen bleiben, langsam alles vergessen, einsinken in den leeren Raum unter uns und dort herumschweben. Was mich jetzt als Realität umgibt, taucht nur mehr ab und zu als Traumbild auf; als eines von mehreren. Ich weiß dann nicht mehr, wer oder was ich bin und es interessiert mich auch nicht. Ich mag diese Welt nicht mehr; nur die Orte, wo man davonrutschen kann. (das kann natürlich zwei Sekunden später ganz anders sein; ich bin ein windiger Typ.) (In der Szenerie vorher würde ich sicher den „windigen Typen“ auch vergessen oder nicht mehr erkennen oder in der Masse von Typen nicht mehr finden, was mir komplett egal wäre.)

Ich gaffe in die linke Ecke oben am Plafond und merke erst nach sieben Sekunden, wohin ich schaue und weiß auch nicht warum. Ich vermute, ich will mich verlieren und auflösen, diese meine Form macht keinen Spaß. (Könnte ich irgendwo hingehen, wo ich der Erde danken kann, daß sie mir Obdach gibt?)

Die intensiven Drei, die dort drüben sitzen und so engagiert, ernsthaft und fröhlich reden, lenken mich von meiner Melancholie ab; aber überzeugen tun sie mich auch nicht. Die Idee, einfach ziellos herumzugehen. Sofort jedoch sehe ich vor mir, wohin alle Wege, die mir einfallen, hinführen und ich habe keine Lust mehr. Von meinen Wegen führt keiner nach Rom. Oder Los Angeles. Oder Sinabelkirchen. Also kann ich gleich sitzen bleiben. Das Schweizer Saxophon beklagt sich mit fröhlicher Schwermut. Ich mag es auch nicht mehr, daß der Weg das Ziel ist: ich will endlich ankommen. Irgendwohin, wo ich hingehöre, oder mich auflösen. Wenn unterwegs sein, dann nur mehr leicht und schwebend (schon in der Volksschule im Religionsunterricht habe ich als einziger die Seele nicht als Herz, sondern als Feder gezeichnet).

Mir fällt eine Szene bei den Tageskindern ein, die mir auch als Erinnerung ein Lächeln auf meine Maske zaubert: „Nasenbooooaaaahhhh!“ rufen sie mehrmals und lachen, denn sie ahmen das Geräusch einer Bohrmaschine nach. Das Bohrmaschinenspiel mit inbrünstig intonierten Bohrgeräuschen spielen sie schon lange mit ihren selbstgebastelten Legobohrmaschinen. Aber sich so über ihr Nasenbohren lustig zu machen, das ist neu.
Es ist so schön zu sehen, wie sich Kinder entfalten können, wenn man sie läßt.









(15.11.2018)












©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1169 Das Wachsein hält nicht an


Der frühe Morgen ist noch ganz finster, kalt und zugig. Mein Fehlermeldesystem springt an und fragt: hat jemand trotz laufender Heizung ein Fenster offen? Ich beschließe aber, dem nicht nachzugehen. Und doch springe ich auf und schaue nach, ob ich gestern vergessen hatte, das gekippte Fenster zu schließen. Habe ich nicht. Dafür sehe ich einen Stern. Weil der Himmel bewölkt ist und alle anderen Sterne verdeckt sind, weiß ich nicht, wer er ist.

Ich schlüpfe zurück ins warme Bett, dann starre ich in eines der Bilder gegenüber und lasse mich beinah hineinziehen. Doch bald jucken meine Augen und ich muß sie schließen. Meine Zähne klappern leicht in Zeitlupe.

Nein, ich will keine Kochfilme schauen, das interessiert mich nicht.

Eine Krähe, die ruft, weckt mich auf. Aber lange hält das Wachsein nicht an.









(15.11.2018)











©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1168 Mir ist schummrig


Mir ist schummrig, vom Kaffee? Kreislauf? Was ist los? Oder ändern sich meine Augen und die Brillen sind zu stark? Schauder durchzuckt mich. Ich denke daran, daß ich einmal mein Sterben abstoppen konnte und dies zu wissen festigt mich wieder gegen mein inneres Zittern. Das paßt schon so, wie ich kämpfe. Dem Gurkenkönig habe ich auch eine ordentliche verpaßt. Ich darf schon aufrecht und lachend untergehen; ich muß nicht winseln.

Oder Wetterfühligkeit? Mitte November zwanzig Grad. Ich breche meinen Besuch im Espresso ab. Ich brauche frische Luft. Außerdem liegen in der Buchhandlung zwei Bücher für mich abholbereit, die mich drängend interessieren.

Nein, ich bin geblieben und habe meinen Text Nummer 434, den ich ausgedruckt in meinem Rucksack herumtrage, wo er vor sich hin zerknittert, weil ich ihn noch nicht abgelegt habe, aus einem spontanen Impuls heraus zum xten Mal gelesen. Das hat mich außerordentlich gestärkt. Denn der Text ist gut. Gut und ehrlich geschrieben. Gut formuliert. Es ist gut, daß dieser Text in der Welt ist. Mein Leben ist nicht komplett sinnlos.
Tränen steigen auf (innen! innen! - mein Gesicht bleibt starr, ausdruckslos und trocken).

