1157 Commandante Che Guevara
Commandante Che Guevara kommt inbrünstig aus dem
Lautsprecher gesungen; dann ein amerikanischer Oldie (bekannt, aber ich habe
alles vergessen; eine dieser verhalten-heulenden und abgewürgten
Männerstimmen). Das Lokal ist voll. Ich sinniere oder senilisiere vor mich hin.
Meine „Mädchen“ sind da und ich falle nach innen, weil ich ihre Gespräche fast
nicht verstehe, und mir meine Nachfragerei bald zu blöd wird. Noch dazu, wo es
anscheinend um Angelegenheiten zu gehen scheint, von denen ich nichts weiß:
irgendwelche Möbelstücke aus unserer Wohnung sollen weggeschmissen oder
verkauft werden. Ich weiß davon nichts. Wirklich: ich bin der Herr im Haus –
ich habe über die großen Dinge zu bestimmen: Politik, Universum etcetera, über
die geringen Dinge – Wohnung, Haushaltsführung, Ein- und Ausladungen -
bestimmen meine Damen. Zynismus, Sarkasmus und Spott sind unangebracht: erstens
gehört die Wohnung tatsächlich nicht mir und ich könnte sie mir auch nicht
leisten; und zweitens bring ich's halt nicht! Über Möbel zu entscheiden würde
mich auch nerven. Ich bring's nicht! Das regt mich gar nicht mehr auf; ich
lache darüber. Aber ganz ohne Trauer bleibt es nicht.
Das rote Muster des Blumenübertopfs – genau gesagt: eine
Musterzeile erinnert mich an irgendetwas und rührt mich ganz tief an.
Plötzlich, während ich gedankenverloren hingeschaut habe. Als gäbe es eine tief
versunkene Erinnerung, als hätte ich dieses schlichte und abstrakte
Blütenmuster schon einmal mit verlorenem, traurigen Blick angestarrt, vor
langer, langer Zeit. Ich kenne dieses Ornament! Aber woher? Woher? Ich weiß es
nicht. Ich denke an irgendwas mit einem Fünfer in der Schule, man sitzt da,
beschämt, hat es gerade zu Hause gestanden, ist gerade beschimpft worden, und
starrt gerade irgendwo hin, was weiß ich, auf das Muster eines Vorhangs oder
Geschirrtuchs, das zum Trocknen über der Sessellehne hängt - dann wäre das
Muster blau gewesen. Aber es kann auch ganz anders gewesen sein. Ich habe es
blau im Kopf.
Alles verrutscht mir. Die Fünfzigerjahremusik aus den Boxen,
also die vor der Popmusik – ergreift mein Herz und drückt es zusammen. Nicht,
weil ich diese Musik liebe – im Gegenteil, ich ertrage sie nur selten – nur
macht sie mir manchmal die Rutsche in meine Kindheit und sticht mir ins Herz,
weil ich da trotz aller Niederlagen und Enttäuschungen noch Hoffnung hatte.
Eine verrückte, unrealistische, kitschige Hoffnung, daß alles gut werden wird,
irgendwie, einfach durchs Wachsen und Älterwerden. Ich konnte noch glauben, daß
man aus diesem elenden Zustand hinauswachsen kann, wiewohl ich geahnt habe, daß
ein Wunder geschehen müßte. Ich wollte unbedingt an „den Fortschritt“ glauben!
Und dann die Ölkrise!
Das Muster: ich vermute tatsächlich: Geschirrtuch, blau.
Ich bin nichts; ich bin gar nichts. Das darf ich nie
vergessen, sonst wird mein Leben zur Qual. Ich bin nichts, und wenn ich bloß
überlebe, ist das ein unverdientes Geschenk, fast so groß wie die Unendlichkeit.
(4./6.11.2018)
©Peter Alois Rumpf
November 2018
peteraloisrumpf@gmail.com
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