Trotzdem riskier ich keinen zweiten Kaffee und werde jetzt gehen.








(14.11.2018)










©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1167 Ich warne mich vor Größenwahn


Die Angst ist zurückgekehrt. Kurz, aber heftig. Keine Ahnung, in welches schwarze Loch ich da gefallen bin. Viel zu spät aufgewacht. Verwirrt und konfus, meine Sirenen heulen und der Kopf tut mir weh, und der Nacken.
Ganz ruhig sitze ich da, äußerlich; innerlich bin ich aufgeregt.

Ich blicke wieder auf meine Bilder. Was denke ich? Diese drei Bilder sind gute Bilder und ich war ein guter Maler. Was ist zwangsläufig der nächste Gedanke? Unvermeidlich der Gurkenkönig. Bei dem bleibe ich eine Zeitlang hängen und Entsetzen tut sich auf. Ich richte mich am Gedanken auf: es könnte sein, daß ich ihm den Rest gegeben habe (das sind oft diese falschen Autoritäten: du holst aus und – zack - sind sie umgefallen). Ich warne mich vor Größenwahn.

Aber die Sirenen sind leiser, das Kopfweh weg, die Nackenschmerzen schwächer. Die Kirche antwortet auch nicht (was mir völlig wurscht ist). Die Psychologinnen antworten auch nicht. Da muß man ja größenwahnsinnig werden!

Ja, die Bilder: die haben eine große Tiefe. Sie sind Fenster, durch die man über diese Welt hinaussehen kann.

So, ich bin durch und stehe auf und fühle mich im Rücken aufrecht.









(14.11.2018)










©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 13. November 2018

1166 Traurig vor fragwürdigem Mitleid


Vor Mitternacht schon total müde schaue ich wieder einmal meine Bilder an. Die Deckenlampe – genau genommen nur eine nackte Glühbirne – stört mich, weil sie ein Fünftel eines Bildes – ich habe es abgemessen! - verdeckt. Und ich weiß schon eine schlichte Lösung.

Traurig vor fragwürdigem Mitleid, weil sie so ein abhängiges Leben führen muß, streichle ich die Katze. Ich sag's ja, sie kann meine Gedanken lesen, denn sie dreht sich um und wendet mir ihr Hinterteil zu.

Ich blicke wieder vom Bett aus auf die Wand mit den Bildern gegenüber. Etwas Unsichtbares scheint sich herabzusenken, denn ich sehe in kurzen Augenblicken die Bewegung nach unten, während alles an seinem Platz bleibt. Vermutlich sind meine Augen müde und verspannt. Ich lasse sie kreisen.

Wie so oft: Trauer steigt in mir hoch oder kommt auf mich herab oder hüllt mich wie Nebel ein oder breitet sich von innen aus und löst einen tiefen, aber verkrampften Atemzug aus, denn das Zwerchfell will sich nicht so recht nach unten wölben.

Nach zwei weiteren solcher stockenden Atemzüge steigen wieder Tränen auf und hinter die Augen – das sind die Tränen, die nie herauskommen, sondern innen bleiben. Ich weiß nicht, ob sie wenigstens in meinem Inneren an der Innenseite meiner Maske herunterrinnen; nach außen bleibt mein Gesicht starr, ausdruckslos und trocken.


Aber schlafen kann ich nicht. Jetzt ist es zwei Stunden später und ich bin immer noch wach. Ich habe in meinem Zimmer und im Vorzimmer – dort lagern ein paar Holzleisten und Bretter, befinden sich ein Kasten mit Büchern und Werkzeug und das Katzenklo – die Fenster aufgemacht um frische Luft – soweit halt die Luft aus dem Lichtschacht nicht nur modrig, sondern auch frisch ist – hereinzulassen. Mein Atmen fließt nun leichter, mein Zwerchfell geht freiwillig nach unten und meine Lunge – oder wer immer das veranlaßt – nützt das für einige tiefe Atemzüge. Nun kommt wieder die Müdigkeit und: schlafen: zweiter Versuch.







(12./13.11.2018)









©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


1165 Roswitha und Geisterfahrer


Benommen vom Schlaf und unkonzentriert beim Versuch zu lesen drohen mir ständig die Augen zuzufallen. Der Impuls ist so stark, daß ich trotz weit aufgerissener Augen die verschwimmenden Buchstaben nicht lesen kann. Dabei ist es schon spät!


Vielleicht geht jetzt im Espresso Burggasse das Lesen und Schreiben besser. Tolle Musik, ordentlich aufgedreht, einen Cappuccino schon intus, den zweiten werde ich gleich bestellen.
„Roswitha“ fällt mir ein, ein Namen an der Grenze. Ich bin heute als „Geisterfahrer“ (T-Shirt!) unterwegs.

Den Cappuccino bekomme ich mit Milchschaumherz. Oh, das schmeichelt mir! Alle Kellnerinnen hier sind übrigens sehr freundlich und schön. (Die Kellner eigentlich auch, aber das betone ich nicht so.) Schöne Musik! Sanfte, elegische Gitarrenklänge, aber poppig genug. Auch unter den Gästen sieht man hier viele schöne Menschen (außer m … nein, nein … keine blöden Spielchen!)

Übrigens: es soll eine Eidechsenart geben, die die Männchen schon abgeschafft hat. Es gibt nur noch Weibchen dieser Spezies, das Y-Chromosom, das ja aus einem abgebrochenen X-Chromosom entstanden ist und nichts mit Intelligenz, sondern  - beim Menschen, bei den Eidechsen weiß ich es nicht - mit seinen bloß 32 bis 36 Genen nur mit Testosteron zu tun hat, im Gegensatz zum X-Chromosom, das mindestens 5000 Gene trägt. Ja also diese Eidechsenart ist ihr Y-Chromosom losgeworden und die Mütter geben an ihre Töchter nur ihre Gene weiter. Für die Zeugung treffen sich zwei der weiblichen Eidechsen und reiben sich aneinander um den ganzen Vorgang zu starten, als eine Art Erinnerung oder Nachklang an den Geschlechtsakt mit Männchen in den alten Zeiten.

Vielleicht ist auch die Menschheit auf dem Weg, das Y-Chromosom loszuwerden, weil es seine Funktion erfüllt hat und mit seiner Testosteronsteuerung jetzt langsam aber sicher kontraproduktiv wird. Vielleicht hat das der Menschengeist – oder die Menschengeistin schon beschlossen? Oder die Karmapolice. Das nur so zwischendurch.







(12.11.2018)









©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


1164 Zu spät


Vaters Todestag. Und angeblich Faschingsbeginn, was ich bezweifle. Nach einem erholsamen, ruhigen Sonntag, mit einem köstlichen Ganslessen mit Rotkraut und Erdäpfelknödel, zu dem ich eingeladen war, und nachdem ich lange im Internet herumgesurft bin, habe ich mich ziemlich früh ins Bett gelegt und gelesen. Dann bin ich nocheinmal ins Bad, und wie ich dann wieder in meine verfurzte Kammer zurückgekehrt bin, war ich zu faul zum Lüften und habe schon die Pölster, die ich zum Lesen im Bett aufgestapelt hatte, begonnen fürs Schlafen zurechtzulegen – was heißt, alle an den Rand!, denn in Rückenlage brauche ich keinen Polster – und ich beginne jedes Einschlafen mit einem kurzen Körpercheck in Rückenlage und einer kurzen Meditation über den vergangenen Tag mit der Frage: was mir heute gefallen, gut getan oder gar glücklich gemacht hat, vergegenwärtige mir die entsprechenden Szenen – manchmal fallen mir dabei auch gestrige und vorgestrige ein, die ich gestern und vorgestern vergessen hatte – und bedanke mich dafür – manchmal ein Allroundgebet von meiner Familie ausgehend und ausufernd – soweit ich halt Lust habe oder die Verantwortung empfinde – angehängt – aber dann ist mir das mit der verfurzten Kammer eingefallen und gleich habe ich in meinem Tun innegehalten, nachgedacht und um eine Entscheidung gerungen, dann die Pölster fürs Schreiben wieder aufgeschlichtet, denn – so dachte ich – eine solche schöne Formulierung kann ich meinen Leserinnen nicht vorenthalten: verfurzte Kammer. Nicht wahr: Kammer, Kemenate. „Verfurzte Kemenate“ wäre tatsächlich noch schöner gewesen. Aber zu spät!









(11.11.2018)















 ©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


Freitag, 9. November 2018

1163 Je veux


Ich sitze im Paim und habe nach einem köstlichen Frühstück – wo ich immer für das letzte Stück Brot den Honig und die Butter vermische, um eine Emulsion herzustellen, die weniger rinnt und tropft als der reine Honig – meinen alten Text „434 Wie ich IM (inoffizieller Mitarbeiter) der reaktionären Fraktion der katholischen Kirche wurde“ verbessert. Einen übersehenen Beistrichfehler, einen übersehenen Fallfehler und zwei kleine Ergänzungen zum besseren Verständnis und eine wichtige, dringende Satzumstellung aus demselben Grund, denn so wie er formuliert war, war er zwar kontextmäßig halbwegs verständlich, aber nicht eineindeutig. Ich hatte diesen Text wieder in die Hand genommen, weil ich ihn – noch unverbessert – jemandem aus der katholischen Kirche im Zuge eines Gesprächs meines Kirchenaustritts wegen weitergegeben habe.

Ich sehe mich wieder, wie ich damals, als das alles passiert ist, aufrichtig und mit reinem Herzen (He! Das muß ich noch meditierend überprüfen!) um Klarheit und Klärung gerungen habe.

Schmerz und Trauer treiben mir ein paar unsichtbare Tränen in die Augen, denn es geht um die Zeit, als ich mein Lebensfahrzeug [Griechisch autos heißt selbst, obwohl es in unserem Sprachgebrauch als Auto und somit als Container nur das aufgemotzte und „gepanzerte“, nicht mit eigener, sondern mit fremder Energie bewegte schwache Ego sein kann. Also kein Selbstbeweger] wo ich also mein Lebensfahrzeug in den Straßengraben gelenkt oder abdrängen lassen habe und es mit Totalschaden liegen geblieben ist. Würde ich mir unerlaubten Kitsch erlauben, würde ich herschreiben, daß ich im Wrack sitze - vom Regen noch einigermaßen geschützt - und schreibe. Aber so gehen lassen darf ich mich nicht (Aus den Boxen kommt jetzt: Zaz, je veux – ach was für ein fröhliches Lied! Echte Fröhlichkeit weiß auch vom Schmerz.). Und noch etwas: wenn ich die Chance dazu habe, kann ich aufs Belehren kaum verzichten und der nicht zum Zug gekommene Lehrer bricht übereifrig und blind durch (Siehe das in den eckigen Klammern über das Auto Geschriebene, das doch mit dem Lebensfahrzeug im Grunde nicht viel zu tun hat. Oder?).

(Und jetzt: La Bohème von Charles Aznavourian: Bistro – Atelier – triste – habe ich herausgehört.)
Ich schwelge in Erinnerungen an meine Bohèmien-Zeit, den ich mehr alkunterstützt recht und schlecht gespielt denn verkörpert habe – und ich kann lachen, werde fröhlich und bin allmählich bereit, nach dem dritten Cappuccino aus der gastlichen Höhle hinaus ins sogenannte Leben und einkaufen zu gehen.







(8.11.2018)








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1162 Farblos und aper


Nein, ich werde nicht zum Begräbnis gehen. Nein, ich werde ausschlafen. Es ist spät, schon eine Stunde nach Mitternacht und ich will morgen nicht früh aufstehen. Die Entscheidung ist jetzt gefallen und ich atme erleichtert durch.

Zum ersten Mal sehe ich auf einem zwanzig Jahre alten Bild vier weiße, farbfreie Flecken als eigene Gestalten, die sich - ähnlich wie Sterne - zu einem Bild fügen. Es tauchen noch mehr solche kleinen, farblosen aperen „Körper“ auf. Ich schaue, ob ich auch andere Bilder anders zusammensetzen kann, aber das gelingt nicht.

Doch. In einem anderen Bild taucht ein Hundekopf auf und verkitscht es mir! Und noch ein anderes bekommt einen bisher übersehenen Zug ins Weite, einen Durchblick, einen Durchbruch in die Ferne und veredelt sich damit. Weitere Gestalten tauchen auf und verschwinden wieder.









(7./8.11.2018)










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Mittwoch, 7. November 2018

1161 Mutters Geburtstag


Mutters Geburtstag. Ich bete dann schon für sie – so bin ich nicht.  Für den Vater auch. Sogar für den gschissenen Döbereiner. Aber nicht nur für die Toten. Zuerst für meine Kinder, meine Frau, die Stiefkinder und alle, die dazugehören, vorallem „meine“ Enkelkinder - aber auch für meine Geschwister, meine Neffen und Nichten, alle, die da zu gehören, Schwiegereltern … . Es ufert schnell aus: wenn ich noch – durchaus auch um das schuldverseuchte energetische Familienerbe zu bereinigen – für meinen gestorbenen Kriegsverbrechernazionkel bete und dann geht es mit seiner Familie weiter und und und … . Aktuell würde ich auch noch den Arbeitskollegen Peter Lenz mitnehmen, dessen Begräbnis morgen ist.

Naja, meistens bleibe ich bei meiner Kernfamilie. Und so ernst und streng nehme ich es mit der Beterei auch nicht. Nur wenn es mich freut, nur wenn es mir überhaupt einfällt, und das ist selten. Auch dann sch... verzichte ich oft darauf. Und wenn ich bete, klopf ich es meist recht flott und gleichgültig herunter. Also: so viel Aufhebens muß man davon nicht machen.

Die Espressobar leert sich gerade. Was sie sich lehrt – wie ich irrtümlich geschrieben habe – weiß ich freilich nicht. Unfreilich auch nicht.

Ich bin jeden Tag anders und doch immer gleich: vorgestern fromm, heute scheinheilig, dann spöttisch … . Oder umgekehrt. Wie schon oft gesagt: ich bestehe nur aus Masken (das ist das, was immer gleich bleibt) und wenn man alle Masken weggäbe, wäre nichts da. Gar nichts.

Ein älterer Krauderer redet jetzt recht laut. Ein Arbeiter arbeitet im Klo mit der Stichsäge. Ich sitze mit überschlagenen Beinen vorm Tischchen, fast eingeklemmt (gibt Druck und damit Stabilität von außen) und verzehre das dritte Schnittenstückchen, die Beigabe zum dritten Cappuccino.

Ein volles Lokal wirkt anders als ein leeres, aber beides hat was. Manchmal müssen auch Banalitäten aufgeschrieben werden. Meine ich halt.

Durch irgendwelche für mich nicht nachvollziehbare Lichtspiegelungen gleitet jetzt bei meiner Kugelschreiberspitze ein Lichtpunkt mit. Eher ein wenig irritierend. (Meine Aussagen können nicht indirekt und verhalten genug sein; „eher ein wenig“. Das Direkte liegt mir nicht. Eh klar, ich weiß ja selber oft nicht, in welcher Maske ich – oder wer oder was das ist – stecke.)









(7.11.2018)











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Dienstag, 6. November 2018

1160 Ich stehe nicht auf


In voller Absicht und ganz ohne schlechtes Gewissen stehe ich nicht auf, sondern lasse mich von den Wellen was-weiß-ich welchen Meeres abwechselnd in einen schwachen Wachzustand heben und dann wieder ins seichte Träumen absenken. So erhole ich mich vom anstrengenden gestrigen Tag und heile meine verwundete Seele. Tief erleichtert atme ich durch. Die brillenvergrößerte Katze legt sich anschmiegend neben mich; praktischerweise auf meine linke Seite, sodaß ich sie streicheln und dabei schreiben kann. Wieder hebt mir ein unwillkürlicher Seufzer meinen Brustkorb und lockert den Eisenring um mein Herz.

Und noch so ein tiefer Atemzug.

Und dann nocheinmal.

Erleichterung breitet sich aus. Die tiefen Atemzüge zähle ich nicht mehr. Ich kann der Heilung regelrecht zuschauen.
Ich lehne einfach entspannt und friedlich auf meinen Pölstern und mein innerer Monolog braucht jetzt keine Attacken auf mich selbst.
Die Stimmen und Geräusche der spielenden Tageskinder unten ergänzen und vollenden diesen seltenen inneren Frieden.









(6.11.2018)










©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1159 Erschöpft


Wieder habe ich heute meine Geschichte erzählt und davon bin ich erschöpft, sehr erschöpft. Und ich bin so traurig, so traurig. Ich halte es schon aus, ich beklage mich nicht, ich stelle es nur fest.

Ich betrachte den Strudel um die Boote auf dem Bild. Ich betrachte die zwei Visionäre in einem anderen Bild, die mit verrücktem Blick in meine Richtung schauen, vielleicht durch mich hindurch (oder auf den Schatten hinter mir). Ich betrachte den lebendigen Berg auf einem weiteren Bild, der vermuten läßt, daß die Erde lebt. Ich betrachte die Wintersonne auf dieser schönen Photographie, wie sich jene durch einen dünnen Wolkenschleier kämpft und durch eine Schneise im Wald herleuchtet. Ich betrachte den sich sachte der Realität entziehenden Baum auf einem fünften Bild, links steht ein zweiter Baum, den die Schwerkraft noch festhält. Ich betrachte die vielen Kinderzeichnungen in meiner kleinen Kammer und allmählich beruhigt sich mein Herz.

Und meine kreisenden Gedanken wühlen es gleich wieder auf. Aber ich bin so müde, so müde. Lebensmüde wäre eigentlich das richtige Wort dafür, wenn es nicht schon diese Bedeutung hätte, die es hat, denn ich werde sicher nicht abhauen. Vielleicht wäre besser: überlebensmüde, weil ich es müde bin, bloß zu überleben. Oder: dieseslebensmüde, weil ich meine Flügel nicht entfalten konnte und nicht entfalten kann: sozusagen wie eine Blume im Herbst, der es nie gelungen ist, zu blühen.









(5./6.11.2018)












©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1158 ΜΗ ΜΟΥ ΑΠΤΟΥ


Ich blicke in den Spiegel und auf die Damenklotür. Zwei Gäste sind über ihre Laptops gebeugt, einer übers Handy, zwei über Bücher und zwei reden. Ich schreibe stockend. Auch die Herrenkloler gehen durch den Raum, aber ich sehe von meinem Platz aus die Tür nicht. (Ich liebe absurde Worterfindungen.) Dauernd denke ich an die „paradoxe Intervention“, seit Tagen, weil ich seit Tagen mein T-Shirt mit der Aufschrift „ΜΗ ΜΟΥ ΑΠΤΟΥ“ trage.









(5.11.2018)








©Peter Alois Rumpf     November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1157 Commandante Che Guevara


Commandante Che Guevara kommt inbrünstig aus dem Lautsprecher gesungen; dann ein amerikanischer Oldie (bekannt, aber ich habe alles vergessen; eine dieser verhalten-heulenden und abgewürgten Männerstimmen). Das Lokal ist voll. Ich sinniere oder senilisiere vor mich hin. Meine „Mädchen“ sind da und ich falle nach innen, weil ich ihre Gespräche fast nicht verstehe, und mir meine Nachfragerei bald zu blöd wird. Noch dazu, wo es anscheinend um Angelegenheiten zu gehen scheint, von denen ich nichts weiß: irgendwelche Möbelstücke aus unserer Wohnung sollen weggeschmissen oder verkauft werden. Ich weiß davon nichts. Wirklich: ich bin der Herr im Haus – ich habe über die großen Dinge zu bestimmen: Politik, Universum etcetera, über die geringen Dinge – Wohnung, Haushaltsführung, Ein- und Ausladungen - bestimmen meine Damen. Zynismus, Sarkasmus und Spott sind unangebracht: erstens gehört die Wohnung tatsächlich nicht mir und ich könnte sie mir auch nicht leisten; und zweitens bring ich's halt nicht! Über Möbel zu entscheiden würde mich auch nerven. Ich bring's nicht! Das regt mich gar nicht mehr auf; ich lache darüber. Aber ganz ohne Trauer bleibt es nicht.

Das rote Muster des Blumenübertopfs – genau gesagt: eine Musterzeile erinnert mich an irgendetwas und rührt mich ganz tief an. Plötzlich, während ich gedankenverloren hingeschaut habe. Als gäbe es eine tief versunkene Erinnerung, als hätte ich dieses schlichte und abstrakte Blütenmuster schon einmal mit verlorenem, traurigen Blick angestarrt, vor langer, langer Zeit. Ich kenne dieses Ornament! Aber woher? Woher? Ich weiß es nicht. Ich denke an irgendwas mit einem Fünfer in der Schule, man sitzt da, beschämt, hat es gerade zu Hause gestanden, ist gerade beschimpft worden, und starrt gerade irgendwo hin, was weiß ich, auf das Muster eines Vorhangs oder Geschirrtuchs, das zum Trocknen über der Sessellehne hängt - dann wäre das Muster blau gewesen. Aber es kann auch ganz anders gewesen sein. Ich habe es blau im Kopf.

Alles verrutscht mir. Die Fünfzigerjahremusik aus den Boxen, also die vor der Popmusik – ergreift mein Herz und drückt es zusammen. Nicht, weil ich diese Musik liebe – im Gegenteil, ich ertrage sie nur selten – nur macht sie mir manchmal die Rutsche in meine Kindheit und sticht mir ins Herz, weil ich da trotz aller Niederlagen und Enttäuschungen noch Hoffnung hatte. Eine verrückte, unrealistische, kitschige Hoffnung, daß alles gut werden wird, irgendwie, einfach durchs Wachsen und Älterwerden. Ich konnte noch glauben, daß man aus diesem elenden Zustand hinauswachsen kann, wiewohl ich geahnt habe, daß ein Wunder geschehen müßte. Ich wollte unbedingt an „den Fortschritt“ glauben! Und dann die Ölkrise!

Das Muster: ich vermute tatsächlich: Geschirrtuch, blau.

Ich bin nichts; ich bin gar nichts. Das darf ich nie vergessen, sonst wird mein Leben zur Qual. Ich bin nichts, und wenn ich bloß überlebe, ist das ein unverdientes Geschenk, fast so groß wie die Unendlichkeit.








(4./6.11.2018)








©Peter Alois Rumpf    November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


1156 Beim Friseur


Beim Friseur. Die Sonne scheint durch die offene Tür auf meine Füße und wärmt sie. Ich werde ein wenig warten müssen. Draußen blühen rote und rosa Rosen und wird im Relief und auf einer Gedenktafel des linken Studenten und Widerstandkämpfers Alfred Ochshorn gedacht, der von den Nazis und ihren Mitläufern ermordet wurde.

Orientalische Musik und das laute Surren der Haarschneidemaschine. Spieglein, Spieglein an der Wand. Die Sonne läßt nach, erholt sich wieder, kommt hinter der dünnen, flachen Wolke hervor und wärmt von Neuem.

Ich sehe draußen Sprünge in der Mauer des Gebäudes, provisorisch verkittet. Die Musik ist nicht mehr arabisch, der Föhn sehr laut. Dort hinten – ich seh's durch die offene Tür – in diesem schmalen Gang zwischen den Marktgebäuden, sitzt da nicht ein Abgeordneter des Parlaments und raucht? Profil und Gestikulation in einem Gespräch würden passen, ansonsten bin ich zu weit, um sicher zu sein.

Die Musik jetzt in spanischer Sprache. Nein: Italienisch. Verdammt nochmal: doch Spanisch.








(2.11.2018)









©Peter Alois Rumpf      November 2018   peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 1. November 2018

1155 Das parallele Universum


Hallo Wien! Bald werde ich Cappuccino zwei bestellen. Mein Krankengeld scheint höher zu sein, als mein Lohn vorher – mein Gott! Wenn ich mich bei solchen Dingen auskennte!
Die jungen Menschen rundherum tun mir gut.

Soeben habe ich das ganze Lokal telephonierend vollgeschrien mit meinem Diagnosetest- Kur- und Ärzteärger. Man kann – oder besser: ich kann auch mit der psychiatrischen Behandlung und ihren Folgen angeben! Man nimmt halt, was man hat. („Magst a Zigarettn?“) Euphorisiert.

(Was nach oben schießt, stürzt auch wieder nach unten.)

Ich schlendere nach Hause. Das Sonnenlicht trifft nur mehr die obersten Stockwerke der größeren Häuser, die Kirchtürme und andere Türmchen auf den Häusern aus dem vorvorigen Jahrhundert. Dieses Licht ist von solch intensivem, vollem gelben Leuchten, der Himmel so strahlend und weit, selbst die Kondensstreifen der vielen Flugzeuge zeichnen in den Föhnhimmel recht schnell sich ausdehnende, kunstvolle Striche, daß sich mir das Herz weitet und mich beglückendes Staunen und Schauen erfüllt. [Das parallele Universum („parallel universe“ RHCP), das ich, um den U-Bahnlärm jetzt bei der Niederschrift zu übertönen, auf meine Ohren eindröhnen lasse, hilft mir bei der Erhebung des Herzens („Erhebet die Herzen!“ „Wir haben sie beim parallelem Universum“).]
Ich weiß, dieses schöne Licht wird bald verschwinden, darum gehe ich noch langsamer, schaue herum und schaue nach oben und zum Himmel.

Dann beginnt das strahlende Licht zu verblassen, das Leuchten wird dünner und dünner, verliert seine Kraft. Das ist so traurig! So traurig! Der Tag geht vorbei, bald wird er vorbei sein, die Nacht wird hereinbrechen und was wird der Ertrag sein? Hat es sich gelohnt? Oder habe ich meine Zeit vergeudet? War ich mein Salz, das ich verwendet habe, wert, oder habe ich heute mein Daseinssaldo mit neuen Schulden erhöht? Das Tagewerk wird vollbracht sein, aber werde ich hinausgeworfen werden, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht? Mein Geist sagt mir: ja. Dort wirst du landen.
Mein Herz wird traurig sein – nicht wegen dem Zähneknirschen – sondern weil mein Leben nicht aufgebraucht sein wird. Das Heulen werde ich als angemessenes Ergebnis annehmen. Das Weizenkorn ist erstickt oder verdorrt – was weiß ich – eingegangen.

Dabei war es ein schöner Tag. Ich komme mir vor wie ein Kapitän, der mit seinem Schiff untergeht und seine Augen an – nehmen wir es an: - am weiten, ruhigen, majestätischen Meer und am letzten, hoffnungsvollen Glitzern des Sonnenlichts am Wasser weidet. (Bist du sicher, daß du nicht wie der letzte Scheißer heulen und flennen und betteln wirst? Hm?)






(31.10./1.11.2018)








©Peter Alois Rumpf    Oktober/November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1154 Eine Fliege, die um meine Schreibhand kreist


Am Flughafen machen mich die vielen Menschen nervös. Ich fliege nicht, sondern hole ab. Das Gerenne, Gepäckswagen-Gequitsche, die hallenden Lautsprecherdurchsagen, universally speaking. Ich bin mit „This is the place, where all/ The junkies go/ Where time gets fast/ But everything gets slow“ (RHCP) einigermaßen abgeschottet. Blinkende Bankomaten, die bei uns zunehmend „Geldautomaten“ heißen, haben hier keine Namen.

Die junge Frau bringt zwei Becher Kaffee (?) zum Informationsschalter, einen für sich, einen für ihren Kollegen (oder Chef?) dort. Ich will vorsichtig sein: vielleicht ist es angenehmer, einmal aufstehen und etwas holen zu können, ein paar Schritte zu gehen, als ständig hinter dem Informationsschalter sitzen bleiben zu müssen. Vielleicht.

Kauende alte Dame (jünger als ich), zupft nebenbei an sich herum. Eine Fliege, die um meine Schreibhand kreist, warnt mich davor, allzu Unverschämtes zu schreiben. Blick auf die Uhr: ich habe noch viel Zeit. Auch ein älterer Herr kaut. Sitze wohl in der Kauecke.

Alles schreibe ich nicht, war mir durch den Sinn geht – so angreifbar möchte ich mich heute nicht machen.

Hier in der Nähe finden die Begrüßungen statt. „Tell me when you want to go“ (RHCP). Mehr als sieben Schönheiten aus allen Ethnien. Manche eilen nicht, schleichen, wanken telefonierend anscheinend ziellos herum. Die gekonnten Kofferzieher. Ein Polizist schleppt einen Rucksack und ein durchsichtiges gefülltes Jausensackerl. Stehengelassenes Gepäck? Oder Jause für sich und die anderen diensthabenden Kollegen und im Rucksack verbotener Schnaps? (Meine Phantasie!) Ein jaulender, quiekender Hund im Transportkäfig. Eine halbe Stunde noch bis zur Landung.

Erschöpfte Menschen. Mit hochroten Köpfen. Oder braungebrannt. Oder mitteleuropäischer Teint. Die Herren mit den Namenstafeln in der Hand.
Die verschiedenen Arten zu gehen. Leicht, schw... - ein Mann im schwarzen Anzug mit zugespitzten Halbschuhen trägt eine rote Rose und setzt sich neben mich, dann legt er die Rose neben sich und spielt auf seinem Handy.

Kleine Muskelprotze. Viele Bäuche. Dünne und dürre Gestalten. Die Meisten scheinen zu wissen, was sie zu tun haben, die anderen, die herumzuirren scheinen, orientieren sich. Umarmungen. Höfliche Begrüßungen. Auch viele Einzelgänger und Gängerinnen. Und ich? Ach! …
Eine Frau mit islamischen Kopftuch, soeben in die Ankunftshalle gekommen, begrüßt mit vielen Küssen Mann und Kind, die sie abholen gekommen sind.




(30.10.2018)





©Peter Alois Rumpf    Oktober/November 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

1153 Schanigarten


Neuer Tag, neue Perspektive (im gewohnten Espresso, wo ich gegen Norden schau). Das heißt Richtung Straße. Was sehe ich? Elegische Raucher im Schanigarten. … Ich muß mir ein neues Wort für diese Minigastgärten ausdenken! Momentan ekelt mir vor den „lustigen“ Wiener und österreichischen Begriffen. Von „lustig“ geht’s schnell zur „Gaudi“ und von dort schnell zur „Hetz“, also zur Hetze, wen immer man da dann durch die Gassen treibt. Oder Straßen aufzuwischen zwingt. Außerdem: nicht jeder „Diener“ heißt Hans-Jean! Die Nichtwahrnehmung als Prinzip.

Mein Blick auf die Menschen draußen ist fast zu direkt. Ich werde verlegen und jetzt kommen wieder die Blickvermeidungsmanöver. Ja kein Augenkontakt! Meine Lebensbeobachtung vom Rand aus – vulgo Voyeurismus – wird zu offensichtlich.

Es wird düster. Kommt Regen? Oder kommt der Weltuntergang? Der Untergang meiner Welt, der droht wirklich. Wohin fliehen? Nach Brasilien wie Zweig? (Sarkasmus!) Möglicherweise braucht man sich dann gar nicht selber umbringen.

Aber meine Welt geht sowieso unter: Mein Gehirn spielt immer weniger mit. Ich muß manchmal lange nachdenken, wie mir nahe stehende Menschen heißen. Und die politische Entwicklung reaktiviert meine Traumata und Traumatrancen. Und die näher kommende Kur löst Ängste vor krasser Entmündigung und Kasernierung aus. Konterkarieren die bürokratischen Maßnahmen die Therapie des „gebrochenen Rückgrats“? Psychisch. Meinem physisch kaputten Kreuz steht keine Kur zu, da ich kein Beamter bin. Beamen statt beamten. Ich bin ein Beamer. Ich beame mich aus der Realität und hoffe, in einer Wirklichkeit zu landen.

Ein Segelschiff aus Metallplättchen und Drähten dort an der Wand. Mit voll geblähten Segeln. (Meine Blähungen kommen mehr von innen.) (Ha ha ha! Text- und Selbstdestruktion deuten und deuten auf depressiven Anfall.)

Den Kampf mit dem roten Notizbuch-Lesezeichenband, das sich unter das Tablett des zweiten Cappuccinos geschwindelt hat und sich weigern will, hervorgezogen zu werden – diesen Kampf habe ich gewonnen.







(25.10.2018)








©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


1152 Flüchten kann ich nicht


Ich bin mir inzwischen sicher, daß meine Panikattacke mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Österreich zu tun hat, weil genau jene pöbelhafte Unkultur und gewalttätige Rücksichtslosigkeit hochkommen, die in meiner Kindheit gang und gäbe waren und mich in Angst und Schrecken versetzt haben. Niedertracht und Verlogenheit, zur Gewalttätigkeit neigende Autoritäten, schwarze Pädagogik.

Flüchten kann ich nicht; wohin auch? Und „ohne Geld ka Musi“, um eine verhasste angebliche Lebenserkenntnis zu zitieren, die eigentlich falsch ist, aber von den neoliberalen Zynikern real gemacht wird.

Zurück zum Hauptthema: weg kann ich nicht, aber ich werde schreien. Laut schreien, wenn ich drankomme.

Naja, wer weiß; ich lasse mich schnell einschüchtern.

Und wenn sie mich brechen und korrumpieren?

Gebrochen bin ich ja schon seit meiner Kindheit, nur mein Geist versucht, nicht unterzugehen.








(25.10.2018)









©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com


1151 Geliebte Schwermut


Wunderbare Musik im Paim. Das Herz geht mir auf (trotz oder wegen des antidöbranitischen Akkordeons).

Immer, wenn ich einen Text geschrieben habe, der mir alles abverlangt hat (Nummer 1150), bin ich tagelang erschöpft und nicht mehr richtig schreibfähig.

Wegen meinem Kreuz werde ich zu Schmerzmittel greifen. Ich kann so nicht im Haushalt arbeiten, sogar das Blumengießen bereitet mir starke Schmerzen. Ich mache sowieso schon zu wenig.

Eine typische Ebbe-Stimmung: die Wellen kommen, aber das Wasser geht zurück. Ich meine beim Schreiben.

Oh, diese tränenmelancholische Trauer in dieser Musik des Orients! Geliebte Schwermut, ich würde dich vermissen!









(23.10.2018)












©Peter Alois Rumpf    Oktober 2018     peteraloisrumpf@gmail.com